Sternentänzer, Band 8 - Der unheimliche Pferdehof - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 8 - Der unheimliche Pferdehof E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Auf Lindenhain könnte alles so schön sein. Sternentänzer ist wieder mit seiner Familie vereint, Caro hat viel Spaß mit Nick und Ferdi - da plötzlich verhält sich Silberstern, Sternentänzers Sohn, merkwürdig. Ständig verschwindet er, und unternimmt nachts heimliche Ausflüge. Als Caro Silberstern eines Abends folgt, beobachtet sie eine wunderschöne Stute. Eine Stute, die ein dunkles Geheimnis verbirgt und die nur Sternentänzer retten kann.

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Der unheimliche Pferdehof

Lisa Capelli

Band 8

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 8 – Der unheimliche Pferdehof3. aktualisierte Auflage © 2009 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja WittlingerLektorat: Helga KronthalerUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Juniors Bildarchiv; mauritius imagesSatz: CB Fotosatz & Werbeproduktion, FellbachISBN: 978-3-8332-1288-8eISBN: 978-3-8332-3089-9

www.panini.de

Der unheimliche Pferdehof

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Was ist los mit Silberstern?

Hauchdünner Nebel legte sich wie ein zarter Schleier über die Hügel von Lindenhain. An den Spitzen der Gräser auf der Weide glitzerten Tautropfen. Es waren die ersten Anzeichen, dass sich der Sommer allmählich dem Ende zuneigte.

Carolin, genannt Caro, ließ ihr Fahrrad langsam bis zu den Radständern vor dem Haupthaus auf dem Reiterhof rollen.

Sie seufzte. Was für ein Sommer! Voller Überraschungen. Die schönste war gewesen, dass die herrliche schwarze Araberstute Cinderella und das wunderschöne pechschwarze Hengstfohlen Silberstern zurückgekehrt waren. Sternentänzers ganze Familie war jetzt wieder auf ihrem Reiterhof Lindenhain vereint.

Carolin stellte ihr Rad ab und spitzte neugierig hinüber zum dritten Fenster links oben am Ferienhaus. Stille. Die blau-weiß gestreifte Gardine hing wie festgenagelt. Ferdi schlief wohl noch. Seit dem Sommer wohnte auch Ferdinand Reifenbach, der Besitzer von Cinderella, auf Lindenhain. Er hatte Silberstern und Cinderella aus Berlin mitgebracht und war gleich dageblieben. Er besuchte nun die Privatschule in Grünstadt.

Oder? War da doch was? Hat sich der Vorhang doch bewegt? Carolin ging ein paar Schritte zurück, um besser sehen zu können. Krrrrstch! machte es auf einmal unter ihren Füßen.

Huch? Was war denn das? Carolin lächelte, bückte sich und hob es auf – es war eine Filmrolle. Ein kleiner Rest ihrer großen Filmkarriere.

Der berühmte schwedische Regisseur Sven Örigson hatte auf Lindenhain im Sommer den historischen Film Der Held, das Mädchen und die Edelfrau gedreht. Carolin und Sternentänzer hatten in einer kleinen Nebenrolle mitgespielt. Ganz Lindenhain musste umgebaut werden, damit die Kulisse stimmte und alles so wirkte wie im 18. Jahrhundert. Zum Glück sieht mein Lindenhain jetzt wieder aus wie immer, dachte Carolin zufrieden und blickte sich um.

Der Reiterhof erhob sich auf einem grünen Hügel zwischen großen, knorrigen, alten Linden. Er bestand aus einem langen, hellgelben Stall mit blauen Türen und einem Auslauf davor, einer Reithalle, einem Reitplatz, einem großen Paddock mit blauem Holzzaun, einer Reithalle und dem Haupthaus. Seit kurzem gehörte außerdem das hübsche terrakottafarbene Ferienhaus mit den grünen Fensterläden dazu.

„He, Caro, hast du Lina gesehen?“ Nick, Lindenhains Mann für alles, war schon bei der Arbeit und schreckte sie aus ihren Gedanken.

„Lina? Lina wer?“ Lina war zwar ihre beste Freundin. Doch seit sie mit Thorben Sander, dem Sohn von Lindenhains Tierarzt, zusammen war, bekam Carolin sie kaum noch zu Gesicht. Die wenige Zeit, die Lina ohne ihren Thorben verbrachte, nahm sie Hexen-Nachhilfe bei ihrer Oma Ami. „Was willst du denn von ihr?“

„Ach, nicht so wichtig“, winkte Nick ab. Er fuhr sich durch seine kurzen blonden Haare. „Sag mal, Caro, ist dir eigentlich auch schon aufgefallen, dass sich Silberstern etwas merkwürdig benimmt?“

Carolin schüttelte den Kopf. „Warum?“

„Er scheint supernervös zu sein.“

„Echt?“

„Tänzelt ständig herum.“ Nick grinste. „Als würde ihn ein Schwarm wild gewordener Hummeln verfolgen.“

Carolin kicherte. „Er ist noch so jung. Wahrscheinlich will er sich einfach austoben.“

Nick zuckte die Schultern. „Ich hab ja schon viele junge Pferde gesehen, aber so war noch keins drauf!“

„Silberstern ist ja auch kein gewöhnlicher Hengst, sondern das Fohlen von meinem wunderschönen, klugen, lieben Sternentänzer“, meinte Carolin stolz. Ihre braunen Augen blitzten.

„Huhu!“, hallte es auf einmal über den ganzen Hof. Carolin blickte hinüber zum Ferienhaus. Da hing Ferdi im oberen Stockwerk so weit zum Fenster hinaus, als wolle er sich hinunterstürzen, und winkte wild mit beiden Armen.

„Schon ein echter Witzbold, der Typ“, grinste Nick und winkte zurück.

Ferdi formte mit den Händen einen Lautsprecher. „Frühstückst du mit mir, Caro?“

„Jaahaa!“, schrie Carolin zurück. Sie mochte den Chao-ten. Er hatte sich schon in vielen schwierigen Situationen als wahrer Freund erwiesen.

Als Carolin in den Gemeinschaftsraum kam, flitzte ihr Ferdi gerade von der Treppe her entgegen. Er streckte sich, seine blonden Haare standen kerzengerade in die Höhe. „Oh Mann, hab ich gut geträumt ...“

„Wovon denn?“, erkundigte sich Carolin.

„Lindenhain war kein Reiterhof mehr, sondern ein Eisstadion. Dort, wo jetzt die Pferde rumtraben, gab’s eine wunderschöne, spiegelglatte Eisfläche und ich mittendrauf, alle jubelten mir zu.“ Ferdis großer Traum war es, Eishockeyspieler zu werden. Doch seine Mutter fand, dass der Sport für ihn zu gefährlich sei. Stattdessen plante sie eine Reitkarriere für ihn, aber mittlerweile hatte sie diese Zukunftspläne begraben. Schließlich und endlich musste sie einsehen, dass Ferdi zum Reiten in etwa so begabt war wie ein Pferd zum Seiltanzen.

Carolin holte sich einen Kakao. „Träum weiter! Magst du auch einen?“

„Logo, danke.“ Ferdi nahm sich ein Brötchen und Schokokrem und hockte sich an einen der Tische.

Er seufzte. „Ich sollte mal wieder Heimaturlaub in Berlin machen und eine Runde auf dem Eis drehen.“

„Na toll, willst du mich etwa auch noch verlassen?“, sagte Carolin halb lächelnd, halb im Ernst.

„Warum auch noch?“

„Na, Lina, die treulose Tomate.“

Ferdi verstand nur Bahnhof. „Lina hat dich doch nicht verlassen?“ Er hielt Carolin sein dick beschmiertes Brötchen hin. „Magst du mal abbeißen?“

„Nee, danke, hab grad erst zwei davon zu Hause verdrückt. Nun ja ... nicht direkt verlassen, aber quasi.“

„Wie geht quasi verlassen?“, schmatzte Ferdi.

„Sie hängt nur noch mit ihrem Thorben ab. Thorben hier, Thorben da. Echt ätzend!“ Carolin stemmte die Ellbogen auf den Tisch und legte ihren Kopf in die Hände. „Früher, da war das ganz anders. Wir sind oft zusammen am See gesessen, ausgeritten, weggefahren. Haben Spaß gemacht und viele Abenteuer erlebt. Und jetzt? Wenn ich sie mal frage, ob wir was unternehmen, heißt es meist nur: ‚Sorry, keine Zeit, bin schon verplant.‘ Super, echt!“ Carolin redete sich richtig in Fahrt. Es tat gut, mal Luft abzulassen. „Ich weiß schon gar nicht mehr, wann wir zwei, Lina und ich, das letzte Mal was gemeinsam unternommen haben. Schöne Freundin!“

„Na ja“, meinte Ferdi. „Ich versteh sie schon. Sie und Thorben sind eben frisch verliebt. Und so eine junge Liebe will man schließlich ausleben. Da stören Dritte nur.“

„Ausleben, pah! Meinetwegen. Aber dabei sollte man bitte schön nicht seine Freunde vergessen“, empörte sich Carolin.

„Carolinchen“, begann Ferdi und Carolin musste ein wenig lächeln. Niemand anders nannte sie so dämlich. Und wenn, dann hätte sie es ihm sofort verboten. Aber wenn Ferdi sie so nannte, klang das irgendwie süß.

„Carolinchen, bist du nun eigentlich sauer oder eifersüchtig?“

„Beides!“ Carolin pustete so heftig in ihren Kakao, dass er beinahe über den Tisch spritzte.

„Also ich finde, die beiden sind ein richtig süßes Paar.“

„Süßes Paar, na super“, meckerte Carolin weiter. „Das finden alle. Ich kann’s echt nicht mehr hören. Und was ist mit mir? Ich vermisse meine beste Freundin! Das wird ja wohl noch erlaubt sein!“ Sie schwang sich verärgert vom Stuhl. Nicht mal Ferdi hatte Verständnis.

Carolin stiefelte davon und kickte einen Stein über den Hof. Blödmann! Süßes Paar. Na und? Sie wusste eigentlich selbst nicht so genau warum, aber sie war jetzt stinksauer auf Ferdi und den Rest der Welt. Wie der Blitz rannte sie zu Sternentänzer, ihrem über alles geliebten Pferd. Der schien sie schon erwartet zu haben und begrüßte sie mit einem freudigen Wiehern. Carolin drückte ihr Gesicht in das weiche Fell des Pferdes. „Mein schöner Sternentänzer, wenigstens du hältst zu mir“, murmelte sie. Wie zur Bestätigung bewegte der Hengst seinen edlen Hals ein paar Mal auf und ab. „Na du, mein ganz Süßer, du lässt mich nicht im Stich, stimmt’s!“

Sternentänzer sah sie mit seinen großen, dunklen, glänzenden Augen an. Wie immer, wenn sie sein mondhelles, samtenes Fell spürte, seine Nähe fühlte, wurde Carolin mit einem Mal ganz ruhig und gelassen. Sie hatte eine ganz enge Verbindung zu ihrem Pferd. Und Sternentänzer war ja auch nicht irgendein Pferd, sondern ein ganz besonderes. Mit einer ganz besonderen Gabe. Carolin strich zärtlich über den kleinen schwarzen Stern auf Sternentänzers Stirn.

Auf einmal raschelte und knisterte es in der Nebenbox. Erst ganz leise, dann immer lauter. Es schnaubte, prustete und schließlich ertönte ein Wiehern. Silberstern hatte Carolins Stimme gehört.

„Ich komm gleich zu dir, Silberstern“, rief sie. „Ich muss doch erst deinen Papa begrüßen.“

Sie drückte Sternentänzer noch einen Kuss auf die zarten Nüstern, dann eilte sie zu Silberstern.

„Na, Silbersternchen!“ Aus Silbersternchen war inzwischen ein großer, kräftiger Silberstern geworden. Doch für Carolin, die seine Geburt in einer stürmischen Vollmondnacht miterlebt hatte, war der herrliche pechschwarze Hengst mit der seidenweichen schwarzen Mähne immer noch Sternentänzers Fohlen. Unglaublich, wie sehr er inzwischen seinem Vater ähnlich sah! Er war wie eine Sternentänzer-Ausgabe in Schwarz. Der kleine Keilstern, der auf Sternentänzers Stirn schwarz war, war auf Silbersterns Stirn weiß.

Silberstern scharrte aufgeregt mit den Hufen. Als er Carolin sah, schnaubte er laut und warf seinen Kopf unruhig hin und her.

„He, he! Du bist aber aufgeregt!“, lächelte Carolin und liebkoste ihn. „Immer mit der Ruhe, mein Schöner!“ Doch Silberstern schien plötzlich völlig aufgedreht. Er begann in der Box nervös herumzutänzeln und drehte sich sogar um seine eigene Achse. Er benahm sich, als hätte er Carolin wochenlang nicht gesehen. Dabei hatte sie erst gestern fast den ganzen Nachmittag mit ihm verbracht, sein Fell gebürstet und gestriegelt, Schweif und Mähne gekämmt und seine Hufe ausgekratzt. „Brrrr, Silberstern. Piano!“ Carolin tätschelte seinen Hals und versuchte ihn zu beruhigen. Doch Silberstern dachte gar nicht daran. Er tänzelte weiterhin nervös herum und drehte sich noch einmal im Kreis. Carolin fiel unweigerlich Nicks Vergleich von den Hummeln wieder ein.

Nachdenklich betrachtete sie den Hengst. Nick hatte Recht. Silbersterns Verhalten war nicht normal. Zärtlich strich sie die Mähne des Hengstes zurück und blickte in seine unruhig funkelnden schwarzen Kohleaugen. „Was hast du denn, Silberstern, vermisst du vielleicht deine Spielgefährten?“

Bis vor kurzem war Silberstern auf einem Gestüt in Berlin untergebracht gewesen, wo er in einer Herde mit gleichaltrigen Fohlen aufwachsen konnte. Ob ihm tatsächlich seine Kumpel fehlen?, überlegte Carolin.

Von Ausreißern und kaputten Zäunen

Als Carolin tags darauf nach der Schule auf Lindenhain eintraf, herrschte helle Aufregung. Nick lief aufgeschreckt über den Hof Richtung Koppel, Gunnar und Vicky hinterher. Vickys dunkelbrauner Pferdeschwanz wippte hin und her. Gunnar lief so schnell, dass er seinen Cowboyhut festhalten musste, um ihn nicht zu verlieren. Sogar Hahn Fridolin krähte lauthals auf dem Misthaufen, als würde sich die Aufregung auf ihn übertragen. Das alles konnte nichts Gutes bedeuten.

Was geht denn hier ab?, wunderte sich Carolin mit einem unguten Gefühl im Bauch. Geschwind stellte sie ihr Rad ab und jagte den anderen nach, die hintereinander bis zum oberen Ende der Koppel rannten. Nick immer noch voran, dann Vicky und zuletzt – inzwischen mit etwas Abstand – Gunnar. Wo wollen die denn hin?, überlegte Carolin, während sie so schnell lief, dass sie schier außer Puste geriet. Sie keuchte wie eine alte Dampflok. Ganz oben auf dem Hügel, dort, wo der Wald begann, blieben die drei schließlich stehen. Nick baute sich vor dem Gatter auf und stemmte die Hände in die Hüften.

Wenig später kam auch Carolin angeschnauft.

Nick deutete mit dem Kopf auf ein großes Loch im Gatter. So riesig, dass sich ein Pferd hindurchzwängen konnte. Ein Pferd? Carolin legte die Hand über die Augen und suchte die Koppel ab. Gott sei Dank! Carolin atmete erleichtert auf. Ganz unten stand der mondhelle Sternentänzer und rupfte friedlich an einem Büschel Gras. Sie sah sich weiter um. Nicht weit von ihm entfernt graste Cinderella in aller Gemütsruhe.

„Wie konnte das passieren?“, riss Gunnars Stimme sie aus den Gedanken.

Nick ruckelte am Holzzaun. „Der Zaun ist nicht mehr der jüngste. Das Holz wird an verschiedenen Stellen allmählich morsch. Das ganze Gatter müsste mal renoviert werden.“

Gunnar zog die Augenbrauen hoch. „Warum hast du das nicht schon früher gesagt?“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll. „Musste erst so was passieren?“

Nick schüttelte den Kopf. „Das lass ich nicht auf mir sitzen, Gunnar! Ich kann nicht täglich die gesamte Koppel abgehen und prüfen, ob sich irgendwo ein morsches Teil gelockert hat. Geht echt nicht!“

„Das gehört aber eigentlich zu deinen Aufgaben, Nick“, beharrte Gunnar leicht ungehalten.

„Ach ja?“ Nick wurde allmählich ärgerlich. „Statt ständig in Ferienhäuser oder was weiß ich zu investieren, hättest du dich ja auch mal um den Koppelzaun kümmern können. Aber nein, so was bringt ja keine Kohle!“, fauchte er.

„Das ist ja wohl die Höhe! Ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen, Nick“, keifte Gunnar zurück.

„Hört sofort auf damit!“, mischte sich Vicky energisch ein. „Das bringt uns nicht weiter. Wir müssen uns auf die Suche machen. Und anschließend muss das Gatter schleunigst repariert werden.“

Bei Carolin, die bisher nur schweigend dabeigestanden hatte, schrillten alle Alarmglocken. „Auf die Suche nach wem machen?“, fragte sie und hoffte, sie würde nicht die Antwort bekommen, die sie befürchtete.

Gunnar fuhr herum. „Caro?“, rief er überrascht. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihnen gefolgt war.

„Wer ist verschwunden, Gunnar?“

„Silberstern ist ausgebüxt“, erklärte Nick. „Er ist durch das Loch im Gatter geschlüpft und hat sich aus dem Staub gemacht.“

„Oh nein!“ Carolin stieß einen leisen Entsetzensschrei aus. Ausgerechnet Silberstern! Der blutjunge Hengst hatte ja noch überhaupt keine Erfahrung mit Straßen, Autos, anderen Menschen oder Tieren. Er kannte die Gegend hier nicht. Die schlimmsten Horrorszenarien spielten sich vor Carolins innerem Auge ab. Was, wenn er sich im Wald verirrt und nicht mehr zurückfindet? Über eine Wurzel stolpert und sich das Bein bricht? Einen Abhang hinunterstürzt und sich das Genick bricht? Oder auf eine Straße läuft und überfahren wird? Carolin begann zu zittern.

Nick bemerkte ihre Panik und legte den Arm um ihre Schulter. „Keine Sorge, Caro! Wir starten sofort eine Suchaktion. Du wirst sehen, in null Komma nix haben wir den Ausreißer wieder eingefangen.“

Doch er sollte sich irren.

Den ganzen Nachmittag suchten Carolin, Nick, Gunnar und Vicky nach Silberstern. Keine Spur. Er war weder im Wald, noch am Bach und auch nicht am kleinen See. Er schien wie vom Erdboden verschluckt. Mit jeder Stunde, in der sie ihn vergeblich suchten, wurde Carolin unruhiger. Allmählich fing es auch an zu dämmern.

„Wenn wir ihn vor Einbruch der Dunkelheit nicht gefunden haben, finden wir ihn nie“, murmelte Carolin vor sich hin, während sie zum zehnten Mal an diesem Tag das Bachufer absuchte. Er kann doch nicht einfach so verschwunden sein? Ein paar Meter weiter stieß sie auf Nick, der hinter einer Hecke zum Vorschein kam. „He, Nick!“, rief sie und lief auf ihn zu.

„Caro“, sagte er, weil er auch nicht wusste, was er sagen sollte.

„Sieht schlecht aus, oder?“, meinte sie traurig. „Wo kann er nur hin sein? Er hat sich bestimmt verlaufen und irrt irgendwo hilflos herum.“

Nick zuckte die Schulter. „Ich hab auch keine Ahnung, wo Silberstern sein könnte! Wir haben alles abgesucht. Jeden Zentimeter.“

„Was, wenn wir ihn nie finden?“, presste Carolin hervor.

„Ach Quatsch! Mal nicht gleich den Teufel an die Wand! Ein großes Pferd ist kein Zwergkaninchen, das sich eben mal in ein Loch verdrücken kann.“

Carolin spürte einen dicken Kloß im Hals.

„Schlimmstenfalls ist er weiter weggaloppiert.“

„Ja, und dann?“

„Dann hören wir das nachher in den Nachrichten.“ Er grinste. „Bitte Vorsicht auf der A 7. Bleiben Sie auf der rechten Fahrbahnseite, fahren Sie langsam und überholen Sie nicht. Dort kommt Ihnen ein wilder schwarzer Hengst entgegen. Wir melden, wenn die Gefahr vorüber ist.“

Carolin schluckte. „Das ist echt nicht witzig, Nick. Ich mach mir große Sorgen. Ich wünschte, Lina wär hier“, murmelte sie. „Vielleicht hätte sie eine Idee, wo wir noch suchen könnten.“

„Wo ist sie eigentlich?“, erkundigte sich Nick.

„Wo wohl? Hängt fast immer mit ihrem Thorben rum. Ich glaub, die zwei sind im Kino.“ Carolin verzog das Gesicht.

„He Caro, werd nicht ungerecht! Lina kann auch nichts dafür, dass Silberstern ausgebüxt ist.“

„Schon gut“, murmelte Carolin. Nick hatte natürlich Recht, klar. Aber trotzdem!

Nick knuffte Carolin in die Seite. „Komm schon, wir suchen weiter!“

Seite an Seite liefen sie weiter am Bachufer entlang und spitzten hinter jedes Gebüsch und jeden Baum.

Mittlerweile war es fast dunkel. Sie hatten gerade beschlossen aufzugeben und den Heimweg anzutreten. Da entdeckten sie einen verschlungenen, ziemlich zugewachsenen Waldweg.

„Komm, lass uns da noch ein Stück reingehen“, bettelte Carolin, die immer nervöser wurde.

Plötzlich hörte sie ein Rascheln. Carolin zuckte zusammen. Sie packte Nick am Ärmel. „Hast du das gehört?“

„Was denn?“

„Es hat so komisch geraschelt.“

„Vielleicht eine Maus oder ein Reh?“

„Oder Silberstern?“ Carolin lief ein paar Schritte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und suchte nach einer Lücke zwischen den Ästen. „Nick!“, brüllte sie dann aus Leibeskräften. „Komm!!!“

Nick raste zu ihr hin.

„Schau dir das an!“ Carolin deutete zu einem Gebüsch. Dort stand Silberstern und tat sich an den saftigen Blättern genüsslich. Carolin bahnte sich einen Weg durch das Gestrüpp hin zu dem Hengst und fiel ihm um den Hals. „Silberstern. Da bist du ja!“ Sie drückte ihn erleichtert und schluchzend ganz eng an sich. Silberstern sah sie mit seinen großen dunklen Kohleaugen unschuldig an. Ich weiß gar nicht, was du hast, schienen sie zu sagen.

Nick kam hinterher. Er griff gleich in Silbersterns Mähnenhaare und legte ihm den Führstrick um den Hals. Dann dirigierte er ihn Richtung Lindenhain. „Komm schon, du Ausreißer! Jetzt geht’s wieder heim.“

Carolin tätschelte den Hals des Pferdes, dabei strahlte sie Nick an. „Ich bin so froh, dass wir ihn gefunden haben.“

Nick nickte. „Und morgen früh werde ich als Erstes das Gatter reparieren, dann kommt er nicht mehr raus.“

Doch das nützte nicht viel. Denn als Carolin am nächsten Tag nach Lindenhain kam, war Silberstern schon wieder ausgebüxt. Sie hatte kaum ihr Fahrrad auf dem Hof abgestellt, da überbrachte Nick ihr auch schon die Nachricht.

„Ich dachte, du hättest das Gatter repariert?“, fuhr ihn Carolin an.

„Hat er auch, ich hab’s gesehen“, bestätigte Ferdi, der neben Nick stand.

„Wie kann er dann wieder weglaufen?“

„Schätze, der wilde Feger ist diesmal über das Gatter gesprungen“, gab Nick zurück. „Er hat Geschmack an der Freiheit gefunden und ist wieder auf Achse.“

„Super“, knurrte Carolin. „Und was machen wir jetzt?“

„Zuerst gehen wir ihn erneut suchen“, erklärte Nick. „Dann sehen wir weiter.“

Wie am Tag zuvor schlichen die beiden, diesmal mit Ferdi im Schlepptau, durch den Wald und am Bachufer entlang und durchsuchten jeden Winkel. Diesmal erwischten sie Silberstern nicht hinter einem Gebüsch versteckt, sondern etwa 500 Meter weiter unten am Bach, wo er in aller Ruhe Wasser trank. Er wieherte ihnen schuldbewusst entgegen, als wüsste er ganz genau, dass er etwas Verbotenes getan hatte.

Wieder streifte ihm Nick blitzschnell den Führstrick um den Hals. Sie brachten ihn zurück nach Lindenhain, wo sie ihn in seine Box steckten.

Anschließend versammelten sie sich im Gemeinschaftsraum im Haupthaus. Carolin holte sich eine Tüte Gummibärchen aus dem Automaten. Nervennahrung!

„Also, was wollt ihr tun?“, erkundigte sich Nick und blickte von Ferdi zu Carolin.

„Warum wir?“, wollte Ferdi wissen.

„Weil ihr die Besitzer von Silbersterns Vater und Mutter seid, also quasi verantwortlich für den wilden Hengst.“

Carolin durchsuchte die Gummibärchentüte. „Ich bin nur an den weißen interessiert, den Rest könnt ihr haben“, murmelte sie.

„Was gibt’s denn für Möglichkeiten?“, wollte Ferdi wissen. „Fußfesseln, Elektroschocks, Gitterstäbe ...?“

„Ferdi!“, herrschte ihn Carolin entsetzt an.

Nick grinste. „Ganz so Unrecht hat Ferdi nicht. Allein auf die Weide dürfen wir Silberstern nicht mehr lassen. Das Risiko ist viel zu groß, dass er wieder das Weite sucht! Und wir können schließlich nicht täglich eine Suchaktion starten.“

„Was dann?“

„Er muss in seiner Box und im Paddock bleiben. Und nur wenn ihn jemand beaufsichtigt, darf er raus auf die Koppel, um sich auszutoben. Ich sehe keinen anderen Weg.“

Carolin sah die beiden mit großen Augen an. „Aber wir können den armen, Kleinen doch nicht die meiste Zeit einsperren!“

Nick nahm sich eine Hand voll Bärchen aus der Tüte und grinste: „Ein anderer Vorschlag wär, wir trennen ein kleines Stück der Koppel ab und ich bau ihm dort eine Art Round Pen, aus dem er nicht mehr ausbüxen kann.“

Carolin konnte nur ratlos mit der Schulter zucken.

Gesagt, getan! Nick, Lindenhains Mann für alles, machte sich sofort an die Arbeit. Er schleppte dicke Holzpflöcke herbei und rammte sie kreisförmig in den Boden. Daran nagelte er Bretter in drei Reihen fest, bis ein hoher stabiler Pferch gebaut war.

So konnte Silberstern wenigstens auf der Weide sein und in der Nähe der anderen Pferde.

„Viel Auslauf hat er da ja nicht. Ist für ihn sicher wie ein riesiger Hamsterkäfig“, murmelte Carolin betrübt.

„Es fehlt das Rad“, scherzte Nick.

Carolin verschränkte die Arme. „Das ist überhaupt nicht lustig.“

„Caro, ist dir etwa lieber, Silberstern wird bei seinem nächsten Ausflug überfahren?“

„Natürlich nicht.“

„Also.“ Nick wischte sich den Schweiß von der Stirn. „So ist er auf der Weide und kann nicht ausreißen.“

Am ersten Tag fand Silberstern seine neue Unterkunft noch spannend. Er inspizierte alles genau und rupfte dann friedlich an den Grasbüscheln herum. Am zweiten Tag ließ er sich ebenfalls noch widerstandslos vom Stall nach draußen führen. Am dritten Tag begann er zu revoltieren. Als Nick in den Stall kam, um ihn zu holen, weigerte er sich mitzukommen. Er stieg, wieherte laut und warf seinen Kopf heftig hin und her.

Schließlich gelang es Nick mit Mühe und Not, ihn auf die Weide zu schaffen. In dem kleinen Pferch stieg Silberstern weiter, warf seine Vorderhufe in die Luft und drehte sich im Kreis, als würde er in einem Karussell sitzen.