Sternentänzer, Band 9 - Zeit der Entscheidung - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 9 - Zeit der Entscheidung E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Vickys Neffe Jan taucht in Lilienthal auf und macht sich mit seiner ruppigen, spröden Art erst mal keine Freunde. Nur Nick vertraut dem Jungen - bis er eines Tages eine ungeheuerliche Entdeckung macht. Währenddessen versucht Caro, sich über ihre Gefühle für Ferdi klar zu werden. Als sie Sternentänzer um Hilfe bittet, erhält sie eine Antwort, die nicht nur Caro selbst, sondern auch die Freundschaft zu ihrem Pferd sehr verändern wird

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst,

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Zeit der Entscheidung

Lisa Capelli

Band 9

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 9 – Zeit der Entscheidung2. Auflage © 2008 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja WittlingerLektorat: Helga KronthalerUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Sorrel; mauritius imagesSatz: CB Fotosatz & Werbeproduktion GmbH, FellbachISBN: 978-3-8332-1379-3eISBN: 978-3-8332-3090-5

www.panini.de

Zeit der Entscheidung

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Ein Liebesgeständnis und seine Folgen

Es gibt Tage, da wacht man auf und hat ein ganz merkwürdiges Gefühl im Bauch, ohne sich sofort daran erinnern zu können, was zuvor geschehen war. So einen Tag hatte Carolin Baumgarten, genannt Caro, an diesem Morgen. Der Wecker klingelte, ein vorwitziger Sonnenstrahl spitzte durch das Fenster und kitzelte sie an der Nase. Sie streckte sich und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Alles schien wie immer. Doch das war es ganz und gar nicht.

Ferdi! Carolin ließ sich ins Kissen zurückplumpsen. Ferdinand Reifenbach, ihr lieber Kumpel, hatte ihr seine Liebe gestanden. Sie schloss die Augen und sah ihn wieder vor sich, wie er mit hochrotem Kopf vor ihr stand und verlegen „Ich hab mich in dich verliebt“, stammelte. Carolin seufzte.

„Und ich hab die ganze Zeit nichts gecheckt“, murmelte sie vor sich hin und zog die Bettdecke bis zu den Ohren. „Gar nichts. Null! Ferdi war immer Ferdi. Einfach Ferdi. Nicht mehr und nicht weniger.“ Alles war zunächst perfekt gewesen an diesem Abend, der dann doch so viel verändern sollte. Es hatte ein großes Picknick auf Lindenhain gegeben. Vor Carolins geistigem Auge tauchte Lindenhain auf: Der schönste Reiterhof der Welt erhob sich auf einem sanften, grünen Hügel zwischen großen, knorrigen, alten Linden. Er bestand aus einem langen, hellgelben Stall mit blauen Türen und einem Auslauf davor, einem Reitplatz, einem großen Paddock mit blauem Holzzaun, einer Reithalle und dem Haupthaus. Seit kurzem gehörte noch ein hübsches, zweistöckiges Ferienhaus mit grünen Fensterläden und einer Holzterrasse dazu. Alle waren an diesem Abend nach Lindenhain gekommen, um dort die Rettung der blinden Stute Esperanza zu feiern. Und dann hatte dieser Blödmann mit seinem Geständnis alles kaputtgemacht. Warum, Ferdi? Carolin trommelte vor Wut mit den Fäusten auf die Bettdecke. Wir waren mal Freunde. Und jetzt?

Die Tür ging auf und ihre Mutter steckte den Kopf herein. „Caro, wo bleibst du denn?“, drängelte sie.

„Jaja“, knurrte Carolin und boxte mit den Füßen ihre Bettdecke weg. Sie schlich ins Bad, wusch sich das Gesicht und fuhr mit der Bürste durch ihr kurzes kräftiges dunkles Haar. Dann stemmte sie sich auf das Waschbecken und blickte prüfend in ihre haselnussbraunen Augen. Alles war wie immer. Jede Sommersprosse saß am gleichen Fleck, der widerspenstige Haarwirbel vergnügte sich fröhlich rechts außen an ihrer Stirn. Alles wie immer. Beinahe.

„Carolin!“

„Ja, Mam.“ Carolin streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus, schlüpfte in ihre Jeans, zog sich ein Shirt über den Kopf und eilte nach unten.

Ines Baumgarten, ihre Mutter, hatte in der Küche schon eine Schale mit Schokomüsli bereitgestellt. „Beeil dich, damit du nicht zu spät kommst! Und hast du auch deine Hausaufgaben gemacht?“

Carolin verdrehte die Augen. Neuerdings kontrollierte Ines sie häufig. „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“, pflegte sie dabei zu sagen.

„Alles paletti! Darf ich also netterweise erst noch frühstücken?“

Ines legte die Hand auf Caros Schulter. „Ich will dich nicht gängeln, Caro. Aber du hast mir versprochen, mehr für die Schule zu tun. Ich will einfach nur sicher sein, dass du dich daran hältst und deine Noten besser werden, besonders in Mathe.“

„Aber ...“

„Nichts aber. Wir wollen doch beide, dass ich dir nicht dein geliebtes Lindenhain verbieten muss, oder?“

„Hm!“

„Sobald ich Erfolge sehe, hast du auch wieder mehr Freiheit.“

„Hm.“ Lindenhain verbieten. Carolin rührte so heftig in ihrem Müsli, dass die Schokopops hin und her schwappten wie Segelboote bei heftigem Sturm. Na ja! Wenn mein geliebter Sternentänzer nicht dort wäre, könntest du mir Lindenhain heute und morgen und übermorgen ruhig verbieten, dachte Carolin. Zumindest so lange Ferdi im Gästehaus wohnt.

„Pass doch auf, Caro, du machst den ganzen Tisch schmutzig!“

Carolin hielt den Löffel an. So was von peinlich! Wie soll ich Ferdi nur je wieder in die Augen schauen? Sie schob die Müslischale weg. Hunger hatte sie ohnehin keinen. Ihr Magen war wie zugeschnürt. Erst Mathe, dann Ferdi. Auf so einen Tag konnte sie wahrlich verzichten.

Ich muss unbedingt mit Lina darüber sprechen, beschloss Carolin, während sie zur Schule radelte. Lina war zwar auch auf dem Picknick gewesen, doch von Ferdis Geständnis hatte sie nichts mitbekommen. Höchste Zeit, die beste Freundin einzuweihen und um Rat zu fragen! Seltsamerweise stand die Bahnschranke, die den Ort Lilienthal in zwei Hälften teilte, sperrangelweit offen. Sie war eins von Carolins Orakeln. Eine geschlossene Schranke bedeutete Unheil im Anmarsch, eine offene Schranke hingegen sagte einen guten Tag voraus. Doch dieser Tag hatte ja wohl alle Vorzeichen, ein richtig schlechter zu werden. Na ja, auch Orakel konnten sich mal irren. Mit dem letzten Gongschlag wischte Carolin in das Klassenzimmer.

In der großen Pause packte sie ihre beste Freundin an der Hand und zog sie in eine ruhige Ecke des Schulhofs.

Carolin holte tief Luft. „Lina, ich muss ganz dringend mit dir reden“, begann sie.

„Hm“, machte Lina, blickte dabei aber suchend im Schulhof umher.

„Wir hatten doch gestern dieses Picknick ...“

„Ja, war total nett.“

„Da ist noch was passiert ...“

„Was denn?“, murmelte Lina geistesabwesend. „Sag mal, siehst du Thorben irgendwo?“, setzte sie dann auch gleich nach. Lina und Thorben, der Sohn von Dr. Sander, dem Tierarzt von Lindenhain, waren seit einigen Monaten zusammen.

„Stell dir nur vor, Ferdi hat mich in eine ruhige Ecke geschleift ...“, erzählte Carolin aufgeregt weiter.

„Grrrr! Ich krieg einen Anfall, wenn er wieder mit dieser Heike rumquatscht“, unterbrach Lina sie gleich.

„Ferdi?“

Lina stieß Carolin in die Seite. „Doch nicht Ferdi. Thorben!“ Ihre grünen Augen blitzten zornig. „Findest du nicht, dass er zurzeit ständig mit den anderen Mädels rumhängt?“

Carolin holte tief Luft. „Stell dir vor, Lina, Ferdi hat ...“

„Da ist er ja!“ Lina zeigte mit dem Arm Richtung Schultür. Dann drehte sie sich zu Carolin. „Kannst mir ja nachher erzählen, ich muss mal eben zu Thorben.“ Und schwups, weg war sie!

Na toll! Super. Danke, Lina. Wie war das noch mit den besten Freundinnen? Denen kann man alles erzählen, die sind für einen da, wenn es nötig ist. Immer. Danke, Lina.

Normalerweise stürmte Carolin mit dem letzten Gongschlag aus der Schule, schwang sich auf ihr Fahrrad und radelte so schnell wie möglich nach Lindenhain, um nur keine einzige wertvolle Sekunde zu verschwenden. Heute nicht. Gemächlich trottete sie aus der Schule, zog ein Taschentuch aus ihrer Schultasche und wischte erst mal über ihr Lenkrad, über das Schutzblech und die restlichen Chromteile. Eigentlich war es ihr schnurzpiepegal, wie staubig ihr Rad war. Und da sie über Wald- und Wiesenwege radelte, war es auch nie besonders sauber. Carolin schnallte ihre Schultasche fest, setzte sich auf den Sattel und ließ unschlüssig ihre Beine hin und her pendeln.

Warum muss Ferdi auch noch ausgerechnet auf Lindenhain wohnen? Warum konnte er nicht in Berlin sein? Was, wenn er jetzt gleich erwartungsvoll angelaufen kommt und eine Antwort von mir erwartet? Carolin nahm die Schultern zurück und setzte sich entschlossen in Bewegung. Augen zu und durch! Ein Leben lang Lindenhain und Ferdi meiden war auch keine Lösung.

Doch bevor sie ihr Rad in die Einfahrt nach Lindenhain rollen ließ, hielt sie kurz an. Sie spitzte in den Hof. Ihr Herz schlug wie ein Presslufthammer. Hofhund Herr Maier lag friedlich vor seiner Hütte, Hundedame Carolina war nur wenige Meter entfernt von ihm und Hofkatze Eulalia saß drüben auf der Wiese reglos vor einem Mausloch. Alles war wie immer. Und weit und breit kein Ferdi zu sehen. Die Tür zum Ferienhaus war geschlossen, hinter den Fenstern schien sich nichts zu bewegen.

Rasch stellte Carolin ihr Rad ab und sputete zum Stall. Als ihr der Geruch von Pferden in die Nase stieg und sie das Geschnaube der Tiere hörte, wurde sie gleich etwas ruhiger. Sie flitzte die Stallgasse entlang zu ihrem über alles geliebten Pferd. Sternentänzer wieherte ihr freudig zu, als sie seine Box betrat.

„Hallo, mein Süßer.“ Carolin strich dem mondhellen Araberhengst zärtlich über die Nüstern, legte ihren Kopf gegen sein weißes, seidenweiches Fell. Wie immer, wenn sie ihrem schönen Pferd so nah war, verspürte sie innere Ruhe und Glücksgefühle. „Ach mein Sternentänzer.“ Carolin seufzte tief. „Ich bin so froh, dass ich dich habe.“ Mit dem prächtigen weißen Pferd, das eine ganz besondere Gabe besaß, hatte Carolin schon viele Abenteuer bestanden. Sternentänzer schnupperte über ihr Gesicht, seine Barthaare kitzelten sie. Carolin begann zu kichern: „Hör auf, das kitzelt!“

Doch Sternentänzer machte weiter, als wolle er genau das: sie zum Lachen bringen. Immer noch kichernd hielt Carolin ihn schließlich fest. „Hast du Lust auszureiten, mein Süßer?“

Als habe Sternentänzer verstanden, warf er seinen eleganten Hals zurück und schnaubte laut. Geschwind holte Carolin Sattel und Zaumzeug aus der Sattelkammer und führte wenig später ihr Pferd gesattelt und aufgezäumt die Boxengasse entlang.

„Pscht“, raunte sie Sternentänzer dabei zu. „Leise. Wir wollen doch unsere Ruhe haben. Wir wollen allein sein.“ Nicht dass Ferdi am Ende noch mitreiten will, ergänzte sie in Gedanken.

Da öffnete sich vor ihrer Nase die Stalltür. Carolin zuckte zusammen. Oh nein! Ferdi.

„Hi, Caro.“ Es war Nick. Lindenhains Mann für alles. Er versorgte die Tiere, kümmerte sich um den Hof, gab Reitunterricht und war für Carolin so etwas wie ein älterer Bruder.

„Mann, hast du mich erschreckt!“, fauchte sie angespannt.

Nick grinste. „Nach all den Jahren, die wir uns kennen, solltest du langsam wissen, dass ich hier arbeite und gelegentlich im Stall auftauche.“ Er wischte sich mit der Hand über die Stirn. „Weißt du, seit wann ich heute auf den Beinen bin?“ Er gab die Antwort gleich selbst. „Seit halb fünf. Ich komm langsam auf dem Zahnfleisch daher.“ Er machte eine ausladende Bewegung. „Schau dich doch mal um: Cinderella und Silberstern. Marhaba. Esperanza und die drei Musketiere. Die vielen Ponys. Es werden immer mehr Pferde. Ich weiß echt nicht, wie ich das alles allein noch packen soll. Ich muss mit Gunnar reden. Wir brauchen dringend eine Aushilfe.“ Er fuhr sich durch seine kurzen blonden Haare. „Ich möcht auch mal Urlaub. Freie Tage. Was dann? Meinst du, Gunnar macht sich dann hier die Hände schmutzig?“

Carolin nickte. Nick hatte Recht. „Hast du das Gunnar denn schon mal gesagt?“

„Einmal?“ Nick kickte mit dem Gummistiefel in einen Ballen Stroh. „Ständig.“

„Und? Was meint er?“

„Die alte Leier! Kennst du doch. Nicht genug Kohle für einen zweiten Mann.“

Sternentänzer trippelte auf seinen Hufen ungeduldig hin und her. Er wollte los. Carolin tätschelte beruhigend seinen Hals. „Gleich, mein Süßer! Aber, Nick, er hat doch gesehen, was passiert, wenn du nicht mehr nachkommst!“

Vor ein paar Wochen hatte Nick ein Loch in der Umzäunung übersehen. Silberstern, Sternentänzers Fohlen, war hindurchgeschlüpft und ausgebüxt. Erst nach einer langen Suchaktion hatten sie das wilde schwarze Hengstfohlen wieder gefunden.

„Na ja, ich mach mich mal besser wieder an die Arbeit. Sonst bin ich Mitternacht heut auch noch hier ...“ Nick verzog das Gesicht und stapfte davon.

Carolin führte Sternentänzer hinaus auf den Hof und schwang sich in den Sattel. Noch ein letzter Blick zurück. Keine Spur von Ferdi. Carolin atmete tief durch und ritt los. Zunächst im Schritt, dann im Leichttrab. Erst als sie die Baumgruppe erreicht hatten und Sternentänzer warm war, trieb sie ihn an. „Los, mein Süßer, gib Gas! Lass uns fliegen!“

Unbeschwert galoppierte Carolin auf Sternentänzer über die Wiesen. Sie hatte sich weit nach vorn gebeugt, die milchweiße Mähne wehte ihr ins Gesicht. „Ja, Sternentänzer, lauf!“ Nur zu gerne folgte der Hengst ihrem Kommando. Auch er schien es zu genießen, sich mal wieder richtig austoben zu dürfen. Carolin genoss den Wind, der ihren Kopf wieder frei pustete. „Schneller, Sternentänzer, schneller!“ Carolin juchzte vor Freude. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so leicht und losgelöst gefühlt. Es gab nur noch Sternentänzer und sie. Als sie sich einer Wegkreuzung näherten, lenkte sie ihn nach links in den Wald, bis zum kleinen Bach. Dort legten sie eine Pause ein. Während der Hengst von dem kristallklaren Wasser trank, kniete sich Carolin nachdenklich neben ihn.

„Weißt du, Sternentänzer, ich mag Ferdi total gern. Er ist der beste Freund, den man sich vorstellen kann. Und du magst ihn doch auch?“

Als habe Sternentänzer sie verstanden, hob er kurz den Kopf und blickte sie mit seinen dunklen feuchten Augen an. Dann trank er weiter.

„Aber er kommt aus einer ganz anderen Welt als ich. Und mit Pferden hat er auch nicht wirklich viel am Hut. Wir passen doch gar nicht zusammen. Null. Und überhaupt ...“ Carolin schnappte sich einen Stein und schleuderte ihn ins Wasser. „Ich will nicht, dass sich was ändert. Es war doch gut so, wie es war. Warum macht der Blödmann so was?“ Caro nahm noch einen Stein. „Was soll ich ihm denn nur sagen, Sternentänzer? Ich mag ihn ja. Ich will seine Freundschaft nicht verlieren. Und eigentlich ...“ Carolin seufzte tief. „Eigentlich weiß ich gar nicht, was ich fühle. Außerdem hab ich Angst. Was, wenn alles wieder so endet wie damals mit Danny? Dann ist alles kaputt. Auch unsere Freundschaft.“

Danny war ein Feriengast auf Lindenhain gewesen und Carolins erste Liebe. Doch alles endete in einem Desaster. Danny wollte seine Schwester rächen, die nach einem Unfall mit einem Pferd gelähmt war, und hatte daher Lindenhain in Brand gesteckt. Noch Wochen nach Dannys Abreise hatte Carolin heftig gelitten und am eigenen Leib erfahren müssen, wie weh eine unglückliche Liebe tun konnte. Solchen Schmerz wollte sie nicht noch mal erleben! Damals hatte sie sich geschworen, sich nie wieder zu verlieben. „Nein danke, so was brauche ich ganz bestimmt nicht mehr“, murmelte sie vor sich hin.

Sternentänzer tauchte seine Schnauze erneut tief in das Wasser. Plötzlich zog er sie heraus, machte mit seinem Kopf eine rasche Bewegung zu Carolin und sabberte sie mit seiner triefend nassen Schnauze voll.

„Ihhhhhh!“, quiekte Carolin. „Hör auf! Du machst mich ja ganz nass!“

Sternentänzer schnaubte zufrieden und machte munter weiter, als wolle er sie aus ihren trüben Gedanken scheuchen. Carolin sprang auf, Sternentänzer trottete ihr hinterher. „Waaahhhhh! Sternentänzer, lass das!“, kreischte sie und kicherte dabei.

Als Carolin später wieder zurück nach Lindenhain kam, brachte sie Sternentänzer eilig in seine Box. Sie sattelte ihn ab, rieb ihn ausgiebig trocken und versorgte ihn mit Wasser und Heu. Zum Abschied liebkoste sie lange seine weichen Nüstern. Dann eilte sie zur Stalltür, stoppte kurz und spähte draußen über den Hof. Nichts zu sehen! Rasch marschierte Carolin zu ihrem Rad.

„He, Caro!“ Carolins Herz machte einen kleinen Satz. Ferdi! Er kam von hinten auf sie zugelaufen. „Warte mal!“

Doch Carolin lief nur noch schneller.

„Du ... wegen gestern ...“, begann Ferdi.

Carolin unterbrach ihn hastig. „Schon gut.“

Unsicher startete Ferdi einen neuen Versuch: „Caro, sollen wir nicht doch über gestern reden?“

Carolin winkte ab. „Du, Ferdi, tut mir Leid. Ich hab jetzt grad gar keine Zeit. Ich muss sofort nach Hause. Du weißt ja, meine Mam und Mathe und so. Also, bis dann“, murmelte sie. Nein, darüber will ich jetzt nicht reden. Nur schnell weg, setzte sie in Gedanken hinzu. Geschwind schwang sie sich auf den Fahrradsattel und trat wie eine Wilde in die Pedale.

Immer Ärger mit den Jungs

Als Carolin am nächsten Tag nach Lindenhain kam, war sie überaus gut gelaunt. Wie so oft ließ sie ihren Blick über das weitläufige Gelände schweifen. Auf einmal blieben ihre Augen an der großen Eiche haften. Da lehnte ein junger, schlaksiger Typ mit Bartstoppeln, halblangen blonden Haaren, einer dunkelblauen Wollmütze auf dem Kopf und einem dicken Rucksack auf dem Rücken. Er blickte angestrengt Richtung Haupthaus.

Carolin lief auf ihn zu. „Hallo, kann ich dir helfen?“

Der Typ fuhr herum und musterte sie von oben bis unten. „Kommt drauf an.“ Er grinste breit und versenkte seine Hände tief in den Taschen seiner Jeans, die mehr Löcher hatte als ein Schweizer Käse.

„Worauf?“

„Gehörst du zu dem Verein?“ Er deutete zum Haupthaus.

Carolin nickte. „Bist du ein Feriengast?“

„Seh ich etwa so aus?“ Der Typ lachte laut auf.

Auch Carolin musste schmunzeln. Sie betrachtete den merkwürdigen Besucher. „Hast du ein Pferd? Willst du es auf Lindenhain abstellen?“

Wieder dröhnendes Gelächter. „Ein Gaul ist leider in meinem Budget nicht drin.“

Carolin verschränkte die Arme. „Was willst du denn dann auf Lindenhain?“

Der Typ nahm seinen Rucksack vom Rücken und stellte ihn neben sich auf den Boden. „Ich soll hier arbeiten.“

„Wie bitte?“ Carolin bekam vor Überraschung einen Hustenanfall.

„Arbeiten! Weißt du nicht, was das ist?“

Carolin verdrehte die Augen. „Klar weiß ich, was das ist. Ich dachte nur, ...“ Gunnar hat keine Kohle, vollendete sie in Gedanken ihren Satz. „Du meinst, du willst dich hier bewerben.“ Sie betrachtete ihn mitleidig. So vergammelt, wie der aussieht, hat er im Leben keine Chance bei Gunnar!

„Nee.“

„Wie nee?“

„Ich bin schon eingestellt.“

Carolin schluckte verwirrt. „Du? Gunnar hat dich ...?“

„Ich soll hier malochen, exakt. Mit Gäulen und so. Ich heiße übrigens Jan.“

„Caro.“

„Also, Caro, wo residiert denn nun hier der Boss?“

Carolin guckte den Besucher weiter skeptisch an. Es sah Gunnar überhaupt nicht ähnlich, jemanden wie diesen Jan einzustellen. Bestimmt gab Jan nur an. Vielleicht hatte er das Vorstellungsgespräch noch gar nicht hinter sich. Gunnar hatte ihn wahrscheinlich noch nie live gesehen. „Ähm! Na ja, komm mit!“

Jan griff nach seinem Rucksack und folgte Carolin wortlos ins Haupthaus.

Carolin klopfte kurz an die Tür von Gunnars Büro, dann steckte sie den Kopf hinein. „Hi, Gunnar.“

Gunnar, der gerade über einem Stapel Unterlagen brütete, sah kurz auf und lächelte ihr zu. „Hi, Caro, was gibt’s?“

„Da ist jemand für dich.“

„Wer denn?“

„Er heißt Jan.“

„Jan.“ Schlagartig gefror das Lächeln auf Gunnars Gesicht – wie die Oberfläche eines Sees bei Minusgraden.

„Er sagt, er will bei uns arbeiten.“

„Aha!“

Jan drückte sich hinter Caro ins Zimmer. „Da bin ich.“

Gunnars Blick weilte einen Moment mit eisiger Miene auf Jan, dann stand der Besitzer von Lindenhain auf und ging Richtung Tür. „Caro, lässt du uns bitte allein. Danke.“ Sprach’s und schlug Carolin die Tür vor der Nase zu.

Carolin stand vor der verschlossenen Tür und verstand die Welt nicht mehr. Was war denn in den gefahren? So unfreundlich hatte sie Gunnar noch nie erlebt. Aber egal! Gunnar würde diesem Jan klar machen, dass er auf Lindenhain nicht arbeiten konnte und sie würde ihn nie wieder sehen.

Viel wichtiger war nun, in den Stall zu Sternentänzer zu gelangen, ohne Ferdi in die Arme zu laufen. Carolin spähte zum Ferienhaus. Mist, das Fenster von Ferdis Zimmer steht sperrangelweit offen, dachte sie. Das kann nur bedeuten, dass Ferdi da ist. Leicht geduckt huschte Carolin aus dem Haupthaus Richtung Stall. Erst als sie in Sternentänzers Box stand, atmete sie erleichtert auf.

„Hallo, mein Süßer. Wie geht’s dir?“, begrüßte sie ihn und schmiegte sich in sein weiches Fell. „Schau, was ich dir mitgebracht habe! Das magst du doch.“ Carolin holte ein paar Leckerli aus ihrer Tasche und hielt sie ihm hin. Vorsichtig nahm Sternentänzer die Leckereien von Caros Hand. Seine Oberlippe fühlte sich an wie Samt. „Das schmeckt dir. Wenn wir schon nicht ausreiten können, weil ich die blöde Mathe pauken muss, sollst du wenigstens deine Lieblingsleckerli bekommen. So, ich muss wieder los, sonst gibt’s Ärger mit Ines.“

Carolin kraulte noch eine Weile Sternentänzers Hals, bevor sie den Stall verließ. Vorhin hatte ich ja großes Glück, dass ich Ferdi nicht begegnet bin, überlegte sie, als sie zu ihrem Fahrrad spurtete. Hoffentlich gelingt es mir, jetzt auch unbemerkt von Lindenhain zu verschwinden. Auf noch so eine dämliche Szene wie gestern hatte sie nämlich überhaupt keine Lust. Und Caro hatte tatsächlich Glück! Wie der Blitz radelte sie kurz darauf vom Hof.

Carolin bewohnte mit ihrer Mutter eine hübsche Doppelhaushälfte in der Breitensteinstraße. Als sie die Haustür aufschloss, strömte ihr ein leckerer Duft entgegen.

„Hm.“ Carolin streckte schnuppernd die Nase in die Küche. Riecht gut. Exotisch. Also kommt der Doc heute Abend, kombinierte Carolin. Ines kochte eigentlich nur, wenn sie gute Laune hatte oder wenn Besuch kam. Vor allem, wenn Dr. Sander kam. Paul, Carolins Vater, hatte ihre Mutter vor ein paar Jahren wegen seiner rothaarigen Sekretärin verlassen. Inzwischen waren ihre Eltern auch geschieden. Paul lebte seit kurzem auf Mallorca und Ines war mit Dr. Sander zusammen. Dr. Joachim Sander war erst vor einigen Monaten nach Lilienthal gezogen und arbeitete als Tierarzt auch für Lindenhain. Carolin hatte sich inzwischen einigermaßen daran gewöhnt, dass Dr. Sander bei ihnen ein- und ausging. Immerhin hatte er ihr in einigen verzwickten Situationen schon helfen können.

„Mam?“ Keine Antwort.

Carolin blickte sich in der Küche suchend um. „Mam?“ Wieder keine Antwort. Der Herd stand voller Töpfe, daneben stapelten sich Schüsseln mit klein geschnittenem Gemüse, in einer Pfanne brutzelten ein paar Fleischstücke vor sich hin. Alles da, nur die Köchin fehlte!

„Mam?“ Carolin schaute ins Wohnzimmer. Da saß ihre Mutter. Am festlich gedeckten Tisch. Vor einem Glas Rotwein.

„Wow! So vornehm. Gibt’s denn was zu feiern?“ Carolin setzte sich an den Tisch.

Statt einer Antwort griff Ines nach dem Glas und nahm einen kräftigen Schluck Rotwein.

„Wann kommt denn nun der Doc?“

„Pah!“, machte Ines nur, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Das wüsste ich auch zu gern“, fauchte sie. „Irgendwelche blöden Schweine sind ihm wichtiger als ich!“

Carolin sah ihre Mutter fragend an. Eigentlich war Ines strikt dagegen, derartig derbe Ausdrücke zu benutzen. „Wen meinst du?“