Sticken, stricken, strangulieren - Tatjana Kruse - E-Book

Sticken, stricken, strangulieren E-Book

Tatjana Kruse

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Kommissar a.D. Siegfried Seifferheld entdeckt in der Cafeteria der Bausparkasse Schwäbisch Hall, von Insidern auch die Büchs genannt, ein Skelett. Die Tote wurde kurioserweise mit einem Gürtel stranguliert, den eine auffällige Elvis-Presley-Schnalle zierte. Das ist ein Fall ganz nach Seifferhelds Geschmack. Endlich kann er wieder schnüffeln. Und diesmal hat der James Bond aus Schwäbisch Hall sturmfreie Bude: Seine Schwester Irmgard und seine Nichte Karina sind ausgeflogen. Nur seine Tochter Susanne, die ambitionierte Managerin der Bausparkasse, versorgt ihn mit Insiderwissen. Einziger Wermutstropfen: Ein frisch in die Stadt gezogener Stricker macht dem Sticker Seifferheld das Leben schwer. Nicht nur drängt sich diese impertinente Person in seine Radiosendung, sondern auch noch in sein Liebesleben. Das kann nicht gut gehen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 345

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Tatjana Kruse

Sticken, Stricken, Strangulieren

Kommissar Seifferheld ermittelt

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

WidmungInfoDas Who is Who im Seifferheld-UniversumDie FamilieDie Schwäbisch Haller MischpokeAuch dabeiSeifferheld und der Mann, der strickteSeifferheld und die wundersame Welt der WeiblichkeitSeifferheld und die Wippe des TodesSeifferheld und die Wollwerke des GrauensSeifferheld und die Frau, die Don Quixote liebteSeifferheld und das Skelett mit dem Elvis-GürtelSeifferheld und die Waschanleitung für MenschenSeifferheld und die Steine, auf die man bauen kannSeifferheld und der Mann, der Elvis inkorporierteSeifferheld und der Seelenflüsterer mit dem KlemmbrettSeifferheld und die Bruderschaft der barbrüstigen MitternachtstrommlerSeifferheld und der Hund, der eine Magermodelwade für einen Knochen hieltSeifferheld und die Buletten, die keine warenSeifferheld und der Zweifel, der eine Überzeugung warEpilogDanksagung
[home]

Gewidmet den üblichen Verdächtigen:

Mann, Hund und Wahrsagerin

[home]

Dieser Roman spielt zwar in einer realen Stadt, nämlich Schwäbisch Hall, aber alle Personen sind frei erfunden, und der Plot ist fiktiv. Allerdings gab es tatsächlich einen Hovawart namens Onis, und das ist auch gut so.

[home]

Das Who is Who im Seifferheld-Universum

Die Familie

Der Held

Siegfried »Siggi« Seifferheld, Kommissar im Unruhestand, Sticker, Kocher, Schnüffler, Mord-zwo-Stammtischbruder

Sein Hund

Aeonis »Onis« vom Entenfall, viriler Hovawart-Rüde mit Knickrute und einer Vorliebe für rosa Teddys und das hohe C

Seine Schwester

Irmgard Seifferheld-Hölderlein (Spitzname »die Generalin«, Gattin von Pfarrer Helmerich Hölderlein)

Seine Tochter

Susanne Seifferheld (Managerin bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall, Mutter von Ola-Sanne, Gefährtin von Pferdeschwanz-Physiotherapeut Olaf Schmüller)

Seine Nichte

Karina Seifferheld (Aktivistin [weiß], On-off-Partnerin von Haller Tagblatt-Fotograf Fela Nneka [schwarz], Mutter von Fela junior [gelb])

Seine Schwägerin

Marcella, Gott sei Dank nur zu Besuch

Die Schwäbisch Haller Mischpoke

Marianne Cramlowski

Journalistin (Kürzel MaC); sie ist zwar die Herzensdame von Siggi Seifferheld, aber bei Facebook würde stehen: It’s complicated

Olga Pfleiderer

kettenrauchende kasachische Nicht-Putzfrau

Mord-zwo-Stammtisch:

Rogier van der Weyden (aus dem Geburtsland der Pommes), Wurster (der Bärenmarkenbär), Dombrowski (von der Sitte), Bauer zwo (Trottel in lila Lederkluft)

Die VHS-Männerköche:

Bocuse (Franzose), Kläuschen (liiert mit Gummipuppe Mimi), Gotthelf (dominant verheiratet), Eduard (Buchhändler), Günther (Pfarrer), Horst (Mathelehrer), Arndt (Klempner), Schmälzle (Wanderführerautor)

Gesine Bauer

Polizeichefin von Schwäbisch Hall

Auch dabei

Arno Siegmann

Stricker

Die Männertrommler:

Reimer, Tobias, Klaus, Bernhard und besagter Arno

Hans Maurer

Stanwell-Raucher

Kevin Hauber

pickeliger Jungverleger

Frau Kant

ehemalige Kollegin des Opfers

Holger/Rüdiger Breiteich

Verdächtiger/Elvis-Imitator

Usch Meck

rosa & rabiat

Lady

sexy Berner Sennenhündin

[home]

Seifferheld und der Mann, der strickte

Aus dem Polizeibericht

In einem Lebensmittelmarkt im Industriegebiet Kerz wurde eine 81-Jährige beobachtet, wie sie Etiketten von Pfandflaschen entfernte und einsteckte. Offensichtlich plante sie, damit pfandfreie Einwegflaschen zu etikettieren, um sie später an Pfandautomaten abzugeben. Sie konnte von der Polizei gestellt werden. Die Tatverdächtige leistete massive Gegenwehr, im Zuge derer sie einem Streifenbeamten einen Teil des Ohrläppchens abbiss. »Oma Tyson« wurde aufgrund ihrer ärztlich attestierten Gebrechlichkeit allerdings nicht in U-Haft genommen. Der Streifenbeamte konnte am Folgetag seinen Dienst wieder aufnehmen, wird aber psychologisch betreut.

Aus-der-Haut-fahr-Tag

»Hast du etwa die komplette Packung Lübecker Marzipan im Mund?«

»Fmilzt doch fonft!«

Ex-Kommissar im Unruhestand Siegfried Seifferheld und seine Herzensdame Marianne Cramlowski hatten kaum den Feinkostladen Knausenberger verlassen – Marianne band Hovawart Onis von dem öffentlichen Mülleimer los, an dem er auf sie beide immer zu warten pflegte –, da hatte Siggi sich auch schon die verführerischen Süßigkeiten einverleibt. Und zwar tutti kompletti. Man mochte ihn für einen Gierschlund halten, er betrachtete sich selbst als leidenschaftlichen Gourmet.

»Da kann nichts schmelzen, wir haben keine fünfzehn Grad!«, hielt Marianne dagegen, deren Buchstäblichkeit ihn bisweilen enervierte.

Genau genommen hatte sie natürlich recht: Es war der seit Menschengedenken kälteste April. Manche spotteten schon mit Kaufhausdurchsagentimbre: Der kleine November möchte bitte im April abgeholt werden. Marianne trug ihren Webpelzmantel und Onis noch sein Winterfell. Nur Seifferheld fand eine leichte Windjacke ausreichend. Aus Prinzip. Es war Ende April, und Ende April trug er keine Wintersachen mehr. Allenfalls Regenschutz. Basta!

Zu dritt machten sie sich auf den Rückweg in die Innenstadt.

Feinkost Knausenberger – feine Lebensmittel zu fairen Preisen, und das schon seit 1855 – lag im Wohngebiet Kreuzäckersiedlung, auf einer der Höhen rund um Schwäbisch Hall. In der Stadt hätte es jede Menge Möglichkeiten gegeben, sich mit Lebensmitteln, auch mit guten, einzudecken, aber Seifferheld schätzte Herrn und Frau Knausenberger, die seine Lieblingsfertigsoße – salsa diavola von La Gallinara – extra nur für ihn bestellten und vorrätig hielten. Das machte sonst keiner. Die mochte sonst auch keiner. Menschen, die ihr Leben lang scharf gegessen hatten, die beim Inder oder Chinesen stets die scharfen Gerichte bestellten und nonchalant verspeisten, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, waren bei Siggi Seifferheld in der Küche knallrot angelaufen, hatten gehustet, geröchelt, sich mit beiden Händen an den Hals gefasst, nur um dann zur Spüle zu eilen und kaltes Wasser direkt aus dem Hahn in ihre brennenden Kehlen laufen zu lassen. Die Diavola-Soße war eben nur was für harte Kerle. (Seifferheld liebte sie.) Echt guter Stoff, gewissermaßen. Und Herr Knausenberger war sein Dealer. Deshalb die zweiwöchentlichen Pilgermärsche den Berg hinauf zum Feinkostgeschäft. Sie hätten auch den Bus der Linie 1 nehmen können, aber Onis’ Magen hatte es nicht so mit dem Busfahren.

Siegfried »Siggi« Seifferheld ließ das Marzipan in seinem Mund schmelzen, ohne zu kauen. Welch ein Genuss. Er gönnte sich nicht oft Süßigkeiten, was man ihm auch ansah. Für seine vierundsechzig Jahre wirkte er sehnig, fast schon durchtrainiert. Trotz der Gehhilfe, auf die er seit dem spektakulären Banküberfall in der Marktstraße, bei der er mit der Hüfte eine Kugel eingefangen hatte, angewiesen war. Seine Gesichtszüge wurden – vorzugsweise von schmachtenden, älteren Damen – als markant bezeichnet, seine Bartstoppeln ließen ihn zudem besonders männlich wirken. Er war ein schöner Mann. Für sein Alter sogar ein ausnehmend schöner Mann. Der noch schöner hätte sein können, würde er nicht einer unsäglichen Vorliebe für schlammbraune Tchibo-Bequemschuhe, ausgebeulte, graue Cordhosen und beigefarbene Windjacken frönen. Fand zumindest seine Lebensphasenabschnittsgefährtin Marianne. Aber in seinen fast dreißig Dienstjahren bei der Mordkommission hatte Seifferheld es immer von Vorteil gefunden, unauffällig auszusehen, gewissermaßen mit der Tapete an der Wand eins zu werden. Marianne hielt stets dagegen, dass er jetzt im »invalidären Vorruhestand« sei und sich ruhig auffälliger kleiden könne. Um des lieben Friedens willen nickte Seifferheld dann immer, aber beim nächsten Einkauf wurde es wieder braun und/oder grau, denn ein Tiger wirft nicht einfach seine Streifen ab und ein Seifferheld nicht einfach sein Beige.

Neben Seifferheld, der sich mit der Rechten schwer auf die Gehhilfe stützte und in der Linken die gelbe Knausenberger-Stoffeinkaufstüte hielt, sah Marianne fast schon wie ein Wesen aus einer anderen Welt aus, obwohl sie nur aus Österreich kam, was ja irgendwie auch zu dieser Welt gehörte. Sie war gut gepolstert, man könnte auch drall sagen, mit wilder Lockenmähne, unter ihrem orangefarbenen Webpelzmantel trug sie einen knallbunten Hosenanzug, der alle Farben des Regenbogens in sich vereinte. Ein Hingucker. Beim Gehen bewegten sich ihre Hüften verführerisch, und ihre Locken wippten. Meistens konnte sich Seifferheld an ihr gar nicht sattsehen und fragte sich oft, womit er ein solches Prachtweib nur verdient hatte. Aber sie waren jetzt schon fast fünf Jahre ein Paar, da war der Zauber der ersten Liebe dahin, und es gab – mal ganz ehrlich gesprochen – durchaus auch Momente wie diesen, in dem ihn ihre Farbenfreude in den Augen schmerzte und er es unfair fand, dass sie ihm sein Marzipan vergällte, nur weil sie selbst wieder auf Diät war und ihren rechten Arm für ein Stück Schokolade gegeben hätte, wenn nicht der Gesichtsverlust schwerer gewogen hätte als die kurzfristige Gelüstebefriedigung.

Schweigend schritten sie den Komberger Weg in Richtung Stadt hinunter.

Der frische Nordwind spielte mit Onis’ goldfarbenem Fell. Trotz Knickrute – will heißen, einer zur Zucht untauglich machenden Biegung im Schweif – war er ein ausnehmend hübscher Rüde. Und das wusste er auch.

Die drei kamen an die Unterführung, die sie unter der Crailsheimer Straße, einer der Hauptverkehrsachsen der Stadt, hindurchführte. Sie schwiegen immer noch. Onis sowieso. Und selbst wenn Seifferheld oder Marianne jetzt etwas hätten sagen wollen, der Verkehr auf der Crailsheimer Straße war so stark, dass sie sich nicht dabei unterhalten, höchstens dagegen anschreien konnten.

Auf der anderen Seite, in Höhe des Fachhochschulcampus, kam ihnen ein Mann entgegen. An sich nichts Ungewöhnliches. Der Haller Bürger bedient sich durchaus hin und wieder seiner Füße, um von A nach B zu kommen. Aber der Mann schien zielstrebig direkt auf sie zuzugehen.

Und dann …

»Grüß Gott, endlich treffe ich Sie einmal. Was für eine Freude! Siegmann, mein Name, Arno Siegmann.« Er streckte eine sichtlich manikürte Männerhand aus, die eingecremt wirkte. Wenn Seifferheld etwas hasste, dann glitschige Hände, die sich auch noch leblos wie toter Fisch anfühlten. Onis schnüffelte skeptisch am Schritt des Mannes.

Arno Siegmann? Der Name sagte Seifferheld nichts. Das Gesicht auch nicht.

Sehr groß, sehr gockelhaft, sehr farbenprächtig. Wären er und Seifferheld Vögel gewesen, dann wäre Siegmann ein Pfau mit gespreizten Federn und Seifferheld ein beigebrauner Spatz.

Wir alle wurden von der Natur programmiert. Zu Mariannes Entschuldigung muss also angemerkt werden, dass sie nicht anders konnte, als angesichts Siegmanns pfauenhafter Männlichkeit lautlos zu schnurren. Sie war genetisch dazu prädisponiert.

»Kennen wir uns?«, fragte Seifferheld fast ungnädig. Ungnädig auch deshalb, weil seine Marianne – Betonung auf seine – diesem Siegmann kokette Blicke von schräg unten zuwarf. Was hatte dieser Kerl, was er nicht hatte? Nun, er hatte beispielsweise keine Restschokoladeschlieren im Mundwinkel, aber das wusste Seifferheld in diesem Moment nicht, das wurde ihm erst später klar, als er sich zu Hause im Badezimmerspiegel sah. Aber auch ohne Schlieren hätte es keinen Unterschied gemacht. Er war einfach chancenlos.

»Sie werden mich wohl kaum kennen, aber dafür kenne ich Sie, Herr Seifferheld. Sie sind schließlich eine Legende in unseren Kreisen«, erklärte Siegmann mit erhobener Stimme gegen den Verkehr, der direkt neben ihnen vierspurig vorbeibrauste.

Das besänftigte Siggi ein wenig. Plumpe Schmeichelei war ja nichts, was er alle Tage zu hören bekam.

»Marianne Cramlowski«, trillerte Marianne und ergriff noch vor Seifferheld die ausgestreckte Hand von Siegmann. Man merkte ihrer Stimme an, dass sie in diesem Fremden die Verkörperung all dessen sah, was sich eine Frau entre deux âges, also eine Frau im besten Alter, von einem Mann wünschte: ein Hauch der wild-geheimnisvollen Exotik des jungen Omar Sharif, die durchdringend blauen Augen von Franco Nero, die Aura von Weltgewandtheit und Lebenslust eines jungen Jopi Heesters im Frack, das bubenhafte Zwinkern der Lider eines Hugh Grant, kurzum die geschmackvoll modische Eleganz eines Grandseigneurs, gepaart mit jugendlicher Frische und Virilität.

Seifferheld klappte – zumindest ein wenig – der Unterkiefer auf, als Siegmann Mariannes Hand mit beiden Händen ergriff, sie an seine Lippen führte und einen Kuss darauf hauchte. Mit Hautkontakt!

»Nehmt euch doch ein Zimmer«, maulte er.

»Was hast du gesagt?«, fragte Marianne. Der Verkehr hatte seine Worte verschluckt.

»Wer sind Sie?«, rief Seifferheld.

Siegmann zog nicht eine, sondern gleich zwei Visitenkarten heraus. Zwinkerte er Marianne etwa zu, während er ihr eine davon überreichte?

In Seifferheld hmpfte es. Nicht mehr lange, und er würde diesen Frauentraum mit seiner Gehhilfe niederknüppeln.

Arno F. Siegmann

Stricker

Mehr stand nicht auf der Karte.

»Sie sticken auch? Sind Sie ein Fan meiner Radiosendung?«, fragte Seifferheld, hin- und hergerissen zwischen der Angst, es mit einem Konkurrenten um die Gunst der holden Marianne zu tun zu haben, und dem wohligen Gefühl, gewissermaßen einem Groupie gegenüberzustehen.

»Ich sticke doch nicht«, erklärte Siegmann von oben herab, was ihm auch deshalb leichtfiel, weil er Siggi und Marianne um einen guten Kopf überragte. »Ich stricke. Mit rrrrrrrrr.«

Er rollte das R, dass es beinahe wie ein Knurren klang.

Onis, der bis dato am Gebüsch zum Campusgelände seine Duftmarken hinterlassen hatte, nahm nun breitbeinig vor dem Fremden Aufstellung. Wurde da gerade sein Alpha-Rüde angeknurrt? So ja nicht. Er knurrte zurück.

Die Zweibeiner beachteten ihn nicht. Ihnen gingen ganz eigene Gedanken durch den Kopf.

»Sie stricken also? Mit r. Ach so«, erklärte Seifferheld unbeeindruckt, als gerade ein Lkw vorbeidonnerte.

»Was?«, rief Siegmann.

»Stricken, ja, ja, das machen viele.« Seifferheld wollte es herablassend klingen lassen, aber es war nicht leicht, im oberen zweistelligen Dezibelbereich nuancenreich zu sprechen.

»So wie ich macht es keiner!«, verkündete Siegmann dezidiert und sah dabei Marianne an, die daraufhin rot wurde und den Blick senkte.

Seifferhelds Augenbrauen trafen sich mittig über seiner Nase, aber er hatte sich unter Kontrolle. Noch!

Siegmann ließ seinen Blick zurück zu ihm wandern. »Sie wissen es offenbar noch nicht, aber wir werden uns demnächst in der Männer-Handarbeitsecke von SWR4 Franken Radio abwechseln, eine Woche Sie, die andere Woche ich«, erklärte Siegmann. Der Verkehr schien auf seiner Seite zu sein, denn immer, wenn er das Wort ergriff, fuhren nur geräuscharme Fahrzeuge an ihnen vorbei.

Seifferheld war wie vor den Kopf gestoßen. Das hatte er wirklich nicht gewusst. Konnte es wahr sein? Er sollte die Sendezeit seiner interaktiven Radiosendung, gegen die er sich erst gesträubt hatte, die er nun aber wie einen Sohn liebte, mit diesem Fatzke teilen? Wieso waren die Betroffenen immer, immer die Letzten, die es erfuhren? Er brauchte all seine Kraft, damit sich seine Enttäuschung nicht in seinem Gesicht spiegelte.

Marianne säuselte: »Ach, wie nett. Dann sind Sie also nicht nur auf Besuch in unserer schönen Stadt?«

Weiber!, dachte Seifferheld grimmig, willensschwache Wesen, die ihr buntes Fähnchen nach dem Wind richteten. Spielbälle in den Händen jedes Bonvivants.

»Aber nein, Sie wunderschönes Zauberwesen«, sülzte Siegmann. »Von nun an müssen Sie jederzeit damit rechnen, mir zu begegnen.« Er zwinkerte. Tatsächlich! Der Wicht zwinkerte! »Ich bin hier aufgewachsen, habe mich ein paar Jahre in der Welt umgesehen und bin jetzt wieder in mein Elternhaus gezogen. Sie werden ganz sicher von nun an des Öfteren von mir hören. Ich gedenke, eine Person des öffentlichen Lebens zu werden. Übrigens bin ich gerade auf dem Weg ins Foyer der Bausparkasse.« Mit seiner beringten Rechten zeigte er auf den imposanten Gebäudekomplex auf der anderen Straßenseite, Firmensitz der Bausparkasse Schwäbisch Hall AG, von der die meisten Mittel-, Nord- und Ostdeutschen glaubten, sie hätte der Stadt ihren Namen gegeben. Wenn sie denn überhaupt wussten, dass eine Stadt gleichen Namens existierte. Aber es muss gesagt werden, dass umgekehrt ein Schuh daraus wurde: Die Stadt war zuerst da gewesen. Eine höchst idyllische, malerische Kleinstadt.

»Im Foyer findet nämlich heute Abend eine Vernissage meiner Werke statt. Wollen Sie nicht auch kommen?«

Gott bewahre, dachte Seifferheld.

»Aber ja!«, flötete Marianne und legte zart die Rechte auf Siegmanns Unterarm.

»Wir können doch nicht … wir haben einen Termin!«, hielt Seifferheld dagegen und wackelte mit seinen Brauen.

»Was denn für einen Termin?« Marianne sah ihn noch nicht einmal an. Ihr Blick war kokett auf Siegmann geheftet.

»Ich komm doch heute in der Landesschau!« Noch während er es sagte, begriff Seifferheld, dass er damit ja punkten konnte. Er würde an diesem Abend im Fernsehen zu sehen sein!

»Das nehmen wir auf«, schmetterte Marianne ihn ab.

Seine Marianne.

Schmetterte ihn einfach so ab.

Wegen eines Fremdmannes.

Darauf fiel Seifferheld so schnell nichts ein. Außer einer Frontalattacke.

»Ihre Strickwaren werden tatsächlich in der Bausparkasse ausgestellt?« Er klang so skeptisch, wie er es auch war. Am liebsten hätte er noch hinzugefügt: »Da muss es sich doch um ein Versehen handeln!« Tat er aber nicht.

Es gab regelmäßig Ausstellungen im Foyer des Unternehmens, aber von echten Künstlern, nicht von Strickern. Von renommierten Kunstschaffenden. In der Bausparkasse auszustellen war so etwas wie ein Ritterschlag, den die Verantwortlichen normalerweise nicht leichtfertig vergaben. Was hatte die Entscheidungsträger über die Ausstellungsvergabe zum Einknicken gebracht? War der Stricker im Besitz Tausender von Bausparverträgen?

»Sicher. Ich bin ja auch Kunststricker. Was haben Sie denn gedacht? Dass ich Norwegerpullis stricke?« Siegmann schielte in den Spalt der geöffneten Seifferheldschen Windjacke, in dem er einen Norwegerpulli ausmachte. »Mitnichten! Ich stricke Meisterwerke!« Er reichte Marianne ein geschmackvolles Faltblatt, das gleichzeitig als Einladung zur Vernissage diente.

Sie strahlte.

»Warum kommen Sie heute Abend nach der Vernissage nicht zum Essen zu uns in die Untere Herrngasse? Wir kochen italienisch«, improvisierte Marianne.

Seifferheld war kein Freund von Improvisationen. Alles Spontane war ihm suspekt.

Siegmann strahlte. »Aber zu gern, wirklich zu gern. Wie gastfreundlich von Ihnen. Das habe ich Ihnen gleich angemerkt, auch wenn ich Sie noch gar nicht kenne, dass Sie eine warmherzige Frau mit einem großen Herzen sind.« Er hauchte einen Kuss in die Luft über ihrer Hand.

Marianne winkte verschämt ab und strich sich mit der freien Hand eine dunkle Locke aus dem errötenden Gesicht. Ein aus der Zeit gefallener Hedwig-Courths-Mahler-Moment.

Seifferheld kochte. Er hätte am liebsten gekotzt. Und gleich darauf fiel ihm ein, dass er ja seit gerade eben einen neuen Vorrat an salsa diavola, an Teufelssoße, hatte. Die würde er vorwarnungslos auf die Pasta des ahnungslosen Siegmann geben, ach was, häufen. Und zwar Mount-Everest-artig häufen. Der Mann würde knallrot anlaufen und sich die Seele aus dem Leib husten. Seine Innereien würden zu einem Flammenmeer. Nichts als verbranntes Gewebe vom Schlund bis zum Enddarm.

Dieser Gedanke beruhigte Siggi ein wenig.

Aber nur ein wenig.

 

 

 

 

 

Da wusste er noch nicht, dass es nur noch zehn Stunden bis zur Leiche waren …

[home]

Seifferheld und die wundersame Welt der Weiblichkeit

Menschen, die mit mir nicht auskommen, müssen eben noch ein bisschen an sich arbeiten.

Der Vorteil alter Fachwerkhäuser ist der, dass es keine genormten Zimmer gibt. Jedes Haus ist anders, jedes Zimmer ist anders, und je nachdem, welche baulichen Maßnahmen die Bewohner im Laufe der Jahrhunderte getroffen haben, variieren die Räumlichkeiten zwischen prachtvoll, grandios und furchtbar verbaut. Oder vereinen alles davon in sich.

Das Seifferheld-Haus in der Unteren Herrngasse zu Schwäbisch Hall, seit fünfhundert Jahren ununterbrochen in Familienbesitz, zeichnete sich durch eine großzügige Raumgestaltung aus, womöglich weil die Seifferhelds schon seit Generationen groß gewachsen waren und keine Lust hatten, ständig gegen gebeizte Holzbalken in allzu kleinen Zimmern zu laufen. An den Decken fand sich Stuck, abwechselnd als reiche Verzierung, dann wieder nur als verschnörkelte Leiste. Und es gab eine breite, knarzende Holztreppe, die vom Souterrain bis hinauf zum Speicher führte, in dem es spukte, aber das ist eine andere Geschichte.

Die Wände atmeten förmlich Geschichte. Sie atmeten Geschichte, aber sie rochen nach einer Brise One-Touch-Raumduft in der Variante Ocean Splash. Das war der Kompromiss, den Seifferheld, der als Mann allein unter Frauen lebte, mit besagten Frauen geschlossen hatte: Er hasste Raumdüfte, aber er liebte das Meer. Ergo: Ocean Splash.

Die Küche des Hauses nahm den gesamten linken Flügel des Erdgeschosses ein, groß genug, um allen derzeitigen Bewohnern ihren ganz ureigenen Platz zu bieten, was gut war, denn besagte Bewohner waren sich mehrheitlich nicht grün, nicht nur im Leben, auch in der Küche, in der Allesfresser auf Sowohl-als-auch-Esser und fanatische Veganer trafen.

Kaum betraten Seifferheld, Marianne und Onis das Haus, lief Onis schnurstracks zum Küchentisch, unter dem sich sein Stammplatz befand. Dort wartete, auf einer beigefarbenen Decke – wie der Herr, so der Hund – sein rosafarbener Teddy auf ihn. Es gab eine herzzerreißende Wiedervereinigungsszene zwischen Hund und Bär, der allerdings niemand Beachtung schenkte.

Auch dass Seifferhelds Nichte Karina, frisch diplomierte Mediengestalterin und etwas weniger frisch gebackene Mutter, als heulendes Elend auf der Küchentheke saß, ihr pausbäckiges Kind auf dem Arm, blieb unbeachtet. Für die anderen galt, sich den dringlichsten Prioritäten zu widmen: Onis wollte mit seinem Teddy schmusen, Seifferheld seinen Widersacher ausspionieren, Marianne ein unvergessliches Abendessen vorbereiten. Da blieb kein Fitzelchen Aufmerksamkeit für Karina übrig.

Die schniefte.

Seifferheld setzte sich, noch in der Windjacke, an den Küchentisch und googelte Arno Siegmann.

Über eine halbe Million Einträge!

Seifferheld schnaubte. Aber Arno und Siegmann waren ja geläufige Namen, das mussten nicht zwingend alles Einträge über diesen überheblichen Stricker sein. Stricker? Stinker!

Sie waren es dann aber doch. Zumindest auf den ersten zehn Seiten ging es in allen Einträgen um den strickenden Schwäbisch Haller. Siegmann hatte eine stylische Homepage, in der man ihn strickend in aller Welt sah – vor dem Taj Mahal, auf dem Eiffelturm, im Kolosseum, am Strand einer Südseeinsel. Alles Fotomontagen, da war sich Seifferheld sicher.

Der Mann hatte sogar seinen eigenen Wikipedia-Eintrag. Natürlich selbst erstellt, ganz zweifelsohne:

Arno Siegmann (*28. August 1955 in Schwäbisch Hall) ist ein deutscher Handarbeitskünstler.

Leben

Arno Siegmann wuchs in Schwäbisch Hall auf. Er studierte Kunst in Stuttgart, bevor er sich ganz seiner Berufung, dem Stricken, widmete. Seine sogenannten WollWirkWerke sind in Museen in aller Welt zu sehen.

Werke

Der Stricker im Manne, Siegmann Verlag 2001

Stricken – ein Männerhandwerk, Siegmann Verlag 2007

Ich stricke, also bin ich, Siegmann Verlag 2012

Siegmann Verlag, das war doch ganz sicher ein Selbstverlag. Der druckte seine Machwerke im eigenen Keller. Siggi Seifferheld runzelte die Stirn. Aber dennoch, warum hatte dieser Kerl eine Homepage und schon drei Bücher, und er, Siggi, hatte nichts? Er musste dringend an seiner Vermarktung arbeiten!

»Will mich keiner fragen, was ich habe?«, fragte Karina schniefend und wischte sich mit dem Ärmel Flüssigkeitsansammlungen aus dem Gesicht.

Ihr Sohn, Fela, schmatzte zufrieden an seinem Schnuller. Seit dem Tag seiner Geburt, genauer gesagt, seit dem Moment, in dem er aus seiner blutjungen Mutter geschlüpft war, strahlte er eine übermenschliche Gelassenheit aus, war friedfertiger als der Dalai Lama. Nie verlor er sein Lächeln. Alle waren mittlerweile dazu übergegangen, ihn Buddha zu nennen.

»Hallo?«, jaulte Karina.

Vergebliche Liebesmüh. Siggi und Marianne hingen ihren eigenen Gedanken nach.

Marianne packte die Einkäufe aus. »Wir haben genug Pasta für uns alle. Nach so einer Vernissage ist etwas Leichtes am besten, oder? Spaghetti alla puttanesca.« Marianne öffnete die Tür zur Vorratskammer. »Tomaten sind da, Oregano, Chili. Verdammt, schwarze Oliven fehlen! Siggi, sind noch irgendwo schwarze Oliven? Siggi??«

Siggi tippte fieberhaft eine Mail an seinen Ex-Kollegen Wurster von der Mordkommission. Seine Ex und er trafen sich jeden Dienstagabend zum Mord-zwo-Stammtisch, seit einiger Zeit im Löwen in der Mauerstraße, aber er konnte unmöglich bis nächsten Dienstag warten.

 

Wurster, du musst einen Backgroundcheck für einen gewissen Arno Siegmann durchführen, wohnhaft in der Zollhüttengasse, geboren 1955. DRINGEND!

 

Das ging natürlich eigentlich nicht, dass er als Vorruheständler, mithin einem gemeinen Bürger gleichgestellt, sich der Ressourcen der Staatsmacht bediente, aber das Leben besteht nicht nur aus Regeln, sondern auch aus Gefälligkeiten.

»Siggi, hörst du mir zu?«

»Ja, Schatz! Was ist?«

Marianne hatte die Hände in die Hüften gestemmt. »Ob wir noch irgendwo schwarze Oliven haben, habe ich gefragt?«

Eine weitere Frauenstimme meldete sich zu Wort. »Das fragst du meinen Schwager? Der kann doch eine schwarze nicht von einer grünen oder violetten Olive unterscheiden.«

Die Küchentür war aufgegangen, und Marcella Seifferheld trat ein.

Das Seifferheldsche Haus in der Unteren Herrngasse konnte eigentlich nicht noch eine Frau gebrauchen. Der Östrogenspiegel in den fünfhundert Jahre alten Mauern war auch so schon hoch genug. Aber als Marcella, Seifferhelds Schwägerin, hörte, dass ihre einzige Tochter an Depressionen litt, hatte sie ihren Schrankkoffer und ihr Beautycase gepackt und sich kurzerhand auf unbestimmte Zeit einquartiert.

»Wie geht’s dir, meine Kleine?«, fragte sie ihre Tochter. Einen Moment später traf auch die Wolke des teuren französischen Parfums ein, die Marcella Seifferheld auf Schritt und Tritt zu folgen pflegte.

Karina schnüffelte. »Ich bin ja so unglücklich!«

Seifferheld erhob sich schwer und unter Ächzen vom Küchenstuhl. Seit seine Tochter Susanne seinen Physiotherapeuten geheiratet hatte, waren die Massagesitzungen für seine schmerzende Hüfte zwar umsonst, fielen dafür aber sehr viel seltener aus. »Marcella? Was machst du denn hier? Ich habe gar nicht mit dir gerechnet.« Er humpelte auf die Frau seines Bruder zu und ließ sich von ihr italienisch-überschwenglich mehrmals auf beide Wangen küssen. Marcella küsste auch Marianne, bevor sie antwortete.

»Wenn mein Kleines in Not ist, komme ich natürlich sofort herbeigeeilt.«

Seifferheld und Marianne starrten Karina an. »In Not?«, wiederholten beide.

Ungläubig, wie man dazusagen sollte.

Noch beim Frühstück – wie jeden Morgen mit dem Glockenschlag der St. Michaelskirche um sechs Uhr dreißig – hatte sich Karina fröhlich ihr veganes, laktose-, milcheiweiß-, gluten- und cholesterinfreies Müsli einverleibt (während der kleine Buddha seinen Milchbrei fröhlich über sich und die Tischplatte verteilte), hatte das Haller Tagblatt gelesen und schien bester Dinge zu sein. Das war auch noch zwei Stunden später so, als Klein Fela längst Bäuerchen machend selig schlief und Karina Trockenfrüchte kauend im Spiegel blätterte und Siggi und Marianne sich mit Onis auf den Weg zum Feinkostgeschäft machten.

»Was ist passiert?«, fragte Marianne, die sofort in den Bemutterungsmodus umschaltete.

Karina fing an zu heulen.

»Männer!«, fauchte Marcella.

Die beiden älteren Frauen sahen sich wissend an. Das sagte ja schon alles.

Seifferheld schürzte die Lippen.

Als sein Bruder vor einem Vierteljahrhundert mit seiner italienischen Eroberung aufgetaucht war, hatte Siggi der zigeunerhaft aussehenden jungen Frau mit den funkelnden Augen und dem aufbrausenden Naturell alles zugetraut – dass sie die Tochter eines sizilianischen Paten sei, dass sie selbst der weibliche Pate einer ruchlosen Mafia-Mörderbande wäre, alles. Aber Marcella hatte sich im Laufe der Jahre als brave, tugendsame, nicht-kriminelle Ehefrau, Hausfrau und Mutter erwiesen. Dennoch, es gab Momente, da blitzte etwas in ihren braunen Augen auf, das ihn sehr an Blutrache denken ließ. So wie jetzt.

»Fela?«, hakte er nach, nur zur Sicherheit.

Seit Karina mit einundzwanzig ihr Baby bekommen hatte, war sie zwar sehr viel ruhiger geworden, nicht nur, was politische Aktionen anging, auch in Hinblick auf Männer, aber sicher sein konnte man ja nie.

»Ja, dieser … Fela!« Marcella erweckte ganz den Anschein, als ob sie ausspucken wolle. Marianne griff zur Kleenex-Rolle.

Karina heulte noch etwas lauter.

Onis kam unter dem Tisch hervorgekrochen, erfasste mit einem Blick die Situation, ließ seinen Teddy aus dem großen Hundemaul fallen, lief zu Karina und schleckte ihr die nackten Füße, die von der Küchentheke baumelten.

So viel Mitgefühl brachte Seifferheld nicht auf. Vom Schlecken ganz zu schweigen. »Fela ist ein guter Junge«, behauptete er kühn. Dazu stand er auch!

Die Frauen starrten ihn an.

Er schluckte.

»Fela ist immer da für seinen Sohn, er gibt Karina jeden Monat einen erklecklichen Teil seines Honorars für den Unterhalt, er ist immer freundlich und zuvorkommend, er …« Seifferheld gingen die Argumente aus. Fela Nneka, kaum älter als Karina, arbeitete als Fotograf beim Haller Tagblatt, betätigte sich ehrenamtlich für benachteiligte Jugendliche im örtlichen Sportverein, war gut zu Onis. Ein Versorger, ein Kümmerer, ein Hundefreund. Etwas Besseres konnte man über einen Mann doch nicht sagen. Seifferheld überlegte sogar, ob das die Worte sein sollten, die man dereinst in seinen Grabstein meißelte.

Karina schluchzte, verschluckte sich, hustete.

»Dieser … Fela …«, brummte Marcella, »… hat meiner unschuldigen, kleinen Karina das Unaussprechlichste angetan!«

»O Gott«, hauchte Marianne und nahm Karina in den Arm.

Seifferheld kam da nicht ganz mit. Das Unaussprechlichste? Verstand man darunter nicht das, dessen Ergebnis jetzt – immer noch breit lächelnd und ein dickes Fäustchen gen Himmel reckend – auf Karinas Schoß saß? Oder hatte er ihr womöglich – unvorstellbar! – Gewalt angetan? Nein, nicht Fela. Der konnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Buchstäblich nicht.

»Verräter! Er soll in der Hölle schmoren, bis er schwarzgekokelt ist!«, fluchte Marcella.

Seifferheld dachte keck, dass Fela dann ja wohl nicht sehr lang im Höllenfeuer braten musste, denn er hatte einen nigerianischen Migrationshintergrund und besaß sowieso schon einen von der Sonne verwöhnten, enorm dunkelbraunen Teint. Das sprach Seifferheld aber nicht aus. Er war ja nicht lebensmüde. Marcella stand schließlich direkt vor dem Messerblock.

»Er hat Karina mit einer anderen Frau betrogen«, schlussfolgerte Seifferheld. Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hatte, dann musste das, was übrig blieb, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mochte. Hatte schon Sir Arthur Conan Doyle gesagt.

»WAS?«, schrie Karina auf. Jetzt wurde es Fela junior doch etwas zu laut. Er fing aber nicht an zu weinen, das tat er nie, sondern brabbelte lautstark vor sich hin.

Sofort beruhigte sich Karina wieder, sie wollte ihren süßen Kleinen auf keinen Fall aufregen, und Marcella gurrte ihrem Enkel »sch, sch, sch, alles ist gut« ins Ohr.

»Ehrlich? Er hat dich betrogen? Das hätte ich nicht von ihm gedacht, er wirkt so …« Marianne suchte nach dem richtigen Wort. »Treu?«

»Noch hat er es nicht getan, aber es ist nur eine Frage der Zeit«, fauchte Marcella.

Marianne schaute verwirrt. »Ich verstehe nicht ganz …«

»Hier!« Mit einiger Mühe zog Marcella die aktuelle Ausgabe des Haller Tagblatts unter dem Hintern ihrer Tochter hervor und reichte sie Marianne. Seifferheld trat näher und sah ihr über die Schulter.

Die Zeitung war auf der Seite aufgeschlagen und mittig gefaltet, auf der es um lokale Nachrichten ging. FELA NNEKA ZUM BEGEHRTESTEN JUNGGESELLEN VON SCHWÄBISCH HALL GEKÜRT, stand da fett über einem Foto von Fela, der mit leuchtend weißen Zähnen breit grinsend und mit bloßem, glänzenden Oberkörper – Sixpack! – eine silberne Trophäe mit beiden Armen in die Höhe reckte. Das erinnerte jetzt sehr an die Fäustchen seines Sohnes, die ganz oft gen Himmel gereckt wurden, weil Fela junior zweifelsohne jetzt schon für später übte: Formel-1-Sieg, Oscar-Gewinn, Auszeichnung als begehrtester Junggeselle wie sein Vater.

»Ja und?«, fragte Seifferheld und wusste schon, als er den Mund öffnete, dass das ein Fehler war.

Die drei Frauen starrten ihn an. Onis schüttelte den Kopf und trottete wieder zu seinem rosa Teddy.

»Ja und? Ja und? Ja und?«, wiederholte Marianne fassungslos angesichts seiner männlichen Begriffsstutzigkeit.

»Ach Onkel Siggi«, hauchte Karina, und als ob ein Schalter umgelegt worden wäre, strömten ihr schlagartig ganze Flutwellen aus den Augen.

»Ja und? Mehr fällt dir dazu nicht ein?«, herrschte auch Marcella ihn an. »Dieser … Fela … ist der Mann meiner Tochter und lässt sich zum begehrtesten Junggesellen wählen? Das kann nur eines bedeuten – er will wieder auf Beutejagd! Während meine arme Kleine sich aufopferungsvoll um die Frucht seiner Lenden kümmert, will er seinen Samen auch anderweitig streuen! Dieses treulose Schwein!« Sie schlug mit der flachen Hand auf die Theke.

Siggi wollte dagegenhalten, dass Karina und Fela nie offiziell den Bund der Ehe eingegangen waren, sie waren im klassischen Sinne noch nicht einmal verlobt, aber selbst ihm war klar, dass jetzt nicht der Moment für derlei Penibilitäten war.

»Wenn ich den erwische … wenn ich den in die Finger kriege … dann …« Marcella runzelte die Stirn. Sie sprach jetzt ganz leise und klang sofort bedrohlicher. »Ich werde meinen Brüdern sagen, sie sollen sich ihn vorknöpfen!«

Im Film hätte jetzt ein unheimliches Geigen-Solo eingesetzt, damit auch dem letzten Zuschauer klarwurde, dass ein Gespräch mit den Brüdern von Marcella nur einen einzigen Ausgang haben konnte: mit Zementfuß im Schwäbisch Haller Stadtfluss, dem Kocher, versenkt zu werden!

Aber Seifferheld kannte Mauro und Fabrizio, die Brüder von Marcella. Beide Männer waren klein gewachsen, so breit wie hoch, und von höchst friedfertigem Naturell. Was damit zu tun haben mochte, dass Mauro Benediktinermönch und Fabrizio Franziskanerpater war. Bei Dominikanermönch und Jesuitenpater hätte Seifferheld als eingefleischter Evangele an die Inquisition gedacht und an hochnotpeinliche Verhöre, aber wie die Dinge lagen, würden ihn Mauro und Fabrizio nicht foltern, sondern ihm vielmehr ein Bildchen vom Papst in die Hand drücken und versuchen, ihn in den Schoß der Heiligen Mutter Kirche zu locken.

»Siggi, sag du doch auch mal was!«, verlangte Marianne.

Seifferheld schreckte aus seinen Träumen von rotunden Geistlichen, die aus Sixpack-Fela einen keuschen Katholiken machen wollten. Womöglich sogar ein Opus-Dei-Mitglied.

»Ich habe wirklich nichts gegen Katholen!«, erklärte er zusammenhanglos, weil sie ihn zu abrupt aus seinen Gedankengängen gerissen hatte.

»Na, da danke ich aber schön«, erklärte Marcella. »Um die Frage des rechten Glaubens geht es hier aber nicht. Es geht um die Ehre! Rede gefälligst mit Fela! Von Mann zu Mann.«

Karina schnüffelte. Es war keine einzige Träne mehr in ihr. Sie war völlig ausgeheult. Leergeweint. Dehydriert.

Was sie den alten Semestern unmöglich sagen konnte, war, dass sie im Grunde total stolz auf ihren Fela war, er war der bestaussehendste, charmanteste Mann der ganzen Welt, und die anderen Bitches sollten ruhig zu sehen bekommen, was sie nie kriegen würden! Sie glaubte keine Sekunde, dass ihr Fela – ein treuer Schluffen durch und durch – sie jemals betrügen würde. Und falls sich je eine sonnenbankgebräunte Tusse mit Extensions im Haar und aufgeklebten Fingernägeln auf High Heels an ihn heranstöckeln sollte, dann würde Karina sie mit ihren Springerstiefeln mühelos in Grund und Boden stampfen.

Nein, das war es nicht. Sie heulte Rotz und Wasser, weil sie, Karina Seifferheld, Aktivistin für PETA und Amnesty International und Girls’ Power, immer mit der Nase im Wind des Zeitgeists, sich nichts sehnlicher wünschte als eine stockkonservative Hochzeit in Weiß. Sie wollte mit diesem göttlichen, schönen, überirdisch guten Mann den spießbürgerlichen Bund der Ehe schließen. Fela würde einen weißen Frack tragen, und sie würde in schwarzer Gothic-Spitze vor den Altar treten. Und ihr gemeinsames, mandeläugiges, gelbes Kind würde einen orangefarbenen Frotteeanzug tragen. Das wäre ja soooo schön!

Aber wollte Fela sich jetzt schon binden? Wenn er an Junggesellen-Castings teilnahm, offenbar nicht. Was, wenn er ihrer überdrüssig war?

Karina schluchzte und merkte, dass da doch noch Wasserrestbestände in ihr waren, denn der Damm brach erneut, und Tränenflüsse ergossen sich.

»Mein armes Kleines!« Marcella umarmte sie und Klein Fela fest. »Gleich morgen früh fahren wir übers Wochenende weg. Nur du und ich und der kleine Buddha. Alles wird gut, du wirst schon sehen!« Auch Marcella verdrückte jetzt eine Träne.

Marianne konnte nicht anders. Sie hatte ohnehin nah am Wasser gebaut und heulte auch schon mal bei Babywindelwerbung. Ihr kamen also ebenfalls die Tränen. Sie schlang ihre knallbunten Hosenanzugsarme um Mutter und Tochter und Tochtersohn. Gruppenumärmelung.

Seifferheld sah auf die Lokalseite des Haller Tagblatts mit dem Foto vom nackten Oberkörper Felas hinunter. Sixpack. Pö! Seifferheld hatte auch einen Sixpack. Jawohl. Nur dass er den seinen mit einer schützenden Fettschicht umgab …

 

 

 

 

 

Da war ihm immer noch nicht klar, dass es jetzt nur noch acht Stunden bis zur Leiche waren …

[home]

Seifferheld und die Wippe des Todes

Männer haben auch Gefühle! Hunger zum Beispiel oder Durst.

Seifferheld saß auf einer Holzbank auf dem Unterwöhrd, einer Insel mitten im Kocher, und genoss die Sonne, die sich jetzt trotz eisigem Nordwind langsam durch die Wolken schälte. Er fröstelte in seiner Windjacke, aber das würde er niemals zugeben. Onis tollte drüben am Mäuerchen mit seinem Hundefreund Carlo herum, einem zotteligen Briard von ungeheurer Gutmütigkeit.

Ein paar Meter vor ihm, auf dem Kinderspielplatz, stand seine kasachische Nicht-Putzfrau Olga und ließ den Zwillingskinderwagen, in dem seine Enkelin Ola-Sanne und sein Buddha-Neffe Fela junior dick eingemummelt saßen und vergnügt quietschend den spielenden Kindern zusahen. Schwäbisch Haller Mütter schworen durch die Bank auf den positiven Einfluss von frischer Luft und Aktivitäten im Freien, auch bei schlechtem Wetter. Es gab ja auch kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung. Als eine neuerliche Böe ihn erfasste, verkroch sich Seifferheld förmlich in seiner Windjacke.

Olga stand mit dem Kinderwagen nicht allein vor ihm. Weil seine Schwester Irmgard und seine Schwägerin Marcella Olga nicht vertrauten und sie mit den Kindern nie allein ließen, waren die beiden älteren Damen mitgekommen.

Das muss man vielleicht erklären. Olga Pfleiderer, Russlanddeutsche, war von Seifferhelds Tochter Susanne eigentlich als Putzfrau eingestellt worden. Gegen den Widerstand von Irmgard, die fand, eine ordentliche Hohenloher Hausfrau putzt selbst. Zumal Olga nicht wirklich Dreck entfernte, sondern im Gegenteil noch zusätzlich für Dreck sorgte, weil sie nämlich Kette rauchte und nach ihrer Anwesenheit überall im Haus kleine Aschehäufchen zu finden waren. Susanne, die als Managerin bei der Bausparkasse Schwäbisch Hall tätig war, fand jedoch, dass sie eine Putzfrau verdient hatte. Nach einem vierzehnstündigen Arbeitstag wienerte sie doch nicht noch das Holzgeländer der Treppe oder robbte schrubbend über den Fliesenboden im Bad. Nein danke! Damals wohnten beide Frauen noch bei Siggi. Mittlerweile waren beide verheiratet, und auch Olga hatte einen deutschen Rentner gefunden, ihn flugs unter die Erde gepflegt und sein Haus geerbt, und im Grunde hätte Siggi drei Kreuze schlagen und aufatmen können, weil er seinen »Harem« nur noch besuchsweise zu sehen bekam, aber so einfach war das Leben natürlich nicht.

Jedenfalls hatten Irmgard und Marcella Olga begleitet, als die – wie jeden Werktag – die beiden Kinder zum Parkspaziergang abholte. Keine Ahnung, was sie beide befürchteten – dass Olga den Kleinen eine Kippe zwischen die Lippen drücken und sie zum Rauchen animieren würde? Oder die unschuldigen Kinder an einen Mädchenhändlerring verschacherte? Seifferheld seufzte.

Nun war es aber auf einem Kinderspielplatz nicht wirklich spannend für zwei Frauen, die einander nicht wirklich mochten. Seit Irmgard, die ewige alte Jungfer, Pfarrer Helmerich Hölderlein geehelicht hatte, verschärfte sich die Situation sogar noch. Es war wie im Boxring. In der linken Ecke Titelverteidigerin Irmgard Seifferheld: hager, grauer Knoten, Twinset, Birkenstockschuhe. In der rechten Ecke Herausforderin Marcella Seifferheld: Körbchengröße Doppel D, seit Überschreiten des fünfzigsten Lebensjahres deutlich tiefergelegt, rot bemalte Lippen, tiefes Dekolleté, Stöckelschuhe. Wenn es jemals einen Beweis für Stephen Hawkings Theorie von den Parallelwelten gebraucht hätte, Irmi und Marcella lieferten ihn – sie lebten in völlig parallelen Welten ohne jedwede Überlappung.

»Es bestand wirklich keine Veranlassung für dich, mitzukommen. Du solltest dich in dieser schweren Zeit lieber um Karina kümmern«, erklärte Irmgard spitz.

»Karina schläft. Ich hatte nichts weiter vor. Aber du musst doch sicher ein Auge auf Helmerich werfen, oder? Bei all seinen Phobien, Allergien, Neurosen … so einen Mann sollte man nicht allein lassen«, lästerte Marcella.

»Helmerich erteilt Konfirmandenunterricht, danke der Nachfrage.« Irmgard klang noch spitzer. Wenn Worte Pfeile wären, wäre Marcella schon längst der heilige Sebastian …

Seifferheld überlegte kurz, ob er eingreifen sollte.

Onis und Carlo hechteten hechelnd an ihm vorbei.

Das war das Schöne an einer Kleinstadt – im Prenzlauer Berg in Berlin hätte längst eine der anwesenden Mütter mit strengem Blick verlangt, man solle die Hunde an die Leine nehmen. Hier war das anders. Hier …

»Wem gehören denn die Hunde? Hallo? Entfernen Sie gefälligst Ihre Tiere. Hier spielen Kinder!«, gellte eine der Mütter.

Seifferheld schaute geflissentlich zu den Wolken über Schwäbisch Hall auf.

Irmi und Marcella hackten derweil unverdrossen weiter aufeinander ein. Wie besonders angriffslustige Kampfhennen.

»Ein Leben für die Kirche. Noch dazu die falsche … Ihr könntet etwas mehr Spaß vertragen, Helmerich und du«, erklärte Marcella.

»Unser Leben ist eine ununterbrochene Achterbahnfahrt aus Spaß, Freude und Vergnügen«, hielt Irmgard dagegen. »Morgen reisen wir beispielsweise zu einer verlängerten Wochenendfreizeit in die Uckermark und verkünden den Menschen dort die frohe Botschaft unseres Herrn.«

Marcella gluckste. »Was, bitte schön, hat das mit Spaß, Freude und Vergnügen zu tun? Und erst für die armen Menschen dort … oben … hinten.« Ihr war nur in ganz groben Umrissen klar, wo die Uckermark liegen könnte. »Das verstößt zudem sicher gegen den internationalen Nicht-Einmischungs-Pakt der Nationen.«

Irmgard Seifferheld-Hölderlein spitzte die Lippen. »Es kann nicht jeder so ein frivoles Lotterleben führen wie du. Ständig zwischen Kosmetikerin und Friseuse und der …« Sie musterte die rubeneske Marcella augenbrauenrümpfend. »… der augenscheinlich inkompetenten Fitnesstrainerin hin und her pendelnd. Immerhin bringe ich mich in die Gesellschaft ein.« Wenn Irmgard wollte, konnte sie durchaus zynisch sein. Wenn sie nicht wollte, auch.

»Das soll der letzte Gedanke sein, bevor du stirbst? ›Ich habe mich in die Gesellschaft eingebracht?‹ Warum lebst du zur Abwechslung nicht mal? Warum tust du nicht einmal etwas Verrücktes, Wildes, etwas, das dir das Gefühl vermittelt, lebendig zu sein?« Marcella gestikulierte raumgreifend.

Irmgard holte tief Luft. »Ich atme. Das vermittelt mir in ausreichendem Maße das Gefühl, lebendig zu sein.«

Marcella sagte »Ha!« und zeigte, einem spontanen Einfall folgend, auf die Wippe am anderen Ende des Spielplatzes. »Ich wette, du traust dich nicht, mit mir eine Runde zu wippen.«

»Bitte, werd jetzt nicht kindisch.« Irmgard verschränkte die Arme vor der nicht existenten Brust über dem hageren Brustkorb.

»Aber genau darum geht es doch! Sei nicht immer so stocksteif. Sei einfach mal locker, ganz du selbst. Wie heißt es in der Bibel? Wenn ihr nicht werdet wie die Kindlein …« Das war Marcellas Trumpfkarte, und sie spielte sie genüsslich aus.

Seit Irmgard Pfarrersfrau war, waren Bibelzitate ihre Achillesferse. Damit kriegte man sie immer.

»Ich habe mir meine unschuldige Kindlichkeit durchaus bewahrt«, behauptete sie, aber ihre Stimme klirrte nicht mehr vor eisiger Strenge, klang sogar einen Tick zögerlich …

»Komm schon, gib dir einen Ruck, beweise dir und mir, dass du auch einmal ein verrücktes Huhn sein kannst!«

Marcella lief zur Wippe.

Irmgard sah sich um. Nicht zu ihrem Bruder, den hatte sie im Zweikampf mit Marcella völlig vergessen, nein, sie hielt Ausschau nach den Frauen aus dem Blumenschmuckkomitee der Kirchengemeinde. Doch außer ein paar jungen Müttern mit ihren Kindern und dem »Pinkler«, einem Jogger, den alle so nannten, weil er täglich stundenlang durch den Park joggte und sich im Bedarfsfall hinter den Büschen am Parkplatz der Stadtwerke erleichterte, war niemand zu sehen.

Irmgard holte tief Luft und stapfte auf die Wippe zu.

Marcella saß bereits.

Irmgard ließ sich auf dem anderen Ende nieder, und los ging’s.

Wipp, wipp, wipp.

Seifferheld seufzte. Dass er die beiden Drachen in diesem Leben noch einmal friedlich vereint beim Spiel beobachten würde, hätte er nie gedacht. Er konzentrierte sich auf den Rücken seiner Schwester, sonst hätte er nämlich auf die wippenden Doppel-D-Brüste seiner Schwägerin gestarrt, und das gehörte sich nicht.

Doch plötzlich verharrte Irmgards Rücken in der Luft.

Aha, dachte Seifferheld, ein Komplott. Eins zu null für die Herausforderin.

»Marcella!«, empörte sich Irmgard.

Die physikalische Tatsache, dass ein schwerer Körper einen leichteren auf einer Wippe problemlos oben halten kann, ließ sich nicht leugnen. Marcella lächelte triumphierend.