Stormy - A.W. Benedict - E-Book

Stormy E-Book

A.W. Benedict

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Beschreibung

Eigentlich hatten die Kinder der kleinen Vorstadtsiedlung geglaubt, einen ganz normalen Feriensommer zu verleben. Dann zieht ein Mädchen nebenan ein, die das Leben der Kinder auf den Kopf stellt. Stormy bringt mit ihren fantastischen Geschichten und ihrer Abenteuerlust alles durcheinander. Als dann eines Tages Herr Gote den Lieblingsspielplatz der Kinder, eine große uralte Linde, fällen lassen will, begeben sich die acht Freunde auf Schatzsuche. Ein dunkler, undurchdringlicher Wald, ein altes, halb zerfallenes Haus, ein geheimnisvolles Tagebuch und ein boshafter Dieb bringen die kleine Gruppe in Gefahr. Werden sie die Linde retten? So wird dieser erste Sommer mit Stormy der aufregendste und lustigste Feriensommer ihres Lebens. BÜCHER VON A. W. BENEDICT: - BEANSTOCK REIHE - Beanstock - Mord auf Parsley Manor (1. Buch) Beanstock - Das Gänseblümchenkomplott (2. Buch) Beanstock - Die Barke des Teremun (3. Buch) Beanstock - Mörder an Bord (4. Buch - ab 01.11.2019) (Die Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.) - BEANSTOCK HAUSREGELN - Beanstock - Hausregeln auf Parsley Manor: Teil 1 - PETER SCOTT REIHE (Jugendbuch) - Peter Scott und die Löwen von England: Band 1 Peter Scott und der chinesische Drache: Band 2 (ab 01.12.2019) Stormy FOLGT MIR AUF Facebook: A.W. Benedict Instagram: @awbenedict_autorin Website: awbenedict.de

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Für Finja, Jolien und Daan„The next Generation“

Inhaltsverzeichnis

Der Sturm hat uns hergeweht

Die Sache mit der Schiffsglocke

Ein Baum soll gefällt werden

Tagebuch M. von Brommel 1929

Im verbotenen Wald

Tagebuch M. von Brommel 1929

Unheimliche Begegnungen

Der Waldsee

Tagebuch M. von Brommel 1929

Die alte Villa

Tagebuch M. von Brommel 1929

Ein grausiger Fund

Tagebuch M. von Brommel 1930

Das geheimnisvolle Tagebuch

Tagebuch M. von Brommel 1930

Die Suche nach dem Schatz

Tagebuch M. von Brommel 1930

Wo sind Dotti und Zuzu?

Tagebuch M. von Brommel 1930

Gregorius

Miranda von Brommel

Unser Baum

Meine Freundin Stormy

Es ist an der Zeit danke zu sagen!

Der Sturm hat uns hergeweht

Stormy kam mit dem Sturm in unser Leben.

Ja, wir dachten lange Zeit sogar, sie wäre der Grund gewesen für diesen Sturm, den die Erwachsenen noch Jahre danach hinter vorgehaltener Hand flüsternd den Monsterball nannten, weil er in unserer kleinen Siedlung einen monströsen Tanz aufgeführt hatte.

Stormy wehte in unser Leben mit ihren Geschichten, ihrer Fantasie und ihrem unerschöpflichen Hunger nach Abenteuern, die unsere langweilige Welt nicht zu bieten hatte, wie wir meinten. Am frühen Sonntagmorgen jagten die letzten dunklen Wolken am Himmel und Papa begann, die vernagelten Fenster von den Holzplatten zu befreien.

Ich meinte, ein tiefes Aufatmen zu hören, wie am Ende einer dieser fürchterlichen Diktatstunden, die Fräulein Nickel in der Schule veranstaltete. Nur dieses Mal kam das befreite Aufatmen von der Natur und nicht von den Schülern.

„Ich gehe raus, Mum!“, rief ich über die Schulter und stand bereits mit einem meiner nackten Füße auf der Holzveranda. Eine resolute Hand zog mich am Kragen zurück und eine andere Hand hielt mir die ungeliebten Sandalen vor das Gesicht.

„Victoria Luise, wie oft soll ich es noch sagen? Nicht ohne Schuhe, niemals ohne Schuhe, man läuft nicht barfuß auf der Straße herum!“, hauchte meine Mutter mir ins Ohr.

Meine perfekte Mutter mit ihren perfekt frisierten Haaren, den perfekt gezogenen Augenbrauen, den perfekt manikürten Fingernägeln, immer sauber und adrett gekleidet und natürlich niemals ohne perfekt geputzte Schuhe.

Ich hasste es, wenn sie meinen vollen Namen aussprach. Was zur Hölle, oh, ich durfte eigentlich auch nicht fluchen, also was zur Hölle hatte sie sich dabei gedacht, mich Victoria Luise zu nennen? Was hatte ich davon, dass es die Namen zweier großer Königinnen waren? Ich würde nie eine Krone tragen, da war ich mir ziemlich sicher.

Also zog ich eilig die Sandalen an, entwand mich dem Griff und stürmte aus dem Haus. Vorsichtig sah ich mich nach meiner Mutter um. Sie sah mir mit verschränkten Armen nach. Verflixt, ich konnte meine Schuhe nicht sofort ausziehen, so wie ich es immer tat, wenn ich die nächste Hausecke erreicht hatte. Das Gefühl des warmen zarten Sommerstaubs unter meinen nackten Fußsohlen war das Beste an heißen Sommertagen.

Das Zweitbeste war ohne jeden Zweifel, nach einem ausgiebigen Sommerregen mit den nackten Füßen durch den warmen Sommerschlamm zu waten. Wenn dann der Schlamm etwas trockener wurde, konnte man aus ihm wunderbare Dreckmonster formen. Meine Mutter sah es nur nicht besonders gern, wenn ich meine Skulpturen auf der vorderen Veranda zum Trocknen aufbaute. Unsere kleine Siedlung am Stadtrand bestand aus neun Häusern.

Bei dem Haus Nummer 10 hatte das Geld nicht mehr gereicht und so stand nur ein trauriges Knochengerüst aus Brettern, Bohlen und Balken an der Stelle. Dazwischen begann die Natur mit ihren grünen Fingern wieder Löwenzahn und wilde Kamille aus dem Boden zu schieben.

Der Architekt hatte die Häuser in einem weiten Kreis um einen runden Platz bauen lassen.

Es sah toll aus, wenn am Montagmorgen um sieben Uhr die Türen der Häuser aufgingen, Väter oder Mütter und Kinder heraustraten, bepackt mit Taschen und Frühstück, rechts neben den Häusern in ihre Autos stiegen und die Motoren gestartet wurden.

Danach verlief alles nach einem genauen Plan.

Zuerst fuhren alle Autos langsam aus der Einfahrt, gleichzeitig, um danach im Gänsemarsch hintereinander zu der einzigen Ausfahrtsstraße zu rollen und dort nacheinander abzubiegen.

Diesen Plan hatte der alte Herr Gote ausgedacht. Er wohnte mit seiner Frau in Nummer 6. Alle hielten sich daran, denn niemand wollte Ärger mit dem alten Meckerer haben.

Einmal hatte Papa es eilig und versuchte, die Reihe zu überholen.

Dieses Vorkommnis wurde noch Wochen danach lang und breit diskutiert und ausgewertet. Ja, es gab sogar einen kleinen Brief, den alle unterschreiben mussten, in der mein Papa aufgefordert wurde, es zu unterlassen, derlei aus der Reihe tanzen.

Unsere Nachbarn entschuldigten sich noch lange danach heimlich bei meinem Vater.

Sie wollten mit dem Gote keinen Ärger haben.

Der olle Gote machte für alle möglichen Dinge Pläne, an die sich jeder zu halten hatte.

Irgendwann war das hier alles einmal Herrn Gotes Land gewesen. Aber dann hatte er es an eine Baufirma verkauft und die hatte unsere Siedlung gebaut. Trotzdem führte er sich auf, als gehörte es noch ihm.

Es gab nicht nur Regeln für den Morgen.

Es gab Regeln für die Mülltonnen, die Rasenmäherzeiten, die Weihnachtsdekoration, wie der Schnee im Winter gefegt werden sollte, ja, es gab sogar Vorschriften für die Vorschriften. Papa fand das nicht witzig und tanzte öfter aus der Reihe. Was ihm dann jedes Mal Ärger einbrachte. Mutter war darüber gar nicht amüsiert und verlangte von ihm, die Regeln einfach zu befolgen, da das wohl nicht so schlimm sein könne.

Diese Meinung warf sie allerdings über den Haufen, als Herr Gote eines Tages beanstandete, dass sie die Wäscheaufhängzeiten nicht beachten und waschen würde, wie sie wolle. Da war dann sogar für meine perfekte Mutter das Maß voll. Sie bekam rote Flecken im Gesicht und auf dem Hals, wedelte mit dem ausgestreckten Finger vor Gotes Nase herum und geigte ihm die Meinung. Regeln, sagte sie, Regeln seien gut. Aber Herr Gote würde übertreiben und sie verbitte sich seine Einmischung in ihre Wäscheangelegenheiten. Seit diesem Tag machte der olle Gote einen Bogen um meine Mutter. Ich glaube, seine Frau hat ihm zu Hause auch noch mal ein paar Worte unter die Nase gerieben, die ihm nicht gefallen haben werden. An diesem Tag hat er keinen Kuchen bekommen, da bin ich mir sicher. Aber jetzt waren Sommerferien. Endlich!

Und diese Sommerferien 1970 würden uns für immer im Gedächtnis bleiben.

In der Mitte unserer Rundsiedlung war ein großer Rasenplatz, auf dem sich eine riesige Linde erhob. Glaubte man der alten Frau Gote, die um ein Vielfaches netter war als der alte Herr Gote, dann stand dieser Baum schon hier, als an die Siedlung noch lange nicht zu denken war und an dieser Stelle Urpferdchen grasten. Ich glaubte natürlich nicht daran, aber es war eine nette Geschichte.

Oh, sie war riesig, diese uralte Linde, und uralt musste sie auch wirklich sein.

Ihr breiter, knorpliger Stamm, der aussah, wie aus dem Erdinneren hervorgebrochene, erkaltete Lava, gabelte sich in Höhe meines Kopfes in vier Teile. Ich konnte die dicken Äste, die zur Krone strebten, mit meinen beiden Armen nicht umfassen. Also mussten sie wirklich, wirklich dick sein.

An der einen Seite des Stammes schob sich ein Holzgesicht aus dem Inneren, wie der Kopf eines kleinen Drachens mit aufgerissenem Maul, Glubschaugen und spitzen Zähnen. Mein Papa hatte mir erzählt, dass in der Glaubenswelt der alten Germanen die Linde der Baum des Drachens war. An unserem Drachen konnte man sich gut festhalten, wenn man in die erste Etage der Linde wollte, ob er nun heilig war oder nicht.

Dort oben verzweigte sich der Baum zu einer riesigen Krone, deren dichtes Blätterdach kühlen Schatten warf und mich vor den Blicken meiner Mutter versteckte.

Irgendwann wollten wir ganz genau wissen, wie groß dieser Baum war.

Wir Kinder aus der Siedlung hatten uns an den Händen gehalten und versucht um die Linde einen Kreis zu bilden. Wir waren sieben Kinder und wir waren alle zehn Jahre alt, außer Birnbaum, der schon zwölf war.

Ich, Bug, Dotti, Wolle, Baba, Zuzu und Birnbaum, der Birnbaum hieß, weil sein Nachname Birnbaum war und weil er eben so lang gezogen wie ein Birnbaum aussah. Er wohnte, allein mit seinem Vater, in Nummer 3.

Sein richtiger Name war Theodor, aber wir fanden den reichlich doof. Sein Vater war Wissenschaftler und tüftelte in jeder freien Stunde, die er zu Hause war, an irgendwelchen seltsamen Erfindungen. So hatte Birnbaum viel Zeit, die er zum Glück mit uns verbrachte. Also reichten wir uns die Hände und umfassten den Stamm der alten Linde. Es fehlten am Ende fünfzig Zentimeter, da konnte sich Birnbaum recken und strecken, wie er wollte.

Dann wurden wir vermessen und Birnbaum nahm seinen Block, der ihm an einem dicken Band um den Hals hing, schrieb die Zahlen auf und rechnete.

Mit hochgezogenen Augenbrauen und seinem allwissenden Genieblick sah Birnbaum in die Runde der aufmerksam lauschenden Kinder.

„Oh Mann, mach´s nicht so spannend, meine Mutter wartet mit den Eierpfannkuchen auf mich!“ Das kam von Bug. Bug wohnte mit seinen Eltern und seiner großen Schwester in Nummer 1, einem schönen, gelb angestrichenen Haus mit grünen Fenstern. Bug, der eigentlich Bruno hieß, hatte wie sein Vater einen kugelrunden Kopf und störrische, in spitzen Büscheln wachsende rote Haare. Und wie immer bekam er einen Klaps von Dotti auf den Hinterkopf für seine Ungeduld. Dorothea, genannt Dotti, mit den dünnen flachsblonden Zöpfen und der runden Brille auf der Nase, wohnte in Nummer 2. Ihre Eltern hatten einen kleinen Laden in der Stadt, der so kunterbunt war wie ihr Haus hier in der Siedlung am Stadtrand.

„Komm zum Punkt, Birnbaum, gibst doch sonst immer alles schnell und unaufgefordert von dir. Und außerdem, warum nehmen wir nicht einfach das Maßband von meinem Vater?!“, schimpfte nun auch Wolle, die unvermeidliche rote Wollmütze auf dem Kopf, der er seinen Namen verdankte.

Denn eigentlich hieß er Willi, wohnte in Nummer 4, in dem Haus mit der Schiffsglocke auf der vorderen Veranda, die sein Opa, Kapitän a. D., an jedem Tag um die Mittagszeit zum Ärger Herrn Gotes läutete.

Ali, genannt Baba, nickte dazu. Er wohnte in Nummer 7. Er sagte nie sehr viel, meistens nickte er nur, um seinem besten Freund Wolle zuzustimmen. Die beiden steckten ständig zusammen.

„Meine Freunde“, tönte nun endlich Birnbaum, „wir haben hier einen Baum mit einem geschätzten Umfang von acht Metern und achtzig Zentimetern, und mit einem Maßband, liebe Freunde, macht es nur halb so viel Spaß.“

„Nicht schlecht, mein Papa hat ihn auf sechs Meter geschätzt, da lag er wohl daneben.“

Das war Zuzus Piepsstimme. Familie Twan lebte in dem weißen Haus mit der Nummer 8.

Zuzu war klein und hatte wunderschöne, schwarz glänzende, glatte Haare, um die ich sie beneidete. Meine Haare drehten sich schon bei der Aussicht auf nasses Wetter in alle Richtungen zu wirren Locken.

„So stelle ich also nach meinen intensiven Berechnungen fest: Dieser Baum ist circa fünfundzwanzig Meter hoch, hat einen leider nur geschätzten Stammdurchmesser von acht Metern und achtzig Zentimetern, einen Kronendurchmesser von zwanzig Metern und vier ausladende, circa achtzig Zentimeter …“

Den Rest von Birnbaums Ausführungen bekamen wir nicht mehr mit, da wir ihn allein unter der Linde zurückgelassen hatten.

Bis letzten Sommer war die Ruine von Haus Nummer 10 für uns der beste Spielplatz außerhalb unserer Linde gewesen, bis der olle Gote mal wieder alles verdarb.

Aber im vorigen Jahr war es für uns der perfekte Ort für unser Autoreifenabdruckmuseum.

Die Jungs holten Eimer voll mit schönem, klebrigem Lehm. Wir hatten neben Bauer Schmergolds Weizenfeld eine tolle kleine Lehmkuhle entdeckt. Und da es am Vortag wie aus Eimern geschüttet hatte, war der Lehm reif zum Spielen. Wir Mädchen schichteten Steine in der Bauruine auf und legten Bretter darüber. So entstanden Tische für unsere Ausstellungsstücke.

Dann kam der schwierigste Teil.

Wir schleppten die Eimer voll mit herrlichem Klebelehm zur Hauptstraße und begannen, Kugeln daraus zu formen. Nach kurzer Zeit hatten sich auf der kleinen Mauer neben der Einfahrt zu unserer Siedlung eine Menge Kugeln angehäuft. Danach begannen wir, die Fahrbahn damit zu bestücken. Immer dicht an dicht eine Kugel neben der anderen.

Es war zwei Uhr und noch keine Eltern in Sicht.

Wir versteckten uns hinter der Mauer und warteten.

Die Sonne brannte und wir bekamen Angst, dass die Kugeln zu trocken sein würden.

Aber dann kam das erste Auto und – wusch! – fuhr es über die Kugeln.

Wolle und Baba rannten und schälten die Abdrücke von der Straße, bevor der nächste Wagen kam. Ein Lkw. Das war mal ein toller Riesenabdruck.

Birnbaum war in seinem Element. Er beschriftete die Abdrücke mit kleinen Schildchen.

„Roter Lkw, 14 Uhr, Gemüsetransporter“.

Wir waren so eifrig, dass wir nicht bemerkten, wie die Zeit verging. Eine Menge Abdrücke türmten sich bereits in unserem Museum. Plötzlich hielt ein Auto an. Wir erstarrten. Ein Mann stieg aus und drohte uns mit seiner Hand.

„Was soll denn das?! Wissen eure Eltern, was ihr hier macht? Wenn ich euch kriege, mein schönes neues Auto!“ Er eilte auf uns zu.

Wir rannten weg. Die Linde würde uns retten, dachten wir.

Dann kam das Schlimmste. Papas Auto hielt neben mir. Er stieg aus, stellte sich uns mit verschränkten Armen in den Weg und zog die Augenbrauen so hoch, dass ich dachte, sie würden im nächsten Moment von seiner Stirn wegfliegen.

„Wobei habe ich euch erwischt? Victoria Luise?“ Er hatte meinen vollen Namen genannt.

Mist, das bedeutete immer Ärger. Ich senkte den Kopf und erklärte ihm unser wichtiges Vorhaben mit dem Abdruckmuseum. Vater räusperte sich und ich sah, wie er ein Lächeln hinter seiner Hand verbarg. Würde ich etwa davonkommen? Er ging zu dem fremden Mann, der immer noch lamentierte, dass sein neues Auto beschmutzt war. Er redete auf ihn ein und der Mann nickte schließlich, setzte sich in sein Auto und fuhr davon.

Wir atmeten auf. Und dann kam das Unglück in Person von Herrn Gote.

Er hatte den Vorfall beobachtet und beschwerte sich bei meinem Vater über die heutige Jugend, und dass diese Kinder einfach zu wenig zu tun hätten und nur Unsinn fabrizierten.

Meinte er etwa auch mich damit? War ich auch die heutige Jugend? Wie meinte der denn das? Natürlich war ich die heutige Jugend, wie konnte ich denn die Jugend von früher sein?

Herr Gote war die Jugend von früher.

Als ich später mit meinem Vater darüber sprach, musste er schon wieder lächeln und versuchte, es vor mir zu verbergen. Ja, er meinte, sogar der olle Gote, er sagte natürlich nicht der olle, war irgendwann mal ein Kind wie ich gewesen. Das konnte ich nun wirklich nicht glauben. Papa versuchte, Herrn Gote zu beruhigen und tat es mit einem Lächeln ab. Aber das kam bei dem alten Griesgram ganz schlecht an und er lamentierte noch mehr.

Aber schließlich rief ihn Frau Gote, die wirklich nett war, und er musste nach Hause gehen, weil der Kaffee sonst kalt werden würde und Frau Gote meinte, sie würde nicht den halben Tag am Herd stehen, um den feinen Apfelkuchen dann wegzuwerfen. Oh, den Apfelkuchen kannte ich, der war wirklich gut.

Ja, und seitdem durften wir nicht mehr in der Ruine spielen. Uns blieb unsere Linde.

Dorthin lief ich nun eilig, da ich endlich einmal die Erste sein wollte und somit einen der angesagten Plätze auf dem hohen dicken Ast ergattern konnte. Von dort hatte man den besten Ausblick über die Dächer der Häuser und die angrenzenden Felder von Bauer Schmergold, das dunkle Waldstück dahinter und die Hochhäuser der Stadt. Atemlos bremste ich meinen Lauf. Vor meinem Kopf baumelten zwei dünne, bräunliche Beine im Wind. Langsam sah ich nach oben. Die Beine steckten in geringelten Strümpfen und blauen Turnschuhen und wehten mit den Blättern der Linde im Takt des Windes hin und her. Über einer ausgefransten, kurzen Jeans und einem bunten Ringelshirt erhob sich ein blasses, schmales Gesicht, das mich mit großen dunklen Augen interessiert musterte. Mit einer lässigen Bewegung schnippte sie ihre langen schwarzen Haare aus dem Gesicht, die wie ein glatter, feiner Vorhang herunterhingen.

„Na prima“, dachte ich, „noch eine mit diesen tollen glatten Haaren.“

„Der Sturm kommt bald zurück, weißt du? Er ruht sich nur ein bisschen aus dahinten in dem Haus Nummer 10, frühstückt eine Handvoll Sturmflakes, trinkt eine Tasse Plusterwolkenmilch, reckt und streckt sich und kommt dann zum Heulen und Pusten zurück. Ja, du wirst schon sehen“, sagte das Mädchen.

Mein Mund stand vor Überraschung zu lange offen. Eine neugierige Fliege wollte hinein und sich umsehen. Ich hustete ausgiebig.

„Wenn ich groß genug bin“, fuhr das Mädchen fort, „werde ich Sturmjäger. Das ist ein wichtiger Beruf, weil man die Leute immer früh genug warnen muss.“

Dieses erste Treffen mit Stormy blieb in meinem Gedächtnis haften wie ein alter Kaugummi unter der Schulbank.

Den Namen Stormy bekam sie von uns Kindern der Lindensiedlung, die nun nach und nach eintrudelten, um den Neuankömmling aus Nummer 9 zu begutachten.

„Wer ist denn das, Lui?“, fragte nun Bug neugierig. Wir sahen fragend zu Stormy hinauf.

„Ich wohne seit gestern in Nummer 9 mit meiner Mutter und meiner Tante. Der Sturm hat uns her geweht“, erzählte sie mit ernstem Gesicht.

„Wo ist Zuzu?“, fragte Dotti in die peinliche Stille ringsum.

„Wie immer zu spät“, meinte Birnbaum leise, wies mit dem Arm nach hinten zum Haus Nummer 8 und ließ dabei Stormy nicht aus den Augen.

Vor dem Haus stand Herr Twan, Zuzus Vater, und sammelte abgebrochene Äste vom Rasen.

Ab und zu schickte er einen bösen Blick zu der Linde und den Kindern darunter und murmelte chinesische Worte vor sich hin. Er mochte uns nicht und machte kein Hehl daraus.

Ich kletterte an Stormy vorbei in die Krone der Linde, vorbei an dem grünen Starkasten, den Wolle hier aufgehängt hatte. Sein Vater, der Tierarzt in der Stadt war, hatte ihn mit ihm zusammen gebaut. Natürlich war der olle Gote dagegen gewesen, weil die Stare ihm jedes Jahr den Kirschbaum leer fraßen. Wenn er wüsste, dass die meisten Kirschen in unseren Bäuchen landeten, wenn er nicht da war, würde er die Stare in Ruhe lassen. Ich glaube, die alte Frau Gote wusste es und sagte nichts. Sie war wirklich nett.

Stormy folgte mir und wir lächelten uns zu.