Strandfliederblüten - Gabriella Engelmann - E-Book
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Strandfliederblüten E-Book

Gabriella Engelmann

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Beschreibung

In ihrem neuen Urlaubs-Roman entführt Gabriella Engelmann ihre Leserinnen und Leser erneut an die Nordsee-Küste. Vor der atmosphärischen Kulisse einer Hallig, geprägt von Wellen, Sonne und Wind, lässt die Spiegel-Bestseller-Autorin ihre aus Hamburg stammende Heldin Juliane nicht nur ihr eigenes Leben neu definieren, sondern auch ein Familien-Geheimnis aufdecken und Wege finden, achtsam mit sich selbst und anderen umzugehen. Denn in Julianes Leben überstürzen sich gerade die Ereignisse. Neben einer großen Enttäuschung in Sachen Liebe und dem Verlust ihres Jobs erhält sie überraschend die Nachricht, dass ihre Großmutter Ada, mit der sie nie Kontakt hatte, ihr ein Haus samt zugehörigem Leuchtturm auf der Hallig Fliederoog hinterlassen hat. Einmal dort angekommen, ist Juliane wie verzaubert – von Adas liebevoll eingerichtetem Zuhause, das das ihre werden könnte, von den besonderen Menschen auf der Hallig, von der unvergleichlichen Natur der Nordsee-Küste und von den Ausblicken und Einsichten, die man nur auf einem Leuchtturm erleben kann und von denen Juliane schon als Kind träumte. Vor allem aber ist sie fasziniert von ihrer Großmutter selbst, die in Briefen, Büchern und in den Erinnerungen ihrer Freunde und Bekannten lebendig wird. Und die für eine Art zu leben stand, die Juliane zunächst ein wenig fremd ist, sie dann aber immer mehr begeistert und dazu animiert, ein achtsames Leben im Einklang mit sich und der Natur zu führen. "Gabriella Engelmann: Expertin für kluge Romanzen." Für Sie "Gabriella Engelmanns Romane sind Wohlfühl-Bücher für den Strandkorb, die das Herz erfreuen, aber den Verstand nicht beleidigen." Elmshorner Nachrichten

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Seitenzahl: 444

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Gabriella Engelmann

Strandfliederblüten

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

In ihrem neuen Wohlfühl-Roman entführt Gabriella Engelmann ihre Leserinnen und Leser erneut an die Nordsee-Küste. Vor der atmosphärischen Kulisse einer Hallig, geprägt von Wellen, Sonne und Wind, lässt die Spiegel-Bestseller-Autorin ihre aus Hamburg stammende Heldin Juliane nicht nur ihr eigenes Leben neu definieren, sondern auch ein Familien-Geheimnis aufdecken und Wege finden, achtsam mit sich selbst und anderen umzugehen.

 

Denn in Julianes Leben überstürzen sich gerade die Ereignisse. Neben einer großen Enttäuschung in Sachen Liebe und dem Verlust ihres Jobs erhält sie überraschend die Nachricht, dass ihre Großmutter Ada, mit der sie nie Kontakt hatte, ihr ein Haus samt zugehörigem Leuchtturm auf der Hallig Fliederoog hinterlassen hat. Einmal dort angekommen, ist Juliane wie verzaubert – von Adas liebevoll eingerichtetem Zuhause, das das ihre werden könnte, von den besonderen Menschen auf der Hallig, von der unvergleichlichen Natur und von den Ausblicken und Einsichten, die man nur auf einem Leuchtturm erleben kann und von denen Juliane schon als Kind träumte.

Inhaltsübersicht

MottoPrologTeil 11. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. KapitelTeil 223. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. KapitelEpilogNachwortDer Song zum Roman – Literatur trifft MusikDanksagungAchtsamkeits-TippsGabriellas Achtsamkeits-Tipps:Drei Tipps zur AchtsamkeitWas unterscheidet Achtsamkeit von Meditation – und was ist eine Achtsamkeits-Meditation?Quellenverzeichnis
[home]

Aber es war dennoch keine Zauberinsel,

sondern eine Hallig des alten Nordfrieslands,

das vor einem halben Jahrtausend von der

großen Flut in diese Inselbrocken zerrissen

wurde …

Theodor Storm

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Prolog

In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 braute sich bei Island ein gewaltiges Sturmtief zusammen, das von dort weiter in Richtung Deutschland zog.

Um dreiundzwanzig Uhr wurde in Husum Katastrophenalarm ausgelöst, dann brach über die Nordseeküste eine der schwersten Sturmfluten der Geschichte herein.

Die Bewohner der Halligen versuchten sich in jener Nacht vor der spritzenden Gischt auf die Dachböden ihrer Häuser auf den Warften zu flüchten. Deiche in Pellworm und Nordstrand erlitten schwere Schäden. In Eiderstedt wurden der Uelvesbüller Koog sowie der Norderfriedrichsommerkoog überflutet. Die Insel Sylt drohte von den schwarz schäumenden Wassermassen verschlungen zu werden.

Tausende Helfer waren fieberhaft damit beschäftigt, Deiche zu reparieren, zu sichern und Menschenleben zu retten.

Unter ihnen war eine Frau, deren Schicksal in diesen Stunden eine ganz besondere Wendung nahm.

Auf den Halligen sagt man: De Blanke Hans – he givt un nimmt!

Auch die Frau hoffte in Stunden tiefster Angst und Verzweiflung darauf, dass ihr Leben und das ihrer Lieben nicht in Gefahr war. Wenn sie diese Katastrophe überlebten, so schwor sie sich, dann würde sie alles Erdenkliche dafür tun, um sich für das kostbarste aller Geschenke, das Leben, zu bedanken. Und ihrerseits der Welt etwas zu schenken, das nur sie zu geben vermochte.

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Teil 1

Allein durch ein Leben voller Achtsamkeit, Mitgefühl und Verständnis kann die Welt zu einem besseren Ort gemacht werden. Alle Lebewesen sind miteinander verbunden; beginnt eines sein Leben zu ändern, wird es auch auf andere übergreifen und so für mehr Freude und Frieden auf der Welt sorgen.

1. Kapitel

Da hast du dir ja einen tollen Tag für unsere gemeinsame Mittagspause ausgesucht, Sis. Wolken, Wolken, nichts als Wolken. Und typischer Hamburger Nieselregen.«

Mein Halbbruder Felix deutete mit gespielt anklagender Geste auf den vor uns liegenden Hafen, der heute alles andere als einladend wirkte. Ich bedauerte die vielen Touristen, die unsere wunderschöne Stadt an einem nasskalten Märztag wie diesem kennenlernten, und hoffte sehr, dass ihnen auch ein paar sonnige Momente vergönnt sein würden.

»Unk hier nicht rum, sondern lass uns lieber auf die Cap San Diego zum Essen«, entgegnete ich und zupfte Felix am Ärmel seines blau-weiß gestreiften Kapuzenpullovers. »Wieso bist du eigentlich so dünn angezogen? Schaust du morgens nicht auf deine Wetter-App?«

Felix zog die Kapuze des Hoodies so tief ins Gesicht, dass man nur noch seine blauen Augen sowie einige seiner rotblonden Locken hervorblitzen sah. Und natürlich die Nasenspitze mit den frechen Sommersprossen.

»Nö. Ich gucke aus dem Fenster, und der Rest ergibt sich dann von selbst«, antwortete er und hakte sich bei mir unter. »Ist ja nicht jeder so ein Kontrollfreak wie du, Schwesterherz.«

Arm in Arm gingen wir über die Holzbrücke hinunter zu dem Museumsfrachter, der an einem Ponton an der Elbe festgemacht war. Das altehrwürdige Schiff war sowohl ein Museum als auch eine beliebte Location für Veranstaltungen. Unser Verlag, der sich gegenüber am Baumwall befand, führte regelmäßig Events auf dem urigen Frachter durch.

»Sekunde, das ist ein super Bildmotiv!«, sagte Felix und blieb abrupt stehen, um mit seiner Spiegelreflexkamera durch die Balkenverstrebungen der überdachten Überseebrücke Fotos zu machen. Aus diesem Blickwinkel hatte man eine fantastische Aussicht auf die Elbphilharmonie, das knallrote Feuerschiff, die Barkassen der Hafenrundfahrt-Flotte und sogar den Mississippi-Dampfer, der Touristen und Hamburg-Liebhaber gemächlich über die Elbe schipperte.

Ich tat es meinem kleinen Bruder gleich und knipste mit dem Smartphone ein Foto für den Instagram-Account, mit dem ich zusätzlich Werbung für unser Magazin Herself machte. Meine Follower liebten Bilder vom Hamburger Hafen, die ich meist durch den geschickten Einsatz von Fotofiltern so aufhübschte, dass sie den Fans begeisterte »Ah!«- und »Will auch dahin«-Kommentare entlockten.

Felix schaute mir über die Schulter, während ich ausprobierte, welcher Filter das Bild so aussehen ließ, als scheine gerade die Sonne.

»Alles Lug und Trug in deiner Branche!« Er schnaubte empört. »Ich weiß echt nicht, wie du das aushältst. Wenn das mit diesen künstlich gepimpten Bildern so weitergeht, weiß bald niemand mehr, was ein echter Himmel ist. Außerdem: Was ist so schlimm daran, den Leuten zu zeigen, dass Hamburg bei Regen auch nicht anders aussieht als andere Städte?«

Ein wenig schuldbewusst zuckte ich zusammen, denn natürlich hatte mein Bruder recht.

»Komm, lass uns reingehen«, sagte ich und schob ihn durch die geöffnete Eisentür, durch die man zum Bord-Bistro gelangte. Normalerweise hatte man zu diesem Teil des Schiffes nur Zutritt, wenn man eine Eintrittskarte für das Museum kaufte. Als Stammgast und Mitarbeiterin von Herself hatte ich allerdings das angenehme Sonderrecht, auch ohne Ticket die Kombüse entern zu dürfen.

»Moin, Juliane, schön, dich zu sehen«, begrüßte Wirt Kalle mich mit einem breiten Lächeln. »Ach, und wen ham wer denn da? Der lütte Bruder is’ heute auch mit von der Partie.«

Der lütte Bruder, tatsächlich schon achtundzwanzig und einen Meter fünfundachtzig groß, ließ sich die Bemerkung grinsend gefallen und steuerte zielsicher auf die Rechauds am Tresen zu, aus denen es appetitlich duftete.

»Mhmmm«, schwärmte Felix und öffnete den Deckel des Wärmebehälters. »Grünkohl, wie lecker.«

Ich stellte mich neben ihn und studierte das Angebot der Tageskarte, die an der Wand hing. Nicht nur, dass man in diesem Bistro gut und günstig essen konnte; dank Kalle herrschte auch eine warmherzige Atmosphäre, und man hatte durch die Bullaugen einen tollen Blick auf den Hafen. Wann immer mich die Sehnsucht nach der Nordsee überkam und mir ein bisschen Zeit blieb, kam ich hierher. Und sei es nur, um einen Kaffee zu trinken, die Hafenatmosphäre zu genießen und mich auf eine der Nordfriesischen Inseln zu träumen.

Nachdem wir beide die Speisekarte überflogen hatten, bestellte ich zweimal Grünkohl mit karamellisierten Kartoffeln. Das Kasseler sowie die würzige Kochwurst, die für dieses norddeutsche Gericht typisch waren, ließen wir beide weg.

»Wenn du das verputzt hast, kannst du aber nicht mehr arbeiten und deinen Leserinnen ein X für ein U vormachen«, frotzelte Felix, als Kalle wenig später zwei dampfende Teller vor uns auf den rustikalen Holztisch stellte.

»Nicht, wenn ich alles aufesse, das stimmt. Dann bin ich nämlich viel zu satt, um klar zu denken. Und ich schaffe auch den Rückweg in die Redaktion nicht mehr«, sagte ich zwinkernd. »Also, was ist los? Wieso bist du heute so kiebig? Ich weiß ja, dass du meinen Beruf bescheuert findest, darüber brauchen wir also nicht weiter zu reden. Erzähl mal lieber, wie’s bei dir läuft. Wohnst du immer noch bei Tine im Karo-Viertel? Ich krieg momentan gar nichts mehr aus deinem Leben mit, weil du ständig auf Achse, dafür aber nie erreichbar bist.«

Felix verzog das hübsche, jungenhafte Gesicht zu einem schiefen Lächeln und nahm die Kapuze ab. »Ja, aber nicht mehr lange. Tine und ich … na ja, das soll irgendwie nicht sein …«

»Findet Tine? Oder du?«, hakte ich nach, weil ich die Sprunghaftigkeit meines Bruders kannte. Er konnte sich kaum vor Avancen retten, die Frauen standen Schlange bei ihm. Umgekehrt mochte Felix sich allerdings nicht so recht entscheiden beziehungsweise wollte er sich nicht festlegen.

»Findet Tinder«, antwortete er grinsend. Wie aufs Stichwort kündigte das Surren seines Handys den Eingang mehrerer Nachrichten an. »Tinder zeigt mir täglich so viele Matches an, dass ich gar nicht anders kann. Ich muss die Chancen, die sich mir bieten, einfach nutzen. Das verstehst du doch, Schwesterlein, oder?«

»Sich über mich beschweren, weil ich aus Werbegründen Fotos aufhübsche, aber sich selber bei einer Flirting-App rumtreiben, als gäb’s Gefühle und Liebe im Handy-Warenhaus zu kaufen. Und erzähl mir jetzt bitte nicht, dass diese Flirt-Profile alle der Wahrheit entsprechen«, entgegnete ich, halb amüsiert, halb ernst. »Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, wieso du so was nötig hast. Du bist charmant, siehst gut aus, hast Witz, bist intelligent … du brauchst doch nur eine an der Bar oder im Supermarkt anzuquatschen, und schon ist sie in dich verknallt.«

»Dann erfahre ich aber nichts von der Existenz der vielen anderen süßen Girls, die es noch so auf diesem Planeten gibt«, hielt Felix unschuldig lächelnd dagegen und machte sich mit gesundem Appetit über den Grünkohl her.

Draußen war es mittlerweile stockdunkel. Der Regen klatschte jetzt mit einer solchen Heftigkeit gegen die Scheiben der Bullaugen, als seien die Tropfen Hagelkörner.

Perfektes Wetter, um es sich in einer reetgedeckten Kate an der Nordsee gemütlich zu machen, ein gutes Buch zu lesen und einen Friesentee zu trinken, schoss es mir durch den Kopf. Oder mich mit Oliver zusammen einzukuscheln …

»Ich glaube ja, dass dir einfach noch nicht die Richtige über den Weg gelaufen ist. Aber das kommt schon noch, du wirst sehen. Bei mir hat’s schließlich auch geklappt, obwohl ich gar nicht mehr daran geglaubt habe«, sagte ich zwischen zwei Bissen. »Und wie läuft’s mit den Jobs?«

Auch in Sachen Beruf konnte und wollte mein kleiner Bruder sich nicht entscheiden. Nach einem guten Abitur, einer mit Bravour absolvierten Tischlerlehre und einem abgebrochenen Architekturstudium hielt er sich mit Gelegenheitsaufträgen über Wasser, weshalb seine Finanzsituation einem schwankenden Schiff glich. Sehr zum Leidwesen meiner Mutter, die sich stets Gedanken um uns beide machte.

»Momentan ganz okay«, antwortete Felix, trank einen Schluck Bier, das er sich zum Grünkohl bestellt hatte, und leckte sich genüsslich den Schaum von der Oberlippe. »Ich erledige gerade ein paar Sachen für einen befreundeten Architekten. Da ist aber, wie immer, noch Luft nach oben. Das nächste WG-Zimmer darf auf keinen Fall viel kosten. Es sei denn, ich habe bald meinen Durchbruch als Fotograf oder Künstler. Schau mal, was ich in den letzten Wochen so gewerkelt habe.«

Beeindruckt betrachtete ich die Skulpturen, die Felix mir auf dem Smartphone zeigte, während wir Espresso tranken, und wünschte meinem Bruder inständig, dass er es eines Tages schaffte, mit dieser kunstvollen Arbeit Geld zu verdienen. Ich half ihm natürlich immer gern aus, weil ich ihn liebte. Zudem wusste ich aus eigener Erfahrung, wie es war, knapp bei Kasse zu sein und sich Sorgen um die eigene Existenz machen zu müssen. Aber ich wünschte mir auch, dass er endlich etwas fand, was ihm dauerhaft Spaß machte und ihn erfüllte.

»Hast du schon mal versucht, die Skulpturen in einer Galerie unterzubringen?«, wollte ich wissen. »Die würden ganz gut zum Sortiment der HamburGGalerie am Rödingsmarkt passen. Wenn du magst, können wir gleich mal kurz vorbeischauen. Mein nächstes Meeting beginnt erst um drei, also haben wir noch einen Augenblick Zeit.«

»Hast du Angst, dass ich bald auf dem Trockenen sitze, wenn du mir nicht hilfst?«, fragte Felix und rieb sich das rechte Ohrläppchen. Diese Geste war seit seiner Kindheit ein untrügliches Zeichen dafür, dass mein sonst so optimistischer und fröhlicher Bruder gerade nicht weiterwusste, auch wenn er lautstark das Gegenteil behauptete.

»Du weißt, du kannst gern bei mir unterschlüpfen, aber zurzeit würde es einfach nicht so gut passen …«

»… weil es Oliver in deinem Leben gibt«, vollendete Felix meinen Satz. »Oliver, dein Traumprinz. Der Mann, auf den du dein Leben lang gewartet hast. Der Mann, der nur ein ödes, möbliertes Luxuszimmer in der HafenCity hat und deshalb ständig bei dir abhängt.«

»Sag mal, was ist denn mit dir auf einmal los? Ist dir das Bier zu Kopf gestiegen?«, fragte ich, irritiert von seinem plötzlichen Stimmungswechsel und dem ironischen Unterton. Mein neuer Freund und Felix hatten zwar wirklich keinen besonders guten Start miteinander gehabt. Doch ich war trotzdem nicht bereit, mir einreden zu lassen, dass Oliver ein eitler Schnösel war, der nicht zu mir passte.

»Sorry, Sis, das war gemein. Und vollkommen unnötig«, gab Felix kleinmütig zu und setzte dann seinen Welpenblick auf, mit dem er mich fast jedes Mal herumbekam – dieser Mitleid heischende Augenaufschlag, der auch wütende Freundinnen und Ex-Freundinnen, One-Night-Stands und Kurzzeitaffären jedes Mal dahinschmelzen ließ wie Schokoladeneis in der Sonne. »Wir können ja in den nächsten Tagen abends mal zusammen essen gehen oder in eine Bar. Vielleicht stelle ich dann ja fest, dass ich mich geirrt habe und Oliver in Wahrheit der Einzige ist, den ich dich bedenkenlos heiraten lassen würde. Was übrigens auch mal Zeit wird, Julchen, schließlich bist du schon neununddreißig. Und Mama wünscht sich Enkel.«

»So, Schluss, aus mit diesem nervigen Thema!«, erwiderte ich und gab Felix einen Nasenstüber, denn über dieses Thema wollte ich noch weniger reden als über die Antipathie, die mein Bruder gegen Oliver hegte. Stattdessen freute ich mich über sein Angebot, Oliver besser kennenlernen zu wollen. Normalerweise hielt mein Bruder nämlich nichts davon, das Bild, das er sich einmal von jemandem gemacht hatte, zu revidieren, da er der Meinung war, er hätte eine gute Intuition. »Und was Oliver betrifft, gib ihm eine zweite Chance, anstatt ihn klischeehaft vorzuverurteilen. Nicht jeder, der in der HafenCity wohnt, ist automatisch ein egoistischer Karrierist.«

 

Als wir das Deck der Cap San Diego verließen, wirkte das Bild des Hamburger Hafens wie neu gemalt: Die Sonne schien und schickte ihre hellen Strahlen über das Hafenbecken. Die Farben der Schiffe und Barkassen, die zuvor verwaschen gewirkt hatten, erstrahlten in frischem Glanz. Selbst Felix’ Sommersprossen schienen fröhlich auf seiner Nase auf und ab zu tanzen. Aus meiner Sicht ein tolles Zeichen und ein gutes Omen für einen wunderbaren Frühling.

Und einen Sommer am Meer.

Zusammen mit Oliver, meinem Traummann.

2. Kapitel

Essen gehen oder was vom Lieferservice?

Versonnen schaute ich auf die WhatsApp-Nachricht, die Oliver mir eben geschickt hatte. Seit fast sechs Monaten sahen wir uns beinahe täglich, bis auf die Wochenenden.

… oder lieber gleich zum Dessert übergehen?

Verlegen löschte ich die zweite Nachricht, die gerade hereinkam, obwohl das blanker Unsinn war. Schließlich saß ich allein im Büro, und keiner konnte meine Nachrichten lesen.

Ich antwortete: Lieferservice! Und Dessert, bis wir aufs Essen warten. Gib mir aber eine halbe Stunde Vorsprung, ja?

Diese Zeit brauchte ich daheim, um mich nach einem langen Bürotag frisch zu machen. Mein Blick wanderte über den Schreibtisch hinweg in Richtung Fenster, von dem aus man einen fantastischen Blick auf die Elbe hatte.

Noch zwei Monate arbeiten, dachte ich wohlig seufzend, dann würden Oliver und ich uns freinehmen und wegfahren. Zudem hatte er in wenigen Tagen seine Probezeit bestanden und würde aus dem möblierten Zimmer in eine richtige Wohnung umziehen, die er nach seinem Geschmack einrichten konnte.

Beseelt von der Vorfreude auf unseren ersten gemeinsamen Urlaub, gab ich die Stichworte Leuchtturm, Hotel und Dagebüll in die Suchmaske meines Computers ein und wurde sofort fündig. Meine beste Freundin Meggie hatte mir von einem Leuchtturm nahe der Dagebüller Mole erzählt, der zu einem Hotel umgebaut worden war. Der Blick auf die Website verhieß geschmackvolles, maritimes Ambiente – und Romantik pur.

Meggie und ihr Mann Harald hatten vor zehn Jahren nach ihrer Hochzeit ein verlängertes Wochenende in diesem schnuckeligen Hideaway verbracht und mir immer wieder davon vorgeschwärmt.

Während ich mich durch die vielen einladenden Fotos der Bildergalerie des Hotels klickte, kam mir eine Idee: Herself musste unbedingt einen Beitrag über Hotels mit besonderem Ambiente und Flair machen, das die Urlauber dazu inspirierte, ihre Wohnung – oder zumindest einen Raum – im Stil ihres Urlaubsdomizils umzustylen. Rasch tippte ich diverse Notizen in meinen Blackberry, den ich stets dabeihatte, um mir Ideen für mögliche neue Projekte zu notieren. Seit mittlerweile zwei Jahren war ich Leiterin des Ressorts Zuhause & Genießen und konnte mir nicht vorstellen, jemals etwas anderes zu tun, als für ein so tolles Magazin wie Herself zu arbeiten, obgleich ich mir manchmal wünschte, neben der Arbeit mehr Zeit für meine Freunde und Familie zu haben.

Tagaus, tagein Topleistungen zu bringen war manchmal sehr, sehr anstrengend, was ich nicht nur daran merkte, dass mein Herz ständig raste und ich nachts häufig unruhig schlief. Doch diesen Wermutstropfen nahm ich in Kauf, denn bis zur Erfüllung meines Traums war es ein langer, harter Weg gewesen. Nach dem Studium hatte ich mich eine Weile durch diverse Praktika, Volontariate und schlechtbezahlte Jobs gehangelt; immer knapp bei Kasse, immer den sorgenvollen Blicken meiner Mutter ausgesetzt, wenn ich ihr von meinem Arbeitsalltag erzählte. Umso mehr hatte ich mich gefreut, als ich schließlich die Rubrik Kochen und Gesundheit bei einem Frauenmagazin, später das Ressort Modern Living für eine Wohnzeitschrift betreuen konnte, bis diese – wie so viele Zeitschriften in den letzten Jahren – mangels Erfolg eingestellt wurde.

Nach einem Jahr Arbeitslosigkeit, in dem ich mich mit dem Schreiben von Artikeln über Wasser gehalten hatte, bekam ich die Chance, mich auf die Stelle der Ressortleitung zu bewerben, und konnte – genau wie meine Mutter – mein Glück kaum fassen, als dieser Wunsch Wirklichkeit wurde.

»Ich geh jetzt los. Kommst du mit zum Yoga?«

Verwirrt schaute ich auf die Uhr; es war zehn vor sechs.

Dann erst erblickte ich meine Kollegin Vivien, die ich gar nicht hatte hereinkommen hören. »Ups! Yoga! Sorry, das habe ich total vergessen. Turn bitte den Sonnengruß für mich mit. Und beim nächsten Mal komme ich mit, versprochen!«

Vivien reagierte zum Glück völlig entspannt. »Kein Ding, ich kenn dich doch. Aber gerade in stressigen Phasen solltest du wirklich was machen, das dich runterholt. Es gibt bei uns jetzt übrigens auch Yogalates, Yoga Nidra und Gong-Meditation. Soll ich dir morgen mal den Kursplan mitbringen?«

»Danke, sehr gern.« Ich unterdrückte ein Seufzen. Nicht nur meine Freunde und Familie kamen zu kurz, auch für Sport und Hobbys blieb neben der Arbeit kaum noch Zeit. »Und ich weiß ja, wie wichtig das wäre. Allein schon, weil man von Yoga und Pilates so tolle Oberarme wie du bekommt«, sagte ich und schaute auf Viviens ärmelloses Etuikleid mit einem Hauch von Strickjacke darüber, durch die man ihre beneidenswert gut definierten Arme sah. »Aber jetzt erklär bitte noch mal kurz, was Gong-Meditation ist.«

Vivien zeigte beim Lächeln ihre makellos weißen Zähne. »Komm doch am Samstag einfach mit in die Kaifu-Lodge, und schau’s dir selbst an. Ich verrate nur so viel: Das ist der Hammer! Unfassbar, wie viele Emotionen diese Meditation in einem freisetzt. Und wie ruhig du dabei wirst. Danach fühlst du dich wie neugeboren.«

»Also ich weiß nicht, ob das was für mich ist«, murmelte ich, in Gedanken bei den vielen Versuchen dieser Art, an denen ich stets gescheitert war. »Für Meditation bin ich einfach viel zu hibbelig. Gong hin oder her – ich denke dabei doch nur ständig darüber nach, was ich noch einkaufen oder für die nächste Konferenz erledigen muss …«

Vivien grinste und drehte sich zur Tür, als sich ein Gedanke in meinen Kopf schlich – und wie jedes Mal löste er ein leises Ziehen in meinem Magen aus, das von Woche zu Woche stärker wurde. Oliver würde am Wochenende wieder in Frankfurt sein, um sich um seine Mutter zu kümmern, die seit längerem krank war und allein lebte. Beim Gedanken daran, einmal mehr allein mit meinen Gedanken an Arbeit und Beziehungsproblemen zu sein, entschied ich mich spontan um. »Ach, was soll’s. Ich komme mit! Schließlich schadet es ja nicht, mal was Neues kennenzulernen. Muss ich mich dazu irgendwo anmelden?«

Vivien schüttelte den Kopf. »Nein, das erledige ich schon. Ich sag den Leuten vom Kaifu einfach, dass wir einen Beitrag über neue Entspannungsmethoden planen, dann geht das auch so klar. So, jetzt muss ich aber wirklich los, sonst verpasse ich die U-Bahn. Tschüss, bis morgen.«

Ich wünschte Vivien einen schönen Abend und checkte meinen Kalender für den kommenden Tag. Randvoll mit Terminen. Und ohne Zeit, zwischendrin mal Luft zu holen. Dann kam eine weitere Nachricht von Oliver: Dessert, während wir auf das Essen warten, klingt toll!

Indisch oder Thai?

Ich antwortete Thai!, fuhr den PC herunter und warf dann einen Blick auf die weiße Orchidee, die am Fensterbrett stand und sich in der Scheibe spiegelte.

Versonnen schaute ich in den Abendhimmel, der dunkel und samtig-schwer über der Stadt hing, ein Anblick, den ich sehr liebte und von dem ich mich kaum lösen konnte. Doch ich musste mich beeilen, denn ich brauchte eine Weile, bis ich von der U-Bahn-Station Baumwall nach Ottensen kam, wo ich wohnte, seitdem ich bei Herself arbeitete.

»Bis nachher«, flüsterte ich, als ich ein paar Meter den Flur hinuntergegangen war und sah, dass die Tür von Olivers Büro einen Spaltbreit offen stand.

Dann ging ich, ohne eine Antwort abzuwarten, zur Treppe.

Im Verlag durfte keiner wissen, dass wir ein Paar waren.

Zum einen waren Beziehungen im selben Unternehmen nicht besonders gern gesehen. Zum anderen war Oliver noch in der Probezeit. Aber genau diese Heimlichtuerei machte unsere Liaison auch so prickelnd. Die verstohlen flirtenden Blicke, die wir uns zuweilen bei Besprechungen zuwarfen, die kleinen, scheinbar zufälligen Berührungen in der Kantine. Natürlich war ich auch schon vor Oliver verliebt gewesen, doch das Gefühl für ihn toppte alles, was ich bisher erlebt und je für einen Mann empfunden hatte.

 

»Oh, Sie sind ja heute mal richtig früh daheim, Frau Wiegand«, sagte die alte Frau Gehrckens, die ich kurz vor dem weißgetünchten Stadthaus traf, das aufgrund seiner Keilform »Ottenser Nase« genannt wurde. Neben der Eingangstür war ein Getränkemarkt untergebracht, darüber thronte der gusseiserne, weißlackierte Balkon, der zu meiner Wohnung im zweiten Stock gehörte.

»Tja, ich kann es selbst kaum glauben, dass ich mich mal pünktlich loseisen konnte«, antwortete ich und nahm Frau Gehrckens den Leinenbeutel mit den schweren Einkäufen ab.

»Sie arbeiten einfach zu viel, Kindchen«, sagte diese und tippelte neben mir her. »Deshalb sind Sie auch so blass um die Nase und haben Ränder unter den Augen. Machen Sie mal Urlaub oder treten Sie kürzer. Sie wollen doch gesund bleiben, nicht wahr?«

Mittlerweile waren wir im gekachelten Hausflur angekommen, und ich öffnete den Briefkasten, der rappelvoll war. Danach gingen wir gemeinsam die knarzende Holztreppe nach oben, und ich wartete, bis die alte Dame mitsamt den Einkäufen in ihrer Wohnung im ersten Stock verschwunden war. Als sich die Tür hinter ihr schloss, hörte ich sie »Hallo, meine Schöne, da bin ich wieder« sagen. Diese Begrüßung wurde von einem laut vernehmlichen Maunzen quittiert. Ich lächelte zufrieden.

Nach dem Tod ihres Mannes hatte ich meiner Nachbarin ein süßes Kätzchen geschenkt, das aus dem Wurf von Meggies Katze stammte. Seitdem fühlte sich die alte Dame nicht mehr so allein, und meine Freundin hatte ein Kätzchen weniger, um das sie sich – neben ihren lebhaften Zwillingstöchtern – kümmern musste.

In meiner Wohnung angekommen, warf ich den Stapel Briefe und Werbeflyer auf den Schreibtisch, streifte seufzend die Pumps mit den viel zu hohen Absätzen von den Füßen und ging ins Badezimmer, um zu duschen. Während das heiße Wasser meinen Körper wohlig wärmte, richtete ich den Massagestrahl gezielt auf den verspannten Nacken. Die Muskulatur war bretthart, und das wurde natürlich auch nicht besser, wenn ich mir bei meinem hohen Arbeitspensum kaum die Zeit nahm, Sport oder sonstige Entspannungsübungen zu machen. Doch so verspannt ich auch war, so sehr freute ich mich auf das Treffen mit Oliver.

Egal wie nervig oder stressig die Arbeitstage in der Redaktion auch manchmal waren, zu wissen, dass ich danach irgendwann in Olivers Armen liegen würde, machte so einiges wett.

Nach der Dusche cremte ich mich ausgiebig ein und sang lauthals den Klassiker I will always love you von Whitney Houston mit, der gerade im Radio lief und an Kitsch und Schmalz kaum zu überbieten war. Aber das war mir egal, denn ich war verliebt bis über beide Ohren, ein großartiges Gefühl. Nachdem die Lotion eingezogen war, schlüpfte ich in ein cremefarbenes Wäsche-Ensemble, das ich mir neulich gegönnt hatte. Kurz bevor Oliver klingelte, war ich fertig angezogen, hatte mein Make-up aufgefrischt und meine langen, karottenroten Locken zu einem Dutt aufgetürmt. Nun war das kleine herzförmige Muttermal am Hals oberhalb des Schlüsselbeins zu sehen. Dank des frisch aufgetragenen Concealers strahlten meine graugrünen Augen trotz Müdigkeit, wie ich mit einem kurzen Blick in den Spiegel zufrieden feststellte.

»Du siehst sensationell aus«, flüsterte Oliver, nachdem ich die Tür geöffnet hatte, und gab mir einen langen, heißen Kuss, der meine Knie weich werden ließ. Ich zog ihn in die Wohnung, und es dauerte keine zwei Sekunden, bis wir auf dem Sofa lagen und so heftig knutschten, dass wir beinahe vergaßen, das Essen zu bestellen. Doch daran erinnerte mich zum Glück der Signalton einer App, die ich mir extra für solche Fälle heruntergeladen hatte.

Ob wir in zwei Jahren immer noch so wild übereinander herfallen werden?, fragte ich mich, während ich telefonisch die Bestellung des thailändischen Essens durchgab und Oliver begann, meine Bluse aufzuknöpfen.

Mein Körper vibrierte vor Verlangen und Lust, ein wunderschönes Gefühl, von dem ich mir wünschte, dass es niemals endete.

 

Eine Stunde später lagen wir ineinander verkeilt zwischen den Laken meines Betts, gesättigt von Liebe und köstlichem Essen.

»Wo möchtest du eigentlich hinfahren, wenn wir freihaben?«, fragte ich und richtete mich auf, um an einem Glas Wasser zu nippen, das auf dem Nachttisch stand. »Allmählich müssen wir buchen, sonst bekommen wir nicht mehr das, was wir wollen.«

Oliver setzte sich ebenfalls auf und legte den Arm um meine nackten Schultern. »Irgendwohin, wo es warm ist«, antwortete er. »Ich kann dieses graue Hamburger Regenwetter nämlich kaum noch ertragen. Wie wäre es mit den Kanarischen Inseln? Oder Südspanien?«

Ich versuchte die Enttäuschung zu ignorieren, die Olivers Vorschlag in mir auslöste.

Natürlich war ich ebenfalls gerne im Süden und mochte es, im von der Sonne aufgeheizten Meer zu baden, doch eher im Sommer. Um diese Jahreszeit liebte ich nichts mehr, als warm eingepackt am breiten Strand von St. Peter-Ording entlangzulaufen und den Kite-Surfern zuzusehen. Auf Amrum über den feinen weißen Kniepsand zum Leuchtturm zu marschieren und dabei dem magischen Wechselspiel von Wolken, Sonne und Licht zuzusehen.

Auf Sylt am Keitumer Watt zu sein und die Austernfischer zu beobachten, fand ich ebenfalls toll. Genau wie am Strand von Utersum auf Föhr den Sonnenuntergang über den Nachbarinseln zu bestaunen – oder von Wyk den Blick auf die Halligen.

»Ich hätte mehr Lust, auf eine der Nordfriesischen Inseln zu fahren«, widersprach ich Olivers Vorschlag. »Wir könnten uns eine gemütliche Ferienwohnung mieten oder auch ein Zimmer in einem Wellness-Hotel.«

»Uah, da kriege ich ja allein schon beim Zuhören das Frieren«, sagte Oliver und klapperte demonstrativ mit den Zähnen. »Wollen wir das nicht im Sommer machen, wenn zumindest ein bisschen Aussicht auf sonniges Wetter an der Nordsee besteht? Außerdem würde ich dich lieber im Bikini unter Palmen sehen als in einer dicken Daunenjacke.«

So viel zum Thema Hotel im Leuchtturm.

Das brauchte ich Oliver dann wohl gar nicht erst vorzuschlagen.

»Okay, okay, überzeugt. Was hältst du von Lanzarote? Da kann man die tollen Bauten von César Manrique besichtigen und auf Kamelen reiten. Und warm ist es da auf alle Fälle.«

»Das klingt schon eher nach meinem Geschmack«, murmelte Oliver, dem die dunklen, zerzausten Locken ins Gesicht fielen, und küsste meine Halsbeuge. »Bevor wir buchen, sollten wir aber noch eine zweite Runde einlegen, findest du nicht?«

»Gute Idee«, flüsterte ich, stellte das Glas beiseite und ließ mich erneut von Oliver verführen.

3. Kapitel

Der Samstagmorgen schenkte Ottensen sein strahlendstes Lächeln – und die Einwohner des quirligen Stadtviertels erwiderten es, indem sie ihren Galaõ vor den Türen der Straßencafés tranken und bunte Frühlingsblumen kauften.

Doch so hübsch ich es in Ottensen auch fand, samstags fühlte ich mich stets ein wenig einsam, da Oliver immer schon freitags nach Frankfurt flog, um bei seiner Mutter sein zu können.

Diese Fürsorge empfand ich einerseits als rührend, hätte mir andererseits aber auch gewünscht, am Wochenende das mit Oliver tun zu können, was andere Paare auch taten: gemeinsam frühstücken, auf dem Markt einkaufen, Freunde einladen, ins Museum oder spazieren gehen. Ich hätte einfach gerne Pläne mit ihm geschmiedet, doch genau das gestaltete sich äußerst schwierig.

Die ganze Woche über hatte Oliver keine Zeit mehr gehabt, um mit mir die Reiseangebote für Lanzarote zu checken, weil es in der Redaktion drunter und drüber ging und wir auch abends Veranstaltungen hatten, die es kaum zuließen, dass wir uns trafen.

Ein wenig betrübt schlenderte ich durch die kleinen Straßen meines Viertels, vorbei an Klamottenläden, Cafés, Bars, Boutiquen, die Eso-Tand verkauften, bis hin zu den Zeise-Hallen in der Friedensallee, wo eines meiner liebsten Kinos war. Nachdem ich in der Filmhauskneipe einen starken Espresso getrunken hatte, ging ich einkaufen.

Während ich frisches Gemüse und Obst in meinen Einkaufswagen legte, ertappte ich mich bei dem Wunsch, mit Oliver zusammenzuleben.

Wer sagte denn, dass er aus seiner Wohnung in der HafenCity zwangsläufig in ein Single-Appartement umziehen musste? Schließlich waren wir schon ein halbes Jahr zusammen, beide schwer verliebt und verbrachten unsere knapp bemessene freie Zeit am liebsten gemeinsam. Vielleicht war unser Urlaub ja eine gute Gelegenheit, dieses Thema anzusprechen, auch wenn ich ihn lieber heute als morgen danach gefragt hätte. Allerdings wollte ich den Schritt in diese Richtung nicht selbst machen, sondern darauf warten, bis er diesen Wunsch von sich aus äußerte, damit ich sicher sein konnte, dass Oliver das auch wirklich wollte.

Nachdem ich alle Einkäufe erledigt hatte, unterzog ich das Zeitschriftenregal des Supermarkts einer genauen Betrachtung. Ich konnte nicht anders, ich musste immer checken, ob alle Magazine unseres Verlags – allen voran die Herself – auslagen. Außerdem beobachtete ich den Markt sehr genau und kaufte häufig Hefte der Konkurrenz. Seit einiger Zeit registrierte ich interessiert, dass die Palette an Mindstyle-Magazinen, die sich dem Thema Entschleunigung widmeten, mindestens so umfangreich war wie die der Do-it-yourself-Zeitschriften. Dafür waren viele andere Hefte vom Markt verschwunden. Die Online-Konkurrenz machte den Printmedien schwer zu schaffen. Nur diese Publikationen boomten in einer Größenordnung, die eines sonnenklar machten, nämlich dass gehetzte, gestresste Städter nach vielem lechzten, das ihnen im urbanen Alltag so sehr fehlte: Entspannung, ein schöner Garten, das wohlige Gefühl, etwas mit den eigenen Händen geschaffen zu haben, seelisches Gleichgewicht, innere Balance. Und über all diesen Sehnsüchten schwebte die eine, riesengroße – die nach immerwährendem Glück.

Um dies zu erreichen, suggerierten die Medien kauffreudigen Konsumenten, dass in ihrem Leben alles glattlaufen und sie glücklich und zufrieden bis ans Ende ihrer Tage leben konnten, wenn sie den bestimmten Schlüssel, den erfolgversprechenden Baustein auf dem Weg zum Glücklichsein fanden – Achtsamkeit! Es war beinahe bizarr, wie die Produktpalette, versehen mit diesem Schlagwort, förmlich explodierte. Es gab Kochbücher, Malbücher, Ratgeber, Zeitschriften, Übungshefte und Meditationsanleitungen. Jedes Getränk, jeder Brotaufstrich verkaufte sich ungleich besser, wenn dem Käufer das gute Gefühl vermittelt wurde, es ginge ihm sofort fantastisch, wenn er genau dieses Produkt aß oder trank.

Kopfschüttelnd kaufte ich ein Achtsamkeitsmalbuch, um es zu Hause auszuprobieren. Vielleicht hielt es ja, was es versprach, und brachte mein fortwährendes Gedankenkarussell zum Stillstand, das sich noch schneller drehte, seit das gemeinsame Glück mit Oliver zum Greifen nah schien. Aus irgendeinem Grund misstraute ich dem Ganzen tief in mir, auch wenn ich mir dies nur ungern eingestand und es eigentlich gar keinen Grund für dieses Misstrauen gab. Nur dieses Ziehen in der Magengegend, das immer häufiger auftrat – mittlerweile alles andere als leise –, zeigte mir, dass etwas nicht in Ordnung war.

Meggie hatte schon versucht, mir klarzumachen, dass es mir aufgrund meiner familiären Situation nicht leichtfiel, an die immerwährende Liebe zu glauben, da Torge, mein leiblicher Vater, den meine Mutter sehr geliebt hatte, kurz nach meiner Geburt bei einem Autounfall ums Leben gekommen war. Und auch mein Stiefvater Leo hatte uns verlassen, als Felix zehn Jahre alt wurde, weil er sich in eine jüngere Kollegin verliebt hatte.

Dies erklärte wahrscheinlich auch meine regelmäßigen Alpträume, in denen ich an der Wasserkante stand, Wellenberge sich vor mir auftürmten und mein Vater – den kennenzulernen mir nie vergönnt gewesen war – meine Hand losließ, während die größte Welle von allen direkt auf mich zurollte …

 

Nachdem ich die Einkäufe daheim verstaut hatte, legte ich mich auf mein breites Bett mit der flauschigen, hellgrauen Tagesdecke, um mir ein kleines Nickerchen zu gönnen.

Am späten Nachmittag wollte ich mit Vivien in die Kaifu-Lodge zur Gong-Meditation, anschließend war ich bei Meggie und ihrer Familie zum Abendessen eingeladen.

Nach dreißig Minuten gab ich mein Vorhaben jedoch entnervt auf, denn ich war mal wieder viel zu überdreht und nervös, um zu schlafen. Statt mich weiter von einer Seite auf die andere zu wälzen, schnappte ich mir einen Block Post-its und begann alles, was in den kommenden Tagen zu erledigen oder bedenken war, aufzuschreiben, um die Klebezettel anschließend in der Wohnung zu verteilen: Geburtstagsgeschenk für Mama besorgen (aber was?) kam an den Badezimmerspiegel, damit ich jedes Mal, wenn ich ins Bad ging, daran erinnert wurde, mir etwas Schönes für Hanne zu überlegen. Felix wollte ihr eine seiner neuen Skulpturen schenken sowie eine Collage aus Hamburg-Fotos, die er gerade auf Holz drucken ließ.

Kleidung von der Reinigung abholen pinnte ich an die Eingangstür, in der Hoffnung, meine Wohnung nächste Woche nicht noch einmal zu verlassen, ohne daran gedacht zu haben.

Das Post-it mit der Erinnerung Pflanzen und Blumen in der Gärtnerei besorgen befestigte ich an der Balkontür.

Ich freute mich jetzt schon darauf, gemeinsam mit Meggie in die Vierlande zu fahren, wo ich traditionsgemäß bei der Gärtnerei Bornhöft Schönes für den Balkon und den Gemeinschaftsgarten holte, den ich mir mit Frau Gehrckens teilte. Anfang Juli starteten wir dann ein zweites Mal in diese traumhafte Region Hamburgs, um im Rahmen der Vierländer Rosentage Rosenstöcke auf einem Rosenhof zu kaufen und anschließend einen Kaffee in der Riepenburger Mühle zu trinken. Meggie verfiel auf dem Rosenhof jedes Mal in Kaufrausch und Ekstase, war sie doch ein kleines bisschen in den smarten Besitzer Stefan Heitmann verschossen. Dieser war allerdings mit einer sympathischen Frau namens Aurelia liiert, die sich auf Aromatherapie spezialisiert hatte. Und Meggie war glücklich verheiratet.

Im vergangenen Jahr hatten wir in der Herself einen Beitrag über Aurelia Förster und ihre selbstgemachten Duftöle gebracht, die vielen Menschen halfen, gesundheitliche und seelische Beschwerden zu mildern oder vollkommen zu heilen. Dass die Aromatherapeutin mit ihren beiden Töchtern auf einem malerischen Hausboot im Moorfleeter Jachthafen wohnte, hatte unsere Leserschaft so sehr verzückt, dass Aurelia sich inzwischen kaum mehr vor Anfragen retten konnte, was mich sehr für sie freute.

Ideen für gut verkäufliche Beiträge finden, damit Herself nicht weiter in Schieflage gerät!

Diese letzte Notiz hätte ich im Prinzip in der ganzen Wohnung verteilen können.

Wenn ich ehrlich mit mir war, hatte ich tief in meinem Inneren Sorge, dass mein Arbeitsplatz – wieder einmal – auf wackligen Beinen stand. In den vergangenen Jahren war die Auflage kontinuierlich gesunken, egal, wie sehr sich das Team angestrengt hatte.

Je länger ich meinen trüben Gedanken nachhing, umso schmerzhafter wurde mir Olivers Abwesenheit bewusst.

Sollte ich nicht doch auf ihn zugehen und ihn auf unsere gemeinsame Zukunft ansprechen?

Da ich trotz intensiven Grübelns zu keinem Ergebnis kam, packte ich schließlich meine Sporttasche und machte mich auf den Weg zur Kaifu-Lodge.

 

»Und? Wie war diese … wie hieß das noch? Klangschalen-Meditation?«, fragte Meggie, nachdem ich Punkt zwanzig Uhr an der Tür geklingelt hatte.

»Juhu, Tante Jule ist da!«, rief die fünfjährige Lotta begeistert, bevor ich antworten konnte. Dann sprang sie mir mit einem Satz auf die Hüfte, während ich noch im Türrahmen stand und von der Wucht des Sprungs beinah in die Knie gegangen wäre.

»Tante Jule ist da!«, echote Lottas Zwillingsschwester Pippa und umklammerte mein Bein, wie sie es früher als Kleinkind getan hatte.

»Nun lasst doch die arme Juliane erst mal in Ruhe reinkommen«, schimpfte Meggies Mann Harald und packte Pippa liebevoll am Schlafittchen. »Seht ihr nicht, wie blass sie ist? Und wie dünn? Die braucht gleich mal ordentlich was auf die Rippen!«

Blass?! Dünn?!

Verwirrt setzte ich Lotta ab und bemerkte dann schmunzelnd, dass die Zwillinge heute zwar mit einheitlichen Latzhosen ausstaffiert waren, aber in unterschiedlichen Farben: die etwas mädchenhaftere Pippa in einem hellen Fliederton, die rabaukigere Lotta in Froschgrün. Darunter trugen die beiden geringelte Shirts. Nachdem Harald mir den Mantel und die Blumen abgenommen hatte, die ich als Gastgeschenk für Meggie mitgebracht hatte, folgte ich ihm ins große Esszimmer der gemütlichen, aber leicht chaotischen Altbauwohnung. Überall lagen Stapel von Büchern und Zeitungen herum, dazwischen türmten sich Meggies bunte Wollknäuel, gespickt mit Stricknadeln, während sich das Spielzeug der Mädchen quer über den ganzen Raum verteilte.

»Wie du siehst, haben wir es noch nicht geschafft, den Tisch zu decken. Außerdem sollten die Mädchen längst im Bett liegen«, erklärte Meggie entschuldigend, während Harald die Teller auf Tischsets aus buntem Bast verteilte. »Aber sie wollten dich unbedingt noch sehen, weil du so lange nicht mehr hier warst. Gegessen haben sie aber schon, weil es sonst zu spät wird. Außerdem mögen sie eh keine Muscheln.«

»Was haltet ihr davon, wenn ich den beiden noch schnell was vorlese?«, fragte ich, woraufhin Lotta und Pippa kollektives Jubelgeschrei ausstießen.

»Gute Idee«, sagte Harald grinsend. »Dann bringe ich hier inzwischen alles auf Vordermann und versuche dich in einer halben Stunde wieder loszueisen. Viel Spaß euch dreien.«

Während Meggie in die Küche verschwand, aus der ein köstlicher Duft nach frischen Kräutern, Knoblauch und Meer strömte, folgte ich den Zwillingen in das Zimmer, das sie sich teilten. Bevor ich mit dem Vorlesen begann, mussten die beiden noch ihre Pyjamas anziehen und sich die Zähne putzen, was sie erstaunlicherweise ohne großen Protest taten.

»Nach oben?«, fragte ich wenig später mit Blick auf das Stockbett, das Lotta und Pippa sich so sehr gewünscht und letztes Jahr zu Weihnachten endlich bekommen hatten.

Ich kraxelte Pippa auf der Leiter hinterher nach oben, während Lotta unten in der Buchkiste nach etwas zu lesen kramte. Kurz darauf schlüpfte sie, gekleidet in ihren blauen Frottee-Schlafanzug, zu Pippa und mir unter die Decke und drückte ihre eiskalten Fußsohlen gegen meine Waden.

»Hier!«, sagte Lotta energisch und gab mir ein weinrotes Buch mit comicartigen Illustrationen. Auf dem Cover war ein Mädchen mit frecher Frisur, geringeltem Shirt und eine Heerschar weißer Hasen zu sehen. Das Buch hieß Lotta-Leben. Alles voller Kaninchen. Das Titelbild und der Rückseitentext machten sofort gute Laune, genau wie die vor Vorfreude giggelnden Zwillinge. Nicht zum ersten Mal wünschte ich mir in Momenten wie diesen, endlich eigene Kinder, eine eigene Familie zu haben.

Doch bis dieser Traum sich erfüllte, war es vermutlich noch ein langer Weg.

4. Kapitel

Als ich Oliver am Montagmorgen über den Verlagsflur hasten sah, hätte ich ihm am liebsten hinterhergeschrien, so viele Emotionen hatten sich übers Wochenende in mir aufgestaut: »Ich habe es satt, das Leben einer Karriere-Singlefrau zu leben, obwohl ich einen Freund habe. Lass uns endlich Nägel mit Köpfen machen und zusammenziehen. Und hol deine Mutter von Frankfurt nach Hamburg, sonst werden wir nie mehr als nur einen Tag miteinander verbringen können!«

Das Einzige, was mich davon abhielt, ihm in sein Büro zu folgen und eine Szene zu machen, war mein Entschluss, beim heutigen Abendessen über unsere gemeinsame Zukunft zu sprechen. Ich hatte keine Lust mehr, darauf zu warten, bis er den ersten Schritt machte. Ich war es gewohnt, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, warum sollte ich also gerade in Liebesdingen anders handeln?

»Na? Hast du die Gong-Meditation gut verkraftet?«, fragte Vivien und stellte Kaffee und Franzbrötchen für uns beide auf den Schreibtisch, wie sie es netterweise jeden Morgen tat, sobald ich ins Büro gekommen war. Dieser Kolleginnen-Plausch war stets ein wunderbarer Start in den Tag, auch wenn wir nur kurz Zeit dafür hatten. »Ich finde, du siehst ein bisschen abgespannt aus. Du wirst doch nicht etwa krank?«

Wie aufs Stichwort musste ich niesen und dachte mit Schaudern daran, dass Harald erkältet gewesen war. Den Abend über hatte er zwei Packungen Taschentücher verbraucht und immer wieder »Ich habe mich bestimmt bei den Kunden angesteckt« gemurmelt. Gefolgt von: »Dass die sich aber auch immer krank in die Buchhandlung schleppen müssen«, was ihm tröstende Küsse von Meggie eingebracht und mir einen kleinen Stich versetzt hatte. Ich beneidete die beiden um ihre selbstverständliche Beziehung.

»Nein, nein, werde ich nicht«, antwortete ich, mehr um mich selbst zu beruhigen. »Mir hat die Gong-Meditation gefallen, auch wenn ich streckenweise nicht ganz bei der Sache war.«

Ich wusste nur zu genau, dass meine Blässe daran lag, dass an diesem Wochenende irgendetwas mit mir geschehen war.

Ein Wochenende zu viel allein.

Ein Wochenende zu viel, an dem mir klarwurde, dass immer noch niemand von unserer Beziehung wusste, außer Felix, Meggie und meiner Mutter. Umgekehrt hatte Oliver niemals angeboten, mich mal mit nach Frankfurt zu nehmen und seiner Mutter vorzustellen. Mir zu zeigen, wo und wie er so lebte.

Ich hätte gerne seine Freunde kennengelernt, mehr über sein früheres Leben, seine Familie erfahren.

Und ich hätte gern gewusst, ob Oliver überhaupt bereit war, eine so feste Bindung einzugehen, die nötig war, um irgendwann einmal eine Familie zu gründen.

Obwohl mein Kopf mir dazu riet, cool abzuwarten und den Dingen ihren natürlichen Lauf zu lassen, signalisierte mein Bauch gerade das komplette Gegenteil: Er schäumte und blubberte, als würden darin all die Empfindungen, die ich mir bislang nicht eingestanden hatte, herumgeschleudert werden wie in der Trommel einer Waschmaschine.

Ich kannte dieses schäumende Blubbern aus Kindertagen. Meine Mutter hatte mich stets dazu ermahnt, lieb und brav zu sein, niemandem auf die Nerven zu gehen und mich in allem so zu verhalten, dass man mich mochte.

Das war eine ganze Weile gutgegangen, bis dieser Schaum in meinem Bauch mehr und mehr wurde, schließlich überquoll und sich in Form von verbalen Wutanfällen – oder, als ich klein war, Sich-auf-dem-Boden-Herumwälzen – über meine überraschte Umwelt ergoss.

Und obwohl ich es anders geplant hatte, wusste ich, dass ich nicht eine Sekunde länger warten konnte.

Ich würde Oliver fragen, wie es um uns stand.

Hier und jetzt. Egal, ob es ihm gerade passte.

Also marschierte ich los, ein nervöses Dröhnen im Kopf, das schäumende Blubbern in meinem Bauch.

Als Oliver nicht auf mein Klopfen reagierte, öffnete ich die Tür und sah, dass sein Büro leer war.

Mist!

Wo steckte er nur?

Ich warf einen Blick auf seinen Terminkalender, in dem für diese Uhrzeit ein Meeting stand.

Verdammt! Wieso ausgerechnet jetzt?

Ich würde zweifellos irre werden, wenn ich nicht bald mit ihm sprechen konnte. Um ihm eine kurze Notiz zu schreiben, suchte ich nach einem Kugelschreiber, fand jedoch keinen. Offensichtlich lief bei Oliver so gut wie alles über den PC und das Handy. Also öffnete ich die Schublade seines Schreibtisches und fand zuoberst einen dicken Umschlag, adressiert an Katharina und Oliver Mohn. Verwirrt nahm ich das geöffnete Kuvert heraus und drehte es um.

Der Absender war ein bekanntes Kreuzfahrtunternehmen, und obwohl ich so etwas normalerweise nie getan hätte, warf ich in diesem Augenblick den Respekt vor Olivers Privatsphäre über Bord und zog den Packen Papier aus dem Umschlag.

Mit zitternden Fingern und trommelndem Herzschlag blätterte ich durch die Unterlagen. Meine Augen blieben an den Worten Buchungsbestätigung und Luxusjacht hängen, dann an dem Schreiben, laut dem Katharina und Oliver Mohn auf eine Kreuzfahrt in die Karibik gehen würden, und zwar für drei Wochen.

Mir wurde heiß, kalt und ein bisschen übel. Der Boden schwankte unter meinen Füßen.

Wer zum Teufel war Katharina?

Olivers Mutter hieß Susanne und war aufgrund ihrer Krankheit ganz bestimmt nicht in der Lage, zu verreisen.

Hatte Oliver eine Schwester, von der ich nichts wusste?

Eine Cousine?

Doch wie ich es auch drehte und wendete, hier stimmte etwas nicht. Zum einen würde Oliver unter Garantie nicht so kurz nach der Probezeit ganze drei Wochen Urlaub bekommen. Zum anderen hatten wir geplant, in dieser Zeit wegzufahren.

Der leugnende Teil in mir suchte verzweifelt nach einer plausiblen Erklärung: Oliver hatte diese Reise gebucht, bevor er mich getroffen hatte, und wollte sie nun stornieren.

Die Fahrt sollte eine Überraschung für mich sein.

Er hatte aber anstelle meines Namens den seiner Schwester oder Cousine eingesetzt.

Aber egal, welche Erklärung ich auch fand, keine ergab Sinn. Schwindel erfasste mich, und ich hatte Panik, umzukippen.

»Was machst du da?«, fragte Oliver, der plötzlich vor mir stand und mich aus hellblauen Augen musterte. Zum ersten Mal erinnerten sie mich an Gletscherwasser. Kalt und abweisend.

Schuldbewusst zuckte ich zusammen, wie ein kleines Kind, das seine Weihnachtsgeschenke vor Heiligabend gefunden und ausgepackt hatte.

Unfähig, etwas zu sagen, streckte ich ihm die Buchungsunterlagen entgegen und setzte mich auf seinen Schreibtischstuhl, weil sich alles um mich herum drehte.

Oliver senkte den Kopf und flüsterte: »Ja, wir müssen reden. Aber nicht jetzt. Und nicht hier.«

Mein Schwindel verstärkte sich, und ich hatte das Gefühl, durchzudrehen, wenn ich nicht augenblicklich die Wahrheit erfuhr. »Ich muss aber wissen, was hier los ist«, erwiderte ich und versuchte den Wunsch, ihn anzubrüllen, unter Kontrolle zu bekommen. »Und ich werde damit auf gar keinen Fall bis heute Abend warten.«

»Okay, okay, das verstehe ich. Wollen wir einen Spaziergang am Hafen machen?«, schlug Oliver vor.

Obwohl ich befürchtete, nicht vom Stuhl hochzukommen und keinen Schritt vor den anderen setzen zu können, nickte ich.

 

Kurz darauf erfuhr ich, dass Oliver mich vom ersten Date an belogen hatte.

Er war verheiratet und nach Hamburg gekommen, um seiner Ehe, die gerade in einer Krise steckte, für eine Weile zu entfliehen.

»Bitte glaub mir, ich hatte nie vor, dich zu belügen, dir etwas vorzumachen oder dir weh zu tun«, erklärte Oliver mit flehender Stimme. »Ich wollte uns beiden einfach die Chance geben, unbelastet zu starten, um zu schauen, was sich zwischen uns entwickelt. Ich … Ich habe mich von der ersten Sekunde an in dich verliebt. Hätte ich dir gesagt, dass ich verheiratet bin, hättest du dich vermutlich noch nicht einmal auf einen Kaffee mit mir getroffen, habe ich recht?«

Seinem gequälten Blick nach zu urteilen, ging es ihm gerade ebenso mies wie mir.

Vollkommen überfordert von den Ereignissen, stand ich auf der Niederbaumbrücke, starrte auf die Elbe und umklammerte das Geländer in der Hoffnung, es könne mir Halt geben. Die Sonne tauchte den Hamburger Hafen in mildes, warmes Licht, wohingegen in mir tiefste Dunkelheit herrschte.

»Ist deine Mutter wirklich krank, oder bist du jedes Wochenende nach Frankfurt geflogen, um mit deiner …« Ich glaubte, an dem Wort Ehefrau ersticken zu müssen. »… um mit Katharina zusammen zu sein? Und lüg mich jetzt nicht an.«

Ich drehte den Kopf, um Oliver in die Augen zu schauen, doch er wandte den Blick ab und sah auf die Elbe hinaus. »Meine Mutter ist zum Glück kerngesund«, sagte er leise.

In diesem Augenblick sah ich Rot. »Wie bitte? Habe ich dich gerade richtig verstanden? Deine Mutter ist … kerngesund?!«

Oliver nickte, den Blick noch immer auf das träge dahinströmende Wasser gerichtet.

»Sieh mich verdammt noch mal an, wenn ich mit dir rede!«, zischte ich. Mein Tonfall zeigte Wirkung. Tatsächlich drehte er den Kopf zu mir. Er wirkte beschämt, sogar reumütig, doch das verlieh meiner Wut nur neuen Antrieb. »Du … du hast ihre Krankheit erfunden, um unentdeckt deinen Geheimniskrämereien nachgehen zu können?«

Keine Ahnung, was mich wütender machte: die Tatsache, dass er mir verschwiegen hatte, dass er verheiratet war, oder die Art seiner Ausrede. Schließlich hatten viele Menschen darunter zu leiden, dass ihre geliebten Eltern krank waren.

»Das ist ja so widerlich!«, presste ich hervor, während es in meinem Kopf unaufhörlich ratterte. Und plötzlich fügte sich ein Mosaiksteinchen ans nächste. »Deswegen hast du dich also nicht zur Buchung der Reise nach Lanzarote entschließen können, weil du dich inzwischen mit Katharina versöhnt hast und als krönenden Abschluss dieser Wiedervereinigung drei Wochen mit ihr in der Karibik herumschippern möchtest.« Ich spürte, wie mir heiße Tränen in die Augen stiegen. »Dann wünsche ich euch viel Spaß und eine gute Reise«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Ihr beide scheint einander zu verdienen.«

In dem Moment, als mir das Ausmaß dieser Katastrophe bewusst wurde, konnte ich Olivers Nähe und seine betretene Miene, die in meinen Augen eine einzige Lüge war, nicht eine Sekunde länger ertragen. Ohne seine Antwort abzuwarten, machte ich auf dem Absatz kehrt und hastete zurück in die Redaktion. Dort meldete ich mich bei meiner Assistentin krank, packte meine Sachen und machte mich auf den Weg nach Hause.

 

Keine Stunde später lag ich zusammengerollt auf meinem Bett und weinte und weinte, bis ich irgendwann nicht mehr konnte und mir jede Faser meines Körpers weh tat.

Das wütende Schäumen in meinem Bauch und die tosende Unruhe waren einer tiefen Traurigkeit gewichen, die letztlich noch viel schlimmer war, weil sie mich so ohnmächtig machte. Ich hasste nichts mehr, als passiv zu sein, mich ausgeliefert zu fühlen – dieses Gefühl schmerzte doppelt und dreifach.

Als ich später irgendwann mit verquollenen Augenlidern auf meinem Handy nachschaute, wie spät es war, sah ich, dass Oliver bereits zwanzigmal versucht hatte, mich zu erreichen.

Gut, dass ich das Smartphone zuvor auf lautlos gestellt hatte.

Auf WhatsApp hatte Oliver drei Textnachrichten und eine längere Voicemail hinterlassen.

Ich spielte eine ganze Weile unschlüssig mit dem Telefon herum und fragte mich, ob ich wirklich wissen wollte, was er mir so Dringendes mitzuteilen hatte, es war doch schließlich alles gesagt. Er hatte mich hintergangen und aufs Übelste belogen, also musste ich jetzt all meine Kraft aufbieten, um ihn mir so schnell wie möglich aus dem Herzen zu reißen.

Nachdem ich mir das Gesicht gewaschen und einen starken Kaffee gekocht hatte, fand ich endlich die Kraft, Olivers Nachricht abzuhören. Mit reumütig klingender Stimme versuchte er mich davon zu überzeugen, dass es mit seiner Frau endgültig vorbei sei und er die gemeinsame Reise dafür nutzen wollte, um sich in aller Ruhe und Freundschaft von Katharina zu trennen.

Seine Nachricht ging mir durch Mark und Bein. Ich musste dringend mit jemandem über diese Ungeheuerlichkeit reden, bevor ich durchdrehte.

 

»Um sich von seiner Frau zu trennen, muss der Mann extra in die Karibik? Ist der noch ganz dicht?«, fragte Meggie erbost, als sie wenig später mit Kuchen, Chips und einer Flasche Sekt bei mir eintraf und ich ihr Olivers WhatsApp-Nachricht vorspielte. Wie gut, dass ich sie erreicht hatte, und welch ein Glück, dass Lotta und Pippa heute auf einem Kindergeburtstag eingeladen waren, von dem Harald sie später abholen würde. »Mal ganz im Ernst, glaubst du ihm den Mist?«

Ich zog die Beine an und kuschelte mich, eingewickelt in eine Flauschdecke, in das taubenblaue Sofa mit den vielen Kissen, auf dem wir beide saßen. Vor uns auf dem Couchtisch waren die Überreste von Meggies Mitbringseln verteilt.

»Ich weiß es nicht«, murmelte ich, zutiefst verunsichert und erschöpft vom vielen Weinen. »Auf der einen Seite wünsche ich mir natürlich, dass das Ganze stimmt und Oliver auf der Reise reinen Tisch macht. Auf der anderen Seite hat er mich von Anfang an belogen und so getan, als sei er ein freier Mann und plane eine gemeinsame Zukunft mit mir. Ich bin eine blöde, naive Kuh. Wieso habe ich nicht schon viel früher gemerkt, dass da etwas nicht stimmt?«

»Bin ich froh, dass Harald so ein grundanständiger Kerl ist.« Meggie seufzte und steckte sich eine Handvoll Chips in den Mund. »Er sieht zwar mit seinem Buchhändler-Schluffi-Breitcord-Look nicht halb so gut aus wie Oliver, ist aber seit fünfzehn Jahren mein Fels in der Brandung. Es tut mir so leid, Jule, dass dir so was passieren muss. Ich habe wirklich geglaubt, dass das mit euch beiden etwas für die Zukunft ist. Was für ein Idiot!«

»Ja, das ist er«, stimmte ich ihr zu, während die Verletzung mir so die Kehle zuschnürte, dass ich Mühe hatte zu sprechen.

Es war nicht das erste Mal, dass ich mich fragte, weshalb es einigen vergönnt war, schon früh denjenigen zu treffen, der ihn komplettierte. Den über alles geliebten Seelenmenschen, mit dem man Hand in Hand durchs Leben gehen konnte, egal wie steif die Brise war, die einem auf diesem Weg zuweilen ins Gesicht blies.

Mit einem Mal überfiel mich blanke Panik, dass Oliver womöglich die letzte Chance in meinem Leben war – und ich sie vertat, indem ich zu hart reagierte.

Dass er verliebt in mich war, stand außer Frage.

Hätte ich daran im Laufe der letzten sechs Monate auch nur den geringsten Zweifel verspürt, hätte ich mich nicht so weit auf ihn eingelassen.