Strandkörbchen und Wellenfunkeln - Petra Schier - E-Book
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Strandkörbchen und Wellenfunkeln E-Book

Petra Schier

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Beschreibung

Luisa hat sich einen Traum erfüllt: Sie hat ihre eigene Tierarztpraxis eröffnet! Voller Hingabe setzt sie sich für ihre flauschigen Patienten ein. Da steht eines Tages Lars vor der Tür – ihre erste große Liebe. Im Arm hält er einen schwer verletzten winselnden Golden-Retriever-Welpen. Luisa sieht sofort, wie dringend das Tier ihre Hilfe braucht. Wie gut, dass der Notfall sie von ihren Gefühlen für Lars ablenkt, die sofort wieder in ihr brodeln. Auf keinen Fall darf sie zulassen, dass dieser Mann ihr noch einmal das Herz bricht!

»Der Sommerroman von Petra Schier macht sich perfekt als Lektüre für den Urlaub zu Hause oder am Meer.« Hund im Glück

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Seitenzahl: 580

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Zum Buch

Vor acht Jahren war Lars aus Lichterhaven geflohen – vor der Wut auf seinen Vater und vor Luisa und den Gefühlen, die sie in ihm zu entfachen drohte. Seit einem Jahr ist Lars inzwischen wieder zurück in der kleinen Stadt an der Nordsee. Er hat eine Werft eröffnet, in der er gemeinsam mit seinem Bruder Jachten baut. Und bisher ist es ihm gelungen, Luisa aus dem Weg zu gehen und der Anziehungskraft zu widerstehen, die sie auf ihn ausübt. Doch als er ein hilfloses und verletztes Golden-Retriever-Mädchen findet, ist Luisa mit ihren Fähigkeiten als Tierärztin die Einzige, die ihm helfen kann. Und plötzlich ist Lars sich nicht mehr sicher, ob es damals wirklich richtig war, Luisa zurückzulassen.

Zur Autorin

Seit Petra Schier 2003 ihr Fernstudium in Geschichte und Literatur abschloss, arbeitet sie als freie Autorin. Neben ihren zauberhaften Liebesromanen schreibt sie auch historische Romane. Sie lebt heute mit ihrem Mann und einem deutschen Schäferhund in einem kleinen Ort in der Eifel.

MIRA® TASCHENBUCH

Copyright © 2019 by MIRA Taschenbuch in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg

Covergestaltung: bürosüd, München Coverabbildung: MPH Photos, Eric Isselee, Mikhail P. / shutterstock Lektorat: Christiane Branscheid E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN E-Book 9783365000571

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1. Kapitel

Lars fluchte leise vor sich hin, als die Tankanzeige seines SUVs mit einem deutlich vernehmbaren Piepsen rot aufleuchtete. Normalerweise hätte die Tankfüllung problemlos bis nach Hause gereicht, doch an diesem Montag schien sich alle Welt auf den Autobahnen Deutschlands aufzuhalten und für entsprechend lange Staus zu sorgen. Er hatte bereits fast doppelt so lange für die Strecke von Zell am See nach Hause gebraucht als sonst und war entsprechend gereizt. Dabei war die IONICA, ein Kongress mit Ausstellung rund um die E-Mobilität auf dem Wasser, wie schon bei seinem letzten Besuch im vergangenen Jahr hochinteressant gewesen und hatte ihm einige neue Anregungen, Inspiration und, noch viel wichtiger, nützliche neue Kontakte eingebracht.

Seine Werft, die er seit einigen Monaten betrieb und in der er zusammen mit seinem Bruder Thorsten und zwei weiteren Angestellten Motorboote und Jachten bauen wollte, würde von den neuen Eindrücken, die er gesammelt hatte, ganz sicher profitieren.

Während er seinen Wagen von der Autobahn herunter auf den nächstgelegenen Rastplatz mit Tankstelle lenkte, versuchte er, seine miese Stimmung mit beruhigender Musik zu bekämpfen. Deshalb wechselte er von dem Radiosender, auf dem nonstop Rockmusik gespielt wurde, zu seinem USB-Stick mit klassischer Musik, die er sonst eher bei der Arbeit hörte, wenn er sich auf diffizile Details konzentrieren musste.

Er wählte ein Album mit seinen Lieblingsstücken von Chopin und entspannte sich prompt ein wenig, sobald die ersten romantischen Klänge über ihn hinwegrieselten. Sein Bruder machte sich oft darüber lustig, dass der sonst so raue, manchmal auch aufbrausende Lars Verhoigen ausgerechnet solche gefühlsbetonte Musik zum Abschalten bevorzugte. Lars selbst schmunzelte auch hin und wieder darüber. Seine Liebe zur klassischen Klaviermusik war erst in den vergangenen sieben oder acht Jahren entstanden, in denen er die Welt bereist, sich einer harten Ausbildung unterzogen und sein Leben endlich einigermaßen in den Griff bekommen hatte.

Davor war er nicht viel mehr als ein rauflustiger Tagedieb gewesen, mit einer Menge Ideen und Flausen im Kopf, allerdings ohne jeden Antrieb, wirklich etwas aus sich zu machen. Zorn und Selbstmitleid hatten ihn lange Zeit fest im Griff gehabt und dafür gesorgt, dass er ein Leben geführt hatte, das ihm jetzt, im Nachhinein, zum großen Teil als vergeudete Zeit erschien. Doch die Uhr ließ sich nun mal nicht zurückdrehen und er musste mit seiner Vergangenheit leben – den unzähligen, zum Teil unverzeihlichen Fehlern genauso wie mit den wenigen, dafür aber umso wichtigeren schönen Momenten.

Einige wenige Freunde standen ihm trotz aller Dummheiten, die er begangen und aller Sünden, für die er sich zu verantworten hatte, immer noch zur Seite. Verdient hatte er diese Treue nicht, dessen war er sich allzu bewusst, deshalb war er umso dankbarer dafür, dass sich diese Freundschaften dennoch erhalten hatten.

Die unverschämten Benzinpreise an der Autobahntankstelle ließen ihn noch einmal fluchen, ebenso wie sein schon seit geraumer Zeit knurrender Magen. Deshalb machte er noch einen Umweg in die kleine Burger-King-Filiale in der Raststätte und deckte sich mit Burgern, Fritten und einem großen Cappuccino ein. Es war früher Abend und einiges los auf dem Rastplatz. In einigen Bundesländern hatten bereits die Sommerferien begonnen und entsprechend viele Urlauber waren in Richtung Nordsee unterwegs, wie er ja bereits den gesamten Tag hatte miterleben dürfen.

Lars stellte den Papierbeutel mit dem Essen auf dem Beifahrersitz ab, klemmte sich hinters Steuer und nahm erst einmal einen großen Schluck von dem Heißgetränk. Dann schaltete er erneut die Musik an und legte kurz mit geschlossenen Augen den Kopf gegen die Kopfstütze. Vielleicht hätte er doch lieber den Flieger nehmen sollen, überlegte er. Die Fahrt nach Österreich und zurück war doch ziemlich anstrengend gewesen … und in der Luft gab es wenigstens keine Staus. Doch dann hätte er trotzdem noch die Strecke von Zell am See bis München und von Hamburg nach Lichterhaven zurücklegen müssen. Mit Einchecken, Sicherheitskontrollen und all dem zusätzlichen Aufwand am Flughafen wäre er vermutlich ähnlich genervt gewesen wie jetzt.

Das Quietschen von Autoreifen irgendwo nicht weit entfernt ließ ihn die Augen wieder öffnen. Erst konnte er nicht erkennen, von wo das Geräusch gekommen war. Dann jedoch beobachtete er irritiert, wie ein junger bärtiger blonder Mann mit einem Jutesack durch das Wäldchen auf der anderen Seite der Raststätte lief. Ein brusthoher Metallzaun trennte den Wald von Raststätte und Autobahn, vermutlich um Wildtiere davon abzuhalten, sich der Fahrbahn zu nähern.

Mit gerunzelter Stirn sah Lars dem Mann dabei zu, wie dieser stehen blieb, sich mehrmals umsah und dann den Sack mit Schwung herumwirbelte, sodass er hart gegen einen Baumstamm knallte. Dann ließ er ihn fallen, trat noch einmal dagegen und kehrte zu seinem Auto zurück. Zumindest ging Lars davon aus, denn nur Augenblicke später heulte ein Motor auf und erneut quietschten Reifen.

Die ganze Szene hatte seltsam unwirklich auf Lars gewirkt, hinterließ jedoch ein ausgesprochen ungutes Gefühl in ihm. Was war in dem Sack? Natürlich wusste er, dass viele Leute illegal ihren Müll in den Wäldern und an Straßenrändern abluden, und am liebsten hätte er jeden Einzelnen von ihnen dafür mit einem Kinnhaken gestraft, doch wer entsorgte seinen Müll in einem Jutesack und warum schleuderte man ihn vor dem Wegwerfen zuerst gegen einen Baumstamm und trat dann dagegen?

Das schlechte Gefühl steigerte sich zu einer schrecklichen Ahnung, die ihm einen kalten Schauder über den Rücken jagte. Rasch klemmte er seinen Kaffeebecher in die Halterung neben dem Sitz und stieg aus seinem SUV. Den Zaun hatte er schnell erreicht und kletterte ohne weiter nachzudenken einfach darüber. Dabei blieb er an einer scharfen Kante hängen und zerriss sich die Jeans. Für mehr als einen kurzen verärgerten Laut hatte er jetzt aber keine Zeit. So schnell er konnte, rannte er auf den Baum zu, unter dem der Jutesack lag.

Schon aus einiger Entfernung vernahm er ein jämmerliches Winseln, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Gleichzeitig ergriff eine Welle heißen Zorns ihn und ließ ihn die Hände zu Fäusten zusammenballen. »Dreckskerl, verdammter!« Mit diesem Ausruf fiel er neben dem Sack auf die Knie und zerrte an der Verschnürung, zückte schließlich aber sein Taschenmesser und zerschnitt den rauen Stoff einfach.

Der Anblick, der sich ihm bot, ließ ihn für einen Moment vor Entsetzen erstarren. Zwei goldbraune Welpen lagen in dem Sack. Sie starrten vor Dreck; einer von ihnen war tot. Blut war aus einer Kopfwunde gesickert, doch der kleine Körper war noch warm. Offensichtlich war ihm beim Aufprall gegen den Baumstamm das Genick gebrochen und der Schädel zertrümmert worden.

Tränen des Zorns traten Lars in die Augen, doch er konzentrierte sich sogleich auf den zweiten Welpen, der noch atmete und erneut ein klägliches Winseln von sich gab.

»Scheiße, Kleiner, was hat der Typ bloß mit euch gemacht?« Sehr vorsichtig zerriss er den Jutesack, um sich die Bescherung näher ansehen zu können. Der kleine Hund stieß ein Jaulen und dann ein so ängstliches Bellen aus, dass es Lars erneut die Tränen in die Augen trieb. Wenn er etwas auf den Tod nicht ertragen konnte, dann Gewalt gegen Tiere. Der Anblick der wehrlosen Kreaturen brach ihm beinahe das Herz.

»Ist ja schon gut, Kleiner, ich tue dir nichts.« Behutsam versuchte er, den Welpen aus dem Sack zu heben, doch dieser quietschte ängstlich und schnappte um sich.

Lass mich, lass mich! Aua, weg! Fass mich nicht an! Ich beiße!

»Autsch! Du hast ja ganz schön spitze Zähnchen.« Lars ließ von dem Tier ab, das sichtbar Schmerzen litt, und zog stattdessen erst einmal den toten Welpen aus dem Sack hervor. »So ein verdammtes Arschloch!« Traurig betrachtete Lars den kleinen leblosen Körper, dann sah er sich suchend um. Es hatte keinen Sinn, den toten Welpen mitzunehmen. Der Waldboden hier rund um den Baum war von einer dünnen, alten Laubschicht aus dem Vorjahr bedeckt, darunter befand sich lockerer Humusboden. Mit bloßen Händen grub Lars ein Loch, legte den Leichnam hinein und bedeckte ihn mit der Erde und einem ordentlichen Haufen Laub. Wenn es hier Wildschweine oder Füchse gab, würden sie den Kadaver möglicherweise wieder ausgraben, doch das war der Lauf der Natur und würde zumindest keinen weiteren Schaden anrichten. Den zweiten, immer noch winselnden Welpen hingegen würde er auf jeden Fall mitnehmen und zum Tierarzt bringen. Aber nicht in diesem verdammten Jutesack.

Entschlossen zog Lars das graue Sweatshirt aus, das er über einem weißen T-Shirt trug, weil das Juniwetter wieder einmal beschlossen hatte, eher dem April zu gleichen. Er breitete es auf dem Boden aus und griff dann erneut nach dem Hundekind.

Aua, aua, aua, das tut so weh! Nicht anfassen, sonst beiße ich dich wieder. Ich will nicht, hörst du, lass los!

»Schon gut, ganz ruhig, ich will dir doch nicht wehtun, Kleiner. Wenn ich dir helfen soll, muss ich dich aus diesem unsäglichen Ding da befreien.«

Nicht, aua, hör auf, lass los! Aua, wau, lass mich!

Der Welpe zappelte und schrie geradezu vor Angst und Schmerzen und schnappte auch wieder nach Lars’ Hand, doch diesmal ließ der sich davon nicht beeindrucken.

»Es wird alles wieder gut. Ich hab es ja gleich. Diesen bösen Sack tun wir weg, okay? Komm schon, autsch, ich kann dir nicht helfen, wenn du mich dauernd beißt.« Lars bemühte sich, ganz leise und ruhig zu sprechen, um dem verzweifelten Wesen nicht noch mehr Furcht einzujagen, als es offensichtlich jetzt schon ausstand. Der kleine Hundekörper zitterte heftig und das wiederholte Jaulen und Fiepen ging Lars an die Nieren. »Ganz ruhig, siehst du, ich hab’s gleich. Ich helfe dir.«

Helfen, du? Du bist ein fieser, riesiger Mann-Mensch, so wie der andere, der mir immer wehtut. Und, schnüff, wo ist mein Bruder? Eben war er noch hier und jetzt nicht mehr. Du hast ihn mir weggenommen. Ich will nicht ganz allein sein und schon gar nicht bei so einem gemeinen Mann-Menschen, der mir wieder wehtut. Aua, aua, aua, das tut alles so weh. Ich will nicht mehr.

Unbewusst fuhr Lars sich mit dem Handrücken über die Augen, als er es endlich geschafft hatte, den Welpen aus dem Jutesack zu befreien und auf das Sweatshirt zu betten.

»Du bist ja ein kleines Hundemädchen«, stellte er nach näherer Musterung fest. »Was hat dir der böse Kerl nur angetan?« Besorgt suchte er den Körper des Tieres nach offenen Wunden ab, konnte jedoch keine finden. So kläglich, wie die Kleine jedoch bei jeder Berührung jaulte, hatte sie bestimmt innere Verletzungen oder auch Knochenbrüche.

Kurz raufte Lars sich sein kurzes schwarzes Haar und blickte zu seinem Auto hinüber. »Ich bringe dich jetzt erst mal zu Luisa, die wird dir helfen«, versprach er und wickelte das Tierchen sehr behutsam in den Pullover ein. Als er das Bündel hochhob, fiepte die Kleine erneut und zappelte leicht. Sogar ein ängstliches Knurren ließ sie verlauten, das Lars fast zu einem Lächeln gereizt hätte. »Du bist eine kleine Kämpferin, was? Gut so, dann wirst du hoffentlich auch bald wieder gesund.«

***

»Das war ausgezeichnete Arbeit.« Dr. Arend Weisenau nickte Luisa Messner anerkennend zu, während er sich die Hände wusch. »Du wirst immer routinierter und geschickter, ganz so, wie es sein soll. Und das bei so einem Eingriff, das will schon etwas heißen.«

Luisa, die sich gerade die Hände abtrocknete und dann nach einem Schwamm und dem Reinigungsmittel griff, um den OP-Tisch zu säubern, lächelte ebenfalls. »Das Geschwür musste sofort entfernt werden, sonst hätte es sich noch schlimmer entzündet und dann wäre vielleicht etwas in die Blutbahn übergegangen. Das hätte die Katze nicht überstanden.«

»So ist es. Ärgerlich nur, dass die Halterin so lange gewartet hat, bis sie zu uns gekommen ist. Das hätte das arme Tier fast das Leben gekostet.«

»Zum Glück nur fast. Mit etwas Glück wird nur eine kleine Narbe zurückbleiben.« Sorgsam sprühte Luisa den Tisch mit dem Reiniger ein und bearbeitete ihn dann mit dem Schwamm. »Jetzt bin ich aber ziemlich k. o. Keine Ahnung, was heute los war. Lauter Notfälle …«

»Ja, an manchen Tagen ist wirklich der Teufel los.« Der weißhaarige ältere Tierarzt, mit dem Luisa die Praxis gemeinsam betrieb, legte das OP-Besteck zum Säubern neben den Waschtisch und räumte Verbandmaterial und weitere Utensilien zurück in die Schränke.

In der Tür erschien die siebzehnjährige Nina, die hin und wieder in der Praxis aushalf und in den Sommerferien ein bezahltes Praktikum hier absolvieren würde. »Ich hab Kitty nebenan in die zweite Box gelegt und soweit alles fertiggemacht. Greta hat gemeint, ich könnte jetzt bestimmt nach Hause gehen. Ich muss noch was für meine Mutter vorbereiten, die hat doch heute Geburtstag und wir gehen heute Abend alle zusammen schön essen. Ist das okay?«

»Aber klar, darüber haben wir doch heute Mittag schon gesprochen.« Luisa nickte dem Mädchen zu. »Grüß deine Eltern von mir und richte deiner Mutter nochmals herzlichen Glückwunsch von mir aus. Ach ja, und sag Greta und Kirsten, dass sie jetzt auch Feierabend machen können. Ich muss noch ein bisschen Papierkram erledigen und übernachte heute oben, damit ich Kitty überwachen kann.«

»Okay, danke. Bis morgen!« Nina wirbelte um ihre eigene Achse und war im nächsten Moment verschwunden. Aus dem Empfangsraum waren kurz darauf ihre sowie die Stimmen und das Lachen der beiden Sprechstundenhilfen zu vernehmen.

»Benötigst du noch bei irgendetwas Hilfe?« Dr. Weisenau schloss den Schrank mit den Medikamenten ab und reichte ihr den Schlüssel. »Falls nicht, würde ich mich jetzt nämlich auch auf den Heimweg machen. Du weißt ja, meine Frau und ich feiern heute unseren zweiunddreißigsten Hochzeitstag …«

»Zweiunddreißig Jahre!« Ein breites Lächeln auf den Lippen, trat Luisa auf den älteren Kollegen zu und umarmte ihn kurz, aber herzlich. »Einfach toll. Gehen Sie nur nach Hause, ich komme hier schon zurecht.« Aus ihrem Lächeln wurde ein Grinsen. »Aber ärgern Sie Ihre Frau nicht wieder mit einem dummen Scherz.«

»Warum denn nicht?« Dr. Weisenau lachte. »Wenn ich es nicht tue, glaubt sie noch, ich wäre krank oder so. Nein, nein, wir beide brauchen das einfach, sonst wäre uns in all den Ehejahren bestimmt langweilig geworden.«

»Ich finde das toll, so lange glücklich verheiratet zu sein.« Versonnen blickte Luisa aus dem Fenster hinaus auf den Parcours, den Christina auf einer der Trainingswiesen ihrer Hundeschule aufgebaut hatte. »Ich hoffe, meine Schwester und Ben schaffen das auch. Und Alex und Melanie.«

»Ich bin überzeugt davon.« Dr. Weisenau trat neben sie und tätschelte ihr die Schulter. »Sowohl dein Bruder als auch deine Schwester haben bemerkenswert guten Geschmack bei der Wahl ihrer Ehepartner bewiesen. Sie ergänzen sich jeweils auf ganz besondere Weise. Genauso wie meine Therese und ich. Wenn du mich fragst, ist das das beste Rezept für eine glückliche Ehe. Yin und Yang. Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an, und wenn sie einander vervollständigen, ergibt sich ein großes Ganzes. Das wirst du auch noch erleben, Luisa, da bin ich ganz sicher.«

»Ich?« Luisa gluckste und strich sich eine blonde Locke hinters Ohr, die sich aus ihrem einfachen Zopf gelöst hatte. »Wie denn, wenn ich von früh bis spät nur arbeite, arbeite, arbeite? Hier in der Praxis begegnet mir ganz sicher nicht Mr. Right.«

»Mr. Right?« Auch Dr. Weisenau schmunzelte. »Ihr jungen Leute immer mit diesen neumodischen Ausdrücken. Aber warum sollte er nicht eines Tages hier vor der Tür stehen? Dein Ritter in glänzender Rüstung.«

Luisa hob die Schultern. »Weil so etwas nur in Büchern und Filmen passiert. Im wahren Leben muss man, um jemanden kennenzulernen, vor die Tür gehen und etwas unternehmen. Aber dazu fehlt mir momentan einfach die Zeit … und ehrlich gesagt auch die Lust.«

»Nun denn, wie du meinst.« Weisenau lächelte etwas breiter. »Du bist ja auch noch so jung, da stehen dir alle Möglichkeiten offen. Aber wie man so schön sagt: Unverhofft kommt oft.«

»Bei mir eher nicht.« Lachend warf Luisa den Schwamm ins Waschbecken, ließ Wasser einlaufen und begann, das OP-Besteck gründlich zu säubern. »Ist aber auch nicht schlimm. Ich fühle mich auch so sehr wohl. Welche Sechsundzwanzigjährige kann schon von sich behaupten, ihren Traum von der eigenen Tierarztpraxis bereits erfüllt zu haben und gleichzeitig an ihrer Dissertation zu arbeiten?«

»Da hast du allerdings recht, Luisa, das ist ganz beachtlich.« Weisenau stand inzwischen in der Tür und drehte sich noch einmal zu ihr um. »Darauf kannst du sehr stolz sein.«

»Das bin ich auch. Und dankbar.« Sie wurde ernst. »Ohne Sie würde ich das niemals alles schaffen.«

»Na, na, jetzt werd mal nicht rührselig. Du weißt, das macht mich immer ganz nervös.« Lachend ergriff der ältere Tierarzt die Flucht.

Mit einem Schmunzeln im Gesicht und kopfschüttelnd sah Luisa ihm nach, widmete sich dann aber rasch wieder den Handgriffen, die nach einer Operation notwendig waren und die sie immer noch meistens selbst ausführte, obwohl sie sie auch den Sprechstundenhilfen überlassen könnte.

Während sie noch im OP beschäftigt war, verließen nach Nina und Dr. Weisenau auch Kirsten und Greta die Praxis, um ihren verdienten Feierabend zu genießen. Luisa würde noch ein paar Patientenakten auf den neuesten Stand bringen und wollte danach eine Pizza bei Alibaba bestellen, sich vielleicht noch einen Film anschauen und dabei die Überwachungskamera im Auge behalten, um mitzubekommen, ob sich der Zustand der frisch operierten Katze veränderte.

Es war sehr praktisch, dass sich im Obergeschoss die ehemalige kleine Wohnung ihrer älteren Schwester befand. Auf diese Weise konnte Luisa, falls nötig, in der Nähe ihrer Patienten bleiben. Zwar hatte sie nicht oft welche über Nacht zu Gast, aber wenn, dann wollte sie doch sichergehen, dass sie jede Kleinigkeit mitbekam. Ihre eigene Wohnung lag in einem Altbau am Rande des Lichterhavener Stadtzentrums, etwa zehn Minuten Fußweg von der Praxis entfernt. Daraus ergab sich zwar ein angenehm kurzer Weg zur Arbeit, doch bei akuten Notfällen wie dem heute blieb sie lieber hier im Haus.

Sie hatte sich gerade an den Schreibtisch in ihrem kleinen Büro hinter den Behandlungsräumen gesetzt und die Dateien ihrer heutigen Patienten aufgerufen, als sie das Geräusch eines Autos vernahm, das mit hoher Geschwindigkeit auf den Vorplatz der Praxis geschossen und mit quietschenden Reifen zum Stehen kam.

Ahnungsvoll stand sie von ihrem Platz auf und hörte im nächsten Moment auch schon die Eingangstür gehen und eine ihr nur allzu bekannte, dunkle, leicht rauchige Männerstimme rufen. Unwillkürlich verkrampfte sich ihr Magen und ihr Herz zuckte heftig in ihrer Brust.

»Luisa? Luisa, bist du hier? Oder Dr. Weisenau? Ja, schon gut, Kleine, Hilfe kommt gleich. Nicht weinen. Luisa!«

So verzweifelt hatte sie Lars Verhoigen noch nie gehört, deshalb vergaß sie ihre spontane Reaktion auf seine Anwesenheit und rannte auf ihn zu. »Was ist passiert? O mein Gott, wen hast du denn da mitgebracht?« Abrupt blieb sie dicht vor ihm stehen und starrte auf das Bündel aus winselndem Welpen und grauem Sweatshirt. Ohne zu zögern fasste sie Lars am Arm und zog ihn mit sich in einen der beiden Behandlungsräume. »Leg ihn auf dem Tisch ab. Ist er angefahren worden?« Während sie sprach, zog sie sich bereits Einweghandschuhe an.

»Sie. Es ist eine Sie.« Sehr vorsichtig bettete Lars das Tier auf dem Tisch. »So ein Dreckskerl hat die Kleine und einen weiteren Welpen im Wald hinter einer Raststätte an der Autobahn … ausgesetzt.«

Sie hatte sein Zögern genau gehört und nach einem weiteren, genaueren Blick auf das fiepende Etwas sah sie stirnrunzelnd zu ihm auf. »Ausgesetzt?«

Er schob sein markantes, von einem Dreitagebart bedecktes Kinn vor. »In einen Jutesack gesteckt, gegen einen Baum geschleudert, getreten und liegengelassen. Für den anderen Welpen kam jede Hilfe zu spät. Die Süße hier hatte einfach nur wahnsinniges Glück, dass ich die Sache zufällig beobachtet habe. Wenn ich den Kerl noch erwischt hätte …« Er verstummte und ihm war anzusehen, was er am liebsten mit dem Tierquäler gemacht hätte.

Luisa konnte es ihm nachfühlen. »So ein Arsch. Hast du ihn schon angezeigt?« Sehr behutsam untersuchte sie den Welpen, der vollkommen erschöpft und verängstigt zu sein schien, jedoch anscheinend nicht mehr die Kraft besaß, sich zur Wehr zu setzen oder einen Fluchtversuch zu wagen.

»Nein, aber ich werde es noch tun. Auch wenn es nichts bringen wird, weil ich zwar beschreiben kann, wie der Typ ausgesehen hat, aber nicht weiß, wer er ist oder woher er gekommen ist. Sein Auto konnte ich auch nicht sehen.«

»Vielleicht ist er aber schon mal auffällig geworden und seine Beschreibung ist der Polizei bekannt. Na, na, ganz ruhig«, unterbrach Luisa sich, als das Hundekind laut aufschrie. »Was haben wir denn da?« Mit den Fingerspitzen tastete sie sachte an den Rippen des Tierchens entlang. »Möglicherweise angebrochen. Du arme Kleine, das wird noch eine ganz Weile wehtun.«

»Ich dachte mir, dass sie vielleicht innere Verletzungen hat.«

Luisa nickte. »Ich werde sie röntgen und noch ein paar andere Untersuchungen durchführen. Das wird eine Weile dauern. Du kannst sie gerne bei mir lassen und nach Hause fahren. Ich kümmere mich gut um sie.«

»Nein.« Zu Luisas grenzenloser Verblüffung schüttelte Lars vehement den Kopf und streichelte so sanft mit dem Zeigefinger über das Ohr des Welpen, dass ihr Magen sich doch wieder mit einem leisen Flattern meldete. »Ich lasse sie nicht allein.« Er stockte kurz und grinste schief. »Versteh mich nicht falsch, ich bin sicher, dass sie bei dir in den besten Händen ist. Deshalb bin ich ja gleich hierhergekommen. Aber …« Noch einmal berührte er das Ohr der Kleinen, die daraufhin schniefte und leise winselte. »Meinst du, ich kann sie einfach behalten?«

Was, wie? Behalten? Du mich? Nein, nein, du bist ein großer, böser Mann-Mensch. Ich bleibe nicht bei dir. Ganz bestimmt nicht. Du tust mir nur wieder weh, so wie der andere. Geh weg!

Das empörte und zugleich ängstliche Bellen und Knurren, das das Tier ausstieß, ließ Luisa die Augenbrauen hochziehen. »Du willst sie adoptieren?«

»Warum nicht? Sie hat ein gutes Zuhause verdient, oder etwa nicht?«

»Selbstverständlich. Aber sie wirkt nicht so, als hätte sie allzu großes Zutrauen zu dir.«

»Du offenbar auch nicht.« Lars blickte mit einem merkwürdigen Ausdruck in den Augen auf den Welpen hinab. »Lass uns ein bisschen Zeit. Wir werden uns schon zusammenraufen.«

Luisa schluckte, als sie seine Miene sah. Obwohl sie wusste, dass er nur von dem Welpen sprach, fiel ihr doch die Doppeldeutigkeit seiner Worte auf. Geschäftig hantierte sie am Medizinschrank herum, zog zwei verschiedene Spritzen auf und legte beide neben dem Welpen ab. »Hast du überhaupt Erfahrungen in der Hundehaltung?«

»Nein. Das solltest du doch wohl wissen.« Seine Stimme hatte einen merkwürdigen Unterton angenommen, der sie dazu veranlasste, seinem Blick auszuweichen. »Aber einmal ist immer das erste Mal, oder nicht? Oder spricht etwas dagegen, dass ich sie behalte?«

Im ersten Moment wollte Luisa diese Frage bejahen, ihn daran erinnern, wie oberflächlich und verantwortungslos er den größten Teil seines Lebens gelebt hatte. Doch das wäre unfair, denn im vergangenen Jahr, seit er nach siebenjähriger Abwesenheit nach Lichterhaven zurückgekehrt war, hatte er der Stadt und seinen alten Freunden und Bekannten ein völlig anderes Bild von sich gezeigt. Er hatte in der Nähe des Hafens eine alte Werft übernommen, die sein Vater, ein reicher Bauunternehmer, vor langer Zeit erworben, jedoch nie genutzt hatte. Lars hatte sie umbauen lassen und mit neuem Leben erfüllt. Zumindest sah es so aus, als hätte er bereits Aufträge an Land gezogen. Ihr älterer Bruder Alex war schon seit seiner Schulzeit eng mit Lars befreundet und erzählte manchmal etwas von dem, was Lars so trieb.

Luisa saugte diese Informationen auf wie ein Schwamm, ganz automatisch, ohne sich dagegen wehren zu können, doch sie hielt sich selbst möglichst weit von Lars Verhoigen fern. Vor acht Jahren war sie dumm genug gewesen, sich von ihm das Herz brechen zu lassen. Mit der Zeit waren die Wunden geheilt, doch sie würde sich nicht erneut der Gefahr aussetzen und ihn in ihr Leben lassen.

Damals hatte sie gedacht, wirklich geglaubt, dass … Nein, stopp! Ehe sie den Gedanken auch nur ansatzweise zuließ, verbannte sie ihn rigoros in denselben dunklen Winkel ihres Herzens wie ihre ärgerliche, nicht beeinflussbare Reaktion auf Lars’ Nähe. Sie war über Lars hinweg und dabei würde es auch bleiben.

»Es spricht nichts dagegen, dass du sie behältst. Der ursprüngliche Besitzer wollte sie ja ganz offensichtlich loswerden, und andernfalls würde sie ins Tierheim kommen.« Sie nahm eine der beiden Spritzen in die Hand. »Tut mir leid, Kleine, aber das pikst jetzt leider ein bisschen.«

Aua, aua, aua. Ihr Menschen seid so schrecklich gemein! Ich will das nicht. Hört auf. Wenn ich nicht so schwach wäre … schnüff. Oh, wie wird mir denn jetzt? Ganz seltsam … Warum tut es denn jetzt auf einmal immer weniger weh?

»Was gibst du ihr denn da?« Neugierig musterte Lars jede von Luisas Handbewegungen.

»Ein Schmerzmittel, das auch leicht beruhigend wirkt und auf die Narkose vorbereitet.«

»Narkose?« Alarmiert hob er den Kopf.

»Ich muss sie röntgen und, wie gesagt, einige weitere Untersuchungen anstellen, bei denen sie ganz stillliegen muss. Das geht am besten mit einer leichten Narkose.« Sie hob nur für einen Moment den Blick zu seinem. »Dir ist schon bewusst, dass du, wenn du sie adoptierst, für zehn bis fünfzehn Jahre eine große Verantwortung auf dich nimmst?«

»Vollkommen bewusst.« Seine Miene blieb ernst und ruhig, während er sprach. »Als Kind wollte ich immer einen Hund haben.«

»Jedes Kind will ein Haustier.« Ihr Blick zuckte erneut zu seinem. »Bei dir hätte ich das allerdings nicht vermutet.«

»Kann sein, dass ich diesen Wunsch für mich behalten habe. Aber du wirst zugeben, dass ich immer schon gut mit Hunden konnte. Mit euren sowieso. Sogar Polly konnte mich gut leiden, und die war echt wählerisch.«

Bei der Erinnerung an die Colliehündin ihrer Schwester musste Luisa lächeln. »Stimmt. Sie war ein toller Hund, aber wenn sie jemanden nicht mochte, war nichts zu machen.«

»Und Boss mag mich ebenfalls«, führte Lars den American Bulldog ins Feld, der Christina und ihrem frisch angetrauten Ehemann Ben gehörte.

»Boss mag einfach jeden Menschen, der nett ist.«

»Ich bin also nett?« Erneut schwang ein Unterton in seiner Stimme mit, diesmal eindeutig amüsiert.

Luisa richtete ihren Blick tunlichst auf den Welpen, der jetzt deutlich ruhiger wurde. »Nett zu Boss, meinte ich. Pass mal kurz auf sie auf, bis ich das Röntgengerät vorbereitet habe.« Eilig verließ sie den Raum und betrat das benachbarte Zimmer, in dem Röntgenapparat und Ultraschallgerät untergebracht waren.

***

Nachdenklich blickte Lars Luisa nach, als sie den Behandlungsraum verließ. Sie war eine besonnene und sehr kompetente Tierärztin, obwohl sie noch gar nicht so lange ihre Approbation besaß. Es war auf den ersten Blick zu erkennen, dass sie voll und ganz in ihrem Beruf aufging, und genau deshalb wäre er mit dem verletzten Welpen niemals woanders hingegangen als zu ihr.

Sie liebte Tiere über alles, hatte ein natürliches Bedürfnis, ihnen zu helfen und sie, wenn möglich, zu heilen. Tierärztin war nicht einfach nur ihr Beruf, es war ihre Berufung, das war schon deutlich geworden, als sie mit sieben oder acht Jahren den ersten Igel mit verletztem Fuß gesund gepflegt hatte oder die Elster mit dem gebrochenen Flügel ein paar Jahre später.

Genau diese Hingabe zu dem, was sie liebte und wofür sie bestimmt war, war einer der Hauptgründe gewesen, dass er vor acht Jahren Lichterhaven verlassen hatte … und natürlich die Tatsache, dass er die Hosen gestrichen voll gehabt hatte, doch darüber dachte er lieber nicht weiter nach. Viel wichtiger war, dass er genau das Richtige getan hatte. Wenn er sie jetzt hier sah, mit einem in Rekordzeit abgeschlossenen Studium, einem anstehenden Doktortitel und inmitten ihrer nagelneuen Praxis, wusste er, dass der Schmerz, den er ihr – und damit auch sich selbst – zugefügt hatte, gerechtfertigt gewesen war. Sie hatte daraus die Kraft gezogen, zu dem zu werden, was sie heute war, und ihn hinter sich zu lassen.

Jetzt, all die Jahre später, konnten sie mit Gleichmut auf damals zurückblicken, jene Episode aus der Vergangenheit vergessen und als gute Freunde ihr jeweiliges Leben fortführen. Alles andere, da war er sich vollkommen sicher, wäre niemals – niemals! – gutgegangen.

»Wir müssen sie hierher umbetten.« Luisa kam mit einem rollbaren Behandlungstisch herein und schob ihn neben den, auf dem der Welpe lag und mittlerweile ganz ruhig und gleichmäßig atmete, die Augen halb geschlossen.

Umbetten? Was ist das? Mir ist so schwummrig und es tut fast gar nichts mehr weh. So merkwürdig. Huch, was ist das? Fliege ich? Oh, nein, jetzt liege ich auf etwas Kaltem. Aber egal, alles egal. Es tut nur einfach nicht mehr weh …

»Die Kleine ist ein bisschen benebelt«, erklärte Luisa. »Ich versetze sie jetzt in eine ganz leichte Narkose und führe die restlichen Untersuchungen durch. Willst du hier warten, oder …?«

»Ich komme mit, wenn ich darf.«

Sie nickte leicht und schob den Tisch wieder nach nebenan. »Wie willst du sie denn nennen?«

»Nennen?« Er runzelte die Stirn.

»Sie braucht einen Namen.«

»Stimmt.« Er überlegte kurz, während er Luisa bei der Arbeit beobachtete. »Wie wäre es mit Jolie?« Er sprach das Wort französisch aus.

»Jolie?« Überrascht sah Luisa ihn über die Schulter an, widmete sich aber gleich wieder dem Tier. »Klingt hübsch.«

»Das bedeutet es ja auch. Das ist der erste Name, der mir jetzt eingefallen ist«, gab er zu. »Denn hübsch ist sie ja allemal.«

»Der erste Impuls ist häufig der richtige. Ich finde, Jolie ist ein sehr schöner Name für die Kleine.« Sie positionierte den Welpen in einer für Lars’ Augen sehr unnatürlichen Haltung unter dem Röntgengerät. »Tritt bitte hinter den Wandschirm zurück«, forderte sie ihn auf, ohne ihn anzusehen. »Ich trage nicht umsonst eine Bleischürze. Wir wollen doch nicht, dass wir deinen Genpool versehentlich modifizieren.«

Lars tat, wie ihm geheißen. »Okay, mein Genpool hat sich in Sicherheit gebracht.«

Luisa kicherte leise. »Gut so. Obwohl ich nicht annehme, dass er jemals von Bedeutung werden könnte. Aber sicher ist sicher.«

»Stimmt, sicher ist sicher.« Von seiner Position hinter dem Wandschirm konnte er nur noch ab und zu ein Stück von Luisas Arm erkennen und einmal ihr äußerst ansehnliches Hinterteil, als sie sich ein wenig nach links beugte, um etwas an dem Röntgengerät zu richten. Sofort zwang er sich, seinen Blick woandershin zu richten. »Auch wenn ich derzeit tatsächlich keinerlei Pläne habe, mich zu vervielfältigen.«

»Fortzupflanzen, meinst du.« Er hörte sie wieder kichern.

»Genau.«

»Ist vielleicht auch besser so. Wer weiß, ob die Welt einen Ableger von Lars Verhoigen verkraften würde.«

»Kommt immer darauf an, mit wem sich mein Genpool vermischen würde, oder?« Er wusste selbst nicht, warum er das Gespräch auf einen derart schlüpfrigen Untergrund manövrierte, doch trotz aller Vorbehalte hatten sie plötzlich wieder zu dem ungezwungenen Ton gefunden, der ihnen früher zu eigen gewesen war. Was schadete es schon, wenn sie dort weitermachten, wo sie damals aufgehört hatten, weil ihnen Begehren und Leidenschaft dazwischengefunkt und alles auf den Kopf gestellt hatten? Diesmal, so beschloss er bei sich, würde er vorsichtiger sein und nicht noch einmal alles riskieren, was ihm jemals etwas bedeutet hatte.

***

Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er auf ihren Scherz eingehen würde. Überrascht runzelte Luisa die Stirn, als sie außerdem den neckenden Tonfall in Lars’ Stimme vernahm. Wie lange hatte sie ihn schon nicht mehr vernommen? Er löste, wie damals, wie eigentlich schon solange sie denken konnte, ein angenehmes Ziehen und Kribbeln in ihr aus. Gefährlich!, warnte ein Stimmchen in ihrem Kopf. Sie musste sich in Acht nehmen, um nicht alte Fehler zu wiederholen. Aber wenn Lars beschlossen hatte, dass es an der Zeit war, die freundschaftlichen Töne wieder anzuschlagen, wäre es doch dumm, nicht darauf einzugehen. Sie war inzwischen erwachsen und traute sich durchaus zu, die Freundschaft von damals wiederaufzunehmen. Eine Freundschaft, die sie trotz allem, was geschehen war, schrecklich vermisst hatte.

»Wenn du es darauf anlegen würdest, fändest du ganz bestimmt schnell eine Reihe von Anwärterinnen«, antwortete sie mit etwas Verspätung.

»Auf meinen Genpool?« Er lachte kurz auf. »Das klingt, als würden die Frauen in Lichterhaven nur darauf warten, dass ich den Startschuss gebe und damit die Jagd eröffne.«

»War das nicht schon immer so?« Vorsichtig drehte sie den Welpen in eine andere Position.

»Kann schon sein, dass ich mich früher gerne habe jagen lassen.«

»Du hast selbst auch gerne allem, was einen Rock trug, und sei es nur im übertragenen Sinn, nachgestellt.«

»Hey, ich war jung und wusste es nicht besser!« Seine Stimme war etwas näher gekommen, doch sie hörte, wie er sich wieder hinter den Wandschirm zurückzog, als ihm klar wurde, dass ihre Arbeit noch nicht beendet war.

»Und jetzt bist du klüger? Wer hat dir denn einen Pott voll Weisheit zu löffeln gegeben, seit du wieder hier bist?«

»Hier vor Ort niemand. Meine Dosis Weisheit – oder Selbsterkenntnis – habe ich nach und nach zu mir genommen, während ich von hier weg war.«

»Dann hatte dein Ausflug in die große weite Welt ja wenigstens einen Nutzen.« Sie schaltete das Röntgengerät aus. »Du kannst jetzt wieder aus deinem Versteck hervorkommen. Dein Genpool ist sicher.«

»Du machst das wirklich professionell.« Anerkennung schwang in seiner Stimme mit, als er sich ihr erneut von hinten näherte und ihr schließlich über die Schulter schaute. »Sie sieht so hilflos und gequält aus.«

»Das ist sie ja auch, beides.« Vorsichtig hob sie die winzige Hündin zurück auf den Rolltisch. »Sie ist höchstens zehn Wochen alt. Nicht unterernährt, aber etwas kräftiger könnte sie trotzdem sein. Ich begreife einfach nicht, was für Menschen das sind, die so brutal mit wehrlosen Kreaturen umgehen. Wahrscheinlich hatten sie zu viele Welpen und sind sie nicht losgeworden oder waren zu faul, sie alle zu vermitteln. Wer weiß … Ich werde sie sicherheitshalber einmal komplett impfen und dir für Folgeimpfungen einen Plan erstellen. Außerdem muss sie über Nacht hierbleiben, damit ich sie beobachten kann. Bis sie aus der Narkose aufwacht, wird es ein Weilchen dauern. Du solltest nach Hause fahren und mir die Sache überlassen.« Während sie sprach, prüfte sie bereits die Röntgenaufnahmen. »Drei ganz leicht angeknackste Rippen, wie ich bereits angenommen hatte. Kein Hinweis auf innere Blutungen, aber das rechte Sprunggelenk sieht auch ziemlich malträtiert aus. Ich werde es gleich noch weiterbehandeln und bandagieren. Mit etwas Glück heilt das aber rasch wieder. Morgen kannst du sie dann gerne besuchen kommen. Wenn sie fit genug ist, darf sie dich danach begleiten, andernfalls bleibt sie noch ein bisschen unter Beobachtung hier.«

»Ich fahre nicht ohne Jolie nach Hause.« Lars’ Stimme klang leicht verärgert. »Ich dachte, das hätte ich eben bereits deutlich gemacht.«

»Entschuldige.« Überrascht drehte sie sich zu ihm um und musste prompt den Kopf in den Nacken legen, weil er mit seinen eins achtundachtzig ungefähr einen Kopf größer war als sie. »Sie muss nun mal zur Beobachtung hierbleiben. Ich dachte, du wolltest vielleicht in der Zwischenzeit alles für deine neue Mitbewohnerin vorbereiten. Körbchen, Futter, Leine und so weiter einkaufen. Die Geschäfte sind noch offen.«

»Das kann ich morgen immer noch tun.« Der ärgerliche Tonfall war einem neutralen gewichen. »Die Kleine hat so viel durchgemacht, da werde ich sie jetzt ganz bestimmt nicht allein lassen. Wie soll sie denn Zutrauen zu mir fassen, wenn ich sie sofort wieder im Stich lasse?«

»Na gut.« Luisa lächelte leicht. »Sie scheint es dir ja ganz schön angetan zu haben. Aber sie ist auch wirklich eine Süße. Du musst dir nur darüber im Klaren sein, dass es ein Weilchen dauern kann, bis sie wirklich echtes Vertrauen zu dir fasst. Wer weiß, was sie bisher alles erleben musste. Diese grausame Art der Entsorgung war wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Vielleicht solltest du dich mal mit Christina darüber unterhalten. Sie kennt sich am besten mit diesen Dingen aus.«

»Steht schon auf meiner Agenda.«

»Mit der Weisheit scheinst du auch einen Eimer voll Verantwortungsgefühl geschluckt zu haben.«

Er zuckte mit den Achseln, grinste dann aber. »Sagen wir mal so: Da ich mit Menschen in dieser Hinsicht bisher nicht so wahnsinnige Erfolge verzeichnen konnte, kann es nicht schaden, erst mal mit einer Fellnase zu üben.«

Verhalten lächelte Luisa zurück. »Dann wünsche ich dir viel Erfolg. Und nun geh mir mal aus dem Weg, damit ich die kleine Patientin fertig versorgen kann. Wenn du willst, kannst du es dir auf dem Stuhl im Aufwachraum bequem machen.«

»Schon okay, solange ich bei ihr bleiben darf.«

Luisa dachte einen Moment nach, wog Für und Wider gegeneinander ab. »In meinem Büro steht eine Couch. Wenn du wirklich die Nacht hier verbringen möchtest, könnten wir Jolie auch in einer offenen Box unterbringen und neben die Couch stellen. Normalerweise würde ich sie mit der Kamera überwachen. Ich habe noch eine frisch operierte Katze nebenan, deshalb werde ich die Nacht ebenfalls hier verbringen, aber …«

»Du übernachtest hier?« Interessiert hob Lars die Augenbrauen.

»Ja, oben in Christinas ehemaliger Wohnung. Wir haben, wie gesagt, eine Kameraüberwachung. Wenn wir Jolie aber ins Büro bringen, musst du mir übers Handy Bescheid geben, wenn irgendetwas sein sollte.«

»Du könntest mir auch Gesellschaft leisten.« Er lächelte schelmisch. »Ich habe eben genau gehört, dass dein Magen geknurrt hat. In meinem Auto liegen noch Burger und Fritten. Inzwischen zwar eiskalt, aber …«

»Ich hatte vor, mir Pizza im Alibaba zu bestellen.«

»Noch besser.« Sein Lächeln verbreiterte sich und er zückte sein Handy. »Thunfisch, Zwiebeln und Ananas?«

Sie hüstelte. »Du hast ein gutes Gedächtnis.«

»Du bist die einzige Frau, die ich kenne, die diese Zusammenstellung auf ihrer Pizza mag. So etwas vergisst man nicht.« Schon hatte er gewählt. »Akbay? Guten Abend, hier ist Lars Verhoigen. Bitte zwei große Pizzen, eine mit Thunfisch, Ananas und Zwiebeln und eine Spezial mit extra Rauchfleisch und doppelt Käse.« – »Was? Nein, nicht zu mir nach Hause.« – »Rate mal.« Er lachte. »Genau. Nein, in die Praxis. Bis später.«

»Was war das denn?« Luisa sah ihm stirnrunzelnd zu, wie er das Smartphone zurück in seine Hosentasche schob. »Rätselraten, wohin die Pizza geliefert werden soll?«

»Akbay musste nicht lange raten.« Lars grinste noch immer erheitert. »Offenbar kennt auch er nur eine Person in ganz Lichterhaven, die auf ihrer Thunfischpizza Ananas mag.«

»Na toll, das wird sich jetzt wie ein Lauffeuer verbreiten.«

»Deine Vorliebe für Ananas mit Thunfisch?« Lachend strich Lars dem Welpen übers Ohr, nachdem Luisa das Tier erneut umgebettet hatte, diesmal in eine offene Transportbox. »Ich schätze, diese Geschmacksverirrung hat sich schon vor langer Zeit in ganz Lichterhaven herumgesprochen.«

»Nein, dass du und ich …« Abrupt brach sie ab.

»Dass wir zusammen Pizza essen?« Er legte den Kopf leicht schräg. »Ist daran etwas auszusetzen?«

»Nein, selbstverständlich nicht.« Ihre Antwort war zu schnell gekommen, dessen war sie sich vollkommen bewusst, doch sie gab sich so gleichgültig wie nur möglich. »Aber du weißt, wie schnell sich Tratsch bei uns verbreitet.«

»Na und? Du hast meine Jolie gerettet. Das darf ruhig jeder wissen. Eine Pizza ist das Mindeste, was ich dir im Gegenzug dafür spendieren kann.«

»Du kriegst auch noch eine ordnungsgemäße Rechnung über die Behandlungskosten von mir.«

Er lachte erneut. »Dann sieh die Pizza als Trinkgeld.«

Dem funkelnden Blick aus seinen strahlend blauen Augen hatte sie noch nie widerstehen können. Schmunzelnd ging sie an ihm vorbei ins Büro. »Stell die Box am besten hier ab.« Sie deutete direkt neben die hellbraune Ledercouch. »Und übrigens war nicht ich es, die Jolie gerettet hat. Das warst du. Ich habe sie nur ärztlich versorgt.«

»Okay, sagen wir, es war Teamarbeit.« Nachdem er die Box am angegebenen Ort abgestellt hatte, richtete er sich auf und berührte sie ganz kurz mit dem Daumen an der Wange. »Danke.«

Beinahe wäre sie vor Schreck zurückgezuckt. Die kurze Berührung hatte eine Wirkung wie winzige elektrische Ladungen, die durch sie hindurchfuhren, und verstärkte das latent vorhandene Magenflattern erheblich. Sie hätte am liebsten laut darüber geflucht, dass ihr vegetatives Nervensystem offenbar immer noch darauf eingestellt war, derart heftig auf Lars Verhoigen zu reagieren. Die vielen Jahre der Trennung hätten doch eigentlich dafür sorgen müssen, dass sich ihre Hormone anderweitig orientiert hätten.

Äußerlich blieb sie glücklicherweise ganz ruhig. Eine Haltung, die sie sich seit seiner Rückkehr vor einem Jahr antrainiert hatte, um der neuen Situation Herr zu werden.

»Gern geschehen. Das ist schließlich mein Job.« Rasch, aber nicht so rasch, dass es wie eine Flucht wirkte, trat sie zur Seite und öffnete den kleinen Kühlschrank in der Ecke des Büros. »Möchtest du etwas trinken? Ich habe Limo, Wasser, Cola light und alkoholfreies Radler da.«

»Radler klingt gut.« Er wartete, bis sie ihm die Flasche gereicht und sich auf die Couch gesetzt hatte, bevor er sich ebenfalls dort niederließ – glücklicherweise in einigem Abstand. Er beugte sich auch gleich über die Hundebox und sah nach Jolie. »Wie lange wird es dauern, bis sie aufwacht?«

»Nicht lange. Vielleicht eine Viertelstunde, allerhöchstens.« Luisa nahm einen tiefen Zug von ihrem Radler, lehnte sich auf der Couch zurück und streckte ihre Beine weit von sich. »Hoffentlich war sie der letzte Notfall für heute.«

»Hattest du einen anstrengenden Tag?« Er wandte ihr das Gesicht zu, hörte aber nicht auf, den Welpen zu streicheln.

»Manche Tage sind wie verhext. Ein Notfall nach dem anderen.« Sie trank einen zweiten Schluck. »Alleine hätte ich das gar nicht alles geschafft.«

»Wie geht es Dr. Weisenau?«

»Ausgezeichnet.« Mit einem Lächeln dachte sie an den älteren Kollegen. »Er feiert heute mit seiner Frau den zweiunddreißigsten Hochzeitstag.«

»Hut ab.« Nun richtete Lars sich doch auf und trank ebenfalls aus seiner Flasche. »Über drei Jahrzehnte mit derselben Frau zusammen zu sein, ist eine stramme Leistung.«

»Findest du?« Sie drehte den Kopf in seine Richtung, ohne ihn direkt anzusehen. »Ich glaube nicht, dass eine Ehe anstrengend oder schwierig sein muss, wenn man mit dem richtigen Menschen zusammen ist. Klar gibt es auch in guten Ehen mal Streit oder Probleme, aber wenn beide fest zusammenhalten, stehen sie das auch gemeinsam durch.«

»Da kann ich leider nicht mitreden. Die einzigen Ehen, die ich miterleben durfte, ähnelten allesamt früher oder später dem Vorhof zur Hölle. Die meiner Eltern mit eingeschlossen.«

Nun richtete sie sich doch etwas auf und verzog mitfühlend die Lippen. »Ich weiß, du hast in dieser Hinsicht schlechte Erfahrungen gemacht. Dein Vater hat schon wie oft geheiratet?«

»Viermal.« Lars schnaubte sarkastisch. »Warum, das weiß er vermutlich selbst nicht. Er hält es wohl für angebracht.«

»Angebracht?« Luisa runzelte die Stirn. »Heiraten sollte man aus Liebe und aus keinem anderen Grund.«

»Dieses Wort kann mein Vater nicht einmal buchstabieren.« Mit einem Anflug von Verdrossenheit starrte Lars auf die Radlerflasche, die er in der Hand hin- und herdrehte. »Bei ihm geht es immer ums Geschäft und den schönen Schein. Hinter der Fassade findet man aber nur einen elenden Mistkerl. Ehefrau Nummer vier droht übrigens derzeit auch wieder mal damit, die Scheidung einzureichen, wenn Vater seine ständigen Affären nicht aufgibt.«

»Er betrügt sie?« Entsetzt blickte sie Lars von der Seite an.

Wieder schnaubte er. »Ist daran irgendetwas neu? Doch, ja, neu ist, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe macht, die Affären geheimzuhalten.«

»Wie schrecklich.« Luisa wusste selbstverständlich über Carl Verhoigens Umtriebe weitgehend Bescheid, zumindest über die, die in der Vergangenheit immer wieder für Skandale gesorgt hatten – meist dann, wenn eine der Ehefrauen ihn auf die eine oder andere aufsehenerregende Weise verlassen und damit für entsprechenden Klatsch und Tratsch in Lichterhaven gesorgt hatte. »Warum lassen sich diese Frauen überhaupt auf ihn ein? Es ist doch bekannt, dass dein Vater … na ja.«

»Dass er ein notorischer Fremdgeher ist und seine Frauen wie Dreck behandelt?« Lars stieß ein spöttisches Lachen aus. »Was glaubst du denn?« Vielsagend rieb er Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Aber Geld allein macht doch nicht glücklich«, protestierte Luisa.

»Glück ist wohl auch nicht das, was diese Frauen bei meinem Vater suchen.«

Nachdenklich trank Luisa einen weiteren Schluck von ihrem Radler. »Siehst du ihn ab und zu?«

»Nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt.« Diesmal streckte Lars seine Beine aus, lehnte sich zurück und legte den Kopf in den Nacken. »Seit ich ihm die Werft aus dem Kreuz geleiert habe, bin ich ihm aus dem Weg gegangen. Er lässt mich zum Glück weitgehend in Ruhe. Vermutlich schmeckt es ihm nicht, dass ich Thorsten mitgebracht habe. Dass er seinem unehelichen Sohn jemals begegnen würde, hat er wohl nicht erwartet, und noch viel weniger, dass dieser sich mit dem Thronerben zusammentun und nach Lichterhaven ziehen könnte.«

»Glaubst du, dein Vater hat ein schlechtes Gewissen? Dein Bruder ist ja nur fünf Jahre jünger als du, nicht wahr? Alex hat mir davon erzählt. Damals hat deine Mutter noch gelebt.«

»So etwas wie ein Gewissen besitzt mein Vater nicht. Es wird ihn mächtig ärgern, dass er jetzt gute Miene zum bösen Spiel machen muss, und vermutlich befürchtet er, dass Thorsten Ansprüche stellen könnte.«

»Was sein gutes Recht wäre.«

Lars winkte ab. »Thorsten würde von sich aus weder Kontakt suchen noch Forderungen stellen. Er hat sein Leben auch ohne Vater im Griff und will gar nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden. Sollte es irgendwann einmal dazu kommen, müsste ich ihn wahrscheinlich nötigen, einen Teil des Erbes anzunehmen.«

»Aber das würdest du tun?« Aufmerksam musterte Luisa ihn.

»Er ist mein Bruder.« Der Blick, den Lars ihr zuwarf, war ernst und offen, und es bedurfte keiner weiteren Worte, um auszudrücken, was er dachte.

Luisa war beeindruckt und zugleich tief berührt. »Es war ein Glücksfall, dass ihr euch gefunden habt.«

Auf Lars’ Lippen breitete sich ein Grinsen aus. »Dem kann ich nicht widersprechen … auch wenn wir anfangs wirklich versucht haben, einander nicht ausstehen zu können.«

»Es muss ein Schock für dich gewesen sein – für euch beide –, als ihr euch zum ersten Mal gegenüberstandet.« Luisa versuchte, sich die Situation vorzustellen. »Ich bin Thorsten erst ein paarmal ganz kurz begegnet, aber er sieht dir unglaublich ähnlich. Nur dass er braune Haare hat und keine schwarzen. Aber sonst …«

»Es besteht jedenfalls kein Zweifel, dass hier derselbe Genpool mit eingemischt wurde«, witzelte er. »Ob ich schockiert war? Nun ja … wütend trifft es wohl eher. Nicht auf Thorsten, der kann ja nichts dafür, sondern auf Vater. Nach all den miesen Dingen, die er meiner Mutter schon angetan hatte, der Verachtung, weil sie sich nach meiner Geburt einfach nicht mehr so richtig gesundheitlich aufrappeln konnte, musste er ihr auch noch so etwas antun. Sie hat ihn geliebt, weiß der Teufel, wieso.« Lars’ Stimme war unwillkürlich lauter geworden, zorniger. »Aber mit seinem schäbigen Verhalten hat er sie letztlich ins Grab gebracht, davon bin ich überzeugt. Sie mag vielleicht an diesem verdammten Gebärmutterhalstumor gestorben sein, der seine Metastasen überallhin gestreut hatte, aber in Wahrheit war es ihr gebrochenes Herz, das sie das Leben gekostet hat. Sie konnte einfach nicht …« Er schluckte. »Nicht mehr kämpfen.«

»Bist du deshalb böse auf sie?« Diese Frage hatte sie ihm schon immer stellen wollen, sich aber nie getraut, selbst zu der Zeit nicht, als sie noch deutlich enger befreundet gewesen waren. Warum ihr die Frage ausgerechnet jetzt so leicht über die Lippen kam, konnte sie sich selbst nicht erklären.

Lars dachte einen Moment nach, bevor er antwortete: »Nein, auf sie war ich nie wütend. Immer nur auf Vater.« Er blickte Luisa in die Augen. »Du meinst, ich hätte ihr böse sein müssen, weil sie mich mit ihrem Tod praktisch im Stich gelassen hat? Weil sie nicht meinetwegen weitergekämpft hat?«

Unbehaglich schluckte Luisa. »Ja, so in der Art. Das wäre verständlich, weißt du …«

»Es war aber nie so. Ich habe nicht ihr die Schuld gegeben. Ich glaube, damit hätte ich ihr unrecht getan. Sie war nicht perfekt und meinen Vater zu heiraten war sicherlich einer ihrer größten Fehler, aber ich kann ihr nicht böse sein, dass sie den Kampf irgendwann aufgegeben hat.« Als in diesem Moment aus der Hundebox ein leises Fiepen zu hören war, stellte er rasch die inzwischen leere Radlerflasche zur Seite und beugte sich über den Welpen. »Na, Süße, bist du wieder wach? Noch nicht ganz? Macht nichts. Bald geht es dir wieder ganz gut, dafür sorgt die Frau Doktor schon.« Er warf Luisa einen kurzen Blick zu, richtete ihn aber gleich wieder auf das Hundekind. »Sie ist nämlich verdammt gut in ihrem Job.«

»Danke für die Blumen.« Luisa sah zu, wie er unglaublich sachte mit den Fingerspitzen über Kopf und Ohren der Kleinen strich. Erneut machte sich das Flattern in ihrer Magengrube bemerkbar, doch sie versuchte, es zu ignorieren.

»Ich spreche nur aus, was offensichtlich ist. Nicht wahr, Jolie? Die Frau Doktor Messner macht dich wieder heil.«

Was? Wie? Wovon redet diese Stimme da? Moment mal, das ist doch dieser große Mann-Mensch. Aua, weg! Oder … warte mal, der streichelt mich ja. Das tut gar nicht weh. Ich spüre eigentlich überhaupt keinen Schmerz. Nur wenn ich, aua, wenn ich mich bewege, das geht gar nicht. Weglaufen ist also schon mal nicht. Wo bin ich denn hier überhaupt? Ich sehe Plastikwände, aber da oben ist alles offen und … Huch, da ist wirklich dieser Mann-Mensch. Der ist ja riiiiesig. Aber er macht ein freundliches Gesicht und die große Hand, die gehört auch zu ihm, aber er macht nichts Schlimmes damit. Nur streicheln, da an meinem Ohr. Das fühlt sich gar nicht gefährlich an, sondern eigentlich ganz gut. Ja … ganz gut … Ich bin so müde. Vielleicht sollte ich … ein Nickerchen … machen …

»Sie wird gleich einschlafen«, prophezeite Luisa, die nun ebenfalls einen kurzen Blick in die Box warf. »Siehst du, schon sind ihre Augen wieder zu.« Lächelnd zog sie sich wieder an ihr Ende der Couch zurück. »Die Frau Doktor solltest du aber lieber weglassen. Noch ist meine Dissertation nicht fertig und überhaupt …«

»Ich bin überzeugt davon, dass du deinen Doktortitel schneller auf das Schild an der Praxistür gravieren lassen kannst, als andere Leute das Wort Dissertation überhaupt aussprechen können«, unterbrach er sie. »So schnell, wie du dein Studium und alles Drumherum absolviert hast, ist das doch jetzt nur noch ein Klacks für dich.«

»Na ja, ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht.« Lachend erhob sie sich, weil in diesem Moment die kleine Glocke an der Eingangstür ging, die verriet, dass jemand die Praxis betreten hatte. »Ich hoffe, das ist kein später Patient mehr, der hier noch Licht gesehen hat, sondern unsere Pizza.«

2. Kapitel

Gähnend schlüpfte Luisa in frische Jeans und eine weiße Bluse, deren Ärmel sie bis an die Ellenbogen hochkrempelte. Es war gerade sechs Uhr, doch sie hatte es in ihrem Bett nicht mehr ausgehalten. Sie musste ihre Patientendateien endlich auf den neuesten Stand bringen. Das hatte sie am Vorabend ja nicht mehr tun können, denn nachdem die Pizza geliefert worden war, hatten sie und Lars sich auf dem Computerbildschirm im Büro noch einen alten Gangsterfilm angesehen. Die Unterhaltung war darüber weitgehend zum Erliegen gekommen und einer kameradschaftlichen Stille gewichen, die sie von früher noch sehr gut kannte. Mit Lars hatte sie immer schon sehr gut schweigen können.

Irgendwann war er eingenickt, kein Wunder, schließlich hatte er eine lange, anstrengende Autofahrt hinter sich gehabt. Sie hatte ihm eine Wolldecke gegeben und sich nach oben in die kleine Wohnung zurückgezogen. An Schlaf war für sie selbst erst einmal lange nicht zu denken gewesen, dazu war sie zu unruhig. Sie schob es auf die Sorge um die beiden fellnasigen Patienten, doch wenn sie ehrlich wäre, hätte sie zugeben müssen, dass sie einfach nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte, dass Lars Verhoigen sich unter demselben Dach aufhielt wie sie – wenn auch schlafend.

Hatte sie sich nicht geschworen, ihn in keiner Weise jemals mehr in ihr Leben zu lassen?, fragte sie sich, während sie ihre Zähne putzte und zwei Tassen Kaffee aufsetzte. Und jetzt hatte er hier übernachtet! Zwar nur auf ihrer Couch und ausschließlich wegen des kleinen Hundemädchens, um das er sich sorgte, aber dennoch!

Sie hatten sich am gestrigen Abend ausgesprochen gut verstanden. Viel zu gut, warnte das leise Stimmchen der Vernunft in ihrem Kopf. Es war ihr immer viel zu leicht gefallen, Lars zu mögen … oder sogar deutlich mehr als das. Er war zehn Jahre älter als sie, ebenso wie ihr Bruder Alex, mit dem Lars immer schon sehr eng befreundet gewesen war. Als Kind hatte sie ihn wie einen zweiten, lustigen und manchmal auch etwas raubeinigen Bruder oder Cousin angesehen. Später dann, als sie ein Teenager gewesen war, er aber schon das Erwachsenenalter erreicht hatte, war alles anders geworden. Sie konnte keinen genauen Zeitpunkt nennen, wann genau sie sich in ihn verliebt hatte, ob es vielleicht immer schon irgendwie so gewesen war oder ob dieses Gefühl langsam gewachsen oder doch eher spontan entstanden war. Mit vierzehn war das Herzklopfen in seiner Gegenwart jedenfalls schon nicht mehr zu ignorieren gewesen und spätestens mit fünfzehn hatten sich ihre Gefühle für ihn mit einer unverbrüchlichen Gewissheit in ihrem Herzen festgesetzt, sodass für keinen anderen auch nur ansatzweise Platz gewesen wäre.

Sie wusste bis heute nicht und hatte ihn nie danach gefragt, ob er damals schon gewusst oder zumindest geahnt hatte, was sie für ihn empfand. Wenn es so gewesen war, hatte er sein Wissen gekonnt für sich behalten.

In jener Zeit war er wie ein Schmetterling gewesen, der von Blume zu Blume flatterte, von einer Affäre in die nächste schlitterte – mit voller Absicht und einem entsprechenden Ruf, der ihm vorauseilte, wohin er auch ging. Böse Zungen hatten behauptet, er eifere damit seinem Vater nach, doch einen Unterschied gab es: Lars Verhoigen hatte niemals mit zwei Frauen gleichzeitig etwas angefangen und keine von ihnen jemals betrogen. Sie verlassen, wenn er genug hatte, das ja, aber die Respektlosigkeit, die sein Vater sowohl seinen Ehefrauen als auch seinen Affären gegenüber an den Tag legte, konnte man bei Lars nicht erkennen.

Gebrochene Mädchen- und Frauenherzen hatten Lars’ Weg lange Zeit ebenso gepflastert wie der Tratsch über seinen auch ansonsten zügellosen Lebenswandel. Partys, zuweilen mit Alkohol- und auch schon mal Drogenkonsum, ungebührliches Verhalten, Schlägereien und immer wieder auch mal lustige, mal gedankenlose und dumme Streiche gehörten zu den alltäglichen Nachrichten über Lars Verhoigen. Eine Zeit lang hatte er Alex in seine Missetaten hineingezogen, und ab und zu hatte es sogar eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses und dergleichen gegeben. Alex hatte sich jedoch dank des Rückhalts seiner Familie rasch wieder berappelt, während Lars’ Kerbholz sich weiterhin mit Schnitzern gefüllt hatte, wenn auch nie mit wirklich ernsthaft schlimmen. Erst als er die fünfundzwanzig schon längst überschritten hatte, war er vernünftiger geworden, zumindest hinsichtlich der Einhaltung von Gesetzen. Einerseits hatte wohl Alex mit dafür gesorgt, der zu dieser Zeit bereits mitten im Jurastudium steckte, andererseits vielleicht auch die diversen Gardinenpredigten und Hilfestellungen, die Luisas Eltern Lars hatten zuteilwerden lassen. Sie hatten ihn immer gemocht und mehr in ihm gesehen als den rebellischen reichen Sohn und Erben von Carl Verhoigen und versucht, ihm zumindest ein wenig Familienanschluss zu vermitteln.

Das hatte natürlich dazu geführt, dass Luisa schon immer sehr viel und engen Kontakt zu Lars gehabt hatte. Interessanterweise hatte er weder ihr noch ihrer älteren Schwester je irgendwelche Avancen gemacht, obwohl er ja sonst kein Kostverächter gewesen war. Dabei wäre es vielleicht auch geblieben, wenn sie selbst nicht eines Tages beschlossen hätte, den Stier bei den Hörnern zu packen …

Luisa goss Kaffee in einen Becher und nahm ihn mit nach unten, blieb dann aber wie angewurzelt in der Tür zu ihrem Büro stehen. Das Bild, das sich ihr bot, veranlasste das lästige Flattern in ihrem Bauch, sich wieder zu regen, ganz zu schweigen von den warmen Wellen, die den Rest ihres Körpers durchspülten. Sehr, sehr leise und vorsichtig trat sie näher.

Lars hatte sich unter der Wolldecke vergraben. Er lag auf dem Bauch, seine Füße ragten ein wenig über die Armlehne hinaus. Sein rechter Arm hing an der Couch hinunter, seine Hand lag ganz dicht neben Jolie in der Box. Das Hundemädchen schlief ebenso tief und fest wie der Mann, hatte aber ihre Nase unter seinen kleinen Finger und den Ringfinger geschoben.

Luisa biss sich auf die Lippen. Wie in drei Teufels Namen sollte sie solch einem Anblick widerstehen können? Fast schon gewaltsam riss sie sich davon los, ging zu ihrem Schreibtisch, stellte den Kaffeebecher ab und schaltete den Computer ein. Sie musste arbeiten, auch wenn sie nicht so recht wusste, wie sie sich hier konzentrieren sollte.

***

Mindestens zehn Minuten lang beobachtete Lars die konzentriert arbeitende Luisa, ohne zu erkennen zu geben, dass er bereits wach war. Sie hatte sich in irgendwelche Notizen vertieft, vermutlich die Patientendaten, von denen sie gestern Abend gesprochen hatte und die sie da schon in ihren Computer hatte übertragen wollen. Dabei runzelte sie immer wieder leicht die Stirn, zog die Nase ein wenig kraus oder knabberte an ihrer Unterlippe – ganz wie früher. Ihre Mimik war ihm nach all den Jahren immer noch vertraut und brachte ihn auch heute noch unwillkürlich zum Lächeln.

Er hatte schon früh gewusst, dass Luisa Messner etwas Besonderes war. Nicht nur, weil sie bereits als Kind damit angefangen hatte, kleine Tiere mit Verletzungen gesund zu pflegen, sondern auch, weil sie hochintelligent war, eine überdurchschnittlich schnelle Auffassungsgabe besaß und stets ehrgeizig ihre Ziele verfolgt hatte. Dass sie mit ihrem ebenmäßigen Gesicht, den krausen blonden Locken und der schlanken, aber zugleich an genau den richtigen Stellen gerundeten Figur auch noch ausgesprochen hübsch anzusehen war, hatte er lange, lange Zeit hervorragend ignorieren können. Zumindest weitgehend. Nicht nur hatte er seinem besten Freund ein Versprechen gegeben; er hatte auch sich selbst geschworen, dieses kluge und zugleich zauberhafte Geschöpf als das zu achten, was sie war: eine wunderbare Freundin und ein Teil seiner Familie.

Er war mit den Messners nicht blutsverwandt und doch waren sie ihm schon immer viel mehr eine Familie gewesen als seine eigene. Seinen Vater hatte er früh zu verachten gelernt, seine Mutter war gestorben, als er noch ein Kind gewesen war. Die einzige Verwandte, die er gut leiden konnte, war seine Tante Marianne, die jüngere Schwester seines Vaters. Sie lebte in Hamburg und kam ihn in Abständen besuchen oder lud ihn zu sich ein. Ansonsten war er auf sich allein gestellt gewesen – bis er vor einigen Jahren während seiner Ausbildung zum Bootsbauer in den USA seinem Halbbruder Thorsten begegnet war. Mit ihm hatte ihn rasch ein sehr enges freundschaftliches – inzwischen auch brüderliches – Band verbunden. Dennoch waren, wenn man Lars danach fragen würde, Alex, dessen Eltern, Großeltern und Schwestern das, was er als seine Familie bezeichnen würde.

Darüber hinaus war Luisa zehn Jahre jünger als er, das allein hatte schon dazu geführt, dass sie für ihn absolut tabu gewesen war. Er hatte sie immerhin bereits gekannt, als sie noch im Kinderwagen gelegen hatte. Später hatte er sie bei Strandfesten oder Familienfeiern auf den Schultern getragen, ihr allerhand Unsinn erzählt – und auch beigebracht – und sie als das angesehen, was sie gewesen war: ein kleines Mädchen. Die süße jüngste Schwester seines besten Freundes. Dass aus der süßen Kleinen irgendwann ein hochgradig attraktiver Teenager geworden war, hatte dann allerdings die Beherrschung seiner Hormone immer wieder vor ungeahnte Herausforderungen gestellt. Nicht zuletzt, weil nicht nur er, sondern auch Luisa einen Heidenspaß daran gehabt hatte zu flirten. Dass daraus jemals mehr werden könnte, hatte er rigoros unterbunden, indem er sich mehr und mehr seinen häufig wechselnden Affären mit jungen Frauen aus der näheren und weiteren Umgebung von Lichterhaven zugewandt und sich damit einen nicht gerade schmeichelhaften, dafür aber umso effektiveren Ruf zugelegt hatte. Eine Weile hatte er dieses Leben wirklich genossen – frei, ungebunden, zuweilen wild. Luisa hatte darin zwar stets einen festen Platz gehabt, weil er sich mit ihr einfach gut verstanden hatte – zumeist sogar wortlos –, doch alles andere hatte er, als ihm die Gefahr bewusst wurde, in der er sich ihr gegenüber befand, zu verhindern versucht. Doch dann war alles anders gekommen, an Luisas achtzehntem Geburtstag.

3. Kapitel

Acht Jahre zuvor