Strandkorbträume - Gabriella Engelmann - E-Book
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Strandkorbträume E-Book

Gabriella Engelmann

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Beschreibung

In "Strandkorbträume", dem vierten Band ihrer beliebten "Büchernest"-Serie, verzaubert Spiegel-Bestsellerautorin Gabriella Engelmann erneut ihre Leser mit einem sommerleichten Urlaubs-Roman voller Nordseeflair und Inselfeeling. Auf der Nordsee-Insel Sylt trifft der Leser wieder auf Gabriella Engelmanns sympathische Figuren, die Buchhändlerin Larissa, ihre Freundin Nele, die patente Tante Bea und viele mehr, leidet mit ihnen, wenn ihnen das Leben Steine in den Weg legt – und genießt jede Seite, wenn sie gemeinsam die Tücken des Alltags bewältigen. Möwen überfliegen die Nordsee auf silbrigen Schwingen, die Sonne strahlt, der Duft von Meer umweht die Insel. Das Leben auf Sylt könnte so schön sein – doch Larissa, Eigentümerin des "Büchernests", hat ein Problem: Um ihre Schwangerschaft nicht zu gefährden, muss sie das Bett hüten. Händeringend sucht sie deshalb nach Personal. Wie gut, dass Buchhändlerin Sophie gerade an einem Wendepunkt ihres Lebens steht und vor allem eines braucht: neue Träume. Auch Tante Bea, Vero und Freundin Nele sorgen für Turbulenzen, helfen Larissa aber mit vereinten Kräften, als die Existenz des Buchcafés endgültig auf dem Spiel steht. Sommerleicht zu lesen – Wohlfühl-Bücher für den Strandkorb, die Couch und alle Lebenslagen: "Gabriella Engelmanns Romane sind Wohlfühl-Bücher für den Strandkorb, die das Herz erfreuen, aber den Verstand nicht beleidigen." Elmshorner Nachrichten "Gabriella Engelmann, Expertin für kluge Romanzen." FÜR SIE

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Gabriella Engelmann

Strandkorbträume

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Möwen überfliegen die Nordsee auf silbrigen Schwingen, die Sonne strahlt, der Duft von Meer umweht die Insel. Das Leben auf Sylt könnte so schön sein – doch Larissa, Eigentümerin des »Büchernests«, hat ein Problem: Um ihre Schwangerschaft nicht zu gefährden, muss sie das Bett hüten. Händeringend sucht sie deshalb nach Personal. Wie gut, dass Buchhändlerin Sophie gerade an einem Wendepunkt ihres Lebens steht und vor allem eines braucht: neue Träume. Auch Tante Bea, Vero und Freundin Nele sorgen für Turbulenzen, helfen Larissa aber mit vereinten Kräften, als die Existenz des Buchcafés endgültig auf dem Spiel steht.

Sommerleicht zu lesen – Wohlfühl-Bücher für den Strandkorb, die Couch und alle Lebenslagen: »Gabriella Engelmanns Romane sind Wohlfühl-Bücher für den Strandkorb, die das Herz erfreuen, aber den Verstand nicht beleidigen.« Elmshorner Nachrichten

 

»Gabriella Engelmann, Expertin für kluge Romanzen.« FÜR SIE

Inhaltsübersicht

WidmungLarissaSophieSophieLarissaSophieNeleSophieLarissaSophieLarissaSophieNeleLarissaSophieNeleSophieNeleLarissaSophieNeleSophieLarissaSophieNeleSophieNeleLarissaSophieNeleLarissaSophieNeleSophieLarissaSophieNeleAnhangRezept: Veros legendäre Kartoffel-Krabben-SuppeDanksagung
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Für den kleinen Niels.

Schön, dass Du jetzt da bist.

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1.

Larissa

Friedliche Stille lag über dem Watt, als Larissa mit ihrem Töchterchen Liuna-Marie von Keitum in Richtung Munkmarsch spazierte. Auf dem wogenden Seegras und dem trockenen Watt glitzerten noch Spuren des Schnees, der vor Tagen in samtweichen Flocken vom Himmel gefallen war. Austernfischer saßen auf den Sandbänken, Möwen kreisten auf silbrigen Schwingen über der Nordsee am grünen Kliff.

Über allem spannte sich ein strahlend blauer Februarhimmel, es duftete nach Meer, Algen und Sonne.

Nicht mehr lange, dann würden Seeschwalben und andere Zugvögel aus den warmen Winterquartieren zurückkehren. Dann würde der Frühling auf Sylt Einzug halten und der Insel, die seit der Jahreswende in trägem, erholsamem Schlaf lag, neues Leben einhauchen.

»Freust du dich auch schon so auf den Sommer, Liu-Maus?«, fragte Larissa und beugte sich über den Buggy, in dem ihre Kleine saß. Kaum zu glauben, dass sie schon eindreiviertel Jahre alt war. Wie schnell die Zeit doch verging, obwohl es hieß, auf den nordfriesischen Inseln tickten die Uhren langsamer. »Dann kitzelt die Sonne deine Nase, du kannst im Sandkasten spielen, und wir fahren mit Papa nach Hörnum zum Baden. Na, wie findest du das?« Liu lachte und klatschte Beifall, wie immer gut gelaunt und fröhlich. Ein kleiner Sonnenschein bei Tag, doch eine echte Nachteule, wenn es ums Schlafen ging, insbesondere bei Vollmond.

Während Larissa sich den Sommer auf Sylt in den schönsten Farben ausmalte, durchfuhr plötzlich ein scharfer Schmerz ihren Unterleib, dann wurde ihr übel.

Erschrocken blieb sie stehen, atmete tief durch und legte beide Hände schützend auf den Bauch, der sich schon sanft wölbte. Lius Geschwisterchen war an einem ganz besonderen Datum gezeugt worden, in der Nacht von Heiligabend im vergangenen Jahr. Einem Jahr voller Krisen und Bangen um die Zukunft, das am 24. Dezember ein unverhofft glückliches Ende gefunden hatte und nun durch diese erneute Schwangerschaft gekrönt worden war.

Bitte nicht schon wieder, dachte Larissa, die von einer Woge der Verzweiflung erfasst wurde. Leon und ich freuen uns doch so sehr auf das Kind! Erst nach zwei vorangegangenen Fehlgeburten hatte Liuna-Marie das Licht der Welt erblickt und sollte nun ein Geschwisterchen bekommen, auch wenn der Zeitpunkt für diese Schwangerschaft denkbar ungünstig war: Die Zukunft des Buchcafés Büchernest war immer noch ungewiss, außerdem stand am 21. Februar eine große Hochzeit bevor.

Ganz zu schweigen von der vielen Arbeit und Aufregung, die die Kooperation mit einem neuen Keitumer Hotel nach seiner Eröffnung mit sich bringen würde.

Ein zweiter stechender Schmerz im Bauch raubte Larissa beinahe den Atem, und sie beschloss, sofort kehrtzumachen. Auf der Suche nach Trost und Zuspruch rief sie den einen Menschen an, der ihr neben ihrem Mann und ihrer besten Freundin Nele am nächsten stand: Tante Bea.

»Alles in Ordnung, Lissy?«, fragte die alte Dame, als Larissa sie bat, möglichst schnell bei ihr daheim vorbeizuschauen. Irgendjemand musste auf Liuna-Marie aufpassen, weil Larissa sich bei ihrer Gynäkologin untersuchen lassen wollte.

Leon war zurzeit in der Westerländer Redaktion unabkömmlich. Und Nele vollauf beschäftigt mit dem Umbau des ehemaligen Reiterhofs.

»Ich hoffe«, antwortete sie mit gepresster Stimme, und steckte nach dem Telefonat das Handy in die Tasche ihres gefütterten Parkas.

Keine zehn Minuten später trafen Tante und Nichte zeitgleich vor dem hübschen Friesenhäuschen ein, in dem Larissa und Leon zur Miete wohnten. Liuna-Marie war mittlerweile eingeschlummert, Bea hob sie vorsichtig aus dem Buggy, den Larissa im Flur abstellte. »Meine kleine Zuckerschnute«, flüsterte Tante Bea, die von der ersten Sekunde an vernarrt in die Kleine gewesen war, genau wie ihr Lebensgefährte Adalbert, den Bea bald heiraten würde. »Soll ich sie nach oben ins Bettchen bringen?« Larissa nickte, ging in die Küche und stellte den Wasserkocher an. Stärkender Friesentee und ein Gespräch mit Bea würden ihr jetzt guttun. Doch zuerst musste sie ihre Gynäkologin anrufen und um einen kurzfristigen Termin bitten.

Kurz darauf saßen die beiden Frauen auf dem Sofa im geräumigen Wohnzimmer des Friesenhäuschens und schauten auf das prasselnde Feuer im offenen Kamin. Neben sich das große Panoramafenster mit Blick auf einen traumschönen Garten, Larissas großer Stolz.

»Gut, dass du morgen früh zu Frau Doktor Seebald kannst, dann hast du Klarheit«, sagte Bea und streichelte ihrer Nichte über die Wange. Ihre Hände waren kühl, dennoch

durchströmte Larissa ein wohltuendes Gefühl von Wärme und Geborgenheit. »Mach dir keine Sorgen, mein Liebling, es wird alles gut. Das ist sicher nichts weiter als ein kleines Formtief. Vielleicht mag das Baby ja auch den Ostwind nicht, der bis gestern um die Häuser gepfiffen hat. Schnabulier ein bisschen Zwieback, bestimmt hat dein Kleines nur Hunger und wollte dich daran erinnern, dass du für zwei essen musst.«

»Du hast bestimmt recht«, entgegnete Larissa seufzend und nahm eine Scheibe leicht gebutterten Zwieback vom Teller. Der Tee tat ihr gut, denn er wärmte und erfüllte sie mit neuer Energie. Beas Anwesenheit tat das Übrige.

»Erzähl doch mal, weißt du endlich, was du zur Trauung anziehen willst? Ich kenne keine Braut, die zehn Tage vor der Hochzeit immer noch dermaßen unentschlossen ist«, fragte sie, teils aus Interesse, teils um sich von ihren Sorgen abzulenken.

»Aber genau das macht mich doch so charmant und einzigartig, nicht wahr?«, antwortete Bea augenzwinkernd. Die Einundsiebzigjährige war trotz der Spuren, die das Leben hinterlassen hatte, eine aparte Erscheinung: groß, schlank, grauhaarig. Zurzeit trug Bea die ehemals fast raspelkurzen Haare ein wenig länger, was sie deutlich weicher und auch ein bisschen jünger wirken ließ. Die blauen Augen blitzten wie immer neugierig und aufmüpfig. Kapitänswitwe Bea Hansen hatte im Lauf ihres Lebens schon so einiges erlebt und vielen Stürmen getrotzt. »Aber um deine Frage zu beantworten: Ich denke, es wird doch der Hosenanzug. Zum Biikebrennen trage ich natürlich Jeans, einen dicken Pullover und die älteste Jacke, die im Schrank hängt. Nach dem Fest wird es zwar Tage dauern, bis der Rauchgestank sich verzogen hat, aber das ist ja nichts Neues, also gibt es keinen Grund zu jammern.«

Bea hatte recht: Die großen Feuer, die am 21. Februar traditionell überall in Nordfriesland entzündet wurden, um die Wintergeister zu vertreiben, und die früher auch dazu gedient hatten, die Walfänger zu verabschieden, bevor sie auf ihre große Reise ins Ungewisse aufbrachen, konnten jedes Outfit ruinieren. Der starke, beißende Rauch, aber auch der unkontrollierte Funkenflug waren nicht zu unterschätzen. Doch das wusste jeder, der diesen Brauch kannte.

»Der Hosenanzug steht dir super«, stimmte Larissa zu. »Aber ich würde noch viel lieber wissen, was du auf der Feier tragen willst. Doch wohl kaum Jeans und Daunenjacke?!«

Obwohl: Das wäre Bea, die sich selten um Konventionen scherte und alles andere als eitel war, ohne Weiteres zuzutrauen.

In diesem Moment durchfuhr Larissa ein weiterer scharfer Schmerz, der diesmal so heftig war, dass sie ohnmächtig wurde.

Das Nächste, was sie sah, als sie wieder zu sich kam, war das besorgte Gesicht ihrer Gynäkologin, die gerade mit Bea sprach, während sie Larissas Blutdruck maß. »Ihre Nichte muss sich unbedingt schonen, wenn sie das Kind behalten will«, hörte sie die Stimme von Frau Dr. Seebald wie durch einen Wattenebel. »Ab sofort gilt mindestens bis zum Ablauf des dritten Monats strengste Bettruhe. Und wenn ich strenge Bettruhe sage, dann meine ich das genau so. Das WC befindet sich doch hoffentlich oben beim Schlafzimmer? Andernfalls müssten wir sie ins Krankenhaus …«

»Auf gar keinen Fall ins Krankenhaus!«, flehte Lissy vollkommen verängstigt. »Lassen Sie mich bitte hier zu Hause bleiben.«

»Was müssen wir tun, um eine Einweisung ins Krankenhaus zu vermeiden?«, fragte nun auch Bea und sah die Gynäkologin mit schmalen Augen an. »Die kleine Liu braucht ihre Mutter, und Lissy würde es daheim eindeutig besser gehen. Zumal, wenn es sich um einen so langen Zeitraum handelt.«

»Nun, wie gesagt«, fuhr Frau Dr. Seebald fort. »Larissa darf nicht mehr als ein paar Schritte machen, und es sollte immer jemand da sein, der sie im Auge behält, falls nach dem Aufstehen der Kreislauf streikt. Zudem müssten wir uns darauf verständigen, wer ihr gegebenenfalls eine Thrombosespritze verabreichen könnte.«

»Wir kümmern uns um alles, ohne Wenn und Aber«, antwortete Bea so energisch, dass die Gynäkologin dem Sanitäter zunickte.

Larissa spürte, wie ein freundlicher Herr sie sanft hochhob, die Treppe zum Schlafzimmer nach oben trug und dann ebenso vorsichtig ins Bett legte, begleitet von Bea, die jeden Schritt aufmerksam verfolgte.

Larissa wollte gern etwas sagen, aber sie konnte nicht, weil ihre Gedanken durcheinanderwirbelten wie Blütenblätter nach einem Frühjahrssturm. Die Hochzeit, der Wiederaufbau des Büchernests, die Kooperation mit dem Hotel, Liuna-Marie … Wie sollte sie das nur alles bewältigen, wenn sie ab sofort schachmatt gesetzt war?

»Na, meine Süße, wie fühlst du dich?«, fragte Bea, die sich einen Stuhl ans Bett gezogen hatte und Larissa eine Strähne des dunkelblonden Haars aus dem Gesicht strich. »Du machst ja vielleicht Sachen.«

Larissa murmelte: »Grauenvoll«, wobei das noch milde ausgedrückt war. »Ich habe mich doch so auf eure Hochzeit gefreut. Und auf die Wiedereröffnung des Büchernests, und …«

Schon kullerten Tränen der Verzweiflung über ihre Wangen.

Bea machte »Schsch« und legte einen Finger auf Larissas spröde Lippen. »Du machst dir jetzt erst mal über gar nichts Gedanken, sondern konzentrierst dich auf das Baby. Alles andere regeln Nele, Vero, Olli und ich. Wir haben schon ganz andere Hürden gemeistert und halten immer zusammen, egal, was passiert. Die Hochzeit holen wir nach, sobald du wieder auf den Beinen bist. Ich kann auf gar keinen Fall vor den Traualtar treten, wenn du nicht dabei bist.«

Larissa wurde schon wieder schwarz vor Augen.

Es hatte so lange gedauert, bis Bea Adalbert endlich eine Chance gegeben, und mindestens ebenso lange, bis sie seinen Heiratsantrag angenommen hatte. Bis sie, Larissa, das Bett verlassen durfte und das Kind geboren war, würde noch viel Zeit vergehen – und wer wusste schon, was währenddessen geschah? Bea und Adalbert waren zwar bis auf wenige Zipperlein fit, aber das konnte sich in diesem Alter leider schnell ändern.

Was, wenn ihre Schwangerschaft die Eheschließung der beiden auf lange Sicht verhinderte?

Das würde sich Larissa nie verzeihen …

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2.

Sophie

Was machst du denn für ein Gesicht, Sophie? Sag bloß, dir schmeckt die Sachertorte nicht!«

Theres musterte mich prüfend, während sie das Glas hob, um einen Schluck vom Einspänner, einer Wiener Kaffeespezialität, zu trinken. Ich selbst hatte mir einen Verlängerten bestellt, Sahne türmte sich schließlich schon neben dem Tortenstück.

»Doch, doch«, stammelte ich, überlegte aber gleichzeitig, ob ich die Glasur des Kuchens nicht lieber abpulen und stehen lassen sollte. Sie hatte nämlich die Konsistenz einer ganzen Tafel Schokolade und war mindestens ebenso gehaltvoll. »Es ist nur … Sorry, aber ich habe heute so schlechte Laune, dass noch nicht mal Schokolade hilft. Tut mir leid, dass man das merkt.«

Theres beugte sich vor, als wolle sie mir etwas Vertrauliches verraten. Ein Hauch von Schlagsahne, in Wien Schlagobers genannt, glänzte auf ihren wunderschönen vollen Lippen. Und ich hatte tiefen Einblick in das sexy Dekolleté ihres hautengen schwarzen Kleides. »Willst du mir nicht sagen, was du auf dem Herzen hast? Dann haben wir es hinter uns und können die Zeit hier im Sacher genießen, bevor wir hinausgeworfen werden, weil sich die Warteschlange schon bis zur Albertina kringelt.«

»Alles in Ordnung bei den werten Damen?«, fragte wie aufs Stichwort der Kellner und unterzog unseren Tisch mit zusammengekniffenen Augen einer kritischen Begutachtung. Bestimmt hatte er Anweisung, dafür zu sorgen, dass wir hier möglichst schnell wieder verschwanden, um den Platz für neue Gäste frei zu machen. Schließlich konnten es viele Touristen kaum erwarten, endlich in diesem altehrwürdigen Hotel die Torte essen zu können.

»Alles bestens«, antworteten Theres und ich im Chor.

Theres klimperte mit den langen schwarzen Wimpern, was den Kellner aber nicht im Mindesten zu beeindrucken schien. »Wann die Herrschaften nix mehr bestellen wollen, bring ich Eana die Rechnung«, sagte er im typischen Wiener Singsang, einer Operettenmelodie nicht unähnlich.

»Ob der in seinem früheren Leben bei der Leibgarde von Sissi, pardon: Sisi gearbeitet hat? Der wirkt, als hätte er einen Stock im Oasch«, mutmaßte Theres, sichtlich erheitert, als der Kellner gegangen war. Was bestimmt daran lag, dass sie zu ihrem Einspänner einen Cognac bestellt hatte.

Ich flüsterte: »Däs kann i Eana leida net sogn«, was mich selbst zum Lachen brachte. Nach drei Monaten in Wien konnte ich den Dialekt schon ziemlich gut imitieren und hatte Spaß daran.

»Na, wer sagt’s denn, jetzt schaust du doch schon viel fröhlicher aus der Wäsche«, freute sich Theres. »Erzähl mir aber bitte trotzdem, was los ist, bevor wir hier gleich mitsamt der Rechnung hochkant rausfliegen. Hast du dich wieder mit David gestritten? Geht es sich mit euch beiden denn immer noch nicht aus?«

Obwohl Theres und ich uns erst seit zwei Monaten kannten, wusste sie nahezu alles über die komplizierte Verbindung, die David und mir das Leben schwer machte. Der gemeinsame Umzug nach Wien sollte der Neuanfang einer Beziehung sein, die zuvor bereits zweimal in die Brüche gegangen war.

Aber wie hieß es doch so schön: Aller guten Dinge sind drei.

»Kannst du dich noch an die letzten Folgen von Sex and the City erinnern?«, fragte ich, und Theres nickte. »Weißt du noch, wie Carrie einsam durch Paris irrt, während Alexandr Petrovsky seine Ausstellung vorbereitet?« Theres nickte erneut und schnappte sich die Glasur meiner Sachertorte, die nun neben dem Kuchenboden auf dem Teller lag. »Na klar. Sie stromert durch die graue Stadt, es nieselt, ein Mädchen streckt ihr die Zunge heraus, eine Taube kackt ihr auf den Kopf. Die Arme hockt stundenlang allein in Cafés herum und muss eine Verabredung sausen lassen, weil der werte Herr ihren Beistand braucht. Ich hätte mir das nie im Leben bieten lassen.«

»Aber die schlimmste Szene ist die, als er nach einem großen Streit, bei dem er versprochen hat, ab jetzt für sie da zu sein, im Museum ihre Hand loslässt, weil er die Mitarbeiter der Ausstellung begrüßt«, fuhr ich fort, und mein Herz wummerte so laut, dass es die Gäste am Nebentisch sicher hören konnten. »Ich fürchte, David hat ebenfalls meine Hand losgelassen, und zwar diesmal für immer.«

Nachdem ich laut gesagt hatte, was mich bedrückte, fühlte ich mich seltsam erleichtert und zugleich schwer wie Blei.

Es war, als schleppte ich seit Jahren eine Fußfessel samt schwerer Eisenkugel mit mir herum, die mich am Gehen hinderte, mir aber gleichzeitig Halt gab, weil sie schon so lange zu mir gehörte.

Sie loszuwerden würde nicht einfach sein.

»Wie meinst du das genau?«, fragte Theres und riss die violetten Augen auf. »Hat er gesagt, dass er sich von dir trennen will? Hat er … ich meine, hat er eine andere? Womöglich eine seiner Studentinnen?«

»Ich hoffe nicht«, erwiderte ich und fühlte mich kaum fähig, dieses lähmende Gefühl in Worte zu fassen, das mich seit Wochen quälte. Erinnerungen an Zeiten wurden wach, die ich verdrängt hatte. David und Katharina … Und später David und Pauline. Doch das wollte ich Theres nicht sagen. Denn wenn ich es aussprach, wäre dieser Betrug wieder real. Und ich noch verzweifelter, als ich es ohnehin schon war. »David hat sich hier in Wien in kürzester Zeit ein Leben aufgebaut, das ihn erfüllt und das er liebt. Er geht voll in seiner Professur an der Uni auf, trifft sich mit Kollegen, arbeitet an seinen Vorträgen …«

»… und du hast keinen Job, der dich ablenkt und genauso ausfüllt«, vervollständigte Theres den Satz. »Ach du je, hast du immer noch keine Rückmeldung von den Buchhandlungen, bei denen du dich beworben hast?«

Ich schüttelte den Kopf und kämpfte mit den Tränen. »Die meisten antworten noch nicht einmal, geschweige denn, dass sie mich zum Vorstellungsgespräch einladen. Keine Ahnung, ob es daran liegt, dass ich aus Hamburg komme.«

»Oder einfach daran, dass die Krise im Buchhandel auch vor Österreich nicht haltgemacht hat. Was ist denn mit anderen Jobs in dieser Art? Zum Beispiel im Museumsquartier? Oder in einem anderen Geschäft? Du könntest dich auch hier bei einer Eventagentur bewerben, schließlich hast du ein gutes Zeugnis von deiner alten Firma.«

»Auch das habe ich schon alles gemacht«, erwiderte ich und erschrak darüber, dass meine Stimme allmählich verschwand, so wie ich mich an der Seite von David immer mehr auflöste.

Was war nur aus der fröhlichen Fünfundzwanzigjährigen geworden, die gemeinsam mit Kollegin Anne in Hamburg-Eimsbüttel Spiebula, einen Laden für Kinderbücher und Spielzeug, betrieben hatte?

Die David ein Kinderbuch für seine Nichte empfohlen und dabei sein Herz im Sturm erobert hatte.

Wo war die Sophie, die das Leben liebte, viel lachte, ganze Nächte lang lesen konnte, damit sie am nächsten Tag tolle neue Empfehlungen für ihre Kunden parat hatte.

Über zehn Jahre waren vergangen, seit Davids und mein Weg sich gekreuzt hatten. Spiebula gab es seit vier Jahren nicht mehr, weil der Vermieter die Pacht so drastisch erhöht hatte, dass Anne und ich unseren heiß geliebten Laden aufgeben mussten. In anderen Stadtteilen waren die Mieten ebenfalls unerschwinglich, zudem hatte eine große Krise den Einzelhandel erfasst, was uns wenig Hoffnung auf einen Neuanfang gab.

Und so hatte Anne schließlich als Assistentin in einem Großhandel für Spielwaren angeheuert, und ich war über Umwegen bei einer Eventagentur gelandet, die relativ gut zahlte.

»So, die Damen, bitte sehr, die Rechnung«, sagte der Kellner und blieb demonstrativ am Tisch stehen, während ich nach meinem Portemonnaie kramte.

»Lass nur«, winkte Theres ab »Bist eh eingeladen.«

Ich bedankte mich, bot an, mich beim nächsten Treffen zu revanchieren, und so kehrten wir keine Minute später dem wunderschönen Salon den Rücken und schlenderten Richtung Ausgang. Lange hatte ich auf diesen Tag gewartet, an dem ich endlich Gelegenheit haben würde, ins Sacher zu gehen, und genoss diesen Luxus immer noch, trotz meiner trüben Stimmung. Mein Blick fiel auf ein rotes Samtsofa, vor dem ein Couchtisch aus weißem Marmor stand, flankiert von zwei mit hellem Stoff bezogenen, antiken Sesseln. Über dem Sofa thronte ein Ölgemälde, das Kaiser Franz Josef zeigte, eingefasst in einen opulenten Goldrahmen.

»Komm, lass uns ein Selfie machen«, schlug ich vor, weil das Sofa frei war und sich gerade keine Gäste in diesem Raum aufhielten, der aussah wie in einem Museum.

»Coole Idee«, befand Theres, und so setzten wir uns flugs nebeneinander, reckten die Hälse, entschieden uns dann aber gegen den lächerlichen Kussmund, Markenzeichen vieler Selfies. »Irgendwie ist mein Arm zu kurz«, schimpfte Theres, reckte und streckte sich und versuchte den optimalen Winkel für das Foto zu finden. »Enrik fand auch, dass irgendetwas mit meinen Proportionen nicht stimmt.« Während sie das sagte und dabei fröhliche Grimassen schnitt, sprach ihre Stimme eine ganz andere Sprache. Sie war mit einem Mal leise und brüchig, wie immer, wenn Theres, was allerdings selten vorkam, von ihrer verflossenen Liebe erzählte.

»Aber er hat dich vergöttert«, entgegnete ich. »Und das mit den Proportionen ist totaler Quatsch. Du bist eine bildschöne Frau. Doch wer so klein und zierlich ist wie du, der hat nun mal keine langen Affenarme. Im Übrigen würde das auch ziemlich doof aussehen.« Nun hellte sich das Gesicht von Theres merklich auf, wir alberten und kicherten noch eine Weile herum und hatten schließlich mehrere Selfies im Kasten, die ich später nach Hamburg schicken würde. Das Herumalbern tat gut, allerdings erfasste mich eine Welle von Einsamkeit, als Theres sich von mir verabschiedet hatte, weil sie noch mit ihrer Mutter verabredet war.

Allein und auch ein bisschen verloren spazierte ich durch die Straßen, vorbei an zahllosen Touristen, die Wien eher durch die Linse ihrer Kameras wahrnahmen als durch die Augen.

Mein Weg führte mich an der Hofburg vorbei und irgendwann in Richtung Burgtheater. Als ich das Programmangebot in der Schautafel studierte, klingelte mein Handy. Die Anruferin war Nele, eine gute Bekannte, die auf der Nordseeinsel Sylt lebte.

»Moin Sophie«, begrüßte sie mich fröhlich, klang aber ein wenig atemlos. »Störe ich?«

Ich verneinte, überquerte die Straße und setzte mich auf die Bank im kleinen Park schräg gegenüber vom Theater. Zurzeit waren die Äste der Forsythienbüsche noch kahl. Doch schon bald würden im Prater wieder die Bäume blühen, wie einst Hermann Prey so schön gesungen hatte.

»Sag mal, wie geht’s dir denn so in Wien? Hast du dich gut eingelebt?« Ich gab Nele einen kurzen Abriss der vergangenen drei Monate, ließ allerdings die erneute Beziehungskrise mit David unerwähnt. So ein Thema war eher etwas für ein Vieraugengespräch.

»Das heißt also, du hast im Moment keinen Job?«

»Das stimmt leider«, antwortete ich. »Aber wieso sagst du das so fröhlich? Ich kann daran ehrlich gesagt gar nichts Positives finden.«

»Sorry, das stimmt natürlich.« Neles Tonfall wurde ernster. »Aber vielleicht kommt meine Frage gerade deshalb zur richtigen Zeit. Die Situation ist nämlich folgende …«

Gespannt lauschte ich Nele, die mir wortreich erzählte, dass ihre gute Freundin Larissa schwanger sei und aufgrund von Komplikationen ab sofort das Bett hüten müsse. Aus diesem Grund suche sie händeringend nach einer Mitarbeiterin für das Buchcafé Büchernest in Keitum und außerdem jemanden, der sich mit der Organisation von Events auskannte. Es ging da offensichtlich um irgendeine Kooperation mit einem Hotel, das künftig Eventlesungen, Schreibworkshops und etliches mehr anbieten wollte. Erschlagen von den vielfältigen Informationen und Neles Redeschwall, versuchte ich dennoch zu folgen. »Und dabei bist du mir in den Sinn gekommen«, schloss sie triumphierend.

»Aber ich arbeite doch schon seit Ewigkeiten nicht mehr als Buchhändlerin«, protestierte ich, während wohliges Kribbeln aus den Zehenspitzen die Beine hinaufkroch und schließlich die Bauchgegend erreichte. Bilder aus meiner geliebten Spiebula-Zeit überfluteten mich, Erinnerungen an eine wunderschöne, unbeschwerte Lebensphase, in der ich geglaubt hatte, meinen Platz im Leben gefunden zu haben, mit David als Mann an meiner Seite.

»Ach Quatsch«, protestierte Nele. »Wie lange ist das her? Drei Jahre? So was verlernt man doch nicht. Bea wird dich einarbeiten, genau wie Lissy. Die kann dich zwar nur vom Bett aus couchen, pardon: coachen, aber immerhin.«

»Vier Jahre«, korrigierte ich Nele. In meinem Kopf rangelten widerstreitende Gedanken. Ein Teil von mir freute sich über diesen unerwarteten Vorschlag, der andere hatte Angst.

Vor allem davor, welche Wirkung so ein Sylt-Aufenthalt auf meine krisengebeutelte Beziehung zu David haben würde.

»Für wie lange bräuchtet ihr mich denn?«, fragte ich, um mir ein genaueres Bild zu verschaffen. »Und wieso findet ihr niemanden von der Insel? Oder jemanden, der zumindest in Deutschland lebt.«

»Lissy ist gerade im dritten Monat schwanger und wird sicher nicht sofort nach der Geburt wieder einsteigen, zumal Liuna-Marie auch noch klein ist. Auf Sylt gibt es derzeit leider niemanden, der einspringen könnte, das haben wir alles längst gecheckt. Buchhändler vom Festland zu bekommen, könnte klappen, doch bezahlbarer Wohnraum auf Sylt ist echt knapp, wie du weißt. Ich lebe momentan in dem Haus, in dem auch das Büchernest übergangsweise untergebracht ist. Aber du könntest in Beas Gartenpavillon einziehen, wo ich auch schon oft gewohnt habe. Einen völlig Fremden würde sie dort nur im Notfall wohnen lassen.«

Es ging also um den Zeitraum eines ganzen Jahres.

»Bis wann muss ich mich entscheiden?«, fragte ich und versuchte meinen Herzschlag zu beruhigen. Ich hatte die Chance, endlich wieder in meinem Traumberuf zu arbeiten, dazu noch den Sommer auf einer wunderschönen Insel zu verbringen, Nele zu sehen. Und Abstand von der Misere mit David zu gewinnen.

»Sobald wie möglich«, antwortete Nele. »Aber mach dir bitte keinen Stress, immerhin habe ich dich mit dem ganzen Kladderadatsch total überfallen.«

Das stimmte zwar, passte aber zu Nele.

Die aus Bremen stammende Malerin war an guten Tagen ein echter Wirbelwind, an schlechten ein Tornado, der alles und jeden mit sich riss. Aber vielleicht musste man als Künstlerin so sein.

Schließlich entstand wahre, große Kunst fast immer auch aus großen Emotionen, auch wenn diese großen Gefühle zuweilen für das Umfeld anstrengend waren.

»Okay, ich denke darüber nach, rede mit David und melde mich dann so rasch wie möglich«, versprach ich.

»Alles klar«, erwiderte Nele. »Dann hoffe ich für uns alle, dass es klappt, und sage für heute Baba, oder wie heißt das noch mal in Wien?«

»Ja, genau so heißt das«, antwortete ich schmunzelnd. »Kannst aber auch ebenso gut Servus sagen. Bis ganz bald, Nele.«

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3.

Sophie

Regen prasselte gegen die Scheiben der Dachgeschosswohnung in der Großen Stadtgutgasse, im historischen Stadtzentrum zwischen dem Stephansdom und dem Prater gelegen. Ich schaute auf das Fenster des gegenüberliegenden Altbaus und sah, wie sich das dort wohnende Pärchen innig küsste. Diese Liaison war relativ neu, denn vor der Blondine, die sich an den Mieter von gegenüber schmiegte, hatte er eine Rothaarige im Arm gehabt.

Bäumchen, wechsle dich …

An sich gehörte es nicht zu meinen Gewohnheiten, die Nachbarschaft zu begaffen, aber die Tage in Wien wurden lang und immer länger – irgendwann kam man unweigerlich auf dumme Ideen. Bevor ich zum ungebetenen Zaungast fremder Angelegenheiten geworden war, hatte ich für David und mich gekocht, denn ich wollte in Ruhe mit ihm über Neles Angebot sprechen. Hoffentlich war er pünktlich und wurde nicht wieder von Studenten belagert, wenn er die Uni verlassen und zu mir nach Hause kommen wollte.

Der Duft des Gemüsegratins durchzog die winzige Wohnung, die wir zum Start in unser neues Leben angemietet hatten, und mein Magen begann zu rumoren. Allerdings nicht nur weil ich Hunger hatte, sondern weil das Aufstellen von Pro-und-Kontra-Listen und auch das Grübeln über Neles Vorschlag mich mittlerweile ziemlich zermürbt hatten.

Theres hatte spontan gesagt: »Mach das auf alle Fälle«, als ich sie angerufen und um Rat gebeten hatte. »Bestimmt tut euch beiden ein wenig Abstand gut, und du kannst endlich wieder das machen, was dir so fehlt.«

Als der Küchenwecker klingelte, weil es Zeit war, den geraspelten Käse auf das Gratin zu streuen, war David bereits zwanzig Minuten zu spät dran. Genervt suchte ich nach dem Handy, das ich stets irgendwo in der Wohnung herumliegen ließ, weil es mir nicht so wichtig war wie den meisten anderen Menschen.

Und tatsächlich: David hatte mir geschrieben, dass er es nicht vor zwanzig Uhr schaffen würde.

Noch eine Dreiviertelstunde warten, dachte ich seufzend und entkorkte den Rotwein, den ich für heute Abend ausgewählt hatte. Einen kleinen Schluck des Blaufränkischen aus dem Burgenland, den wir neulich in einem exquisiten Weinladen besorgt hatten, goss ich in mein Glas. Ansonsten sollte er atmen und sich entfalten können. Gedankenverloren schnupperte ich zunächst am Wein und trank dann den ersten Schluck, an dessen Verkostung ich mich kaum mehr erinnern konnte. Ich wusste nur noch, dass wir anschließend ziemlich angeheitert im Trzesniewski Schnittchen gegessen und danach im Bräunerhof Kaffee getrunken hatten. Verlängerter und Einspänner, untermalt von Schrammelmusik und mit Thomas-Bernhard-Devotionalien im Blick.

In diesem Kaffeehaus hatte der große österreichische Schriftsteller zahllose Stunden verbracht und wurde immer noch verehrt wie ein Heiliger.

An unseren ersten Tagen in Wien war es uns gut gegangen in dieser Stadt der Romantiker, Künstler, Dichter und Denker.

Wir hatten jede Sekunde genossen, waren Arm in Arm herumspaziert, schick essen gegangen – oder eher rustikal in einem der zahllosen Beisel, die wir genauso schnell lieb gewannen wie die tollen Museen und Theater, die Architektur, die Lebendigkeit und den viel zitierten Wiener Schmäh.

Vielleicht muss unsere Beziehung einfach mal wieder atmen, dachte ich mit Blick auf die geöffnete Flasche.

Aber wie oft denn noch?, hielt eine andere Stimme dagegen.

Ihr habt euch doch schon zweimal getrennt.

»Hallo Schatz, tut mir leid, dass ich schon wieder so spät dran bin«, rief David. »Brrrr, was für ein Mistwetter.«

Ich ging in den Flur, gab David einen Begrüßungskuss und nahm ihm den nassen Schirm ab. »Schon okay, daran bin ich ja mittlerweile gewohnt«, gab ich zur Antwort und stellte den Regenschirm in das Duschbecken unseres winzigen Badezimmers unter der Dachschräge.

Mist! Ich klang wie eine grässliche Zicke!

»Mhm, das duftet ja köstlich«, schwärmte David. Küsste mich flüchtig auf die Wange und öffnete die Tür des Backofens. Ein Schwall heißer Luft entwich und beschlug binnen Sekunden die Küchenfenster. »Ich sterbe gleich vor Hunger. Lieb, dass du für uns gekocht hast.«

Eines musste man David lassen: Er freute sich immer über meine Zuwendung und nahm sie nicht als selbstverständlich. »Am Wochenende bügle ich als Dankeschön unsere Sachen, versprochen. Gibt’s eigentlich irgendetwas Neues in Sachen Bewerbungen?«

Ich schüttelte den Kopf, verteilte zwei dampfende Portionen Gratin auf unsere Teller und versuchte mich nicht darüber zu ärgern, dass die Käseraspel an einigen Stellen leicht verkohlt waren. »Zumindest nicht, was Wien betrifft.«

So, nun war es raus.

»Nanu?« David zog verwundert eine Augenbraue hoch und schenkte uns beiden Wein und Wasser ein. »Hast du ein Jobangebot aus Hamburg?«

»Noch nördlicher«, murmelte ich, erschrocken darüber, dass der Stein nun unaufhaltsam ins Rollen geraten war. »Genauer gesagt: von Sylt. Nele hat mich gefragt, ob ich für ungefähr ein Jahr im Büchernest aushelfen könnte, weil es wohl Probleme bei der Schwangerschaft ihrer Freundin, der Buchhändlerin Larissa, gibt und auch sonst jede Menge zu tun ist.«

»Nele, Nele?« David schien in der Schublade seiner zahllosen Kontakte die Orientierung verloren zu haben, doch dann fiel es ihm wieder ein: »Ach ja, Nele – die temperamentvolle, rothaarige Malerin, bei deren Vernissage wir waren. Wie hieß noch diese tolle Galerie auf der Fleetinsel?«

»ArtFuture«, antwortete ich und erinnerte mich an den schönen Abend mit der Malerin, ihrer Freundin Larissa und der Galeristin Paula.

»Und wer war noch mal Larissa, und was ist dieses Büchernest? Sorry, ich habe einfach zu viel im Kopf, um mir das alles merken zu können.«

Ich erklärte David, dass das Büchernest ein Buchcafé war, entstanden aus dem Möwennest, Neles ehemaligem Café, und der Bücherkoje, der Buchhandlung von Larissas Tante Bea, einer Kapitänswitwe, die in Keitum lebte. »Du hast aber schon verstanden, dass ich ein ganzes Jahr auf Sylt leben würde, falls ich das Angebot annehme?«, beendete ich meine Ausführungen und versuchte dabei in Davids Augen zu lesen. Doch es gelang mir nicht. Sein Mund lächelte zwar, als er fragte: »Würdest du das denn gern machen?«, doch seine Augen blickten seltsam leer, als sei er in Gedanken ganz woanders.

Dieser Blick war es, der mich schließlich veranlasste, »Ja« zu sagen, obwohl ich das gar nicht wollte.

»Na, dann ist doch alles klar«, entgegnete David und aß den Teller leer. »Es tut dir bestimmt gut, endlich wieder etwas um die Ohren zu haben und in deinem erlernten Beruf zu arbeiten. Zurzeit bist du ja ein wenig … nun ja, unausgeglichen … und irgendwann wird die Situation natürlich auch in finanzieller Hinsicht schwierig. Schließlich wollen wir ja nicht ewig in dieser Dachkammer hocken, nicht wahr?«

So wie David das sagte, klang es, als wären wir beide in einem Rattenloch zusammengepfercht. Als wäre er mein persönlicher Gefangener. Und was sollte das heißen – unausgeglichen?! Wie würde es ihm denn ergehen, wenn er arbeitslos wäre, ohne Freunde und Familie an seiner Seite?

»Wir können ja pendeln und versuchen, uns einmal im Monat zu sehen.«

Der letzte Satz gab den Ausschlag: kein Bedauern, kein Ich werde dich vermissen, kein Das ist aber eine lange Zeit. David wirkte abgeklärt, beinahe erleichtert, mich los zu sein.

»Dann ist es also beschlossene Sache?«

Das Fragezeichen hinter diesem Satz hätte ich mir im Grunde sparen können, denn ich kannte die Antwort.

Gescheitert im dritten Anlauf.

»Dann rufe ich wohl mal Nele an«, sagte ich, stand auf und hatte das Gefühl, der Boden schwankte unter meinen Füßen. Das war’s dann also, das banale Ende einer großen Liebe, die zehn Jahre lang immer wieder tapfer allen Widerständen, Seitensprüngen, Streits und Differenzen getrotzt hatte.

Eine Liebe, von der ich geglaubt hatte, sie kitten und bewahren zu können, wenn ich nur genug Geduld hatte, genug um sie kämpfte.

Aber manchmal ist Liebe eben nicht genug, hatte Theres erst neulich gesagt, als wir mal wieder über ihren Ex-Freund Enrik Schaefer gesprochen hatten, der auf der Nordseehallig Fliederoog lebte.

Nele stieß einen begeisterten Schrei aus, als ich ihr sagte, ich würde den nächstmöglichen Flug nehmen. Vielleicht gab es ja sogar eine direkte Verbindung zwischen Sylt und Wien?

Sie nannte mir das Gehalt, das im üblichen Rahmen lag, und versicherte mir erneut, dass ich kostenfrei in Beas Gartenpavillon wohnen könnte, und wie sehr sich alle über meine Entscheidung freuten. Nachdem ich versprochen hatte, mich zu melden, sobald meine genauen Reisedaten feststanden, fragte ich Theres, ob ich ein oder zwei Nächte bei ihr schlafen könnte, bis ich nach Sylt abfuhr.

David stand die ganze Zeit schweigend hinter mir, während ich telefonierte. Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber ich spürte seine Anwesenheit. Das war immer schon so gewesen.

Doch damit war nun Schluss.

Und zwar ein für alle Mal.

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4.

Larissa

Hey Süße, wir sind alle Probleme auf einen Schlag los!«, rief Nele triumphierend, als sie gegen Mittag in Larissas Schlafzimmer stürmte. »Sophie hat zugesagt und wird schon morgen hier sein. Ich hole sie um eins am Bahnhof ab und bringe sie erst zu Bea, danach kommen wir hierher, und ihr beide könnt euch ein bisschen beschnuppern.«

»Echt jetzt?!« Larissa hatte Mühe, diese Neuigkeit zu glauben. Schon seit Tagen kämpfte sie gegen ihre trübe Stimmung an und verlor dabei nicht selten. So gern sie sonst im Bett lag – in diesem Fall war es vollkommen anders. »Aber das ist ja fantastisch. Weiß Bea schon Bescheid? Wird Sophie im Pavillon wohnen?«

Nele nickte, ihre grünen Augen funkelten, als sie sich vorsichtig neben Larissa auf Leons Betthälfte setzte. »Ich habe es Bea schon vor zwei Tagen gesagt, damit sie alles vorbereiten kann. Dir wollte ich aber erst davon erzählen, wenn auch wirklich alles in trockenen Tüchern ist.«

Trotz der Freude musste Larissa schlucken.

Würde das ab jetzt immer so sein? Blieb sie bei allem außen vor, weil sie das Bett hüten musste?

Würde Sophie jetzt einfach ihren Platz einnehmen, und das Leben ging für alle anderen ganz normal weiter?

Draußen schien die Sonne, Vogelgezwitscher kündigte den Frühling an, doch Larissa war dazu verdonnert, all das nur von diesem Platz aus zu erleben. Die Betreuung ihrer Tochter lag nun größtenteils in der Hand von Anke, Liuna-Maries Tagesmutter, die zum Glück bereit gewesen war, die übliche Betreuungszeit zu verlängern und die Kleine so lange bei sich zu behalten, bis Bea, Vero oder Leon sie abholten. Immerhin war sie so gut wie nie allein, weil immer jemand da war, um bei ihr nach dem Rechten zu sehen und ihr behilflich zu sein.

Dennoch presste Larissa tapfer ein »Hey, das ist wirklich super« hervor. »Etwas Besseres hätte uns in dieser Situation nicht passieren können. Ich habe Sophie zwar nur kurz damals auf der Vernissage gesprochen, doch sie schien sehr sympathisch zu sein. Aber was sagt denn ihr Freund dazu, der damals auch dabei war? Wie hieß er noch gleich? Daniel oder …«

»David«, korrigierte Nele und strich ihren bunten Minirock glatt, der beim Hinlegen ein bisschen zu weit nach oben gerutscht war. »Wenn ich Sophie richtig verstanden habe, sind die beiden jetzt getrennt. Die Entscheidung, hierherzukommen, hat ihrer ohnehin schwierigen Beziehung offenbar den Rest gegeben. Ich persönlich glaube aber, dass das ganz gut so ist. David ist zwar ein cooler Typ, doch ziemlich speziell. Irre viel mit sich selbst beschäftigt und quasi mit der Uni verheiratet. Wenn du mich fragst, ist der nichts für Sophie, so gern ich ihn auch mag.«

»Na, das kommt mir doch irgendwie alles recht bekannt vor«, erwiderte Larissa. »Paula ist damals nach Sylt geflüchtet, um sich über ihre Ehe mit Patrick klar zu werden. Ich wurde von Stefan betrogen, bevor Bea mich fragte, ob ich sie in der Bücherkoje vertreten kann … Schon verrückt, wie sich manche Vorkommnisse ähneln oder sogar wiederholen. Aber so ist es eben mit der Liebe … Apropos: Wie läuft’s denn drüben im Reiterhof mit dem Umbau?«

Diese Frage zielte eigentlich auf etwas ganz anderes ab, nämlich auf Sven, Neles Techtelmechtel seit Ende des vergangenen Jahres.

Ein Strahlen zog über Neles Gesicht.

»F-a-n-t-a-s-t-i-s-c-h!«, hauchte sie und schmiegte ihr Gesicht an Larissas Wange. »Ach Lissy, wer hätte gedacht, dass ich jemals so glücklich mit einem Mann sein könnte?«

Larissa schmunzelte. Nele und die Liebe, ein sehr spezielles Thema, das stetig für Turbulenzen sorgte.

Mit dem smarten Sven, künftiger Besitzer des Reiterhofs in Keitum, stand das Barometer allerdings schon länger auf Hoch.

»Ich freue mich für dich, denn du hast es mehr als verdient. Aber jetzt erzähl mal, wie lange brauchen Sven und sein Großvater noch, bis sie offiziell mit der Vermietung beginnen können?«

»Momentan ist alles so weit fortgeschritten, dass der größte Teil der Hochzeitsgäste von Bea und Adalbert dort wohnen kann. Der Rest verteilt sich, je nach Geldbeutel, auf das Hotel Aarnhoog, den Benen-Diken-Hof und auf diverse Ferienwohnungen. Nach den Feierlichkeiten wird dann weitergewerkelt. Wir hoffen, dass zu Pfingsten alles startklar ist.«

Nele hatte hochrote Wangen vor Vorfreude, denn sie stand Sven in Sachen Einrichtungs- und Dekotipps mit Feuereifer zur Seite. Als Malerin besaß sie das nötige Gespür für Farben und hatte, auch was ihr eigenes Styling betraf, einen tollen Geschmack.

»Ach ja, die Hochzeit«, seufzte Larissa traurig. »Könnt ihr die bitte via Livestream übertragen? Und mir was vom Grünkohl aufheben?«

Wenn sie an das bevorstehende Ereignis dachte, wurde der Kloß in ihrem Hals unerträglich groß. Es hatte sie viel Kraft gekostet, Tante Bea zu überreden, trotz ihrer Unpässlichkeit alles wie geplant stattfinden zu lassen. Den Ausschlag für Beas Zustimmung hatte schließlich die Tatsache gegeben, dass viele Gäste extra nach Sylt anreisen mussten, schon lange vorher Urlaub genommen und ihre Unterkunft auf der Insel gebucht hatten. Alles wieder rückgängig zu machen wäre ein gewaltiger Kraftakt gewesen.

»Keine Bange, du bekommst das volle Programm, meine Süße«, antwortete Nele und tätschelte Larissas Arm. »Grünkohl, rote Grütze mit Vanilleeis, Hochzeitstorte und so weiter. Und ich versorge dich natürlich stündlich über WhatsApp mit neuen Fotos und Videos. Leon und du werdet das Gefühl haben, live dabei zu sein. Am nächsten Tag feiern wir dann im kleinen Kreis bei euch und veranstalten hier oben eine Pyjamaparty. Vero ist schon dabei, alles auszukundschaften, was es an Fingerfood gibt, damit wir ein kleines Büfett aufbauen können. Sie schaut übrigens gleich vorbei, um die genaue Auswahl mit dir zu besprechen. Kommst du denn sonst soweit klar? Soll ich dir heute Abend neue Bücher, DVDs oder Hörbücher mitbringen?«

»Danke, ich habe alles, was ich brauche. Momentan verschlinge ich die Bücher von Guillaume Musso, die ich bislang aus Zeitmangel nicht lesen konnte. Vielleicht morgen ist megaspannend«, meinte Larissa und musste gähnen. Dieses viele ungewohnte Liegen machte sie müde, genau wie die Schwangerschaft. »Wie läuft’s denn jetzt eigentlich im Büchernest? Finden die Leute überhaupt den Weg zu uns in die Süderstraße?«

»Der Brüller ist es zurzeit nicht, wenn ich ehrlich bin«, antwortete Nele, die nun wieder aufrecht saß. Ihre Mittagspause war gleich vorüber, und sie musste Bea ablösen, die in der Buchhandlung die Stellung hielt. »Im Februar ist auf Sylt ja eh tote Hose, und wenn sich mal einer zu uns verirrt, kannst du leider darauf wetten, dass wir den Titel, den der Kunde haben möchte, gerade nicht am Lager haben. Aber es dauert ja nicht mehr lange, dann kommt wieder Leben in die Bude, wir stocken den Warenbestand auf, und alles wird wieder gut. Wäre zwar besser, wenn Ostern in diesem Jahr ein bisschen früher wäre, damit der Rubel rollt, aber was soll’s. Man kann nichts erzwingen.«

Ja, man kann nichts erzwingen, dachte Larissa bedrückt, nachdem Nele gegangen war. Sie schaute auf die Uhr, deren Zeiger sich nur quälend langsam vorwärtsbewegten.

Wenn Bea, Vero und Olli sich nicht immer wieder die Klinke in die Hand gegeben hätten, wäre Larissa bestimmt schon durchgedreht.

Zu schade, dass ihre gute Freundin Paula, die seit einer ganzen Weile ebenfalls auf Sylt lebte und die Büchernest-Kita Inselkrabben