Strandmelodie - Erwin Stahl - E-Book

Strandmelodie E-Book

Erwin Stahl

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Usedom-Krimi Ein Fischer aus Ahlbeck macht einen außergewöhnlichen Fang und wird dadurch an ein schmerzliches Ereignis in seiner Vergangenheit erinnert. Hauptkommissar Hannes Wittkowski erhält den Auftrag, diesen Fang am Strand zu begutachten und stößt dabei unweigerlich auf den Mord an einer Frau. Seine eigentliche Aufgabe war es, eine schon seit längerem agierende Autoschieberbande auf Usedom ausfindig und dingfest zu machen. Plötzlich jedoch verschwinden in Heringsdorf weitere Frauen, von denen eine schließlich tot in einem gestohlenen Auto aufgefunden wird. Hannes Wittkowski bekommt die vorübergehende Leitung einer Sonderkommission und versucht Klarheit in ein Verwirrspiel zwischen Autodieben und ermordeten Frauen zu bringen. Die Usedomer Tagespresse schreibt im Nachgang von Vorfällen, die es so noch nicht auf der Sonneninsel gegeben hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Erwin Stahl

Strandmelodie

Ein Usedom-Krimi

© 2021 Erwin Stahl

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-29676-3

Hardcover:

978-3-347-29677-0

e-Book:

978-3-347-29678-7

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Strandmelodie

Ein Usedom-Krimi

von Erwin Stahl

Mein besonderer Dank für das zum Buchcover gefertigte Gemälde geht an die Künstlerin

Pernille Støckler-Gathmann.

Das Wetter war sehr ungemütlich. Der Deutsche Wetterdienst hatte Windstärken von über Acht Beaufort vorhergesagt, die teilweise schon jetzt am Strand zu spüren waren.

Mit jeder Windböe schlug ihm feiner Sand ins Gesicht. Ein Blick in den Himmel ließ ihn erahnen, dass der Regen auch nicht mehr lange auf sich warten ließ.

Kai Tegge war das gewohnt. Was sollte ihm so ein Wetter schon anhaben können. Natürlich gab es die schönen und entspannten Zeiten im Sommer.

Besonders die Ostsee zeigte sich um diese Zeit harmonisch, ruhig und weich. Kleine Wellen kräuselten sich spielend und unscheinbar am Strand und luden Badegäste und Segler zum Vergnügen ein.

Aber Anfang Oktober musste man mit allem rechnen. Die See wurde rau und gefährlich. Wellen und Strömungen durfte man nicht unterschätzen. Nur erfahrene Menschen trauten sich nun noch mit ihren Booten hinaus.

Das war auch gut so, denn Kai konnte es nicht mit ansehen, wie viele diese Freizeitschiffer mit ihren aufgemotzten Segelbooten im Küstenbereich segelten, durch die Wind- und Wasserverhältnisse überfordert waren und häufig die Seenotrettungskreuzer oder Boote der Wasserschutzpolizei bemüht wurden, um die Havarierten wieder einzuschleppen.

Kai kam aus Ahlbeck, war Fischer in vierter Generation und kannte die Ostsee wie seine Westentasche.

Mit etwas über 60 Jahren, mittelgroß und recht korpulenter Figur, Wetter gegerbter Gesichtshaut, durch die sich viele Falten zogen, muskulös wirkenden Unterarmen und kraftvollen Händen war er einer der letzten seiner Zunft. Die Fischerei lag ihm im Blut, er kannte nichts anderes.

Kai konnte sich nicht erinnern, seine Insel jemals verlassen zu haben. Warum auch? Alles, was sein Leben ausmachte und er dazu brauchte, fand er hier.

Usedom und besonders das charmante Seebad Ahlbeck mit seinen kunstvollen Villen aus der Jahrhundertwende waren seine Heimat.

Die Fischer auf Usedom starben aus.

Im Laufe der Jahre wurden die Boote am Strand immer weniger. Viele erfahrene Fischer gab es nicht mehr und ihre Nachkommen konzentrierten sich eher auf den Tourismus oder Vermietung von Wohnungen als auf Fischfang. Die jahrelange Überfischung der Ostsee forderte ihren Tribut und immer neue EU-Bestimmungen schreckten viele Fischer ab.

Auch seine Söhne interessierten sich nicht mehr für den Fischfang, studierten in Berlin und Kiel und konnten sich für dieses Handwerk nicht mehr begeistern. Kai konnte das den beiden Jungs nicht verdenken und war dennoch traurig, dass die Familientradition bei ihm endete.

Seit seine Frau vor 2 Jahren an Krebs verstorben war, hatte er sich zudem vom Inselleben zurückgezogen.

Sein Lebensmittelpunkt befand sich in einer Bude in den Dünen zwischen der Promenade und dem breiten Strandabschnitt nahe der Ahlbecker Seebrücke.

Die war vollgepackt mit allem, was er zum Fischfang und zur Fischverarbeitung brauchte. Mit einem kleinen Bereich zum täglichen Verkauf an die Touristen oder Restaurants und Hotels. Mit einem Räucherofen, der jeden Morgen die Ahlbecker Fischspezialitäten hervorzauberte und ihm so seinen Lebensunterhalt sicherte.

Dazu ein Schuppen, der seinem Fischerboot überwiegend in den Wintermonaten Unterschlupf bot. Diese Bude kannte er, seit er denken konnte.

Sie war ihm von seinem Vater vererbt worden. Hier fühlte er sich wohl und hier wollte er irgendwann, wenn Gott ihn zu sich rief, sein Leben auch beenden.

Kai stemmte sich leicht gegen den Wind und lief über den Strand auf die „Seewind“ zu, einem etwa sieben Meter langen Boot mit Holzrumpf und Einzelkabine. Das Boot war sein Schmuckstück, das er liebevoll pflegte und das er jetzt mit einem alten Trecker in die Fluten ziehen wollte.

Bei hohem Wellengang war er dabei oft auf die Hilfe eines Kollegen oder Freundes angewiesen, denn die Strömung war dann unberechenbar, sie spielte mit dem Boot.

Der Wind jetzt war zwar zunehmend, hatte die Wellen aber noch nicht aufgebaut, so dass er ohne weitere Probleme allein wassern konnte.

Der alte Trecker zog die „Seewind“ vom höher gelegenen Strand so weit ins Wasser, dass sie nicht mehr auf den Sand aufsetzte. Kai warf den vorher im Trecker deponierten und mit dem Fischerboot verbundenen Anker ins Meer und wartete kurz, bis dieser sich festzog.

Dann trennte er das Boot vom Schleppseil, fuhr den Trecker auf sicheres Strandgebiet, lief, geschützt durch eine wasserdichte hohe Latzhose zur „Seewind“ zurück, kletterte über die Reling und warf den Dieselmotor an.

Nach kurzem Spucken und Räuspern, gefolgt von einer kräftig dunklen Rußwolke, setzte der Motor mit sonorem Tuckern das Boot in Bewegung. Geschickt manövrierte Kai es in die Nähe der Ankerstelle. Er zog nach einem leichten Ruck das Tau und den Anker ins Bootsinnere und überließ seiner „Seewind“ das Spiel mit den noch küstennahen Wellen, die sich spritzend an ihrem Bug brachen.

„Brave Lady…“ murmelte er am Steuerrad in der Kabine. „Hast mich nie im Stich gelassen.“

Kai Tegge hatte etwa eine Seemeile von der Küste entfernt einige Netze gesetzt und war nun gespannt, welcher Fang ihn dort erwartete.

-----

Was für ein Mann!

Da stand er nun in seiner nackten Pracht vor ihrem Bett und sie konnte es kaum erwarten, dass er zu ihr kam und seine Zärtlichkeiten, die er nach einem gemeinsamen Essen und dem anschließenden Spaziergang begonnen hatte, intensiver fortsetzte.

Er sah gut aus. Durchtrainiert. Kein Gramm Fett zu viel.

Für sein Alter ein recht passabler Kerl und das, was sie zwischen seinen Beinen sah, bescherte ihr eine wohlige Gänsehaut.

Sie bekam, was sie wollte. Das hatte sie fast immer geschafft. Ihrem Charme konnten sehr wenige Männer widerstehen und ihrem Aussehen ohnehin nicht.

Sport war für sie eher ein Fremdwort. Trotzdem zeigte sich ihr Körper immer noch makellos. Ohne, dass sie dafür ansatzweise etwas tun musste. Eine Gabe der Natur an sie, während andere Frauen nach jedem Stück Schokolade um ihre Figur kämpften.

Die Gabe dieser festen und nicht zu großen Brüste, Cellulite freier Oberschenkel und eines strammen Hinterns betrachtete sie oft dankbar im Spiegel. Das gefiel den Männern und brachte ihr lustvolle Erlebnisse.

Auch dieser Mann würde für sie ein Abenteuer werden. Vielleicht nur für eine Nacht, vielleicht ein wenig länger.

Gebunden hatte sie sich nie, weil sie glaubte, nicht beziehungsfähig zu sein. Sie fühlte sich allein wohl, wollte niemandem Rechenschaft schuldig sein, war kaum kompromissfähig und konnte sich auf einen dauerhaften Partner an ihrer Seite einfach nicht einstellen.

Sie liebte dieses leichte und unbeschwerte Leben, in dem man sich gelegentlich mal etwas gönnen konnte.

So, wie jetzt diesen Mann, der mit erigiertem Schwanz vor dem Bett stand.

Wie hieß er denn gleich noch? Martin?

Seinen Vornamen hatte sie schon vergessen, aber das war ihr auch nicht wichtig. Natürlich würde sie sich nicht die Blöße geben und ihn danach fragen. Das konnte sie morgen nachholen, wenn sie zu ihm in die Praxis ging, um die Behandlungen fortzusetzen. Da würde sein Name bestimmt am Schild der Arztpraxis stehen.

Jetzt hatte sie anderes vor und ihre Lenden kribbelten mächtig.

Vor einigen Monaten erlitt sie eine schwere Bronchitis, die nie richtig abheilte und sich chronisch entwickelte. Ihr Lungenvolumen war eingeschränkt. Sogar kleinere Spaziergänge waren dadurch sehr anstrengend geworden.

Ihr Immunsystem war zudem nicht das Beste. Ständige Erkältungen und leichtere Fieberschübe hinderten sie daran, ihrer Arbeit als selbständige Unternehmensberaterin so nachzugehen, wie sie es wollte.

Mit Ende 30 noch viel zu früh, um durch so eine Krankheit in den Ruhestand geschickt zu werden. So entschloss sie sich zu einer Erholungskur an der Ostsee und landete auf Empfehlung ihres Hausarztes in einer Kurklinik in Heringsdorf auf Usedom. Als Privatpatientin und mit ihrem Einkommen konnte sie sich das beste Haus am Platz leisten.

Natürlich auch die besten Ärzte.

Einer von ihnen stand nun nackt vor ihr und bewegte sich schmunzelnd auf sie zu.

Das Aufnahmegespräch zum Kurbeginn in der Klinik führte sein Kollege. Ein schroffer, ungehobelter Kerl. Kurz angebunden und durch seine nuschelige Sprache kaum zu verstehen. Erfreulicherweise gab er offen zu, kein Lungenfacharzt zu sein und verwies auf einen Kollegen im Ort, mit dem die Klinik eng zusammenarbeitete.

Ein kurzes Telefonat des Klinikarztes, verbunden mit einem kleinen Spaziergang und dann saß sie dem Mann gegenüber, von dem sie in ein paar Minuten ein wahres Feuerwerk der Gefühle erwartete.

Ein sympathischer Arzt, der aufmerksam zuhörte und sich sehr intensiv ihre Lebensgeschichte anhörte. Ihn interessierte nicht nur ihre Krankengeschichte an sich. Nein, er wollte sich ein ganzheitliches Bild machen und erfragte ihren Lebensweg, um Bausteine für eine erfolgreiche Therapie zu finden.

Ihre Eltern waren früh gestorben. Sie wuchs bei ihrer einzigen, sehr wohlhabenden Tante in Hamburg auf.

In der Schule kam sie gut mit, es reichte zum Abitur und anschließendem BWL-Studium. Letztendlich auch zu dem Mut, sich als Unternehmensberaterin selbständig zu machen.

Ihre Tante verstarb vor ein paar Jahren und hinterließ ihr ein beträchtliches Vermögen, das sie unabhängig machte.

Eines hatte sie in diesem Leben nicht gelernt: Feste und dauerhafte Freundschaften zu schließen oder sich gegebenenfalls auf eine feste Partnerschaft einzulassen.

Natürlich hatte sie schon als Teenager erste Erfahrungen mit dem männlichen Geschlecht machen dürfen. Diese waren so positiv, dass sie immer neue und andere Wege ausprobierte.

Ihre Studienzeit durchzog sich mit dauernd wechselnden Partnern. Sie liebte dabei den ausgiebigen und intensiven Sex, trennte sich aber von allen Anwärtern schon nach wenigen Wochen wieder.

Es war einfach gut, sich selbst zu mögen und nicht an andere gebunden zu sein. Nein, Freunde hatte und wollte sie nicht. Die würden sie nur belasten.

Die tiefe Stimme des Arztes war einfach zu angenehm und beeindruckte sie sehr.

Seine große, schlanke Erscheinung wirkte elektrisierend auf sie. Als er sie bei der Untersuchung berührte, gab sie sich ihrem Gedanken und dem Wunsch hin, ihn besitzen zu wollen.

Gut, er war älter als sie. Man konnte das bei diesen attraktiven und gepflegten Männern kaum schätzen.

Dem Aussehen nach stufte sie ihn auf Ende Fünfzig ein. Genau der Typ Mann, den sie mochte. Er würde sicher unkompliziert sein.

Es kostete sie nur zwei Besuche in seiner Praxis.

Der Arzt konnte ihrem frechen Werben nicht widerstehen und der Funke sprang über.

Dem verabredeten Restaurantbesuch folgten wilde Küsse und leidenschaftliche Berührungen in einer unbeleuchteten Seitenstraße von Heringsdorf.

„Lass uns zu mir gehen. Ich habe da eine Wohnung, in der wir ungestört sein können.“ flüsterte er in ihr Ohr.

Dieses Angebot nahm sie nur zu gerne wahr, denn man würde in ihrer Kurklinik sofort bemerken, wenn sie mit einem Mann erschien und auf ihrem Zimmer verschwand.

Eigentlich wäre es ihr egal gewesen, aber sie dachte an die Blicke oder Gedanken der Angestellten hinter der Rezeption oder des Personals. Nein, sie wollte Spekulationen und süffisantem Lächeln aus dem Wege gehen.

Außerdem wollte sie sich diesem Mann leidenschaftlich und hemmungslos hingeben, das wäre in den hellhörigen Zimmern der Klinik kaum machbar gewesen.

Ach, dieser Mann war einfach ideal. Mit dem würde sie viel Spaß haben. Die Unternehmensberaterin wusste schon jetzt, dass der Kuraufenthalt wundervoll werden würde.

-----

Hannes Wittkowski stand mit einem heißen Kakaopunsch in der Hand auf der Promenade von Zinnowitz. Er beobachtete das bunte Treiben an den vielen Ständen und weißen Zelten des dortigen Herbstmarktes.

Viele Kunsthandwerker stellten hier ihr handwerkliches Können unter Beweis und verkauften teils außergewöhnliche Produkte oder Gegenstände, die sonst kaum zu bekommen waren.

Er fand es schön, aus seinem muffigen Büro herauszukommen und die frische Seeluft zu genießen. Mal die vielen Ermittlungsakten, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, zu vergessen.

Seinen Kollegen teilte er beiläufig mit, dass er auf „Ermittlungstour“ wäre. Die mussten ohnehin nicht wissen, dass er jetzt zur Entspannung hier auf dem Herbstmarkt war.

Hannes war für einige Monate zum Kriminalkommissariat Heringsdorf abgeordnet worden. Unter anderem, weil sich auf Usedom die Zahl der Diebstähle hochwertiger Fahrzeuge häufte.

Bisherige Erkenntnisse wiesen auf eine Zusammenarbeit deutscher und polnischer Banden im grenznahen Gebiet zwischen Usedom und Swinemünde hin.

Die Stammdienststelle des 42-jährigen Hauptkommissars lag eigentlich in Anklam, wo er im Dezernat für Kapitaldelikte gearbeitet hatte.

Personalknappheit und freundliche Bitten seiner Vorgesetzten führten dazu, dass er in Heringsdorf aushalf. Als ausgebildeter kriminalpolizeilicher Ermittler konnte er schließlich in jedem Bereich eingesetzt werden.

Usedom war für ihn reizvoll. Als Kind und Jugendlicher hatte er viel Urlaub mit seinen Eltern auf der Insel in der Pommerschen Bucht verbracht.

In seinen Erinnerungen waren die Seebrücken, der weite Strand und die Promenaden mit ihren herrschaftlichen Villen eingemeißelt.

Dass es für ihn nun zu einer Abordnung nach Usedom gekommen war, hätte Hannes so nicht erwartet.

Es gab allerdings noch einen weiteren Beweggrund, warum er dieser zeitweiligen Versetzung relativ schnell zustimmte.

Hannes hatte sich nach gut achtjähriger Beziehung von seiner Lebensgefährtin Sandra getrennt. Sie gestand ihm eine Affäre mit einem langjährigen Bekannten und wollte das Zusammenleben beenden. Die Trennung war unausweichlich, trotzdem emotional sehr belastend. So sehr, dass sich sogar die Leiterin seines Kommissariats Sorgen um ihn machte.

Sie hielt es aus fürsorglicher Sicht für sinnvoll und angebracht, durch eine zeitweise Versetzung nach Usedom Abstand zu seinem verkorksten Privatleben in Anklam zu bekommen.

Grundsätzlich wohl zu Recht.

Die Ruhe momentan tat ihm gut. Er war seiner Dienststellenleiterin sogar dankbar. Hannes wollte sich neu orientieren und positionieren.

Die beschauliche Dienstelle im Seeweg von Heringsdorf gefiel ihm bislang gut. Vielleicht konnte er sein Talent weiter einbringen und Chancen, das Kommissariat auf Usedom mal als Leiter zu übernehmen, bestanden in näherer Zukunft ganz bestimmt.

Außerdem mochte er die Menschen auf dieser Insel einfach gerne.

In den Wochen, die er nun hier war und sie kennen lernen durfte, empfand er die Usedomer zwar eher als zurückhaltend und verschlossen. Bei näherem Kontakt jedoch zeigten sie sich als sehr herzlich und offen. Freundschaften würden sich für den aufgeschlossenen Hauptkommissar bestimmt bald ergeben.

Der heiße Kakao wärmte ihn in dieser kühlen Witterung. Seine Hände umfassten den warmen Becher, sein Blick führte von seinem Standort an der Neuen Strandstraße vorbei über die Seebrücke auf die Ostsee hinaus. Einem interessierten Beobachter wäre er wohl als gedanklich leicht abwesender und sein Getränk genießender Tourist vorgekommen.

Doch Hannes war in diesem Moment nicht mehr so abwesend, wie es den Anschein hatte.

Sein ausgereifter Instinkt schlug plötzlich Alarm, forderte ihn auf, in dieser Position zu verharren, um nicht aufzufallen. Zudem aktivierten sich alle Sinne, um so viel wie möglich aufnehmen zu können.

Grund dieser auftretenden Unruhe waren drei Männer, die nur wenige Meter neben ihm am Tresen der Getränkebude standen und ein aufgeregtes Streitgespräch führten. Sie beachteten ihn gar nicht. Hielten ihn offensichtlich für harmlos und reduzierten die Lautstärke ihres Gespräches nicht auf die geringste Weise.

Der ältere dieser Männer war sehr auffällig mit einem Nadelstreifenanzug und elegantem Lodenmantel bekleidet. Noch auffälliger an ihm war sein blank glänzender Glatzkopf, der ihn mit seinem runden Gesicht und sehr kräftiger Figur zu einem Typ Boxer oder Wrestler werden ließ. Das Aussehen dieses Mannes bediente zudem das Klischee „Edelganove“.

Die beiden jüngeren, vielleicht so um die 30 Jahre alten Männer wirkten dagegen durchschnittlich.

Aufgrund ihrer Kleidung erschienen sie eher unmodern. Die kantigen Gesichtszüge der beiden und ihre augenscheinlich selbst mit einer Schermaschine geschnittenen Haare ließen Hannes eine osteuropäische, wohl polnische Herkunft vermuten, was der harte Dialekt in ihrer Sprache kurz darauf bestätigte.

„Du hast gesagt, es gäbe keine Probleme und die Sache wäre einfach“ zischte einer der jüngeren den Anzugträger an.

Dieser wirkte gereizt. Er entgegnete in verärgertem Ton: „Was willst Du denn, es hat doch alles funktioniert! Ich habe euch vorhergesagt, dass ihr an den Hund denken sollt. Der läuft manchmal auf dem Grundstück herum. Wo habt ihr das Auto hingebracht?“

Hannes konnte es kaum glauben.

Da saß er schon wochenlang an der Bearbeitung vieler verschiedener Fahrzeugdiebstähle, durchforstete die Akten auf Täterhinweise, las Zeugenaussagen und bekam trotzdem kein vernünftiges Bild von den Tatverdächtigen.

In diesem Augenblick stand er auf der Promenade von Zinnowitz, wollte eigentlich etwas entspannen und hatte ganz offensichtlich einen Teil der Bande vor sich, die für alles in Frage kam.

Der Gesprächsverlauf war mehr als eindeutig.

„Scheiße, was mach ich jetzt“ überlegte Hannes.

Die drei waren ihm körperlich klar überlegen. Die breiten und wohl schon mehrfach gebrochenen Nasen der beiden jüngeren ließen erkennen, dass sie Erfahrungen mit Schlägereien oder sogar im Kampfsport hatten. Auch den eleganten, älteren Edelganoven wollte er nicht unterschätzen. Der sah zumindest nach regelmäßigem Kraftsport aus.

Was sollte er gegen diese drei ausrichten können, wo er doch vor Jahren nur die Polizei übliche Selbstverteidigung während der Ausbildung gelernt hatte und diese zwei bis drei Mal pro Jahr im Dienstsport auffrischte? Seine Dienstwaffe hatte er auf der Dienststelle in Heringsdorf liegen lassen. Wie dumm. Aber er konnte doch nicht damit rechnen, diesen Typen zu begegnen. Diese eigenen Unzulänglichkeiten ärgerten den Hauptkommissar. Er nahm sich vor, dass alles anders werden und sein Schlendrian eingestellt werden musste.

Hannes trank seinen Kakao langsam aus und konnte dabei dem Gespräch der drei Informationen entnehmen, die mit einem Fahrzeugdiebstahl vorletzte Nacht zusammenhingen. Er wusste, dass von einem Grundstück im Fischerweg in Bansin ein hochwertiger VW T6 Multivan gestohlen worden war.

Die Täter hatten dabei nicht mit einem Rottweiler gerechnet, der sie in seiner Eigenschaft als Hütehund zwar auf das Grundstück ließ und lautlos beobachtete, beim Öffnen und Einsteigen in den Multivan aber lautstark bellend protestierte.

Der Eigentümer wurde nachts von dem Krawall des Hundes geweckt. Er sah zwei Personen, die in seinen Wagen saßen und diesen vom Grundstück herunter in den Fischerweg lenkten. Der Hund verfolgte sie bellend, ließ von seiner Verfolgung jedoch bald ab.

Die spätere Polizeifahndung erbrachte nichts, zumal der Einsatzdienst auf Usedom schon seit Monaten unterbesetzt war und entsprechend wenige Streifenfahrzeuge besetzen konnte.

Ja, sie waren es. Sie redeten über Einzelheiten, die nur die wahren Täter wissen konnten. Der Glatzkopf gab ihnen sogar Anweisungen für ein weiteres Fahrzeug, das er in Ückeritz ausfindig gemacht hatte und welches gestohlen werden sollte.

Die Männer fühlten sich offensichtlich unbeobachtet. Sie waren einfältig und naiv, sich so lautstark zu unterhalten.

Hannes wusste, dass er so schnell keine Verstärkung durch Kollegen heran bekommen würde. In diesem Moment in ihrer Nähe sein Handy zu nehmen, wäre fatal gewesen. Ihm blieb nichts, als sich die Gesichter einzuprägen und ein paar Minuten zu warten, bis sich die drei voneinander trennten.

Der Glatzkopf lief die Neue Strandstraße Orts einwärts hinunter, die beiden anderen verschwanden seitlich in der Dünenstraße. Er folgte dem Glatzkopf in weitem Abstand und sah diesen auf einen großen schwarzen Mercedes der S-Klasse zugehen, der auf einem Seitenstreifen geparkt war.