Streif - Hubertus von Thielmann - E-Book

Streif E-Book

Hubertus von Thielmann

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Beschreibung

Einfluss und Macht erreichen viele, doch nur wenige können sie behalten: Ein junger Karrierist muss erkennen, dass es im Spiel der großen Wirtschaftskonzerne nicht nur um Gewinne geht, sondern vor allem darum, nicht zu verlieren. Streif hatte sein Hemd ausgezogen. Nina war nackt, Schweißtropfen liefen über ihren flachen Bauch auf den Nabel zu. Streif schwitzte selten. Er war achtunddreißig und noch immer ein hervorragender Squashspieler. Nina, mit der er seit vierzehn Jahren verheiratet war, war zwei Jahre jünger. Sie hatten keine Kinder, Nina konnte keine bekommen. Streif schlug die Akte zu und sah Nina an. »Möchtest du was trinken?«, fragte sie. Er öffnete die Gürtelschnalle. »Konzentrier dich auf deinen Chef.« Ein kluger Rat, wie sich alsbald zeigt - denn Joachim Streifs Erfolgsgeschichte beim Weltkonzern Corpus AG endet unverhofft, als ihm während seiner Funktion als New York Repräsentant Fahrlässigkeit und Missmanagement vorgeworfen wird. Zu Unrecht, denn der wahre Schuldige ist Streifs Boss. Streif will nicht nur so schnell wie möglich seine Unschuld beweisen, vielmehr beherrscht ihn der Wunsch nach Rache. Er ersinnt einen ungewöhnlichen Vergeltungsplan, und schon bald erfährt sein ehemaliger Mentor am eigenen Leib, dass Streif seine Lektion gelernt hat … Der mitreißend erzählte Roman »Streif« handelt vom moralischen Verfall in den wahren Machtzentren der Welt: den Großkonzernen - ein fiktionaler Tatsachenbericht!

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Hubertus von Thielmann

Streif

Copyright der eBook-Ausgabe © 2014 bei Hey Publishing GmbH, München

Originalausgabe © 2004 by Hubertus von Thielmann

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © Claus Gretter

ISBN: 978-3-95607-083-9

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Streif

Einfluss und Macht erreichen viele, doch nur wenige können sie behalten: Ein junger Karrierist muss erkennen, dass es im Spiel der großen Wirtschaftskonzerne nicht nur um Gewinne geht, sondern vor allem darum, nicht zu verlieren.

Streif hatte sein Hemd ausgezogen. Nina war nackt, Schweißtropfen liefen über ihren flachen Bauch auf den Nabel zu. Streif schwitzte selten. Er war achtunddreißig und noch immer ein hervorragender Squashspieler. Nina, mit der er seit vierzehn Jahren verheiratet war, war zwei Jahre jünger. Sie hatten keine Kinder, Nina konnte keine bekommen. Streif schlug die Akte zu und sah Nina an.

»Möchtest du was trinken?«, fragte sie.

Er öffnete die Gürtelschnalle.

»Konzentrier dich auf deinen Chef.«

Ein kluger Rat, wie sich alsbald zeigt - denn Joachim Streifs Erfolgsgeschichte beim Weltkonzern Corpus AG endet unverhofft, als ihm während seiner Funktion als New York Repräsentant Fahrlässigkeit und Missmanagement vorgeworfen wird. Zu Unrecht, denn der wahre Schuldige ist Streifs Boss. Streif will nicht nur so schnell wie möglich seine Unschuld beweisen, vielmehr beherrscht ihn der Wunsch nach Rache. Er ersinnt einen ungewöhnlichen Vergeltungsplan, und schon bald erfährt sein ehemaliger Mentor am eigenen Leib, dass Streif seine Lektion gelernt hat …

Für Dudu

1

Streif saß mit Nina auf der Terrasse des Penthouses, das sie seit zweieinhalb Jahren hoch über der Fifth Avenue bewohnten. In der Ecke, in der sie beide lasen, waren sie vom Wind geschützt. Es war ein ungewöhnlich warmer Sonntagnachmittag im Dezember. Unter ihnen rumorte die Stadt. Der Himmel über New York war grau. Dunst verhüllte den Central Park, die Stadt verschwamm im Smog. Nina las »W« und Streif in einer Akte. Er bereitete sich auf den Besuch seines Chefs, Aschmunaydt, vor, der am Abend aus Düsseldorf ankommen sollte.

Seit über zwanzig Jahren arbeitete Streif in der Corpus AG. Nach der Lehre war er sehr bald nach Übersee geschickt worden und hatte, immer von einem Land zum anderen, früh überleben gelernt.

Streif hatte sein Hemd ausgezogen. Nina war nackt, Schweißtropfen liefen über ihren flachen Bauch auf den Nabel zu. Streif schwitzte selten. Er war achtunddreißig und noch immer ein hervorragender Squashspieler. Nina, mit der er seit vierzehn Jahren verheiratet war, war zwei Jahre jünger. Sie hatten keine Kinder, Nina konnte keine bekommen. Streif schlug die Akte zu und sah Nina an.

»Möchtest du was trinken?«, fragte sie.

Er öffnete die Gürtelschnalle.

»Konzentrier dich auf deinen Chef.« Nina holte aus der Küche Weißwein und Sodawasser. Sie war in einem Vorort von Lübeck aufgewachsen, wo ihr Vater Schrankenwärter war. Wahrscheinlich hatten die vorbeirasenden Züge Ninas Wunsch nach Reisen und Ferne geweckt. Wer ihr Fernweh hatte wachsen lassen, war ihr Französischlehrer gewesen, der sie mit fünfzehn in sein Bett genommen und von da an nur noch Französisch mit ihr gesprochen hatte. Nina lernte Sprachen im Handumdrehen. Nach dem Abitur sprach sie bereits vier: Englisch, Italienisch, das sie als Aushilfe in einem italienischen Lokal gelernt hatte, Französisch und Türkisch, das sie von den Kindern der Nachbarn aufgeschnappt hatte, die alle Türken waren. Sie hatte Verschiedenes studiert, aber nichts abgeschlossen. Nachdem sie sich mit Informatik und Russisch befasst hatte, arbeitete sie in einem Reisebüro, wo sie dann Streif kennengelernt hatte. Nach vierzehn Tagen hatten sie beschlossen zu heiraten.

Nina füllte die Gläser. Streif wollte den Pareo von ihren Hüften streifen, was sie nicht zuließ. Für den Abend hatte sie sich mit einem jungen Perser verabredet.

»Was liest du eigentlich, Joachim?« Sie zeigte auf den Aktenordner, auf dessen Rücken in roten Buchstaben stand: KEO Corporation.

Aschmunaydt wurde von seinem Stellvertreter, Paul Kampe, begleitet. Sie passierten den Zoll. Aschmunaydt hatte vor wenigen Wochen seinen sechzigsten Geburtstag mit viel Pomp in der AG feiern müssen. Kampe war zwölf Jahre jünger. Die beiden Männer begrüßten Streif, der sie um einen Kopf überragte. Aschmunaydt war etwas größer als Kampe und sehr viel massiger. Er war breitschultrig, der Bauch massiv und hoch angesetzt. Kampe war schmalbrüstig, sein Bauch birnenförmig.

Streif blickte auf Aschmunaydts Tonsur, die grauen Haare, und musste wie so oft an den Jesuitenpater denken, der ihn in Religion unterrichtet hatte. Kampes blonde Haare waren stark ausgedünnt. Der Scheitel saß tief an der rechten Schläfe. Einige Strähnen waren in die beginnende Stirnglatze gekämmt.

Kampe wünschte nichts mehr, als Aschmunaydts Nachfolger zu werden. Die knapp fünf Jahre, die er noch warten musste, erschienen ihm oft unerträglich. Was konnte noch alles passieren, auch wenn er keine Konkurrenten mehr fürchten musste, die alle auf der Strecke geblieben waren. Dafür hatten er und sein Schwiegervater gesorgt.

Streif griff nach Aschmunaydts Aktenkoffer.

»Nicht doch!«, sagte Aschmunaydt.

Streif nahm ihm den Koffer ab. Die drei Männer gingen nebeneinander durch die Ankunftshalle, vorbei an einer Gruppe Zeugen Jehovas in safrangelben Gewändern. Sie umrundeten eine Gruppe von Demonstranten. »Close the Ozonhole!« schallte es ihnen entgegen.

»Wir sind nicht von der Chemie«, brummte Aschmunaydt.

Draußen wartete der Chauffeur, neben den sich Streif setzte.

»Wir kaufen die KEO«, sagte Aschmunaydt hinter ihm.

»Bitte nicht!« Streif drehte sich um.

»Warum sind Sie so dagegen?«, fragte Aschmunaydt.

»Sie haben sich doch die Bilanzen angeschaut.«

»Wer glaubt denn an Bilanzen«, sagte Kampe.

»Und meine Berichte?«, fragte Streif. »Die haben Sie doch gelesen.«

»Sie sind gegen McCumber«, entgegnete Aschmunaydt. »Ich bin mit ihm seit vielen Jahren befreundet.«

»Mit McCumber kann man nicht vorsichtig genug sein«, sagte Streif.

»Kennen Sie ihn?«, fragte Kampe.

»Wer nicht!«

»Corpus wird mit E-Werken und Gasturbinen auch in den Staaten vorne liegen«, bemerkte Aschmunaydt. »Wir kaufen einen Riesenumsatz und einen erstklassigen Standort dazu.«

»Am Rand der Bronx«, sagte Streif. »Dort wird wegen jedem Furz gestreikt.«

»Aber bitte«, unterbrach ihn Kampe.

»Der Umsatz stimmt nicht«, sagte Streif. »Die haben vorfakturiert, und die Garantien, die sie für die von ihnen gebauten Kraftwerke geben mussten, können leicht ins Auge gehen.«

»Umweltschutz«, sagte Aschmunaydt. »Ich habe alle entsprechenden Analysen gelesen.«

Sie fuhren in einen Tunnel, in tiefgelbes Licht hinein. Streif hatte nicht erwartet, dass Aschmunaydt so stark an der KEO interessiert sein würde. Wie konnte er ihm das auszureden? Er kannte Aschmunaydt gut genug, um zu wissen, wie schwierig das war. Kampe hatte er wohl mitgenommen, um ihn mit in die Verantwortung zu nehmen. Streif ahnte nicht, dass Kampe und vor allem dessen Schwiegervater über den Aufsichtsrat Druck auf Aschmunaydt ausübten, in den Staaten zu akquirieren.

»Die Technologie der KEO ist nicht die beste«, gab Streif zu bedenken. »In der Branche ist das bekannt.«

»Heute sehen Sie nur schwarz.« Aschmunaydt gab Streif von hinten einen Klaps. »Was ist mit Ihnen los?«

Streif antwortete nicht, er war beunruhigt. Kampe zupfte an seinen hellblonden Augenbrauen und schwieg. Sie fuhren aus dem Tunnel in das diesig graue Licht des Abends.

Vor dem Eingang des Pierre sprang der Fahrer aus dem Wagen und half Aschmunaydt beim Aussteigen. Zwei schwarze Pagen stürzten auf die Limousine zu. Die drei Männer traten durch eine Drehtür des Hotels und blieben im Foyer stehen.

»Wir essen im Colonial«, sagte Streif. »Ich habe reserviert.«

Kampe schüttelte den Kopf. »Ich habe zu tun.« Aschmunaydt betrachtete Streif, der auf einmal müde aussah. Er mochte Streif. Mit einem Sohn wie ihm hätte er dem Alter unbesorgt entgegensehen können. Aschmunaydt hatte nur einen Sohn, und der hielt ihn noch immer in Atem, obwohl er nur wenige Jahre jünger als Streif war. Er sah kurz zu Kampe und dachte: Wichser. Streif war froh, dass Kampe arbeiten wollte. Er würde mit Aschmunaydt allein sein, und vielleicht konnte er ihm doch die KEO ausreden.

»Wann soll ich Sie abholen?«, fragte er ihn.

»Das Abendessen fällt heute aus.« Aschmunaydt tastete über seinen Bauch.

Er wäre gern mit Streif zusammen gewesen, aber für diesen Abend hatte er sich etwas anderes vorgenommen. Einen Gutteil der Nacht würde er nicht im Pierre verbringen. Im Laguna Rock hatte er selbst ein Zimmer reserviert, dort würde er eine der jungen Mulattinnen aussuchen. Die meisten kamen aus der Karibik und warteten in einem Salon zwischen nachgemachten französischen Stilmöbeln auf betuchte Kunden. Je älter Aschmunaydt wurde, desto jünger waren die Mädchen geworden. Er schämte sich auch nicht mehr wie früher. Jetzt gab er seinem Drang widerstandslos nach.

»Schade«, sagte Streif und meinte es auch so. »Machen wir alle noch ein paar Hausaufgaben.«

Aschmunaydt sah ihm nach. Schade, dachte auch er, aber sein Bedauern war schwächer als das von Streif. In ihm spannte sich die Erregung. Er hatte vier Wochen Enthaltsamkeit hinter sich.

Kampe sah auf die Uhr. »Es ist noch früh am Abend, vielleicht sollten wir noch einige Takte über die KEO sprechen.«

Allein schon die »Takte« ärgerten Aschmunaydt. Im Flugzeug hatte er sich neben Kampe meist schlafend gestellt. Er konnte Kampe nicht ausstehen, und nicht nur, weil dieser die Tage zählte, bis er seine Nachfolge antreten würde. Aschmunaydt hatte den Vormarsch des hochintelligenten und skrupellosen Kampe nicht verhindern können. Er war selten einem Mann begegnet, der so vom Ehrgeiz getrieben war – und der war schon für Kampes Eheschließung entscheidend gewesen. Sein Schwiegervater hatte noch immer großen Einfluss in deutschen Wirtschaftskreisen.

Aschmunaydt wusste, dass Kampe ihn ablehnte. Wie tief diese Abneigung war, hätte er sich nicht vorstellen können.

McCumbers Swan lag in einem Jachthafen am Hudson River. Das Boot war in Skandinavien gebaut worden. McCumber hatte es eigenhändig über den Atlantik gesegelt. Es hieß Fortune III und hatte ihm viel Glück gebracht.

Für die Jahreszeit war es ein erstaunlich warmer Morgen. Die Sonne schien von einem wolkenlosen Himmel. Aschmunaydt ging an teuren Jachten und Motorbooten entlang. Er fühlte sich wohl und entspannt. Die Mulattin hatte sich seiner wie eine Geliebte angenommen. Kampe und Streif folgten ihm über den Quai. Ein magerer Mann mittleren Alters kam ihnen winkend entgegen. Williams, Aschmunaydt und Streif kannten ihn.

»McCumbers oberste Schranze«, sagte Streif zu Kampe.

Die Fortune III lag am Ende des Quais, dahinter weitete sich der Fluss. Sie maß über fünfzig Meter, die hohen Mäste stachen in den Himmel.

»McCumber hätte uns auch in seinen Learjet einladen können«, sagte Streif, und Kampe flüsterte: »Ein Luxus ist das.«

»Der wird als erstes abgeschafft«, brummte Aschmunaydt.

Am Heck erwartete sie McCumber, der in Aschmunaydts Alter war, aber jünger aussah. Er war groß und schlank, seine vollen blonden Haare begannen gerade erst zu ergrauen. Alle Welt wusste, dass er ritt und segelte und lange Polo gespielt hatte. Nun hatte er keine Lust mehr, sich um die KEO zu kümmern, die ein Familienbetrieb war, in dem sich jeder mit jedem zerstritten hatte. McCumber war der Präsident und Hauptaktionär. Leichtfüßig lief er über einen schmalen Steg auf die Deutschen zu. Er schlug Aschmunaydt herzlich auf die Schulter. Streif fragte er nach Ninas Befinden, während er Kampe die Hand gab. Der Steg schwankte unter Aschmunaydts Gewicht. Ein Matrose wollte ihm helfen.

»Ich kann das allein«, sagte er.

Kampe blieb auf der Mitte des Stegs stehen, wippte, hielt das Gesicht in die Sonne und atmete tief ein.

»Passen Sie auf!«, rief McCumber.

Dann mussten sie die Schuhe ausziehen. Ein philippinischer Matrose brachte Segelschuhe.

»Muss das sein?«, fragte Kampe.

»Sie waren wohl noch nie auf einem Boot«, sagte Aschmunaydt. Kampe schwieg, und Aschmunaydt fügte hinzu: »Auf so einem wahrscheinlich nicht.«

Streif spürte die Spannung zwischen den beiden Männern jetzt noch deutlicher als auf der Fahrt zum Jachthafen. Er hoffte, Kampe würde es nie schaffen, an Aschmunaydts Stelle zu treten. Aber bis zu dessen Pensionierung waren ja noch fünf Jahre Zeit. Aschmunaydt war von der Jacht begeistert und wäre am liebsten im Cockpit sitzen geblieben. Das bräunliche Flusswasser roch nach Chlor. Ein toter Hund wurde vorbeigetrieben. Kampe rümpfte die Nase. Aschmunaydt blickte ihn scharf an. Kampe schluckte.

Die Kajüte war so groß wie eine deutsche Sozialwohnung. Ein Butler servierte Kaffee und Fruchtsäfte. Sie setzten sich an einen langen rechteckigen Tisch. An den mit Teakholz getäfelten Wänden hingen gerahmte Fotos, McCumber zu Pferde oder auf hoher See.

Streif packte die Akten aus, schon lange nicht mehr hatte ihn ein derart schlechtes Gefühl erfüllt. Aschmunaydt saß zwischen Streif und Kampe gegenüber von McCumber und einem jüngeren Mann, der Madorek hieß und aus einer der Kajüten getreten war. Auf dessen länglichem Kopf wuchsen kaum noch Haare. Auffallend waren seine gelben, vorstehenden Zähne. Streif konnte sich nicht erinnern, je einen Menschen mit so langen Vorderzähnen gesehen zu haben. Der Motor wurde gestartet. Sie tuckerten den Fluss abwärts.

»An der KEO sind nicht nur Sie interessiert«, begann McCumber. »Die Japaner sind schon länger hinter uns her.«

»Wie gut«, entgegnete Streif. »Dann sind Sie nicht traurig, wenn es mit uns nichts wird.«

»Das werden wir auch nicht sein.« McCumber sah über Aschmunaydt hinweg in einen Spiegel und strich über seine Haare. »Aber Turbinen, Dieselmotoren, Stahl und vor allem unser Kraftwerkbereich würden gut zu Ihnen passen.«

»Sie kaufen einen Konkurrenten«, sagte Madorek und fletschte die Zähne.

»Für Erweiterungen ist auf dem Gelände kaum Platz.« Streif wünschte nichts mehr, als dass aus der Akquisition nichts würde. »Außerdem ist das Werk vom sozialen Umfeld her nicht gerade vorteilhaft gelegen.«

McCumber sah Streif kampflustig an. »Wenn Sie dort Ihre tollen Partys veranstalten wollen, müssen sie sich allerdings nach etwas anderem umsehen.«

»In die Bronx würde jeder gern einmal eingeladen werden«, sagte Streif, und Madorek fügte hinzu: »In die Ausläufer, um präzise zu sein.«

»Die Präzision Ihrer Auskünfte haben Sie sonst nicht so ernst genommen.« Streif löste den Blick von Madoreks Zähnen.

»Was soll das heißen?«, fragte McCumber. »Sie kaufen die neueste Technologie für Gasturbinen.«

»Lange wird sie es nicht bleiben«, sagte Kampe.

»Das liegt an Ihnen, aber wenn Sie meinen …« McCumber griff hinter sich und spielte mit einer Reitpeitsche.

Aschmunaydt sagte: »Unsere Forschung und Entwicklung werden wir mit der KEO zusammenlegen.«

»Das ist doch klar!«, rief Streif. »Wir wissen aber nicht genug über die Garantien, die Sie für die von Ihnen gebauten Kraftwerke geben mussten. Darüber sind Ihre Auskünfte einfach zu schwammig.«

»Mein Lieber, jetzt hören Sie aber auf.« Aschmunaydt blickte Streif mahnend an. »Wir sind nicht hier, um uns zu streiten.«

»Er will nur zeigen, dass er sein Geld wert ist.« McCumber war sichtlich verärgert. »Unsere Forschung wurde Ihnen vorgeführt. Sie kaufen die Katze nicht im Sack.«

»Forschung ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen«, ließ Kampe von sich hören.

»Vielleicht ist das bei Ihnen so, aber in der KEO wurde die Forschung durchorganisiert.« McCumber klopfte mit der Reitpeitsche an seine Brust.

»Wir bezweifeln nicht den Wert Ihrer Entwicklungsarbeit«, suchte Aschmunaydt zu beschwichtigen.

»Sie tun aber so!« McCumber schlug mit der Peitsche auf den Tisch.

»Es gibt noch andere Interessenten.« Williams steckte endlich den Kaugummi, mit dem er gespielt hatte, in den Mund.

»Wissen die doch, Keith, jetzt rede ich!« McCumber hob eine Akte hoch und ließ sie auf den Tisch fallen. »Unser Preis ist achthundert Millionen.«

»Sie wollten sehr viel weniger«, stieß Aschmunaydt aus.

»Ein festes Angebot haben wir nie gemacht«, sagte Madorek.

Streif schrieb auf einen Zettel, Limit sechshundert, wenn überhaupt. Ein Dampfer kam ihnen entgegen. Die Jacht schaukelte in dessen Bugwellen. Anzeichen von Seekrankheit traten in Kampes Gesicht. Er wankte aus der Kabine. Kaum war er im Freien, entspannten sich seine Züge, obwohl die Fortune III noch heftiger schwankte.

Er hockte sich auf das Deck und sah durch die Bullaugen in die Kabine, in der McCumber und Aschmunaydt mit den Händen gestikulierten. Ihre Lippen bewegten sich schnell, kein Wort war zu hören. Kampe lächelte in sich hinein.

Streif redete auf Aschmunaydt und McCumber gleichzeitig ein. Den Preis nannte er eine Unverschämtheit und wollte das Gespräch unterbrechen. Aschmunaydt sollte sich den Kauf noch einmal durch den Kopf gehen lassen und McCumber Vernunft annehmen. Heftig atmend krempelte Aschmunaydt die Ärmel hoch. Die Luft war schwer geworden. Kampe hatte es sich im Cockpit bequem gemacht.

McCumber stand auf. »Schade um den schönen Tag, aber abkochen lasse ich mich nicht.«

»Jetzt setzen Sie sich mal wieder«, sagte Aschmunaydt.

McCumber ließ sich angewidert in den Sessel fallen. »Sie haben mir lächerliche fünfhundert Millionen geboten und nach endlosem Hin und Her fünfhundertachtzig. Mein letztes Angebot sind siebenhundertfünfzig Millionen Dollar.«

Streif fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn und überschlug die Kalkulation auf seinem Taschenrechner. Er hoffte, McCumber machte Ernst und gäbe nicht weiter nach, dann wäre der Kauf geplatzt.

»Bestimmt nicht zu diesem Preis«, sagte er mit Nachdruck, was McCumber erboste. »Schluss, Jungs!«, rief er. »Wir haben genug Zeit vertrödelt.«

»Sechshundertfünfzig«, krächzte Aschmunaydt.

»Nein!«, rief Streif. »Bitte nicht!«

»Regen Sie sich nicht so auf, das ist jetzt meine Sache.« Aschmunaydt ließ seine Hand auf Streifs Arm fallen.

»Wir sitzen in einem Boot«, flüsterte Streif auf Deutsch. »Lassen Sie die KEO sausen, ich bitte Sie darum.«

»Sechshundertfünfzig können Sie vergessen!« McCumber blickte Aschmunaydt kampflustig an. »Aber wer ist eigentlich der Chef in Corpus?«

»Ich verstehe, dass Sie sich so teuer wie möglich verkaufen wollen«, entgegnete Aschmunaydt.

»Aber Sie übertreiben gewaltig.«

»Machen Sie etwas anderes?«

Kampe näherte sich der Kajüte, machte jedoch kehrt, als die Wellen eines vorbeiziehenden Tankers die Fortune III erfassten. Die Ordner rutschten über den Tisch. McCumber hielt sie fest. »In voller Absicht vergessen Sie immer wieder unsere Lizenzen und den Goodwill.«

»Der ist doch für den Weihnachtsmann«, fiel ihm Streif ins Wort.

»Ihr Ton ist unglaublich!«, rief McCumber. Aschmunaydt schaute Streif missbilligend an und sagte leise: »Sechshundertachtzig ist mein allerletztes Wort.«

»Also gut, siebenhundertzwanzig«, gab McCumber mit Gönnermiene nach. »Wie ich dieses orientalische Gefeilsche hasse!«

»Im Orient feilscht man raffinierter.« Streif wusste jetzt, dass Aschmunaydt die KEO kaufen würde.

McCumber sah auf die Uhr: »Siebenhundertzehn Millionen, diesen Preis mache ich nur, weil ich die KEO bei Ihnen in guten Händen weiß und Japaner entsetzlich finde.«

»Ich wünschte, Sie würden die KEO behalten«, sagte Streif.

»Hören Sie damit endlich auf!«, fuhr ihn Aschmunaydt an und wandte sich zu McCumber: »Sechshundertneunzig Millionen sind mehr als genug.«

McCumber schüttelte energisch den Kopf. »No, Sir, einigen wir uns auf siebenhundert, oder ich lasse sofort die Segel setzen.«

Aschmunaydt senkte den Kopf. »Okay, siebenhundert.« Er wankte erschöpft aus der Kabine. Draußen saugte er die frische Luft ein. In gekrümmter Haltung kam Kampe auf ihn zu. Aus der Kabine war das Knallen eines Korkens zu hören.

Kampe deutete auf seinen Magen. »Was hat der Spaß gekostet?«

»Siebenhundert«, erwiderte Streif, der neben Aschmunaydt getreten war.

»Das ist doch viel zu viel«, sagte Kampe. »Wir hatten uns sechshundert als Limit gesetzt.«

»Was heißt das schon!« dröhnte Aschmunaydt. »Limits sind dazu da, um überschritten zu werden.«

2

Streif konnte den Blick nicht von Aschmunaydts Händen lösen, die eine Rolle Pfefferminzdrops umschlossen. Auf den Handrücken schimmerte schwarzer Flor. Aschmunaydt kappte mit dem Daumennagel die Spitze der Rolle. Bedächtig schob er eine Pastille heraus.

So umständlich war Aschmunaydt selten. Streif spürte, dass er ihm etwas verbarg. Seit dem Kauf der KEO war ein halbes Jahr vergangen, und, wie von Streif vorausgesehen, wuchsen die Probleme und Verluste unaufhörlich.

Streif sah auf und blickte in den gelblichen Dunst Manhattans. Er versuchte, die in ihm aufsteigende Beklemmung zu unterdrücken. Dachte er später an diesen Augenblick, wurde ihm immer wieder bewusst, niemals befürchtet zu haben, dass auch er eines Tages von diesem einen bodenlosen Schrecken erfasst werden könnte, obwohl er oft mit ansehen hatte müssen, wie ein bisher Erfolgreicher gestürzt worden war.

Aschmunaydt war in seinem Leben nie gestrauchelt. Wer so fest wie er auf den Beinen stand, konnte höchstens ein bisschen ins Schwanken geraten. Er war fest entschlossen, von seiner Macht nichts abzugeben. Zwar würde auch er den Ruhestand nicht vermeiden können, aber deshalb, so dachte er, zählte ab sechzig jeder Tag doppelt. Kräftig und untersetzt saß er Streif gegenüber, der seine langen Beine von sich gestreckt hatte.

»Wollen Sie nicht etwas Kaltes trinken?«, fragte er. »Die Sitzung war doch anstrengend für Sie.«

Aschmunaydt lehnte ab. Er wünschte Streifs Schlachtung, so hießen Rausschmisse und Degradierungen in der AG, jetzt hinter sich zu bringen und hoffte, dass Streif die Fassung bewahren würde. Aschmunaydt hatte viele Gespräche dieser Art führen müssen, sie waren ihm immer unangenehm gewesen. Er quälte ungern. Mit Streif war es für ihn besonders schwierig. Sie kannten sich seit vierzehn Jahren, hatten vieles gemeinsam für die AG gedreht und waren mit den dabei verwendeten Mitteln oft genug nicht zimperlich umgegangen. Streif vertraute Aschmunaydt zutiefst, der ihn gefördert hatte. Zusammen waren sie in Corpus aufgestiegen.

»Wie wär's mit Mineralwasser?«, fragte Streif. »Im Sitzungssaal war die Luft trocken.«

Aschmunaydt wehrte erneut ab und murmelte etwas von Hohlköpfen, die hauptsächlich Ungereimtes von sich gegeben hätten, das ginge nicht so weiter, beschissen, wie die Lage sei. Streif bedauerte, dass heutzutage ein Memorandum selten zu Ende gelesen werde und nur noch Zahlen zählten. Prosa sei für die meisten zu anstrengend geworden. Er redete vom Unverstand so vieler Leute, die in der AG immer wichtiger würden und nicht um zwei Ecken denken könnten. Streif redete, um zu reden. Instinktiv suchte er Zeit zu gewinnen, um Aschmunaydt umzustimmen, damit dieser nicht aussprach, was er verkünden musste, wenn er nicht selbst die Schlinge um den Hals gelegt bekommen wollte.

Während Streif sprach, stieg in Aschmunaydt ein schmerzliches Bedauern auf, das er bis jetzt zurückgehalten hatte. Mit seinen achtunddreißig Jahren war Streif schon lange nicht mehr der junge Mann, den Aschmunaydt noch immer in ihm sah. Streif mit seinem eckigen Gesicht, in dem man sich schwer zurechtfand, und Augen, deren wechselndes Graublau so manchen irritierte. Je stärker sich Streif auf ein Thema konzentrierte, desto intensiver verfärbten sich seine Pupillen und gingen in tiefes Ultramarin über. Aschmunaydt nahm das jetzt wieder wahr.

Die Wege der beiden hatten sich zum ersten Mal in Khartoum gekreuzt. In Hitze und Staub waren sie von blauschwarzen Nubiern umringt gewesen, Funktionären, die Kredite bis ins nächste Jahrtausend gefordert hatten. Unter klappernden Ventilatoren hatte Streif auf Arabisch verhandelt. Das hatte er in Shemlan, hoch über Beirut, auf Kosten der AG gelernt. So wie Streif übersetzt und die Verhandlung geführt hatte, war Aschmunaydt beeindruckt gewesen. Streif hatte ihm signalisiert, wann er in diesem nubischen Durcheinander endlich konkret werden durfte.

Damals war Aschmunaydt Abteilungsdirektor gewesen. Seine Tonsur hatte sich abzuzeichnen begonnen. Die Haare waren noch dunkel gewesen. Inzwischen hatten sich Falten in sein Gesicht eingegraben, dem die überaus kräftige Nase über dem bartdunklen Doppelkinn noch immer Kontur gab. Womit Aschmunaydt fesseln konnte, waren seine Augen. Sie konnten zu pechschwarzen Kohleschlitzen werden, böse glühen, spöttisch sprühen, aber auch freundlich glänzen. Zorn und Missachtung, Anerkennung und Wohlwollen, alles drückte er mit ihnen aus.

Er räusperte sich: »Was Sie wissen sollten …« Dies war seine bevorzugte Formulierung, wenn er unangenehm wurde.

»Was denn?« unterbrach ihn Streif.

»Dass Sie New York verlassen werden.«

Streif wurde es mit einem Schlag eiskalt. Er faltete die Hände über den Knien. Aschmunaydt öffnete die obersten Knöpfe seiner Weste.

»So bald wie möglich«, sagte er. »Am Wochenende sollten Sie nach Düsseldorf in die Zentrale fliegen. Bei uns hat sich viel verändert, es wird höchste Zeit, dass Sie sich mit der neuen Denke vertraut machen.«

So wie Aschmunaydt jetzt sprach, hörte es sich an wie Gedrucktes aus einem Zirkular der Personalabteilung. Streif hörte kaum noch zu. Er war geschlachtet worden, wie es daheim so schön hieß. Für jede Pleite musste ein Schuldiger gefunden werden, und die KEO hatte sich als Riesenpleite herausgestellt. Aschmunaydt hatte nicht nur einen viel zu hohen Preis akzeptiert. Ein von der KEO in Brasilien gebautes Kraftwerk wurde technisch nicht abgenommen, und in einem mit Kohle betriebenen E-Werk in China war es zu einer schweren Explosion mit drei Toten gekommen. Ein interessantes Pumpenmodel war durch das Vertragswerk geschlüpft und an die Konkurrenz verkauft worden. Eines war sicher: Die KEO würde über Jahre Verluste machen.

»Sie werden im Stab arbeiten«, sagte Aschmunaydt. »Bis etwas Passendes für Sie gefunden worden ist.«

»Was Mieseres ist Ihnen nicht eingefallen«, stieß Streif aus, der noch der erste Mann von Corpus in den Staaten war.

»Sie haben sich schlecht verkauft …«

»Ich wurde verkauft.«

»Reden Sie keinen Unsinn!« Und nun hörte Streif, er hätte die Situation auf den letzten Sitzungen oberflächlich, ja zu beliebig vorgetragen. Streif fragte, was Aschmunaydt mit »beliebig« meinte, der an diesem Wort Gefallen gefunden hatte. Aschmunaydt funkelte Streif an, als verbäte er sich jede weitere Bemerkung.

»Einer muss immer den Kopf hinhalten, wie beliebig das auch sein mag.« Streif wirkte ruhig, doch zerrte die Angst an ihm. Er meinte, langsam in sich zusammenfallen zu müssen, aber noch wehrte er sich. Nicht so, dachte er immer wieder, während Aschmunaydt ihm vorhielt, er wäre nicht »on the point« gewesen und hätte nicht genügend auf die bestehenden Risiken aufmerksam gemacht.

»Sie sind zu allgemein geblieben«, sagte er. »Wir haben Tiefe vermisst.«

»Die KEO konnte nichts werden, das habe ich Ihnen von Anfang an gesagt!« Streif wurde wütend, beherrschte sich aber. Noch war er angeschlagen und überrumpelt, doch schon erwachte in ihm der Wunsch nach Vergeltung.

Aschmunaydt verschlang die Hände ineinander. Die Fingernägel waren kurz geschnitten und überaus gepflegt.

»Sie sollten Ihre Versetzung nicht so tragisch nehmen.« Aschmunaydt wollte tröstlich klingen und klang wohl auch so, aber Streif kannte ihn viel zu gut. Wie oft war er dabei gewesen, wenn es einem an den Kragen gegangen war. Anfangs als Stichwort gebender Treiber, später als Gehilfe, der den Rest übernahm, vom ausgeredeten Selbstmord bis zur handfesten Erpressung. Doch den ersten, blutigen Schnitt hatte Aschmunaydt stets selbst übernommen, den hatte er nie auf andere abgewälzt. Er war kein Feigling.

»Bloß nichts tragisch nehmen, es wird schon alles wieder werden.« Sofort ärgerte sich Streif. Ohne es zu wollen, hatte er mit einem flauen Scherz eingelenkt. Viele in der AG, auch Aschmunaydt, nannten das seine diplomatische Ader. Bagatellisieren, unverbindlich fröhlich sein, das lernte man bei Corpus, und je kritischer die Situation, desto abgedroschener fielen die Sprüche aus. Aber jetzt ging es um ihn, Joachim Streif, im neununddreißigsten Lebensjahr, er war bei Gott kein Knabe mehr.

»Im Ressort Intern warten interessante Aufgaben auf Sie.« Aschmunaydt rieb die Hände, erst hastig, dann langsamer. Er war erleichtert und lächelte aufmunternd, als hätte er soeben höchste Ziele gesetzt. Sein Atem ging ruhiger. Er zog den Bauch ein. Seit längerem beabsichtigte er zu kuren, abzuspecken, wie er es nannte.

Streifs Blick fiel wieder auf Aschmunaydts Hände und blieb an den Fingernägeln hängen. Die Halbmonde in den Nagelbetten waren stark ausgebildet und leuchteten weißlich. Ein Zeichen von Klugheit, wie die Araber meinten.

Hass zog sich jetzt in Streif zusammen. Das Ressort Intern war ein Sammelbecken für Versager, auch Trinker waren hier schon untergekommen. Zwar flatterten dort nichtssagende Kopien aus vielen Abteilungen auf einen herab, doch sonst wurden hauptsächlich Nullen gedreht. Für selbstinszeniertes Ränkespiel fehlte der Boden, es sei denn, man wünschte unbedingt, einen Fensterplatz zu ergattern. Ein jüngerer Streber verteilte die Arbeit, zwei ältere Duckmäuser überwachten sie. Wollte ihn Aschmunaydt zur Kündigung treiben?

Der machte Anstalten, sich zu erheben. Mit den Händen umspannte er die Armlehnen des Sessels und winkelte die Arme ab. Als er sich mit einem Seufzer hochwuchten wollte, wurde Streif laut: »Sie haben es sich leicht gemacht, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Aber nicht ich habe mich hinter's Licht führen lassen, Sie haben sich von McCumber über den Tisch ziehen lassen. Warum haben Sie wie wild draufgelegt? Ich habe Sie immer wieder gewarnt, aber mit Ihnen war ja nicht zu reden. Der Friendly Takeover war eben nicht so friendly. Ihr Freund McCumber hat Sie ganz schön in die Pfanne gehauen, und jetzt wissen Sie nicht, wie Sie das erklären sollen.«

Streif war in Rage geraten, wie ihn Aschmunaydt noch nicht erlebt hatte, und reagierte so, wie es Aschmunaydt befürchtet und trotzdem nicht damit gerechnet hatte.

»Bitte, beruhigen Sie sich«, murmelte er. »Sie sehen das falsch.«

»Vor allem sehe ich Ihre Charakterlosigkeit.« Streif verstummte und sagte dann leise: »Ich hatte Sie für ehrlich gehalten.«

Jetzt war es Aschmunaydt zu viel. Er setzte eine würdige Miene auf, was ihm mit zunehmendem Alter immer besser gelang, und stemmte die Fäuste in den Bauch. So hatte er schon viele überfahren. Die Brauen bogen sich zu Sicheln, seine Augen glühten. Er musste Streifs Widerstand brechen, und zwar auf der Stelle. Streif, der ihm bisher ergeben gewesen war, sollte es bis in den eigenen Abgesang bleiben. War Streif nicht sein Produkt? Jetzt, da Aschmunaydt keinen Ausweg sah, hatte Streif den Niedergang hinzunehmen.

»Sie haben sich einmachen lassen«, fuhr er ihn an. »Sie hätten bessere Vorarbeit leisten müssen und haben schlecht recherchiert.«

»Sie wollen mich verschaukeln.« Streif holte Luft und schrie: »Sie haben sich aufs Kreuz legen lassen, und jetzt soll ich die Suppe auslöffeln!«

»Ich rate Ihnen, vorsichtiger zu sein.« Aschmunaydt schob den Kopf drohend nach vorn. »Wer wollte denn um jeden Preis nach New York? Wer lag mir dauernd in den Ohren, dass in Caracas kein Blumentopf zu gewinnen sei?« Er hielt inne, die Kunst der Pause beherrschte er wie kein zweiter. Die stummen Sekunden, die den Gegner so verunsicherten, dass er bloß noch zu hören wünschte, was folgen würde.

»Warum haben wir Ihnen das flotte Leben bezahlt?«, fuhr er fort. »Das sündhaft teure Penthouse, die Clubs, die Partys und den ganzen Klimbim?« Er funkelte Streif an und verstummte wieder für einen Moment, während Streif noch immer schwieg. »Warum wohl?«, rief Aschmunaydt. »Sie sollten lernen und begreifen, wie hier die Karten gemischt werden.«

»Hören Sie mit diesem Nonsens auf«, sagte Streif, aber Aschmunaydt ließ sich nicht unterbrechen: »Das wollen Sie natürlich nicht hören. Sie haben gepennt. Wann wachen Sie auf und kapieren, was Sie uns eingebrockt haben?«

Streifs Wut war nicht verraucht, doch war er fasziniert. Aschmunaydt bot einen seiner seltenen Auftritte, in denen er sich voll verausgabte. Sah er sich gefordert, schaffte er es meist mit geringerem Einsatz.

Plötzlich musste Streif gähnen. Er hielt die Hand vor den Mund und sah über Aschmunaydt hinweg auf die Fassaden aus Glas und Stahl, die vor ihm in den Himmel ragten und um deren Spitzen Dunstschleier schwebten. Anfangs hatte ihn dieses Büro nervös gemacht, doch hatte er sich bald an das Gefühl gewöhnt, wie in einer luxuriös ausgestatteten Flugzeugkabine zu arbeiten, und nun liebte er diesen Raum.

Streif war kein Träumer, er war nur sensibel. Seine Umwelt nahm er genau wahr und ließ sie intensiv auf sich einwirken. Er war ein Mensch mit einer Vielzahl präziser, bildhafter Erinnerungen, ob aus der persischen Salzwüste, dem Gran Sertao oder Aschmunaydts Villa bei Düsseldorf.

Aschmunaydt war ganz anders. Seit über zwanzig Jahren lebte er in dem gleichen Haus, das, zweimal umgebaut, sich zu einer Villa gemausert hatte, und blickte immer in den gleichen Garten, in dem nur die Bäume gewachsen waren. Aschmunaydt hasste örtliche Veränderung, musste aber viel unterwegs sein. Oft wusste er schon nach Tagen nicht mehr, wo er sich aufgehalten hatte. Nur was gesagt worden war, saß tief in seinem Hirn.

Er musterte Streifs Gesicht. Die Jochbeine spannten die Wangen. Das scharfe Kinn hatte ein Grübchen, und aus dem Hals trat der Kehlkopf hervor. Aschmunaydt verkniff sich ein Lächeln. Er hielt Streif für ausdauernd, geschickt und anpassungsfähig. Besondere Energien gestand er ihm nicht zu.

Streif begehrte wieder auf: »Wer hat sich denn meine Schlachtung ausgedacht. Sie oder Kampe?«

Streif sprach so betont, dass Aschmunaydt unwillkürlich an Blutwürste und Wellfleisch dachte. »Niemand will Sie schlachten«, sagte er. »Wo haben Sie bloß solche Ausdrücke her?«

»Von Ihnen.«

»Was fällt Ihnen ein!«

»Sie merken schon gar nicht mehr, wie Sie reden.«

»Und Sie schnallen überhaupt nicht, wen Sie vor sich haben.«

»Wer war's, wer will mich vernichten?« Streifs Stimme vibrierte.

»Niemand, so ein Unsinn. Sie vergessen, was man Ihnen vorwirft.«

»Sie haben nichts erklärt, Sie spielten sich nur auf.« Jetzt war Streif zu weit gegangen, aber das war ihm gleichgültig. Immerhin konnte er Nina erzählen, wie sehr er Aschmunaydt zugesetzt hatte. Nina, der es auch in New York gelungen war, sich in der Gesellschaft weit nach oben zu hangeln. Mit ihrem unstillbaren Wunsch zu gefallen hatte sie erreicht, dass ihr ein gutes Dutzend Männer tölpelhaft zu Füßen lag.

Anstatt Streif über den Mund zu fahren, sagte Aschmunaydt: »Das war alles ein bisschen viel auf einmal. Sie müssen zunächst ruhiger leben.« Er glaubte zu wissen, wie man Geschlagene nach dem Sockelsturz sanft ins Bodenlose fallen lässt, und erhob sich. Aber jetzt waren seine Bewegungen nicht mehr so schwerfällig wie am Anfang dieser unheilvollen Begegnung. Locker löste er sich aus dem Sessel und ging nahezu leichtfüßig vor den hohen Scheiben auf und ab, als hätten sie sich beide angeregt unterhalten. Mit der Hand fuhr er über die Schultern seines Opfers, eine väterlich anmutende Geste, die er sich nur erlaubte, wenn er überzeugt war, dass sie der Moment erforderte.

Streif rührte sich nicht. Er blickte zu einer im Dunst schwebenden Whiskyreklame und schwor sich, diesen Scotch, Zeuge seiner bisher schwärzesten Stunde, nie mehr anzurühren. Er wunderte sich, zu welchen Gedanken er angesichts der eigenen Katastrophe fähig war. Ließ er sich so leicht ablenken? Konnte er sich nicht einmal auf den eigenen Zorn konzentrieren?

»Also, dann bis heute Abend.« Aschmunaydt blieb in der Tür stehen und hatte die Stirn hinzuzufügen: »Sehen Sie nicht zu schwarz, auf mich können Sie immer zählen.«

»Aber natürlich«, rief ihm Streif nach. »Wir freuen uns auf Sie.«

3

Von dem, was vorgefallen war, durfte Nina noch nichts wissen. Sie hätte Aschmunaydt keine Ruhe gelassen und wäre zu einem peinlichen Auftritt fähig gewesen.

Streif küsste sie auf die Stirn, weshalb er sich ziemlich weit nach unten beugen musste. Sie wich vor seinem feuchten Gesicht zurück. »Was ist denn los, dusch dich bitte!«

Streif war zu Fuß nach Hause gegangen, um noch nachdenken zu können. Davon, was er gerade erlitten hatte, war ihm jetzt nichts mehr anzumerken. Er wirkte ruhig, so wie immer.

Im Bad rann das Wasser an seinem schlanken, glatten Körper herunter. Er hob die Arme und atmete tief ein, aber von dem Druck, der auf seiner Brust lag, konnte er sich nicht befreien. Die Haare wusch er mit einem wohlriechenden Shampoo, das ihm Nina verschrieben hatte. New York zu verlassen wäre für sie noch viel schmerzlicher als für ihn. Düsseldorf fand sie grässlich. Wie oft hatte sie erklärt, in diesem Spieß nicht leben zu können, und das bei einem hochbesteuerten Inlandsgehalt, in einem gemieteten Reihenhaus.

Nina hatte sich in New York eingegraben, als wollte sie hier den Jüngsten Tag erleben. Und so wie das Leben in dieser Stadt war, wenn man sich bewegte, war es das, was Nina über alles liebte.

Streif hing an ihr, in vielem war er von ihr abhängig. Seitdem er mit Nina verheiratet war, hatte es für ihn keine andere Frau gegeben. Für Nina war Streif ein sehr guter Freund geworden, der für ihren Komfort sorgte und hin und wieder mit ihr schlief.

Nina konnte andere Menschen schnell von sich begeistern, meist waren es Männer. Für das Maß an Verehrung, das Nina verlangte, wäre ein Mann ohnehin zu wenig gewesen. Ninas Wille war stärker als der von Streif. Er hatte sich ihr in vielem angepasst und wäre gerne noch ein paar Jahre in Caracas geblieben. Im venezolanischen Chaos hatte er sich gut zurechtgefunden. Aber an ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag hatte sich Nina New York in den Kopf gesetzt. Sie hatte ihm erklärt, dass sie sich vom Leben noch eine Menge zu erwarten und keine Zeit zu verlieren habe, und ihm vorgeworfen, er könne wohl auch in Timbuktu glücklich werden, anspruchslos, wie er sei. Immer häufiger hatte sie dann wiederholt, dass sie sich vom Leben noch eine Menge zu erwarten und keine Zeit zu verlieren habe. Man müsse Ansprüche stellen, sonst gehe man leer aus.

Damals fand Streif, dass er mit dem von ihm Erreichten recht zufrieden sein durfte, aber das konnte er vor Nina nicht zugeben. So hielt er sie hin und behauptete regelmäßig, dass er nicht von einem Tag auf den anderen versetzt werden könne. Nina riet ihm, die Firma zu wechseln, doch davon wollte Streif schon überhaupt nichts wissen. Dafür sei der von ihm angesammelte Goodwill viel zu wertvoll, womit er hauptsächlich Aschmunaydt gemeint hatte. Über ein halbes Jahr fand er Gründe, warum Caracas nicht zu verachten sei, bis sie dann eines Tages doch in New York landeten und Nina sofort nach Wohnungen zu suchen begann. Ihr Wille hatte gesiegt. Erst halbherzig, dann mit Nachdruck hatte sich Streif in der Zentrale um die Versetzung nach New York bemüht, und so, wie sich alles anließ, hatte Streif zugeben müssen, dass Nina den richtigen Riecher besessen hatte. Streifs Chef erlag fünf Monate nach Streifs Ankunft einem Herzinfarkt. Aschmunaydt fand, dass Streif lange genug in New York gewesen war, um sich einzuarbeiten. Er ernannte ihn zum Nachfolger des Verstorbenen, der den Amerikanern hatte zeigen wollen, was Arbeit sei. Seitdem lebten die Streifs in dem von Aschmunaydt als sündhaft teuer bezeichneten Penthouse.

Doch damit war es nun vorbei.

Auf der Terrasse tigerte Streif an gelbblühenden Büschen und verkümmertem Oleander entlang. Vom Geländer hielt er Abstand. Er war nicht schwindelfrei. Streif blieb stehen und beobachtete Nina, die mit der schwarzen Hilfe den Tisch deckte. Sie erwarteten ja Gäste, was Nina liebte. Der Druck in Streifs Magen nahm zu.

Die Kristallgläser und das chinesische Geschirr würden sie so bald nicht mehr benützen. Die können wir uns an den Hut stecken, dachte Streif und spielte mit dem Gedanken, alles zu verkaufen. Der Anblick seiner Frau machte ihm zu schaffen. Sie strahlte ihn an. Ihre dunklen Augen leuchteten aus dem blassen Gesicht. Sie mied die Sonne, feine Sommersprossen sprenkelten ihre Backen.

Sie litt unter ihren Brüsten, die sie zu klein fand. Keiner ihrer Liebhaber hatte ihr ausreden können, dass Männer nur üppige Busen mochten. Er beschloss, seine Beklemmung mit Alkohol zu vertreiben. Noch hatte er vierundzwanzig Stunden Zeit, bis er Nina seine schmähliche Rückkehr nach Düsseldorf beichten musste.

Im Dunst ging die Sonne rötlich unter, der Horizont färbte sich hellviolett. Streif sah über die Stadt, die Flüsse und das Meer. Er kniff die Augen zusammen und steuerte auf die Bar im Wohnzimmer zu. Aber auch nach einem langen Schluck aus einer Whiskyflasche fühlte er sich kein bisschen besser. Das Telefon läutete, Nina hob ab. Fast alle Gespräche waren für sie.

Gerüchte, Klatsch und die wenig einfallsreichen Komplimente ihrer Verehrer sog sie durch die Leitung ein. Es war unglaublich, was sie sich alles merken konnte, welche Ehe gerade zu Ende ging, welche Affären begannen, wem der Laufpass gegeben wurde und wer eben doch schwul war. Sie hatte mehrere Verhältnisse hinter sich gebracht und entschuldigte das damit, dass sie zu jung geheiratet hätte. Streif wäre für ein Verhältnis wie geschaffen gewesen, aber die AG hielt ihn viel zu sehr auf Trab.

Nina ging auf Menschen mit einem Lächeln zu, das Frauen in Panik versetzen konnte und Männer hellsichtig werden ließ. Alle ihre Sinne waren stark ausgeprägt. Sie aß für ihr Leben gern. Alles, was sie köstlich fand, verzehrte sie in Unmengen, ohne ein Gramm zuzunehmen. Das hatte schon vielen die Sprache verschlagen. Dazu kam ihr Lachen, das sie zuerst vibrierend hochzog und dann in hellen Tönen enden ließ. Sie mochte lateinisch aussehende Männer mit behaarten Oberkörpern, über die sie gurrend und kichernd strich, wenn ihr danach war.

In New York hatte Nina zu malen begonnen. Anfangs war sie durch die Museen gehetzt, danach hatte sie es langsamer angehen lassen und bald darauf bei einem greisenhaften Maler Stunden genommen, der nur noch an Malen dachte.

Nina zeigte Gefühl für Farben. Noch lernte sie, übereilen wollte sie nichts. Die Ansprüche in New York waren gewaltig. Aber denjenigen, der ihre erste Ausstellung veranstalten sollte, hatte sie bereits ausgeguckt. Er war ihr ergeben, aber dass sie malte, hatte sie ihm bisher verschwiegen.

Nina legte den Hörer auf. Streif trank den dritten Whisky-Soda und entspannte allmählich. Nina spürte, dass mit ihm etwas nicht stimmte.

»Warum trinkst du jetzt schon so viel«, fragte sie. »War der Tag so schlimm?«

»Es war so, wie es mit Leuten aus der Zentrale immer ist.«

»Warum bist du so gereizt?«

»Alles xmal zu erklären strengt an.«

»Aschmunaydt kapiert doch schnell, gerissen, wie er ist.«

Streif schwieg, er fühlte sich ertappt.

Nina und Aschmunaydt waren sich meist ausgewichen. Als Streif sie vor Jahren Aschmunaydt vorgestellt hatte, war der nicht sicher gewesen, ob sie die richtige Frau für Streif war. Sie hatte auch Aschmunaydt anfangs mit schmeichelhaften Signalen bedacht, doch ernsthaft hatte sie nie etwas mit ihm im Sinn gehabt, dem allgewaltigen Chef ihres Mannes. Das wäre ihr zu weit gegangen und gegen ihren Stil gewesen. Aschmunaydt wäre schon aus Prinzip nie auf eine solche Verlockung eingegangen. Von den Frauen der Mitarbeiter und Kunden hatte man sich fernzuhalten.

Während Nina im Bad ein Lied summte und sich schön machte, überlegte Streif, wie viele Meter Schrankwand er in Deutschland für ihre Garderobe kaufen musste. Die Zahl seiner Anzüge hielt sich in Grenzen. Ohne Ninas Betreiben wären es noch weniger gewesen. Bereits der Kauf eines Pullovers machte ihn fast krank. Er wählte eine dunkelblaue Krawatte mit roten Punkten. Blau passt zu Blau, dachte er und stellte den Kragen seines hellblau gestreiften Hemdes auf.

Er sah sich im Spiegel. Die Augen lagen tief in den Höhlen. Er sah müde aus und hätte sich am liebsten im Bett die Decke über die Ohren gezogen. Er ärgerte sich, er wollte nicht wehleidig sein. Aber das war er auch nie gewesen, schon als Junge nicht. War er von Stärkeren verdroschen worden, waren ihm Tränen der Wut über die Backen gelaufen.

Aggressiv wurde er selten, aber feige war er nie. Noch heute wurmte es ihn, dass er im Schulhof der Herausforderung eines sehr viel kräftigeren Jungen, der sich mit ihm hatte schlagen wollen, ausgewichen war. Zimborwski hatte der rotblonde, muskelstrotzende Sohn schlesischer Flüchtlinge geheißen. Streif hatte befürchtet, Zimborwski, von dem es hieß, er habe einem Jungen ein Auge ausgeschlagen, würde ihm das Genick brechen. Er hatte Streif die Prügelei wie ein Duell angeboten. Nach einigen Ausflüchten war Streif davongelaufen. Zimborwski hatte ihn verhöhnt. Die halbe Schule hatte das mit angesehen.

Stunden später hatte er sich geschworen, so etwas nie wieder geschehen zu lassen. Der Wunsch, sich gegen Aschmunaydt zu wehren, wuchs in Streif.

Aschmunaydt überreichte Nina einen Strauß roter und weißer Nelken, die sie grässlich fand. Typisch Corpus, dachte sie, bedankte sich und schnüffelte an den Blüten. Vor Aschmunaydt hatte sie Respekt, aber einschüchtern ließ sie sich nicht von ihm. Nach Aschmunaydt reichten ihr zwei Männer aus der Zentrale die Hand, deren Namen sie augenblicklich wieder vergaß. Der eine, ein älterer Glatzkopf, pries die Aussicht und Lage des Penthouses in einer Art, aus der Nina den Neid herauszuhören glaubte, doch war es nur Häme. Der andere Begleiter Aschmunaydts war ein jüngerer, wächserner Mann, der Minter hieß. Er schwieg zu allem und war zu Streifs Nachfolger ernannt worden. Seit einer Stunde wusste Minter das.

»In New York lässt es sich schon aushalten«, sagte Aschmunaydt zu Minter, dem alles noch peinlich war und der einen gequälten Blick zur Decke schickte. Streif schöpfte sofort Verdacht. Also Minter, dachte er. Für ihn war es höchste Zeit, wieder etwas zu trinken.

Aschmunaydt unterhielt sich mit Nina. Dass sie noch nichts wusste, hatte er gleich erkannt. Er hatte sich vor ihr aufgepflanzt und duftete nach einem Toilettenwasser, das Nina unmöglich fand. Der Zweireiher war immerhin seiner Figur bekömmlich, und dass der gestärkte Hemdkragen in den Nacken schnitt, nahm sie hin. Die graue Krawatte mit den eingewebten Silberstreifen fand sie jedoch bestenfalls komisch.

Aschmunaydt wirkte keineswegs wie ein Buchhalter auf Amerikareise. An seiner Autorität ließ er keinen Zweifel und trat sehr sicher auf. Nina amüsierte ihn. Über das, was sich mit ihr anstellen ließ, musste er nicht lange nachdenken. Er mochte kastanienbraunes Haar, das locker auf einen bloßen Rücken fiel.

Nina erzählte und schwärmte von New York, als lebte sie hier seit ihrer Kindheit, und davon, dass sie aus diesem Paradies durch nichts zu vertreiben sei. Nach so vielen Ländern im Dienst der AG habe sie das verdient. Nina wurde Aschmunaydt unheimlich. War sie etwa noch raffinierter, als er vermutet hatte? Nun rühmte sie ihn als den guten Stern ihres Mannes. Er spürte, dass in dieser Frau, die so unbekümmert daherredete, Kraft steckte, trotz aller Ticks, die sie trieben. Aschmunaydt fragte sich, wie Streif die nächsten Tage überstehen würde. Er zweifelte, dass Streif seiner Frau gewachsen war. In all den Jahren hatte er darüber hinweggesehen. In Kairo war Nina so gleichbleibend freundlich gewesen wie in Teheran, Casablanca, Santiago oder Caracas, Stationen der Streifs, Städte, in denen Nina seinetwegen, Aschmunaydts, gelebt und die sie erlebt hatte. Das Dinnerparlando war zwar überall das gleiche, was sich jedoch außerhalb der Salons abspielte, unterschied sich erheblich voneinander.

Aschmunaydt und Nina waren sich bei aller Gegensätzlichkeit in einem gleich: Sie hatten Streif zu einer Art Untertan gemacht. Von den Menschen, die ihnen erhalten blieben, forderten beide weitgehende Unterwerfung. Prallten solche Charaktere aufeinander, blieb einer auf der Strecke.

Unterdessen waren alle Gäste eingetroffen, drei Ehepaare und ein Junggeselle. Die Männer leiteten Firmen, die für die AG wichtig waren. Aschmunaydt hatte sie einmal außerhalb des Büros treffen wollen. Zu den Riten seiner Reisen gehörten solche Abendessen. Dieses kam für Streif einer Henkersmahlzeit gleich.

Aschmunaydt unterhielt sich mit einem Mann seines Alters und beobachtete Streif, der sich Minter vorgenommen hatte. Streif klang gelassen. Mühsam beherrscht, dachte Aschmunaydt, der mit halbem Ohr zuhörte. Er war Streif für dessen Gefasstheit dankbar. Minter konnte es mit Streif nicht aufnehmen, unerfahren, wie er war. In der Zentrale war er durch organisatorische Vorschläge angenehm aufgefallen. Sparmaßnahmen gefielen immer. Minter hatte sie sauber erdacht, doch waren sie sinnlos, weil sie sich als undurchführbar herausstellten. Das wiederum hatte niemand zugeben wollen, und so war Minter unbeschadet davongekommen.

Er würde die Verluste der KEO nicht vermeiden können und sich die Finger gehörig verbrennen. Als er für Streifs Nachfolge vorgeschlagen wurde, hatte sich Aschmunaydt für ihn stark gemacht. Ein zweiter, jedoch schwacher Sündenbock war ihm nur recht. Ein starker Nachfolger hätte nach kurzer Zeit Krach geschlagen.

Aschmunaydt gab Minter höchstens ein Jahr, dann würde auch er aus New York abgezogen und in aller Stille geschlachtet werden. Dieser Spinner, dachte er, wenn der erst draußen ist.

Wie Aschmunaydt sich bewegen konnte! Er verteilte Bemerkungen nach links und rechts, fing Konversation auf, beherrschte sie kurz und gab sie weiter. Sein Englisch war perfekt, nur sein Akzent war ein wenig seltsam, hart und fränkisch. Aber das machte ihm nichts aus, sollten diese Amerikaner doch Deutsch lernen.

Er blickte zu Streif, der mit einer korpulenten Endvierzigerin redete, die ihn anhimmelte. Hungrig geworden blinzelte er Streif komplizenhaft zu, aber Streif sah durch ihn hindurch. Die vermeintliche Freundschaft von einst war zerbrochen.

Weitere Whisky-Sodas ließen Streif diesen Abend ungebeugt überstehen.

Endlich bat Nina zum Abendessen. Dieser Moment war für sie der Höhepunkt des Abends. Gleich würden die ersten Entzückensrufe zu hören sein. Die Gläser funkelten, die Leuchter flackerten. Festlich, festlich, dachte Aschmunaydt, aber einem gewissen Pomp konnte auch er sich nicht entziehen. Er suchte Ninas Blick und stimmte in den Chor der Hochrufe mit ein. Streif hätte sich am liebsten die Ohren zugehalten. Plötzlich schwindelte es ihn. Er klammerte sich an die Lehne eines Sessels.

»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte eine ältere Dame. Streif straffte sich, verwünschte den gebohnerten Fußboden und warnte vor der Glätte des New Yorker Parketts. Sein Lachen danach geriet etwas zu laut.

Aschmunaydt war nichts entgangen. Er saß neben Nina, die von vergangenen Tagen erzählte. Wilde Geschichten, die Aschmunaydt aus der sicheren Ferne der Zentrale miterlebt hatte. Damals in Damaskus, in der Omayadenmoschee, hatten sie einen Freund getroffen, der mit seinem Einfluss verhindert hatte, dass der AG von den Syrern übel mitgespielt wurde, obwohl sie allen Grund dafür gehabt hätten. Oder in Teheran während der Revolution: Vor dem Bürohaus der AG hatten zwanzigtausend Studenten auf der Straße gehockt und lautstark dem Schah den Tod gewünscht.

Die Amerikaner hingen an Ninas Lippen. Die Streifs waren ein wirklich faszinierendes Paar, besonders interessant.

Aschmunaydt sprach kaum mit Streif, der ihm schräg gegenübersaß und ein Glas Rotwein nach dem anderen leerte. So wie es für Streif in der Zentrale aussah, waren alle seine bravourösen Taten vergessen.

Aschmunaydt wurde nachdenklich, aber das verging wieder.

4

Am nächsten Morgen regnete es leicht. Der Nebel hing in den Straßenschluchten der Stadt. Streif sah zu seinem Büro hoch und fuhr sich über das heiße Gesicht. Der Alkohol pochte in seinen Adern. Er wollte nicht sentimental werden und suchte dagegen anzugehen.

»Tu was, mach was!« hätte Nina gesagt, aber das würde er erst am Abend zu hören bekommen. In der letzten Nacht hatte sie ihn umarmen wollen, aber er hatte sich von ihr losgemacht und sich fest in die Bettdecke gerollt. Die Scham vor dem, was ihn in der AG erwartete, hatte ihn aller Gefühle beraubt.

Für Nina war der Abend erfolgreich verlaufen. Aschmunaydt hatte sich für die Einladung bedankt und war länger als üblich geblieben. Dass er auf ausreichendem Schlaf bestand, war in der AG bekannt. »In meinem Alter«, pflegte er zu sagen, wenn er ungeniert die Tafel aufhob.

Streif trat in die Eingangshalle, die hoch wie ein Kirchenschiff war. Es roch nach dem immer gleichen Reinigungsmittel. Nach Klinik. Der Marmorboden glänzte wie jeden Morgen. Er horchte auf das Klicken seiner Absätze, er war allein. Streif war Frühaufsteher. Nina hatte nichts dagegen. Verschwand er im Bad, hatte sie das Bett für sich allein.

Als Streif an dem kubanischen Officeboy vorbei in sein Büro trat, empfingen ihn Aschmunaydt und Minter. Sie gaben sich die Hand. Minter bot Streif eine Zigarette an, die er dankend ablehnte. Seit über einem Jahr rauchte er nicht mehr. Minter steckte sich eine HB an, er war nervöser als Streif, der gierig den Rauch einzog.

»Was Sie wissen sollten«, begann Aschmunaydt und sagte dann das, was Streif schon wusste. Minter faltete die Hände und presste die Fingerspitzen auf die Knöchel, die weiß anliefen. Verlegenheit und zuckender Triumph mischten sich in ihm. Sein bleiches Gesicht rötete sich. Er kaute auf den Lippen.

Streif hörte Aschmunaydt aufmerksam zu. Ihm war, als wohnte er der Verlesung seines Urteils bei, eines Fehlurteils, obgleich Aschmunaydt anerkennende Worte für ihn fand. Minter sollte bloß nicht denken, er würde leichtes Spiel haben und auf den Trümmern seines Vorgängers groß herauskommen.

»Erfolg ist eine relative Sache«, sagte Aschmunaydt.

»Wirklich?«, fragte Streif. »Meinen Sie, dass Misserfolge zu Erfolgen werden können, wenn sie gut verpackt sind?«

»Die Verpackung ist der halbe Markt«, fiel Minter dazu ein, der es wissen musste. Bei »Marketing für Fortgeschrittene«, einem der vielen Kurse, die er auf Kosten der AG besucht hatte, hatte er als Drittbester abgeschnitten, obwohl er noch nie einen Kunden zu Gesicht bekommen hatte.

Aschmunaydt streifte die Jacke ab und begann Minter einzuführen. Er fing damit an, wie man sich im Ausland bewege und welche Hindernisse dabei zu überwinden seien, was Minter zunehmend verwirrte. Mit deutscher Wesensart sei in vielen Ländern eine Menge Porzellan zerschlagen worden und in den Staaten ganz besonders. Aschmunaydt sah Minter scharf an, der für ihn bereits das Mal des Untergangs auf der Stirn trug. Minter tat so, als lauschte er konzentriert, doch nahm er nicht ein Wort in sich auf. Er war viel zu aufgeregt.

Streif blickte aus dem Fenster in den Nebel, der sich allmählich gelb verfärbte. Die umliegenden Bürotürme waren nur in den Konturen zu erkennen wie die Kanten von Graten von Bergen. Einen Moment fühlte er sich wie im Zimmer eines Berghotels mit Sicht auf schlechtes Wetter. Den Käse, den Aschmunaydt von sich gab, empfand er als Zumutung. Aber Aschmunaydt sprach mit der Überzeugungskraft des Allwissenden. Minter war völlig durcheinander.

Nun nahm sich Aschmunaydt die Notwendigkeit von Kontakten vor. Wie man zu diesen kam, überging er, als seien sie einfach da. Die Ehefrauen spielten dabei eine wichtige Rolle, belehrte er Minter, wechselte aber gleich das Thema, da ihm Nina in den Sinn kam. Es blieb unklar, welche Aufgabe den Frauen zukam.

Frau Minter hatte mit ihrer Verklemmtheit schon viele vor den Kopf gestoßen. Hätte Aschmunaydt sie gekannt, hätte er sich vielleicht doch länger über die Bedeutung der Ehefrau eines Managers ausgelassen, nur um Minter die Hölle heiß zu machen.

Streif war klar, dass Aschmunaydt Minter keine Chance gab. Die KEO würde auch ihm den Hals brechen.

Aber das war alles nichts Neues. Den Schachzug, die versalzene Suppe von anderen auslöffeln zu lassen, hatte Aschmunaydt nicht als erster ersonnen. Wer die Macht besitzt, zieht den Kopf am leichtesten aus der Schlinge.

Aschmunaydt war jetzt bei der bösen Konkurrenz angelangt und klang bedrohlich.

»Die sind alle bei der Mafia in die Lehre gegangen«, sagte er. »Und haben mit Auszeichnung abgeschlossen.«

Minter stand der Schweiß auf der Stirn. Er begann zu ahnen, wie viel Aschmunaydt von ihm erwartete.

Die Raumkühlung fiel mit einem Mal aus. Die Luft wurde wie Gelee. Streifs Sekretärin servierte Mineralwasser. Aschmunaydt knöpfte das Hemd auf. Ein dreieckiger Ausschnitt des schwarzgrauen Fells, das seine Brust bedeckte, wurde sichtbar. Nina hätte ihre helle Freude daran gehabt.

Streif fieberte darauf, es Aschmunaydt irgendwie heimzuzahlen. Indessen gab sein Chef Haarsträubendes über die Praktiken im amerikanischen Stahlhandel zum Besten. Was er erzählte, war ein Bruchteil dessen, was Streif mitgemacht hatte. Streifs Wut schwoll an, er wünschte nur noch Vergeltung. Noch war es ein unklares Gefühl, das ihn durchlief, dem er aber noch keine klare Richtung zu geben vermochte. Er war noch zu sehr von Aschmunaydt enttäuscht, dem er bedingungslos vertraut hatte, der für ihn mehr als nur Chef gewesen war, und gepeinigt von den Demütigungen, die in der Zentrale auf ihn warteten.

Aus den Augenwinkeln beobachtete er Aschmunaydt, der die Ärmel hochkrempelte, die Arme auseinanderschwang und seine gespreizten Hände hob und senkte. Er hatte Minter etwas gefragt, der keine Antwort fand und auch keine finden konnte, da Aschmunaydts Frage nicht zu beantworten war. Minters Brille beschlug, Schweiß rann über seine Backen. Sein Hemd war durchgeschwitzt, die Kragenspitzen bogen sich. Der hellrote Krawattenknoten war nass geworden und in Weinrot übergegangen. Minter wagte es nicht, die Jacke auszuziehen oder den Schlips zu lockern.

Aschmunaydt knöpfte das Hemd bis zum Bauch auf und strich über die Brust. Er ließ Minter nicht aus den Augen, der nun etwas völlig Unverständliches stammelte. Aschmunaydts Lider zogen sich unter den erstaunlich langen Wimpern zu Schlitzen zusammen. Minter glaubte schon, dass Aschmunaydt eingeschlafen sei, doch schon fuhr dieser hoch: »Die Hitze hat Ihnen wohl das Gehirn eingetrocknet!«

»Nein, nicht«, erwiderte Minter.

»So eine Scheiße!« Aschmunaydt wischte sich mit dem Taschentuch über den Nacken. »Eine Luft wie im Puff.«

Minter grinste und traute sich jetzt, die Brille zu putzen. Streif lächelte undeutsam. Die leichten Falten auf seinen mageren Backen vertieften sich. Er wirkte freundlich, friedlich. Aschmunaydt war sich aber dessen nicht so sicher. Auch ihm war öfter verborgen geblieben, was Streif wirklich dachte. Dass Streif kaum schwitzte, regte ihn jedoch auf.

»Warum unternehmen Sie nichts«, rief er. »Kann man die Fenster nicht öffnen?«

»Die sind versiegelt«, sagte Streif. »In dieser Höhe ist das so.«

»Warum denn das?« Aschmunaydt stieß einen fränkischen Fluch aus.

»Damit niemand aus dem Fenster springt«, erwiderte Streif.

»Wegen der Versicherung«, flüsterte Minter.

Gereizt sagte Aschmunaydt: »Als erstes sorgen Sie für eine funktionierende Aircondition, Minter. Das ist ja nicht zum Aushalten, viehisch ist das.«

»Ja, viehisch«, sagte Minter.

»Einfach unerträglich!« stieß Aschmunaydt aus.

»Nicht zu ertragen«, sagte Minter.

»Sie Memme!«, fuhr ihn Aschmunaydt an. »So schlimm ist es auch wieder nicht.« Er schnäuzte in sein schweißgetränktes Taschentuch. Aschmunaydt litt, als wäre die Aircondition nur deshalb ausgefallen, um ihn ganz persönlich zu quälen. Eine solche Panne hatte in einem derart teuren Büro nicht vorzukommen.

Streif hatte Aschmunaydt noch nie leiden gesehen. Zusammen waren sie im Jeep von Kabul über den Khyberpass nach Peshawar gefahren und hatten sich auf Kamelen durch den Sinai schaukeln lassen. Touren mit dem Anstrich von Abenteuer, die aber nicht so abenteuerlich waren, wenn man sie in allen Einzelheiten vorbereitete, so wie es sich für Vorstände auf Reisen gehörte. Anstrengend waren sie trotzdem gewesen, doch hatte Aschmunaydt nie geklagt. Nichts war ihm zu viel gewesen, Hitze, schmerzende Glieder, gebratene Hammelhoden oder gekochte Schafsaugen. Ein Sandsturm hatte ihn keine Miene verziehen lassen. Den Kopf in Tücher gehüllt und einen Schwamm vor dem Mund, hatte er einen halben Tag auf dem Boden gehockt, während feinster Sandstaub wie aus einem Sandstrahlgebläse durch das Zelt geblasen wurde. Er hatte alles klaglos hingenommen, weil er auf alles gefasst gewesen war und sogar gehofft hatte, dass etwas passierte.

Um so erstaunter war Streif jetzt, einen leidenden Aschmunaydt vor sich zu sehen. Streif machten Hitze und Schwüle nichts aus. Im Gegenteil, sie belebten ihn. Nur auf Kälte reagierte er empfindlich.

Ohne dass es Streif bewusst war, hatte ihm Aschmunaydt eine Spur gewiesen. Bis er diese erkennen würde, musste er jedoch den ätzenden Geschmack der Niederlage noch sehr viel gründlicher ausgekostet haben. Täglich tausend Stiche, das kannte er noch nicht, oder die Einsamkeit, in der sich die Wut ballte und Hemmungen davonspülte.

Minters Jacke war durchgeschwitzt, tellergroße Flecken breiteten sich von den Achselhöhlen über Arme und Rücken aus. Seit dem letzten Rüffel Aschmunaydts hatte es Minter nicht gewagt, die Stimme zu heben.

Aschmunaydt dozierte über die Probleme der Personalführung in einer großen Gesellschaft, und eine solche übernahm Minter, wenn auch nur für kurze Zeit. Jetzt gab ihm Aschmunaydt bloß noch neun Monate, bis er vom Sperrfeuer der Zentrale weidwund geschossen sein würde. Es ließe sich auch einrichten, dass er den Fangschuss von den übernommenen KEO-Leuten erhielte. Aschmunaydt dachte an Madorek, doch würde ein Teil dieser famosen Manager mit Minter über die Wupper gehen. So wurden Rausschmisse von Stabsbullen in der Zentrale bezeichnet.

»Sie werden dreitausend Mitarbeitern ein Vorbild sein«, sagte Aschmunaydt. »Wir erwarten von Ihnen eine Menge organisatorischer Veränderungen.«

»Ordnung muss sein.« Minter nickte. Streif dachte an den Unsinn, den Minter in seinen Zirkularen verbreitet hatte.