Streunende Herzen - Michelle Zerwas - E-Book

Streunende Herzen E-Book

Michelle Zerwas

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Beschreibung

Als Hannah nachts auf dem Nachhauseweg überfallen wird, kommt Jeanne ihr zu Hilfe. Hannah ist sofort fasziniert von ihr und sieht darüber hinweg, dass sie nichts Persönliches über sich preisgibt. Von da an kreuzen sich ihre Wege immer öfter und sie kommen sich langsam näher. Doch Jeanne verbirgt ein tragisches Geheimnis vor Hannah. Schließlich taucht Jeannes Ex-Freundin Sonja auf, die ihr Geheimnis kennt. Jeanne taucht unter und lässt Hannah verwirrt und enttäuscht zurück. Hannahs beste Freundin Anja lässt nichts unversucht, um Jeanne wiederzufinden, denn sie möchte, dass Hannah glücklich ist. Doch manche Geheimnisse sind vielleicht so schrecklich, dass nicht einmal die Liebe dagegen ankommt.

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Michelle Zerwas

Streunende Herzen

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

1. Kapitel

Hannah war auf dem Weg nach Hause. Was war das wieder ein Tag gewesen. Ein langer Tag, voller Entbehrungen und Kampf.

Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht auf ihre Umgebung achtete. Normalerweise vermied sie es nach Einbruch der Dunkelheit alleine den Heimweg anzutreten, denn sie war nicht gerne im Dunkeln unterwegs. Nicht, dass es ihr direkt Angst machte, aber ein mulmiges Gefühl begleitete sie dabei immer und löste Unbehagen in ihr aus.

Plötzlich trat jemand aus einem Hauseingang vor Hannah auf den Gehsteig.

„So ganz allein unterwegs?“ Die Stimme ließ erkennen, dass es sich um einen Mann handelte, sehen konnte sie ihn jedoch nicht. Er trug einen Kapuzenpulli und hatte die Kapuze über den Kopf gezogen, sodass Hannah kaum sein Gesicht erkennen konnte.

„Was wollen Sie?“, fragte Hannah und versuchte ihre Stimme selbstbewusst klingen zu lassen.

Blitzschnell zog der Fremde ein Messer aus seiner Tasche und bedrohte Hannah damit.

„Geld her!“

Noch ehe Hannah in ihre Tasche greifen konnte, um ihr Portemonnaie raus zu holen, hatte der Unbekannte schon die komplette Tasche an sich gerissen. Doch anstatt damit wegzulaufen, packte er Hannah und stieß sie in den nächsten Hauseingang.

„Wenn du jetzt schön tust was ich sage, lasse ich dich vielleicht am Leben“, raunte er ihr zu. Dann presste er sie unsanft gegen die Wand. Hannah versuchte sich zu wehren, doch sofort spürte sie die kalte, spitze Klinge des Messers an ihrem Hals. Sie war so geschockt und verängstigt, dass sie nicht um Hilfe rufen konnte. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb und der Angstschweiß floss aus allen Poren.

Der Unbekannte machte sich nun an Hannahs Jeans zu schaffen und endlich gelang es ihr zu schreien, allerdings nicht lange genug. Der Fremde hielt ihren Mund zu und verstärkte den Druck des Messers an ihrem Hals.

„Noch ein Mucks und du bist tot“, drohte er.

Er begann sich an ihr zu reiben, fasste nach ihren Brüsten und stöhnte, sodass Hannah seinen widerlichen Atem einatmen musste. In Hannah machte sich Panik breit. Warum musste das gerade ihr passieren? Man hörte ständig von solchen schrecklichen Dingen, aber man glaubte und hoffte immer, nicht selbst in diese Situation zu geraten. Hannah hatte wahnsinnige Angst und spürte zugleich Ekel in sich aufsteigen. Warum hatte niemand ihren Schrei gehört? Warum eilte ihr niemand zu Hilfe? Die Bewohner des Hauses mussten doch merken was vor ihrer Haustür geschah. Vielleicht waren sie nicht zu Hause oder sie schliefen schon. Die unmöglichsten Gedanken schossen Hannah durch den Kopf.

Als sie jegliche Hoffnung auf Hilfe bereits aufgegeben hatte und das Unvermeidliche hinnahm, wurde der Fremde plötzlich von ihr weggerissen. Er war gerade dabei gewesen ihre Hose zu öffnen.

„Lass gefälligst deine dreckigen Finger von dieser Frau, du Wichser!“

Anhand der Stimme konnte Hannah erkennen, dass es sich um eine Frau handelte, die ihr zu Hilfe geeilt war. Die Retterin zog den Mann aus dem Hauseingang und stieß ihn grob auf die Straße.

„Verpiss dich!“ Sie verpasste ihm einen Tritt und ließ ihm dann Zeit aufzustehen. Nun hatte er es plötzlich sehr eilig. Er rannte los und stolperte beinahe über seine eigenen Füße.

„Hol ihn dir Don“, befahl die Fremde mit scharfer Stimme.

Ein Hund schoss wie ein Blitz los. Hannah hatte ihn bisher nicht bemerkt. Er rannte bellend hinter dem Verbrecher her und hatte ihn in Windeseile eingeholt.

Hannah spürte, dass ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben, sie zitterte am ganzen Körper und sie konnte sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten. Schwer atmend stützte sie sich an der Hauswand ab und konnte es gerade noch so verhindern, auf den Boden hinunter zu sinken.

„Ist alles in Ordnung?“, erkundigte sich Hannahs Retterin und umfasste sanft ihre Schultern.

„Es geht schon wieder, danke.“ Hannah war froh, dass die Unbekannte sie festhielt und sie so vor einem Sturz bewahrte.

„Vielleicht solltest du dich einen Moment hinsetzen.“

Zusammen mit ihrer Retterin, sank sie auf die steinernen Treppenstufen.

Kurz darauf kehrte der Hund zurück und legte seiner Besitzerin einen großen Fetzen Stoff vor die Füße, der große Ähnlichkeit mit einem Hosenbein hatte.

„Das hast du gut gemacht, Don“, lobte sie ihren Hund und streichelte ihn. „Der Wichser vergreift sich so schnell an keiner Frau mehr.“

Don legte Hannah den Kopf in den Schoß, so als wolle auch er sich nach ihrem Befinden erkundigen.

„Du bist ein mutiger Hund“, sagte Hannah und streichelte ihn. „Aber deine Besitzerin ist noch viel mutiger“, setzte sie hinzu und schenkte ihr einen anerkennenden Blick, den diese in der Dunkelheit nicht erkennen konnte. „Vielen Dank für deine Hilfe. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass du mir geholfen hast.“

„Das war doch selbstverständlich. Ich war gerade in der Nähe, als ich deinen Schrei gehört habe. Ich bin übrigens Jeanne.“

„Hannah“, sagte sie und nahm Jeannes Hand, die diese ihr entgegengestreckt hatte. „Der Name passt zu dir. Du bist genauso mutig wie deine berühmte Namensvetterin Jeanne d´Arc.“

„Das hatte nicht viel mit Mut zu tun. Ich habe nicht darüber nachgedacht, als ich dir geholfen habe, sondern es einfach getan.“

Hannah bedankte sich ein weiteres Mal bei ihrer Retterin.

„Du musst mir nicht danken. Soll ich dich nach Hause bringen?“

„Sehr gerne, aber nur wenn es dir keine Umstände macht.“

„Ach Unsinn. Ich habe heute sowieso nichts mehr vor, außerdem möchte ich nicht riskieren, dass womöglich wieder ein Typ auf dumme Gedanken kommt. Also lass uns gehen? Wo wohnst du denn?“

„Es ist nicht weit, gleich hier um die Ecke.“

Sie liefen los. Don blieb immer dicht bei seiner Besitzerin und Hannah hatte den Eindruck er beobachte die ganze Zeit aufmerksam die Umgebung. Kein Geräusch schien ihm zu entgehen.

„Don ist ein sehr guter Wachhund“, meinte Hannah.

„Das ist auch gut so. In bestimmten Situationen ist das echt wichtig. Don ist ein herzensguter Hund und tut keiner Fliege etwas zuleide, das kannst du mir glauben, es sei denn ich befehle es ihm. Es gibt keinen Hund, der von Natur aus bösartig ist. Der Besitzer trägt immer die Verantwortung, er hat es in der Hand, ob sein Hund gut oder böse ist.“

Inzwischen hatten sie Hannahs Zuhause erreicht. Sie standen vor dem schmiedeeisernen Eingangstor, hinter dem sich ein kleines, altes Haus mit einem großen Garten verbarg.

„Hier wohnst du?“, fragte Jeanne offenbar beeindruckt.

„Ja, hier wohne ich. Möchtest du noch mit rein kommen? Ich könnte uns einen Kaffee machen.“

„Nimm’s mir nicht übel, aber Kaffee ist nicht so mein Ding, wenn du allerdings etwas zu essen für mich hättest, würde ich nicht nein sagen.“

Hannah musste schmunzeln. Jeannes direkte Art gefiel ihr irgendwie.

„Wenn du nichts gegen Tiefkühlpizza hast?! Ich bin nämlich eine echt lausige Köchin.“

„Ich bin nicht wählerisch und hätte auch keine Angst vor deinen Kochkünsten.“

„Dann würdest du wirklich Mut beweisen, denn meine Fähigkeiten in der Küche sind miserabel.“

„Dann lass uns mal ins Haus gehen“, meinte Jeanne.

Während Hannah das Tor aufschloss, fragte sie: „Wie versteht sich denn dein Hund mit Katzen?“

„Sie interessieren ihn nicht weiter, solange sie ihn in Ruhe lassen. Ich habe ihm strengstens verboten zu jagen, egal ob es sich um eine Katze oder ein Kaninchen handelt. Deine Katze ist vor Don sicher.“

„Es sind mehrere Katzen“, erklärte Hannah.

„Keine Sorge! Sollte Don sich unanständig benehmen, bin ich zur Stelle und greife ein.“

Kaum öffnete Hannah die Haustür, da kamen ihr auch schon einige Katzen entgegen, um sie zu begrüßen.

Hannah scheuchte sie von der Tür weg und bat dann Jeanne und Don hinein. Wie Jeanne vorausgesagt hatte, interessierte Don sich nicht für die Katzen und die meisten Katzen flüchteten regelrecht vor ihm.

„Mach es dir doch einfach schon mal gemütlich, während ich die Pizza in den Ofen schiebe.“

„Du lässt mich alleine in deinem Haus herumwandern, obwohl du mich nicht kennst?“

Hannah musste laut lachen. „Bei mir ist nichts zu holen. Ich besitze keine Reichtümer und bin froh, dass ich einigermaßen über die Runden komme.“

Während Hannah in die Küche ging, besichtigte Jeanne das Wohnzimmer. Doch schon nach wenigen Minuten folgte sie Hannah in die Küche, denn sie fühlte sich unwohl dabei in Hannahs Privatsphäre herumzuschnüffeln.

„Sind das alles deine Katzen oder betreibst du eine Art Katzenpension?“

„So ungefähr. Ich bin die Tierheimleiterin der Katzenhilfe Cats07.“

„Interessant. Also sind es nicht alles deine Katzen?“

„Nein, ich habe vier Katzen, die mir gehören und auch bei mir bleiben, das heißt, sie stehen nicht zur Vermittlung. Da wir im Moment im Tierheim keinen einzigen Platz mehr frei haben, blieb mir nichts anderes übrig, als einige der Tiere auf Pflegestellen zu verteilen. Einige sind bei unseren zahlreichen ehrenamtlichen Helfern untergekommen und der Rest ist bei mir eingezogen.“

Jeanne nickte verstehend. „Von welcher Anzahl Katzen sprechen wir in dem Fall?“

„Im Tierheim haben wir 80 Katzen und nochmal circa 30 in den Pflegestellen, allein ich betreue im Moment zehn Pflegekatzen.“

„Wow, das sind ja über hundert Tiere.“

Hannah seufzte. „Ja leider. Wir wissen wirklich nicht mehr wohin mit den Tieren und müssen dringend noch mehr Menschen finden, die eine Katze bei sich aufnehmen möchten, aber es ist schwierig. Noch immer werden mehr Katzen abgegeben, als wir vermitteln können und im Herbst erwartet uns wieder eine regelrechte Flut Katzenwelpen. Es ist jedes Jahr dasselbe und man könnte daran verzweifeln.“

„Das klingt nach viel Stress und nach noch viel mehr Sorgen“, meinte Jeanne.

„Das kannst du laut sagen. Die Ausgaben steigen von Tag zu Tag und wir haben kaum Einnahmen. Ich kann die schlaflosen Nächte schon kaum mehr zählen und manchmal frage ich mich, warum ich mir das antue. Wenn ich aber dann sehe, wie aus einer Katze, die als Häuflein Elend bei uns ankam, wieder eine gesunde und glückliche Katze wird, entschädigt mich das für alles.“

„Ich verstehe dich. Ich kann es auch nicht ertragen, wenn ein Tier leiden muss. Don habe ich nachts an einer Straßenlaterne entdeckt. Er war daran angebunden und ich habe die ganze Nacht gewartet, ob seine Besitzer ihn wieder abholen, doch als auch am nächsten Tag niemand kam und den Hund angeholt hat, habe ich ihn einfach mitgenommen.“

„Es ist traurig, dass immer mehr Menschen nicht mehr bereit sind Verantwortung zu übernehmen. Bei den kleinsten Problemen, geben sie ihre Tiere weg und ein Tier auszusetzen ist schlichtweg feige und zeugt von keinerlei Verantwortungsgefühl.“

„Offenbar haben wir ähnliche Ansichten zu diesem Thema.“

„Wenn es um Tiere geht, könnte ich stundenlang diskutieren“, gestand Hannah.

Die Pizza war inzwischen fertig. Jeanne machte sich sofort heißhungrig darüber her und hatte sie in Windeseile verspeist. Sie machte den Eindruck, als habe sie schon länger nichts mehr gegessen.

„Kann ich dir sonst noch irgendetwas anbieten?“, fragte Hannah.

„Was hast du denn noch so da? Ich will dir keine Umstände machen.“

Hannah durchwühlte ihre Schränke und fand eine Packung Toastbrot und ein Glas Erdnussbutter. Jeanne verspeiste fast die ganze Packung und lehnte sich dann entspannt zurück. Hannah fragte sich, wie lange sie wohl schon nichts mehr in den Magen bekommen hatte.

Nach einer Weile wurden beide von den Katzen belagert und Hannah wusste nur zu gut, dass sie Hunger hatten, wenn sie aufdringlich wurden. Sie öffnete einige Dosen Katzenfutter und verteilte das Futter großzügig in den Näpfen.

„Frisst Don ausnahmsweise auch mal Katzenfutter?“, erkundigte sich Hannah.

„Na klar, Don frisst alles! Er ist genauso wenig wählerisch wie ich.“

„Na dann“ Lachend stellte Hannah auch Don eine große Portion Katzenfutter hin.

„Was machst du eigentlich beruflich?“, fragte Hannah.

„Ach, so dies und das. Erzähl mir aber lieber noch etwas von dir“, lenkte Jeanne sogleich vom Thema ab. „Wann hast du das Tierheim gegründet? Wie kam es dazu und wovon bestreitest du deinen Lebensunterhalt? Du sagtest ja, das Tierheim wirft nicht genug Geld ab.“

Es war offensichtlich, dass Jeanne nicht über sich reden wollte. Hannah akzeptierte ihre Entscheidung und bohrte nicht weiter nach.

„Lass uns ins Wohnzimmer gehen, da ist es gemütlicher“, schlug Hannah vor. „Dann erzähle ich dir die ganze Geschichte.“

Beide machten es sich im Wohnzimmer auf dem Sofa gemütlich und auch Don folgte seiner Besitzerin und rollte sich auf dem Teppich zusammen.

„Don geht ja echt entspannt mit den Katzen um“, bemerkte Hannah.

„Dann habe ich dir ja nicht zu viel versprochen.“ Jeanne betrachtete lächelnd ihren Hund und Hannah konnte nicht anders als Jeanne eingehender zu betrachten. Sie war wirklich hübsch, stellte Hannah fest. Bei genauerer Betrachtung bemerkte sie, dass Jeanne genau ihr Typ war: kurze schwarze Haare, schlank, braune Augen und sie strahlte eine gewisse Lässigkeit aus, die ihr imponierte.

Hannah merkte gar nicht, dass sie Jeanne verträumt musterte, die ihr daraufhin einen irritierten Blick zuwarf.

„Du wolltest mir doch etwas erzählen.“

„Ja…klar. Ich war nur gerade…in Gedanken.“

„Das macht doch nichts“, versicherte Jeanne und lächelte Hannah zu.

Hannahs Herz schlug höher und sie spürte, dass sie nervös wurde.

„Meine Großmutter hat vor knapp sechs Jahren eine große Summe im Lotto gewonnen und sie hat mir einen Teil davon abgegeben, allerdings unter der Bedingung eine Summe meiner Wahl für gute Zwecke zu spenden. Mit dem Rest sollte ich mir einen Herzenswunsch erfüllen und da ich schon länger den Wunsch hatte notleidenden Katzen zu helfen, war für mich klar, dass ich eine Auffangstation für Katzen gründen wollte. Meine beste Freundin ist Tierärztin und hat eine eigene Praxis. Sie greift mir unter die Arme, wo sie nur kann. Ich selbst bin gelernte Tierpflegerin, was im Alltag auch ein großer Vorteil ist. Da ich durch die Leitung des Tierheims nicht genug Geld verdiene, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sondern eher noch Geld beisteuern muss, schreibe ich nebenbei Artikel für eine Katzenzeitschrift. Auf diese Weise komme ich einigermaßen über die Runden.“

„Das klingt nach viel Arbeit, aber dennoch hört es sich so an, als ob du trotz allem glücklich bist.“

„Das ist richtig. Der schönste Dank ist für mich die Liebe und Zuneigung der geretteten Katzen. Ich möchte durch meine Arbeit nicht reich werden, solange ich einigermaßen überleben kann, bin ich zufrieden.“

„Deine Großmutter ist doch sicher stolz auf dich und auf das, was du auf die Beine gestellt hast?“

„Bisher habe ich ihr nur am Telefon davon erzählt. Sie ist ins Ausland ausgewandert und hat sich in Thailand ein Haus gekauft. Es war immer ihr Traum dort zu leben.“

Nun kamen die Katzen und belagerten Jeanne. Gleich zwei Vierbeiner sprangen auf ihren Schoß, doch Jeanne nahm es gelassen und streichelte sie.

„Sie scheinen dich zu mögen“, stellte Hannah lächelnd fest.

„Es sieht ganz so aus und das obwohl ich wahrscheinlich von oben bis unten nach Hund rieche, aber das scheint ihnen nichts auszumachen.“

„Sie sind immer froh, wenn jemand Zeit zum Streicheln hat. Bei der Menge an Katzen kommt der ein oder andere schon mal zu kurz.“

Nach und nach kamen immer mehr Katzen und Jeanne wusste bald nicht mehr welche sie zuerst streicheln sollte, denn jede einzelne forderte die ungeteilte Aufmerksamkeit, doch auch damit ging Jeanne souverän um. Offensichtlich konnte sie nichts so schnell aus der Ruhe bringen.

„Könntest du dir vielleicht vorstellen hin und wieder, also wenn du Zeit hast, ein wenig im Tierheim auszuhelfen? Wir brauchen immer einfühlsame Menschen, die sich mit den Tierheimkatzen beschäftigen. Vor allem bei den eher scheuen Tieren ist es wichtig, dass wir ihr Vertrauen gewinnen, damit wir sie irgendwann weiter vermitteln können.“

„Ich schlage einer Frau ja ungern einen Wunsch ab, aber ich glaube das ist keine gute Idee und es ist besser, wenn ich jetzt gehe.“

Jeanne stand auf und rief Don zu sich. Mit dieser plötzlichen Wendung hatte Hannah nicht gerechnet. Sie war überrascht, dass Jeanne so schnell und unerwartet aufbrechen wollte.

„Jeanne, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Wenn du nicht möchtest, ist das selbstverständlich okay.“

„Mach dir keine Sorgen. Du bist mir nicht zu nahe getreten, aber ich muss jetzt gehen.“

„Sehen wir uns wieder?“, fragte Hannah.

„Besser nicht.“ Mit diesen Worten verließ Jeanne das Haus, ohne dass Hannah noch weiter nachfragen konnte.

 

 

 

2. Kapitel

Hannah blieb verwirrt zurück. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte und warum Jeanne regelrecht vor ihr geflüchtet war. Eigentlich hatten sie sich doch auf Anhieb sehr gut verstanden und waren sofort auf einer Wellenlänge gewesen. Doch bei näherer Betrachtung hatte die meiste Zeit sie geredet. Jeanne war ihr bei jeder Frage ausgewichen und hatte geheimnisvoll getan. Sie nahm ihre Lieblingskatze Nala auf den Arm und kuschelte sich mit ihr zusammen auf die Couch. Ihre Katzen konnten ihr in jeder Situation Trost spenden, doch so sehr sie sich auch anstrengte, sich nur auf Nalas Schnurren zu konzentrieren, hatte sie dennoch immer wieder Jeanne vor Augen. Wieso brachte Jeanne sie so sehr durcheinander? Sie hatte doch schon öfter Begegnungen mit Frauen gehabt, die lediglich einmalig gewesen waren. Noch nie hatte sie sich davon so sehr aus der Ruhe bringen lassen.

Irgendwann musste Hannah wohl doch eingeschlafen sein, Nalas Schnurren hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

Als sie am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Wieder einmal wurde ihr nur allzu deutlich bewusst, dass ihre Couch nicht zum Schlafen geeignet war.

Nachdem sie die Katzen versorgt hatte, machte sie sich auf den Weg zum Tierheim. Jeanne spukte noch immer in ihrem Kopf herum und sie fragte sich, ob sie sie wohl jemals wiedersehen würde.

Anja, ihre beste Freundin, wartete schon auf sie. An diesem Morgen sollten einige Jungkatzen kastriert werden und Hannah hatte sich bereiterklärt ihrer Freundin zu assistieren.

„Du bist spät heute“, stellte Anja fest.

„Ja, ich weiß. Ich habe schlecht geschlafen und heute Morgen den Wecker nicht gehört.“

„Wie heißt sie?“

Verwirrt starrte Hannah Anja an. Sie wusste nicht, was Anja meinte, ihr Gehirn war noch nicht bereit seine Arbeit aufzunehmen.

„Ich weiß nicht wovon du sprichst“, sagte sie deshalb.

Anja bedachte sie mit einem wissenden Lächeln. „Schon klar. Ich weiß doch ganz genau wie du aussiehst, wenn dir eine Frau den Kopf verdreht hat. Du kannst mir nichts vormachen, ich kenne dich lange genug.“

Damit hatte Anja nicht ganz Unrecht. Niemand kannte Hannah so gut wie sie. Anja war Hannahs erste große Liebe gewesen und sie hatten drei Jahre lang eine harmonische Beziehung geführt. Glücklicherweise hatten sie sich in Freundschaft getrennt und sie bedeuteten einander immer noch sehr viel, über alles konnten sie miteinander sprechen und waren nach wie vor unzertrennlich.

„Okay du hast Recht. Es geht um eine Frau.“ Es zu leugnen hätte ohnehin nichts gebracht.

„Das musst du mir genauer erzählen, aber zuerst müssen wir mit den Kastrationen beginnen. Dabei kannst du mir dann in allen Einzelheiten berichten was passiert ist.“

„Du solltest dich lieber auf die OPs konzentrieren, reden können wir später immer noch.“

Anja winkte ab. „Kastrieren erledige ich im Schlaf, das ist ein Kinderspiel für mich. Ich habe schon hunderte von Tieren kastriert.“

„Wenn du meinst.“ Hannah wusste zwar, dass Anja eine hervorragende Tierärztin war, aber bisher war sie nur selten mit Anja im OP gewesen, da normalerweise Sina dafür zuständig war, die bei Anja als Tierarzthelferin arbeitete.

„Komm schon, lass uns nicht länger Zeit verschwenden. Ich bin neugierig.“

Wenig später, lag die erste Katze narkotisiert vor ihnen auf dem Tisch und Anja setzte das Skalpell an.

„Also los, erzähl mir endlich, was es bei dir Neues gibt.“

Hannah berichtete von ihrer Begegnung mit Jeanne und unter welchen Bedingungen diese stattgefunden hatte.

„Was für ein Glück, dass Jeanne zur richtigen Zeit gekommen ist. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sie dich nicht gehört hätte. Du hast dich also in deine Retterin verliebt?“

„Verliebt würde ich jetzt nicht gerade sagen. Jeanne war…sie ist einfach genau mein Typ und ich war enttäuscht, als sie so plötzlich gegangen ist. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich und hat kaum etwas über sich preisgegeben.“

Anja verzog zweifelnd das Gesicht. „Lass mich raten. Genau dieses Geheimnisvolle ist es, was du an Jeanne so anziehend findest?! Also für mich wäre das ja nichts. Mir ist es lieber ich weiß sofort woran ich bin, als noch ewig herumzurätseln.“

Hannah zuckte mit den Schultern. „Das ist doch jetzt sowieso alles egal“, seufzte sie. „Ich weiß absolut nichts über diese Frau, außer ihren Vornamen.“

„Du hast keine Telefonnummer von ihr?“

„Nein, als ich sie gefragt habe, ob wir uns wiedersehen, sagte sie, dass das keine gute Idee sei und danach hat sie sofort die Flucht ergriffen.“

„Das klingt ja nicht gerade vielversprechend, aber vielleicht begegnest du ihr ja irgendwann zufällig.“

„So viel Glück habe ich nicht“, erwiderte Hannah und der Gedanke machte sie traurig.

Anja verdrehte genervt die Augen. „Klar, wenn du dir das schon einredest, kann es ja nicht klappen.“

Inzwischen hatte Anja die erste Kastration so ganz nebenbei erfolgreich abgeschlossen und nahm sich sofort die nächste Katze vor.

 

Anja arbeitete wie am Fließband und hatte im Nu die acht Katzen an der Fortpflanzung gehindert.

„Jetzt haben wir uns ein zweites Frühstück verdient“, sagte Anja und wischte ein letztes Mal mit einem Tuch über den Operationstisch.

„Für mich ist das mein erstes Frühstück für heute“, gestand Hannah.

„Jeanne hat dich wohl doch mehr durcheinandergebracht, als du wahrhaben willst.“

„Und wenn schon. Lass uns nicht mehr darüber reden. Es bringt nichts, über Dinge zu reden, die man nicht ändern kann.“

„Wie du willst.“ Anja respektierte Hannahs Wunsch. Sie zog es jetzt in den Aufenthaltsraum und Hannah folgte ihr, obwohl sie dringende Arbeiten im Büro zu erledigen hatte.

Anja kochte Tee, sie war ein echter Teejunkie. Dann machte sie sich über ein riesiges Stück Pizza her, das von ihrem gestrigen Abendessen noch übrig war. Anja konnte zu jeder Tages- und Nachtzeit die unmöglichsten Dinge essen, etwas, das Hannah überhaupt nicht verstehen konnte.

„Wie ist eigentlich gestern dein Gespräch mit den möglichen Sponsoren gelaufen? Das hätte ich beinahe vergessen, bei so viel Aufregung.“

Hannah winkte genervt ab. „Frag lieber nicht! Ich kann kaum glauben, dass es auf der Welt so eingebildete Menschen gibt. Ich habe mich wirklich bemüht, nett zu ihnen zu sein, habe alles versucht, um ihnen unser Tierheim näher zu bringen, aber es hat alles nichts gebracht. In diesem Fall brauchen wir nicht auf Unterstützung hoffen.“

Wütend rührte Anja in ihrer Teetasse, dass es nur so klirrte. „So langsam wird es echt eng. Wenn nicht bald Geld rein kommt…“

In dem Moment stürzte Kathi in den Raum, die im Tierheim als Tierpflegerin arbeitete und darin ihre Berufung gefunden hatte.

„Wusste ich doch, dass ich dich hier finde. Ich habe dich überall gesucht“, wandte sie sich sofort an Hannah. „Du musst dringend mitkommen. Eine ältere Dame hat angerufen, sie hat Katzenbabys in ihrem Garten gefunden. Die Mutter der Kleinen ist auch dabei, befindet sich aber in sehr schlechtem Zustand.

Hannah war sofort auf den Beinen und für Anja wurde es auch Zeit ihre Arbeit wieder aufzunehmen.

 

Eine halbe Stunde später, hatten Kathi und Hannah ihr Ziel erreicht. Eine ältere Dame öffnete ihnen nach wiederholtem Klingeln die Tür.

„Guten Tag, wir kommen von Cats07 und sind wegen der Katzen hier“, plauderte Kathi sofort drauflos, ehe Hannah etwas sagen konnte.

„Gut, dass Sie da sind. Kommen Sie rein.“

Die Frau ging voraus ins Wohnzimmer und deutete in einen Karton, der mit mehreren Handtüchern ausgelegt war, in denen fünf Katzenwelpen mit ihrer Mutter untergebracht waren. Die Welpen kuschelten sich eng an ihre Mutter und quietschten leise vor sich hin. Sie sahen auf den ersten Blick recht gut aus, aber um die Mutter stand es sehr schlecht. Das Fell war struppig und total verklebt, sie war bis auf die Knochen abgemagert und eines ihrer Augen fehlte. Hannah hatte schon viel gesehen, aber auch dieser Anblick schockierte sie zutiefst. Sie wandte sich an Kathi und unterbrach deren Gespräch mit der älteren Dame.

„Wir sollten keine Zeit verlieren. Die Katzen müssen dringend tierärztlich versorgt werden, deshalb fährst du am besten sofort zurück zum Tierheim, während ich mit Frau Behrendt die Einzelheiten durchspreche.“

„Und wie kommst du zurück?“

„Mit dem Bus, aber mach dir mal um mich keine Sorgen. Die Katzen sind im Moment wichtiger. Außerdem wohnt hier ganz in der Nähe Samsons neue Besitzerin. Du erinnerst dich doch an Samson? Wir haben ihn vor einigen Wochen vermittelt.“

Kathi nickte und Hannah fuhr fort. „Wenn ich schon mal hier in der Gegend bin, kann ich in einem die Nachkontrolle übernehmen und sehen, wie er sich eingelebt hat. Anfangs war es ja eher problematisch.“

Kathi war einverstanden und befand sich in Windeseile auf dem Weg zu Anja.

„Ich habe noch ein paar Fragen an Sie, Frau Behrendt.“

„Fragen Sie ruhig, Kindchen. Ich bin ja froh, wenn mal jemand mit mir redet.“

Bei diesen Worten bekam Hannah sofort Mitleid, sie fand es traurig, dass es so viele ältere Menschen gab, um die sich niemand kümmerte.

„Wann und wo haben Sie die Katzen gefunden?“

„Als ich heute Morgen an den Briefkasten gegangen bin, um die Zeitung zu holen, habe ich ein Geräusch im Gebüsch gehört. Natürlich habe ich sofort nachgesehen und dabei die Katzen entdeckt. Ich habe sie erstmal mit ins Haus genommen und versucht mich selbst um die Tiere zu kümmern. Sie müssen wissen, ich hatte immer Katzen, mein ganzes Leben lang und ich habe schon einige Katzen aufgepäppelt, aber in diesem Fall überlasse ich die Arbeit lieber Fachleuten, ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste, deshalb habe ich Sie angerufen.“

„Es ist gut, dass Sie uns zu Hilfe gerufen haben. Wir werden alles in unserer Macht stehende für die Katzen tun.“

„Möchten Sie vielleicht einen Kaffee oder soll ich Ihnen schnell etwas zu essen machen?“, bot Frau Behrendt an.

„Das ist sehr nett von Ihnen, aber ich muss leider gleich weiter.“

„Das ist schade.“ Frau Behrendt sah enttäuscht drein, was bei Hannah wieder Mitleid hervorrief. Offensichtlich war die alte Dame sehr einsam.

„Dann setzen Sie sich doch wenigstens noch einen Moment zu mir“, bat sie.

Diesen Wunsch konnte Hannah ihr nicht abschlagen, obwohl sie eigentlich kaum Zeit für ein außerplanmäßiges Plauderstündchen hatte.

„Warum haben Sie denn jetzt keine Katzen mehr?“, wollte Hannah wissen.

„Ach wissen Sie, ich bin doch viel zu alt dafür. Im Moment bin ich zwar noch einigermaßen fit und könnte eine Katze versorgen, aber was passiert mit dem armen Tier, wenn ich krank werde oder gar aus dem Leben ausscheide? Nein, das möchte ich keinem Tier antun.“

Hannah fand es schade, dass ein solch tierlieber Mensch wie Frau Behrendt keine Katze mehr haben sollte, deshalb überlegte sie fieberhaft, wie sie der älteren Dame ihren Wunsch erfüllen konnte.

„Ich hätte da einen Vorschlag für Sie“, meinte Hannah nach einer Weile. „Wir haben im Moment einen 15-jährigen Kater im Tierheim, der kaum noch Vermittlungschancen hat. Hätten Sie Interesse daran ihm ein neues Zuhause zu geben? Ich weiß nicht, wie lange der Kater noch leben wird, es kann sein, dass er nur noch wenige Monate hat, aber er kann unter Umständen auch noch mehrere Jahre leben und es wäre doch traurig, wenn er diese Zeit im Tierheim verbringen müsste.“

„Ach, es wäre so schön wieder eine Katze zu haben“, gab Frau Behrendt seufzend zu. „Dann wäre ich nicht mehr so allein, aber wie soll das auf Dauer gehen? Was passiert mit dem Kater, wenn ich ihn plötzlich von heute auf morgen nicht mehr versorgen kann?“

Hannah versuchte Frau Behrendt zu beruhigen. „Wenn es wirklich so weit kommen sollte, werden wir eine Lösung finden. Dann werden wir den Kater auf jeden Fall zunächst mal wieder in die Obhut des Tierheims zurücknehmen. Jedes Tierheim kümmert sich auch nach der Vermittlung noch um seine Tiere, ist weiterhin Ansprechpartner und bietet Hilfe, wenn Hilfe nötig ist. Ich finde, jeder der Katzen liebt, sollte auch die Möglichkeit haben, mit einer Katze zusammenzuleben.“

„Damit würden Sie mir eine große Freude machen“, schwärmte Frau Behrendt und strahlte dabei so sehr, wie ein kleines Kind, dem man ein großes Eis versprochen hatte.

„Dann würde ich vorschlagen, ich komme einfach morgen nochmal bei Ihnen vorbei und bringe Ihren neuen Mitbewohner gleich mit.“

„Ich werde die ganze Nacht nicht schlafen können vor Aufregung“, beteuerte sie.

„Es ist aber nicht nötig, dass Sie sich so verrückt machen.“

Wenig später verabschiedete sich Hannah und ließ eine aufgeregte, aber glückliche, alte Dame zurück.

 

Nach einigen hundert Metern Fußweg, stand Hannah vor dem Haus von Samsons neuen Besitzern. Hannah hoffte, dass sie zu Hause waren, aber dieses Risiko musste sie bei Nachkontrollen eingehen. Sie musste spontan erscheinen, damit die neuen Besitzer keine Chance hatten irgendetwas zu verbergen.

Glücklicherweise wurde ihr bereits nach dem ersten Klingeln die Tür geöffnet.

„Frau Seidel, das ist ja eine Überraschung. Kommen Sie rein. Was führt Sie denn zu uns?“

„Guten Tag“ Ich wollte sehen, wie es mit Samson inzwischen läuft und ob alles in Ordnung ist. Es war ja anfangs nicht so einfach mit ihm.“

Frau Mohne führte Hannah in die Küche. „Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

„Nein, vielen Dank“, lehnte Hannah ab.

Frau Mohne bat Hannah Platz zu nehmen und setzte sich dann gegenüber an den Küchentisch.

„Samson hat sich sehr gut bei uns eingelebt. Am Anfang war es ein wenig schwierig, weil er sich absolut nicht mit Luci verstanden hat, aber Linus hat immer wieder zwischen den beiden vermittelt. Eine Weile haben wir sogar mit dem Gedanken gespielt Samson wieder abzugeben, obwohl es uns schwergefallen wäre, aber dann wurde es plötzlich von Tag zu Tag besser zwischen den beiden und inzwischen sind sie beinahe unzertrennlich. Ich kann es manchmal selbst kaum glauben.“

„Das freut mich wirklich sehr und ich finde es toll, dass Sie nicht so schnell aufgegeben haben.“

„Ja, darüber bin ich jetzt auch froh. Ich würde Ihnen Samson gerne zeigen, aber er stromert mit den anderen beiden draußen herum. Meistens kommen sie nur nach Hause, wenn sie Hunger haben.“

„Ich denke, das wird nicht nötig sein, denn ich glaube Ihnen. Wenn Sie sagen, dass alles in Ordnung ist, dann zweifle ich nicht an Ihrer Aussage. Wenn ich Ihnen misstrauen würde, hätten Sie Samson überhaupt nicht bekommen. Sollte es in Zukunft noch einmal irgendwelche Probleme mit Samson geben, zögern Sie bitte nicht mich anzurufen.“

Wenn Hannah gewusst hätte wie oft sie auf der kurzen Strecke zum Tierheim umsteigen musste, hätte sie Kathi nicht so leichtfertig zurückgeschickt. Sie brauchte fast zwei Stunden, um zurück zum Tierheim zu kommen, wertvolle Zeit hatte sie dadurch verloren, aber das war nun nicht mehr zu ändern. Dafür hatte sie für Fussel ein neues Zuhause gefunden und das war schließlich auch viel wert.

 

Im Tierheim angekommen, machte sie sich sofort auf die Suche nach Kathi und fand sie schließlich im Waschraum, damit beschäftigt Katzentoiletten sauber zu machen.

„Kathi, wie geht’s unserer Katzenfamilie?“

Kathi unterbrach ihre Arbeit.

„Den Welpen geht es sehr gut, Anja meint, dass wir sie auf jeden Fall durchbringen werden, aber für die Katzenmutter sieht es nicht gut aus. Das Auge hat sie vermutlich bei einem Kampf verloren. Sie ist sehr geschwächt und die nächsten Tage werden darüber entscheiden, ob wir sie durchkriegen. Die Kleinen werden wir jedenfalls erstmal mit der Flasche weiter füttern, damit sie ihre Mutter nicht noch zusätzlich schwächen. Ina hat sich bereiterklärt diese Aufgabe zu übernehmen.“

Ina arbeitete ehrenamtlich für das Tierheim und hatte schon öfter Katzenwelpen erfolgreich mit der Flasche aufgezogen.

„Wir haben der Katzenmutter übrigens den Namen Felicitas gegeben. Das ist dir doch recht?“

„Natürlich, was sollte ich denn dagegen haben? Ich habe übrigens ein neues Zuhause für Fussel gefunden. Er kann schon morgen umziehen.“

„Was, ist das dein Ernst?“ Wie hast du das denn so plötzlich geschafft? Möchten Samsons Besitzer ihre Familie noch weiter vergrößern? Wie geht es Samson überhaupt?“

Wie so oft, sprach Kathi eine Frage nach der anderen in rascher Folge aus.

„Samson geht es super, aber ich glaube Familie Mohne hat erstmal genug von neuen Mitbewohnern, aber Frau Behrendt würde Fussel gerne adoptieren und ich bin mir sicher, dass er bei ihr in den besten Händen ist.“

„Das glaube ich auch, die alte Dame wird unseren Opa sicher nach Strich und Faden verwöhnen, aber ich denke, das hat er sich auf seine alten Tage auch verdient.“

„Genau das dachte ich mir auch. Die Alternative wäre vielleicht bis an sein Lebensende im Tierheim zu sitzen und ich finde, das hat kein Tier verdient.“

„Wenigstens eine gute Nachricht“, seufzte Kathi. „Es kann ja auch nicht immer alles schlecht laufen.“

Hannah wollte gerade den Raum verlassen, da hielt Kathi sie zurück.

„Denkst du daran, dass in einer Stunde die Interessenten für Elli kommen?“

Fahrig fuhr Hannah sich durch die Haare. „Gut, dass du mich daran erinnerst. Das hätte ich glatt vergessen. Hoffentlich hat Elli Glück und es klappt mit der Vermittlung.“

Nun musste Hannah sich dringend um die liegengebliebene Arbeit im Büro kümmern. Während der PC hochfuhr, hatte sie endlich wieder ein wenig Zeit, um an Jeanne zu denken. Rasch schob sie jedoch diesen Gedanken wieder beiseite, denn sonst wäre sie zu gar nichts mehr gekommen. Sie hatte keine Zeit sich in Tagträumen zu verlieren.

Eine Stunde später begrüßte Hannah die Interessenten für Katze Elli. Ein junges Paar hatte sich im Internet auf den ersten Blick in Elli verliebt. Im Handumdrehen war alles unter Dach und Fach und Elli hatte ein neues Zuhause.

Hannah wünschte sich in diesem Moment jede Vermittlung möge so unkompliziert ablaufen.

Nach einem langen Tag, verschloss Hannah am späten Abend das Tor zum Tierheim.

Anja begleitete sie nach Hause, denn sie wollte bei Hannah übernachten, da eine Mitbewohnerin in ihrer WG eine Party feierte und Anja ihre Ruhe haben wollte.

Hannah war froh nicht alleine nach Hause gehen zu müssen, denn der gestrige Schreck steckte ihr noch in den Knochen.

„Hast du was zu essen im Haus?“, fragte Anja, kaum dass Hannah die Haustür hinter ihnen geschlossen hatte.

„Schau einfach mal in der Küche nach, was du so findest. Du bist ja mit meinen Kochkünsten und meiner Haushaltsführung bestens vertraut.“

„Du wirst dich wohl nie ändern. Ich erinnere mich, als wir noch zusammen waren, musste ich dich auch immer daran erinnern mal etwas zu essen.“

Anja half ihr dabei die Katzen zu versorgen, während Pommes und Fischstäbchen im Backofen vor sich hin brutzelten. Gemeinsam hatten sie die Arbeit viel schneller erledigt und machten es sich wenig später mit dem Essen auf dem Sofa gemütlich.

„Ist das schön endlich mal etwas Ruhe zu haben.“ Anja lehnte sich entspannt zurück. „In der WG ist immer Trouble, man hat kaum eine ruhige Minute.“

„Du wirst eben alt Anja.“ Hannah versuchte ernst zu bleiben, aber sie musste einfach lachen.

„Von wegen alt. Ich werde höchstens reifer. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.“ Anja tat beleidigt.

„Du wolltest mich ja nicht mehr. Bei mir hättest du es immer ruhig gehabt.“

Empört schnappte Anja nach Luft. „Na hör mal, wenn ich dich daran erinnern darf, haben wir uns einvernehmlich getrennt. Die Gefühle waren eben einfach weg.“

„Das war doch nicht ernst gemeint“, sagte Hannah und boxte spielerisch Anjas Arm.

„Ich weiß, aber so ein wenig Sex ab und zu wäre auch immer noch ganz schön.“

Hannah glaubte sich verhört zu haben. So freizügig kannte sie Anja nicht. Es gab wohl doch noch Dinge, die sie nicht von Anja wusste, obwohl sie sich sehr gut kannten.

„Habe ich dich jetzt aus dem Konzept gebracht?“, fragte Anja unschuldig, die Hannahs Schweigen offensichtlich richtig deutete.

„Na ja…nein…also…“

„Okay, vergiss einfach, was ich gesagt habe. Du siehst das offensichtlich anders.“

„Was sehe ich anders?“

„Denk doch mal nach! Du hattest schon ewig keinen Sex mehr und ich auch nicht, wir sind beide zurzeit Single. Warum sollten wir nicht miteinander ein wenig Spaß haben, ganz unverbindlich natürlich?“

Hannah war noch immer irritiert von Anjas Vorschlag.

„Wie kommst du ausgerechnet jetzt darauf? Ich meine…wir sind seit fast zwei Jahren getrennt und du hast bisher nie…solche Andeutungen gemacht.“

„Ich finde dich eben immer noch sehr attraktiv und solange wir nichts Festes haben, sprich keine Partnerin, können wir doch…sozusagen eine Freundschaft mit Extras.“

„Ich halte das für keine gute Idee.“

„Ok gut, vergiss es einfach.“

„Oh nein.“ Hannah vergrub den Kopf in den Händen. „Jetzt bist du enttäuscht.“

„Ach Unsinn“, winkte Anja ab.

Doch Hannah hatte das Bedürfnis Anja eine Erklärung zu liefern. „Selbst wenn ich wollte, aber in meinem Kopf spukt immer noch Jeanne herum.“

Anja verdrehte die Augen. „Mal ehrlich, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass du Jeanne wirklich wiedersiehst? Was macht es für einen Sinn einem Hirngespinst hinterherzulaufen? Außerdem weißt du doch gar nicht, ob Jeanne auch auf Frauen steht oder habt ihr etwa darüber gesprochen?“

„Wir mussten nicht darüber sprechen, es war offensichtlich, dass sie auf Frauen steht.“

„Du siehst es den Frauen also schon an, ob sie lesbisch sind oder nicht. Das ist ja sehr interessant.“

„Jeanne steht auf Frauen, das weiß ich“, beteuerte Hannah ein weiteres Mal.

Anja grinste und sprach dann weiter. „Aber jetzt mal im Ernst. Was willst du unternehmen, um Jeanne wiederzufinden? Willst du überhaupt irgendetwas unternehmen?“

„Keine Ahnung.“ Hannah wehrte Nala ab, die ihr auf die Schulter klettern wollte. „Du warst doch der Meinung, dass es durchaus möglich wäre Jeanne zufällig wieder zu begegnen.“

„Na ja schon, aber man kann dem Schicksal ja auch ein wenig auf die Sprünge helfen.“

„Was schlägst du vor? Hast du einen Plan? Ich kann ja schlecht durch die Stadt laufen und darauf hoffen, dass sich rein zufällig unsere Wege kreuzen.“

„Nein, das wäre ziemlich unsinnig und schon ein wahnsinniger Zufall, obwohl es heißt ja immer: Nichts ist unmöglich. Allerdings ist der Name Jeanne ja kein alltäglicher Name, da dürfte es doch nicht schwer sein sie zu finden.“

„Daran habe ich überhaupt noch nicht gedacht, aber wo soll ich mit der Suche beginnen? Wir leben zwar nicht in einer Großstadt, aber die Suche könnte sich dennoch zu einer Suche nach der Nadel im Heuhaufen entwickeln.“

„Du könntest eine Anzeige in die Zeitung setzen.“

„Und was soll ich in die Anzeige schreiben? Ich kann doch nicht schreiben, dass sie mich total umgehauen hat, dann wird sie mich erst recht nicht wiedersehen wollen.“

„Dann weißt du wenigstens woran du bist. Warum lange um den heißen Brei herumreden und umeinander herumeiern, wenn man ebenso gut auch sofort eine klare Antwort kriegen kann?“

„Damit hast du natürlich recht, aber nun lass uns erstmal überlegen, wie wir wieder etwas Geld in die Tierheimkasse bringen können. Das ist im Moment viel wichtiger.“

„Das war ja wieder mal klar und es ist einfach typisch für dich. Du denkst immer zuerst an die anderen, bevor du an dich denkst. Ein klein wenig Egoismus könnte dir auch nicht schaden.“

„Ich werde deinen Rat beherzigen- irgendwann mal. Hast du sonst irgendwelche Ideen?“

„Wir hatten lange keinen Tag der offenen Tür mehr. Dazu könnten wir eine kleine Feier veranstalten mit Tombola, Ponyreiten für die Kinder, Flohmarkt, Kuchenverkauf…etc.“

„An sich ist die Idee gar nicht schlecht, aber dann müssen wir wieder jede Menge Geld investieren, bevor wir irgendwelche Einnahmen haben, vorausgesetzt, dass dadurch überhaupt etwas Geld in die Kasse kommt.“

„Wir müssen natürlich vorher einen Aufruf im Internet starten, damit wir so viele freiwillige Helfer wie möglich zusammenbekommen.“

„Die Idee ist nicht schlecht“, gab Hannah nach kurzer Überlegung zu. „Ich werde mich mal dahinter klemmen und sehen, was sich organisieren lässt.“

 

Während sich die beiden Freundinnen drinnen unterhielten, ahnten sie nicht, dass Jeanne nur wenige Meter von ihnen entfernt war. Sie hatte sich an Hannahs Haus herangeschlichen, stand nun auf der gegenüberliegenden Straßenseite und beobachtete das Haus. Don lag ruhig zu ihren Füßen und bewachte die gesamte nähere Umgebung, obwohl er völlig ruhig wirkte. Ihm entging nicht das kleinste Geräusch. Es war seine Art und man wurde wachsam mit der Zeit, vor allem, wenn das eigene Leben davon abhing.

Jeanne wusste nicht so genau, warum es sie an diesen Ort zurückgezogen hatte. Sie war eigentlich vollkommen fehl am Platz, aber Hannah hatte etwas in ihr berührt, etwas das Jeanne ganz tief in ihrem Herzen verborgen hatte. Sie wusste nicht, wann sie zuletzt einem anderen Menschen wirklich etwas bedeutet hatte, aber dass sie Hannah wichtig gewesen war, hatte sie gespürt. Hätte Hannah sonst gefragt, ob sie sich wiedersehen würden?

Jeanne blieb so lange, bis in Hannahs Haus die Lichter ausgingen. Es musste weit nach Mitternacht sein, denn die Straßen lagen verlassen da, nichts rührte sich mehr.

So unerkannt wie sie gekommen war, verschwand sie auch wieder in der Dunkelheit. Vielleicht würde sie noch einmal zurückkehren, vielleicht aber auch nicht. Was änderte es schon, ob sie kam oder nicht?

 

 

 

 

3. Kapitel

 

Hannah fühlte sich am nächsten Morgen wie erschlagen. Es war spät geworden mit Anja, aber der Abend war schön gewesen und nur das zählte.

Nach einem gemeinsamen Frühstück, stürzten sie sich beide wieder in einen anstrengenden Tag. Auf Anja warteten am Vormittag einige Hausbesuche und am Nachmittag musste sie eine komplizierte Operation bewältigen.

Nachdem Hannah sich vergewissert hatte, dass im Tierheim alles in Ordnung war und jeder wusste, was er tun musste, machte sie sich mit Fussel auf den Weg zu Frau Behrendt.

Hannah kam gar nicht dazu zu klingeln, da öffnete sich auch schon die Tür. Offenbar hatte Frau Behrendt ungeduldig auf der Lauer gelegen.

„Ich bringe Ihnen Ihren neuen Mitbewohner“, sagte Hannah.

Das Gesicht der alten Dame hellte sich auf. „Ich bin schon ganz aufgeregt. Kommen Sie herein.“

Frau Behrendt war so durch den Wind, dass sie beinahe vergaß die Haustür zu schließen. Sie bot Hannah einen Platz auf dem Sofa an.

„Ich kann es noch gar nicht glauben, dass ich nun wieder eine Katze in meinem Haus habe.“ Vorsichtig näherte sie sich der Transportbox und sprach mit dem grauen Kater.

„Du bist aber ein ganz schöner. Wie heißt du denn?“

Fussel antwortete mit einem Miauen. Die beiden schienen sich vom ersten Moment an zu verstehen und Hannah freute sich darüber.

„Er heißt Fussel“, sagte Hannah. „Aber wenn Ihnen der Name nicht gefällt, können Sie auch einen anderen aussuchen. Tiere gewöhnen sich schnell an einen neuen Namen.“

„Ach was, der Name ist doch völlig in Ordnung“, sagte Frau Behrendt mit Nachdruck. „Was muss ich denn sonst noch beachten? Ich hatte bisher noch nie eine Katze vom Tierschutz, meine bisherigen Katzen sind mir immer zugelaufen.“

Hannah lachte. „Dann sind Sie wohl die Anlaufstelle für streunende Katzen gewesen. Vermutlich hat es sich unter den Streunern herumgesprochen, dass Sie bei Ihnen Hilfe finden. Katzen schauen immer, wo es ihnen gut geht und da bleiben sie dann meistens.“

„Ich habe nie eine Katze im Stich gelassen. Es gab Zeiten, da hatte ich drei Katzen auf einmal, zum Leidwesen meines Mannes.“

„Bei mir zu Hause sind im Moment vierzehn Katzen, vier eigene und zehn, die noch auf ein neues Zuhause warten. Ich bin sehr froh, dass wenigstens Fussel nun ein gutes Plätzchen gefunden hat.“

„Vierzehn Katzen? Das ist eine ganze Menge.“

„Ja, das stimmt, mehr geht auch beim besten Willen nicht. Was Fussel betrifft, da müssen Sie gar nicht so viel beachten. Er hat eine leichte Herzschwäche und muss jeden Morgen eine Tablette nehmen. Die nimmt er aber in den meisten Fällen problemlos, mit etwas Fleisch- oder Leberwurst lässt er sich ganz gut austricksen. Die Tabletten sind nicht teuer, die Kosten belaufen sich auf fünfzehn Euro im Monat, aber wenn das für Sie nicht machbar ist, übernimmt der Verein selbstverständlich die Kosten. Das Wichtigste ist, dass es Fussel gut geht.“

„Das kommt nicht infrage!“, protestierte Frau Behrendt vehement. „Ich bekomme zwar nur wenig Rente, aber das Geld kann ich gerade noch aufbringen. Solange es irgendwie geht, trage ich auch die alleinige Verantwortung für Fussel.“

Das freut mich natürlich. Sie müssen darauf achten, dass Sie Fussel nicht nach draußen lassen. Da er schon etwas älter ist und nicht mehr so gut hört und sieht, könnte er leicht unter ein Auto geraten, wenn er draußen herumläuft.“

„Das bekomme ich schon hin“, versicherte Frau Behrendt. Sie wirkte auf einmal voller Tatendrang. Fussels Anwesenheit zeigte offenbar schon seine Wirkung.

„Daran zweifle ich nicht“, meinte Hannah augenzwinkernd.

„Gut, dann hätten wir alles soweit geklärt und ich würde vorschlagen wir lassen Fussel nun aus seiner Box heraus. Er wird langsam ungeduldig.“

Die letzten Minuten hatte Fussel in ohrenbetäubender Lautstärke gezeigt, was er davon hielt, eingesperrt zu sein. Hannah öffnete die Box und Fussel kletterte heraus, streckte ausgiebig seine alten Knochen, sprang hinterher zielstrebig auf den Schoß seiner neuen Besitzerin und rollte sich dort zusammen. Hannah berührte dieser Anblick. Offenbar wusste der alte Kater genau, dass er jetzt endlich angekommen war. Frau Behrendt begann sofort ihn zu streicheln und ein zufriedenes Lächeln lag in ihrem Gesicht.

„Wie geht es eigentlich meinen Findelkindern?“, wollte sie wissen.

„Der Katzenmutter geht es noch immer sehr schlecht und wir hoffen, dass wir sie durchbekommen. Die Welpen hingegen sind alle wohlauf und werden mit der Flasche aufgezogen.“

„Ich drücke die Daumen, dass sie alle durchkommen.“

„Danke, wir geben unser Bestes.“

Kurz darauf verabschiedete sich Hannah und ließ eine überglückliche Frau Behrendt zurück.

„Wenn Sie irgendwelche Probleme oder Fragen haben, können Sie mich jederzeit anrufen“, sagte Hannah zum Abschied.

„Das ist gut zu wissen.“

Hannah ging allein zur Tür, da Fussel immer noch auf dem Schoß seiner Besitzerin lag. Im Flur fiel ihr Blick auf eine Wand voller Fotos, ein bestimmtes Bild erregte dabei ihre Aufmerksamkeit ganz besonders. Es zeigte eine junge Frau mit einem Kind, das Jeanne zum Verwechseln ähnlich sah. Sie ging näher heran, um sich ganz sicher zu sein. Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass es sich bei dem Kind um Jeanne handelte. Wie kam Frau Behrendt an dieses Bild? Kannte sie Jeanne, waren sie vielleicht sogar verwandt? Es fiel ihr schwer sich von dem Foto loszureißen, aber es war an der Zeit zu gehen. Sie wollte nicht, dass Frau Behrendt den Eindruck bekam sie würde herumschnüffeln, deshalb verließ sie rasch das Haus.

Auf dem Weg zum Tierheim, ließ sie das Foto nicht los. Sie musste herausfinden, was dahinter steckte. Doch kaum war sie im Tierheim angekommen, wurde sie sogleich von ihren Gedanken abgelenkt, als Kathi aufgeregt auf sie zukam.

„Ich habe keine guten Nachrichten für dich.“

„Was ist passiert?“

„Es geht um Felicitas. Sie hat es leider nicht geschafft.“

Auch wenn Hannah inzwischen daran gewöhnt war, dass sie nicht alle Tiere retten konnte, ging ihr der Tod jeder Katze immer noch sehr nah.

„Weißt du was passiert ist…hat Anja gesagt warum sie es nicht geschafft hat?“, fragte Hannah.

„Nein, ich kann dir nichts Genaues sagen. Ich hatte kaum Zeit mit Anja zu sprechen, weil wir heute Morgen bereits einige Besucher hier hatten. Am besten fragst du Anja selbst, sie kann dir das besser erklären.“

Sofort machte sie sich auf den Weg zu Anjas Praxis, musste allerdings eine Weile warten, da Anja gerade einen Patienten im Behandlungszimmer hatte.

Während sie wartete, plauderte sie mit Sina, die in Anjas Tierarztpraxis arbeitete, sich um die Termine kümmerte und bei Operationen assistierte, die Anja nicht alleine bewältigen konnte.

„Du bist bestimmt wegen Felicitas hier?!“, stellte Sina sofort richtig fest.

„Ja genau, du weißt doch sicher mehr. Kathi konnte mir nichts sagen.“

„Ich weiß, Kathi war total im Stress. Es kamen gleich drei Interessenten auf einmal, die eine Katze haben wollten, deshalb hatte sie alle Hände voll zu tun.“

Hannah seufzte. „Wir bräuchten dringend noch mehr helfende Hände, aber damit ist in nächster Zeit nicht zu rechnen.“

Sina nickte verstehend und beantwortete dann Hannahs Frage. „Wie du weißt, war Felicitas sehr geschwächt. Hinzu kam auch noch eine Erkältung mit Fieber. Wir haben echt alles gegeben, aber wir konnten gar nicht schnell genug Flüssigkeit in die Katze hineinbekommen, als sie verloren hat. Sie hatte am Ende keine Kraftreserven mehr, weil sie völlig ausgehungert war, andernfalls hätte sie es vielleicht geschafft. Anja musste sie erlösen, um ihr einen qualvollen Tod zu ersparen.“

Hannah traten Tränen in die Augen. Sie konnte es nicht verhindern und sie wusste, dass sie es sich nicht so sehr zu Herzen nehmen durfte, aber sie hing einfach an jedem Tierleben. Sina umarmte sie und strich ihr tröstend über den Rücken.

„Mach dich nicht so fertig. Du hast doch versucht zu helfen, aber wir können nun mal nicht jedes Tier retten, auch wenn wir das so gerne möchten.“

Hannah löste sich aus der Umarmung und wischte sich die Tränen weg. „Es geht schon wieder. Ich…denke, ich werde dann mal gehen.“

Als sie zurück ins Tierheim kam, lief ihr wieder Kathi über den Weg. „Du siehst echt fertig aus. Vielleicht solltest du dir heute mal eine Auszeit nehmen.“

„Nein, ich kann dich hier nicht allein lassen, dafür ist im Moment viel zu viel los.“

Kathi packte Hannah an den Schultern und schob sie sanft, aber bestimmt, zum Tor. „Du machst dir jetzt einen schönen Nachmittag. Wir schaffen das hier auch ohne dich, ein paar ehrenamtliche Helfer haben sich schon eingefunden, außerdem bist du uns ohnehin keine große Hilfe, wenn du so durch den Wind bist.“

Hannah ergab sich in ihr Schicksal und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, fand sie es auch ganz schön, mal einen freien Nachmittag und Zeit für sich zu haben. In der letzten Zeit, hatte sie wirklich viel gearbeitet und kaum Zeit für etwas anderes gehabt. Ihr schlechtes Gewissen musste sie allerdings mit Gewalt zur Seite schieben.

Es zog sie in die Innenstadt. Sie bummelte durch die Gassen, besah sich die Schaufenster und legte schließlich in einem kleinen Café einen Zwischenstopp ein, gönnte sich eine Tasse Cappuccino und ein Stück Schokoladenkuchen.

Als sie gegen Abend durch die Stadt zurückschlenderte, fiel ihr plötzlich ein Hund auf, der Don sehr ähnlich sah. Er lag auf dem Boden neben einer Frau, die sehr heruntergekommen aussah. Sie saß auf einer alten Wolldecke, trug zerschlissene Klamotten und hatte sich die Kapuze ihrer Jacke tief ins Gesicht gezogen. Sie machte beinahe den Eindruck, als wollte sie nicht erkannt werden. Vor ihr stand ein Becher auf dem Boden, der auch schon bessere Tage gesehen hatte. Normalerweise schenkte Hannah Obdachlosen meist keine große Beachtung, da sie ihr irgendwie Angst machten und lief immer hastig an ihnen vorbei. Dieses Mal jedoch, besah sie sich die Frau genauer und blieb auf einmal wie angewurzelt stehen. Der Hund sah nämlich nicht nur aus wie Don, es war Don, demnach saß dort Jeanne. Das konnte doch nicht wahr sein. Es musste ein Irrtum sein. Bestimmt spielten ihre Augen ihr bloß einen Streich. Sie schloss kurz die Augen und sah dann erneut hin. Das Bild hatte sich nicht verändert, dort saß tatsächlich Jeanne.

Für einen Moment überlegte Hannah auf Jeanne zuzugehen. Es musste einfach Schicksal sein, dass sie sich so schnell wiederbegegneten, aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Vielleicht wäre es Jeanne auch peinlich gewesen, wenn Hannah sie so gesehen hätte. Noch hatte Jeanne ihre Anwesenheit nicht bemerkt und sie hatte die Möglichkeit sich ungesehen aus dem Staub zu machen.

Als sie zu Hause war, hatte sie sich noch immer nicht von der Begegnung mit Jeanne erholt. Es hatte sie total durcheinander gebracht, sodass sie sich auf nichts anderes mehr konzentrieren konnte.

Nachdem sie versucht hatte sich mit alltäglichen Arbeiten im Haushalt abzulenken und feststellen musste, dass sie damit keinen Erfolg hatte, griff sie zum Telefon und rief Anja an. Sie musste unbedingt mit jemandem sprechen. Anja meldete sich auch sofort nach dem zweiten Klingeln.

„Hallo Hannah, schön dass du anrufst. Wie war dein Tag? Sina hat mir erzählt, dass du da warst, geht es dir inzwischen wieder besser?“

„Du weißt ja, dass es mir immer sehr nah geht, wenn ich eine Katze nicht retten kann.“

„Ja ich weiß, aber in dem Fall kam wirklich jede Hilfe zu spät. Das ist aber doch sicher nicht der einzige Grund, warum du anrufst.“

Hannah musste schmunzeln, Anja kannte sie einfach viel zu gut.

„Du hast Recht und du wirst nie glauben was mir passiert ist.“

„Hm, lass mich raten. Du hast Jeanne getroffen und jetzt habt ihr ein Date?“

„So ganz falsch liegst du nicht, wobei letzteres wohl eher Wunschdenken bleibt.“

„Das kannst du nicht wissen. Die Wege des Schicksals sind unberechenbar, aber jetzt raus mit der Sprache. Du hast Jeanne also wiedergesehen?!“

„Ja, ich war ein bisschen bummeln in der Stadt und plötzlich sah ich sie…“

„Ja und, hast du sie angesprochen?“, unterbrach Anja Hannah mit aufgeregter Stimme.

„Nein, ich…habe mich nicht getraut. Ich war…“

„Ach man Hannah, warum nicht? Das wäre die Gelegenheit gewesen. Du wolltest sie doch unbedingt wiedersehen und nun hat sich dir die einmalige Chance geboten, sie erneut anzusprechen und du lässt dir diese Chance entgehen.“

„Du hast ja keine Ahnung“, sagte Hannah.

„Dann erklär´s mir!“

„Sie war…also…“