Stunden Der Sehnsucht - Barbara Cartland - E-Book

Stunden Der Sehnsucht E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Sir Harry Sinclair, ein junger Adeliger vom Land und seit kurzem nach dem Tod des Vaters das Oberhaupt der Familie, trifft sich im White's Club mit den Herren aus der gehobenen Gesellschaft. Dort wird auch viel gespielt und gewettet und er verliert am Spieltisch 600 Pfund, der er dem Marquis of Wayne in kurzer Zeit bezahlen muss. Seine Familie ist jedoch sehr mittellos und die Mutter seit dem Tod des Vaters etwas überfordert. Araminta, Harrys Schwester, versucht einen Ausweg zu finden und will das Geld, das für sie beiseitegelegt worden war, um in die Londoner Gesellschaft als Debütantin eingeführt zu werden, dazu verwenden, um Harry vor dem Gefängnis zu bewahren. Das dies nicht ausreicht, muss noch ein anderer Weg gefunden werden. Da ihr Vater ein Gourmet war und auf seinen Reisen Rezepte sammelte und da Araminta bei ihrem ehemaligen französischen Koch die Kunst des Kochens gelernt hatte, will sie ihre Dienste als Köchin anbieten. Ein Bekannter des Vaters hilft ihr, Interessenten zu finden, die sie für eine Abendgesellschaft anstellen werden – nicht wissend dass sie eine Frau ist. Araminta muss ihr Können unter Beweis stellen. Wird ihr der Durchbruch in der Gesellschaft gelingen und alle von ihrer Kochkunst begeistern? Werden sie es schaffen, Harrys Schulden zu begleichen und ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien? Kann Araminta in all dem Durcheinander von Gefühlen und Verpflichtungen ihre große Liebe finden?

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Seitenzahl: 209

Veröffentlichungsjahr: 2025

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1. ~ 1817

»Harry, wie konntest du nur etwas so Verrücktes tun?«

»Ich weiß, Araminta. Ich habe keine Entschuldigung dafür, abgesehen davon, dass ich ein wenig beschwipst war.«

»Aber in diesem Augenblick..., da wir keinen einzigen Penny übrighaben!«

»Ich weiß, ich weiß«, stimmte Sir Harry Sinclair verzweifelt zu.

Harry war ein ungewöhnlich stattlicher, gutaussehender junger Mann von einundzwanzig Jahren.

Er war nach der neuesten Mode gekleidet und trug die enganliegenden, beigen Kniehosen, der Dandys von St. James und einen Cutaway, der keine einzige Falte warf und dessen Kragenspitzen bis hoch über sein kantiges Kinn ragten. Er war ein Mann, der das Herz aller Frauen schneller schlagen ließ.

Aber seine Schwester Araminta machte ein bekümmertes Gesicht. Mit absichtlich gleichmütiger Miene fragte sie:

»Wieviel hast du verloren?«

»Sechshundert Pfund!«

Araminta schrie entsetzt auf. Dann ging sie, um Selbstbeherrschung bemüht, zum Fenster und sah auf die ruhige Bloomsbury Street hinaus.

»Ich muss verrückt gewesen sein, das sehe ich jetzt«, sagte ihr Bruder. »Aber Wayne hatte den ganzen Abend gewonnen. Er hatte ein teuflisches Glück, und nach dem Gesetz des Ausgleichs hätte er gerade diese Partie verlieren müssen.«

Araminta schwieg, und nach einer Weile fuhr sie fort:

»Er sitzt immer da und sieht so verdammt überlegen aus, als ob es für ihn ganz selbstverständlich wäre, dass er gewinnt. Er hat etwas an sich, das mich rasend macht.«

»Von wem sprichst du?« fragte Araminta.

»Vom Marquis of Wayne. Ich glaube nicht, dass du schon von ihm gehört hast, aber er ist der tonangebende Mann in der eleganten Welt. Die Dandys ahmen seine Halsbinden nach, und die Snobs versuchen, seinen Erfolgen als Sportsmann nachzueifern.«

»Das klingt, als ob du ihn nicht magst.«

»Ich hasse ihn!« antwortete Harry leidenschaftlich. »Wie ich schon sagte, Araminta, er macht mich rasend. Er kommt bei White's herein, als hätte er den Club gekauft, und es gibt weiß Gott einige Mitglieder, die bedeutender sind als er.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb dich das dermaßen aufregt, dass du ihn beim Kartenspiel herausfordern musst.«

»Ich weiß jetzt, dass es idiotisch war«, gab Harry zu. »Wayne gewinnt immer! Im Club lachen sie darüber. Aber er hat mich so seltsam angesehen, als ich mich an den Tisch setzte.«

»Erkläre mir, was du damit meinst.«

»Oh, ich glaube, im Grunde war ich nur unvernünftig. Doch Wayne vermittelt mir immer das Gefühl, ein Tölpel vom Land zu sein, ein Grünschnabel, was ich zweifellos auch bin.«

Harry Sinclair schluckte.

»Ich wollte mich gegen ihn behaupten, und schau dir das Schlamassel an, in das es mich gebracht hat!«

»Nicht nur dich«, erwiderte Araminta ruhig.

Ihr Bruder warf sich in einen Sessel und schlug die Hände vors Gesicht.

»Hilf mir, Araminta! Du hast völlig recht, wenn du wütend auf mich bist, aber hilf mir um Himmels willen!«

Seine verzweifelte Stimme rührte Araminta. Sie konnte ihrem gutaussehenden Bruder nie etwas abschlagen. Sie lief durch das Zimmer und kniete neben seinem Sessel nieder.

»Es wird alles gut«, sagte sie besänftigend, als wäre er ein Kind. »Wir schaffen das schon. Du weißt, die Familie steht hinter dir.«

»Mama...«, begann Harry und nahm die Hände von seinem Gesicht.

»Ja, ich weiß«, antwortete Araminta. »Wir werden ihr nichts davon sagen... jedenfalls so lange nicht, bis wir es unbedingt müssen.«

Sie hielt inne, bevor sie fragte:

»Wieviel Zeit haben wir, das Geld zu beschaffen?«

Mit fast erstickter Stimme antwortete Harry:

»Zwei Wochen.«

»O nein!« rief Araminta. »Das ist unmöglich! Wie sollen wir in so kurzer Zeit so viel Geld auftreiben?«

Sie kauerte neben seinem Sessel und sah zu ihrem Bruder auf. Ihre Blicke trafen sich. Beide waren sich über die finanzielle Situation völlig im Klaren.

Nachdem ihr Vater, Sir Gilbert Sinclair, an den Verwundungen gestorben war, die er sich bei Waterloo zugezogen hatte, stellten sie fest, dass sein Nachlass hauptsächlich aus Schulden bestand.

Ihr Großvater, der zweite Baronet, war ein notorischer Spieler gewesen, der das Familienvermögen verschleudert und seinem ältesten Sohn nichts als ein heruntergekommenes Herrenhaus und ein paar Acker Land in der Nähe von Ampthill in Bedfordshire hinterlassen hatte.

Glücklicherweise erhielt Lady Sinclair eine kleine Rente von ihrem Vater. Er hatte ihre Ehe nicht gebilligt und es abgelehnt, seine Tochter mit irgendeiner größeren Summe auszustatten.

»Um deinen Mann daran zu hindern, mein Geld zum Fenster hinauszuwerfen, wird dir das, was dir zusteht, vierteljährlich ausgezahlt«, hatte er gesagt. »Ich gebe dir keinen einzigen Penny darüber hinaus, selbst wenn du in der Gosse verhungerst!«

Lady Sinclairs kleines Einkommen hatte es ihnen ermöglicht, ein zurückgezogenes, aber vergleichsweise bequemes Leben in Bedfordshire zu führen. Es war eine arme Grafschaft; so fielen keine großen Ausgaben an, nicht einmal für einen Adligen.

Sir Gilbert und seine Frau waren so glücklich miteinander, dass sie mit dem bescheidenen gesellschaftlichen Leben zufrieden waren, das sie mit ihren Nachbarn pflegten, und sie vermissten auch nicht die Lustbarkeiten und den Luxus Londons.

Aber Harry war anders.

Er war jung und fand Bedfordshire langweilig, was es tatsächlich auch war - und die Pferde, die sein Vater besaß, waren für seinen Geschmack viel zu langsam.

Er war Anfang des Jahres nach London gekommen und hatte sich ein einfaches Quartier gesucht, das er seiner Familie als annehmbare Wohnung geschildert hatte.

Dank seines Gönners, des Herzogs von Bedford, war er auch bei White's aufgenommen worden.

Unwillkürlich musste Araminta jetzt daran denken, dass dies der eigentliche Grund seines Abstiegs war.

White's war der exklusivste und vornehmste Club in ganz London. Er war nicht nur der Treffpunkt aller eleganten, forschen jungen Lebemänner und Kavaliere. Auch Politiker und Staatsmänner bis hin zum Regenten selbst pflegten sich dort aufzuhalten.

Wie Harry in seinen Briefen voller Freude nach Hause berichtet hatte, war der Herzog von Wellington erst im Jahr 1812 in den Club aufgenommen worden »also bin ich kein ganz so junges Mitglied, außer dem Alter nach«, hatte er hinzugefügt.

White's lag in der St. James' Street und zählte zu seinen Mitgliedern die brillantesten Geister der Beau Monde wie Lord Alvanley und den unnachahmlichen Kavalier Brummei, der wegen seiner Schulden im Jahr zuvor England hatte verlassen müssen.

Charles James Fox, dessen Ansprachen im Unterhaus größere Begeisterung hervorriefen als die eines jeden anderen Redners, gehörte ebenso zu den Mitgliedern wie Sir Robert Peel, der in London die Polizeitruppe eingeführt hatte, und der Sechste Earl of Shaftesbury. Seine Berichte über die Grausamkeit, die man den kleinen Kaminfeger Jungen zufügte, ließen die gute Gesellschaft erschauern.

Bei White's konnte man Charaktere und Persönlichkeiten von jener Art finden, die die Londoner Society zur interessantesten von ganz Europa machte.

Aber White's war auch ein Ort der Spielleidenschaft, wo Abend für Abend große Vermögen verloren und gewonnen wurden.

Harry war dem Herzog von Bedford überschwänglich dankbar gewesen, weil er ihn in dieses Paradies der Gentlemen eingeführt hatte. Araminta aber musste daran denken, dass es klüger gewesen wäre, wenn man damit gewartet hätte, bis ihr Bruder in London Fuß gefasst hätte.

»Sechshundert Pfund!« rief sie. »Ist von deinem Geld noch etwas übrig?«

Nach dem Tod ihres Vaters hatten sie vereinbart, das Geld, das ihre Mutter jedes Vierteljahr erhielt, zu teilen. Harry bekam eine Hälfte, und die andere Hälfte reichte aus, dass Lady Sinclair und ihre beiden Töchter gerade und in Maßen davon leben konnten.

Dieses Jahr hatte sich jedoch das Problem von Aramintas Debüt ergeben.

Eigentlich hätte sie schon im vergangenen Frühjahr debütieren sollen, als sie achtzehn Jahre alt geworden war. Aber da sie damals in Trauer gewesen waren, konnten sie an keinen Gesellschaften teilnehmen.

Araminta wurde nun bald neunzehn. Sie hatte sich darauf beschränkt, beim örtlichen Jagdball und einigen anderen Festlichkeiten in Bedfordshire zu erscheinen.

Dann hatte ihnen die Herzogin von Bedford, die mit Lady Sinclair befreundet war, gesagt, dass der Herzog bereit war, ihnen für die Saison ein möbliertes Haus in London zur Verfügung zu stellen, damit Araminta ihr Debüt machen konnte.

Diese Neuigkeit hatte sie alle überrascht, und sie kamen überein, dass sie ein so großzügiges Angebot nicht abschlagen konnten.

»Die Herzogin erwähnte sogar, dass sie dich bei Almack's einführen will«, erzählte Lady Sinclair überschwänglich. »Unter der Patronage Ihrer Gnaden können wir sicher sein, dass alle wichtigen Familien dich auf ihre Bälle einladen werden.«

Zum ersten Mal in ihrem Leben verließen Araminta und ihre jüngere Schwester Caro die Stille von Bedfordshire.

Der Landsitz des Herzogs und der Herzogin von Bedford lag ganz in der Nähe ihres Elternhauses, aber sie hatten das herzogliche Paar nur selten gesehen, da beide die meiste Zeit in London weilten.

»Es ist recht und schön, wenn man ein Haus zur Verfügung gestellt bekommt, Mama«, sagte Araminta. »Aber du weißt so gut wie ich, dass ich mich in London in meinen selbstgeschneiderten Kleidern nicht blicken lassen kann. Man würde mich in der Gesellschaft auslachen und mich eine Landpomeranze oder etwas Ähnliches nennen.«

»Vielleicht wird es dich wundern, aber daran habe ich selbst schon gedacht«, erwiderte Lady Sinclair mit ihrer sanften Stimme. »Wir haben es dir nie gesagt, aber dein Vater und ich haben viele Jahre lang für dein Debüt gespart und auch für deine Hochzeit.«

»Ihr habt gespart, Mama?« rief Araminta überrascht.

»Es war nicht ganz einfach, weil wir sehr wenig Geld besaßen, wie du weißt«, antwortete Lady Sinclair lächelnd. »Aber manchmal verkauften wir Obst aus dem Garten, und einmal hatte dein Vater einen guten Tag bei den Rennen, und wir legten die Hälfte seines Gewinns beiseite.«

Ihre Augen trübten sich, als sie über ihren Gatten sprach, aber sie fuhr tapfer fort:

»Es gab noch andere Gelegenheiten, und wir brachten nicht nur genügend Geld für deine Garderobe zusammen, Araminta, sondern auch so viel, dass wir jetzt in dem Haus, das man uns überlässt, ein paar Empfänge geben können.«

»Ich kann es kaum glauben, Mama!« rief Araminta.

»Ich bin nicht so einfältig, wie du und Harry zu glauben scheinen«, erwiderte Lady Sinclair mit einem Anflug von trotzigem Stolz.

Es war tatsächlich so, dass die Kinder ihre Mutter zwar liebten, sie aber manchmal für etwas verwirrt hielten.

Lady Sinclair fiel es schwer, sich an Verabredungen zu erinnern oder sich die Namen von Nachbarn und Bekannten zu merken, sofern sie diese nicht sehr gut kannte. Sie kam unweigerlich zu spät zu den Mahlzeiten, weil sie entweder gerade ein Aquarell malte oder weil sie Blumen pflückte, wenn es gerade Essenszeit war.

In vielerlei Hinsicht war sie wie ein Kind, das jedem bunten Schmetterling nachlief.

Aber da sie ihr ganzes Glück in ihrem Heim fand, versuchten ihre Kinder, sie von allem, was hässlich und unangenehm war, fernzuhalten, und besonders von finanziellen Schwierigkeiten.

Deshalb war Araminta sehr erstaunt darüber, dass ihre Mutter nicht nur vorausgedacht, sondern auch über die Jahre hinweg für ihr Debüt gespart hatte.

Noch erstaunter war Araminta, als sie erfuhr, dass dabei der unglaubliche Betrag von einhundertzehn Pfund zusammengekommen war.

»Glaubst du, das wird ausreichen, Liebes?« fragte Lady Sinclair ein Wenig ängstlich.

»Aber natürlich, Mama! Wir dürfen nicht das ganze Geld für mich ausgeben. Wir müssen auch an Caro denken. Sie ist schon siebzehn, und nächstes Jahr wird sich die Herzogin daran erinnern, dass Caro mit ihrem Debüt an der Reihe ist und nach London gehen sollte.«

»Du bist sehr lieb und selbstlos, Araminta«, antwortete Lady Sinclair. »Aber ich hoffe, Liebes, dass du in London vielleicht einen Gatten findest.«

Für einen Augenblick machte Araminta ein erschrockenes Gesicht. Dann sagte sie ruhig:

»Ja, natürlich, Mama. Dann könnte ich Caro helfen. Sie ist sehr schön und muss auch eine Chance bekommen.«

»Ihr seid beide ungewöhnlich hübsch«, erwiderte Lady Sinclair. »Dein Vater und ich haben immer bedauert, dass wir in Bedfordshire leben, denn dies ist zweifellos eine extrem langweilige Grafschaft.«

Doch dank der Freundlichkeit des Herzogs stand ihnen nun ein attraktives Haus am Russell Square zur Verfügung, in dem sonst seine Verwandten wohnten, wenn sie London besuchten.

Ich habe genau zwei Monate Zeit, hatte Araminta gedacht, als sie am 8. April in London eintrafen. Zwei Monate, um nicht nur das Leben zu genießen, sondern auch um sich vor Augen zu halten, dass jede Debütantin darauf hoffte, einen Heiratsantrag zu bekommen, und dies womöglich von einem wohlhabenden Verehrer.

Jetzt, schon am zweiten Tag nach ihrer Ankunft in London, wurde Araminta klar, dass ihre Hoffnungen zusammengestürzt waren wie ein Kartenhaus.

Als Harry zum Frühstück herunterkam, hatte sie sofort gewusst, dass irgendetwas nicht stimmte.

Er sah müde aus, dachte Araminta. Aber das konnte an den langen Londoner Nächten liegen oder an dem Wein, den er in Mengen getrunken hatte. Wie nicht anders zu erwarten, wollte er das gleiche Leben führen wie die anderen jungen Männer seines Alters.

Aber sie sah ihm doch ein wenig besorgt nach, als er zum Buffet ging und sich ein Glas Weinbrand einschenkte, statt die Tasse Kaffee zu trinken, die sie ihm angeboten hatte. Da Harry jetzt das neue Familienoberhaupt war, sagte sie nichts dazu. Wenn er am Morgen Weinbrand trinken wollte, dann war es nicht ihre Sache, ihn deshalb zu kritisieren.

Trotzdem spürte sie instinktiv, dass irgendetwas schiefgegangen sein musste.

Harry hatte die beiden vergangenen Tage mit ihnen zusammen verbracht, um ihnen zu helfen, sich im Haus einzuleben. Und er wusste auch, dass es seine Mutter freuen würde.

Heute wollte er wieder in seine Wohnung ziehen, wo er nicht nur seine Unabhängigkeit genoss, sondern auch die Aufmerksamkeit eines ausgezeichneten Dieners, den er angestellt hatte.

Sobald Lady Sinclair das Frühstückszimmer verlassen hatte, sprach Harry mit Araminta über die Schwierigkeiten, in denen er steckte.

»Sechshundert Pfund!« sagte sie noch einmal leise.

»Ich dachte, wenn ich meine Wohnung aufgebe und den Diener entlasse, könnte ich einiges Geld sparen«, sagte Harry zerknirscht.

»Ich habe dich gefragt, wieviel Geld du noch übrighast«, drängte Araminta.

Es entstand eine lange Pause, ehe Harry sagte:

»Für dieses Quartal ist nichts mehr übrig.«

»Oh, Harry!« Araminta schluckte die Worte hinunter, die ihr auf der Zunge lagen.

Es war zwecklos, wütend zu werden, sagte sie sich. Wenn das Geld ausgegeben war, würden noch so viele Vorwürfe es nicht zurückbringen.

»Ich bekomme etwas Geld für meine Pferde.«

»Deine Pferde?« fragte Araminta überrascht.

»Deshalb bin ich ja so knapp bei Kasse«, antwortete Harry. »Ich hatte die Möglichkeit, zwei wirklich schöne Tiere zu kaufen. Sie gehörten einem Bekannten, der ins Ausland ging. Er hat sie mir billig überlassen.«

Er hielt inne, ehe er hinzufügte:

»Ich werde mehr dafür bekommen, als ich bezahlt habe.«

»Wieviel bringst du alles in allem zusammen?«

»Ich habe die ganze Nacht wachgelegen und gerechnet«, antwortete Harry. »Ich stelle mir vor, dass ich mit den Pferden, Papas Uhr, seinen Manschettenknöpfen und der Halstuchnadel, die Mama mir geschenkt hat, ehe ich nach London aufbrach, ungefähr zweihundertfünfzig Pfund auftreiben kann.«

»Das von der Halstuchnadel und Papas Uhr darfst du Mama nicht sagen«, wandte Araminta ein.

»Nein, natürlich nicht.«

»Das wäre fast die Hälfte«, fuhr sie fort. »Dann haben wir noch die einhundertzehn Pfund, die Mama für mein Debüt gespart hat. Ich glaube, ich habe dir davon erzählt.«

»Ich kann unter keinen Umständen dein Geld annehmen, Araminta!«

Sie lachte leise, aber es klang fast wie ein Schluchzer.

»Meinst du vielleicht, ich kann fröhlich bei Almack's tanzen, während du im Schuldgefängnis sitzt!«

»Dazu wird es nicht kommen, wenigstens hoffe ich es.«

Harrys Stimme klang ein wenig unsicher.

»Du meinst, der Marquis wird von einer Klage absehen, wenn du für deine Schulden nicht aufkommen kannst?«

»Es wäre das erste Mal, dass ein Gentleman einem anderen dies antut«, antwortete Harry. »Aber du weißt so gut wie ich, dass eine Spielschuld eine Ehrenschuld ist. Und wenn ich meinen Verpflichtungen nicht nachkomme, könnte es durchaus sein, dass ich mit Schimpf und Schande aus dem White's Club ausgestoßen werde. Und es ist zweifelhaft, ob dann jemals wieder ein Mitglied ein Wort mit mir spricht.«

»Das darf nicht geschehen«, sagte Araminta energisch.

»Ich sehe nicht, wie ich es verhindern soll«, gab Harry zerknirscht zu. Er schlug wieder die Hände vors Gesicht.

»O Gott, Araminta, wie konnte ich nur so ein verdammter Narr sein! Wie konnte ich alles so verderben!«

»Ich glaube, wenn du den Marquis bitten würdest..., wenn du ihm die Umstände schildern würdest...«

»Den Marquis um etwas bitten? Niemals! Ebenso gut könnte ich den Felsen von Gibraltar anflehen! Wayne ist hart wie Granit und ohne jede freundliche Regung. Man schätzt ihn wegen seiner eleganten Erscheinung, wegen seines Reichtums und wegen seiner Erfolge, aber ich glaube nicht, dass es einen einzigen Menschen in London gibt, der ihn mag.«

»Aber warum nicht?« fragte Araminta.

»Das weiß Gott! Er hat einfach so etwas an sich! Er ist arrogant. Ich bin nicht der Einzige, der ihn unerträglich findet.«

Nach einer Pause fügte er hinzu:

»Er benimmt sich so, als verdienten wir alle nicht einmal seine Verachtung.«

»Dann können wir uns also nicht an ihn wenden«, stellte Araminta fest. »Wir werden jeden Penny zusammenkratzen und ihm den Rest in Raten zahlen.«

»Das wird ihm nicht gefallen«, murmelte Harry.

»Es spielt keine Rolle, ob es ihm gefällt oder nicht«, erwiderte Araminta. »Es geht darum, dass wir ihm nicht mehr geben können, als wir besitzen. Wenn wir deine zweihundertfünfzig Pfund haben und die einhundertzehn Pfund, die Mama für mein Debüt beiseitegelegt hat, dann haben wir mit den dreißig oder vierzig Pfund, die noch auf der Bank sind, fast vierhundert Pfund.«

»Aber wir müssen bis zum nächsten Quartalstag auch leben.«

»Ja, ich weiß.«

Araminta richtete sich plötzlich auf.

»Da ist noch Mamas Verlobungsring!«

»O nein, darum kann ich sie unmöglich bitten«, wehrte Harry ab.

»Er muss fast hundert Pfund wert sein«, meinte Araminta. »Mama hat ihn immer aufbewahrt, egal wie schlecht es ihr und Papa ging, weil sie ihn so sehr liebte.«

»Er ist das letzte, worum ich Mama bitten würde.«

»Ich bin sicher, sie würde sich lieber von ihm trennen, als dass du öffentlich deine Ehre verlierst.«

Araminta stand auf und ging rastlos im Zimmer auf und ab.

»Wenn wir nur noch etwas verkaufen könnten oder vielleicht etwas verdienen.«

»Daran habe ich auch schon gedacht«, erwiderte Hany. »Es ist lächerlich, Araminta, dass eine Erziehung wie die meine mich zu nichts anderem befähigt als dazu, Geld auszugeben. Aber vielleicht könnte ich eine Anstellung als Stallknecht oder Postkutscher finden.«

»Das würde dir sicher nicht viel einbringen.«

»Was sollen wir nur tun?« fragte Harry verzweifelt.

Plötzlich blieb Araminta mitten im Zimmer stehen. Sie sah sehr schön aus in dem Sonnenlicht, das durch die hohen Kassettenfenster hereinfiel. Es brachte ihr goldenes Haar zum Glänzen und ließ ihre besorgten grauen Augen aufleuchten.

»Ich habe eine Idee! O Harry, ich habe wirklich eine großartige Idee«, rief sie.

 

General Sir Alexander Bracknell las gerade in seiner Wohnung in der Half Moon Street die Morning Post, als sein Diener das Zimmer betrat.

»Eine Dame möchte Sie sprechen, Sir«, meldete er in dem knappen militärischen Tonfall eines Mannes, der früher in der Armee gedient hatte.

Der General blickte überrascht auf.

»Eine Dame?«

»Eine junge Dame, Sir. Sie sagt, es sei äußerst wichtig.«

»In diesem Fall muss ich sie wohl empfangen«, erwiderte der General. »Führen Sie sie herein, Hawkins.«

»Sehr wohl, Sir.«

Hawkins verließ das Zimmer, und der General legte die Morning Post beiseite und zupfte seine Rockaufschläge zurecht.

Zu seiner Zeit galt er als einer der besten Kommandeure in Wellingtons Armee und war ungeheuer populär. Unter Wellingtons Offizieren hatte es zwei Generäle gegeben, die von den Truppen nicht nur bewundert, sondern auch geliebt wurden. Der eine war Lord Hill gewesen, für diejenigen, die unter ihm auf der Pyrenäischen Halbinsel gedient hatten, ‚Daddy Hill‘, und der andere war General Bracknell, den alle ‚Onkel Alex‘ nannten.

Als er nun wartete, dachte er, dass es sich bei der Frau, die ihn sprechen wollte, wahrscheinlich um die Witwe oder Mutter eines seiner Soldaten handelte.

Obwohl der Krieg nun schon seit über zwei Jahren vorbei war, verging kaum eine Woche, in der nicht irgendjemand um seinen Beistand oder, in allzu vielen Fällen, um finanzielle Unterstützung bat.

Nur wer dem General nahestand, wusste, dass er ein sehr eingeschränktes Leben führte, da seine Frau seit fünf Jahren geisteskrank war.

Die Pension des Generals und alles, was er während seiner herausragenden Karriere in der Armee erworben hatte, wurde für Lady Bracknell und die Ärzte ausgegeben, denen es nicht gelungen war, ihren Zustand zu bessern.

Deshalb erwartete der General seine Besucherin mit einigem Bangen. Es war bedauerlich, dass sie so früh am Tag gekommen war, da er sonst das Haus schon verlassen hätte, um sich auf seinen täglichen Spaziergang im Hyde Park zu begeben.

Die Tür ging auf.

»Miss Araminta Sinclair, Sir.«

Araminta stand lächelnd unter der Tür, ehe sie mit ausgestreckten Armen auf den General zueilte.

Sie sah reizend aus mit ihrer hohen Haube, deren Bänder unter ihrem Kinn zusammengebunden waren.

Der General war mit der guten Gesellschaft zu vertraut, um nicht zu erkennen, dass sie zwar bezaubernd aussah, aber sowohl ihr Kleid als auch ihre Kopfbedeckung die provinzielle Herkunft verrieten.

»Araminta, meine Liebe!« rief er und stand auf. »Das ist wirklich eine Überraschung!«

»Ich fürchtete so sehr, Sie könnten vielleicht nicht zu Hause sein«, sagte Araminta. »Oh, Onkel Alex, ich muss Sie unbedingt sprechen!«

»Harry erzählte mir, dass ihr in London seid, und ich wollte mir heute Nachmittag das Vergnügen machen, deine Mutter zu besuchen.«

»Sie wird sich freuen, Sie zu sehen«, erwiderte Araminta. »Aber es ist sehr wichtig, dass ich mit Ihnen unter vier Augen sprechen kann.«

Der General führte sie zu einem alten, bequemen Sofa vor dem Kamin.

»Was ist geschehen?« fragte er.

Araminta zögerte einen Augenblick, dann sagte sie:

»Sie kennen doch jedermann in der eleganten Welt, Onkel Alex.«

Der General sah sie ein wenig erstaunt an, dann antwortete er freundlich:

»Man ist sehr liebenswürdig zu mir, Araminta. Ich glaube, ich kann, ohne mich zu rühmen, sagen, dass ich in fast alle wichtigen Häuser eingeladen werde und zu den meisten Empfängen und Gesellschaften.«

Er lachte traurig, als er hinzufügte:

»Aber in meinem Alter, pensioniert und ohne Familie, gehe ich am liebsten in meinen Club.«

»Und zwar zu White's«, sagte Araminta zaghaft.

»Ja, zu White's«, antwortete der General. »Und ich freue mich sehr, dass Harry in den Club aufgenommen wurde. Der Herzog von Bedford schlug ihn vor, und ich unterstützte ihn dabei.«

»Harry ist sehr glücklich darüber und freut sich, dass er Mitglied des Clubs ist«, erwiderte Araminta. »Und trotzdem, Onkel Alex, ist er nun wegen White's in so große Schwierigkeiten geraten.«

Der General blickte überrascht auf.

»Hat er gespielt?« fragte er.

»Ja, leider.«

Der General setzte eine Miene auf, die Araminta nicht sofort verstand. Dann stieß sie einen kleinen Schrei aus.

»O nein, Onkel Alex, daran dachte ich überhaupt nicht! Sie wissen, dass wir Sie niemals um Geld bitten würden. Ich brauche Ihre Hilfe auf eine ganz andere Weise.«

Sie sah, wie der General sich unmerklich entspannte.

»Wenn ich euch irgendwie helfen kann, Araminta, weißt du, dass ich es gern tue.«

»Ich wusste, dass Sie mich nicht im Stich lassen würden«, sagte Araminta. »Sie waren wunderbar, als Papa starb. Ich glaube, er hat Sie sehr verehrt. Er sagte immer, die Truppen wären Ihnen in die Hölle gefolgt, und ich bin sicher, er sagte die Wahrheit.«

»Du machst mich verlegen, meine Liebe«, antwortete der General. »Ich habe deinen Vater auch sehr geschätzt, und wie du weißt, liebe ich dich und Caro. Aber was ist mit Harry?«

»Er hat sehr viel Geld verspielt«, berichtete Araminta. »Und uns bleibt nur eine kurze Frist, um es aufzutreiben. Aber ich habe eine Idee, Onkel Alex!«

Der General schwieg, aber er hörte Araminta aufmerksam zu, als sie fortfuhr:

»Sie waren oft bei uns in Bedfordshire zu Besuch. Woran erinnern Sie sich am besten, wenn Sie an unsere Gastfreundschaft denken?«

Der General lächelte.

»Das ist nicht schwer zu beantworten, Araminta. Dein Vater setzte seinen Gästen immer ein vorzügliches Essen vor. Die fantastischen Mahlzeiten in eurem Haus sind unvergesslich.«

»Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen würden«, antwortete Araminta. »Und wissen Sie, wer gekocht hat, nachdem der alte Bouvais gestorben war?«

»Ich vermute halb, dass du es warst, Araminta.«

»So ist es! Papa ließ Bouvais mir alles beibringen, was er wusste. Er sagte immer, er würde sich nie wieder einen französischen Koch leisten können, aber er wollte nie wieder das Zeug essen, das in den meisten englischen Häusern serviert wird.«

»Dein Vater wusste das Leben zu genießen«, sagte der General. »Ich habe immer bedauert, dass er es sich nicht leisten konnte, in größerem Stil Gesellschaften zu geben.«

»Vielleicht war es gut so«, erwiderte Araminta lächelnd. »Wir wären sonst alle sehr dick geworden. Aber Ihnen haben unsere Gerichte geschmeckt.«

»Ich fand sie immer köstlich«, erwiderte der General. »Dein Vater war ein sehr glücklicher Mann, dass er eine so talentierte Tochter wie dich hatte.«

»Es ist mein einziges Talent, und ich glaube, im Augenblick auch das einzige, das Geld bringt.«

Der General sah sie überrascht an, als sie fortfuhr:

»Papa erzählte mir, dass sich nur sehr reiche Leute französische Köche leisten können.«

»Das ist wahr«, bestätigte der General. »Aber während der Revolution und der Napoleonischen Kriege gab es einen Exodus von Privatköchen aus Frankreich, als es in diesem unglückseligen Land nicht mehr viele Grandseigneurs gab, die sie beschäftigen konnten.«

»Papa sagte auch, dass man sich in London um die französischen Köche riss.«

»Das ist richtig. Natürlich wollten viele Köche, die herüberkamen, nicht in private Dienste treten. Sie eröffneten Restaurants oder arbeiteten in Clubs.«

»Es besteht also immer noch Bedarf an wirklich erstklassigen Köchen?« fragte Araminta.