Sturmtochter, Band 2: Für immer verloren (Dramatische Romantasy mit Elemente-Magie von SPIEGEL-Bestsellerautorin Bianca Iosivoni) - Bianca Iosivoni - E-Book

Sturmtochter, Band 2: Für immer verloren (Dramatische Romantasy mit Elemente-Magie von SPIEGEL-Bestsellerautorin Bianca Iosivoni) E-Book

Bianca Iosivoni

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Beschreibung

Entfessele die Macht der Elemente! Immer mehr Elementare tauchen auf der Isle of Skye auf und auch Ava verliert zunehmend die Kontrolle über ihre Fähigkeiten. Nicht einmal Lance – der sie besser kennt, als jeder andere, und dem sie mit ihrem Leben vertraut – kann ihr helfen. Als der Anführer der Campbell-Sturmkrieger bei einem Angriff der Elementare ums Leben kommt, wird Lance zu seinem Nachfolger ernannt. Endlich hat er erreicht, wofür er sein Leben lang gekämpft hat. Doch sein erster Auftrag lautet: Ava finden und ausschalten. Entfessele die Macht der Elemente!Die Idee für die Sturmtochter Ava und die Elemente-Clans begleitete Bianca Iosivoni schon seit vielen Jahren. Um Inspirationen zu sammeln, reiste sie durch das sagenumwobene Schottland, besuchte die Originalschauplätze und saß mit ihrem Notizbuch auf den sturmumtosten Klippen, um die rau-romantische Atmosphäre der schottischen See einzufangen. Impressionen ihrer Reisen sind auf Instagram, Pinterest, Twitter und auf ihrer Website bianca-iosivoni.de zu finden.

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Seitenzahl: 536

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2019Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2019 Ravensburger Verlag GmbHCopyright © 2019 by Bianca IosivoniDieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Langenbuch & Weiß, Hamburg.Umschlaggestaltung: Carolin Liepins unter Verwendung von Fotos von © Nejron Photo, © Maksimilian, © Olivier Tabary, © Khomenko Maryna, © Dimitry A, © Aperture75 und © nuttakit (alle: Shutterstock)Herstellung: Ulrike SchneiderLektorat: Nadja KorthalsAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473- 47909-2www.ravensburger.de

Für alle,die sich nach Schottland sehnen.

PLAYLIST

Epic Score – They Hit Without Warning

Two Steps From Hell feat. Linea Adamson – See Me Fight

KT Tunstall – Other Side Of The World

Imagine Dragons – Monster

Hidden Citizens – Land Of Confusion (Epic Trailer Version)

Celtic Woman – You Raise Me Up

MILCK – Take Me To Church

Two Steps From Hell – Wind Queen

Alessia Cara – How Far I’ll Go

Within Temptation – Ice Queen

J2 feat. Sizzy Rocket – Lean On Me (Epic Trailer Version)

Hozier – Arsonist’s Lullabye

Breaking Benjamin – Breath

Nightwish – Dark Chest Of Wonders

Hidden Citizens – Surrender By Fire

Snow Ghosts – The Hunted

Moa Lenngren – Dawn In The Mourning Valley

Rhapsody Of Fire – Emerald Sword

Two Steps From Hell – Dragon Rider

Two Steps From Hell – Ocean Princess

Celtic Woman – Awakening

Zayde Wolf feat. Ruelle – Walk Through The Fire

Zack Hemsey – See What I’ve Become

Within Temptation – Jillian (I’d Give My Heart)

MILCK – This Is Not The End

PROLOG

LANCE

IRGENDWO IN DEN HIGHLANDS VON SCHOTTLAND

Nebel kroch über den Boden. Feuchtigkeit lag in der Luft und feinster Regen prasselte auf ihn herab. Lance machte einen Schritt nach vorn, prüfte den Boden in der Dunkelheit und schlich weiter. Die Highlands konnten gefährlich werden für jene, die die geheimen Wege nicht kannten oder von ihnen abkamen. Eine falsche Bewegung, und man versank in tiefem Morast, da man nicht einmal gemerkt hatte, dass man plötzlich im Moor gelandet war. Ohne fremde Hilfe war es kaum möglich, lebend wieder herauszukommen. Denn wen das Moor nicht verschlang, der fiel den Elementaren unerbittlich zum Opfer.

Der Mond stand hoch am Himmel und warf ein schwaches Licht auf den Weg. Er war der einzige Lichtschein, abgesehen von dem kurzen Aufblitzen der Handys und Taschenlampen der anderen Sturmkrieger des Energieclans.

Ein Rascheln drang an sein Ohr. Lance erstarrte, bewegte sich keinen Zentimeter, hielt den Atem an.

Sie waren schon seit drei Tagen auf der Jagd nach diesen Elementaren. Drei Tage in den Highlands, umgeben von Bergen, Seen, wilder Natur und ein paar Schafen. Mittlerweile waren über zwei Wochen vergangen, seit er Skye verlassen hatte. Nach dem Kampf in Quiraing hatte ihn sein Clan zu sich gerufen und Lance war dem Befehl gefolgt.

Da! Wieder ein Geräusch.

Instinktiv legte er die Hand an das Chakram an seiner Seite. Das Metall war kühl unter seinen Fingerspitzen, erwärmte sich jedoch innerhalb von Sekunden und eine tiefe Ruhe legte sich über ihn. Das kreisrunde Wurfgeschoss war die heilige Waffe seines Clans. Jene Waffe, mit der schon unzählige Campbells vor ihm gelernt hatten, ihre übernatürlichen Kräfte zu kontrollieren. Als bisher Letzter, der seine Fähigkeiten entwickelt hatte, gebührte ihm die Ehre, das Chakram weiterhin zu tragen und im Kampf einzusetzen. Ihn hatte es Selbstbeherrschung gelehrt – und die war bei seinen Fähigkeiten auch bitter nötig gewesen.

Aufmerksam ließ er den Blick durch die Dunkelheit schweifen. Die anderen Campbells konnten nicht allzu weit entfernt sein. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten sie die Wesen heute Abend endlich aufgespürt und begannen nun, sie Schritt für Schritt einzukreisen. Obwohl es nur drei an der Zahl waren, hatte man gezielt einen ganzen Trupp Sturmkrieger auf sie angesetzt. Denn diese drei waren ungewöhnlich stark. Stark und grausam. Erst vor Kurzem hatten sie ein Dorf überfallen und dabei mehrere Gebäude in Schutt und Asche gelegt. Ein Feuerwesen, ein Energieelementar und eine Erdkreatur. Früher hatten sie sich nie zusammengeschlossen, waren immer Einzelkämpfer gewesen, doch die Ereignisse auf Skye schienen etwas verändert zu haben. Plötzlich blieben Elementare nicht mehr allein oder waren nur mit anderen ihrer Art anzutreffen. Nein, mittlerweile arbeiteten sie zusammen, ganz egal über welche Kräfte sie verfügten. Das machte sie nur noch unberechenbarer. Und gefährlicher.

Für einen Moment flackerten Lance’ Gedanken zurück zur Isle of Skye, die einst den Stammsitz der MacLeods dargestellt hatte. Jetzt gab es nur noch eine MacLeod, die den Namen und die Kräfte des Wasserclans tatsächlich für sich beanspruchen konnte: Avalee Coleman MacLeod. Das letzte Mal hatte er sie bei der Beerdigung ihrer besten Freundin gesehen. Bei der Beerdigung von Brianna Dundas, einer Tochter des Luftclans. Das Mädchen, das er hatte sterben lassen.

Er kniff die Augen zusammen, doch die Bilder drängten sich mit aller Macht in sein Bewusstsein. Der Kampf in den Hügeln und Tälern von Quiraing. Die Übermacht der Elementare. Der vermeintliche Sieg. Wie Elijah sie betrogen hatte. Wie seine Wurzeln in Avas und Briannas Richtung geschossen waren. Lance hatte nicht nachgedacht, er hatte nur reagiert. Ihm war nicht mal Zeit geblieben, Energie aus seiner Umgebung abzuziehen, um Blitze zu erschaffen, er hatte seine eigene Lebensenergie dafür genutzt. Und es hatte funktioniert. Er hatte Ava gerettet – aber Brianna im selben Atemzug sterben lassen. Das würde Ava ihm niemals verzeihen. Das würde er sich niemals verzeihen.

Nach dem Zwischenfall in seiner Kindheit, als er seinem älteren Bruder Bowen versehentlich Lebensenergie entzogen und ihn dadurch beinahe getötet hatte, hatte er sich geschworen, seine Kräfte nie wieder einzusetzen. Aber das war nicht lange gut gegangen, denn die Elementarmagie ließ sich nicht einfach unterdrücken, sie brach geradezu aus einem hervor. Also war es wieder passiert. So lange, bis Lance mithilfe der heiligen Waffe der Campbells gelernt hatte, seine Fähigkeiten zu kontrollieren. Mithilfe des Chakrams, das er jetzt in die Hand nahm.

Er konzentrierte sich ganz auf die Geräusche in seiner Umgebung und brachte sich in Position. Das Streifen des Windes durch die Blätter der Bäume. Das leise Tappen von Tierpfoten. Verängstigtes Mähen von Schafen. Sie mussten die Anwesenheit der Elementare ebenso deutlich spüren wie jeder einzelne Campbell. Da Energie ihr Element war, fiel es ihnen von allen Clans am leichtesten, Elementare aufzuspüren. Vielleicht bildeten sie deshalb auch die meisten Sturmkrieger aus.

Ein erneutes Rascheln zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Leise genug, um niemandem aufzufallen, der nicht ganz genau hinhörte, und doch so laut, dass es eindeutig nicht hierher gehörte.

Lance holte in der Sekunde aus, in der eine Sturmtochter durch das Dickicht kam. Im selben Moment, in dem er das Chakram losließ, machte sie einen Hechtsprung nach vorne und rollte sich über den feuchten Boden. Lautlos wirbelte die Waffe durch die Luft, über Rachaels Kopf hinweg und direkt auf die Kreatur zu, die sie hergelockt hatte. Normalerweise hätte der Erdelementar keine Chance, doch dieses Exemplar war ungewöhnlich schnell. Es warf sich zur Seite und verlor nur einen hölzernen Arm durch das Chakram, statt seines Lebens. Ein wütendes Brüllen hallte durch die Nacht.

Die Waffe kam zu Lance zurückgeflogen, der sie scheinbar mühelos wieder auffing. Aber vor allem, ohne sich einen Finger dabei abzutrennen. Es hatte ihn Jahre, viele Handschuhe und Schnittwunden gekostet, bis er diese Fertigkeit gemeistert hatte. Jetzt konnte er sich einen Kampf ohne das Chakram nicht mehr vorstellen.

Ohne darüber nachdenken zu müssen, holte er erneut aus und warf die Klinge auf den Elementar. Rachael blieb in Deckung, auch wenn Lance aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie sie ihre Dolche zückte.

Wieder sauste das Chakram durch die Luft und leuchtete silbern im Mondlicht auf. Diesmal erwischte es den Elementar an den Beinen. Noch bevor die Waffe zu Lance zurückgekehrt war, sprang Rachael auf und erledigte den Rest. Mit einem Schrei bohrte sie die Dolche in das Herz der Kreatur. Ein, zwei Atemzüge lang war alles still, dann zerfiel der Elementar zu Staub.

Kurz darauf befestigte Lance das Wurfgeschoss wieder an seinem Gürtel und Rachael wandte sich ihm zu. Hinter ihr verteilten sich die Überreste des Ausgestoßenen im nächtlichen Wind.

»Gute Arbeit.«

»Danke.« Sie drehte die Klingen zwischen den Fingern und steckte sie geübt ein. Sie war genau wie Lance ganz in Schwarz gekleidet, um mit der Nacht zu verschmelzen. Ihr rotblondes Haar war das einzig Auffällige an ihr, auch wenn sie es sich auf einer Seite zu einem Zopf geflochten hatte. Ihre Bewegungen waren die einer Kriegerin, als sie auf ihn zukam, aber ihr leichtes Hinken verriet sie.

Lance runzelte die Stirn. »Wie schlimm ist es?«

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Wenn du den anderen etwas sagst, lasse ich dir auf Familienfeiern nie mehr ein Stück Kuchen übrig.«

Vielleicht hätte er darüber gelacht, wäre die Situation nicht so verflucht ernst gewesen.

»Tust du sowieso nicht«, konterte er und versuchte, einen besseren Blick auf ihr Bein zu erhaschen, das vor wenigen Wochen von Dornenranken durchbohrt worden war. Seither hatte sie es nur langsam wieder belasten können. Ein dreitägiger Jagdtrip durch die Highlands mitsamt langen Fußmärschen und Kletterpartien war sicher nicht das, was ihr Arzt ihr verordnet hatte.

»Mir geht’s gut«, behauptete sie. »Ich kann weiterkämpfen. Das Mädchen vom Erdclan hat ganze Arbeit geleistet.«

Lance biss die Zähne zusammen. In Quiraing war er zu sehr auf Ava und darauf konzentriert gewesen, sie zu stoppen, bevor ihre Kräfte sie endgültig übernahmen, um zu bemerken, dass Juliana MacKay ebenso spurlos vom Schlachtfeld verschwand wie ihr Bruder Elijah. Als er kurze Zeit später erfahren hatte, dass sie heimlich im Krankenhaus gewesen und ihre Heilkräfte sowohl bei seiner Cousine Rachael als auch bei Oliver, einem Sturmkrieger des Luftclans, eingesetzt hatte, war er zu weit weg gewesen, um sie rechtzeitig zu erwischen. Denn noch bevor er das Krankenhaus zusammen mit den Sturmkriegern seines Clans betrat, war Juliana wieder verschwunden.

»Wie du willst. Aber lass Reno das nicht sehen.« Mit einem knappen Nicken deutete er auf ihr noch immer nicht vollständig verheiltes Bein. Die Magie des Erdclans mochte zwar erstaunliche Dinge leisten, aber auch sie konnte keine Wunder vollbringen. Manche Verletzungen brauchten Zeit. Das wusste er selbst am besten, spätestens seit Juliana ihn nach dem Elementarangriff beim Dunvegan Castle auf Skye geheilt und ihm damit wahrscheinlich sogar das Leben gerettet hatte.

Rachael presste die Lippen aufeinander, erwiderte jedoch nichts darauf. Sie wusste genauso gut wie er, was ihr blühen würde, wenn der Anführer der Campbell-Sturmkrieger erfahren würde, dass sie nicht zu hundert Prozent einsatzbereit war.

Lautlos schlichen sie weiter, erst auf das kurze Aufleuchten zwischen den Bäumen zu, dann in Richtung der ungebändigten Energie. Sie war so unkontrolliert, dass sich die Haare auf Lance’ Armen aufstellten und er ein Schaudern unterdrücken musste. Einen Elementar hatten sie vernichtet, aber die Gefahr war noch nicht gebannt.

Er versuchte, nicht an die zerstörten Gebäude und die erschrockenen Dorfbewohner zu denken, aber diese Bilder ebenso wie das Wissen um die nichts ahnenden Wanderer, die von diesen Kreaturen angegriffen und getötet worden waren, ließen sich nicht so einfach abschütteln. Die Highlands waren seine Heimat, waren ein Teil seines Herzens, und er hasste den Gedanken, dass die Menschen hier nicht sicher waren. Daher hatte er keine Sekunde gezögert, als Reno ihn für diese Mission eingeteilt hatte. Und vielleicht auch, weil es ihm einen glaubhaften Grund lieferte, nicht wieder nach Skye zurückzukehren, obwohl die raue Insel mittlerweile ebenfalls zu seinem Zuhause geworden war. Er war sich darüber im Klaren, dass er Ava früher oder später wieder gegenübertreten musste, aber er wusste nicht, wie. Nicht nach allem, was passiert war. Nicht nachdem er so versagt hatte.

Sie entfernten sich immer weiter von der gewundenen Straße, die an den Bergen vorbeiführte, passierten ein verfallenes Cottage und drangen tiefer in den Wald ein. Hier war der Nebel noch dichter, die Luft noch kälter. Beinahe eisig …

Im selben Moment erstarrte Lance. Dann hörte er ein fast schon vertrautes kaltes Knistern, das über den Boden kroch, und riss seine Cousine zur Seite. Rachael stellte keine Fragen, rollte sich weg und sprang wieder auf – nicht, ohne ihm einen ungläubigen Blick zuzuwerfen. Nachdem sie das Erdwesen gerade vernichtet hatten, waren sie noch immer hinter dem Feuer- und dem Energieelementar her. Von Wasser war nie die Rede gewesen. Trotzdem musste eine solche Kreatur jetzt hier sein, wenn man dem glitzernden Eis trauen konnte, das den Boden und die Baumstämme überzog.

Bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte, leuchtete es kurz aus vier verschiedenen Richtungen auf, und er wusste, dass die anderen auf Position waren. Sie hatten ihre Ziele eingekreist. Jetzt hieß es, sie endgültig zu vernichten – und mit ihnen die Wasserkreatur, die zu den MacLeods gehört hatte. Früher hatte Lance oft daran denken müssen, dass jeder Elementar einst das Mitglied eines Clans gewesen war. Ein Vater oder eine Mutter, eine Schwester, Cousine, Tante, ein Bruder, Sohn, Onkel oder Großvater. Doch dann hatte er miterlebt, wozu diese Wesen imstande waren, und sie von diesem Zeitpunkt an als das gesehen, was sie waren: Monster. Kreaturen, die nur noch aus reinster Todeslust und animalischem Überlebensinstinkt bestanden.

Er nickte Rachael knapp zu und entfernte sich ein Stück, um sicherzugehen, dass sich auch der Wasserelementar zwischen ihm und den übrigen Sturmkriegern befand, dann gab er ihnen ein Zeichen, indem er die Taschenlampe in seinem Handy ebenfalls kurz aufleuchten ließ. Eine mündliche Kommunikation wäre vermutlich einfacher gewesen, aber der Empfang hier draußen war miserabel und die Funkgeräte, die sie zusätzlich für den Notfall dabeihatten, viel zu laut. Diese Elementare waren ihnen schon mehrfach entwischt. Die Sturmkrieger durften sich keine Fehler erlauben. Selbst wenn es sich dabei nur um ein plötzliches Geräusch oder zu hellen Lichtschein einer Taschenlampe handelte.

Diesmal tastete Lance nicht nach dem Chakram an seiner Seite, auch nicht nach den beiden Schwertern, den Claymores, die an seinem Rücken befestigt waren, sondern behielt das Wasserwesen genau im Blick. Es war überraschend klein und schien teils Mensch, teils pures Eis zu sein. Als es sich im Unterholz bewegte und das Mondlicht auf dunkles Haar fiel, setzte sein Herz einen Schlag lang aus. Das war nicht sie. Das war nicht Ava. Hätten ihre Kräfte sie übermannt und zu einem Elementar gemacht, dann hätte er längst davon erfahren. Und er würde alles dafür tun, um zu verhindern, dass es dazu kam.

Langsam sank er auf ein Knie hinab und wurde beinahe zur Hälfte von dem dichten Nebel verschluckt. Er tastete über den Boden, bis sich seine Finger in Moos, Blätter und kalte Erde gruben. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich auf die Energie um sich herum. Sie war in der Luft, aber vor allem in allem Lebenden, das ihn umgab. Während er die Energie im Alltag kaum wahrnahm, konnte er sie jetzt überall spüren: in den Bäumen, von den Wurzeln bis ins letzte Blatt, von den Sträuchern, der Erde unter seiner Handfläche, den Menschen und Tieren in der Nähe. Und den Elementaren. Doch die waren zu weit weg, um ihnen Energie abzuziehen. Seine Fähigkeit funktionierte nur mittels direkter Berührung, also richtete er all seine Aufmerksamkeit auf den Boden unter seinen Fingern.

Die Energie traf seinen Körper wie eine Schockwelle. Er musste all seine Konzentration aufbringen, um nicht zu viel zu nehmen, um die Natur nicht völlig zu zerstören. Schon spürte er das Kribbeln auf seiner Haut und hörte das Zischen von Elektrizität. Der Elementar musste es auch bemerken, denn als Lance die Augen öffnete, riss das Wesen den Kopf hoch, wirbelte zu ihm herum – und wurde von dem Blitz aus seiner Hand getroffen. Lance sprang auf, zog die Claymores aus der Halterung und enthauptete das Wesen noch im Laufen. Eis fiel klirrend zu Boden und versickerte im Erdreich.

Erst jetzt nahm er die Kampfgeräusche wahr, die ringsherum ertönten. Gebrüllte Befehle. Das Kreischen von Elementaren. Das Aufleuchten von Flammen und Blitzen. Er zögerte keine Sekunde und rannte los.

Rachael war schon vorausgeeilt, hechtete gerade zu Boden, und Reno ging hinter einem Baumstamm in Deckung, als ein Flammenstrahl auf die beiden zuraste. Verblüfft kam Lance am Rande des Geschehens zum Stehen. Er hatte zwar die Geschichten der Dorfbewohner gehört, war sich aber sicher gewesen, dass diese Leute übertrieben. Es gab keine Drachen. Erst recht nicht in Schottland, auch wenn man hier noch an Feen glaubte und das Einhorn das Nationaltier war. Aber Drachen? Keine Chance.

Zumindest war Lance bis heute dieser Überzeugung gewesen. Doch die Kreatur, die sich auf der kleinen Lichtung erhob, konnte nur zu gut als Drache durchgehen. Feuer schoss aus ihrem Maul. Ihr ganzer Körper war von einem dunklen Panzer überzogen. Auf den ersten Blick wirkte sie wie aus Stein mit im Licht der Flammen glänzenden Schuppen, aber Lance erkannte die dünnen Risse darin, in denen es orangerot schimmerte. Wie erstarrte Lava. Sie verlieh dem Elementar eine Form, die tatsächlich einem Fabelwesen glich.

Als das Monster ihn bemerkte, holte es Luft, dann richtete es den Feuerstrahl mit einem ohrenbetäubenden Röhren direkt auf ihn. In letzter Sekunde machte er einen Sprung zur Seite, rollte sich weg und kam wieder auf die Beine. Immer wieder griff der Elementar an, aber die Sturmkrieger waren in der Überzahl – und damit im Vorteil. Nur ein paar Meter entfernt kämpften Lance’ Bruder Leonard und seine Cousine Octavia – Rachaels Schwester – gegen die verbliebene Energiekreatur. Ein ehemaliges Mitglied ihrer eigenen Familie. Vor langer Zeit verloren und jetzt eine Gefahr für alle anderen. Mit der Macht, Energieschilder heraufzubeschwören, die Leonard genau wie ihre Mutter, der Clan-Chief der Campbells, besaß, war er fast der Einzige, der es mit diesem Wesen aufnehmen konnte.

Lance’ Instinkt riet ihm, den Feuerelementar anzugreifen, am besten von hinten, da er sich nicht um irgendeine Form von Deckung zu kümmern schien. Doch er zwang sich dazu, sich noch zurückzuhalten und ihn zunächst nur zu beobachten. Diese Wesen wurden nicht umsonst von allen Clans gefürchtet. So sehr, dass mittlerweile Touristen davor gewarnt wurden, nachts allein unterwegs zu sein. Und das nicht nur wegen der unvorhersehbaren Gefahren in den Bergen, Tälern und Mooren.

Rachael verpasste dem Drachen einen ihrer Energieschocks. Das Wesen taumelte einen Moment lang, fasste sich aber viel zu schnell wieder und ließ einen Flammenstrahl auf sie los. Renos barsche Stimme hallte über den Platz. Rachael reagierte sofort und ging in Deckung. Sie atmete schwer und Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Lance umklammerte die Griffe seiner Schwerter fester.

Inzwischen hatten das Gras zu ihren Füßen sowie herumliegende Äste bereits Feuer gefangen. Funken tanzten durch die Luft und beißender Rauch erfüllte die Lichtung. Bald würden sie kaum noch etwas sehen können. Schon jetzt spürte Lance, wie seine Augen zu brennen begannen.

Verdammt. Sie mussten sich beeilen und es zu Ende bringen.

Vorsichtig begann er, die beiden verbliebenen Elementare zu umrunden. Glücklicherweise war der Drache zu sehr mit Reno und Rachael beschäftigt, um von ihm Notiz zu nehmen. Die Hitze wurde immer stärker. Schweiß brach ihm aus.

Aus dem Augenwinkel nahm er eine Bewegung wahr, dann schoss ein Energiestrahl in die Höhe und erhellte den Nachthimmel. In der einen Sekunde erblickte Lance seinen Bruder, der mit dem strohblonden Haar noch auffälliger war als Rachael, dann nutzte Leonard seine Fähigkeit, Lichtenergie zu manipulieren, und war in der nächsten Sekunde für das bloße Auge nicht mehr sichtbar. Aber nur weil er nicht mehr zu sehen war, bedeutete das nicht, dass er sich in Luft aufgelöst hatte.

Blitzartige Energie schoss von dem Elementar in Leonards Richtung und Lance handelte instinktiv. Er hechtete nach vorn, riss die beiden Schwerter hoch und nutzte sie wie einen Schutzschild. Aber statt daran abzuprallen, glitt die Elektrizität in die Klingen, schoss durch die Griffe und geradewegs in Lance hinein. Die Wucht riss ihn fast von den Füßen, aber er hielt sich aufrecht und nutzte den Energiestoß, um ihn geradewegs an den Elementar zurückzugeben. Es schrie vor Schmerz auf, ging aber nicht zu Boden. Noch nicht. Octavia sprang aus ihrer Deckung und setzte alles daran, es zusammen mit Leonard, der jetzt wieder sichtbar wurde, zu Ende zu bringen.

Lance spürte, wie noch immer ein Rest der Energie in ihm pulsierte. Es war zu viel gewesen, zu heftig. Seine Muskeln begannen zu zittern. Das Denken fiel ihm zunehmend schwerer. Er musste sie loswerden. Wenn er keinen Weg fand, die Energie abzuleiten, würde sie ihn innerlich zerreißen – und dann würde keiner von ihnen diesen Ort lebend verlassen.

Sein Blick irrte umher und landete auf den anderen Sturmkriegern. Rachael stützte sich mit einer Hand an einen Stamm, schien kaum noch aufrecht stehen zu können, und auch Reno geriet durch die Feuerkreatur stärker in Bedrängnis. Als sich ihre Blicke kreuzten, brüllte Reno seinen Namen.

Lance verschwendete keine Zeit. Er warf die Claymores ins Gras und sprintete los. Die Flammen am Boden wurden immer größer, die Hitze immer heftiger. Seine Haut prickelte, seine Augen brannten, aber er wurde nicht langsamer, hielt keinen Moment inne. Reno rannte ebenfalls los. Sekunden später bohrte er ein Schwert in die Brust des Drachenmonsters, aber nicht einmal das konnte es töten. Dafür war es zu alt, zu erfahren und seine Macht zu gewaltig.

Schlitternd kam Lance zum Stehen, streckte die Arme aus und konnte all die Energie, die in ihm tobte, endlich freilassen. Sie glitt durch seine Fingerspitzen und geradewegs auf den Feuerelementar zu. Ein grauenvolles Brüllen erfüllte die Luft. Die Wucht der Energieattacke ließ Lance taumeln. Er biss die Zähne zusammen, zwang sich dazu, auf den Beinen zu bleiben. Ein letzter Energiestoß, ein letzter Hieb mit Renos Schwert – und der Drache war besiegt. Noch bevor sein unförmiger Körper zu Boden ging, zerfiel er zu Asche und Staub.

Schwer atmend drehte Lance sich zu Leonard und Octavia um, die gerade den Energieelementar vernichteten. Das Kreischen der Kreatur musste meilenweit zu hören sein, aber dann verstummte sie für immer. Sie hatten es geschafft. Nach drei endlosen Tagen und Nächten, in denen sie kaum geschlafen hatten und nur unterwegs gewesen waren, um die Spur dieser Wesen ja nicht zu verlieren, hatten sie es endlich geschafft. Die Gefahr war gebannt. Zumindest fürs Erste.

Leonard wischte sich den Schweiß von der Stirn und stapfte zu Rachael und Octavia hinüber, die bereits die Waffen einsammelten.

»Gut gemacht, Lance.« Reno kam zu ihm herüber und klopfte ihm auf die Schulter. »Ich wusste, dass sich all unser Training und was du bei den anderen Clans gelernt hast, bezahlt machen würde.« Stolz schwang in seiner Stimme mit, und sie wussten beide, was er nicht aussprach.

Lance hatte alles gelernt, was die Sturmkrieger seines eigenen Clans ihm beibringen konnten. Wie Reno war er zusätzlich bei den Dundas und den MacKays in die Lehre gegangen. Auch eine Ausbildung beim Feuerclan, bei den Kelvins im Süden Schottlands, hatte er absolviert. Es gab nur noch eine Herausforderung, nur noch eine nächste Stufe für ihn. Doch die würde bedeuten, dass er Renos Nachfolger als Anführer der Campbell-Sturmkrieger wurde – und für diesen Posten war Lance trotz all des Trainings nicht bereit.

»Danke«, erwiderte er lächelnd und schüttelte dem älteren Mann die Hand. »Aber dir kann niemand das Wasser reichen.«

Neben Lance war Reno der Einzige, der seine Kräfte nur selten nutzte und stattdessen auf Waffen setzte. Er war der beste Kämpfer ihres Clans und einer der besten des ganzen Landes. Die Bevölkerung brauchte Sturmsöhne wie Reno, um sie vor Elementaren zu beschützen. Und Lance brauchte einen Lehrer wie Reno, der ihm mit Rat zur Seite stand. Insbesondere wenn es darum ging, wieder nach Skye zurückzukehren …

KAPITEL 1

AVA

ISLE OF SKYE, SCHOTTLAND

Eisblumen überzogen meine Haut und funkelten im Licht des Mondes. Ich trat näher ans Fenster und legte eine Hand auf das Glas. Knisternd begann sich das Eis auszubreiten, genau wie es sich auf Briannas leblosen Körper ausgebreitet hatte. Die Erinnerung blitzte in meinem Kopf auf und ließ mich zurückzucken. Aber die Eisblumen auf dem Glas blieben. Mein Atem wurde sichtbar. Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. Ich wirbelte herum, rannte zur Tür, aber sie war verschlossen. Nein, nicht verschlossen. Eine dicke Eisschicht hatte sich darübergelegt. Ich war gefangen. In meinem Zimmer, in dem es von Sekunde zu Sekunde kälter wurde. In einer Eishöhle, die ich selbst erschaffen hatte.

Ein Rumoren ließ mich innehalten. Es kam aus den Wänden. Ich konnte das Rauschen des Wassers spüren, als würde es nicht nur durch die Rohre, sondern auch durch meine Adern fließen.

Meine Brust hob und senkte sich viel zu schnell. Wieder starrte ich auf meine Hände hinab, doch diesmal glitzerten sie nicht im Mondlicht. Risse überzogen meine Haut und darunter leuchtete es in einem so intensiven blauweißen Licht, dass ich den Blick abwenden musste. Aber ich konnte nicht davor weglaufen. Die Magie war in mir und sie wollte ausbrechen, wollte mich für sich einnehmen, bis nichts mehr von mir übrig blieb. Bis ich genauso ein Monster wurde wie jenes, das meine beste Freundin getötet hatte. Wie Elijah.

Das Rumoren wurde stärker. Mein Herz begann zu rasen. Ich hielt die Augen geschlossen, wappnete mich innerlich, aber nichts konnte mich auf die Kälte vorbereiten, mit denen die Fluten aus den Wänden brachen und mich mit sich rissen. In eine tiefe Dunkelheit, aus der es keine Rückkehr gab.

»Avalee!«

Ich riss die Augen auf.

Hände an meinen Schultern. Ich dachte nicht nach, wich reflexartig aus und schlug mit dem Gegenstand in meiner Hand zu. Jemand blockte die Attacke ab und stieß mich zurück.

»Verdammt, Ava!«

Ich ließ den Gegenstand los und drückte mich gegen die Wand in meinem Rücken. Das Shirt klebte an meinem Körper, mein Atem kam keuchend, mein Puls raste. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich sah, wen ich da gerade angegriffen hatte, und begriff, wo ich mich befand.

»Dad …?«, flüsterte ich.

»Aye.« Er rieb sich über den Unterarm, mit dem er die Attacke abgeblockt hatte, und streckte die Arme nach mir aus.

Diesmal zögerte ich nicht. Ich schmiegte mich an ihn, grub die Finger in sein Hemd und schloss die Augen, in der Hoffnung, damit alles andere vertreiben zu können. Ich hatte nicht mal gemerkt, wie kalt mir war, bis Dads Wärme mich umschloss.

»Schon gut, Kleines.« Mit seiner schwieligen Hand strich er mir über den Kopf. »Noch ein Albtraum?«

Ich nickte, obwohl ich mir da nicht so sicher war. Alles, was ich gesehen hatte, war so real gewesen. Das Eis am Fenster und an den Wänden. Das Rumoren der Wasserleitungen. Und … das Ding, mit dem ich ihn angegriffen hatte. Ich drehte den Kopf und erkannte den mindestens fünf Zentimeter breiten, tödlich spitzen Eiszapfen, der nun neben uns auf der Matratze lag und langsam schmolz.

Oh Gott. Übelkeit breitete sich in mir aus. Hatte ich mich gerade wirklich damit auf meinen Vater gestürzt? Wenn er nicht so trainiert wäre, wenn er nicht schnell genug reagiert hätte …

Ich schluckte hart. Gegen meine Emotionen anzukämpfen, brachte mich nicht weiter, das hatte ich mittlerweile gelernt. Also versuchte ich, meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.

»Woher wusstest du …?«

»Du hast geschrien«, antwortete er, bevor ich die Frage zu Ende bringen konnte. »Schon wieder.«

Schon wieder. Ich wusste nicht, die wievielte Nacht es war, in der Dad mich aus einem Albtraum riss und mich in den Armen hielt, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Nach der fünften hatte ich aufgehört zu zählen. Aber ich wusste genau, wie viele Tage es her war, seit Brianna gestorben war: sechzehn. Mehr als zwei Wochen waren seit der Schlacht gegen die Elementare und gegen Elijah in Quiraing vergangen, aber es fühlte sich auch jetzt nicht real an. Ich wartete noch immer darauf, dass meine beste Freundin morgens vor dem Cottage stand, damit wir zusammen zur Schule fahren konnten, oder dass sie durch die Tür ins Klassenzimmer kam und sich entschuldigte, weil sie ausnahmsweise zu spät war. Aber sie kam nie. Brianna war für immer fort.

Behutsam löste Dad sich von mir und streckte sich, um die Nachttischlampe einzuschalten. Einen Herzschlag lang hatte ich Angst vor dem, was ich gleich sehen würde. Hatte Angst davor, dass Wände und Fenster wie in meinem Traum von Eis überzogen sein würden. Aber als das Licht den Raum erhellte, war da keine Spur von Eis. Nur die weißen Wände und braunen Holzbalken. Nur der Schreibtisch neben dem Fenster, der Ganzkörperspiegel, der Einbauschrank, meine Regalfächer und die Lichterkette, die an der Wand neben meinem Bett hing. Dad schaltete auch sie ein, und mein Blick fiel auf die vielen Fotos, die ich daran befestigt hatte. Fotos von Brianna und mir, von Dad und Neal, von den Leuten aus der Schule und von Mom …

Dad erhob sich. »Ich bin gleich zurück.«

Ich nickte nur und strich mit den Fingern über das letzte Bild, das je von meiner Mutter aufgenommen worden war. Sie trug einen langen Mantel, der farblich zu ihrem blauschwarzen Haar passte, und hielt mich an der Hand. Hinter uns ragten die Schiffe im Hafen auf, die bald auslaufen würden. Eines davon würde uns mitnehmen und zu den Inseln der Äußeren Hebriden bringen. Aber wir waren nie auf Lewis oder Harris angekommen.

Ein Kloß formte sich in meiner Kehle. Ich versuchte, ihn hinunterzuschlucken, aber das bedrückende Gefühl blieb.

Wenige Minuten später kehrte mein Vater mit einer dampfenden Tasse zurück und hielt sie mir hin. »Pass auf. Er ist heiß.«

Ich lächelte dankbar und nippte vorsichtig daran. Schwarztee. Ohne Milch, ohne Zucker, dafür mit einem Löffel Honig. Genau so, wie ich ihn am liebsten mochte. Ich nahm noch einen Schluck und ließ mich von innen heraus wärmen, auch wenn ich noch immer eine Gänsehaut hatte. Der Tee vertrieb die nagenden Gedanken nicht vollständig, aber er machte sie erträglicher. Genau wie die Kälte in meinem Inneren. Eine Kälte, die mich seit dem Ausflug nach Edinburgh begleitete. Seit ich im Archiv der MacLeods meinen Namen auf dem Stammbaum gelesen und die Bestätigung dafür erhalten hatte, dass ich eine MacLeod war. Die Letzte meines Clans mit Wassermagie. Nur was nützten mir diese Kräfte, wenn ich sie nicht kontrollieren konnte? Wenn sie den Menschen schadeten, die mir wichtig waren? Bisher war nichts Schlimmes passiert. Lance und Reid konnten sich mit ihren eigenen Fähigkeiten gegen mich zur Wehr setzen – aber Dad? Hätte er vorhin nicht so schnell reagiert, würde dieser Eiszapfen jetzt in seinem Arm stecken. Oder in seinem Hals, den ich automatisch anvisiert hatte.

Wieder zwang ich meine Gedanken in eine andere Richtung.

»Wo ist Neal?«, fragte ich zwischen zwei Schlucken.

Dad beobachtete mich genau. »Noch im Pub.«

Im Pub. Normalerweise besuchte Dad ihn nach der Arbeit dort, um ihm zu helfen und Zeit mit ihm zu verbringen. Seit zwei Wochen verbrachte Dad die Abende jedoch zu Hause. Er war da, wenn ich ins Bett ging, und er war da, wenn ich erneut davon träumte, dass mich meine Kräfte übermannten und ich zu genauso einem Monster wurde wie Elijah. Er hatte Brianna und den Sturmsohn Danny vor unseren Augen ermordet und er hätte auch den Rest von uns getötet, wenn ich nicht jede Kontrolle über meine Kräfte aufgegeben und mich ihm entgegengestellt hätte. Ich bereute es nicht, diesen Schritt getan zu haben, auch wenn ich mich seither davor fürchtete, Wassermagie einzusetzen. Das Einzige, was ich bereute, war, Elijah nicht an Ort und Stelle vernichtet zu haben wie all die Elementare vor ihm. Denn genau das war er: ein Elementar. Eine Kreatur der Erde. An ihm war nichts Menschliches mehr.

Ein erschreckend bekanntes Knistern drang an mein Ohr.

»Avalee.«

Ich riss den Kopf hoch und sah meinem Vater direkt ins Gesicht. Behutsam löste er meine verkrampften Finger von der Tasse. Der Tee war nicht länger heiß – er war gefroren.

»Tut mir leid …«

»Schon gut.« Er stellte die Tasse beiseite und musterte mich mit einem zunehmend verzweifelten Ausdruck in den Augen. »Ich weiß nicht, was ich noch tun soll. Du wachst jede Nacht schreiend auf und deine Kräfte …«

Ich nickte mit zusammengepressten Lippen. Meine Kräfte gerieten immer mehr außer Kontrolle.

»Durch deine Mutter wusste ich bereits von diesen Fähigkeiten, aber bei ihr war es anders.«

»Sie konnte sie beherrschen, meinst du.«

Er schüttelte den Kopf. »Das auch. Aber ihre Magie war anders als deine. Fokussierter. Nicht so gewaltig und allumfassend.«

Ich strich die Bettdecke glatt, nur um sogleich wieder daran herumzuzupfen. »Juliana hat gesagt, dass man am Anfang über das gesamte Magiespektrum seines Clans verfügt. Es kann dauern, bis sich die eigenen Fähigkeiten festsetzen.«

Letzteres wusste ich von Reid. Er hatte seine Feuerkräfte bereits im zarten Alter von vier bekommen. Es hatte Jahre gedauert, bis sie sich zu ihrer jetzigen Form entwickelt hatten und er gelernt hatte, sie ganz nach seinem Willen zu steuern. Aber mir blieben keine Jahre, um den Umgang mit meinem Erbe zu lernen. Denn mit jedem Tag schien es schwerer zu werden und die Magie in mir nur noch stärker. Irgendwann würde ich sie nicht mehr aufhalten können, wenn sie aus mir herausbrechen wollte.

»Was ist mit Juliana?«, fragte mein Vater plötzlich. »Oder mit diesem Reid? Mit Lance? Kann nicht irgendjemand von ihnen dir helfen?«

Reid war zu seinem Clan nach Glasgow zurückgekehrt. Seit Briannas Beerdigung hatte ich nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Juliana war bereits seit der Schlacht von Quiraing verschwunden. Und Lance … Lance hatte von Anfang an deutlich gemacht, dass er der Letzte war, der mich trainieren sollte. Da ein einziger Kuss dazu geführt hatte, dass sich unsere Kräfte zu einem Gewitter verbanden, wie es die Insel nie zuvor gesehen hatte, ein Gewitter, das Elementare anzog, die Lance beinahe getötet hätten, zweifelte ich nicht an seinen Worten. Lance war nicht der Richtige, um mich zu trainieren. Es war zu gefährlich. Wir waren zu gefährlich füreinander und für unser Umfeld.

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, aber …«

»Aber?«

»Vielleicht können es die MacLeods.«

Skeptisch kniff er die Augen zusammen. »Ich dachte, deine verbliebenen Verwandten haben keine Wassermagie?«

»Haben sie auch nicht. Aber vielleicht wissen sie etwas, das ich nicht weiß.«

Über den Dolch der MacLeods. Noch eine Information von Juliana. Ganz gleich, wie die Dinge im Moment zwischen mir und dem Mädchen aus dem Erdclan standen, für das Wissen, das sie mit mir geteilt hatte, würde ich ihr immer dankbar sein. Weil sie einen kleinen Hoffnungsschimmer bedeuteten, etwas, an das ich mich klammern konnte, wenn alles andere in Dunkelheit versank.

»Weißt du, wie du die MacLeods kontaktieren kannst?«

Ich nickte. Finn, mein Cousin x-ten Grades, hatte mir während unseres Treffens auf Schloss Dunvegan seine Handynummer gegeben, genau wie Tante Edith. Sie mochten schon längst nicht mehr auf Skye sein, aber sie waren nur einen Anruf oder eine Nachricht entfernt. Vielleicht würde nichts dabei herauskommen. Vielleicht hatten die mit Magie Begabten des Clans ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen. Aber es war einen Versuch wert. Außerdem gab es mir etwas zu tun, etwas, um mich meinen Kräften und Albträumen nicht mehr ganz so ausgeliefert zu fühlen wie bisher.

Dad legte mir die Hand auf die Schulter. »Dann sollten wir das tun. Aber zuerst versuchst du, noch etwas zu schlafen, aye?«

Ich nickte und ließ mich zurück in die Kissen sinken. Wie früher, als ich noch klein gewesen war, deckte er mich zu und gab mir einen Kuss auf die Haare.

»Ich lasse das Licht an und die Tür einen Spalt offen.«

»Danke, Dad.«

Er lächelte, wirkte aber noch immer besorgt. Ich hasste es, ihn so zu sehen, aber vor allem hasste ich es, dass ich der Grund dafür war. Wir hatten unsere Diskussionen miteinander gehabt, weil wir beide Dickköpfe waren und mehr Temperament besaßen, als gut für uns war, aber ich hatte ihm nie Kummer bereiten wollen. Doch in letzter Zeit waren die Ringe unter seinen Augen dunkler und die Falten in seinem Gesicht tiefer geworden. Außerdem hinkte er noch immer aufgrund seiner Verletzung in Quiraing. Er würde mir niemals die Schuld dafür geben, aber ich wusste, dass es so war.

Ich sah ihm nach, als er mein Zimmer verließ und die Tür anlehnte, hörte seine Schritte im Flur und auf der Treppe, dann kehrte Ruhe ein. Wahrscheinlich würde er nicht gleich ins Bett gehen, sondern auf Neal warten, der bald aus dem Pub kommen musste. Seit Dad die Abende hier verbrachte, war das zu ihrem nächtlichen Ritual geworden. Ganz egal, wie spät Neal nach Hause kam und wie früh mein Vater am nächsten Tag rausmusste, sie saßen noch eine Weile zusammen und redeten.

Meine Sicht begann zu verschwimmen, und die Augenlider wurden immer schwerer, aber ich wehrte mich nicht dagegen, blinzelte nicht gegen die Müdigkeit an. Vielleicht würde ich diesmal tatsächlich schlafen können. Ganz ohne Albträume. Ganz ohne die Angst davor, was aus mir werden konnte, und die Erinnerung an das, was passiert war.

Es war seltsam, in der Schule zu sein und durch die Gänge zu laufen, in meinem Spind nach den richtigen Büchern zu suchen und mich im Klassenzimmer an meinen Platz zu setzen. Es war seltsam, mir etwas von der Geschichte Schottlands und der Welt anhören, literarische Texte besprechen, chemische Experimente durchführen und Matheaufgaben an der Tafel lösen zu müssen. Aber vor allem war es seltsam, dass das Leben weiterging. Dass sich die Welt einfach weiterdrehte, obwohl ein so wichtiger Teil von ihr fehlte.

Als ich an Briannas Spind vorbeikam, wurden meine Schritte langsamer. Unsere Mitschüler hatten Blumen abgelegt, Kerzen aufgestellt und die Metalltür mit Abschiedsworten und Fotos von Brianna geschmückt. Offiziell war sie bei einem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen. So lautete zumindest die Coverstory, die sich die Sturmkrieger überlegt hatten, bevor sie Skye wieder verlassen hatten.

»Hey, alles klar?« Rebecca, die mit Bri und mir im Fechtunterricht war, sprach mich im Vorbeigehen an.

Ich nickte und setzte ein Lächeln auf. »Ja, danke.«

Ich war nicht der Typ dafür, mein Herz in der Öffentlichkeit auszuschütten. Mal ganz davon abgesehen, dass ich das ganze Gebäude einfrieren oder fluten könnte, wenn ich mich zu intensiv mit meinen Gefühlen beschäftigte. Also lenkte ich mich lieber ab. Wenn es sein musste, sogar mit Lernen. Was Dad unter anderen Umständen sehr begrüßen würde, zumal die Abschlussprüfungen vor der Tür standen – doch die schienen momentan seine geringste Sorge zu sein.

»Ava …«

Eine tiefe Stimme ließ mich zusammenzucken und kurz hatte ich die Hoffnung, dass sie mir nur deshalb bekannt vorkam, weil sie der Person gehörte, die ich sehen wollte. Ich wollte, dass sie ihm gehörte. Aber als ich mich umdrehte, war es nicht Lance, der vor mir stehen blieb, sondern Rick.

Rick, der mit Brianna ausgegangen war, kurz bevor sie uns im Kampf zur Hilfe gekommen war. Rick, der Teil ihres Zehnjahresplans gewesen war und den sie hatte heiraten wollen. Rick, der nichts von alledem wusste und nie die Wahrheit darüber erfahren würde, wie und warum Brianna gestorben war.

Früher hatten er und ich kaum miteinander gesprochen, in letzter Zeit dafür umso häufiger. Jetzt sagte er kein Wort. Wahrscheinlich konnte er mir ebenso gut ansehen, was gerade in mir vorging, wie ich ihm.

Ich schluckte hart und kämpfte gegen das Brennen in meinen Augen an. Wortlos zog er mich an sich und ich legte die Arme um ihn. Im Grunde kannten wir uns kaum, hatten nie wirklich viel miteinander zu tun gehabt, aber wir hatten beide jemanden verloren, der uns wichtig war. Und wir brauchten diesen Moment beide. Das wurde mir klar, als ich spürte, wie er zittrig durchatmete und genauso um seine Fassung rang wie ich.

Bevor ich die Kontrolle verlieren konnte – über meine Gefühle, meine Tränen, meine Kräfte –, löste ich mich hastig von ihm und versuchte mich an etwas, das hoffentlich wie ein Lächeln aussah.

»Danke.«

Er nickte nur und konzentrierte sich auf den Spind hinter mir. Ich folgte seinem Blick. Wie beim ersten Mal war es, als würde mir jemand ein Messer in die Brust rammen. Das hier sollte nicht geschehen. Diese Dinge geschahen irgendwo anders auf der Welt, weit weg von Skye, oder in irgendwelchen High-School-Serien, aber nicht in der Realität. Und doch standen wir nun hier und konnten nicht begreifen, was passiert war. Warum es passiert war. Nicht mal ich, obwohl ich doch dabei gewesen war.

Ich löste meinen Blick von Briannas Spind und zwang mich dazu, weiterzugehen. Weiterzumachen. Eine Minute nach der anderen. Eine Stunde nach der anderen. Als es nachmittags endlich klingelte, wusste ich nicht, ob ich erleichtert oder panisch sein sollte, weil ich gleich nicht mehr Hunderte Menschen um mich herum hatte, die mich auf andere Gedanken brachten.

Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als ich auf den Parkplatz hinaustrat, aber vom Meer her kam ein frischer Wind auf, der mir trotz der warmen Sonnenstrahlen eine Gänsehaut bescherte. Ich nickte zurück, wenn Leute mir etwas zuriefen oder mir einen schönen Tag wünschten. Neuerdings schien ich im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, als hätten meine Mitschüler und -schülerinnen Angst, dass ich mitten in der Schule zusammenbrechen würde. Aber das würde ich nicht. Ich konnte es mir nicht leisten, zusammenzubrechen. Nicht wenn andere dabei zu Schaden kommen würden.

Also eilte ich zu meinem Jeep, startete den Wagen und fuhr los. An anderen Tagen wäre ich vielleicht zu den Klippen gefahren, um mich auf die Motorhaube zu setzen und aufs Meer hinauszuschauen. Oder zum Fairy Glen, wobei es zu dieser Jahreszeit tagsüber dort nur so vor Touristen wimmelte. Heute schlug ich jedoch, wie in den vergangenen zwei Wochen, den Weg nach Hause ein. Ich wollte nicht nachdenken, wollte nicht fühlen, ich wollte … Ich musste etwas tun. Ich war schon viel zu lange in dieser Apathie gefangen, und das Einzige, was mich aus diesem Zustand riss, waren die Albträume, die von Mal zu Mal realistischer wurden. Und erschreckender.

Kurze Zeit später parkte ich vor dem Cottage, ohne dem anderen Wagen große Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht war Dad früher von der Arbeit gekommen, oder Neal war noch da, bevor er zum Pub fuhr. Erst als ich ausgestiegen war, bemerkte ich die Person, die an dem Auto lehnte. Langsam ließ ich meinen Blick nach oben wandern, über eine dunkle Jeans, ein schwarzes Hemd mit hochgerollten Ärmeln, bis zu einem Gesicht mit blauen Augen, das von schwarzem Haar umrahmt wurde, und blieb überrascht stehen.

»Hallo Cousinchen.« Finn MacLeod stieß sich vom Wagen ab und kam auf mich zu.

Gleich darauf lag ich in seinen Armen, zu perplex, um die Geste zu erwidern, doch als ich es tat, gaben beinahe meine Knie nach.

»Hey, alles in Ordnung?« Sachte schob er mich von sich, hielt mich aber noch immer an den Schultern fest. »Du bist ganz blass. Und dünner geworden.« Er runzelte die Stirn.

»Mir geht’s …« Gut. Die Standardantwort. Ich schüttelte den Kopf. »Egal. Was machst du hier?«

Ich hatte ihm heute Morgen vor der Schule geschrieben und gefragt, ob er Zeit hatte, weil ich ihn ein paar Dinge fragen wollte. Nie im Leben hatte ich damit gerechnet, ihn noch am selben Tag wiederzusehen. Und schon gar nicht, dass er zu Hause auf mich wartete.

»Du wolltest reden. Hier bin ich.«

Ich gab ein Geräusch von mir, das irgendwo zwischen einem überraschten Lachen und einem ungläubigen Schnauben lag. »Einfach so? Du wohnst doch noch nicht mal auf Skye.«

»Stimmt. Aber ich war gerade in der Gegend. Sozusagen.«

Sollte heißen, er war irgendwo in Schottland gewesen und den ganzen Weg hierher gefahren.

»Geht’s deinem Vater besser?«

Bei unserer ersten Begegnung hatte Finn mir erzählt, dass sein Vater eine Herzattacke erlitten hatte.

»Er ist wieder auf den Beinen und würde am liebsten sofort mit der Arbeit und dem Gärtnern anfangen. Mum hat alle Hände voll damit zu tun, ihn davon abzuhalten. Ich saß nur dabei, hab meinen Tee getrunken und mich entertainen lassen.« Sein Lächeln verschwand und Sorge trat in seine blauen Augen. »Worüber wolltest du mit mir reden?«

»Nicht hier.« Ich ging zurück zum Jeep und glitt hinters Lenkrad. Nachdem ich den ganzen Tag in der Schule gewesen war, konnte ich dringend etwas frische Luft gebrauchen.

Finn stieg auf der Beifahrerseite ein. »Dunvegan Castle ist gerade für Besucher geöffnet, aber es gibt abgesperrte Bereiche oder die Gärten, falls du dort hinwillst.«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich kenne einen besseren Ort.«

Leider ohne Tee, ohne Scones, ohne Kaffee und ohne ein Dach überm Kopf, dafür jedoch windig, wild und für einen Spaziergang bestens geeignet.

Ohne weiter darüber nachzudenken, fuhr ich los, an Bergen und grüner Landschaft, an Lochs und Hügeln voller Schafe vorbei. Ebenso an einem Schild, das den Weg nach Dunvegan wies. Immer weiter in den Westen, bis der Weg in einem Parkplatz mündete. Ab hier kam man nur noch zu Fuß weiter.

Wir waren fast eine Stunde unterwegs gewesen, in der Finn mir alles Mögliche über seine Eltern und Geschwister erzählt hatte, von seinen Reisen in Europa und darüber, dass Tante Edith gerade ein Haus in Frankreich gekauft hatte.

Ich war dankbar, dass er die Stille mit seinen Erzählungen füllte und ich mich auf seine Stimme konzentrieren konnte, statt auf die nagenden Gedanken in meinem Kopf.

Als ich den Wagen anhielt und wir ausstiegen, erfasste uns eine Windböe, wirbelte mein Haar durcheinander und presste die Schuluniform gegen meinen Körper. Mittlerweile war der Himmel zugezogen und graue Wolken hingen tief über der Landzunge, die den westlichsten Punkt von Skye markierte. An ihrem Ende stand der Neist Point Leuchtturm. Dad hatte mir einmal erzählt, dass er schon seit Jahren automatisiert war und kein Leuchtturmwärter mehr dort wohnte. Irgendwie schade, denn auch wenn ich gerade lieber Menschen um mich herum hatte, als allein mit meinen Gedanken und Gefühlen zu sein, mochte ich die Abgeschiedenheit – und die Vorstellung, bei jedem Blick aus dem Fenster aufs Meer hinaussehen zu können. Von hier aus ließen sich bei klarem Wetter sogar die Äußeren Hebriden erkennen: Lewis und Harris, Barra, Uist und all die anderen kleinen Inseln vor der Küste Skyes.

Schweigend ließen wir den Parkplatz hinter uns und wanderten an der Steilküste entlang, wo die Wellen gegen den Stein krachten und Gischt aufspritzte. Am höchsten Punkt ging es hier beinahe einhundert Meter in die Tiefe.

Finn schien jedoch keine Angst zu haben. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und lehnte sich sogar etwas über den Rand, um in den Abgrund zu schauen.

Ich atmete tief die salzige Luft ein, dann wandte ich mich Finn zu. »Als Juliana MacKay vor ein paar Wochen zu Besuch war, hat sie etwas über die heiligen Waffen der Clans erzählt.«

Er nickte und wir gingen langsam weiter. »Das legendäre Schwert der Dundas, der Stab der Kelvins, das Chakram der Campbells, der Schild der MacKays und der Dolch der MacLeods.« Er musste mir die Überraschung anmerken, denn seine Mundwinkel zuckten amüsiert. »Auch die nicht-magischen Mitglieder der Familie müssen das lernen. Es gehört zu unserem Erbe. Außerdem besteht immer die Möglichkeit, dass einer von uns irgendwann doch noch Kräfte entwickelt.«

»Aber es ist nicht passiert, oder?«, hakte ich nach. »Ich bin immer noch die Einzige.«

»Im Moment schon.«

»Was ist mit dem Archiv in Edinburgh? Dort brannten Fackeln an den Wänden. Selbst wenn sie besonders lange halten, muss jemand sie wieder anzünden, wenn sie ausgehen. Jemand, der sich um das Archiv kümmert.«

Es musste noch jemanden mit Wassermagie geben, denn anders ließ sich das Tor zum Mausoleum auf Greyfriars Kirk nicht öffnen. Nur das Blut und die Magie der MacLeods gewährten Zugang.

»Stimmt. Jeder Clan hat seinen eigenen Archivar, aber sie leben abgeschottet vom Rest der Welt. Und bei den MacLeods weiß leider niemand mehr, wer der Archivar oder die Archivarin ist.«

Finn betrachtete mich von der Seite. »Aber darüber wolltest du nicht mit mir sprechen, oder? Du warst schon im Archiv, also weißt du mehr als ich.«

Weil er ohne Kräfte nicht hineinkam. Allerdings hatte er auch nicht allzu viel verpasst. Abgesehen vom Stammbaum unseres Clans, der Jahrhunderte zurückreichte, und jeder Menge Dokumente über die einzelnen Familienmitglieder. Einschließlich eines Totenscheins mit dem Namen meiner Mutter darauf.

Das Tosen der Wellen hallte in meinem Brustkorb nach. Kälte begann sich in meinem Körper auszubreiten. Ich atmete tief durch und lenkte meine Gedanken zurück in die Gegenwart, bevor ich etwas tat, das sich nicht rückgängig machen ließ. Oder bevor ich tatsächlich noch jemanden mit meinen Kräften verletzte.

»Ich wollte dich fragen, was du über den Dolch der MacLeods weißt.«

Nachdenklich sah Finn zum Leuchtturm. Die Landzunge wirkte wie ein gewaltiger Arm der Insel, der sich den Äußeren Hebriden entgegenstreckte, sie aber nie erreichte. »Ich habe davon gehört, ihn aber nie mit eigenen Augen gesehen. Es gibt viele in unserem Clan, die ihn für einen Mythos halten, genau wie die übernatürlichen Fähigkeiten und die Geschichte mit den Feen.«

»Aber du nicht, oder?«

Er schüttelte den Kopf. »Soweit ich weiß, war Tante Eloise die letzte Besitzerin des Dolchs. Sie hat mit seiner Hilfe gelernt, ihre Kräfte zu beherrschen und … Warte mal …« Stirnrunzelnd drehte er sich zu mir um. »Darum geht es hier, oder? Du willst den Dolch, um deine Magie zu kontrollieren.«

Ich nickte. Es gab keinen Grund, ihm die Wahrheit vorzuenthalten. Er war … ein Teil meiner Familie, auch wenn wir uns kaum kannten. Trotzdem hatte ich von Anfang an eine Verbindung zu ihm gespürt, genau wie zu Tante Edith, der Schwester meiner Mutter.

Finn kniff die Augen zusammen. Skepsis und Sorge zeichneten sein Gesicht, während er mich von oben bis unten musterte. Die Schuluniform mit der langärmligen weißen Bluse, dem bordeauxfarbenen Jackett, dem karierten Rock und der schwarzen, blickdichten Strumpfhose ließ nur wenig Haut unbedeckt, und ich wusste genau, wonach mein Cousin suchte. Nach den ersten Anzeichen dafür, dass ein Clanmitglied zu einem Elementar wurde: die unnatürlich grell leuchtenden Augen, die zersplitterte Iris, die Risse in der Haut, die wie ein Kunstwerk anmuteten, durch das die Magie hindurchschimmerte, als wollte sie aus dem Körper herausbrechen. Ich hatte all diese Anzeichen mit eigenen Augen gesehen. Bei Elijah, der halb Mensch, halb Elementarwesen zu sein schien, aber auch in ihrer Endform bei all den Elementaren, die ich vernichtet hatte.

Ich zeigte keines dieser Merkmale, abgesehen davon, dass meine Augen manchmal in einem unnatürlich kalten Blau leuchteten. Aber jetzt nicht. Jetzt war ich einfach nur Ava und die Wassermagie in mir blieb ruhig. Für den Moment waren wir sicher, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich wieder zeigen würde. Bis ich tatsächlich jemanden damit verletzen würde.

»Der Dolch ist zusammen mit deiner Mutter verschwunden. Ist er vielleicht irgendwo bei ihren Sachen?«

»Nein, da habe ich schon mehrmals nachgeschaut.«

Kurz nachdem meine Kräfte erwacht waren, hatte Dad mir einen Karton voll mit Mums Sachen gegeben. Inzwischen hatte ich das Foto von Mum und mir ans Lichternetz neben meinem Bett gehängt, ihre Lederjacke trug ich beinahe jeden Tag, und die Papiere, Tagebücher und Skizzen hatte ich in das Geheimversteck unter mein Bett gepackt. Sie waren voll mit Erinnerungen und Informationen über die MacLeods, die ich unzählige Male durchgegangen war. Umsonst. Nirgendwo wurde ein Dolch auch nur erwähnt. Der einzige Grund, warum ich überhaupt davon wusste, war, dass Juliana es beiläufig erwähnt hatte. Anscheinend lag der Schild der MacKays tief unter der Erde vergraben und jedes Clanmitglied, das über Erdmagie verfügte, konnte ihn herbeirufen. Aber das galt nur für ihren Clan. Zu schade, dass das nicht genauso mit dem Dolch der MacLeods funktionierte. Denn egal, wie verzweifelt ich ihn mir schon herbeigewünscht hatte, er war nie wie durch Zauberhand bei mir aufgetaucht.

»Mist.« Finn rieb sich über das Gesicht. »Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich kann ein bisschen herumfragen, aber ich befürchte, dass niemand in unserer Familie weiß, wo der Dolch abgeblieben sein könnte. Tante Eloise war die Letzte mit Wassermagie. Seither hat ihn niemand mehr gebraucht.«

Und das war über elf Jahre her. Der Dolch konnte sonst wo sein. Vielleicht lag er irgendwo zusammen mit meiner Mutter auf dem Grund des Meeres, vielleicht wurde er irgendwo an Land gespült und vielleicht war er nicht einmal mehr in Schottland. Ich hatte mir keine Hoffnungen machen wollen, weil es ein Strohhalm war, nach dem ich hier griff, doch nun wurde mir bewusst, wie sehr ich mich dennoch daran geklammert hatte. Wie sehr ich darauf gehofft hatte, mit diesem Dolch all meine Probleme lösen zu können.

»Tut mir leid, Ava.«

»Schon gut«, brachte ich hervor und starrte in die Ferne. Ich spürte das Kommen und Gehen der Wellen mit jedem Atemzug, als wäre mein Körper auf seltsame Weise mit den Gezeiten verbunden. Und vielleicht war er das auch. Zumindest waren meine Erinnerungen unweigerlich mit der gewaltigen Kraft des Wassers verknüpft. Es gab Dinge im Leben, die vergaß man nie. Ich würde mich für immer an den Moment erinnern, in dem meine beste Freundin gestorben war. Und ich würde nie vergessen, wie Mums Hand aus meiner geglitten, wie ich in die Tiefe gefallen und es immer dunkler um mich herum geworden war. Oder wie Reid mich kurz darauf gefunden und mir das Leben gerettet hatte.

Nachdenklich sah ich zu Finn hinüber. »Meinst du, ein anderer Clan könnte wissen, wo die Waffe ist?«

Er holte bereits Luft, als wollte er impulsiv mit einem entschiedenen Nein antworten, hielt jedoch inne. Und da war es wieder, dieses Fünkchen Hoffnung. Ich brauchte nur ein bisschen davon, irgendetwas, an dem ich mich festhalten konnte, wenn alles andere um mich herum zusammenzubrechen drohte. Aber letztendlich schüttelte Finn den Kopf.

»Unwahrscheinlich. Deine Mum hat den Dolch verwahrt. Sie hätte nie zugelassen, dass ihn ein anderer Clan in die Finger bekommt. Wenn sie ihn nicht bei sich getragen hat, dann hat sie ihn irgendwo versteckt. An einem Ort, an dem er sicher ist und wo niemand ihn finden kann.«

Und mit diesen Worten starb auch das letzte bisschen Hoffnung in mir. Denn wenn ich diesen Dolch nicht ausfindig machen und dafür einsetzen konnte, meine Kräfte in den Griff zu bekommen … was würde dann früher oder später aus mir werden?

KAPITEL 2

Vom Rückweg bekam ich kaum etwas mit. Finns Angebot, das Steuer zu übernehmen, hatte ich nur zu gern angenommen und hatte auf dem Beifahrersitz meinen Gedanken freien Lauf gelassen, bis wir auf einmal wieder vor dem Cottage standen. Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen und Wolken bedeckten den Himmel. Dicke Tropfen zerplatzten an der Windschutzscheibe.

Finn schaltete den Motor aus und hielt mir die Schlüssel hin. »Tut mir leid, dass ich dir nicht weiterhelfen konnte.« Er zögerte kurz. »Was mit deiner Freundin passiert ist, tut mir wirk…«

»Ich weiß«, unterbrach ich ihn, löste den Sicherheitsgurt und schloss die Finger um den Schlüsselbund. »Danke. Auch fürs Zurückbringen.«

»Reiner Eigennutz«, erwiderte er mit einem schiefen Lächeln und deutete mit einer Kopfbewegung nach draußen. »Mein Wagen steht auch hier.«

Meine Mundwinkel zuckten. Ich tastete nach dem Türgriff, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Arm spürte.

»Eins noch, Ava.«

Ich hielt inne. Fragend hob ich die Brauen.

Finn starrte einen Moment lang geradeaus auf die bei diesem Wetter fast schon trostlos wirkende Landschaft und atmete tief durch, als müsste er sich sammeln, dann wandte er sich mir wieder zu. »Ich habe euch gesehen. Vor dem Schloss.«

»Uns gesehen …?«, wiederholte ich und gab mir alle Mühe, keine Reaktion zu zeigen. Finn musste nicht wissen, wie sehr mein Herz auf einmal hämmerte. »Was meinst du damit?«

»Dich und den Campbell-Jungen. Und das Gewitter, das ihr zwei verursacht habt.«

Ich schnaubte, weil das die einzige Möglichkeit war, das Chaos in mir zurückzudrängen und nicht daran zu denken, wie lange es schon her war, seit ich Lance das letzte Mal gesehen oder gesprochen hatte. Stunden. Tage. Wochen.

»Hast du auch die Elementare und den Kampf gesehen?«

Finn nickte, schien den Köder aber nicht zu schlucken. Zu schade.

»Er ist ein Campbell und das macht ihn gefährlich. Du kannst diesen Leuten nicht vertrauen, Ava.«

»Du meinst, so wie die Kelvins gefährlich sind? Oder die MacKays?«

Finn schüttelte den Kopf. »Die Kelvins sind mächtig, aber sie gehen eher mit brachialer Gewalt als hinterhältig vor, und die MacKays sind zu sehr mit ihrem eigenen Untergang beschäftigt, um eine Bedrohung für die anderen Clans darzustellen. Es sind die Campbells, die sich als deine Freunde, als deine Verbündeten ausgeben, nur um dir dann mit einem Lächeln ein Messer in den Rücken zu rammen.«

»Du redest von den Kämpfen zwischen den Clans? Aber das ist doch schon Ewigkeiten her.«

»Ich meine nicht die Konflikte, die du in den historischen Aufzeichnungen findest. Seine und unsere Familie verbindet eine lange Geschichte – und nur das allerwenigste davon ist positiv.« Er seufzte und ließ meinen Arm los. »Versprich mir einfach, dass du auf dich aufpasst.« Er wartete mein Nicken ab, bevor er weitersprach. »Wenn du etwas brauchst oder weitere Fragen hast, dann melde dich bei Tante Edith oder mir, okay?«

»Okay. Danke.« Ich erwiderte seine Umarmung automatisch, auch wenn ich mich nach dieser Ansprache völlig erstarrt fühlte.

Der kalte Regen half ein wenig, aber als ich Finn kurz darauf von der Haustür aus nachsah, brauchte ich mehr als nur ein paar Minuten, um meine Gedanken und Gefühle wieder in Ordnung zu bringen.

Ich schloss die Tür, lehnte mich mit dem Rücken dagegen und atmete tief durch. Es half nicht. Jedes Mal wenn ich die Augen schloss, sah ich Briannas Gesicht vor mir. Erlebte ihre letzten Atemzüge noch einmal mit. Hatte das Gefühl, sie wieder in den Armen zu halten. Und zu spüren, wie ihr Körper unter meinen Händen von Eisblumen überzogen wurde.

Langsam rutschte ich an der Tür hinab, bis ich auf dem Boden kauerte. Heiße Tränen liefen mir über die Wangen, aber ich wischte sie nicht weg. Zum ersten Mal kämpfte ich nicht länger dagegen an. Nicht gegen die überwältigende Trauer, nicht gegen den Verlust, die Schuld oder die Wut, die sich so tief in mich gegraben hatte, dass es mir beinahe so vorkam, als wäre sie schon immer ein Teil von mir gewesen.

Ich wusste nicht, wie lange ich so im Flur saß, während der Regen immer heftiger auf das Dach herabprasselte und dabei von Schneeflocken und Hagelkörnern begleitet wurde, wie ich durch das Fenster neben der Tür erkennen konnte. Ich wusste nur, dass ich mir zum ersten Mal erlaubte, meinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Völlig egal, was ich damit anrichten konnte.

Als ich abends in der Badewanne lag, umgeben von Schaum und der weichen Stimme von KT Tunstall, hatte sich das Wetter beruhigt. Wahrscheinlich aus ganz natürlichen Gründen. Vielleicht aber auch, weil ich mich innerlich leer und ausgehöhlt fühlte. Als hätte jemand einen wichtigen Teil aus mir herausgerissen, von dem ich nicht wusste, ob ich ihn jemals zurückbekommen würde.

Ich ließ die Hand durch das violette Wasser gleiten und rutschte etwas tiefer, um mich ganz in der Wärme zu verlieren, die meine Haut, Muskeln und Knochen durchdrang, aber nie mein Inneres erreichte. Womöglich waren die Warnungen doch berechtigt. Vielleicht erkaltete ein Teil von mir, je öfter ich Eis erschuf und es als Waffe einsetzte. Doch im Moment könnte mir das gar nicht gleichgültiger sein. Und wenn ich ganz ehrlich mit mir war, dann wollte ich sogar, dass meine Gefühle erkalteten. Dann würde ich wenigstens nicht mehr so verdammt viel fühlen …

Ich schloss die Augen und stellte mir vor, wie es sein könnte. Wie es wäre, zu existieren, ohne eine einzige Empfindung zu haben. Es kam mir ruhig vor. Still. Ohne die ständige Angst davor, jemanden zu verletzen, der mir wichtig war.

Ich merkte nicht mal, wie ich eindöste, bis ich mit einem Zucken wieder zu mir kam. Wasser spritzte über den Wannenrand und fiel in Schneeflocken auf den Fliesenboden. Mit angehaltenem Atem beobachtete ich, wie sich eine Eisschicht in der Wanne auszubreiten begann, und sprang auf, bevor sie mich erreichte. Mein Puls raste. Meine Gedanken waren ein einziges wirres Chaos.

Machten sich meine Kräfte jetzt schon selbstständig? Setzte ich sie ein, ohne mir dessen bewusst zu sein? Würden all die Albträume, die mich in den letzten Wochen heimgesucht hatten, bald Realität werden?

Ich zwang mich dazu, den Blick von der Wanne abzuwenden, und griff nach einem Handtuch. Hastig trocknete ich mich ab, wickelte das Handtuch um mich und trat vor das Waschbecken. Doch als ich den Dampf vom Spiegel wegwischte, entdeckte ich etwas, das mich mitten in der Bewegung erstarren ließ. Meine Augen waren schon immer von einem klaren, geradezu strahlenden Blau gewesen. Ein Erbe meiner Mutter. Doch das, was ich jetzt darin sah, war nicht natürlich. Es war nicht menschlich. Meine Augen leuchteten in einem eisigen Farbton. Ein Farbton, dessen Anblick mir den Magen umdrehte.

Ich grub die Finger in den Frotteestoff, blinzelte und atmete mehrmals tief durch. Als ich die Augen wieder öffnete, hatten sie ihre normale Farbe angenommen. Mit hämmerndem Herzen sah ich mich im Badezimmer um. Kein Eis mehr. Kein Wasser, wo es nicht hingehörte. Keine Regentropfen an der Fensterscheibe. Keine geplatzten Flaschen und Rohre. Alles war ruhig.

Fast schon zu ruhig …

Ein Klopfen ließ mich zusammenfahren.

»Bist du in der Wanne eingeschlafen, Avalee?«, rief Dad von der anderen Seite der Tür aus.

»Bin gleich fertig!«, rief ich und schlüpfte in meine Schuluniform, da ich vorhin vergessen hatte, die Schlafsachen herauszulegen. Ich löste das zusammengebundene Haar, fuhr hastig mit den Fingern hindurch und riss die Tür auf. »Hey.«