Sturmverliebt - Karin Lindberg - E-Book + Hörbuch

Sturmverliebt Hörbuch

Karin Lindberg

5,0

Beschreibung

Tiefblaue Fjorde, die einzigartige Magie Islands und romantische Frühlingsgefühle.

Die Architektin Luna kann ihr Glück kaum fassen, als sie zu einem Auswahlwettbewerb für ein nachhaltiges Bauprojekt nach Reykjavík eingeladen wird. Das Unfassbare geschieht, sie bekommt den Job, und das Abenteuer Island kann beginnen. Kaum in Island angekommen, schwärmt Luna nicht nur für die atemberaubende Landschaft, auch der attraktive Isländer Magni hat es ihr angetan. Und das, obwohl Luna sich striktes Männerverbot verordnet hat. Der isländische Frühling zeigt sich von seiner stürmischen Seite und wirbelt nicht nur die Gefühle der beiden kräftig durcheinander. Das Landleben im Norden der Vulkaninsel hat zudem seine Tücken, und Magni scheint auch nicht mit offenen Karten zu spielen. Als dann noch Lunas schrille Mutter mit vollen Koffern auf der Matte steht, ist das Chaos perfekt.

Der neue Liebesroman von Bestseller-Autorin Karin Lindberg – humorvoll, romantisch und so herzerwärmend wie eine Tasse Kaffee in der Frühlingssonne.

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Zeit:8 Std. 42 min

Sprecher:Corinna Dorenkamp]

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STURMVERLIEBT

AUSGERECHNET ISLAND

KARIN LINDBERG

KLAPPENTEXT

Tiefblaue Fjorde, die einzigartige Magie Islands und romantische Frühlingsgefühle.

Die Architektin Luna kann ihr Glück kaum fassen, als sie zu einem Auswahlwettbewerb für ein nachhaltiges Bauprojekt nach Reykjavík eingeladen wird. Das Unfassbare geschieht, sie bekommt den Job, und das Abenteuer Island kann beginnen. Kaum in Island angekommen, schwärmt Lara nicht nur für die atemberaubende Landschaft, auch der attraktive Isländer Magni hat es ihr angetan. Und das, obwohl Luna sich striktes Männerverbot verordnet hat. Der isländische Frühling zeigt sich von seiner stürmischen Seite und wirbelt nicht nur die Gefühle der beiden kräftig durcheinander. Ihre noch zarten Bande werden immer wieder vor schwierige Herausforderungen gestellt. Das Landleben im Norden der Vulkaninsel hat zudem seine Tücken, und der attraktive Isländer Magni scheint auch nicht mit offenen Karten zu spielen. Als dann noch Lunas schrille Mutter mit vollen Koffern auf der Matte steht, ist das Chaos perfekt.

Der neue Liebesroman von Bestseller-Autorin Karin Lindberg – humorvoll, romantisch und so herzerwärmend wie eine Tasse Kaffee in der Frühlingssonne.

INHALT

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Danksagung

Über den Autor

Lektorat: Dorothea Kenneweg

Korrektorat Ruth Pöß - www.das-kleine-korrektorat.de

2. Korrektorat Sybille Weingrill

Covergestaltung: Casandra Krammer - www.casandrakrammer.de

Covermotiv: ©️ Orfeev, ptichkati, sababa66, fresher, Eisfrei – Shutterstock.com

Copyright © Karin Lindberg 2022

K. Baldvinsson

Am Petersberg 6a

21407 Deutsch Evern

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Alle Rechte vorbehalten.

Jede Verwertung oder Vervielfältigung dieses Buches – auch auszugsweise – sowie die Übersetzung dieses Werkes ist nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet. Handlungen und Personen im Roman sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

1

Die Sache mit der Wahrheit war in der Realität nicht immer so einfach, wie Luna es gerne hätte. Leider. Sie verspannte sich und hoffte, dass die anderen im Raum es nicht bemerkten. Ein Wunder, dass sie überhaupt noch hier saß, nachdem schon so viele vor ihr bereits ausgeschieden und wieder nach Hause geschickt worden waren. Nun, womöglich hatte ihr Stündlein auch bald geschlagen.

Es war unwirklich, überhaupt Teil dieses Auswahlverfahrens zu sein. Sie fühlte sich den anderen Teilnehmern unterlegen, ihr fehlte es an Erfahrung. Und doch war sie hier, weil sie sich diese Möglichkeit einfach nicht hatte entgehen lassen wollen, auch wenn sie nicht die geringste Chance hatte, als Siegerin daraus hervorzugehen. Luna fühlte sich daher auch am zweiten Tag des Assessment-Centers noch immer wie im falschen Film.

»Luna, würdest du bitte die Frage beantworten?«, riss die Stimme der Psychologin Kata sie aus ihren Gedanken. In Island wurde in den Terminen englisch gesprochen, man ging nicht so förmlich miteinander um, wie sie es aus Deutschland kannte. Gleich zu Anfang des Auswahlverfahrens war Luna erklärt worden, wie es auf der Vulkaninsel mit der Kommunikation lief. Nicht nur das, in Vorbereitung auf dieses zweitägige Auswahlverfahren hatte sie bereits drei Wochen Onlineunterricht der isländischen Sprache erhalten, die Fortschritte waren gestern in einer kurzen Prüfung abgefragt worden. Der erste Test, ob sie in der Lage sein würde, in Island klarzukommen.

Da sie noch immer im Wettbewerb war, ging Luna davon aus, dass sie den Test bestanden hatte. Dass sie lernfähig war. Das allein war auch noch nie ihr Problem gewesen.

Luna räusperte sich und entschied sich für die halbe Wahrheit. »Der Zusammenhalt in einer Familie ist sehr wichtig«, gab sie die Antwort auf die letzte Frage in der Runde. Was das mit einem etwaigen Auftrag zu tun haben sollte, erklärte sich ihr daraus allerdings nicht. Andererseits, in den letzten Stunden hatte sie alles Mögliche tun müssen, nur sehr wenig hatte eine Verbindung zu einem möglichen Bauprojekt im Norden Islands erahnen lassen.

Es war Lunas erstes Assessment-Center dieser Art und womöglich das letzte. Sie kam sich wie eine Idiotin vor, während die drei Isländer im Raum sie erneut schweigend musterten und anschließend Notizen auf ihre Blöcke kritzelten.

Es war albern, aber Luna fühlte sich ertappt. Sie hatte eben nur so lange mit einer Antwort gezögert, weil sie keine Ahnung hatte, was eine richtige Familie überhaupt war. Die heile Welt war ihr fremd, ihre Kindheit war nicht so bilderbuchhaft verlaufen, wie man es sich vielleicht wünschte. Wie sollte sie also wissen, was eine Familie ausmachte?

»Gut, danke«, schaltete sich schließlich Ólafur Darri, ein Mann mittleren Alters mit einer runden Brille und schütterem Haar, ein. »Du kannst jetzt gehen, wir geben dir nachher Bescheid, wie es weitergeht.«

Luna schluckte. Das war nicht gut. Sie saß doch gerade mal ein paar Minuten in diesem kühlen Besprechungsraum. Die Vorhänge waren zugezogen, nur die leicht gedimmten Deckenleuchter verbreiteten ein beinahe unwirkliches Licht. Nichts wies darauf hin, dass sie hier in Reykjavík war, jedenfalls nicht innerhalb dieser vier Wände.

Luna erhob sich und nickte den dreien zu. »Vielen Dank«, murmelte sie und ging so langsam es ihr möglich war aus dem Besprechungszimmer, obwohl sie am liebsten davonrennen wollte. Sie schloss die Tür leise hinter sich, ihre Finger zitterten, ihre Knie waren wackelig. Vielleicht waren diese Psychologen so was wie menschliche Lügendetektoren und hatten erkannt, dass sie hier nicht hingehörte?

Sie wollte denken: Was solls, ist doch egal.

Aber das gelang ihr nicht. Obwohl sie vom Kopf her wusste, dass sie keine Chance hatte, wollte ihr Herz doch, dass sie an diesem Bau-Projekt teilhaben durfte. Als vor vier Wochen die Anfrage eines Headhunters bei ihr eingetrudelt war, hatte sie es erst nicht glauben können, dass man wirklich sie ansprach. Die Person hatte sie jedoch schnell davon überzeugt, dass dieses Vorhaben, ein Hotel auf der Vulkaninsel im Nordatlantik, das Fantastischste war, was Luna jemals beruflich erreichen könnte. Und das, obwohl sie – professionell gesehen – noch grün hinter den Ohren war, das Studium erst kürzlich abgeschlossen und erst ein eigenes umgesetztes Konzept vorzuweisen hatte. Dennoch, genau deshalb war man offenbar aufmerksam auf sie geworden.

Luna hatte schnell mitbekommen, dass die Isländer praktisch veranlagt waren und dass Digitalisierung hier kein Fremdwort war. Durch ihren Instagram-Account, auf dem sie die Fortschritte ihres Herzensprojektes über Monate dokumentiert hatte, hatte sie eine beachtliche Anzahl an Followern vorzuweisen. So hatte auch der Headhunter sie entdeckt und zu diesem Auswahlverfahren eingeladen. Ohne Kosten für sie, kein Risiko. Selbst wenn man sie nicht auswählte – wovon sie sehr stark ausging, die Konkurrenz war nicht nur bombenstark, sondern auch viel erfahrener als sie –, hatte sie immerhin eine Reise auf diese zauberhafte Insel finanziert bekommen.

Und doch. Sie wollte nicht gehen. Sie wollte bleiben.

Luna atmete leise aus und merkte, dass sie noch immer regungslos hinter der Tür des Besprechungszimmers stand. Ihre Erscheinung spiegelte sich in den Scheiben der gegenüberliegenden Fensterfront im Flur. Ihre Wangen waren gerötet. Die Augen weit aufgerissen. Vielleicht war das knielange Kleid doch nicht das richtige Stück gewesen. Sie hatte es ausgewählt, weil sie sich darin wohlfühlte, aber die anderen Teilnehmer hatten fast alle ein ganz besonders aussagekräftiges Outfit gewählt. Es wimmelte geradezu von perfekt gestylten Hipstern in diesem Hotel. Schon allein diese Tatsache hatte Luna von Anfang an das Gefühl vermittelt, dass sie fehl am Platz war.

Sie schluckte. Dass man sie schon nach so wenigen Fragen rausgeschickt hatte, konnte nur bedeuten, dass sie nicht die richtigen Antworten geliefert hatte, dass sie raus war. Ein Beben durchlief ihren Körper, sie spürte Tränen in sich aufsteigen. Sie war wütend darüber, dass sie enttäuscht war, wütend, dass sie sich entgegen allen Vorsätzen doch Hoffnungen gemacht hatte.

Mit einem leisen Schnauben hastete Luna über den Flur, sie brauchte frische Luft. Dringend. Sie eilte die Treppen nach unten und zügelte den Drang zu rennen. Luna spürte die Blicke der anderen Wartenden auf sich. Es waren so viele. So viele, die besser, erfahrener und selbstbewusster waren als sie. Luna schob sich durch die Drehtür nach draußen und trat in die schwache isländische Märzsonne hinaus. In der Hauptstadt lag nur noch wenig Schnee, die Straßen schimmerten nass, der Himmel strahlte in einem reinen klaren Blau. Nur wenige Hundert Meter entfernt funkelte die gekräuselte Meeresoberfläche unter den Sonnenstrahlen.

Luna ballte ihre Hände zu Fäusten und stieß einen unterdrückten Schrei aus, die Spannung in ihr war einfach zu groß, während sie ein paar Schritte ging, um nicht vor den Fenstern des Hotels von den anderen gesehen zu werden. »Scheiße, Scheiße, Scheiße!«, schimpfte sie. »Was stimmt eigentlich nicht mit mir?!«

Sie schloss die Augen und atmete ein und wieder aus. Ihr rasender Herzschlag beruhigte sich nur langsam. Eiskalter Sauerstoff füllte ihre Lungen, und die brennenden Wangen wurden von einem kühlen Luftzug erfrischt. Ein Abenteuer, das war es, was sie erwartet hatte. Nicht das Gefühl, unzulänglich zu sein. Vielleicht war ihre Enttäuschung auch deswegen so groß, weil sie es bis Tag zwei geschafft hatte. Dass sie keine Chance hatte, war ihr vorher klar gewesen, aber ihre Sehnsüchte wollten etwas anderes, und es war schwer zu akzeptieren, dass die Reise jetzt schon vorbei sein sollte. Letztlich hatte sie in einem wichtigen Punkt versagt: Sie hatte sich vor dem Assessment-Center vorgenommen, bei sich zu bleiben. Das war ihr nicht gelungen. Sie war wie versteinert gewesen, eingeschüchtert und einfach nicht sie selbst.

Luna holte noch einmal tief Luft.

»Na, ist es nicht gut gelaufen?«, hörte sie eine tiefe, raue Männerstimme auf Englisch fragen.

Da Luna nicht damit gerechnet hatte, dass überhaupt jemand hier draußen war, schrie sie entsetzt auf. Es schwang kein Mitleid in der Frage, aber Neugierde. Kein Hohn, wie sie es von manchen anderen Teilnehmern erwartet hätte. Sie hatte schon einige Seitenhiebe einstecken müssen in diesen zwei Tagen, daher war sie überrascht, dass jemand einfach nur nett zu ihr war.

Ein Mann saß auf einem Betonpoller, der vermutlich dazu da war, freche Autofahrer davon abzuhalten, auf dem Rasen zu parken. Luna blinzelte und rang nach Atem. Ihr Herz raste, nicht nur, weil sie sich erschreckt hatte. Dieser Fremde war attraktiv. Sehr attraktiv. Sogar im Sitzen war zu erahnen, dass er groß war. Er hatte breite Schultern, die unter einem Wollpullover mit dem speziellen isländischen Muster zu erkennen waren, und einen klaren, sehr durchdringenden Blick aus den eindrucksvollsten blauen Augen, die sie je gesehen hatte. Seine blonden Haare waren vom Wind zerzaust. Er besaß eine ausgeprägte Kinn- und Wangenpartie, an ihm war nichts Zartes. Im Gegenteil, er wirkte wild und unzähmbar. Lunas Puls raste noch immer. Ihr Mund war staubtrocken und ihre Knie fühlten sich wie Schokoladenpudding an. »Entschuldigung?«, wiederholte sie.

»Du siehst ein bisschen mitgenommen aus, ist etwas nicht in Ordnung?«

Luna legte ihren Kopf schief und überlegte. Mitgenommen, ja, das war das richtige Wort. Genau so fühlte sie sich auch. »Nein, ich glaube nicht.«

»Warum?«

Obwohl sie seine Fragerei ein wenig aufdringlich fand, musste sie zugeben, dass sie sich gleichzeitig darüber freute. Zum ersten Mal seit zwei Tagen hatte sie das Gefühl, nicht mutterseelenallein inmitten vieler anderer zu sein. Aus seinem offenen Blick sprach kein hinterlistiges Lauern, obwohl er vermutlich selbst bei diesem Auswahlverfahren mitmachte – oder mitgemacht hatte. Warum sollte er sonst hier sitzen? Anscheinend wusste er ziemlich gut Bescheid, was da drin vor sich ging. Im ganzen Hotel wimmelte es von Bauingenieuren, Statikern und Architekten. Was wohl seine Profession war?

»Weil ich es vermasselt habe«, stieß sie mit einem lautlosen Seufzen hervor. Sie hob ihre Schultern und ließ sie sogleich wieder sinken, während sie sich im Blau seiner Augen verlor.

Der Unbekannte musterte sie weiter seelenruhig. Ihr wurde heiß – vor allem an Stellen, von denen sie es nicht erwartet hatte: Sengende Hitze sammelte sich in ihrem Unterleib.

Ach du Schande.

Das konnte ja wohl nicht wahr sein!

Unfassbar, dass ihre Hormone beim bloßen Anblick eines attraktiven Fremden überkochten. Das sah ihr gar nicht ähnlich, von Männergeschichten hielt sie sich grundsätzlich fern. Luna verzog ihre Lippen und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Sie reckte ihr Kinn ein wenig nach vorn, während der kühle Nordwind immer wieder Strähnen ihres langen dunkelbraunen Haars in ihr Gesicht wehte. Eine willkommene Abkühlung.

»Das tut mir leid. Was ist passiert?«, wollte er wissen, nachdem seine Musterung abgeschlossen war. Eigentlich hatte Luna etwas gegen Kerle, die Frauen als Objekte betrachteten, merkwürdigerweise empfand sie seine Begutachtung anders. Sie freute sich darüber. Luna nagte an der Innenseite ihrer Wange, ehe sie antwortete. »Ach, weißt du, mir war klar, dass ich hier keine reelle Chance habe, aber ich habe nicht mein Bestes gegeben, vor allem habe ich nicht meinen Grundsatz befolgt: die echte Luna zu zeigen. Das ist mir gründlich misslungen, und darüber ärgere ich mich gerade schwarz.«

Eine Augenbraue wanderte langsam in die Höhe, dann sagte er: »Das musst du mir erklären.«

Normalerweise war Luna zu skeptisch, um einem Fremden auf Anhieb zu vertrauen, aber in diesem Fall war es anders. Vielleicht auch, weil sie glaubte, dass er es nachvollziehen konnte, denn er hatte ja offenbar selbst an diesem Klamauk teilgenommen. »Du hast sicher keine Lust, dir stundenlang mein Gejammere anzuhören, es ist jetzt ohnehin egal. Ich gehe mal lieber Koffer packen, denn ich werde nach meiner schlechten Vorstellung vermutlich in die nächste Maschine nach Hause gesetzt.«

»Und das möchtest du nicht?«

Luna lachte auf. »Bist du verrückt? Natürlich nicht! Allein hier zu sein, ist ein riesiger Traum, der für mich in Erfüllung gegangen ist. Dieses Land ist einfach der Wahnsinn. Viel habe ich natürlich noch nicht gesehen, aber ich habe mich auf die Reise vorbereitet. Ich habe ja sogar etwas Isländisch gelernt.«

Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln.

Halleluja.

Das machte ihn noch attraktiver. In ihrem Bauch kribbelte es, Luna versuchte es zu ignorieren, während sie sich auf Isländisch vorstellte. »Góðan daginn, ég heiti Luna.« Guten Tag, ich heiße Luna.

Er nickte anerkennend. »Gaman að hitta þig«, gab er zurück. Schön, dich kennenzulernen.

Luna war ein wenig enttäuscht, dass er sich selbst nicht vorstellte, erinnerte sich aber daran, dass sie ihn nach diesem Tag ohnehin nie wiedersehen würde.

Der Gedanke ernüchterte sie ausreichend, um das unerwünschte Kribbeln in ihrer Magengrube in den Griff zu bekommen. »Ja, äh, ich geh lieber wieder rein. Die werden sicher gleich verkünden, wer in die nächste Runde kommt und wer nach Hause darf.«

Sie wollte sich gerade abwenden, um zu verschwinden, als er eine Hand hob. »Warte«, rief er.

»Was ist?« Sie hielt inne.

»Wie … Wer hat dich hierher eingeladen?«

»Ein Headhunter hat mich über meinen Instagram-Account kontaktiert.«

»Du siehst sehr jung aus.«

Von jedem anderen hätte sie diesen Satz als Beleidigung aufgefasst, aus seinem Mund hörte es sich eher nach einem Kompliment an. Sie zuckte die Schultern. »Ja, ich bin erst siebenundzwanzig, habe kaum Erfahrung, aber ich habe mir ein Traumhaus gebaut, mit meinen eigenen Händen, meiner eigenen Vision, auf einem Stückchen Land, das mir meine Großeltern vermacht haben. Anscheinend hat es den Leuten gefallen, nur deshalb bin ich hier. Ich habe meinen Instagram-Account Lunabuildsherownhome genannt. Nicht gerade einfach zu merken, aber offenbar, na ja.« Sie lachte. »Es hat mich bis nach Island gebracht.«

»Was hast du studiert?«

»Bauingenieurwesen und Architektur.« Sie lächelte zögerlich, dann wurde es breiter. Sie merkte, dass eine Last von ihren Schultern abfiel, die sie bis eben heruntergedrückt hatte. »Ich war schon immer eine Streberin.« Sie zwinkerte ihm zu. »Wir sehen uns.«

Dann ging sie davon, ohne sich noch einmal nach ihm umzublicken.

2

Luna saß in der Lobby des Grand Hotels und nippte an ihrem Wasser. Niemand hatte sie noch einmal in eine Besprechung gebeten, gleichzeitig war sie aber auch nicht nach Hause geschickt worden. Vielleicht hatte man sie schlichtweg unter den vielen Talenten vergessen. Möglich wäre es, dachte sie mit einem sarkastischen Grinsen.

Der Leiter des Assessment-Centers, Ólafur Darri, trat gerade in die Lobby, er verschaffte sich mit einer Geste Aufmerksamkeit. Luna richtete sich im Sitz auf. Vermutlich wurde nun der oder die Gewinnerin verkündet.

»Ihr Lieben, danke, dass ihr mitgemacht habt. Wir sind nun beinahe am Ende angelangt. Für diese letzte Runde haben wir die fünf Damen und Herren ausgewählt, die in einer direkten Fragerunde gegeneinander antreten. Dafür möchte ich die Personen gleich zu mir nach vorn bitten. Die Fragerunde werden wir hier abhalten, sodass alle, die möchten, zuhören können.«

Luna machte große Augen. Na, das würde sicher spannend werden. Sie hatte sich natürlich längst gefragt, welcher Teilnehmer am Ende das Rennen machte. Sie würde auf jeden Fall bleiben, um sich das anzusehen, auch wenn es wehtat.

Ólafur Darri schob sich seine Brille ein wenig höher auf die Nase und las von einem Zettel ab. »Als Erstes möchte ich Graham O’Connell zu mir bitten.«

Sie hatte keine Ahnung, wer das war, aber ein dunkelhaariger Mann mit Bauchansatz erhob sich und nickte zufrieden in die Runde. Fünf Stühle wurden gleichzeitig von Hotelmitarbeitern in einem Halbkreis auf einem kleinen Podest, das als eine Art Bühne fungieren würde, arrangiert.

»Minnie Lemberg«, wurde die Nächste aufgerufen. Bei ihr handelte es sich um eine schlanke Schwedin, die bereits mehrere Architekturpreise für ihre Arbeit gewonnen hatte. Die im Einklang mit der Natur gebauten Objekte bildeten das Herzstück ihres Portfolios.

»Piotr Swindozs …«

Ein Pole, wie Luna mitbekommen hatte, der nicht weniger erfolgreich als die Schwedin war. Und nicht minder selbstbewusst.

»Muhammed Naifeh …« Ein Araber, der sich in Dubai mit Luxusprojekten einen Namen gemacht hatte. Sein schwarzes Haar war von ersten grauen Schlieren durchzogen, er trug ein lässiges Jackett zu einem strahlend weißen Hemd. Der Mann stand auf und nickte so selbstbewusst in die Runde, als hätte man ihn bereits zum Sieger gekürt.

»Luna Maria Skröder«, las jemand ihren Namen vor. Falsch wie immer im Ausland. Niemals kam das »Sch« als solches an. Sie runzelte die Stirn, erst jetzt kapierte sie, dass sie angesprochen worden war. Damit hatte sie beim besten Willen nicht gerechnet. Das bedeutete ja, dass sie noch im Rennen war! Luna stockte der Atem.

Unglaublich. Das konnte nicht sein.

Köpfe drehten sich in ihre Richtung, Luna erstarrte. Sie war tatsächlich die fünfte Kandidatin, die in der letzten Runde stand? Sie konnte es kaum glauben.

Das war geradezu absurd!

Luna war kurz davor, sich selbst zu kneifen, ließ es aber natürlich sein.

»Luna?«, wiederholte Ólafur Darri und blickte in ihre Richtung.

Sie stand auf, und für einen Moment wurde ihr schwarz vor Augen. Ihr Kreislauf spielte verrückt, kein Wunder bei all der Aufregung. Sie atmete einmal tief durch, dann straffte sie sich und strich ihr Kleid am Hintern glatt. Nicht, dass sie sich noch auf eine Weise lächerlich machte, die sie ihr Leben lang verfolgen würde. Schließlich setzte sie sich in Bewegung und stakste wie ein Storch im Salat zur Bühne, wo die anderen bereits ihre Plätze eingenommen hatten. Ein Stuhl am Rand war noch frei, der beschrieb ihre Position sehr treffend: Sie war die absolute Außenseiterin.

Warum war sie überhaupt noch im Rennen? Sie hatte es, bis ihr Name aufgerufen worden war, nicht für möglich gehalten.

Luna setzte sich und schlug ein Bein über das andere, als sie den neugierigen Fremden im Wollpullover im hinteren Teil der Lobby entdeckte. Er lehnte lässig an der Wand, in der Hand hielt er eine Tasse Kaffee. Als sich ihre Blicke trafen, zwinkerte er ihr aufmunternd zu. Er war also immer noch hier, und er schien nicht im Mindesten traurig darüber zu sein, dass er nicht an ihrer Stelle auf der Bühne saß. Das machte ihn sympathisch.

Luna blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn die ersten Fragen wurden bereits gestellt. Sie war leider nicht so auf Zack wie die anderen vier, und so war sie noch nicht dazu gekommen, sich zu Wort zu melden, um ihre Meinung auszusprechen. Sie fühlte sich unwohl, aber verbarg es hinter einem nichtssagenden Lächeln. Sie hoffte, dass man ihr nicht ansah, wie angestrengt sie nachdachte.

»… kann Tourismus überhaupt nachhaltig sein?«, lautete die nächste Frage.

Die Schwedin war an der Reihe. Luna hatte Schwierigkeiten, ihr zu folgen, sie sprach so schnell und verwendete komplizierte Fachbegriffe. Luna bekam aber mit, dass die Zuhörer anerkennend nickten. Offenbar wusste die Frau, worüber sie redete, vor allem konnte sie die Leute überzeugen. Sie hatte dieses gewisse Charisma, von dem Luna sicher war, es selbst nicht auszustrahlen.

Luna fand die Frage zudem sehr schwer zu beantworten, hob aber dennoch ihre Hand. Ólafur Darri bedeutete ihr zu sprechen. »Letztlich ist klar, am nachhaltigsten führen wir unser Leben, wenn wir zu Hause bleiben, Radfahren und unser Gemüse selbst anbauen. Tourismus und Nachhaltigkeit passen nicht unbedingt zusammen, aber man kann einiges dafür tun, dass man die Welt nicht schlechter macht, sondern trotz allem ein Stück weit besser. Auch die soziale und kulturelle Seite spielen meiner Meinung nach im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit eine große Rolle. Sollte ein Projekt wie das hier angestrebte nicht auch einen Mehrwert für die Gesellschaft, die dort lebt, bieten? Wenn man das, natürlich mit einer ökologisch verträglichen Bauweise, in Einklang bringen kann, finde ich: Es birgt einen Mehrwert und ist damit nachhaltig in gewisser Weise. Es gibt vier Bausteine, die ich bei einem Bau wie diesem in Betracht ziehe: der ökologische Fußabdruck der Anlage, die kulturellen Aspekte des Ortes, die soziale Situation und die wirtschaftliche. Dann kann ich guten Gewissens von Nachhaltigkeit im Tourismus sprechen.«

Luna war heiß geworden, sie war versucht, sich Luft zuzufächeln. Es herrschte Schweigen in der Lobby. Die Leute schienen darüber nachzudenken, was sie gesagt hatte.

Der Kanadier riss das Wort an sich und plapperte in einer Geschwindigkeit drauflos, sodass Luna ihm nicht folgen konnte.

Vermutlich interessierte den Geldgeber die Nachhaltigkeit nicht wirklich, meistens wurden diese Punkte nur auf der Liste abgearbeitet, weil sie gerade angesagt waren, aber letztlich dann doch nicht beachtet.

Luna presste ihre Lippen zusammen. Für sie war es nicht nur Gerede, sie wollte, dass die Welt zu einem besseren Ort für alle wurde.

Sie hörte kaum noch zu, Tränen verwässerten ihr die Sicht. Sie fühlte sich auf der Bühne nicht wohl. Luna wusste nicht mal, warum ihr zum Heulen zumute war. Vielleicht war es einfach zu viel für ihre Nerven, die ganze Anspannung der letzten Tage. Sie wollte nur noch, dass es vorbei war, dass sie diese Lobby verlassen konnte.

»Vielen Dank, dass ihr diese letzte Runde mitgemacht habt«, erklärte Ólafur Darri endlich. »Wir ziehen uns jetzt noch einmal zur Beratung zurück und kommen in zwanzig Minuten mit unserer Entscheidung wieder hierher.«

Luna wartete nicht auf weitere Informationen, sie rannte auf ihr Zimmer, schloss die Tür hinter sich und raffte ihre Sachen zusammen. Sie stopfte alles wahllos in ihren Koffer, der ziemlich groß war – für den Fall der Fälle hatte sie gleich mehr eingepackt.

»Gott, ich bin so doof«, murmelte sie und rieb sich mit der Hand über das Gesicht. Dass sie Klamotten eingepackt hatte, um länger zu bleiben, sagte genug über ihre Naivität aus.

Das Hotel-Telefon bimmelte, sie ging nicht ran. Sicher jemand von der Rezeption, der wissen wollte, warum sie noch nicht ausgecheckt hatte. »Bin ja gleich fertig«, brummte sie, und irgendwann hörte es auf.

Konsterniert ließ Luna sich auf das Bett fallen, auf fünf Minuten kam es jetzt auch nicht mehr an. Sie schloss die Augen und versuchte dieses ganze bescheuerte Assessment-Center zu vergessen. In ihrem Kopf drehte sich alles, sie war fix und fertig.

Ein Klopfen an der Tür ließ sie auffahren.

»Hallo, Luna? Bist du da drin?«, erklang eine weibliche Stimme von draußen.

Sie hatte keine Ahnung, wer das war. Freundschaften hatte sie bislang keine geschlossen.

»Ja, bin gleich fertig.« Sicher jemand vom Hotelpersonal. Das kannte man ja, dass die einen aus dem Zimmer schmissen, damit die Putzkolonne ihren Job machen konnte.

»Könntest du bitte nach unten kommen? Alle warten auf dich.«

Luna setzte sich ruckartig auf. »Äh, wieso?«

»Du hast gewonnen.«

Lunas Kiefer klappte nach unten. »Sehr witzig«, brummte sie.

Diese Art von Humor hatte sie noch nie leiden können.

»Ich bin es, Kata, erinnerst du dich? Geht es dir gut? Kannst du runterkommen? Sonst erkläre ich den Leuten, dass du gerade unpässlich bist.«

Luna sprang vom Bett. Das hörte sich nicht nach einem Witz an. Jetzt zwickte sie sich doch, sie musste träumen. Luna öffnete die Zimmertür und schaute in das freundliche Gesicht der Psychologin. »Entschuldigung, was hast du eben gesagt?«, stieß Luna atemlos hervor.

Kata lächelte. »Komm mit, ich weiß, das waren zwei anstrengende Tage, aber wir wollen dir doch alle so gern persönlich gratulieren. Du bist ausgewählt worden: Du bist der neue kreative Kopf im Team.«

»Das kann nicht sein«, stammelte sie kopfschüttelnd. Sie traute ihren Ohren nicht.

Magni stand bei geöffneter Fahrertür neben seinem Wagen und unterhielt sich mit seiner Schwester. Soffia trug neuerdings einen modischen Kurzhaarschnitt, sie war so blond wie er. Auf der Nase saß eine schwarze Kunststoffbrille. »Bist du zufrieden?«, fragte Soffia ihn.

Er zuckte die Schultern. »Bisschen früh, das jetzt schon zu beurteilen.«

»Du weißt, dass meine Wahl auf jemand anderen gefallen wäre«, wandte sie ein.

Er unterdrückte ein Seufzen. »Ja«, war alles, was er erwiderte.

Soffia wollte gerade noch etwas loswerden, als die Siegerin des Assessment-Centers mit ihrem Koffer aus dem Hotel trat. Sie wurde von Ólafur Darri begleitet. Magni hob seine Hand und winkte die beiden zu sich.

»Ich nehme sie mit in den Norden«, erklärte er Soffia, deren Augen sich weiteten.

»Bist du sicher?«

Er nickte. »Glaubst du, ich mache Witze?«

»Du hast sie doch wohl hoffentlich nicht aus diesem Grund ausgewählt, oder?« Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine steile Falte.

Magni atmete kaum hörbar aus. »Wenn du sonst keine Probleme hast, Schwesterchen? Hast du nicht zugehört, was sie gesagt hat? Sie war die Einzige, die erkannt hat, worum es mir mit dem ganzen Projekt geht. Willst du mir gerade Sexismus vorwerfen?«

Soffia hob abwehrend die Hände. »Ja, okay, ist ja gut. Fragen wird ja wohl noch erlaubt sein.«

»Nein«, knurrte er, dann hielt er die Klappe, weil die beiden bei ihnen ankamen.

»So, hier haben wir Luna Maria«, erklärte Ólafur Darri überflüssigerweise.

Luna wirkte erschöpft. Sie blickte zwischen ihnen hin und her und verstand offenbar nicht, was hier los war. Magni erklärte auf Isländisch: »Danke, ich übernehme Luna ab hier, sie kommt mit mir.«

Ólafur Darri nickte, dann verabschiedete er sich von Luna mit Küsschen hier und da und tigerte davon. Magni hoffte, dass seine Schwester auch zügig einen Abflug machte, ehe sie etwas Unüberlegtes ausplauderte, das alles erschweren würde.

»Ich bin Magni«, stellte er sich Luna endlich vor. »Wir sind uns vorhin schon begegnet.«

»Ich bin Luna«, erwiderte sie wie er auf Englisch.

»Meine Schwester kennst du ja schon«, fügte er noch an.

»Oh, ihr seid Geschwister, das wusste ich nicht.« Sie schaute von einem zum anderen und suchte vermutlich nach Ähnlichkeiten. Sie beide waren blond und blauäugig, aber von dieser Sorte gab es viele in Island. Soffia war schlank und groß, vielleicht sahen sie sich ein bisschen ähnlich, ja. Er konnte nicht erkennen, zu welchem Schluss Luna kam.

Soffia lachte. »In Grenivík sind zwar nicht alle verwandt, aber trotzdem kennt jeder jeden, das wirst du schnell herausfinden. Willkommen an Bord, Luna.« Sie reichte ihr die Hand.

Luna lächelte, ihre Augen strahlten. »Ich kann es noch immer nicht fassen, dass ich das Rennen gemacht habe. Das muss ich ehrlich zugeben, aber ich freue mich wie verrückt.«

Magni wandte sich an seine Schwester. Er wollte sie loswerden. »Fährst du gleich los?« Ein dezenter Hinweis an Soffia, dass sie gehen konnte.

»Ich habe einen Flug gebucht, er geht in einer halben Stunde.«

Luna riss ihre Augen auf. »Ui, das wird dann aber knapp.«

Soffia lachte. »Das schaffe ich, keine Sorge. Wir sehen uns dann im Norden, Luna. Bless, Magni. Euch eine gute Fahrt.«

Seine Schwester warf ihm noch einen warnenden Blick zu, den Magni ignorierte. Ein wenig ärgerte er sich, dass Soffia ihn für so wenig professionell hielt. Albern noch dazu. Als ob persönliche Präferenzen in einer so wichtigen Entscheidung die faktischen überwiegen würden. Er war versucht zu schnauben, ließ es aber sein.

»So, dann wollen wir mal. Gib doch deinen Koffer her«, meinte er mit einem freundlichen Lächeln zu Luna.

»Wie jetzt?« Sie schien nicht zu begreifen.

»Na, ich nehme dich mit nach Grenivík. Bist du überhaupt schon auf dem Laufenden, wie es jetzt weitergeht?« Er schnappte sich ihren Koffer und wuchtete ihn in den Laderaum seines Pick-ups, dann schloss er den Deckel.

Sie sah ihn mit einem Blick an, der ihm klarmachte, dass sie daran zweifelte, ob sie ihm davon erzählen müsste. Magni konnte das gut nachvollziehen, aber würde sie jetzt noch nicht über seine Rolle in diesem Projekt aufklären. »Ähm«, machte sie nur, er wollte ihr das Leben nicht schwer machen, daher grinste er und stieg ein. Vom Fahrersitz aus rief er ihr zu: »Nun komm schon, oder willst du Wurzeln schlagen?«

Luna zuckte die Schultern und glitt mit einem leisen Seufzen auf den Beifahrersitz. Sie wirkte zierlich in seinem riesigen Auto. In ihm regte sich sein Beschützerinstinkt. Albern, sagte er sich. Sie konnte sicher gut auf sich selbst aufpassen, und diese Machoanwandlungen kannte er überhaupt nicht von sich. Er schob den Gedanken beiseite und startete den Motor. »So, dann wollen wir mal.«

Er legte einen Gang ein und brauste los. Ehe sie in Richtung Norden aufbrachen, hatte er noch einige Punkte auf seiner Liste. Ganz oben stand der Besuch bei Baerins Bestu an, der Würstchentruck war nicht mehr das, was er noch vor einigen Jahren gewesen war, aber immer noch eine Adresse, die man besuchen musste, wenn man in Reykjavík war.

Magni fuhr die Krimglumýrarbraut, die Hauptverkehrsstraße am Wasser, entlang und ihm entging nicht, wie ehrfürchtig Luna aufs Meer hinausschaute. Die dunkle Oberfläche kräuselte sich, der Wind hatte aufgefrischt. Über den bedrohlich wirkenden Himmel wirbelten dichte, graue Wolken.

»Wieso halten wir hier?«, erkundigte sie sich, als er den Pick-up in der Innenstadt parkte.

»Wirst du gleich sehen, komm mit.«

Luna schaute ihn fragend an, aber folgte ihm. Vor dem bekanntesten Hotdog-Stand der Stadt hatte sich eine kleine Schlange gebildet – wie jeden Tag. Leider war es kein echter Geheimtipp mehr, seit irgendein Idiot in einem Reiseführer vom besten Würstchen-im-Brot berichtet hatte. »Gibt es etwas, was du nicht magst?«, wollte er von Luna wissen. »Auf deiner Wurst meine ich.«

Sie guckte ihn mit gerunzelter Stirn an. »Ich lasse mich überraschen, es sei denn, sie streuen Zuckerstreusel darauf.«

Magni lachte. Irgendwie fand er ihren trockenen Humor erfrischend. »Sehr gut.«

Er bestellte zwei Hotdogs mit allem – Wurst, Senf, Zwiebeln, Ketchup, saure Gurken und Remoulade – und Cola dazu. Dann gingen sie zurück zum Auto, denn es hatte angefangen zu regnen und war sehr ungemütlich geworden. »Gott, ist das ein Wetter«, keuchte Luna und schlug die Tür hinter sich zu.

Er hob eine Braue. Ihn amüsierte ihre Reaktion, er wollte zu gern sehen, wie sie auf einen Schneesturm reagierte – den könnte sie sogar schon sehr bald erleben, wenn die Meteorologen recht hatten. Das war das Tückische in Island. Man dachte zu häufig, dass man den Winter überstanden hatte, wenn die ersten Sonnenstrahlen einem das Gesicht wärmten. Aber genau dann brachte Frau Holle oft noch einmal meterhohen Schnee. Oder zweimal. Oder dreimal.

Magni grinste in sich hinein, während er Luna beim Essen aus dem Augenwinkel beobachtete. Er mochte Frauen, die sich nicht zierten. Luna wirkte mittlerweile recht gelassen auf ihn, und ehrlicherweise musste er zugeben, dass ihre Natürlichkeit, neben ihrem Statement zur Nachhaltigkeit, einer der Hauptgründe gewesen war, dass sie letztlich für das Projekt ausgewählt worden war. Er und alle anderen im Team hatten ihr geglaubt, was bei all den anderen hoch bezahlten Architekten und Bauingenieuren nicht der Fall gewesen war. Er wollte niemanden engagieren, dessen Ego größer war als die Interessen der örtlichen Gemeinde. Schließlich ging es darum, seinen Traum zu verwirklichen.

»Mann, war das gut«, seufzte Luna genüsslich und wischte sich einen Rest Remoulade vom Kinn.

»Das freut mich, das war der erste Punkt der Must-Sees.«

»Und was folgt als Nächstes?«

»Hast du schon mal vom Golden Circle gehört?«

»Ja, im Flugzeug, das sind mehrere Attraktionen im Süden von Island, richtig?«

Er nickte. »Da wäre zum einen der Gullfoss, ein beeindruckender Wasserfall, die Geysire natürlich und das Althing. Hättest du Interesse, das alles zu sehen?«

»Bringt das nicht unseren Zeitplan durcheinander?«

Er schmunzelte in sich hinein. Pflichtbewusstsein war etwas, was man den Deutschen ja gern nachsagte. »Entspann dich, der Zeitplan ist flexibel.«

Sie kramte in ihrer Handtasche und holte ihr Handy hervor. »Ólafur Darri hat gesagt, dass ich in einer Mail alle weiteren Instruktionen bekommen würde. Den Vorvertrag habe ich vorhin schon unterzeichnet.«

»Machst du dir Sorgen deswegen?«

Sie lachte, es klang in der Tat ein wenig nervös. Magni fuhr in Richtung Gullfoss los. »Ich, äh, na ja. Ich weiß nicht. Sollte ich? Ich kann ja nicht mal den Namen des Oberbosses aussprechen. Snilugur … oder so ähnlich.«

Magni verstand gut, dass sie mit dem Namen Probleme hatte. Kaum jemand, der Isländisch nicht beherrschte, würde damit zurechtkommen. »Snælaugur Magnús Pálmarsson«, half er ihr aus.

Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Gott, ich sollte den Namen besser lernen, ehe ich ihm begegne. Du kennst ihn? Bist ja offenbar auch bei ihm angestellt.«

Magni war klar, dass er sich hier auf einem sehr schmalen Grat bewegte, aber er fühlte, dass sie noch nicht für die volle Wahrheit bereit war. »Grenivík ist eine sehr kleine Gemeinde, irgendwie arbeiten wir alle ein bisschen für ihn, wenn wir uns am Projekt beteiligen.«

»Und was ist dein Job?«

»Ich bin sozusagen dein Kindermädchen. Fürs Erste.«

»O-kay«, gab sie lang gezogen zurück. »Dann hast du also nur deshalb die ganze Zeit da am Hotel herumgelungert?«

Er nickte. »So ungefähr, ja. Hat mich natürlich auch interessiert, wer das Rennen macht. Und letztlich bin ich dafür verantwortlich, dir ein bisschen die Gegend zu zeigen: Du sollst Island verstehen, ehe du mit der wirklichen Arbeit anfängst.«

»Warum hat dieser Snä-snä-snilugur, Hilfe, ich werde diesen Namen nie lernen, dann keinen Isländer eingestellt?«

»Soweit ich informiert bin …« Er hüstelte. Gott, er hasste es, sie anzuflunkern, aber wenn er ihr jetzt sagte, dass er besagter Boss war, würde sie vor Ehrfurcht erstarren. Er wollte sie erst ein wenig besser kennenlernen, die echte Luna, ehe sie erfuhr, dass er der Bauherr war. Das Wissen über sein Vermögen veränderte den Blick der Leute auf ihn, das mochte er nicht. In Grenivík war das zum Glück nicht der Fall, dort war er aufgewachsen, für die Leute war er einfach nur Magni, wie er seit Kindertagen gerufen wurde. »Also, soweit ich informiert bin, hat er mit sehr vielen Leuten Gespräche geführt, aber niemand hat ihm zugesagt, deshalb kam dann diese internationale Ausschreibung. Mein Auftrag lautet also: dir Land und Leute näher zu bringen. Ein bisschen was von der Natur zu zeigen und dabei zu erklären, wie die Menschen hier so ticken.«

»Das klingt logisch. Ich freu mich auf jeden Fall. Immer noch fühlt sich das alles wie ein Traum an.« Lunas Wangen waren gerötet, sie wirkte auf einmal jung, sehr jung.

»Wie alt bist du noch mal?«

»Dir ist schon klar, dass man Frauen ab dreißig diese Frage nicht mehr stellen darf, oder?«

Er hob eine Braue. »Du bist nie und nimmer dreißig.«

Sie lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, bin ich nicht. Ich bin siebenundzwanzig. Ich wollte dich nur vorwarnen.«

Ihr Handy brummte. Er bekam mit, dass sie ihr Gesicht verzog.

»Schlechte Nachrichten?«, wollte er wissen, während sie Reykjavík hinter sich ließen.

»Nicht wirklich, nein. Nur Familienangelegenheiten, um die ich mich jetzt nicht kümmern möchte.«

»Verstehe«, erwiderte er, obwohl er natürlich keine Ahnung hatte. Soweit er wusste, hatte Luna nur eine Mutter, der Vater war nicht in ihrem Lebenslauf erwähnt. Sie war zudem ein Einzelkind. Gott, er fühlte sich schon fast wie ein Stalker, was er natürlich nicht war. Die Informationen über Luna hatte er nur noch im Kopf, weil es um das Projekt ging. Er hatte sie von jedem Kandidaten gelesen, aber nicht von allen die Details behalten.

Er fuhr ein bisschen schneller, weil er sich nicht mit gewissen Gedankengängen beschäftigen wollte. Der strenge Blick seiner Schwester fiel ihm wieder ein.

Nein, seine Entscheidung bezüglich Luna hatte rein gar nichts damit zu tun, dass er sie attraktiv und anziehend fand. Sie war nur ausgewählt worden, weil sie die perfekte Kandidatin dafür war, sein Traumprojekt zu realisieren. Er hatte es an ihrem Instagram-Account gesehen und an der Art, wie sie mit Menschen umging. Und an ihren Antworten. Luna würde mithilfe des Teams eine neue Perspektive für Grenivík erschaffen, und er freute sich wahnsinnig auf die Monate, die vor ihnen lagen.

3

Luna war hundemüde. Sie konnte kaum noch die Augen offen halten. Dunkel war es schon lange, sie hatte das Gefühl für Raum und Zeit verloren. Nach dem beeindruckenden Gullfoss-Wasserfall waren sie zu den Geysiren und anschließend noch zum Althing, dem alten Parlament, gefahren, wo schon vor tausend Jahren Gesetze beschlossen worden waren.

Obwohl sie aufgekratzt war, sehnte sich ihr Körper nach Ruhe. »Wo gehts jetzt noch hin?«, fragte sie mit letzter Kraft. Magni wirkte im Gegensatz zu ihr völlig frisch, so, als hätte ihn diese Tour zusätzlich belebt. Aber ihm steckte auch kein zweitägiges Assessment-Center in den Knochen.

Es wäre so einfach, die Lider zu schließen und zu schlafen. Sie waren sicher noch eine ganze Weile unterwegs, aber sie hatte Angst, dass sie sabberte oder peinliches Zeug im Schlaf redete. So gut kannte sie ihn schließlich nicht, dass sie sich völlig fallen lassen konnte – egal, wie verlockend der Gedanke jetzt war.

»Es tut mir leid, ich glaube, das war alles zu viel, oder?«, meinte er entschuldigend.

»Was, nein? Es war großartig, ich bin einfach nur erledigt.«

»Das ist verständlich, pass auf, ich habe eine Idee.« Er fuhr ein wenig schneller, obwohl er sowieso schon – für Lunas Geschmack – flott unterwegs war. Fünf Minuten später bogen sie auf den Parkplatz eines Hotels ab.

»Äh, was machen wir hier?«

»Na, übernachten. Was denkst du denn?«

Sie setzte sich auf. »War das geplant?«

Magni schaute sie kurz an, dann lachte er auf. »Nein, aber das ist die nächste Lektion über uns Isländer: Man kann nicht alles planen, manchmal muss man einfach aus dem Bauch heraus entscheiden. Du bist müde und sehnst dich nach einem Bett. Ich soll dir Island zeigen, das geht am besten, wenn es hell ist. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Du schläfst dich aus, und wir fahren dann morgen früh weiter.«

»Aber ich habe doch Termine …«, wandte sie ein.

»Nichts, was man nicht verschieben könnte.«

»Und das weißt du so genau, weil …?«, wollte sie von ihm wissen. Ihr Tonfall klang skeptisch.

»Ich weiß es eben«, gab er gut gelaunt zurück. Magni stellte den Motor ab und stieg aus, holte das Gepäck aus dem Kofferraum und wandte sich in Richtung Eingang. »Guck mal hoch, siehst du die Nordlichter?«

Sie rieb sich die Augen und schaute hinauf zum Himmel.

---ENDE DER LESEPROBE---