Styling deluxe - Carmen Reid - E-Book

Styling deluxe E-Book

Carmen Reid

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Beschreibung

Romantischer und humorvoller Lesespaß mit Annie Valentine von der englischen Bestseller-Autorin Carmen Reid Outfit gut, alles gut! Das ist Annies Motto. Da kommt ihr das Angebot eines Fernsehsenders, graue Mäuse in wahre Supermodels zu verwandeln, gerade recht. Und solange sie die Anweisungen befolgt, läuft alles glatt. Doch Annie hat ihren eigenen Kopf, was bald nicht nur ihr Chef, sondern auch ihr Herzallerliebster zu spüren bekommt… feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Gefühl: 3, Erotik: 1, Humor: 2 »Styling deluxe« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Seitenzahl: 426

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Ähnliche


Carmen Reid

Styling deluxe

Roman

Aus dem Englischen von Elisabeth Hartmann

Knaur e-books

[home]

1.

Dr. Yasmin, »Kosmetikerin«, bei der Arbeit:

Weißer Arztkittel (Sanitätshaus)

Weiße Gazemaske (dito)

Hochgeschlossenes Kleid in Schwarz und Pink (Alexander McQueen)

Hochhackige pinkfarbene Slingback-Peep-Toes (Christian Louboutin)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 960 £

»Und wie fühlt sich das jetzt an?«

Halten Sie hübsch still, das wird jetzt ein bisschen unangenehm.«

Annies Herz begann zu hämmern. Wenn eine Expertin in makellos weißem Kittel, mit Mundschutz und Latexhandschuhen, eine Spritze in der Hand, einen warnt, dass es »ein bisschen unangenehm« wird, dann weiß man, dass es gemein weh tun wird …

»Hübsch stillhalten!«, wiederholte die unverschämt teure »Kosmetikerin« von der Harley Street, als Annies Gesicht instinktiv der Nadelspitze ausweichen wollte.

Und dann – autsch! – drang die Spitze ein, und sie fühlte ihren allerersten Schuss Botox kühl in die störenden Zornesfalten zwischen ihren Augenbrauen strömen.

Autsch! Autsch! Autsch! Es tat weh. Warum hatte ihr niemand gesagt, wie weh es tat? Und die »Frau Doktor«, die wahrscheinlich nichts weiter als eine aufgemotzte Zahnarzthelferin mit ausgesprochen schicker Klientel war, nahm sich als Nächstes ihre Stirnfalten vor. Da oben war die Haut sogar noch dünner. Das würde richtig piksen.

Dr. Yasmins Assistentin drückte Annie ein Papiertüchlein seitlich ans Gesicht, um die Schmerzenstränen aufzufangen, die still aus ihren Augen quollen.

Um sich von diesem Horror abzulenken, verdrehte Annie die Augen zur Zimmerecke hin, in der dick und fett vier große Einkaufstüten an einem Stuhl lehnten.

Diese Tüten hatte sie nicht aus ihrem Sichtfeld lassen wollen, und es wirkte beschwichtigend, jetzt rasch einen verstohlenen Blick auf sie zu werfen. Diese vier prallen Tüten repräsentierten etwas sehr Wichtiges. Entscheidendes. Grundsätzliches. Diese vier Hochglanztüten symbolisierten das Ende ihrer alten Karriere und den Beginn einer komplett brandneuen, glanzvollen Phase.

Als alte Häsin in der Weiterbildung war Annie Valentine im Begriff, auf die tollste vorstellbare Weise die Karriereleiter hinaufzuklettern. Sie hatte neun ganze Jahre lang in Londons glamourösestem, teuerstem Modezentrum, The Store, gearbeitet und nahm jetzt ihren Abschied.

In The Store war sie die Spitzenkraft gewesen, die bekannteste persönliche Einkaufsberaterin, der man das größte Vertrauen entgegengebracht hatte. Sie hatte Frauen aus allen erdenklichen Schichten eingekleidet, gestylt und neu erfunden. Kurzum, es gab nichts in Sachen Mode und Kleiderkauf, was Annie nicht wusste. In wenigen rasanten Minuten konnte sie eine Person von Kopf bis Fuß abchecken und ihr mehr über für sie tragbare Formen, Größen, Farben und Schnitte beibringen, als die zeitaufwendige und mühselige Schlepperei durch die Umkleidekabinen je hätte leisten können.

Die Arbeit in The Store hatte auch sie selbst im Lauf der Jahre verändert. Ihr straffer hoher Pferdeschwanz war immer blonder geworden. Die etwas zu gedrungene und zu kurvenreiche Figur war durch teure High Heels, eine kerzengerade Haltung und eine gute Portion Lycra an den richtigen Stellen geliftet und gestreckt worden. Jetzt, in den … hm … späten Dreißigern suchte sie Dr. Yasmin auf, weil ein paar ärgerliche kleine Runzeln sie nicht verraten sollten.

Annie war bewusst, dass sie mehr als nur einen Job hinter sich ließ. Im Verlauf dieser neun Jahre war The Store ihr ein zweites Zuhause geworden. Als sie ihren Mann verloren hatte, konnte sie sich im The Store verlieren; als sie darum kämpfte, das Schulgeld für ihre zwei Kinder aufzubringen, hatten ihre Kundinnen aus dem Store sich zusammengetan und ihr Nebenjobs geboten. Selbst der neue Mann in ihrem Leben, Ed, verstand, obwohl er keinen Schimmer von Mode hatte, voll und ganz, wie wichtig The Store in Annies Leben war.

Aber sie würde gehen! Würde alles aufgeben, ihren Job, ihre monatliche Provision (ganz zu schweigen von den regelmäßigen Bonuszahlungen an sie als beste Verkäuferin), ihren überaus verlockenden Mitarbeiterrabatt (die Art von Rabatt, die es möglich machte, dass Marken, von denen sie zuvor nur hatte träumen können, jetzt in ihrem Kleiderschrank hingen) und die Mitarbeiterinnen, die zu ihren besten Freundinnen geworden waren.

Annie war im Begriff, das alles hinter sich zu lassen, weil ihr die vielleicht einmalige Chance im Leben geboten worden war, ein echter Fernsehstar zu werden. Oh ja! Sie musste sich immer noch kneifen, um es glauben zu können.

Nach zweimaligem Casting und einer Probeaufnahme hatte sie schließlich den Anruf erhalten. Und jetzt sollten Annie und ihre lachhaft reiche frühere Kundin und jetzige Bekannte Svetlana Wisneski die Styling-Gurus in einer neuen Show auf Channel Five werden, Wonder Women.

Hm, ja, ehrlich gesagt war Annie auch nicht gerade restlos begeistert vom Namen der Serie, aber vielleicht war ja noch Zeit zum Umdenken.

Die Einkaufstüten in der Ecke von Dr. Yasmins Praxis enthielten das Rahmenkonzept für eine Moderatorinnen-Garderobe, das Annie an diesem Tag in einer sechsstündigen Nonstop-Einkaufsorgie zusammengestellt hatte.

In diesen Tüten – zwei von The Store, eine von Prada und eine von H&M – befand sich die Quintessenz von neun Jahren Shopping-Kompetenz.

In Erwartung der Summen, die sie nun verdienen würde, hatte Annie sich gestattet, diverse erstaunliche Schätze zu erstehen, wie zum Beispiel die komplizierten Stiefeletten vom besten Schuhmacher in London und die mit Edelsteinen besetzten Römersandalen aus Leder von der unnachahmlichen Miu Miu.

Hinzu kamen noch ein paar eher praktische Sächelchen: Tops mit U-Ausschnitt, Ketten und Armbänder von H&M, ein paar leuchtende Stretchkleider von ihrem amerikanischen Lieblingsdesigner und zwei architektonisch taillierte (sprich’s nicht aus: Westwood-)Jacken.

Außerdem hatte sie sich für rote Slingback-Pumps entschieden, für flotte Märsche von Geschäft zu Geschäft mit den Frauen, die sie transformieren würde, und für eine extravagante, leuchtend blaue, sahneweiche Seidenbluse von Chloé.

Doch die wunderbarste Errungenschaft von allen stellte der Prada-Rock dar, so behutsam wie ein Museumsexponat in Lagen von Seidenpapier eingeschlagen. Die Art von Rock, die man nicht in die Finger bekommt, wenn man einfach in einer Prada-Boutique aufkreuzt und auf das Beste hofft. Ausgeschlossen. Für dieses Meisterwerk – Plissee, Crinkle, im Dip-Dye-Look – hatte sie sieben Wochen lang auf der Warteliste gestanden und genau gewusst, dass es den Laden verlassen würde, ohne auch nur mit einem Kleiderbügel in Berührung gekommen zu sein.

Alles, was sie gekauft hatte, leuchtete und war farbenfroh, weil sie wusste, dass das Fernsehen Farben aufsaugte, und sie vermutete, dass die Frauen, die sie transformieren sollte, die Graue-Maus-Farben der Unsicheren oder nicht Modebewussten tragen würden.

Gekostet hatte der Shopping-Trip … tja … einschließlich der Jimmy-Choo-Stiefeletten … Oh – mein – Gott! Knapp über viertausend Pfund. Und dann das Botox bei der schicken Dr. Yaz, noch einmal sechshundert Pfund. Autsch!

Ed hatte sie gewarnt. Er hatte sie ermahnt, sich nicht zu sehr in die Vorbereitungen für diese Fernsehmoderation zu verrennen, solange sie nicht genau wusste, wie viel Geld sie bekam und wie lange der Job dauerte. Doch es war schwer gewesen, sich nicht ganz furchtbar zu freuen. Channel Five! Und hatte der Produzent, Donnie (»Nenn mich Finn«) Finnigan, nicht immer wieder betont, wie viel »Potenzial« er in Wonder Women »erspürte«? Hatte er nicht mit Phrasen um sich geworfen wie »Besser als Trinny and Susannah« und »Nimm dich in Acht, Gok Wan«?

Die Produktion sollte schon in ein paar Wochen anlaufen, also brauchte sie wirklich dringend etwas zum Anziehen! Finn wartete nur noch darauf, die »endgültigen Details« vom »Ausschuss« zu erfahren, und er hatte versprochen, sich an diesem Nachmittag bei Svetlana und Annie zu melden. Deshalb wollte Annie sich, sobald Dr. Yaz mit ihren Folterinstrumenten durch war, mit Svetlana treffen, um mit ihr zusammen zu sein, wenn Finn sie benachrichtigte.

»Komm zu mir nach Hause«, hatte die volltönende melodische Stimme der ukrainischen Schönheit am Telefon gesagt, der man die Mayfair-Millionen wie einen Akzent anmerkte.

»Zu dir nach Hause?«, wiederholte Annie überrascht. Obwohl Svetlana etwa sechs Jahre lang kaum jemals auch nur einen Gürtel ohne Annies Beratung gekauft hatte, war dies Annies erste Einladung in Svetlanas dreistöckige erstklassige Scheidungsabfindung in Belgravia.

Doch sie würden jetzt zusammenarbeiten. Annie gehörte nicht mehr zu Svetlanas Dienstpersonal: Sie stand kurz davor, ihre Kollegin zu werden, ein bisschen mehr auf Augenhöhe mit ihr zu kommen – sogar ihre Freundin zu sein? Das bedeutete interessantes neues Territorium. Zumindest in ihren alten Rollen hatten sie genau gewusst, wo sie standen: Svetlana, die Exfrau zweier Multimillionäre und eines Milliardärs, und Annie, die persönliche Einkaufsberaterin ihres Vertrauens … in London. Augenscheinlich existierte eine weitere persönliche Einkaufsberaterin in Paris, eine in New York und eine etwas weniger strapazierte in Moskau (»Nur für Pelze, sie weiß gar nichts, dieses Landei aus Sibirien«).

»Und wie fühlt sich das jetzt an?«, fragte Dr. Yasmin heiter.

Zwar hätte die ehrliche Antwort gelautet: »Als würden Sie eine lange spitze Nadel in meine Stirn stechen!«, doch Annie gelang ein etwas höflicheres »Ganz gut«, während die Assistentin nicht aufhörte, ihre tröpfelnden Tränen abzutupfen.

Ed würde nie im Leben gutheißen, was sie hier tat. Auf seine liebe Art versicherte er ihr ständig, dass er sie so liebte, wie sie war. Im Grunde hatte er allerdings keine Ahnung. Sie erschauderte bei dem Gedanken, wie sie in Wahrheit aussehen würde, wenn sie nicht mehr epilieren, zupfen, Strähnchen färben, maniküren, Make-up auflegen und sich mit Sorgfalt und Konzentration kleiden würde.

Falls er je von dem Botox und dem Shopping-Trip erfuhr, würde er einen seiner seltenen, aber trotzdem unangenehmen Anfälle bekommen. Doch er brauchte ja nichts zu erfahren, nicht wahr? Sie verbarg ihre eigenen ernsthaft überstrapazierten Kreditkarten streng vor seinen Blicken und speicherte die Rechnungen sorgfältig online. Außerdem fiel eine Botox-Behandlung Männern offenbar grundsätzlich nicht auf. Sie hatte sie auf Svetlanas Empfehlung hin lediglich wegen des durchdringenden Blicks der Fernsehkameras auf sich genommen.

Wenigstens war die Unterspritzung jetzt vorbei, und Annie durfte sich aufsetzen und das Ergebnis im Spiegel begutachten.

»Nun, es mag in den nächsten paar Tagen noch ein bisschen aufgedunsen und blutunterlaufen aussehen, und ich warne meine Klientinnen immer …«, setzte die Ärztin an.

Oh nein, jetzt kam sie wieder mit ihren Warnungen, und Annie hatte schon bei der ersten Besprechung so angestrengt weggehört: teilweise Lähmungen, Herzstillstand, Schlaganfall, bla, bla …

Aber nein, Frau Doktor verfügte über neue Informationen. »Es könnte Ihnen schwerfallen, Ärger, Schrecken oder starke Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht müssen Sie Ihre Gefühle verbalisieren«, erklärte sie.

»Gut.« Annie nickte und starrte auf ihre Stirn im Spiegel. Die Falten waren weg! Völlig verschwunden! Ausradiert! Erstaunlich! Sobald sie ihr Fernsehgehalt in den Händen hielt, würde sie alle drei Monate hierherkommen. Die Frau Doktor hatte nichts Geringeres als ein Wunder vollbracht.

»Das ist ja genial, danke!«, rief sie aus und versuchte, der Frau Doktor ein entzücktes Lächeln zu schenken, spürte jedoch ein dumpfes Spannen vom Kopf her, als ihre Stirn vergeblich versuchte, sich gemäß der dazugehörigen Mimik zu verziehen.

»Das ist ein komisches Gefühl«, fügte sie hinzu.

»Ja, es dauert ein bisschen, aber Sie gewöhnen sich daran.«

Dr. Yasmin nahm den Mundschutz ab und verzog nur die untere Gesichtshälfte zu einem vorsichtigen Lächeln, das Annie auf Anhieb verstand.

Als sie an der Rezeption ihre gepfefferte Rechnung beglich, begann Annies Handy zu summen. Sie griff danach, warf einen Blick auf das Display und fragte sich, ob ihre Tochter Lana, sechzehn, nach der Schule anrief, weil sie kein Taschengeld mehr hatte, oder ob ihr Sohn Owen, zwölf, nach der Schule anrief, weil er nichts mehr zu essen hatte.

Nein. Es war Ed.

Annie meldete sich, bereute es jedoch sogleich in der leisen Panik, er könnte irgendwie über das Telefon mitbekommen, dass sie nahezu fünf Riesen für ihre immer umfangreicher werdende Garderobe und ihr frisch geglättetes Gesicht ausgegeben hatte.

»Annie?«, fragte Ed.

»Hallo, Schätzchen!«, erwiderte sie. »War’s schön in der Schule?«

Ed unterrichtete an der Schule ihrer Kinder. Trotz ihrer früheren Überzeugung, dass sie, ganz gleich, wo in der Welt sie suchte, nie im Leben wieder einen guten Mann finden würde, hatte sie, wie das Schicksal so spielt, nicht in die Ferne schweifen müssen. Sie hatte nur sehr, sehr oft genau hinsehen müssen, bis sie ihn endlich entdeckte.

»Ja«, antwortete er.

Bevor er noch mehr sagen konnte, rasselte sie ihre Fragen herunter. »Hast du die Wäsche aus der Reinigung geholt?«

»Ja.«

»Und Katzenfutter besorgt? Das Päckchen für mich abgeschickt?«

»Zweimal ja.«

»Und den Scheck für Lanas Tennis-Sache ausgestellt?«

»Ja, Mutter«, scherzte er.

»Danke, du bist brav.«

»Sehr, sehr brav«, erinnerte er sie. »Wetten, du hast nichts wegen der Frontscheibe des Jeeps unternommen?«

Ach, Mist!

Der große klapprige schwarze Jeep, in dem sie immer noch in London herumdüste, hatte einen ernstzunehmenden Knacks in der Windschutzscheibe. Auf der Versicherungspolice stand ihr Name, also hätte sie anrufen müssen, um die Sache zu klären.

»Tut mir leid, ich versuche, daran zu denken«, entgegnete sie.

»Wo steckst du überhaupt?«, wollte Ed wissen. »Wann kommst du nach Hause? Und was möchtest du essen?«

»Was immer du kochst«, schlug sie vor. »Das ist immer gut. Ich brauche noch ein bisschen Zeit; Svetlana will, dass ich sie zu Hause besuche, in Mayfair! Und wir erwarten den Anruf, du weißt schon, von dem Fernsehproduzenten.«

»Uuh! Wegen Geld?«

»Hoffen wir’s.«

»Ich habe meine Frührente schon beantragt«, zog Ed sie auf.

»Habe ich auch was davon?«

»Oh ja, keine Angst, hin und wieder wirst du zu einem kleinen Trip auf die Jacht eingeladen. Wenn du dich von deinen hektischen Fernsehterminen freimachen kannst.«

»Das ist sehr großzügig! Du, sonnenbraun und durchtrainiert, das ganze Jahr über mit dem Boot unterwegs …«

»Ja, der absolute Annie-Magnet.«

»Schön …« Annie überließ sich noch ein wenig dieser Vorstellung, musste dann jedoch die Jacht verlassen und in die Wirklichkeit zurückkehren. »Und wie geht’s den anderen?«, fragte sie.

»Gut«, antwortete Ed. »Lana ist noch in der Schule, muss bis sechs an irgendeinem Projekt arbeiten, dann kommt sie zum Essen nach Hause, und danach geht sie zu Greta, angeblich, um über das Projekt zu sprechen. Owen übt ein bisschen auf der Geige, dann bringe ich ihn zu den Pfadfindern.«

Das Familienleben war unerbittlich. »Schaffst du das alles?« Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen. »Wolltest du dir nicht irgendein Konzert anhören?«

Ed war Musiklehrer, Musiker und begeisterter Konzertgänger. Für ihn bedeutete der Besuch eines Konzerts, eines Auftritts oder ganz allgemein einer Musikveranstaltung Entspannung; wenn er das nicht ein paar Mal pro Woche hatte, wurde er brummig.

»Nein, ist schon gut«, beteuerte er, »ehrlich. Fahr nur nach Mayfair. Triff dich mit der Ukrainerin.«

Vor Dr. Yasmins Praxis winkte Annie ein Taxi heran. Kostspielig, aber sie konnte doch schlecht mit dem Bus fahren, oder? Nicht mit einer Prada-Einkaufstüte und dem Gesicht voller Botox.

Außerdem schaffte sie es dank der Zeitersparnis durch ein Taxi vielleicht noch nach Hause, wenn Ed unterwegs war, um Owen zu den Pfandfindern zu bringen. Dann könnte sie ihre vier Tragetaschen voller Beute in ihr Büro hinaufschmuggeln, ohne peinliche Fragen beantworten zu müssen.

Sie sah auf die Uhr … ja, aber dann musste sie sich beeilen. Bei dem Gedanken, was Finn ihnen in der nächsten Stunde mitteilen würde, wurde ihr flau im Magen.

[home]

2.

Svetlana in ihrem Fitness-Studio:

Weißer Catsuit aus Lycra (Move Dancewear)

Goldene Armbanduhr mit Diamanten (Cartier)

Einkarätige Diamant-Ohrringe (Ehemann Nr. 2)

Diamantring, drei Karat, mit Rubinen (Ehemann Nr. 3)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 197 600 £

»Vielleicht solltest du mit mir trainieren …«

Die Taxifahrt von der Harley Street bis Mayfair führte zwanzig Minuten lang durch einige der allerschicksten Straßen von London. Vorbei an den Flagship-Stores von Oxford Street, an den eleganten Autosalons von Park Lane entlang und durch Straßen mit den vornehmsten, imposantesten roten Backsteinhäusern, die London zu bieten hat.

Durch stille Straßen, an denen schwarze Geländer auf Hochglanz poliert, wo Haustüren dunkel und glänzend wie Lackleder waren und selbst die Pflanzen und Blumen in den Fensterkästen manikürt wirkten.

Und dann die Fußgänger! Standen womöglich Wachtposten an der Grenze zu Mayfair, um Leute abzuwehren, die ihr Haar nicht gestylt und mit Strähnchen aufgefrischt, kein topmodisches Designer-Outfit angezogen und keine sehr, sehr teure Handtasche gekauft hatten?

Der Taxifahrer hielt vor einem Haus, das so imposant war, dass Annie noch einmal die Hausnummer überprüfte, bevor sie sich traute zu klingeln.

Ja, laut dem Zettel, den sie hinten in ihr großes ledernes Filofax gesteckt hatte, war Nummer sieben eindeutig richtig. Du liebe Zeit, sie musste aktualisieren, ihren Terminplaner aus Leder und Papier ausrangieren und einen weiteren Vorstoß in die digitale Datenwelt wagen! Inzwischen konnte sie doch sicher mit einem BlackBerry umgehen, oder? Die gab es sogar in Pink, und sie würde immer alle Daten auf der Stelle sichern, damit es nie wieder zu einem Totalverlust-Trauma kam wie seinerzeit bei ihrem ersten Palm Pilot.

Als die glänzend schwarze Tür sich öffnete, wurde Annie von einem Hausmädchen – klein und zierlich, vermutlich Filipina – in schwarzem Kleid mit weißem Schürzchen in Empfang genommen.

»Ms. Valentine?«, fragte das Mädchen mit einem Lächeln. »Ms. Wisneski erwartet Sie. Treten Sie bitte ein und fühlen Sie sich wie zu Hause.«

»Danke«, sagte Annie und schenkte dem Mädchen ein Lächeln, soweit es das frische Botox denn zuließ.

Immer noch schwer beladen mit ihren vier prall gefüllten Einkaufstüten, schob Annie sich in die Eingangshalle, wo sie staunend stehen bleiben musste.

Augenscheinlich waren Wände entfernt und Dachflächenfenster eingesetzt worden. Clevere, sehr teure Architekten hatten hier gewaltet. Obwohl Annie durch die Tür eines viktorianischen Backsteinhauses eingetreten war, befand sie sich jetzt in einer strahlend weißen modernen Création. Und die Gemälde! Sie kamen ihr bekannt vor, so als hätte sie sie schon einmal an den Wänden einer Galerie gesehen.

Svetlana – groß, ganz die üppige, hinreißende Schönheitskönigin, eigenen Angaben zufolge »paarunddreißig« Jahre alt – war bisher dreimal verheiratet gewesen, mit immer reicheren Männern, die entweder gestorben waren oder sie immer jüngerer und schönerer Frauen wegen verlassen hatten. Am Ende ihrer dritten Ehe hatte sie sich einen eigenen Anwalt genommen und vor dem Scheidungsgericht eine achtstellige Abfindung verlangt, was die Daily Mail zu der Schlagzeile inspirierte: »Unersättliche Exfrau zapft Vermögen des Gasbarons an«. Das hatte ihr ein Fotoshooting in ihrem Haus fürs OK!-Magazin eingebracht und seither jede Menge Beachtung in der Presse.

Schließlich war sie immer noch die Mutter von Igor Wisneskis zwei Söhnen. Und die kleinen Jungen (neun und sieben Jahre alt) stellten die einzigen direkten Erben eines gigantischen Vermögens dar.

Svetlanas Schlacht vor dem Scheidungsgericht zeitigte eine weitere glückliche Folge. Sie war jetzt mit Harry Roscoff verlobt, dem kürzlich geschiedenen (einzig Svetlanas Schuld) Kronanwalt, der ihren Fall übernommen und so erfolgreich ausgefochten hatte. Svetlanas vierte Ehe versprach sehr anders zu werden. Harry bestand jetzt schon darauf, dass sie sich unabhängigen Rechtsbeistand suchte, um zu gewährleisten, dass sie, ganz gleich, wie diese Beziehung sich entwickelte, ihre hart erkämpften Vermögenswerte behielt und nie wieder eine mittellose Exfrau wurde.

»Was nicht heißt, dass ich dich jemals verlassen würde, mein Liebling«, hatte er beteuert. »Aber wenn du mich verlässt, kannst du alles behalten. Dann wäre mein Lebens sowieso nicht mehr lebenswert.«

Dieses Mal würde Svetlana trotz der bevorstehenden Hochzeit nicht umziehen und ganz bestimmt nicht verkaufen. Ihr Haus in Mayfair bildete ihre Sicherheit. Harry würde bei ihr wohnen.

»Glaubst du, ich lasse dieses ewige Heiraten umsonst über mich ergehen?«, hatte sie Annie gefragt.

»Warum noch einmal heiraten?«, wollte Annie wissen. »Wenn Harry dein Mann ist, kann er eines Tages Ansprüche auf deinen Besitz geltend machen.«

»Nein. Haben wir Vertrag«, versicherte Svetlana, bevor sie mit ihrem reizendsten Lächeln hinzufügte: »Ich liebe Hochzeiten! Bin ich so gerne Braut!«

Wie seine Besitzerin, so war auch das Scheidungsabfindungshaus zum Sterben schön, extrem pflegeintensiv und absolut geschmackvoll … wenn auch einen Hauch extravagant. Annies Blick wanderte zum Treppenhaus, in dem die ursprünglichen Holzstufen und -geländer durch eine Konstruktion aus Schmiedeeisen und Marmor ersetzt worden waren.

»Ms. Wisneski ist mit ihrer Trainerin oben«, erklärte das Mädchen.

»Ach so.« Annie versuchte noch einmal zu lächeln. »Soll ich irgendwo warten, bis sie fertig ist?«

»Nein, nein«, wehrte das Mädchen ab, »sie möchte, dass Sie zu ihr hochkommen.«

Also folgte Annie der zierlichen Frau die Treppe hinauf. Ihre Schritte hallten auf dem glänzenden grauen Marmor.

Das Mädchen öffnete eine Tür im ersten Stock und meldete Annie an. »Miss Valentine für Sie, Miss Wisneski.«

Während Annie den riesigen weißen, mit Matten, Spiegeln und einer komplizierten Hantelbank, die aussah wie ein Foltergerät, ausgestatteten Raum auf sich wirken ließ, jubelte Svetlana begeistert: »Annnnah!« Sie kam nicht zu ihr, um sie wie üblich mit einem Schnellfeuer ukrainischer Küsschen zu begrüßen, aber schließlich befand sie sich auch in Krebsstellung mit hängendem Kopf hintenübergebeugt.

»Hallo, meine Liebe«, begrüßte Annie sie. »Wie geht’s?«

»Gut!«, beteuerte Svetlana schwer atmend. »Lisa trainiert gerade meine Bauchmuskeln. Ich bezahle sie, damit die Muskeln stark werden wie bei Tänzerin.« Sie klatschte sich auf den Bauch, der so flach und fest war, dass es klang, als hätte sie mit der flachen Hand gegen eine Mauer geschlagen.

»Und sechsundzwanzig … achtundzwanzig … dreißig und hoch!«, bellte Lisa. Sie war eine zierliche Blondine mit straffer Figur, wie man sie nur bei eingefleischten Fitness-Fanatikerinnen wie Madonna oder Paula Radcliffe sieht.

Svetlana sprang auf die Füße, in einen weißglänzenden Catsuit gekleidet, der alles preisgab, was sie an Wölbungen, Nippeln und atemberaubenden Kurven aufwies, die ihr zur Miss Ukraine und manch anderem Titel danach verholfen hatten.

»Und Plié!«, kommandierte Lisa.

Gehorsam schlug Svetlana die Hacken zusammen, richtete ihre Zehen nach außen und begann, elegant die Beine zu beugen und zu strecken. Erst nach dem etwa vierzigsten Mal zeigte sie einen Hauch von Erschöpfung.

Annie sah mit unverhohlener Bewunderung zu. Sie wusste genau, dass sie Mühe haben würde, auch nur einen dieser Pliés auszuführen, geschweige denn an die hundert.

»Du warst shoppen!« Ohne den Rhythmus ihrer Übungen zu unterbrechen, wies Svetlana auf Annies Einkaufstüten.

»Ja!« Annie stellte die Taschen ab und fing eifrig an, sie auszupacken. Es war durchaus vorstellbar, dass sie im Fernsehen neben Svetlana wie ein Fettsack rüberkam, aber dann wollte sie doch wenigstens einen unglaublich gut gekleideten Fettsack abgeben.

»Ja! Oh ja! Hinreißend!«, jubelte Svetlana, als Annie ihr ein Kleid zeigte, dann die Stiefel und zuletzt den Rock.

In der Zwischenzeit setzte Lisa den Fluss ihrer strengen Anweisungen fort, und Svetlana begann, niedliche Hanteln in hundert verschiedene Richtungen zu stoßen, um Rücken und Armen die unglaublich erotische Prägung zu verleihen, die sie auf Annies Drängen früher in trägerlosen Valentino- und rückenfreien Armani-Kleidern vorgeführt hatte.

»Und mein Kopf«, Annie deutete auf ihre starre Stirn, »fällt dir was auf?«

»Jetzt ja«, antwortete Svetlana nach näherer Inspektion. »Du wirst im Fernsehen wunderbar aussehen«, vor Begeisterung klatschte sie zart in die Hände, »aber vielleicht solltest du mit mir und Lisa trainieren. Es heißt, Fernsehkameras machen dich um zehn Pfund dicker.«

»Oh!«, entfuhr es Annie leicht erschrocken. Insgeheim hatte sie gehofft, ihr brandneues extrastarkes Miederhöschen würde dem fleischigen kleinen Ersatzreifen um ihre Mitte den Garaus machen.

»Stört Lisa nicht, solange ich ihr ordentliches Weihnachtsgeld gebe. Sehr ordentliches«, fügte Svetlana mit einem Zwinkern in Lisas Richtung hinzu.

Lisa wandte sich Annie zu und musterte sie wenig schmeichelhaft von oben bis unten. Die Vorstellung einer zusätzlichen Klientin beim Training behagte ihr ganz eindeutig nicht besonders.

»Tja, ich müsste sie zuerst einschätzen«, überlegte Lisa, »und ärztlich untersuchen. Das kostet extra.«

»Ach, Lisa!«, rief Svetlana aus. »Bei Lisa kostet alles extra.«

»Ich habe eine lange Warteliste«, rechtfertigte Lisa sich und ergänzte mit einem hyperkritischen Blick zu Annie: »Und ich arbeite nur mit engagierten Klientinnen.«

Einer eingehenderen Beschäftigung mit dem alptraumhaften Szenario des gemeinsamen Trainings wurden sie durch das laute Piepen von Svetlanas Telefon enthoben.

Das zumindest vermutete Annie hinter dem winzigen glänzenden Stückchen Chromtechnologie, das Svetlana an sich riss und an ihr Ohr klemmte.

»Hallo, Svetlana hier … Ach, Finn! Wie schön, von dir zu hören! Ja, Annie ist bei mir.«

Nach einem Tastendruck konnte Annie Finn nun auch hören.

Urplötzlich bekam sie kaum noch Luft. Das war zu viel. Ihr war, als würde viel zu viel von diesem Anruf abhängen.

»Tolle Neuigkeiten, Kinder!«, begann Finn in seinem ewig optimistischen Tonfall. »Die Verträge sind endlich unterzeichnet. Puh! Wir sind startklar. Wir legen endgültig mit sechs Folgen von Wonder Women los. Wird zuerst auf dem Sender Home Sweet Home ausgestrahlt.«

Svetlana und Annie warfen sich einen bestürzten Blick zu. Home Sweet Home? Davon hatten sie beide noch nie gehört.

»Was soll das?«, fiel Svetlana ihm ins Wort. »Das ist nicht Channel Five.«

»Ähm … nein, ich weiß«, musste Finn zugeben, »das ist einer der kleineren Digitalsender. Aber er befindet sich total im Aufwind, und ich glaube, er hat genau die richtige Anhängerschaft für diese Sendung.« Wieder schien er vor Begeisterung überzusprudeln. »Wir sind überzeugt, dass einer der großen Sender die Show kaufen wird. Home Sweet Home ist erst der Anfang! Das sind doch großartige Neuigkeiten, Kinder! Glückwunsch! Juhuu!«, fügte er hinzu.

Annie und Svetlana lächelten einander unwillkürlich zu.

»Tja, nur noch eine kleine Sache …«, fuhr Finn fort. »Sie waren nicht glücklich damit, dass wir völlig unbekannte Gesichter einsetzen wollen. Damit wir einen etwas größeren Namen mit dabeihaben, müssen wir auf jeden Fall noch eine Co-Moderatorin hinzuziehen.«

Annie hatte Herzklopfen vor Panik. War das gut? War es schlecht? Sie hatte keine Ahnung. Dann würden also nicht nur sie und Svetlana moderieren … sondern noch jemand.

»Kennt ihr Miss Marlise?«, erkundigte Finn sich.

Während Svetlana den Kopf schüttelte, schoss Annie eine herrschsüchtige, miesepetrige Domina in den Kopf. Miss Marlise? War sie nicht mal in einer Sendung, die die Kinder …?

»Aus Der Lehrling?«, bohrte Finn weiter.

Ach du liebe Zeit! Annie erinnerte sich an sie. Sie war schrecklich. Eine Hexe durch und durch.

»Tja, sie ist dabei«, erklärte Finn, »und jetzt heißt es: Volle Kraft voraus! Ihr müsst nur noch eure Verträge unterschreiben, dann können wir mit der Recherche beginnen, und danach folgen so bald wie möglich die Dreharbeiten.«

»Und was kriegen wir bezahlt?«, fragte Svetlana unverblümt, obwohl sie Annie längst gestanden hatte, dass sie es gratis tun würde, weil sie schon immer, immer, seit sie in einem silbern glitzernden Bikini über das Miss-World-Podium geschritten war, ins Fernsehen gewollt hatte.

»Tja … hm … Miss Marlise hat offensichtlich einen guten Namen und daher einen großen Teil unseres Moderatorinnen-Budgets aufgesaugt«, setzte Finn inzwischen leicht zögerlich an, »und außerdem sind wir im Moment nur auf Home Sweet Home. Aber, Kinder, glaubt mir: Wenn ein größerer Sender die Serie kauft, ist für uns alle viel mehr Geld im Pott!«

Annie spürte, wie sich ihre Nägel in die Handflächen gruben. Das alles hörte sich nicht gut an. Das versprach nicht gerade das große Honorar, mit dem sie gerechnet hatte, oder? Was soll’s?, sagte sie sich, es war ein Anfang, und manchmal musste man Rückschläge hinnehmen, um weiterzukommen.

»Also«, Finn hielt inne, um Luft zu holen, »genau. Okay, für die ersten sechs Folgen, die etwa drei Monate Drehzeit benötigen werden, zahlen wir euch eintausendzweihundert Pfund pro Folge …«

Annie übte sich im Kopfrechnen. Sechs mal eintausendzweihundert Pfund, das ergab lediglich siebentausendzweihundert Pfund insgesamt! Das war schrecklich – viel, viel schlimmer als erwartet. Es entsprach etwa einem Viertel von dem, was sie angenommen hatte. Und sie hatte ihre Stelle gekündigt!

»Für euch beide zusammen«, ergänzte Finn.

Für sie beide zusammen? Wie sollte Annie drei Monate lang für nur dreitausendsechshundert Pfund arbeiten? Sie senkte den Blick auf ihre Einkaufstüten. Sie hatte gerade tausend Pfund mehr als das ausgegeben.

Trotz ihrer gelähmten Gesichtsmuskeln und der Warnung der Ärztin schaffte Annie es, »WIE BITTE?!« zu brüllen, auf eine Art, die ihre Wut, ihren Schock und ihre äußerste Empörung vortrefflich zum Ausdruck brachte.

[home]

3.

Annies Abschieds-Outfit:

Hautenges rotes Strickkleid mit phantastischem Ausschnitt und langen Ärmeln (Vivienne Westwood, mit Händlerrabatt)

Lila T-Bar High-Heels (Timi Woo, direkt aus China)

Klobige lila Perlen (Topshop)

Winzige Diamant-Ohrstecker (Tiffany über Ed)

Hauchdünne rote Nahtstrümpfe (Topshop)

 

Geschätzte Gesamtkosten: 580 £

»The show must go on.«

Es war zwei Minuten vor neun Uhr abends, und Annie rotierte. Sie rückte die auf dem Tapeziertisch in der Einkaufsberatungssuite aufgereihten Sektgläser zurecht. Sie zupfte an dem pinkfarbenen Tischtuch, damit es wirklich perfekt hing. Sie veränderte kaum merklich die Ausrichtung der Sektflaschen.

Das war’s. Das war’s endgültig.

Nach neun Jahren stand ihr Abschied von The Store unmittelbar bevor. Von dem glänzenden und glamourösen, luxuriösen Haute-Couture-Kaufhaus in Knightsbridge in London, das sie all diese Jahre lang glücklich ihren Arbeitsplatz genannt hatte. Nun ja, okay, sie hatte es schon einmal verlassen, doch der Grund war eine ungerechtfertigte Entlassung gewesen und sie innerhalb von Monaten zurückgekehrt.

Jetzt ging sie wirklich. Dies war ein Abgang in Glanz und Gloria. Endgültig. Für immer.

Sie ließ den Blick durch die mit dickem Teppich ausgelegte Suite mit ihren pinkfarbenen Samtvorhängen und leuchtend pinkfarbenen Sofas schweifen. Nie mehr würde sie sich hier mit ihren Kundinnen, alten wie neuen, aufhalten. Nie mehr kritisch mit ihnen in diese mannshohen Spiegel schauen, nie mehr die Ständer voller wunderbarer, herrlicher Kleider durchwühlen, die aus den glitzerweißen verglasten Etagen voll umwerfender Mode heraufgebracht worden waren.

Annie zweifelte nicht daran, dass sie die Kleider fast so sehr vermissen würde wie die Menschen hier. Ganz zu schweigen von ihrem Personalrabatt, der ihr bei der Zusammenstellung ihrer lebhaft bunten und äußerst vielseitigen Garderobe geholfen hatte. Von Prada bis Primark, von Alexander McQueen bis Zara: Ihre Garderobe (die mittlerweile drei Schränke plus all die Kisten und Taschen im Gästezimmer füllte) deckte das gesamte Spektrum ab.

In einer Ecke der Suite befand sich die kleine Zelle, die ihr die ganze Zeit über als Büro gedient hatte. Annie hatte ihren Laptop bereits ausgestöpselt und in seiner Tasche verstaut. Sie hatte die Familienfotos von den Wänden genommen, eine riesige Sammlung von Modemagazinen im Papiercontainer entsorgt und das gesamte Sammelsurium ihrer Habseligkeiten aus ihren Schreibtischschubladen eingepackt: verlorene Knöpfe, Strümpfe mit Laufmaschen, Nadeln, Kugelschreiber, Namensschildchen, Polaroidfotos von Kundinnen, Dankesbriefe von entzückten Klientinnen.

Es hatte sie fast eine Stunde und jede Menge stiller Tränen gekostet, das alles zu erledigen. Jetzt, um Punkt neun Uhr abends, schloss The Store seine Türen zur Nacht, und die Belegschaft sowie Annies Familie und Freunde kamen in die Suite hinauf, um auf ihr Wohl zu trinken und ihr alles Gute zu wünschen.

»Geht’s dir gut, Schätzchen?«, rief Paula, ihre schöne, schlanke schwarze Exassistentin in spe, als sie auf schwindelerregenden Absätzen mit einer riesigen Platte voll Canapés in die Suite eilte.

»Ja, ganz bestimmt!«, versuchte Annie fröhlich zurückzuzwitschern, doch es klang nicht ganz überzeugend.

Paula stellte die Canapés ab, stürzte sich auf Annie und schloss sie in die Arme.

»Ich bin am Boden zerstört, weil du gehst«, gab Paula zu. »Es würde mich kränken, wenn du nicht traurig wärst, meine Liebe, aber für dich ist es so toll! Du kommst ins Fernsehen. Du wirst ein Star! Von nun an ist der Annie-Valentine-Stil nicht nur den Damen vorbehalten, die sich das Shoppen hier leisten können. Jetzt ist er etwas für alle!«

Na ja, für alle, die den Sender Home Sweet Home sehen, von dem ich übrigens bis gestern nie gehört hatte, dachte Annie.

Mit einem wachsenden Kloß im Hals sagte sie zu Paula: »Das ist lieb von dir, Schätzchen, richtig lieb«, und drückte sie fest an sich.

»Lass dich anschauen!«, verlangte Paula und trat einen Schritt zurück, um ihre frühere Mentorin zu begutachten.

Annie hatte ihr Haar zu dem für sie typischen hohen Pferdeschwanz zusammengefasst. Ihr leicht gebräuntes Gesicht mit den braunen Augen, feinen Zügen und dem gewinnenden Lächeln wirkte lebhaft und heiter. Paula glaubte, dies wäre allein auf Annies Sitzung mit dem hochbegabten Mädchen unten in der Kosmetikabteilung am Bobbi-Brown-Tresen zurückzuführen. Von dem Botox wusste sie nichts.

»Du siehst hinreißend aus!«, beglückwünschte Paula sie eilig. »Westwood zeigt, was du hast. Heiß!«

Das rote Kleid, das Annies vollbusige Figur an den genau richtigen Stellen betonte oder kaschierte, war nicht neu. Es handelte sich um ein erprobtes und bewährtes Lieblingsstück, auf das sie sich immer verlassen konnte.

Wie sie ihren Kundinnen einzuschärfen pflegte: »Große, nervenaufreibende Ereignisse sind nicht der richtige Zeitpunkt, um ein neues Outfit auszuprobieren. Man fühlt sich sicherer, wenn man etwas schon Vertrautes, Zuverlässiges trägt. Warum sonst sind Bräute immer so unsicher?«

»God Save the Queen!«, zitierte Annie scherzhaft ihren und Paulas Code für Westwood. (»God Save the Queens« bedeutete Dolce und Gabbana.)

»Lang lebe die Königin!«, gab Paula noch eins drauf.

»Mein Personalrabatt wird mir wirklich entsetzlich fehlen«, gestand Annie mit einem Seufzer.

»Ganz bestimmt, Annie Valentine!«, musste Nadine, eine der Verkäuferinnen, die gerade die Suite betraten, ihr zustimmen.

Sie führte ein Aufgebot von etwa zehn weiteren Kolleginnen an. Jetzt konnte die Party also beginnen.

»Sie wird keinen Personalrabatt mehr brauchen«, konterte Dale aus der Herrenbekleidung, »oder, meine Liebe?« Er legte die Arme um Annies Taille. »Sie geht zum Fernsehen, und sie wird reich! Wir werden im Heat-Magazine über sie lesen und zu Weihnachten ihre Bücher kaufen, stimmt’s, Püppchen?«

Annie hatte ein flaues Gefühl in der Magengrube. Wenn sie alle wüssten, wie viel sie hier aufgab! Sie meinte, alles für eine äußerst fragwürdige Chance auf Fernsehruhm aufs Spiel zu setzen.

Unter begeistertem Jubel knallte ein Sektkorken. Gläser wurden herumgereicht, gefüllt und klirrten aneinander.

Annie sah Geoff und zwei Damen aus der Buchhaltung eintreten; sie waren bereits im Pub gewesen, um dort auf den Startschuss zu warten. Und jetzt kam Dinah, Annies Schwester, etwas zögerlich herein.

Aber immer noch keine Spur von Ed und ihren Kindern oder ihrem besten Freund Connor oder ihrer Chefin, Helena Montserrat.

Dinah, Annies jüngere Schwester – sie hatte auch noch eine ältere, Nic –, war ein sehr wichtiger Mensch in ihrem Leben. Sie wohnte ganz in ihrer Nähe im Norden von London, mit ihrem Mann Bryan und ihrer Tochter Billie. Sie war ein ängstlicherer, nicht so impulsiver Mensch wie Annie und zerbrach sich freundlicherweise häufig Annies Kopf, doch sie stellte eine enge Vertraute und Helferin in jeder Lebenslage für Annie dar.

»Hey, du!«, rief Dinah und winkte knapp. In Kleidungsfragen entschieden künstlerischer und experimentierfreudiger als ihre große Schwester, trug sie etwas lebhaft Fliederfarben-Blaugrünes aus der jüngsten Kaufhaus-Kollektion. Während Annie Marken und langlebige »Schlüsselelemente« liebte, bevorzugte Dinah billige Mode aus Kaufhausketten oder, noch besser, Secondhandläden.

»Dinah!« Annie schloss ihre Schwester in die Arme. »Sind Ed und die Kinder schon hier?«

»Nein, aber sie sind bestimmt auf dem Weg.«

»Und die Mungobohne?« Das war ihr derzeitiger Spitzname für Connor, ihren Schauspieler-Freund. Connor war kürzlich nach LA gezogen, weil er seinem neuen amerikanischen Agenten zufolge »hier und jetzt total angesagt« war und daraus Kapital schlagen musste. Laut Connors Berichten hatte das Leben in LA ihm nicht gestattet, den unbekümmerten, feuchtfröhlichen Lebenswandel fortzusetzen, den er als Schauspieler in London genossen hatte. Nein. Das Leben in LA bestand offenbar aus endlosen Meetings, einer Ernährung von Tofu und Mungobohnen und fünf Stunden Schwitzen pro Tag unter einem Personal Trainer, was alles so affig und lächerlich wirkte, dass Annie und Dinah es als ihre Pflicht ansahen, ihn bei jeder Gelegenheit damit aufzuziehen. Da Connor sich für vier Tage in London aufhielt – zum Vorsprechen, nicht nur wegen Annies Party –, hatten sie jetzt ihre große Chance.

»Ist die ganze Vertragsangelegenheit nun geklärt?«, fragte Dinah ihre Schwester mit leiser Stimme, sah ihr aber in die Augen.

»Ach!«, rief Annie. Hier wollte sie nicht darüber sprechen.

»Der Vertrag?«, bohrte Dinah. »Kriegst du, was du haben wolltest?«

»Schätzchen, ich kriege genug, um mühsam über die Runden zu kommen, und mehr sage ich jetzt nicht«, antwortete Annie grimmig.

»Oh nein!«, flüsterte Dinah. »Ist es schlimm?«

»Noch schlimmer«, flüsterte Annie zurück.

»Was willst du tun?«

Aber es war zu spät; von allen Seiten stürzten sie sich auf Annie. So viele Leute, mit denen sie reden musste. Annie hatte das Gefühl, von einem Grüppchen zum anderen weitergereicht zu werden – wie ein Päckchen auf einem Kinderfest.

In einer Ecke gegenüber entdeckte sie Ed und die Kinder, die sich mit Dinah und Paula unterhielten, aber es dauerte noch ein paar Minuten, bis sie sich von der Gruppe, die sie mit Beschlag belegte, loseisen und zu ihnen gelangen konnte.

»Ihr seht fantastisch aus!«, rief Annie. »Meinetwegen habt ihr euch so große Mühe gegeben.«

Owen, der sich das international anerkannte »schicke« Outfit für Zwölfjährige zu eigen gemacht hatte – gebügeltes Hemd, gebügelte Khakihose, leidlich saubere Converse-Schuhe –, wurde als Erster umarmt. Er nahm es klaglos hin, obwohl seine Mum ihm das Haar zerzauste, das er so sorgfältig seitlich gescheitelt hatte.

Lana bekam einen Kuss auf die Wange, dann ließ Annie sich einen Augenblick Zeit, um ihr neues blaues Kleid zu bewundern. Obwohl Lana es mit leicht befangener Teenager-Schlaksigkeit und schlecht aufgetragenem Eyeliner trug, war sie in Annies Augen doch wunderschön.

Ed hatte sich gewaltig ins Zeug gelegt. Irgendwie hatte er seinen widerspenstigen Haarschopf unter Kontrolle gebracht und seinen üblichen ausgeleierten, wolligen Tweedlook durch das modische Jackett, das Hemd und die Krawatte ersetzt, die Annie lange, bevor sie wusste, dass sie in ihn verliebt war, für ihn ausgesucht hatte.

»Hey, du«, sagte sie weich und streifte seine Lippen mit einem Begrüßungskuss. »Du siehst gefährlich süß aus.«

Und er roch auch noch gut.

»Aha«, pflichtete er ihr bei. »Ich musste doch deinem Kleid gerecht werden.« Er strich ihr mit der Hand über den Rücken.

»Ganz der Annie-Magnet. Schon gut, stürz dich wieder ins Getümmel! Wir kommen zurecht. Wir wissen ja, dass wir dich am Ende der Party zurückbekommen.«

»Habt ihr das Buffet gesehen?« Owen deutete auf den Tapeziertisch, auf dem jetzt Snacks angerichtet waren. »Hammermäßig!«

Plötzlich verschwand Annies Gesicht – samt Bobbi-Brown-Kosmetik, Botox und allem – an dem üppigen, warmen, freundlichen Busen Delias, der Reinigungskraft der ersten Etage.

»Annie Valentine«, dröhnte sie in unverkennbar jamaikanisch eingefärbtem Englisch, »was soll ich nur ohne dich machen? Wenn du in diesen feinen Fernsehhäusern jemanden zum Putzen brauchst, sag sofort Delia Bescheid, hörst du? Ich denke, Mr. Geoff stört sich nicht daran, wenn ich das sage, oder?« Delia wies auf den Personalchef. »Wenn er einen Job beim Fernsehen kriegen könnte, wäre er auf der Stelle hier weg, stimmt’s, Mr. Geoff?«

Geoff tat ihr den Gefallen und lachte laut.

Wieder empfand Annie dieses leise Unbehagen. Das hier sollte ihr ganz großer Augenblick sein. Die Art von Abschied vom Alltäglichen, von der jeder träumte. All diese Menschen, mit denen sie so lange zusammengearbeitet hatte, waren so aufgeregt, freuten sich so für sie, und in Wahrheit ging sie hinaus ins Nichts. Für dreitausendsechshundert Pfund zu einem Digitalsender. Zu einer Show, von der kein Mensch je hören würde. Sie hatte das Gefühl, diese Party abbrechen oder zumindest verlauten lassen zu müssen, dass sie vielleicht zurückkommen würde. Betrachtet die Sache als vorübergehend, hätte sie am liebsten im ganzen Raum verbreitet, womöglich klappt es gar nicht!

»Uuuh!«, rief eine der Verkäuferinnen aufgeregt. »Ist das da drüben nicht Connor McCabe?«

Annie drehte sich um und sah Connor seit mehreren Monaten zum ersten Mal wieder. Das reichte, um ihre Übelkeit ein bisschen abzuschwächen. Ganz gleich, welche Probleme sie belasteten: Connor gelang es gewöhnlich immer, sie aufzumuntern.

Sie drängte sich durch die Menge zu ihm vor, doch er war bereits von einer Gruppe Fans umringt, die ihm die Hand schüttelten oder ihn nur mit aufgeregter Miene anstarrten. Er war inzwischen ein großer Fernsehstar und hatte erst kürzlich einen Kinofilm gedreht, war also wirklich bekannt. Du liebe Zeit, gerade erst hatte Hello! einen doppelseitigen Artikel über ihn gebracht!

»Connor«, begrüßte Annie ihn, »du bist gekommen!«

»Oh ja, von deinem bloßen Anblick!«, witzelte er und nahm sie fest in die Arme.

»Du siehst phantastisch aus«, lobte sie, und es entsprach der Wahrheit. Sonnengebräunt, durchtrainiert, dunkles Haar, blitzende Filmstar-Augen, kräftige breite Schultern, schmale Taille. Er war die personifizierte männliche Schönheit. Aber leider, es war so tragisch, zumindest für Frauen: Er war schwul.

»Kann ich dich einen winzig kleinen Augenblick sprechen?«, fragte Annie und deutete die Zeitspanne mit einem Millimeterabstand zwischen Daumen und Zeigefinger an.

»Ja. Wo kann ich übrigens meine Tasche abstellen?«

Sie führte ihn ein bisschen abseits vom allgemeinen Partytrubel in ihr Minibüro.

»Es ist so toll!«, schwärmte er, als sie sich zusammen in den kahlen weißen Raum zwängten. »Ich bin so stolz auf dich. Eine bedeutende neue Entwicklung!«

»Okay, bitte ein bisschen weniger Hollywood!«, ermahnte sie ihn. »Du redest jetzt mit mir, nicht mit irgendeinem flotten Produzenten.« Sie sah ihn forschend an.

»Wie geht’s dir?«

»Gut«, antwortete er mit einem beruhigenden Lächeln.

»Und Hector?«

»Prima«, versicherte Connor, bezogen auf seinen Partner, den er nach LA mitgenommen hatte. »Er wird noch muskulöser und brauner als ich.«

»Es ist phantastisch, dich zu sehen!«, konnte Annie sich nicht verkneifen zu gestehen. »Du fehlst mir. Jede freie Minute in den nächsten paar Tagen verbringst du bei mir, ja?«

Connor nickte zustimmend.

»Aber es gibt ein Problem«, fuhr Annie unmittelbar fort, weil sie wusste, dass ihr an diesem Abend nur wenige Minuten mit dem einzigen Menschen in ihrem Leben zur Verfügung standen, der alles über das Fernsehen wusste. »Die Sendung wird auf einem winzigen Digitalsender ausgestrahlt, und sie haben eine dritte Moderatorin hinzugeholt. Sie hat einen Namen, deshalb müssen sie sie anständig bezahlen, und ich soll diese Serie, die gesamte Serie, für dreitausendsechshundert Pfund machen.«

Connor zuckte nicht mit der Wimper. Sie hatte erwartet, dass er empört nach Luft schnappen oder doch wenigstens die eine oder andere Braue hochziehen würde.

»Verdient man beim Fernsehen doch entschieden weniger, als ich gedacht habe?«, fragte Annie. »Hast du es mir verschwiegen? Können nur Leute mit Privatvermögen beim Fernsehen arbeiten?«

»Nein, sei nicht albern!«, erwiderte Connor. »Aber die Anfangsgehälter sind niedrig. Alle geben sich damit zufrieden, weil sie ihre Chance auf den großen Wurf haben wollen. Und das musst du auch tun.« Er griff nach ihrem Pferdeschwanz und ließ ihn durch seine Hand gleiten.

»Okay«, fuhr er fort, »Ed und du, habt ihr in den nächsten Monaten genug zum Leben, falls du diesen Job übernimmst?«

»Ha! Ich habe versucht auszurechnen, wie wir über die Runden kommen können … vielleicht gerade so eben. Aber wirklich nur knapp.«

»Okay. Dann sei sparsam!«, riet Connor ihr. »Sei sparsam und reiß dir ein Bein für den Fernsehsender aus. Daraus wird sich schon etwas ergeben. Versprochen! Wenn die Show gut ist, wird ein großer Sender sie kaufen. Wenn du großartig bist, wird jemand anders dich anwerben. Was wäre das Schlimmste, was dir passieren könnte?«

Annie bemerkte das transatlantische Näseln, ganz zu schweigen von dem Wortschatz, den er sich angeeignet hatte.

»Das Schlimmste, was mir passieren könnte? Mal sehen«, begann Annie erbittert. »Meine Kinder könnten nicht mehr auf die St. Vincent’s gehen, weil ich das Schulgeld nicht mehr aufbringe, ich würde unser Haus verlieren, weil ich meinen Anteil der Hypothek nicht zahlen kann, und The Store stellt mich nicht wieder ein, und ich bin arbeitslos.«

»Tja … ja, das ist alles ziemlich schlimm«, gab Connor zu, »aber ehrlich, was willst du machen? Jetzt aufgeben«, forderte er sie heraus, »bevor du überhaupt angefangen hast?«

»Nein«, entgegnete Annie mit der Andeutung eines Lächelns.

»Ganz ausgeschlossen!«, bekräftigte Connor. »Also, ich will dir zwei Dinge sagen: Du gehst mit einem großen Erfolgslächeln auf den Lippen los, denn: The show must go on. Und du schließt nie im Leben wieder einen Vertrag ohne meinen Agenten ab.«

 

Helenas Ansprache war sehr freundlich. Obwohl Annies Chefin erst seit etwa fünf Monaten im Amt war, ließ sie die ganze Belegschaft wissen, welch wertvolle Mitarbeiterin sie verlor. Sie schloss mit der Versicherung, dass Annie, falls es vor der Kamera nicht klappen sollte, hinter den Samtvorhängen herzlich willkommen wäre, und das verstärkte Annies Entschlossenheit zu gehen. Sie wollte jetzt nach vorn blicken. Sie konnte nicht zurück. Selbst wenn es über ihren Dreimonatsvertrag hinaus beim Fernsehen nicht klappen sollte, konnte sie nicht gleich wieder in diesen selben Job einsteigen. Es war eindeutig Zeit für etwas Neues.

Annie fing Paulas Blick auf, und plötzlich sah sie ganz verschwommen. Dann weinte sie hoffnungslos in eine Cocktailserviette und hoffte, dass Trish, die Make-up-Künstlerin, an wasserresistente Wimperntusche gedacht hatte.

Die Verabschiedung dauerte zu lange und war zu traurig und endgültig. Was so übersprudelnd und voller Aufregung wie eine Hochzeit begonnen hatte, endete wie eine Beerdigung unter Tränen und Umarmungen. Bis Annie sich endlich draußen auf dem Gehsteig wiederfand, im Kreis ihrer trostspendenden Familie.

Ed wie auch Owen hatten ihre Arme um Annies Taille gelegt, als sie The Store hinter sich ließen, während Lana fröhlich ihre Eindrücke des Abends zum Besten gab.

»Wie geht’s dir?«, wollte Ed wissen.

»Ganz gut.« Annie bemühte sich, nicht zu schniefen. »Es wird schon …«

»Du warst großartig«, erinnerte er sie. »Wie hat Helena dich noch gleich genannt? Annie V, die tonangebende Einkaufsberaterin. Hier«, er reichte ihr ein zerknittertes, aber sauberes Herrentaschentuch, das er aus seiner Hosentasche gefischt hatte, »ich war auf alles vorbereitet.«

»Danke.« Annie presste es vor ihre Augen.

»Also, du Fernsehstar, nehmen wir ein Taxi nach Hause oder die Limousine?«, witzelte Ed.

»Da!« Annie setzte zum Sprint an. »Da kommt der Bus!«

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4.

Eds Schuluniform:

Tweedjacke (weiß nicht mehr)

Schmale Seidenkrawatte (Krebsforschungszentrum)

Kariertes Hemd (Hackett’s über Annie)

Khakihose (Gap)

Abgeschabte Aktentasche (seine Mum)

 

Geschätzte Gesamtkosten: keine Ahnung

»Ich bin dran, Kekse mitzubringen.«

Also, wenn du sagst, du weißt nicht, was du anziehen sollst, was genau meinst du dann?«

Ed lag noch im Bett, obwohl vor genau sieben Minuten der Wecker geklingelt hatte.

Annie war bereits aufgestanden. Sie hatte unruhig geschlafen und war früh aufgewacht. Geschlagene vierzig Minuten hatte sie im Bad verbracht, mit Make-up und Pinzette hantiert und ihren Pferdeschwanz wohl siebenundzwanzig Mal neu frisiert, bevor sie zufrieden war.

Denn heute war der erste Tag ihres neuen Lebens. Heute um Punkt neun Uhr morgens sollte ein Auto kommen und sie zu dem Studio bringen, in dem sie den Rest des Produktionsteams kennenlernen und erste Schritte in Richtung Filmaufnahmen unternehmen würde.

Am Vorabend hatte Annie gedacht, sie hätte alles geklärt, was ihr entscheidend wichtiges erstes Outfit für den ersten Tag betraf. Sie hatte alles so sorgfältig bereitgelegt: die neue Bluse von Chloé, einen engen roten Rock, eine lila Strumpfhose und die schwarzen Lackleder-Stiefelchen, die erst einfach so sexy, so aufreizend und perfekt ausgesehen hatten. Aber jetzt, als sie die Stiefel vor dem mannshohen Schlafzimmerspiegel in die Höhe hielt, war sie nicht mehr so sicher. War dieses Outfit nicht ein bisschen übertrieben? Ein bisschen zu viel für den ersten Tag? Heute waren noch keine Filmaufnahmen vorgesehen, es ging nur um »Teamgespräche« und »Kennenlernen« und so. Das hatte Finn zumindest gesagt.

»Du bekommst doch keine Zweifel, oder?«, fragte Ed und stützte sich auf seinen Ellbogen auf, um Annie besser sehen zu können. »Du hast in den letzten Tagen Stunden um Stunden mit der Zusammenstellung deiner Fernsehgarderobe zugebracht, oder? Und waren nicht auch ein paar ausgesprochen teure Einkäufe dabei?«

»Ein paar davon gebe ich zurück«, erinnerte sie ihn.

»Ja … vielleicht keine schlechte Idee«, pflichtete er ihr bei.

An dem Abend, als sie mit den Neuigkeiten über ihren Fernsehvertrag und das magere Honorar von Svetlana zurückgekommen war, hatte sie ihnen beiden ein großes Glas Wein einschenken müssen.

Zuerst war Ed schockierter und enttäuschter als sie selbst gewesen.

»Willst du es trotzdem durchziehen?«, erkundigte er sich dann, beantwortete seine Frage aber selbst. »Natürlich willst du. Du hast bei The Store gekündigt, und es ist eine große Chance für dich.«

»Schaffen wir das?«, hatte sie überlegt. »Es sind nur drei Monate, und ich versuche, ein paar Sachen bei eBay zu verkaufen … So kommen wenigstens ein paar Pfund rein. Trotzdem bleiben aber noch die Hypothek und das Schulgeld und …«

»Du musst deine Chance beim Fernsehen nutzen. Wir schaffen das«, hatte er ihr versichert. »Ich habe ein paar Ersparnisse, die uns helfen, über die Runden zu kommen.«

»Du hast Ersparnisse?« Das verblüffte Annie.

Als Frau, die absolut an der Grenze ihres Budgets lebte, deren Kreditkarten allmonatlich Grund zur Sorge boten, war die Vorstellung von Ersparnissen einfach so befremdlich. Aber hier ging es ja auch um Ed, und Ed war eine völlig anders gestrickte Persönlichkeit.

»Warum weiß ich nichts von deinen Ersparnissen?«, hatte sie wissen wollen.

»Warum wohl nicht?«, fragte er mit einem Lächeln zurück. »Vielleicht, weil ich nicht will, dass meine Ersparnisse in ›wirklich tolle Investitionen‹ wie Miu-Miu-Schuhe oder Hermès-Handtaschen übertragen werden.«

»Ach, Hermès!«, hatte sie ihn aufgeklärt, »Hermès ist völlig out, nur Firmenanwältinnen schleppen diese Dinger noch mit sich herum.«

Nun, vor dem Spiegel, den engen orangeroten Rock in der einen und die Stiefeletten in der anderen Hand, musste Annie zugeben: »Ich habe Lampenfieber. Das ist gar nicht so ungewöhnlich, weißt du?«

»Stimmt«, pflichtete Ed ihr bei. Er warf die Bettdecke von sich und absolvierte sein liebenswertes Morgenritual, das daraus bestand, dass er gähnte, seine Arme reckte, sich dann mit einer Hand durch seinen verfilzten braunen Lockenschopf fuhr, bevor er aufstand und nackt hinter ihr Aufstellung nahm.

Er legte seine Arme um ihre Taille, gab ihr einen zärtlichen Kuss in den Nacken, und dann sahen sie einander im Spiegel vor ihnen an.

»Hör bitte auf, so viele Umstände zu machen!«, bat er. »Du wirst klasse aussehen, denn du siehst einfach immer klasse aus.«

»Aber nur, weil ich viele Umstände mache«, erklärte sie.

»Gut, ich weiß, aber mach dir bitte keine Sorgen! Du wirst brillieren. Ich weiß es einfach«, versicherte er ihr. »Du gehst unheimlich gut mit Menschen um, und im Fernsehen bist du bestimmt ein Naturtalent.«

Als Annie Eds warme Hände auf ihrem Bauch spürte, beruhigten sich ihre vibrierenden Nerven. Wenn seine warmen Hände sie hielten, konnte sie seinen besänftigenden Worten beinahe Glauben schenken. Manchmal hatte sie das Gefühl, alles zu können, wenn Ed sie nur unterstützte.

»Du bist klasse!«, ließ sie ihn wissen und legte ihre Hände über seine. »Ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich tun würde.«

»Ohne mich wärst du genauso phantastisch«, beteuerte er.

»Nein, ganz bestimmt nicht!«, widersprach sie. »Und das sollst du auch wissen.«

Sie drückte einen Moment lang fest seine Hände. »Danke dafür, dass du so an mich glaubst«, sagte sie. »Das hilft mir sehr. Ganz bestimmt!«

»Zieh die Stiefel an!«, drängte er. »Und in diesem Rock liebe ich dich, darin sieht dein Po aus wie eine reife …« Um seine Worte zu betonen, kniff er sie in den Hintern.

Aber das gab ihr den Rest; sie ließ den Rock entsetzt zu Boden fallen. Wenn die Kamera ihrem ohnehin schon recht ansehnlichen Gesäß noch zehn Pfund hinzufügte, musste der Rock zu Hause bleiben.

»Lass uns einfach versuchen, in den nächsten paar Monaten kein allzu großes Loch in meine Ersparnisse zu reißen«, warnte Ed sie und sah zu, wie Annie den Rock beiseitewarf.

»Ja! Ganz bestimmt, denn ich werde so hart arbeiten«, entgegnete sie, »dass ich kaum Gelegenheit zum Einkaufen oder Geldausgeben habe.«

Daraufhin zog Ed die Brauen hoch und lächelte breit. »So, so … das wird ja interessant!«, murmelte er – überzeugt, dass Annie, nur weil sie nicht mehr in einem Modegeschäft arbeitete, kaum der Verführung durch schöne Dinge widerstehen würde.

»Und keinen Schwindel mit deinen Kreditkarten!«, ermahnte er sie. »Du bist auf ein sehr kleines Budget gesetzt!«

Mit einem Abschiedskuss ging er ins Bad, um zu duschen, und ließ Annie, immer noch panisch vor Unentschlossenheit, vor dem Spiegel zurück.

»KINDER!«, schickte sie einen lauten Ruf zur Zimmerdecke hinauf, denn Owen und Lana bewohnten Dachzimmer direkt über ihnen. »AUFSTEHEN!«

 

Es war zehn nach acht, als Ed, Lana und Owen endlich angezogen waren, gefrühstückt hatten und zur Schule aufbrechen konnten. Annie stand an der Haustür und gab jedem einen Abschiedskuss.

Zuerst kam Ed in seiner Musiklehrer-Uniform: Tweedjacke, schmale Seidenkrawatte, etwas ausgebeulte Chinos, eine abgeschabte Aktentasche in der Hand. Sein Haar stand in alle Himmelsrichtungen ab, weil er es so mochte, doch Annie befahl ihm, still zu halten, nahm die kleine goldgerahmte Brille von seiner Nase und putzte sie.

»Mach schon!«, drängelte er. »Ich muss heute früh im Lehrerzimmer sein …«

»Uuuh, der Direktor gibt großartige Beförderungen bekannt!« Sie zwinkerte ihm zu.

»Nein, ich bin dran, Kekse mitzubringen.«

»Ah.«

»Tolle Leistung, wie?« Er legte ihr den Arm um die Taille und küsste sie herzhaft auf den Mund.

»Viel Glück, du machst das schon!«

Dann war Lana an der Reihe.

»Bye-bye, Schätzchen«, sagte Annie und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Zurzeit war sie sehr stolz auf ihre Tochter. Die nervtötende, mürrische Gothic-Phase war vorüber, stattdessen hatte Annie jetzt eine vorbildliche Teenie-Tochter. Vielleicht war auch das nur eine Phase. Aber, bitte, bitte, diese Phase durfte gern ewig dauern!

Lanas lange schwarzgefärbte Locken waren einem naturbraunen stufigen Bob gewichen, ihre Schuluniform war adrett und gebügelt, der Rock endete in respektabler Knienähe. Außerdem arbeitete sie bewundernswert hart für ihre Prüfungen. Sie war kürzlich, als sie abends von der Party heimkamen, sogar gleich in ihr Zimmer gegangen, um Hausaufgaben zu erledigen.