0,99 €
Drei Geschichten aus dem Leben
Frida.
Jeder möchte ein selbst bestimmtes Leben führen und glücklich sein, doch können wir das auch selbst bestimmen?
Der letzte Besucher.
Hier ist es der wirklich aller letzte Besucher, den ein Mensch empfangen kann.
Südlich der Hurricaines.
Manchmal kommt es anders, als man denkt, doch Leben ist das, was man daraus macht.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2020
Frida
Sein Kopf wirkt massig und der lange Hals reckt sich zum Himmel. In der Abenddämmerung erscheint er wie ein Drache aus grauer Vorzeit. Erst als ich den Wagen in der Einfahrt abstelle, erkenne ich ihn als das, was er ist: ein Bagger, ein Werkzeug.
Das alte Haus soll nun doch abgerissen werden. Vom Dachstuhl ist schon nichts mehr zu sehen, die Fenster und Türen fehlen, nur die Mauern stehen noch als Ruine inmitten von mannshohem Unkraut. Erster Frost liegt in der kalten Novemberluft und es riecht nach schwerer westfälischer Erde.
Abriss, ausradieren, ja, das ist wohl das Beste.
Das Haus lag auf meinem Schulweg. Gebaut war es aus diesen kleinen roten Klinkersteinen, mit weißem Holzgiebel, welcher sich in der Sonne leuchtend abhob von den Dachziegeln. Im Garten davor standen lange Stangen für die Bohnen, Drahtgerüste der Erbsen, Gemüsebeete und Kräutersträucher waren überall verteilt. Im Sommer schlug mir der Duft dieses Gartens schon entgegen, lange bevor ich das Grundstück erreichte.
Die älteren Leute versuchten uns Kinder zu erschrecken. Sie erzählten, in dem Haus habe einmal eine alte Frau gelebt, die habe sich eines Tages einfach in ihr Bett gelegt und sei nie wieder aufgestanden. Man habe ihr Skelett erst Jahre später gefunden.
Geglaubt habe ich das damals nicht.
Jeden Tag kam ich an dem Haus vorbei, und ab dem dritten Schuljahr gesellte sich Frida zu mir.
Sie lebte mit ihren Eltern dort. Ihre Mutter hatte während des Krieges bei den Bauern der Gegend gearbeitet, der Vater kämpfte derweil für das Großdeutsche Reich, bis ihm eine russische Granate den rechten Arm abriss. Nun bekam er eine kleine Rente dafür.
Weil Geld wohl immer knapp war, musste Frida die alten Kleider ihrer Cousinen auftragen, was man diesen Sachen auch ansah. Viele böse Worte hat sie sich deshalb in der Schule anhören müssen, viel Leid schon für die kleine Seele.
Mir erschien sie eher wie ein Sonnenstrahl. Ihre geflochtenen Haare leuchteten so blond wie der Weizen vor der Ernte, ihre Augen trugen das Blau des Himmels an einem Sommermorgen, und ihr Lachen klang hell wie die Glocke unserer Dorfkapelle.
Frida, erste unschuldige Liebe.
Unsere Wege haben sich getrennt, ich ging aufs Gymnasium, sie blieb auf der Hauptschule. Einmal Vertrautes verblasste in der Erinnerung, Neues nahm diesen Platz ein, bis Frida nur noch ein Stein auf meinem Weg war.
Und doch, ich hörte immer wieder von ihr.
Nach der Schule fand sie eine Anstellung im Lager einer Möbelfabrik. Frida war jung, Frida war gesund und hatte ein gutes Auskommen. Schön ist es, wenn das kleine Glück zu einem gekommen ist.
Es schien, als ob ihr Vater nur darauf gewartet hätte, seine Tochter gut versorgt zu wissen. Er hatte nie wieder zu sich selbst gefunden, nach dem man ihn zum Soldaten gemacht hatte. All das Leid und Elend, der allgegenwärtige Tot, zu viel lastete auf seiner Seele. Dazu noch die Verwundung und all die zerstörten Träume.
Als er eines Abends nicht zum Essen erschien, hat ihn seine Frau gesucht. Sie fand ihren Mann auf dem Dachboden. Er hing starr an einem Seil vom Sparren herab. Fridas Mutter stieg vom Dachboden hinunter und sagte ihr in nur einem Satz, was geschehen war. Dann legte sie sich in ihr Bett und ist nie wieder aufgestanden.