Superhelden - Grant Morrison - E-Book

Superhelden E-Book

Grant Morrison

4,9

Beschreibung

Sie können klettern wie eine Spinne, fliegen wie ein Düsenjet oder Feuer schießen wie ein Flammenwerfer. Und sie haben einen edlen Charakter, denn sie kämpfen für die Menschen gegen das allgegenwärtige Böse. Superhelden wie Spider-Man, Wonder Woman, Iron Man, die Fantastischen Vier oder X-Men sind heute ein fester Bestandteil unserer Alltagskultur. Der Comic ist ihr ursprüngliches Medium, aber Superman, Batman & Co. haben in den vergangenen Jahrzehnten längst auch Kinoleinwände und Computerspiele erobert. Was aber macht eigentlich ihren großen Reiz aus? Was ist ihr Erfolgsgeheimnis? Für Grant Morrison, den erfolgreichsten zeitgenössischen Autor zahlreicher Superhelden-Comics, sind sie mächtige Archetypen, die mit ihren über Jahrzehnte laufenden Geschichten die Menschheit in ihrer Entwicklung begleiten. Durch sie wird unsere eigene Historie erzählt, die geprägt ist von Krisen und grausamen Konflikten. Morrison führt kenntnisreich durch die vier großen Epochen der Superhelden, von ihrem ersten Auftauchen in den 1930er Jahren bis heute: "Golden Age", "Silver Age", "Dark Age" und "Renaissance". Grant Morrison ist einer der weltweit führenden Experten für Comics. Er stellt dieses Genre in den Kontext von Kunstgeschichte, Wissenschaft und Mythologie, um zu erklären, was uns an diesen Superhelden so fasziniert. Das Ergebnis ist ein Standardwerk zeitgenössischer Popkultur!

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Was wir Menschen von

Superman, Batman, Wonder Woman & Co.

lernen können

Aus dem Englischen von Paul Fleischmann

www.hannibal-verlag.de

Für Kristan, eine Superheldin.

Impressum

Originalausgabe

© 2013 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der Koch International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-419-9

Dieses Buch ist auch erhältlich als Paperback mit der ISBN 978-3-85445-418-2

Der Autor:

Grant Morrison ist einer der populärsten zeitgenössischen Comic-Autoren. Die lange Liste seiner Werke reicht von Batman: Arkham Asylum, der erfolgreichsten Graphic Novel aller Zeiten (mehr als 600 000 Verkäufe weltweit), über Animal Man, Doom Patrol und New X-Men bis zu Superman und JLA – Justice League Of America. Morrison ist bekannt für seinen Einfallsreichtum und seine Kreativität. Er modernisiert traditionsreiche Comic-Serien und transportiert sie in unsere heutige Zeit. Dazu verfasst er Drehbücher für Kinofilme und Computerspiele. Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zuletzt von der britischen Queen 2012 mit dem Orden MBE (Member of British Empire) für seine Verdienste um Film und Literatur.

Titel der Originalausgabe:

SUPERGODS – WHAT MASKED VIGILANTES, MIRACULOUS MUTANTS, AND A SUN GOD FROM SMALLVILLE CAN TEACH US ABOUT BEING HUMAN

ISBN: 978-1-4000-6912-5

eBook ISBN: 978-0-679-60346-7

Copyright © 2011 by Supergods Ltd.

Published in the United States by Spiegel & Grau, an imprint of The Random House Publishing Group, a division of Random House, Inc., New York.

All DC Comics characters and images are TM & © DC Comics.

All Rights Reserved. Used with Permission.

Lektorat: Eckhard Schwettmann, Gernsbach

Korrektorat: Dr. Matthias Auer, Bodman-Ludwigshafen

Übersetzung: Paul Fleischmann, Innsbruck

Layout und Satz: www.buchsatz.com, Innsbruck

Coverdesign: © Will Staehle and Greg Mollica

Adaption deutsches Cover: bürosüd, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlags nicht verwertet oder reproduziert werden. Das gilt vor allem für Vervielfältigungen, Übersetzungen und Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Inhalt

Einführung

Teil 1: Das Goldene Zeitalter

Kapitel 1: Der Sonnengott und der Dunkle Ritter

Kapitel 2: Der Sohn des Blitzes

Kapitel 3: Der Superkrieger und die Amazonen-Prinzessin

Kapitel 4: Explosion und Niedergang

Teil 2: Das Silberne Zeitalter

Kapitel 5: Superman auf der Couch

Kapitel 6: Chemikalien und Blitzschlag

Kapitel 7: Die Fab Four und die Geburt der Marvelhaften

Kapitel 8: Superpop

Kapitel 9: Parallelerden

Kapitel 10: Neue Götter

Teil 3: Das Dunkle Zeitalter

Kapitel 11: Der hellste Tag, die schwärzeste Nacht

Kapitel 12: Gefürchtet und missverstanden

Kapitel 13: Beängstigende Symmetrie

Kapitel 14: Zenit

Kapitel 15: Hass und Tod

Kapitel 16: Image versus Substanz

Kapitel 17: King Mob – Mein Leben als Superheld

Teil 4: Die Renaissance

Kapitel 18: Muskulöse Mysterien

Kapitel 19: Was ist so witzig an Wahrheit, Gerechtigkeit und dem American Way?

Kapitel 20: Respekt vor Autorität

Kapitel 21: Hollywood leckt Blut

Kapitel 22: 9/11 und Marvel-Neu

Kapitel 23: Der Tag, an dem das Böse siegte

Kapitel 24: Iron Man und die Incredibles

Kapitel 25: Jenseits des Ereignishorizonts

Kapitel 26: Star, Legende, Superheld, Supergott?

Epilog: Genug der Worte

Danksagungen

Lesetipps

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Zitat

„Seht! Ich lehre euch den Übermenschen:

Der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn!“

Friedrich Nietzsche|Also sprach Zarathustra

In Schottland, wo ich lebe, liegt ganz in der Nähe RNAD Coulport, wo die britische Atom-U-Bootflotte, ausgestattet mit Nuklearwaffen, stationiert ist. Dort, in unterirdischen Bunkern, so wurde mir erzählt, befindet sich mehr als 50 Mal die Sprengkraft, die nötig wäre, um die menschliche Bevölkerung unseres Planeten auszulöschen. Eines Tages, falls uns 50 böse Erden-Doppelgänger in einen Hinterhalt im Hyper­raum locken sollten, könnte uns dieses mega-zerstörerische Arsenal ironischerweise den Hals retten – doch bis dahin erscheint es übertrieben und irgendwie auch sinnbildlich für die rastlose digitale Hypersimulation, die wir heute bevölkern.

In der Nacht sieht die spiegelverkehrte Reflexion der U-Boot-Docks auf dem Wasser aus wie eine geballte rote Faust, die an einer Fahne aus Wellen zerrt. Ein paar Meilen die gewundene Straße hinauf wurde einst mein Vater verhaftet, als er in den Sechzigern an den Anti-Atom-Demonstrationen teilnahm. Er war ein Veteran des 2. Weltkriegs aus der Arbeiterklasse. Sein Bajonett hatte er gegen einen Aufnäher, der für Abrüstung warb, getauscht, und er war nun zum pazifistischen „Spion für den Frieden“ in einer britischen Antikriegsorganisation geworden. Schon die Welt meiner Kindheit war eine, die erfüllt war mit einer stets zunehmenden Zahl von Abkürzungen und Codenamen des Kalten Kriegs.

Und die Bombe, immer diese Bombe, dieser grimmige und bedrohliche Gast, bereit, jede Minute hochzugehen und jeden und alles zu töten. Ihre Minnesänger waren schwermütige existenzialistische Folkmusiker, die ihre Klagelieder wie „Hard Rain“ oder „All on That Day“ herunterjammerten, während ich in der Ecke zitterte, das letzte Gericht und die totale Auslöschung erwartete. Die dazu passenden Bilder lieferten die radikalen, im Selbstverlag veröffentlichten Magazine, die mein Vater aus den politischen Buchläden auf der High Street mitbrachte. Typischerweise waren diese leidenschaftlich pazifistischen Manifeste mit schrecklichen, von Hand gezeichneten Bildern illustriert, die zeigten, wie die Welt nach einem thermonuklearen Schlagabtausch aussehen würde. Die Urheber dieser kadaverhaften Landschaften ließen dabei keine Möglichkeit ungenutzt, zerschlagene, ausgeblichene Skelette vor dem Hintergrund einer zerbombten und rußgeschwärzten Horrorvision abzubilden. Wenn der Künstler außerdem noch Platz für eine makabre Darstellung eines 800 Fuß hohen Sensenmannes auf einem ausgemergelten Ross des Grauens finden konnte, von dem aus dieser Raketen wie Getreide über den lückenhaften und halb geschmolzenen Horizont säte, dann war das umso besser.

Wie Visionen von Himmel und Hölle auf einem mittelalterlichen Triptychon lagen die post-atomaren Wüsten aus den Heften meines Dads neben den mit drei Sonnen gespickten Aussichten, welche die geliebten Science-Fiction-Taschenbücher meiner Mum zierten. Wie kleine Fenster in eine strahlende Zukunft boten sie Roboter-Amazonen in verchromten Einteilern, die gestrandete Weltraummänner über perlenfarbene Himmelszelte in unglaublich fremde Welten hetzten. Mit Seelen belastete Androiden schleppten sich durch neonfarbene Dschungel oder schritten über die Laufbänder, die durch Städte führten, die an eine architektonische Verschmelzung von Le Corbusier, Frank Lloyd Wright und LSD denken ließen. Die Titel erinnerten an surrealistische Dichtung: Der Tag, an dem der große Regen kam, Der Mann, der vom Himmel fiel, Die Mars-Chroniken, Blumen für Algernon, Eine Rose für Ecclesiastes, Barfuß im Kopf.

Im Fernsehen wechselten Bilder von heroischen Astronauten mit trostlosen Szenen aus Hiroshima und Vietnam: Es war wie eine Alles-oder-nichts-Entscheidung zwischen der Atombombe und einem Sternenschiff. Ich hatte mich zwar schon für eine Seite entschieden, doch wurde die Spannung des Kalten Kriegs zwischen Apokalypse und Utopia zunehmend unerträglich. Und schließlich prasselten die Superhelden auf der anderen Seite des Atlantiks in einer grellen, prismatischen Reflexion ihrer heraldischen Kostüme auf die Erde nieder und schufen neue Möglichkeiten, wie man diese Welt wahrnehmen konnte.

Großbritanniens erster Comicladen – der Yankee Book Store – öffnete in Paisley, vor den Toren Glasgows gelegen, ein paar Jahre nach dem Krieg. Es ist schon etwas ironisch, dass die Comics gemeinsam mit den amerikanischen Soldaten landeten, deren Raketen meine Existenz bedrohten. So wie frühe R&B- und Rock’n’Roll-Platten in Liverpool ankamen, um eine ganze Generation von Musikern zu inspirieren, so kamen die Comics wegen der militärischen Anlagen in den Westen von Schottland, beflügelten die Gedanken und änderten das Leben von Kindern wie mir für immer.

Die Superhelden lachten über die Bombe. Superman konnte auf der Oberfläche der Sonne spazieren und bekam dabei nur eine unmerkliche Bräune ab. Die Abenteuer des Hulks hatten gerade erst unmittelbar nach einem fehlgeschlagenen Experiment mit einer Gammastrahlenbombe begonnen, in das sein Alter Ego Bruce Banner verwickelt war. Im Schatten von Zerstörern kosmischen Ausmaßes wie Anti-Monitor oder Galactus wirkte die sonst allmächtige Bombe allerhöchstens provinziell. Ich hatte ein von unserer Welt abgetrenntes Universum entdeckt, einen Ort, an dem sich Dramen über Jahrzehnte erstreckten und Galaxien sich über die zweite Dimension der Papierseiten auftaten. Hier waren Männer, Frauen und noble Monster in Fahnen gewandet. Sie traten aus dem Schatten, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Die Welt, in der ich lebte, fühlte sich bereits besser an. Ich begann zu verstehen, dass ich etwas gefunden hatte, das mir dabei half, mit meinen Ängsten klarzukommen.

Bevor es die Bombe gab, war sie bloß eine Idee.

Superman hingegen war eine stärkere, schnellere, bessere Idee.

Es war nicht so, dass Supermann für mich „real“ sein musste. Er musste nur realer sein als die Vorstellung von der Bombe, die mich in meinen Träumen heimsuchte. Ich hätte mich nicht sorgen müssen; Supermann ist so ein kraftvolles Produkt der menschlichen Vorstellungskraft, so ein perfekt entworfenes, freundliches, weises und zähes Symbol für uns selbst, dass die Bombe nicht den Funken einer Chance hatte. Mit Superman und den anderen Superhelden hatten moderne Menschen Ideen erschaffen, die unverwundbar waren, immun gegen Zerstörung. Erschaffen, um diabolische Superhirne auszutricksen, sich dem Bösen zu stellen und dabei – trotz verschwindend geringer Chancen – immer siegreich aus den Kämpfen hervorzugehen.

Ich betrat das Feld der amerikanischen Comics als Schreiber Mitte der Achtziger, einer Zeit des radikalen Umbruchs und technischen Fortschritts, als Meilensteine des Superheldengenres wie etwa Batman – Die Rückkehr des Dunklen Ritters oder Watchmen herauskamen und die Möglichkeiten – auch in puncto kreativer Freiheit – grenzenlos schienen. Ich war Teil einer Generation von Schreibern und Zeichnern, meist der britischen Arbeiterklasse entstammend, die in den morbiden Welten der Comic-Helden das Potenzial sahen, um ausdrucksstarke, erwachsene, anspruchsvolle Arbeiten zu schaffen, die das ausgedörrte Konzept des Superhelden mit neuer Relevanz und Vitalität erfüllten. In Folge wurden die Geschichten cleverer, die Illustrationen ausgereifter, und der Superheld erhielt ein neues Leben in Comic-Büchern, die gleichzeitig philosophisch, postmodern und sehr ambitioniert waren. In den letzten 20 Jahren haben Dutzende von einzigartigen und originellen Talenten erstaunliche und innovative Arbeiten vorgelegt. Die niedrigen Produktionskosten (Stift und Tusche können Szenarien erschaffen, die Millionen Dollar für eine Umsetzung auf der Leinwand kosten würden) und kurze Abstände zwischen den Veröffentlichungen sorgen dafür, dass in Bezug auf Comics alles möglich ist. Keine Idee ist zu bizarr, keine Wendung zu abstrus, kein Erzählstil zu experimentell. Mir ist die Tragweite von Comics, mir sind die großen Ideen und Emotionen, die sie transportieren können, nun schon lange bewusst. So sehe ich mit Staunen, und auch ein wenig mit Stolz erfüllt, die stetig fortlaufende friedliche Kapitulation der Mainstream-Kultur vor der unnachgiebigen Kolonisierung, die ihren Ursprung im Hinterland absonderlicher Streber, sogenannten Geeks, hat. Namen, die früher als obskure Erkennungszeichen unter Außenseitern galten, stehen nun im Mittelpunkt globaler Vermarktungskampagnen.

Batman, Spiderman, X-Men, Heroes, Iron Man. Weshalb sind die Superhelden so groß geworden? Und warum gerade jetzt?

Auf der einen Seite ist es einfach: Irgendjemand hat irgendwo spitzgekriegt, dass Superhelden – genau wie Schimpansen – alles unterhaltsamer machen. Eine langweilige Teegesellschaft? Man gebe ein paar Schimpansen hinzu, und schon hat man ein unvergessliches Comedy-Chaos. Eine konventionelle Mordgeschichte? Ein paar Superhelden hinzugefügt, und schon hat man ein erstaunliches und provokantes neues Genre. Ein großstädtischer Krimi? Hat man alles schon gesehen … bis Batman auftaucht. Superhelden peppen jede Geschichte auf. Aber es steckt noch mehr dahinter, hinter unserer Lust auf die Eskapaden extravagant kostümierter Protagonisten, die uns niemals im Stich lassen würden. Wenn man vom Comic-Heft aufblickt oder sich vom Bildschirm abwendet, so könnte man meinen, dass Superhelden bereits bis ins Bewusstsein der Massen – wie auch überall sonst wohin – vorgedrungen sind, um auf ein verzweifeltes SOS-Signal unserer krisengeschüttelten Welt zu reagieren.

Wir haben uns damit abgefunden, dass die meisten Politiker letzten Endes als sexsüchtige Lügner oder Idioten entlarvt werden, genauso wie wir mittlerweile akzeptieren müssen, dass hinreißende Supermodels bulemische, neurotische Scheinwesen sind. Wir haben die Illusionen durchschaut, die einst unsere Fantasien beflügelten, und wissen aus bitterer Erfahrung, dass sich uns liebe Comedians nur allzu bald als alkoholkranke Perverse oder lebensmüde Depressive offenbaren. Wir sagen unseren Kindern, dass sie wie Ratten gefangen sind, und zwar auf einem todgeweihten, bankrotten, von Gangstern beherrschten Planeten, dem die Ressourcen ausgehen, auf dem es für sie nichts geben wird außer steigenden Meeresspiegeln und unmittelbarem Massensterben. Im Anschluss beäugen wir sie voller Missgunst, wenn sie als Reaktion beginnen, sich nurmehr in Schwarz zu kleiden, sich mit Klingen zu ritzen, sich zu Tode zu hungern, sich fett zu fressen oder sich gegenseitig zu massakrieren. Traumatisiert durch Kriegs- und Katastrophenberichterstattung, ausspioniert von omnipräsenten Überwachungskameras, bedroht durch exotische Bösewichte, welche in ihren Höhlen und unterirdischen Verstecken lauern, gejagt von düsteren und monumentalen Göttern der Angst, werden wir unaufhaltsam in die Wirklichkeit der Comic-Bücher gesaugt, wobei üblicherweise nur Augenblicke verbleiben, um die Welt zu retten. Überlebensgroße verwesende Todesengel wie jene auf den Titelblättern der Anti-Atom-Heftchen meines Dads scheinen ihre Schatten über unsere kollektive Imagination zu werfen.

Könnte es sein, dass sich eine Zivilisation, die so nach optimistischen Bildern hungert, sich auf ihrer Suche nach utopischen Vorbildern zurück zu deren Urquelle orientiert hat? Könnte der Superheld mit seinem Cape und seinem hautengen Kostüm die aktuelle Repräsentation dessen sein, was wir werden könnten, wenn wir uns selbst gestatten, uns würdig zu fühlen für eine Zukunft, in der unsere besten Eigenschaften so stark sind, um die zerstörerischen Impulse, die danach streben, das Menschheitsprojekt zu beenden, endgültig zu überwinden?

Wir leben die Geschichten, die wir uns erzählen. In einer säkularen wissenschaftlichen Kultur, der jegliche überzeugende spirituelle Führung fehlt, sprechen Geschichten über Superhelden klar und deutlich unsere größten Ängste, tiefsten Sehnsüchte und höchsten Erwartungen an. Superhelden bieten Hoffnung, schämen sich nicht, optimistisch zu sein, und sind auch im Dunkeln absolut furchtlos. Die Geschichten über sie sind so weit von unserer gesellschaftlichen Realität entfernt, wie es nur eben geht, doch behandeln die besten Superhelden-Geschichten direkt die mythischen Seiten des menschlichen Daseins, mit denen sich jeder identifizieren kann, und zwar auf fantasievolle, tiefgründige, witzige und provokante Weise. Das vorliegende Buch ist der ultimative Guide zur Welt der Superhelden – was sie sind, woher sie kommen, und wie sie uns helfen können, uns selbst, unsere Umwelt und das Multiversum an Möglichkeiten, das uns umgibt, wahrzunehmen und zu überdenken. Seid bereit, Eure Maskierung fallenzulassen, das Zauberwort für Eure Verwandlung zu flüstern und das Gewitter heraufzubeschwören. Es ist an der Zeit, die Welt zu retten.

AN ALLE HEISSBLÜTIGEN JUNGEN AMERIKANER!

Hiermit bist Du, (hier Name und Adresse einsetzen), offiziell erwählt worden, um als MITGLIED dieser Organisation alles zu tun, um Deine KRAFT und Deinen MUT für die GERECHTIGKEIT einzusetzen, den SUPERMAN CODE absolut GEHEIM zu halten und alle Regeln eines braven Staatsbürgers zu befolgen.

Es sind vielleicht nicht die Zehn Gebote, aber als moralische Orientierungshilfe für eine Jugend in einem aufgeklärten Zeitalter war das Credo der Supermen of America, eines Superman-Fanclubs, schon mal ein Anfang.

Dies ist die Gründungsgeschichte eines neuen Glaubens und seiner Eroberung der Welt:

Mit einem Blitzschlag entzündete der göttliche Funken der Inspiration billiges Zeitungspapier. Der Superheld ward geboren, aus einer Explosion von Farbe und Action. Von Anfang an präsentierten der Ur-Gott und sein düsterer Zwilling den Rahmen, durch den wir unsere besten wie unsere abgründigsten Impulse personifiziert und im ewigen Kampfe sehen konnten – ausgebreitet über eine epische, zweidimensionale Leinwand, auf der sich unsere äußeren und inneren Welten, unsere Gegenwart und Zukunft, abbilden und erforschen ließen. Sie kamen, um uns aus einem existentialistischen Abgrund zu erretten, jedoch mussten sie sich zuerst einen Weg in unsere kollektive Vorstellungskraft bahnen.

Superman war das erste dieser neuen Wesen, frisch aus der Druckerpresse im Jahr 1938, neun Jahre, nachdem der Börsencrash an der Wall Street eine katastrophale, weltweite Depression ausgelöst hatte. In Amerika gingen Banken Pleite, verloren Menschen ihre Jobs und ihre Häuser, zogen in extremen Fällen in hastig zusammengebaute Barackensiedlungen. Auch vernahm man Gepolter aus Europa, wo sich der ehrgeizige Reichskanzler Adolf Hitler zum Diktator von Deutschland erklärte, nachdem er fünf Jahre vorher bei der Wahl triumphiert hatte. Mit dem Auftauchen des ersten globalen Super-Bösewichts war die Bühne frei für die fantasievolle Antwort der freien Welt. Dieser Konter kam ausgerechnet aus den Reihen der Underdogs: Zwei junge, bebrillte und ideenreiche Science-Fiction-Fans aus Cleveland waren es, die, bewaffnet mit Schreibmaschine und Zeichenkarton, eine Macht entfesselten, die stärker war als Bomben, und ein Ideal formten, das mühelos Hitler und seine Träume von einem Tausendjährigen Reich überlebte.

Jerry Siegel und Joseph Shuster feilten sieben Jahre an ihrer Idee, bevor sie bereit war, der Welt präsentiert zu werden. Ihr erster Versuch im Comic-Genre resultierte in einer dystopischen Sci-Fi-Story über einen telepathischen Despoten. Der zweite Entwurf enthielt einen großen, starken, aber sehr menschlichen Helden, der sich um die Missstände in den Straßen kümmerte. Keine der beiden Geschichten entsprachen dem Geschmack der Verleger. Vier Jahre später, nach vielen fruchtlosen Versuchen, Superman als Comicstrip in die Zeitungen zu bringen, gelang es Siegel und Shuster schließlich, das Tempo und die Struktur ihrer Geschichten an die Möglichkeiten des Comic-Buchs anzupassen – womit auch diesem noch jungen Format plötzlich sein definierender Inhalt beschert wurde.

Der Superman, der es auf das Cover der Action Comics, Ausgabe 1,schaffte, war einfach nur ein simpler Halbgott, nicht die popkulturelle Gottheit, die er einst werden sollte. Der Prototyp von 1938 vermochte 200 Meter weit zu hüpfen, ein zwanzigstöckiges Gebäude im Sprung zu überwinden, kolossale Gewichte zu stemmen, schneller als ein Expresszug zu sprinten, und seine Haut konnte allerhöchstens mittels Granatbeschuss durchdrungen werden. Obwohl er ein Genie war, ein wahrer Herkules und der Erzfeind aller Bösewichte, war diese Version von Superman noch flugunfähig und beschränkte sich stattdessen auf seine in der Tat enorme Sprungkraft. Er konnte weder die Erde in Lichtgeschwindigkeit umkreisen noch den Fluss der Zeit aufhalten. Das kam erst später. In seinen Jugendtagen war er beinahe noch glaubwürdig. Siegel und Shuster bemühten sich, seine Abenteuer in einer zeitgenössischen, aber fiktiven Stadt, allerdings nicht unähnlich dem realen New York, zu verankern, welche genauso wie der Rest der realen Welt von nur allzu bekannten Ungerechtigkeiten heimgesucht wurde.

Die Abbildung auf dem Cover, die der Welt diesen bemerkenswerten Typen vorstellte, bot etwas komplett Neues, etwas, das noch nie jemand gesehen hatte. Es ähnelte einer Höhlenmalerei, welche Forscher einmal, zehntausend Jahre in der Zukunft, an der Wand eines prähistorischen U-Bahn-Schachts entdecken könnten – ein kraftvolles, gleichsam futuristisch wie primitiv anmutendes Abbild eines sagenhaften Jägers, der ein wildgewordenes Auto zur Strecke bringt.

Der knallgelbe Hintergrund der rot gezackten Korona – beides in den Farben Supermans gehalten – erinnert an eine explosive Detonation von roher Kraft, die den Himmel erleuchtet. Neben dem schlichten Logo von Action Comics, dem Datum (Juni 1938), der Ausgabe (Nr. 1) und dem Preis (10 Cents) findet sich keine einzige Erwähnung des Namens Superman. Die Botschaft war prägnant genug. Zusätzliche Schriftzüge wären überflüssig gewesen: Die Action war, was zählte. Die Taten eines Helden zählten weit mehr als seine Worte, und von Anfang an war Superman permanent in Bewegung.

Zurück zum Cover: Seht Euch den schwarzhaarigen Mann in seinem eng anliegenden rot-blauen Outfit und seinem roten Cape an, wie er sich von links nach rechts entlang des Bildäquators bewegt. Das auffällige Emblem auf seiner Brust deutet ein „S“ an. Der Mann ist in vollem Schwung festgehalten, auf den Zehenspitzen seines linken Fußes, beinahe, als würde er zum Abflug ansetzen, während er mühelos das olivgrüne Auto über seinen Kopf stemmt. Mit beiden Händen zertrümmert er das Gefährt an einem Felsen. In der unteren linken Ecke stürmt ein Mann in blauem Anzug aus dem Bild, wobei er seinen Kopf ähnlich Edvard Munchs Schreihals in seinen Händen hält. Sein Gesicht ist erfüllt mit existentieller Angst, wie ein Mann, der durch das, was er gerade miterlebt, an die Grenzen seiner Vernunft getrieben wird. Über seinem Kopf sieht man einen anderen Mann in einem konservativ anmutenden Zweiteiler, der sich ebenso Richtung Bildrand verabschiedet. Ein dritter, nicht weniger erschütterter Protagonist kauert auf Händen und Knien am Boden und blickt ganz ohne Jacke auf den übermenschlichen Vandalen. Seine elende Haltung symbolisiert seine totale Unterwerfung gegenüber diesem ultimativen Alphamännchen. Einen vierten Mann gibt es nicht: Sein potentieller Platz in der rechten unteren Ecke des Bildes wird von einem Weißwandreifen, der von seiner Achse gerissen wurde, eingenommen. Ähnlich den glupschäugigen Ganoven versucht er, die Flucht vor diesem zerstörerischen Muskelmann zu ergreifen.

In den Händen jedes anderen würde der grüne Roadster des Covers stolz die technologische Überlegenheit Amerikas und die Wunder der Massenfabrikation repräsentieren. Man stelle sich die Werbung vor: „Luxuriöse Weißwandreifen lassen Sie wie auf Watte dahingleiten.“ Aber dies war nun einmal der Sommer 1938. Die Fließbandherstellung machte viele Arbeiter überflüssig, während Charlie Chaplins Modern Times pantomimisch den stillen Schrei des kleinen authentischen Mannes, der nicht vergessen werden hätte sollen, artikulierte.

Superman machte seinen Standpunkt klar: Er war ein Held des Volkes. Der ursprüngliche Superman war eine kühn-humanistische Antwort auf die Ängste, die die Ära der Weltwirtschaftskrise mit ihrem seelenlosen Industrialismus mit sich brachte. Diese frühe Inkarnation von Superman brachte gigantische Züge zum Stillstand, warf Panzer um oder stemmte Baukräne. Superman schrieb die Legende vom amerikanischen Volkshelden John Henry und seinem tapferen, wenn auch letztendlich vergeblichen Kampf gegen einen Dampfhammer zu einem Happy-End um. Er thematisierte die Träume des kleinen Kerls von der Straße. Er war wie Charlie Chaplin bereit, erbittert gegen die Ungerechtigkeit anzukämpfen, nur: An Stelle von Witz und Charme hatte Superman die Kraft von 50 Männern und war außerdem unverwundbar. Wenn die dystopischen Visionen dieser Zeit eine entmenschlichte und mechanisierte Welt prophezeiten, so stand Superman für eine Alternative: nämlich für eine von Menschen geprägte Zukunft, in der das Individuum über die Mächte der industriellen Unterdrückung siegen würde. Er war nicht weniger bescheiden und genauso stets auf Seiten der Armen wie ein in einem Stall geborener Erlöser.

Um noch einmal auf das Cover zurückzukommen: Bitte beachtet, wie die Komposition sich in einer unschwer zu erkennenden X-Form über das Bild erstreckt, was der Zeichnung ihr solides Gerüst und ihre grafische Ausstrahlung verleiht. Dieses unterschwellige X deutet auf die Faszination des Unbekannten hin, schließlich war Superman zu Zeiten dieser Erstausgabe auch nichts anderes: ein wandelndes Enigma im Umhang. Er steht in der Bildmitte, ein Meister über die vier Elemente und Himmelsrichtungen. Im haitianischen Voodoo steht eine Kreuzung als Pforte für das Geistwesen des Legba, einer weiteren Manifestation des „Gottes“, der u. a. auch schon als Merkur, Thoth, Ganesh, Odin oder Ogma verehrt wurde. Wie diese anderen Gottheiten ist Legba ein Torwächter, der das Grenzgebiet zwischen den Welten der Menschen und jener der Götter bewacht. Es macht absolut Sinn, dass Superman sich gleichfalls in so einem nexushaften Übergang aufhält.

Wie eine kompositorische Schranke erlaubte dieses „X“ Shuster, mehrere Elemente in eine Drehbewegung zu versetzen, welche die zentrale Figur hervorhob. Man sieht sich in Bewegung befindliche Menschen mit Ausdrücken auf ihren Gesichtern, grelle Farben, die jedoch, sorgfältig um die starke Struktur des „X“ gelegt, ein sekundäres, spiralartiges Arrangement formen, welches unsere visuelle Wahrnehmung auf eine Riesenradfahrt mitnimmt, fieberhafte Fragen aufwirft und so unseren Verstand in Bewegung setzt:

Warum hat der rennende Mann so eine Angst?

Was macht das Auto da oben?

Warum wird es gegen einen Felsen gehämmert?

Auf was blickt der kniende Mann?

Mit unserem heutigen Wissen können wir annehmen, dass die fliehenden, verängstigten Männer wohl irgendwelche Kriminelle sein dürften. Die Leser damals hatten aber überhaupt keine Ahnung, was da vor sich ging. Ganz offensichtlich ging es hier um Action, aber der erste Blick auf Superman war zwiespältig. Die Männer, die für uns eindeutig als Gangster zu identifizieren sind, hätten genauso nichts ahnende Passanten sein können, die sich vor einem Über-Halunken in einer Art russischem Ballettkostüm in Sicherheit bringen wollten. Schließlich sehen wir keine gestohlene Beute, welche aus Räubersäcken hervorquillt, keine unrasierten Visagen oder billige Anzüge – nicht einmal Waffen, die die Flüchtenden als etwas anderes als harmlose Zaungäste entlarven würden. Dem ersten Eindruck nach könnte dieser auffällige Muskelprotz Feind wie Freund sein – und die einzige Möglichkeit, alle Fragen aufzuklären, war: weiterzulesen.

Noch eine weitere Innovation bot dieses Cover, noch einen Taschenspielertrick, um uns in die Geschichte zu locken: Das Titelbild zeigt uns eine Momentaufnahme vom Höhepunkt einer Story, die wir noch nicht kennen. Zum Zeitpunkt, zu dem sich Superman der Welt vorstellt, bringt er ein Abenteuer zum Abschluss, das wir nun scheinbar bereits verpasst haben! Nur durch die Lektüre der Geschichte können wir dieses Bild in einen passenden Kontext setzen.

Dieses erste, unbetitelte Abenteuer Supermans explodierte seinen Lesern mit einem actionreichen Standbild entgegen. Siegel warf traditionellere Einstiege über Bord und schnitt direkt in der eröffnenden Panele zur Action, um so konventionelle Erzählweisen auf originelle Weise umzuarrangieren. Der Text verrät uns: „EINE RASTLOSE GESTALT EILT DURCH DIE NACHT, SEKUNDEN ZÄHLEN … VERZÖGERUNG HIESSE, EIN UNSCHULDIGES LEBEN ZU RISKIEREN.“ Diese Zeilen begleiten eine Illustration von Joe Shuster, die zeigt, wie Superman durch die Luft springt und eine gefesselte und geknebelte Frau unterm Arm hält. Das Bild strahlt so viel Kraft wie der Held selbst aus.

Ab der zweiten Panele haben wir das Anwesen des Gouverneurs erreicht. Superman sprintet bereits über den Rasen und wendet sich dabei an das verschnürte Mädchen im Bildvordergrund, das er bei einem Baum abgelegt hat: „BERUHIGE DICH! ICH KANN MICH JETZT NICHT UM DICH KÜMMERN.“ Wir wissen nicht, wer sie ist, obwohl Supermans grobes Verhalten auf eine üble Person hindeutet – außer, wie das Cover nicht abgeneigt ist zu unterstellen, der Protagonist ist ein Bösewicht.

Durch die Erzählweise werden wir von Supermans Geschwindigkeit mitgerissen und gezwungen, uns auf das Notwendigste in jeder Szene zu konzentrieren. Die einzige Lösung ist, sich an sein wehendes rotes Cape zu heften, immer einen Schritt hinter ihm.

Als der Butler des Gouverneurs dem muskelbepackten Fremden im hautengen Kostüm die Türe nicht öffnen will, zertrümmert dieser sie einfach, hastet die Treppen hoch, wobei er den lautstark protestierenden Adlatus über seinen Kopf hält. Dann reißt er eine Stahltür aus ihren Angeln und erreicht einen schockierten und sichtlich um seine Sicherheit besorgten Beamten. Der Butler hat sich inzwischen so weit gesammelt, dass er eine Waffe auf den Eindringling richten kann: „LEGEN SIE DAS SPIELZEUG NIEDER“, warnt ihn Superman. Der Butler drückt ab, muss aber feststellen, dass der muskulöse Held immun gegen Patronen ist, welche harmlos von seiner Brust abprallen.

Allein diese Ouvertüre dürfte die 10 Cent aus der Tasche eines nach Fantasie lechzenden Lesers zur Zeit der Weltwirtschaftskrise wert gewesen sein. Doch Siegel und Shuster waren noch nicht fertig. Sie hatten noch einen Trumpf im Ärmel. Gerade, als wir glauben, dieses unfassbare Konzept durchschaut zu haben, nachdem wir die Kraft und die Hingabe dieses Mannes aus Stahl bestaunen durften, werden wir mit Clark Kent konfrontiert, dem Mann hinter dem „S“ – einem Mann mit einem Job, einem Boss und mit Frauenproblemen. Clark, der Nerd, der arme Tropf, diese Brillenschlange, die nur ein Schatten des vor Selbstvertrauen strotzenden Supermans ist. Die Jungs waren auf eine Goldader gestoßen.

Herkules war stets Herkules. Agamemnon und Perseus waren Helden ab dem Zeitpunkt, da sie aus ihren Betten stiegen, und blieben es auch bis zum Ende eines schlachtenreichen Tages. Superman aber war heimlich jemand anderer. Clark war die Seele, das transzendente Element in der Superman-Gleichung. Mit Clark hatte Siegel dem Leser eine Identifikationsfigur geschenkt: unverstanden, ausgenutzt und respektlos behandelt – trotz seiner offensichtlichen Fähigkeiten als Zeitungsmacher beim Daily Planet. Wie auch Siegel und Shuster schon hatten erleben müssen, bevorzugten manche Frauen heroische Krieger gegenüber hageren Männern, die hübsche Bilder zeichneten. Aber Clark Kent war mehr als die ultimative Nerd-Fantasie. Jeder konnte sich mit ihm identifizieren. Wir haben uns alle schon ungeschickt und missverstanden gefühlt – ein oder zwei Mal vielleicht, eventuell sogar öfter. Beinahe jeder vermutet bei sich die Existenz eines innewohnenden Supermans, eines engelgleichen Wesens, eine idealisierte Version unserer selbst. Etwas von Clark steckt in uns allen.

Die Seite 3 stellte uns den Reporter Kent auf seinem Weg zur Arbeit vor, wo ihn ein anonymer Hinweis auf die Spur eines angeblichen Gewalttäters bringt, jedoch ist es Superman, der letztlich auf der Szene erscheint. Er findet den Rüpel, wie er seine Frau mit einem Gürtel bedroht. Er schleudert den Übeltäter gegen die Wand, wobei der Verputz aufbricht, und ruft ihm zu: „HÖR AUF, DEINE FRAU ZU SCHLAGEN!“ Worauf der Fiesling ohnmächtig wird, was Superman erlaubt, sich wieder in Kent zu verwandeln, bevor die Polizei eintrifft.

Es fehlte immer noch ein entscheidender Baustein im Profil von Superman. Auf Seite 5 trat die Schlüsselfigur einer aufreibenden Ménage à trois, welche das Publikum jahrzehntelang faszinieren würde, in einer seltsam schmucklosen Panele erstmals in Erscheinung. Zurück in der Redaktion stellt uns Kent die kühle, abweisende Lois Lane, seine Rivalin um die besten Schlagzeilen, vor: „WAS HÄLTST DU VON EINEM … ÄH, DATE HEUTE ABEND, LOIS?“ Ihre ersten Worte sollten sie für Jahrzehnte definieren: „ICH GLAUBE, ZUR ABWECHSLUNG SOLLTE ICH MAL JA SAGEN.“ Beim folgenden Rendezvous schafft Kent ein halbes, windschiefes Tänzchen mit seiner Flamme, doch werden sie sogleich von Butch Matson, einem Gorilla von einem Gangster, belästigt. Clark weiß sich nicht zu helfen, doch die resolute Lois verpasst Matson eine und rät ihm, sich zu verziehen. Bevor ihr Taxi losfährt, lässt sie noch den sanftmütigen Kent ihre vernichtende Verachtung spüren: „DU HAST MICH GEFRAGT, WARUM ICH DIR AUS DEM WEG GEHE. NUN, WEIL DU EIN RÜCKGRATLOSER, UNERTRÄGLICHER ANGSTHASE BIST.“

Angesichts der Tatsache, dass Clark ein Top-Kriminalreporter bei einer angesehenen Zeitung ist und ein schickes Apartement bewohnt, ist es nur schwer vorstellbar, dass Lois so wenig von ihm hält. Andersherum ist es leicht, sie zu verstehen, wenn man bedenkt, wie Kent eine Ausrede nach der anderen sucht, um seine wahre Identität zu verbergen. Clark klagt über Übelkeit oder Schnupfen, wenn seine sensiblen Ohren einen Polizeialarm auffangen und Superman benötigt wird. Seine Rechtfertigung für seine Ausflüchte ist, dass dunkle Unterweltbosse sich durch Gräueltaten an seinen Lieben bei ihm revanchieren könnten, wenn er sein wahres Ich preisgeben würde. Er hatte eine umfassende Tarnung erschaffen, eine Person, die das totale Gegenteil zu Superman darstellte, um ihm einen Hauch normales Leben zu erlauben.

Am Ende der ersten Superman-Story, dreizehn Seiten nach ihrer furiosen Einführungsszene, hatte unser Held nicht weniger als fünf Gesetzesbrecher zur Strecke gebracht und sich auch noch nebenbei der Korruption im US Senat angenommen. Jedes neu enthüllte Detail machte sowohl die individuelle Figur als auch das Konzept an sich noch spannender. Es war eine Genre-Innovation ungeahnten Ausmaßes. Er gab der Welt ihren ersten Superhelden. Dreizehn Seiten Unglück für die Feinde der Unterdrückten!

Das Konzept des Superhelden fand umgehend Anklang in der Öffentlichkeit. Der Superman-Fanclub hatte bald hunderttausende Mitglieder, wie eine Art freundlich gesinnter Hitlerjugend oder eine Bewegung von Science-Fiction-Pfadfindern. 1941 war er der Star von Action Comics. Superman bekam bald seine nach ihm benannte Publikation und trat auch in World’s Finest Comics und All Star Comics auf. Gleichzeitig gelang ihm der Sprung in andere Medien, was ihm dabei half, seinen Ruhm zu verbreiten, und den Grundstein für eine lange Karriere auch abseits der Comics legte. Superman arbeitete sich ins Bewusstsein der ganzen Nation, ja, der ganzen Welt. Er war im Radio, fand sich auf Comic-Seiten in Tageszeitungen, auf Marken zum Sammeln, auf Grußkarten, in Malbüchern, auf Kaugummipackungen und Kriegsanleihen.

Frühe Comics benützten Vierfarbdruck, bei dem Rot, Gelb, Blau und Schwarz kombiniert wurden, um das Farbspektrum zu kreieren. Superman war – wie könnte es anders sein – der Erste, der diese neue Technik voll für sich zu nutzen wusste. Wir werden diese fundamentalen Bausteine des Comic-Universums später noch genauer unter die Lupe nehmen, aber im Moment reicht es, wenn man weiß, dass dieser Prozess dem Superhelden eine strahlende Erscheinung gab. Das gab es noch nie zuvor, und nun war es für jedermann erhältlich. Für die an die Schwarzweißbilder der Kinofilme, Fotos, Zeitungen und Schundheftchen gewöhnten Leser mussten die Comics wie ein Halluzinogen gewirkt haben. Dass Siegel und Shuster sogar eine feine Prise Naturalismus aus Filmen und Wochenschauen in ihre Comics einflochten, machte den verführerischen Surrealismus des Superhelden nur noch faszinierender. Sie waren Volkskunst für ein rastloses neues Jahrhundert.

Shusters und Siegels innovativer Stil des rasanten Schnitts brachte eine neue Geschwindigkeit und Lebendigkeit in die Kunstform. Damit ist gemeint, dass der Raum, der zwischen einem noblen Landsitz und einem urbanen Häuserblock lag, auf den weißen Strich zwischen den Panelen reduziert wurde. Eine meilenweite Entfernung – im Nu durch einen Sprung Supermans überwunden. Dem Helden über die Panelen zu folgen, hieß, eine Verschiebung der Grenzen des Möglichen zu erleben, sowohl in Bezug auf menschliche Wahrnehmung als auch auf unmögliche Geschwindigkeiten. Anders als die Strips in Tageszeitungen, hatten die frühen Superhelden eine besondere Links-nach-rechts-Dynamik. Es war beinahe wie ein Zeichentrickfilm, bei dem die einzelnen Frames sichtbar gemacht wurden und der Leser sich die Lücken mithilfe seiner Fantasie auffüllen musste.

Shusters Artwork war einfach. Die kräftigen Schwarzweißlinien der frühen Comics waren noch erkennbar, um sicherzustellen, dass im rohen Reproduktionsprozess auch nichts verloren gehen konnte. Jegliche feine Linienführung, Schattierung oder Nuance wäre einfach verloren gegangen auf dem Weg zur gedruckten Ausgabe. Außerdem musste aufgrund von Abgabefristen schnell gearbeitet werden.

Trotzdem ist es noch möglich, Tiefe in den Zeichnungen zu entdecken. Ich kann gar nicht anders, als in diesen handgefertigten Arbeiten die rührenden Produkte der Fantasie dieser jungen Männer, die von einer besseren Zukunft träumten, zu sehen. Die Tiefe und die Schärfe, die in die Geschichten und Bilder der noch so roh wirkenden Comics floss, sind auch noch in den unsichersten Strichen sichtbar. Die Seiten sind das Resultat stundenlanger Arbeit, und der Triumph und die Verwirrung, die diese Arbeit mit sich bringt – von Pillen und Kaffee angetrieben, damit man nach einer durchgearbeiteten Nacht eine Story einreichen konnte – flackern durch die Striche jeder noch so bescheidenen oder kurzen Geschichte.

Nach all diesen Jahren der zahllosen Fehlstarts und frustrierenden Ablehnungen, hatten es Siegel und Shuster geschafft. Natürlich war es nur logisch, dass sie nun die Rechte für 130 $ an National Comics (später DC Comics) abtraten. Genau. Halten wir inne und stellen uns diese beträchtliche Geldsumme im Angesicht dessen vor, was die Marke Superman bis heute eingebracht hat.

Wer auf die richtigen Stimmen hört, wird hören und glauben, was ich hörte und glaubte, als ich in diesem Business heranwuchs – und es wird nicht lange dauern, bis man folgendes Düstere und üble Märchen zugeflüstert bekommt: Es ist die triste Geschichte zweier unschuldiger Siebzehnjähriger, die von schlangenzüngigen und durch-und-durch kapitalistischen Blutsaugern verführt wurden. In dieser Tragödie nach dem Geschmack Hollywoods werden Jerry Siegel und Joe Shuster als großäugige Naivlinge in einer Welt voller gefährlicher Raubtiere dargestellt.

Die Wahrheit ist wie immer nicht so dramatisch. Der Deal wurde 1938 abgeschlossen, also bevor Superman boomte. Siegel und Shuster waren beide 23, als sie die Rechte an Superman verkauften. Sie hatten bereits einige Jahre in der halsabschneiderischen Welt der Schundzeitschriften gearbeitet und, wie so viele andere Künstler, Musiker, Entertainer, wollten sie ihr Produkt verkaufen. Mit Superman bekamen sie den Fuß in die Tür, ein möglicher Durchbruch, der sie nur einen Schritt weiter bringen sollte. Superman wurde den Göttern des kommerziellen Erfolgs als Opfer dargebracht. Ich vermute, dass die kreativen Köpfe Shuster und Siegel überzeugt waren, bald neue, bessere Figuren zu erschaffen.

Aber spätestens ab 1946 wurde ihnen klar, wie viel Geld ihre Schöpfung mittlerweile abwarf. Sie reichten Klage gegen National Comics ein, womit sie kein Glück hatten. Dann versuchten sie Supermans Erfolg mit anderen Charakteren zu wiederholen – und zwar mit dem charmebefreiten, aber dafür umso kurzlebigeren Funnyman (einem Verbrecher bekämpfenden Clown). Siegel war auch verantwortlich für das gnadenlose Rachegespenst Spectre und den heldenhaften Cyborg Robotman. Er schrieb sogar den quintessenziellen britischen Superhelden-Strip The Spider, aber die Obskurität dieser relativ gut durchdachten Figuren ist wieder eine andere Geschichte. Jerry Siegel misslang es, einen zweiten Charakter mit der unnachahmlichen Wirkung von Superman zu konzipieren, aber er und Shuster hatten immerhin etwas Spektakuläres zu Stande gebracht – sie hatten die Regeln, wie man neue Universen erschaffen konnte, festgelegt.

(1975, angesichts schlechter Publicity, gestand Warner Brothers, der Mutterkonzern von DC, Siegel und Shuster schließlich 20 000 $ jährlich als Abfindung zu und versicherte den beiden, ihnen für jegliche zukünftigen Superman-Comics, -Fernsehserien, -Filme oder -Spiele eine Namensnennung als Erfinder der Figur zukommen zu lassen. Ich bin mir sicher, dass das guttat, aber um aufzuzeigen, wie sehr sich das Geschäft weiterentwickelt hat, muss ich erwähnen, dass ein produktiver und erfolgreicher Comic-Schreiber den gleichen Betrag in einer Woche verdienen kann. Jedenfalls dauern die Rechtsstreitigkeiten zwischen den Erben Jerry Siegels und DC bis heute an.)

Und natürlich waren Shuster und Siegel, nachdem sie die Rechte verkauft hatten, auch nicht mehr für das weitere Schicksal ihrer Figur und ihrer Entwicklung verantwortlich. Die Schreiber der Radiosendung fügten neue entscheidende Elemente hinzu, wie etwa das außerirdische Killer-Mineral Kryptonit. Bei den Comics war ein ganzes Team damit befasst, den Ofen am Brennen zu halten. Befreit von seinen Schöpfern, sollte er sich im Laufe der nächsten sieben Dekaden radikal und kontinuierlich weiterentwickeln, um mit den Veränderungen in Mode, Politik und Zielgruppen-Demographie mithalten zu können – oder sie mitunter auch richtig vorherzusagen. Superman hatte nun eine – im übertragenen Sinne – neue Superkraft, nämlich sich flexibel anpassen zu können, was ihm das Überleben sichern sollte. 40 Jahre später, im Jahr 1978, als ein neuer, groß angekündigter Superman-Film kurz vor seinem Kinostart stand, arbeitete Siegel als Angestellter und Shuster war, halb erblindet, in einem kalifornischen Pflegeheim untergekommen. Er hatte seit dem unsäglichen Funnyman keine Comics mehr gezeichnet. Superman hingegen war in der Zwischenzeit kein bisschen gealtert. Egal, was ihm verschiedene kreative Mitarbeiter hinzufügten, es machte ihn jedes Mal nachhaltig stärker, schneller, fitter und ausdauernder als jedes menschliche Wesen.

Eigentlich ist er sogar realer, als wir es sind. Wir Schreiber kommen und gehen, Generationen von Künstlern liefern ihre Interpretationen ab, und doch überdauert etwas; etwas, das immer Superman ist. Wir müssen uns an die Regeln halten, wenn wir seine Welt betreten wollen, denn wenn wir ihn zu sehr abändern, verlieren wir seine Essenz. Es gibt einige beständige Charakteristika, die Superman über die Dekaden zu dem haben werden lassen, was er ist, definiert durch die unerschütterlichen Eigenschaften, die Superman in jeder Inkarnation besitzen muss, was ihm wohl auch seine Göttlichkeit verleiht.

Aber all dies beiseite. Es gibt wohl nur eine Frage, die wirklich jeder beantwortet haben will, wenn das Thema Superman aufkommt: Wenn er tatsächlich so gottverdammt super ist, warum trägt er dann seine Unterhosen über seinen Strumpfhosen?

Als ich mit Superman aufwuchs, akzeptierte ich seinen „Action-Anzug“ einfach als Teil des Ganzen. Es war normal für die fortgeschrittenen Typen aus den Schundromanen, sportliche Umhänge, Strumpfhosen und drüber noch einen Schlüpfer zu tragen. Ebenso schien es nach Jahrtausende andauerndem Frieden und Fortschritt unter einer progressiven Weltregierung für Herren en vogue zu sein, sich in kniehohen Stiefeln zu präsentieren. Die wahre Erkenntnis zu Supermans apartem Look kam mir erst später, als mir einige Fotografien von Zirkus-Kraftprotzen aus den Dreißigern unterkamen. Unter dem Trapez tummelten sich stramme Kerle mit imposanten Schnauzbärten, wie sie mit ihren fleischigen Fäusten Gewichte stemmten und stiernackig in die Kamera glotzten. Und gewandet waren sie in jene leicht verstörende Kombination, die wir heute mit Superman assoziieren. Endlich ergab alles einen Sinn. Die Lösung zu diesem uralten Rätsel war die ganze Zeit greifbar gewesen, in der Vergangenheit versteckt, dort, wo niemand nachgesehen hatte. 1938 waren Unterhosen über Strumpfhosen das ultimative Attribut extramaskuliner Stärke und Ausdauer. Das Cape, die Stiefel, der Gürtel und das hautenge Spandexkostüm leiteten sich von Zirkuskostümen ab und halfen dabei, den schaustellerischen, sogar Freakshow-mäßigen Aspekt der Abenteuer Supermans zu betonen.

Brücken stemmen, Züge mit bloßen Händen aufhalten, mit Elefanten ringen: Dies waren die Tricks eines Supermuskelprotzes, der vom karnevalesken Flair profitierte, das von seinen knallengen Strumpfhosen ausging. Shuster hatte den ersten Superhelden wie den größten Vertreter des Ideals eines Muskelmannes angezogen – und ihn damit unwissentlich zum Ziel von Spott und Häme und tausender Witze gemacht.

Abgesehen von den offensichtlichen Bestandteilen, kann das Superman-Kostüm aber noch mehr über seinen Träger und seine Wirkung verraten. Seit seiner Erfindung hatte Superman einen ebenso großen Wiedererkennungswert wie Mickey Mouse, Charlie Chaplin oder Santa Claus. Er erregte sofort Aufmerksamkeit und war somit leicht zu vermarkten. Vorher hatte noch nie jemand seinem Protagonisten aggressiv dessen Initiale auf die Brust gepinselt, was eine marketingtechnische Meisterleistung war. Superman trug sein eigenes Logo. Sein Emblem war wie die Fahne seines eigenen Landes, und so wie das Rote Kreuz war er überall willkommen.

Der rot-blaue Kontrast gab ihm außerdem noch einen patriotischen Touch, und da seine Aktivitäten oft von solchem Ausmaße waren, dass ihre Darstellung von panoramischen Perspektiven profitierte, waren die Primärfarben dabei behilflich, den Helden jederzeit ausmachen zu können, auch wenn dieser bloß als kleiner Punkt vor der Skyline von Metropolis wahrzunehmen war. Der wehende Umhang hatte auch seinen praktischen Nutzen, da er stets die Illusion von tatsächlicher Bewegung und Geschwindigkeit zu vermitteln vermochte – die scharfen, modernen Schnitttechniken des Erzählstils von Siegel und Shuster erledigten den Rest.

Zurück zum Brustlogo. Superman, der so unverschämt speziell, so absolut individuell war, dass er seine eigene Initiale als Abzeichen vor sich her trug, bestärkte die menschliche Würde, indem er in eine andere Zeit vorgriff. Shuster und Siegel hatten eine Zukunft vor Augen, in der alle ihre eigenen stolzen heraldischen Symbole, die von Anerkennung zeugen sollten, tragen würden. Eine Zukunft, in der Technologie einfach ein Werkzeug sein würde, um die Kreativität und Verbundenheit, die das Geburtsrecht unserer goldenen Super-Ichs sein würde, auszudrücken.

In Superman manifestieren sich einige der höchsten Erwartungen unserer Spezies. Sie verbinden sich mit der niedrigsten Form der Unterhaltung, wodurch etwas Kraftvolles geboren wurde, auch wenn sich dieses Etwas in Unterhosen zur Schau stellt. Er ist tapfer. Er ist clever. Er gibt niemals auf und lässt nie jemanden im Stich. Er setzt sich für die Schwachen ein und versteht es, Gauner aller Art in ihre Schranken zu weisen. Er kann nicht verletzt oder getötet werden. Er wird nie krank. Er steht hundertprozentig loyal zu seinen Freunden und der Welt, die ihn adoptiert hat. Er ist Apollo, der Sonnengott, die unschlagbare Version des Ichs, die persönliche Größe, von der wir wissen, dass sie uns allen innewohnt.

Mit anderen Worten war Superman die Wiedergeburt unserer ältesten Idee: Er war ein Gott. Sein Thron überragt den Gipfel des Olymps und, wie Zeus, verkleidet er sich als Sterblicher, um unter den gewöhnlichen Menschen zu wandeln, um mit ihren Dramen und Leidenschaften in Verbindung zu bleiben. Das ist nicht das Ende der Parallelen: Sein „S“ ist ein stilisierter Blitz – die Waffe des Zeus, die strenge Autorität und Gerechtigkeit repräsentiert. Wie Supermans Ursprungsgeschichte von 1939 andeutet – „WÄHREND EIN FERNER PLANET ZUGRUNDE GEHT, SCHICKT EIN WISSENSCHAFTLER SEINEN SOHN IN EINEM HASTIG AUSGERÜSTETEN RAUMSCHIFF RICHTUNG ERDE“ –, war er wie der kleine Moses oder Hindu Karna, der in einem „Körbchen“ auf dem Fluss der Vorbestimmung auf den Weg geschickt wurde. Und dann gibt es da die westliche Gottheit, der Superman am ehesten entspricht: Superman war Christus, ein unverwundbarer Champion, geschickt von seinem himmlischen Vater (Jor-El), der uns ein Vorbild sein und uns lehren sollte, unsere Probleme ohne Gewalt zu lösen. In seinem schamlos grellen Traumkostüm war er, gleich einem Popstar, ein Messias des Maschinenzeitalters. Er war dazu bestimmt, die Menschen in Raserei zu versetzen.

Aber wenn die Geschichte Jesu ein zentrales Thema hat, dann bestimmt jene: Wenn Gott auf die Erde herabsteigt, dann muss er ein paar Opfer bringen. Um geboren zu werden, musste Superman einige Kompromisse eingehen. Als Preis für seine Inkarnation musste sich der Sohn des Jor-El von Krypton auf einen schrecklichen Handel mit der komplizierten, zweischneidigen materiellen Welt einlassen. Dieses „S“ kann auch als Schlange gedeutet werden, und es birgt seinen eigenen Fluch in sich. Die Ironie, der kosmische „Stoff“, aus dem unsere Leben so oft im Geheimen gesponnen zu sein scheinen, hatte Superman schon längst im Zielfernrohr. Und so geschah es, dass unser sozialistischer, utopischer, humanistischer Held langsam zu einem Marketing-Instrument, einer patriotischen Vogelscheuche und noch Schlimmeren wurde: zum Verräter seiner eigenen Schöpfer. Nachdem er seine Väter weit hinter sich, auf dem Planeten der Armut, gelassen hatte, flog Superman, in seinem Drang wirklich zu sein, in die Hände eines jeden, der es sich leisten konnte, ihn anzuheuern.

Supermans Image und Name verbreiteten sich in immer weiteren Kreisen, in der Geschwindigkeit der Druckerpresse, der Geschwindigkeit der Radiowellen. Ein starker, eleganter Außerirdischer war gekommen und klingelte nun bei seinem Publikum an. Woher sollte der nächste Superheld kommen? Wie sollte man auf Superman antworten, ohne ihn zu kopieren – was viele versuchten – und ohne eine Klage zu riskieren? Heute erscheint es offensichtlich. Die Antwort bestand darin, die Polarität umzukehren. Superman war ein Held des Tageslichts, strahlend und allzeit optimistisch. Wie wäre es da mit einem Helden der Nacht?

Auftritt Batman.

Alles begann 1938 in einer dunklen und stürmischen Nacht in der New Yorker Midtown, als dem Editor bei Detective Comics, Vin Sullivan, von seinem Boss mitgeteilt wurde, dass er sich einen neuen Helden in der Art von Superman einfallen lassen solle, einen Charakter, der diesem „Lange-Unterwäsche-Trend“ entspreche. Sie überlegten sich, dass Supermans muskulöse Extrovertiertheit eine Entsprechung im Genre der eher introvertierten Detektivgeschichten finden könnte. Genau wie die „Action“ in den Action Comics sich als perfektes Sprungbrett für Superman herausgestellt hatte, so würde die neue Figur zu den Hauptzutaten von Detective Comics passen – Mystery, Crime und Horror.

Bob Kane, geboren als Robert Kahn, war 23, als Batman 1939 sein Debüt gab. Sein Mitarbeiter bei diesem neuen Strip war Bill Finger, der zwei Jahre älter war. Man nannte Finger den begabtesten Comic-Schreiber seiner Generation und beschrieb ihn immer als den Träumer des Teams. Im Gegensatz zu ihm war Kane, der Künstler, ganz Geschäftsmann. Es ist leicht vorherzusehen, wohin uns dieses Melodrama führen wird, und auch zu erklären, warum ihr sicher schon den Namen Bob Kane in Zusammenhang mit Batman-Produkten gelesen haben dürftet, aber nicht den von Bill Finger.

Kanes kalte, gewinnorientierte Intelligenz beeinflusste Batman von Anfang an. Superman wirkte wie das glückliche Resultat von Versuchen, Fehlschlägen und geduldiger Überarbeitung, wohingegen Batman ganz klar das Ergebnis von kühler Überlegung war. Clever und schnell ersonnen, aus einer Ansammlung von popkulturellen Versatzstücken, die kombiniert größer waren als ihre Einzelteile. Sein Erscheinungsbild basierte auf einer Vielzahl von Inspirationen, u. a. auf dem zentralen Charakter eines Stummfilms von 1930 namens The Bat Whisperers (die Ähnlichkeit ist vage, aber die Grundidee eines tierischen Alter Egos ist gegeben). Seine Athletik war beeinflusst von Die Maske des Zorro mit Douglas Fairbanks in der Hauptrolle und von D’Artagnan aus Die drei Musketiere. Diese Agilität wollte Bill Finger mit dem scharfen, schlussfolgernden Verstand von Sherlock Holmes verbinden. Der Strip zeigte aber auch unübersehbare Ähnlichkeit mit der 1934 entstandenen Schundfigur The Bat, einem verhüllten Verbrechensbekämpfer, der Bösewichte mit einer Gaspistole außer Gefecht setzte. Ähnlich wie später Batman wurde ihm durch eine Fledermaus, die durch sein Fenster geflogen kam, der Weg gewiesen. Ein weiterer Fledermaus-Charakter, The Black Bat, ein Bezirksanwalt, der bei einer Säureattacke entstellt worden war, erschien beinahe gleichzeitig in Umhang und schwarzer Maske auf der Bühne. Die beiden existierten bis in die frühen Fünfziger nebeneinander: Black Bat in Schundromanen, Batman in seinen Comics. Es gibt wenig an Batman, das sich nicht direkt zu irgendeinem Vorgänger zurückverfolgen lässt – allerdings hatte er Seele und ausdauernde Power.

Seine verbrecherischen Widersacher, die im Laufe der Zeit immer mehr wurden, waren sogar noch unorigineller. In der ersten Ausgabe von Batmans eigener Comic-Serie im Frühling 1940 ist das Äußere des Jokers direkt aus Conrad Veidts Stummfilm Der Mann, der lachte (1928) übernommen – wer die berühmten Bilder von Veidt in seiner Rolle sieht, wundert sich, wie man damit durchkommen konnte. Die Figur beinhaltete auch Einflüsse des Maskottchens von Coney Island und natürlich der gleichnamigen Spielkarte. 1942 debütierte Two-Face, dessen Gesichtszüge durch einen Säureangriff verunstaltet waren (das hört sich bekannt an, oder?). Er erinnerte an gespaltene Persönlichkeiten der Literatur wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde, etwa in der Verfilmung von 1941, in der Spencer Tracys Oscar-preisgekröntes Antlitz in zwei Hälften geteilt wird – die eine attraktiv, die andere dämonisch.

Bob Kane und sein Studio wollten einen schweren, gotischen Holzschnitt-Effekt und eine bizarr verzerrte Anatomie für ihr Design. Sie improvisierten unmögliche Verrenkungen des menschlichen Körpers, um eine spezielle Sequenz funktionieren zu lassen. Er wiederholte Posen, die ihm gefielen, immer und immer wieder, was Kanes Batman zu einer sonderbar dargestellten, gehemmt wirkenden Figur werden ließen, deren Umhang oft den Anschein erweckte, aus solidem Mahagoni geschnitzt zu sein. Das Design der Schauplätze war oberflächlich – das Büro des Commissioners war durch zwei Stühle, ein Telefon und eine schauerliche Tischlampe angedeutet –, aber es reichte als Bühnenbild für den jungen, ungeschliffenen Bruce Wayne und sein simples Verlangen nach Vergeltung. Die besten Künstler im Team, wie etwa der begnadete Jerry Robinson, der die erste Joker-Story gezeichnet hatte, brachten eine mit Schatten verhangene, bedrohliche und mysteriöse Atmosphäre in die von luxuriösen Anwesen, düsteren Seitengassen und Chemiefabriken geprägte Welt von Batman, welche ihn von seinen Mitbewerbern unterschied.

Batmans erster Auftritt auf dem Cover von Detective Comics, Nummer 27, im Mai 1939 war orthodoxer als jener von Superman. Ein kreisrunder Ballon versprach 64 Seiten Action und außerdem, dass ab dieser Ausgabe die unglaublichen und einzigartigen Abenteuer des Batman beginnen würden. Das Wort Abenteuer ließ auf einen Helden schließen und milderte den vampirischen Aspekt von Batmans Äußerem.

Dieses Bild, noch kruder als das Cover, das Shuster für Action Comics gefertigt hatte, zeigte zwei Männer auf einem Dach, wie sie eine großstädtische Landschaft überblicken, wobei sich vor ihren Augen ein unheimliches Spektakel entfaltete. Der eine Mann hielt eine zierliche, damenhaft wirkende Pistole, was ihn als einen zarten Vertreter der Gattung Gangster auswies. Batman schwang von rechts ins Bild, sein Seil verschwand am rechten oberen Bildrand im Nichts. Er war mit seinen weit ausgebreiteten Fledermausschwingen eine durch und durch dramatische Erscheinung. Batman hatte sich einen dritten Mann gegriffen, eines seiner Beine zappelte über den Straßen der Stadt, die sich weit unter ihnen befanden. Obwohl es Nacht sein sollte, erstrahlte der Himmel in einem ätzenden Gelb, möglicherweise um die extreme Reflexion der Lichter der Stadt gegen den bewölkten Nachthimmel anzudeuten. Der Effekt erinnerte an ein Gemälde von Magritte, in dem es gleichzeitig Tag und Nacht ist.

Alles in allem fehlte hier die kompositorische Durchschlagskraft des ersten Auftritts von Superman. Kane war offensichtlich einfach kein so guter Künstler wie Shuster, aber der unheimliche Charakter seines Helden kam klar zur Geltung. Die sechsseitige Einführungsgeschichte eröffnete mit derselben zackigen Silhouette, diesmal vor dem Hintergrund eines Vollmonds, der über einer Großstadt aufging. Was Bob Kane als Künstler fehlte, das machte er mit Atmosphäre und einem Stil wett, der irgendwie an europäisches expressionistisches Kino erinnerte. Dort wo Superman Regeln brach (und neue aufstellte) und seine Leser direkt mit einer neuen Form von Action konfrontierte, ging Batman auf Nummer sicher mit einem Text, der den Leser in alles einweihte, was er wissen musste: „THE BATMAN, EINE GEHEIMNISVOLLE UND ABENTEUERLUSTIGE GESTALT, DIE IN IHREM KAMPF GEGEN DIE ÜBEL UNSERER GESELLSCHAFT DIE GERECHTIGKEIT VERTRITT UND DIE VERBRECHER ZUR STRECKE BRINGT – IHRE IDENTITÄT IST UNBEKANNT!“

Da war das „The Batman“-Logo, und eine kleine rote Box verriet den Namen Bob Kanes. Keine Erwähnung Bill Fingers, obwohl er der Verfasser der folgenden Geschichte und hunderter weiterer der besten Batman-Geschichten bis ins Jahr 1964 hinein war.

Der Einstieg versetzte uns ins Zuhause von Commissioner Gordon, der gerade seinen prominenten Freund Bruce Wayne empfängt. Bruce Wayne ist ein gelangweilter junger Mann, der heroisch an seiner Pfeife zieht und fragt: „NUN, COMMMISSIONER, IRGENDETWAS INTERESSANTES PASSIERT IN LETZTER ZEIT?“ Der Polizeichef, ein Mann in mittleren Jahren, ebenfalls ein begeisterter Raucher, zündet sich eine Zigarre an, die einen Atompilz in Miniaturausgabe zwischen den beiden aufsteigen lässt. „NEIN …,“ antwortet der Commissioner nur zögerlich. Dann, als ob das wichtigste Element der vorliegenden Geschichte nichts als eine Fußnote wäre: „NUR DIESER KERL, DEN SIE BATMAN NENNEN, VERWIRRT MICH.“ Als Gordon zum Tatort eines brutalen Mordes in einer nahegelegenen Villa gerufen wird, schließt sich Wayne an, als ob nichts dabei wäre, wenn jemand todernste Polizeiuntersuchungen als Besichtigungstour interpretiert.

Batman tritt auf der dritten Seite in Erscheinung, auf einem vom Mond erhellten Hausdach. Seine Körperhaltung verrät sein Selbstvertrauen, seine Arme sind verschränkt, er wirkt unerschrocken, beinahe lakonisch. Die Gangster erkennen ihn, was dem Leser mitteilen soll, dass es sich hier nicht um den ersten nächtlichen Ausflug unseres Helden handelt. Genau wie bei Superman kommen wir erst hinzu, als die Geschichte sich bereits in Gang gesetzt hat. Fast ansatzlos bricht die Gewalt über diese Männer in einer rapiden Abfolge von actiongeladenen Panelen herein.

In seinem ersten Abenteuer vereitelte er einen bizarr-komplexen Plan eines chemischen Syndikats, gewürzt mit ein paar Morden und Geldgier. Es ist keine tolle Geschichte, und egal, wie oft ich sie lese, ich werde mir nach wie vor nicht ganz klar darüber, wovon sie tatsächlich handelt, doch der prägnante Auftritt unseres Helden macht sie für mich nichtsdestotrotz unvergesslich. Sie etablierte auch ein wichtiges Thema in frühen Batman-Geschichten: Von Anfang an spielten Chemikalien eine gewohnheitsmäßig wichtige Rolle. Im Laufe der Jahre sollte sich Batman mit zahllosen Antagonisten herumschlagen, die mit tödlichem Lachgas, Gedankenkontroll-Lippenstift, Angststaub und toxischen Sprays ausgerüstet waren. In der Tat hatte seine Karriere gerade erst begonnen, da musste er schon heldenhaft unzählige abartige chemische Verbindungen aus den Händen von geistesgestörten Schwarzmarkt-Alchimisten inhalieren. Superman hatte sich zwar gegen diverse telepathische Attacken zur Wehr zu setzen, doch Batman war regelmäßig auf psychoaktiven, bewusstseinserweiternden Substanzen. Batman wusste mit einem Trip umzugehen, ohne sich dabei in die Hose zu machen, was seiner Outlaw-Sexiness eine weitere Dimension und eine verlockende Aura wohlhabender Dekadenz verlieh.

Im Januar 1939 traf er in Ausgabe 29 der Detective Comics auf einen weiteren mit Drogen hantierenden Bösewicht – „The Batman Meets Doctor Death“. Doctor Death war Karl Hellfern, ein wirklich missmutiger Alchimist mittleren Alters und offensichtlich ein hinterhältiger Bastard, worauf uns sein Monokel hinweisen sollte. Unfähig, auch nur das simpelste Haarwässerchen zu brauen, war er praktisch kahl, trug ein diabolisches Ziegenbärtchen und hatte spitz zulaufende Ohren. In diesem Abenteuer wurde Batman angeschossen, was zeigte, dass er im Gegensatz zu Superman ein Sterblicher war, so wie wir – nur eben um einiges zäher.

Das Ende der Story brachte ein weiteres Element, das die besten aller Batman-Geschichten beleben sollte. Gefangen in seinem Labor, wehrt sich Doctor Death, indem er den ganzen Laden in Brand steckt. Als er realisiert, was er getan hat, und sich selbst auch angezündet hat, verliert er komplett den Verstand. Er schreit: „HA! HA! OH-HA-HA-HA, DU, DU NARR!“ Worauf Batman ihm, nach kurzer Pause, in der er das flammende Inferno einer kurzen Musterung unterzieht, grimmig antwortet: „DU BIST DER ARME NARR! DOCTOR DEATH … DU BIST VERRÜCKT GEWORDEN!“

Die Einführung der geheimen Identität, einer fantastischen Idee, die gleich in der ersten Superman-Geschichte der Welt mitgeteilt wurde, sparte man sich als überraschende Wendung für diese mittlerweile dritte Batman-Story, was gut zum Aspekt des Mysteriösen des Batman-Comics passte. Die vorletzte Panele zeigt eine sich quietschend öffnende Tür, durch die Batman in vollem Kostüm entkommt. Da ist etwas absolut Seltsames an diesem traumgleichen Schluss, der Flucht aus dieser Kammer hinaus ins Halbdunkel. Es wirkt wie ein Wunder, dass Wayne, der kettenpaffende Pfeifen-Aficionado, sich rasend schnell verkleiden und durch die Hallen von Wayne Manor schnaufen konnte, ganz zu schweigen von seinem Springen und Gleiten über die Häuser von Gotham City. Aber der unverkennbare visuelle Stil von Batman war so fesselnd, so instinktiv, dass er wie Superman sofort sein Publikum fand.

Während die Superman-Comics – vom Aussehen des Protagonisten bis hin zur kinetischen Erzählweise – in allen Belangen nach Modernität strebten, so schwelgte Batman in einer trashigen Ästhetik, die sich an die Schundheftchen und die Groschenromane jener Zeit anlehnte. Crime, Wahnsinn und das Übernatürliche definierten Batmans Tätigkeitsfeld und erlaubten ihm, eine wahre Goldmine an donnerndem Sensationalismus anzuzapfen, die sich eineinhalb Jahrhunderte zurück bis zu den Gothic-Novels von Horace Walpole und Matthew Lewis zurückverfolgen ließ. In der Tat wirkte die unheimliche und atmosphärische Geschichte eines von Batmans frühesten übernatürlichen Widersachers, dem Vampir Monk, als wäre er eine direkte Referenz an die Gothic-Literature. Das Cover zeigte einen riesigen Batman mit hochgezogenen Schultern, der sich quer über den Horizont hinter einem Schloss auf einem transsilvanischen Berg erhebt, das aus einem Gemälde Caspar David Friedrichs stammen könnte. Batman als Dracula, der Vampir als Held, der Jagd auf die sogar noch gefährlicheren Kreaturen der Nacht macht.

Üblicherweise funktionieren Batmans Abenteuer am besten, wenn sie in einer realistisch anmutenden Umgebung, angereichert mit düsteren Gewaltverbrechen und Hinterhof-Konfrontationen stattfinden. Aber schon von Anfang an zog es ihn immer wieder in verdrehte Episoden mit übernatürlichen und unerklärlichen Begegnungen. Er bewegte sich schließlich auf dem Terrain des Dunklen bzw. Mysteriösen, und man scheute sich nicht davor, Batman in Abenteuer mit grotesken Elementen zu schicken.

Eine andere Geschichte etwa, die von den dekadenten und symbolistischen Autoren des späten 19. Jahrhunderts inspiriert worden war, spielte in Paris und konnte mit einer Figur aufwarten, der rätselhafter- und unerklärlicherweise das Gesicht ausradiert worden war. „FRAGEN SIE CHARLES“, bat die weibliche Protagonistin Bruce Wayne, „IHN, DEM DAS GESICHT FEHLT. ER KANN ES IHNEN SAGEN. ER HAT KEINE ANGST ZU STERBEN.“ Sogar ohne Mund war besagter Charles problemlos in der Lage, sich mitzuteilen, und er gab als Verursacher seines Ungemachs sogleich einen Duc D’Orterre an, welcher dem Gehirn des Marquis De Sade entsprungen zu sein schien. Eine Konfrontation mit dem teuflischen Duc endete damit, dass Batman durch eine Öffnung in der Decke geschleudert wurde, woraufhin er in einem Garten landete, wo die riesigen Blumen weibliche Gesichter hatten. Während einer kurzen und sachlichen Unterhaltung mit dem Kopf eines blonden Mädchens auf einem gigantischen grünen Stängel wurde von Batman gewünscht, dass er die „Mädchen“ befreien solle. Diese erstaunliche Episode wurde nie mehr erwähnt oder in irgendeiner Weise gar aufgelöst – jegliche Erklärung für die gesprächigen Blumen wurde verweigert. Und was den bösen Duc D’Orterre betraf: Er nahm das lukrative Geheimnis, wie man gigantische Krokusse mit Pariser Showgirls kreuzen könnte, mit ins Grab.

Superman hätte übertrieben und absurd in Gotham gewirkt, Batman hingegen erschloss und regierte sein zwielichtiges Territorium mit der Gewandtheit eines Alphatieres. Abgebrühtheit, das Übernatürliche, High-Tech, enormer Reichtum und Fetischismus – all dies vereinte sich in den Batman-Comics. Wenn er wie die Rolling Stones war, dann war Superman wie die Beatles; er repräsentierte Oasis und Superman Blur. Umgehend und ohne Diskussion oder Widerstand wurde Batman zum coolsten Superhelden überhaupt.

Die Geschichten der Superman-Comics handelten von Politik und Ungerechtigkeit auf der von Tageslicht erleuchteten Bühne der Berufswelt, der Medien und der Regierung. Batman jedoch kämpfte im Schatten, in den schmutzigen Lagerhallen und schmuddeligen Spelunken, wo der kriminelle Abschaum seinen Geschäften nachging, sich zwar außerhalb der Reichweite des starken Arms des Gesetzes glaubte, aber sich genau in Schlagdistanz von Batmans mit Leder umhüllter Faust oder seines Batarangs, einem Boomerang in Batman-Design, befand. Batman durchkämmte die Nachtclubs in seinem knackigen schwarzen Leder-Outfit und kämpfte gegen geradezu übersinnliche Schurken, chemisch verunstaltete, so groteske wie archetypische Kontrahenten, auf die man niemals in einem Superman-Comic getroffen wäre.

Wie jeder weiß, ist der Joker der zäheste und ikonischste aller Batman-Gegenspieler. Popstars wie David Bowie, Madonna oder Lady Gaga vorwegnehmend, teilte er Batmans chamäleonhafte Fähigkeit, sich den gerade vorherrschenden Trends anzupassen. Bei seinem ersten Erscheinen (Batman, #1, 1940) war der grimmige Spaßmacher ein missmutiger, mordlustiger Wahnsinniger, der der Polizei abschreckende Hinweise hinterließ. Zehn Jahre später hatte er sich in einen glucksenden Verbrecher-Clown verwandelt, der Banken in seinem Jokermobil überfiel. In den Achtzigern war er ein transvestitisch anmutender Serienkiller, und Heath Ledger stellte ihn in der Verfilmung von 2008 als einen vom Punk beeinflussten Soziopathen, einen Performance-Künstler des Chaos, dar. Des Jokers entstelltes Antlitz erinnert an das verrinnende Make-up des toten von Aschenbach in Viscontis Tod in Venedig, ein grinsender Totenkopf, verspachtelt mit mehren Lagen Schminke. Verdorben und ungesund, Protopunk, Protogoth, ausgemergelt, bleich, gekrümmt und psychopathisch. Er ist Johnny Rotten, David Bowie auf Drogen in Berlin, oder auch Joel Grey in Cabaret. Der Joker ist die perfekte, zügellose, europäisch wirkende Antwort auf Batmans amerikanische Machermentalität, seinen durchtrainierten Körper und seinen verblüffenden Elan. Während Batman sich seinen Weg durch dunkle Gassen bahnt und zwischen Wolkenkratzern hin- und herspringt, krümmt sich der Joker wie ein Heroinabhängiger unter nackten Glühbirnen und versprüht dabei beißenden Witz und Galgenhumor. Er kostümiert sich wie ein Kartenhai, und seine Visage ist eine unheilige Komposition aus Showbiz, Drag-Kultur und der Kunstfertigkeit eines Bestatters. Wenn Batman cool war, dann war der Joker noch cooler. Die beiden bilden eine perfekte Symmetrie, welche sich auch bei Jesus und dem Teufel, Holmes und Moriarty oder auch Tom und Jerry findet.

Bill Finger erschuf den Joker mit Genuss, und fand, genauso wie ihm das bei Batman gelang, stets frische und erfinderische Wege, den Schurken wiedereinzuführen. Seine getexteten Schilderungen vermittelten fortwährend einen unheimlichen Grundtenor, wann immer der Clownprinz des Verbrechens einen Auftritt hatte:

DER JOKER – DER GRIMMIGE SPASSMACHER, EIN ERZVERBRECHER, EIN OBERSCHURKE … DIE GLUT SEINER LEBENDIGKEIT GLÜHT HINTER DIESER GRAUSIGEN SCHALE AUS MENSCHLICHEM LEHM … UND DIE EISIGEN KLAUEN DER ANGST UMSCHLINGEN DIE HERZEN DER BEWOHNER DIESER WELT!!! NUR DREI LASSEN SICH AUF EIN SPIELCHEN MIT DIESEM VERRÜCKTEN, BÖSEN GENIE EIN – DER FURCHTLOSE BATMAN, DER HELDENHAFTE ROBIN UND DIE SCHÖNE, ANMUTIGE CATWOMAN … DEM GEWINNER GEHÖREN DIE JUWELEN DES PHARAOS … DEM VERLIERER … BLÜHT DER TOD!!