Sweet forbidden Fruits (Drei in sich geschlossene Geschichten, basierend auf wahren Begebenheiten!) Print 512 Seiten Genres: Contemporary / Real Life / Sexworker / Humor / LGBT Dieser Sammelband beinhaltet drei schwule, erotische Geschichten von J. K. Rigson, Akira Arenth und Vaelis Vaughan, die auf wahren Begebenheiten basieren. Von romantisch über witzig bis skurril ist alles dabei, denn so ist das Leben nun mal: ein bunter Mix aus Zufällen, die einen zum Lachen oder Heulen bringen können. Begleite einen jungen Sexworker, der sich trotz guter Vorsätze gleichzeitig in einen Kollegen und in einen seiner Freier verliebt. Lerne einen angehenden Studenten kennen, der sich für seinen Schwarm mit einem hochrangigen Politiker anlegt, und begegne einem Paar, das mit dem Besuch eines BDSM-Events sein vom Alltag niedergeknüppeltes Sexleben wieder auferstehen lassen will. Fiebere mit, lach dich kaputt und lass dich mal so richtig anheizen! Vielleicht kannst du ja sogar das ein oder andere Erlebnis auch als Inspiration für dein eigenes Leben nutzen?
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Alle Geschichten in diesem Sammelband beruhen auf wahren Begebenheiten! Orte und Namen der Protagonisten wurden jedoch aus personenschutzrechtlichen Gründen geändert.
J.K.Rigson
Akira Arenth
Vaelis Vaughan
Ein ungleicher Dreier
____________________________
Akira Arenth & Vaelis Vaughan
Kapitel 1 - Begegnung
„Any!“
Steven ruft meinen Namen über den ganzen Platz und bewirkt damit, dass sich einige der anderen Stricher nach mir umdrehen.
„Hey“, entgegne ich nur leise, denn so spät am Tag ist mir derartige Aufmerksamkeit unangenehm, weshalb ich meine Jacke etwas enger um mich ziehe. „Brüll nicht immer so herum oder willst du, dass wir Ärger kriegen?“, ermahne ich den schlaksigen Jungen mit den kurzgeschorenen Haaren, dessen Gesicht so perfekt oval ist wie ein Gymnastikball, den man zwischen den Oberschenkeln zusammendrückt. „Konntest du was bekommen?“
Er schnauft bedächtig und wirft einen prüfenden Blick in die Runde, bevor er mir beim Begrüßungshandschlag aus dem eingeschlagenen Ende seines Ärmels ein Tütchen voll Gras in die Hand legt. „Nicht viel, aber Jimmy ist gerade out of order, daher isses schwer, was zu kriegen.“
Ich seufze nur und nicke. „Besser als nichts.“ Dabei stecke ich meine kleine Portion ein und sehe mich ebenfalls um. Den Vorplatz des Bahnhofs bevölkert sogar zu dieser Uhrzeit noch eine ordentliche Masse an Menschen. Hier befindet sich der Hauptumschlagplatz in der Stadt, bestens geeignet für zwielichtige Geschäfte, vor allem, weil man die Bullen schon von Weitem kommen sieht. Oft schickt das Präsidium immer dieselben Leute, die bei uns bekannt sind wie bunte Hunde, selbst wenn sie sich zivil kleiden. Nur die neuen Jungs fallen auf sie herein und es hält auch niemand für nötig, sie vorher zu warnen. Eine Nacht in Untersuchungshaft mussten wir alle schon mal überstehen - mindestens! Wer da schlappmacht, hat in dem Geschäft eh nichts verloren. Ich selbst war bereits unzählige Male auf der örtlichen oder in den benachbarten Polizeistellen.
Mein Name ist Anaïs Etienne Chevalier, doch meine Freunde nennen mich Any. Meine Mutter, eine Französin, war eine wunderschöne Frau, mit blonden, langen Locken und den grünen Augen. Aber sie war auch der Inbegriff purer Naivität. Sie verliebte sich, kaum erwachsen geworden, in einen deutschen Mann und zog mit diesem nach Berlin. Hört sich grundsätzlich nach einer netten Lovestory an, doch leider endete diese Beziehung ziemlich abrupt, als ich auf die Welt kam und sie von meinem Vater die Heirat verlangte. Das Ende vom Lied ist so grausam, wie es nur die Realität sein kann. Er brach ihr das Herz und verschwand. Sie erkrankte an einer schweren Depression, hörte auf zu essen, lernte kein Deutsch mehr, verweigerte die Teilnahme am Leben und verwahrloste in unserer Wohnung. Schlussendlich nahm sie sich im Alter von 23 Jahren das Leben.
Mache ich ihr einen Vorwurf?
Nein!
Zwar habe ich selbst noch nicht erfahren, wie es ist, so sehr zu lieben, doch ich schwärme für jemanden, also kann ich mir durchaus vorstellen, wie schlimm es für sie wohl war, bevor sie diesen letzten Schritt ging.
Lange Zeit suchte ich die Schuld sogar bei mir und redete mir ein, der Grund für ihren Tod gewesen zu sein. Wäre ich nicht in ihr Leben gekommen, hätte sie ihren Traumprinzen sicher nicht zur Hochzeit gedrängt und er hätte nicht das Weite gesucht.
Alles, was ich noch von ihr habe, sind ein paar alte Fotos und einige Erbstücke. Ohne die Aufnahmen könnte ich mich nicht mal mehr an ihr Aussehen erinnern. Auf den Bildern sieht man, dass sie schon vor meiner Geburt extrem schlank war, doch die letzten Ablichtungen zeigen sie als einen Schatten ihrer selbst: ausgemergelt bis auf die Knochen, bar jeder Lebensfreude.
Ein Beamter brachte ihren Nachlass ins Kinderheim, in welchem ich bereits lebte, denn schon lange vor ihrem Tod war sie nicht mehr in der Lage, sich um mich zu kümmern. Als sie starb und ich damit zur Adoption freigegeben wurde, war ich vier Jahre alt – zu alt also, um noch eine reale Chance auf eine Vermittlung zu haben.
Rumjammern liegt mir nicht, aber eine nüchterne Darstellung meiner Herkunft sei erlaubt. Ich habe mich mit der Situation arrangiert, meinen Selbsthass überwunden und die ewige Suche nach dem Warum schon lange abgestreift. Es ist, wie es ist, und beinahe jeder hier kann eine ähnliche Geschichte erzählen. Wir alle sind Konkurrenten, aber auf eine gewisse Art und Weise auch irgendwie durch unsere Schicksale verbunden.
Zumindest habe ich den Vorteil, das Aussehen meiner Mutter geerbt zu haben, was mich bei den Freiern sehr beliebt macht. Ich wirke vollkommen unschuldig, bin aber trotz meines zarten Alters inzwischen so verdorben wie alle anderen hier.
Meine Jungfräulichkeit verkaufte ich mit Stevens Hilfe an den Meistbietenden, was mir eine nagelneue Spielekonsole mitsamt zweiunddreißig Games und ein paar Comics einbrachte, die ich schon lange haben wollte. Wahrscheinlich hätte ich das Geld auch besser anlegen können, aber … scheiß drauf! Man lebt nur einmal!
Der April zeigt sich von seiner besten Seite. Noch gestern saßen wir um diese Uhrzeit alle im Shirt hier rum und heute bibbern wir in dicken Jacken dem Graupelschauer entgegen.
So langsam wird es Zeit, dass die ersten Freier auftauchen, damit ich endlich wieder ins Warme komme, und sei es nur ein beheizter Rücksitz.
„Hey, sieh mal da drüben! Er ist wieder da“, zischt Steven plötzlich und nickt in Richtung des großen S- und U-Bahnhof-Eingangs.
Auch ohne hinzusehen, höre ich allein an seiner eifersüchtigen Tonlage, von wem er redet. Trotzdem drehe ich mich wie beiläufig um und schlucke schwer, während sich mein Herzschlag beschleunigt.
Ja, da ist er wieder. Mandrake, wie er sich selbst nennt, und trotz der drei Wochen Gefängnis sieht der Mistkerl besser aus als jemals zuvor: groß und unglaublich gut definiert. Und eine Granate im Bett scheint er auch zu sein, denn er hat immer zu tun. Seine modisch aufgestellten schwarzen Haare durchzieht eine frisch gefärbte, leuchtend azurblaue Strähne, passend zu seinen animalischen Augen, die er immer ein wenig zu stark mit Kajal umrandet. Die Zusammenstellung seiner Markenklamotten könnte von einem Modedesigner selbst sein. Verrucht, punkig, sexy und dabei hochwertig, wobei er sein Outfit oft zusätzlich mit Ketten und Schals aufpeppt. Im wahren Leben heißt er Daniel Richter, hält das für ein wohlbehütetes Geheimnis, doch eigentlich weiß es jeder von uns. Wie er auf die Idee kam, sich selbst mit dem englischen Begriff für Alraune zu benennen, bleibt mir ein Rätsel und trotzdem passt es. Seine Wirkung als männliches Aphrodisiakum ist unbestreitbar, aber vielleicht will er mit diesem Namen einfach noch geheimnisvoller wirken. Zumindest benutzt er immer ein Aftershave mit dem Geruch nach dieser Wurzel, und manchmal, wenn der Wind ganz besonders günstig steht, wittere ich dessen süßlich-herben Duft.
Mandrake ist mit seinen vierundzwanzig Jahren einer der wenigen von uns, der beinahe ausschließlich passive Kunden bedient. Durch seine prollige, überhebliche Art wirkt er auf natürlichem Wege dominant, und sein flapsiger Umgang mit anderen Menschen macht ihn, in Kombination mit seinem anmaßenden Dauergrinsen, leider irgendwie schon wieder charmant. Seine Kunden sind ihm treu, beinahe anhänglich, demzufolge braucht er sich nie große, finanzielle Sorgen machen. Sie verhätscheln ihn regelrecht, lassen ihn abholen und schenken ihm Unmengen an Klamotten. Trotzdem besitzt er ziemlich klebrige Finger und stiehlt alles, was ihm nicht niet- und nagelfest erscheint.
Tja, sein letzter Freier erwischte ihn dabei und zeigte ihn an. Zusätzlich zum Tatbestand des Diebstahls fanden die Bullen bei der Durchsuchung von Mandrakes Wohnung so viel geklautes Zeug, dass er erst mal hinter Gitter kam.
Dieser Kerl raubt mir an so manchem Abend den gesamten Schlaf, auch wenn ich noch nie ein einziges Wort mit ihm gewechselt habe. Ich kenne ihn nur von der Ferne sowie aus den Erzählungen der anderen, doch das genügt, um feuchte Träume zu kriegen.
Der Schneeregen verstärkt sich, was mich dazu bringt, unter der Überdachung, in Nähe meiner Mitkonkurrenten, Schutz zu suchen.
„Was für ‘ne Affenkälte!“, knurre ich durchgefroren und dränge mich an die Mauer. Sobald ich heute Feierabend habe, genieße ich auf dem Nachhauseweg meinen Joint und verschwinde dann nur noch ins Bett.
„Ja, is‘ echt Zeit, dass es Sommer wird“, stimmt Steven mir zu.
Hinter uns rauscht es, kurz darauf steigt eine weitere Traube von Leuten aus dem Schacht und drängt sich zwischen den im Weg stehenden Jungs hindurch. Einige der Passanten meckern laut, andere grummeln nur, doch wir sind nirgendwo gern gesehen.
Gestern hatte ich trotz oder gerade wegen des guten Wetters kein Glück gehabt. Wahrscheinlich verbringen die Männer laue Abende lieber im Garten, auf ihrem Balkon oder mit ihren Familien. Heute muss also unbedingt etwas laufen, sonst wird es langsam finanziell knapp bei mir.
Leider ist meine Arbeitszeit sehr beschränkt, denn ich lebe noch immer im Heim und dort gelten strenge Regeln: Ich darf eigentlich generell nicht rauchen, keinen Alkohol trinken, muss meine Zimmerhälfte aufgeräumt halten, Staubsaugen, Müll rausbringen, morgens den Tisch mit eindecken, die Spülmaschine einräumen, einmal die Woche meine Schuhe putzen und so weiter. Eben alles, was ich in einer Familie wahrscheinlich auch an Aufgaben hätte. Vorher darf ich nicht raus.
An Schultagen muss ich abends schon um halb zehn im Bett sein, also kann ich unter der Woche keine Freier annehmen, weil ich das mit der ganzen Fahrerei zeitlich nicht schaffen würde. Am Wochenende läuft alles etwas lockerer, aber auch hier ist um 22:30 Uhr Schluss, zu einer Zeit, wo das Geschäft eigentlich erst richtig ins Rollen kommt.
Aus diesem Grund bin ich immer ein wenig im Zeitdruck, denn Mario, mein ätzender Mitbewohner im Zimmer, verpetzt mich ständig, selbst wenn ich nur eine Minute zu spät aufkreuze. Er weiß, dass ich schwul bin, und ekelt sich vor mir. Er hat sogar schon einen Zimmerwechsel beantragt, aber unser Heim ist voll belegt und keiner der anderen Jungs will tauschen und mit mir im selben Raum schlafen. Von meiner sexuellen Orientierung mal abgesehen, bin ich auch sonst ein Dorn in ihren Augen. Ich lese und zeichne unheimlich gern und gelte in der Schule als Streber, doch die Wahrheit ist, dass ich einfach nur will, dass mich alle in Ruhe lassen, meine Mitabiturienten, die Lehrer und auch die Sozialarbeiter. Deshalb passe ich mich so gut wie nur möglich an, um nicht aufzufallen.
Ich kann es kaum erwarten, bis mein Einspruch bezüglich der Prüfung zum betreuten Wohnen durch ist und ich hoffentlich bald eine eigene Bude bekomme. Ich wies darin auf die besondere psychische Belastung hin, die ich als Homosexueller in einem Jungenheim habe, aber meine Heimleiterin hält mich für zu umtriebig und die deutschen Amtsmühlen mahlen langsam. Auch wenn künftig einmal die Woche ein Sozialarbeiter vorbeikäme, würde es tausendmal entspannter sein, als es jetzt ist. Dafür muss ich allerdings die Füße stillhalten und darf vorher keine Aufmerksamkeit erregen.
„Es ist schon halb sieben“, knurre ich genervt und trete von einem Fuß auf den anderen. Erfahrungsgemäß brauche ich für einen Freier inklusive der Fahrt in sein Hotel meist anderthalb Stunden. Doch ich muss ja auch zurückfahren und mich duschen, also hätte ich heute maximal noch Zeit für zwei Typen, vorausgesetzt die kämen jetzt hintereinander. Schlimmstenfalls muss ich in eine der einschlägigen Bars, dort wartet immer Kundschaft, aber die sind oft von leicht aggressiven Stammstrichern besetzt, und wenn eine Razzia läuft, hat man kaum eine Chance zu entkommen.
Sollte heute jedoch wieder nichts laufen, würde ich bis zum nächsten Wochenende nicht mal mehr Geld für neue Gummis haben. Natürlich gibt es die öffentlichen Hilfsorganisationen. Bei denen kann man sich Kondome und Gleitgel gratis holen, doch meist stopfen sich die, die zuerst antanzen, die Vorräte des Tages in die Taschen. Für den Rest bleibt nichts mehr übrig, und auf gut Glück will ich da auch nicht hinkurven.
Normalerweise läuft um diese Uhrzeit das Geschäft noch allgemein schleppend. Steven und ich haben gegenüber den meisten anderen Jungs jedoch zwei große Vorteile: Zum einen sprechen wir fließend Deutsch und zum anderen sind wir blond. Fast alle unsere Konkurrenten sind südosteuropäischer Herkunft, kommen also aus Rumänien oder Bulgarien und sind mehrheitlich nicht mal schwul. Sie fertigen die Freier ab, beklauen sie meist und sind sehr aufdringlich. Aus diesem Grund können auch ihre Dumpingpreise oft nicht so viel rausreißen, egal wie jung und heiß sie sind, zumindest nicht, wenn man sie kennt.
Seit ich vor ungefähr einem Jahr anfing, mich zu prostituieren, habe ich bereits einiges gelernt. Lächle und suche Augenkontakt, dann kommen die Freier von selbst und sind meist auch nett zu dir. Verallgemeinernd kann ich sagen, dass ich überwiegend positive Erfahrungen mit meinen Kunden mache. Die meisten von ihnen sind schon älter, ziemlich einsam und sehr empfänglich für jede Art von Zärtlichkeiten. Wenn man dann selbst freundlich zu ihnen ist, kommen sie wieder und so kann man sich die Angenehmsten zu einem festen Kundenstamm zusammensuchen. Klar gibt es auch schwarze Schafe, die aggressiv sind oder einen um die Kohle prellen, und anfangs wollen fast alle mein Taschengeld drücken. Ich hab jedoch meine Prinzipien! Ich blase nicht für weniger als dreißig und ich lasse mich auch nicht ficken, wenn ich nicht mindestens sechzig bekomme. Safe – wohlgemerkt. Ich bin jung, sauber, eng und attraktiv. Ich kann mir solche Preise erlauben und verkaufe mich nicht unter Wert.
Manchmal verdiene ich so bis zu dreihundert an einem Wochenende, wofür andere den ganzen Monat anschaffen müssen. Es ist also durchaus lukrativ, doch dieses Pensum ist aufgrund meines geringen Zeitfensters nur sehr selten drin. Wenn ich aber erst einmal meine eigene Bude habe, hält mich nichts mehr! Stammgäste kann ich dann mit zu mir nehmen und bediene unter diesen Bedingungen sicher die doppelte Anzahl an Freiern als bisher … auch wenn ich auf die Art wohl nicht lange eng bleibe.
„Hey, da ist der Glücksspieler! Ich geh schnell hin, bevor die anderen ihn sehen“, flüstert Steven mir hektisch zu, wirft seine angefangene Kippe auf den Boden und läuft durch das grausige Wetter einem Mann Anfang sechzig entgegen, der für seine Strippokervorliebe bekannt ist. Ein Abend mit ihm und man hat für den ganzen Tag ausgesorgt, sofern man ein glückliches Händchen im Spiel besitzt.
Etwas neidisch beobachte ich, wie mein bester Freund grinsend zu ihm ins Auto steigt, und weiß, dass ich ihn bis zum nächsten Tag nicht mehr wiedersehe.
Auch Mandrake unterhält sich bereits mit einem von seinen submissiven Stammfreiern, der in den letzten Wochen beinahe täglich nach ihm gefragt hat. Wahrscheinlich fand dieser keinen Ersatz für seinen Playboy Nummer eins, denn er freut sich unübersehbar über Mandrakes Rückkehr.
„Hallo“, spricht mich plötzlich eine Stimme von hinten an. Ich drehe mich um und sehe in das bebrillte Gesicht eines stark untersetzten, knapp fünfzigjährigen Mannes. „Heißer Arsch … Was nimmst du, Kleiner?“
Ich bin definitiv größer als er, aber egal. „Kommt drauf an, was du möchtest“, flöte ich den einstudierten Standardsatz und lächele professionell.
„Ich zahle dir neunzig, aber dafür will ich auf dein Loch pissen, bevor ich ihn dir reinstecke.“
‚Schon wieder so einer ...‘
Leider sind derartige Praktiken hier inzwischen genauso normal wie Küssen und Eier lecken.
„Na ja, wenn ich danach schnell duschen kann ...“, gebe ich ein wenig ernüchtert zurück und versuche einfach froh zu sein, für die gebotene Menge an Geld nicht drei Blowjobs machen zu müssen, nach denen mir noch Stunden später der Kiefer wehtut. Natursektspiele empfinde ich zwar als eklig, aber in wenigen Sekunden ist es vorbei, es tut nicht weh und die Sauerei ist schnell wieder abgewaschen. „In welchem Hotel bist du?“
„Kein Hotel. Wir fahren zu mir, ist nicht weit.“
Unsicher sehe ich mich um. Ehrlich gesagt mag ich Heimarbeit überhaupt nicht. Der Typ ist mir unbekannt und die Mienen der anderen geben mir auch keinen Hinweis darauf, ob er vielleicht als gefährlich einzustufen ist. Letztlich höre ich auf mein Bauchgefühl. „Tut mir sehr leid, aber ich begleite nur in Hotels und Apartments.“
Sein Gesicht verfinstert sich, doch bevor er sauer werden kann, schlage ich direkt vor: „Hier vorne gibt es ein sehr günstiges Stundenhotel, da können wir gerne hingeh- ...“
„Wenn du die Unterkunft von deinem eigenen Geld mietest, dann bitte! Aber ich zahl nicht noch fürs Zimmer drauf, nur weil ihr euch keine Umstände machen wollt. Dann kriegst du fünfzig und das war‘s! Ist immer noch deutlich mehr, als ich den anderen üblicherweise zahle.“
Ich hasse solche Situationen. Allerdings bin ich nicht blöd, wiege immer das Risiko gegen die Scheine auf und da kommt bei dem Kerl eine ziemlich ungerade Summe raus.
„Sorry, aber dann musst du dir einen anderen nehmen“, beende ich das Gespräch und drehe mich bereits weg, doch da packt er mein Handgelenk.
„Hundertdreißig, bei mir zu Hause! Mein letztes Angebot!“
Okay, spätestens jetzt bin ich mir sicher, dass er irgendetwas im Schilde führt. Eben wollte er nicht mal die billige Miete für ein Zimmer bezahlen und jetzt bietet er mir vierzig mehr an, nur damit ich ihm in seine Wohnung folge?
„Nein danke“, lehne ich so selbstsicher, wie ich nur irgendwie kann, ab und will seine Hand von mir lösen, doch sein Griff verstärkt sich.
„Hab dich doch nicht so! Das ist gutes Geld für einen wie dich, oder soll ich dir vielleicht das Jugendamt auf den Hals hetzen?“
„Ich glaube, der Junge war ziemlich eindeutig!“, brummt plötzlich eine tiefe Stimme von hinten und schon tritt ein weiterer Mann an uns heran. „Sie sollten jetzt lieber gehen, ansonsten hetze ich Ihnen gleich die Polizei auf den Hals!“
Die Finger des Pissers lösen sich von mir. Er zischt irgendwas, doch dann macht er sich grummelnd aus dem Staub und versucht sein Glück bei einem der anderen.
„Danke.“ Etwas kleinlaut schaue ich zu meinem Retter auf, der zwar kein strahlender Held in blanker Rüstung ist, sich aber trotzdem sehen lassen kann. Er ist groß, trägt einen Anzug und sein Haupt ziert ein akkurater, leicht angegrauter Fassonschnitt. Ein sauber geshavter Dreitagebart, um es mit den Worten der Ärzte zu sagen, betont das smarte, kantige Kinn. Seine stahlblauen Augen wirken ein wenig müde, doch sie erscheinen mir freundlich. „Kann ich mich erkenntlich zeigen?“, biete ich sofort an, denn ich brauche ja immer noch dringend Kundschaft.
„Wenn du Lust hast, den Abend mit einem alten Kerl wie mir zu verbringen, dann gern.“
‚Verdammt! Jetzt denkt er, dass ich es ihm für seine Hilfe umsonst mache!‘
„Es würde mich freuen“, setze ich ganz vorsichtig zur Verhandlung an und lächele wieder. „Wenn Sie mir dann vielleicht ein kleines Taschengeld geben könnten, damit ich danach auch nach Hause fahren kann, komme ich gern mit.“
Sein Gesichtsausdruck ist seit dem Verschwinden des Konkurrenten höflich neutral und ändert sich auch jetzt nicht.
„Genügen zweihundert für die Rückfahrkarte?“
‚Hab ich mich da gerade verhört?‘
„Äh … ja! Absolut!“, erwidere ich erstaunt und nehme meinen Rucksack vom Boden. „Aber ich habe leider nur bis 22 Uhr Zeit. In welchem Hotel wohnen Sie?“
„Waldorf Astoria. Ich bin wegen einer Fortbildung länger in der Stadt und ich denke, zwei Stunden sollten für heute erst mal genügen.“
‚Oooookaaaaaay …‘ Der Mann muss ziemlich gut verdienen! Und wenn er auch nur halb so angenehm im Bett ist, wie er jetzt wirkt, will ich ihn unbedingt zu einem meiner Stammfreier machen! Er strahlt eine gelassene Ruhe aus, die mich regelrecht einlullt. Seine Stimme klingt angenehm weich und sein Lächeln ist sympathisch, auch wenn es ein wenig distanziert scheint.
Aufgeregt folge ich ihm über den Platz und registriere beiläufig, dass da bereits ein Taxi auf ihn wartet. Erst jetzt bemerke ich, dass er gar nicht von den Gleisen, sondern aus der anderen Richtung gekommen ist. Er muss mich also von der Straße aus dem Taxi heraus gesehen haben.
Diese Vermutung bestätigt mir auch seine gelassene Forderung, sobald wir auf der Rückbank des Autos sitzen. „Einmal zurück, bitte.“ Der Fahrer mustert mich abschätzig im Rückspiegel, sagt jedoch nichts und ordnet sich in den Verkehr ein.
***
Warum die Preise in einem solchen Nobelhotel dermaßen hoch sind, werde ich wohl nie verstehen. Ja, die Ausstattung des Zimmers ist, was die verwendeten Materialien angeht, hochwertiger als die der Räumlichkeiten in den Durchschnittsketten. So besteht der Boden des Badezimmers aus Marmor, die Stühle sind dicker gepolstert und die Sessel mit Echtleder bezogen … Aber sonst? Man hat ein bisschen mehr Platz, doch der Grundaufbau ist überall gleich: Tür, kleiner Flur, kleines Bad mit Dusche, Tisch, Stuhl, ein Doppelbett und ein oder zwei Sessel. Die Tatsache, dass ich nun auf Stein statt auf Linoleum herumlaufe, kann doch einfach keine zweihundertfünfzig mehr wert sein? Selbst wenn es, so wie hier, zusätzlich eine kleine Küchenecke gibt. Oder liegt es schlichtweg an meinem Alter, dass ich solche Dinge noch nicht genug schätze?
„Möchtest du etwas trinken?“, fragt mein wohlsituierter Freier zuvorkommend, legt sein Jackett ab und wartet auf mein Nicken. Dann gießt er zwei Gläser Wasser ein, während ich mir Jacke und Schuhe ausziehe, stellt sie auf den Tisch, setzt sich in einen der Sessel und deutet mir, gegenüber Platz zu nehmen. Im Sitzen spreizt er leicht die Beine und ich erblicke eine enorme Wölbung dazwischen, die mir Schauer über den Rücken schickt. „Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich dich heute gern erst mal kennenlernen. Ich bin regelmäßig in der Stadt und nicht an wechselnden Arrangements interessiert. Ich habe gerne einen festen Jungen, den ich immer wieder treffe, der nicht viel plappert und dem ich vertrauen kann.“
„Sehr gerne“, erwidere ich erfreut, denn genau das ist auch mein liebstes Klientel. „Ich rede generell eher wenig, also ...“
Plötzlich dudelt mein Handy. Schnell entschuldige ich mich, ziehe es aus meiner Hosentasche und bestätige Stevens SMS, in der er mir seinen Aufenthaltsort mitteilt. Dasselbe tue ich nun, denn so sichern wir uns immer gegenseitig ab, falls mal etwas passieren sollte.
Mein Kunde beobachtet mich geduldig, wie ich hektisch die Tasten meines kleinen Ziegelsteins malträtiere, und trinkt einen Schluck aus seinem Glas.
„Ich finde es gut, dass ihr einander unterstützt, aber könntest du jetzt den Ton ausstellen?“, fragt er gleichmütig, sobald ich fertig bin.
„Natürlich, bitte entschuldigen Sie. Kommt nicht wieder vor.“ Ich will es mir mit ihm auf keinen Fall verscherzen, denn einen so gut betuchten und nebenbei noch attraktiven Freier bekomme ich nicht alle Tage. „Jetzt bin ich voll und ganz für Sie da.“
Dabei lege ich das Handy demonstrativ auf den Tisch und lächele ihn verführerisch an, bis sich seine Mundwinkel wieder heben.
„Gut, also – wo waren wir? Ach ja … Ehrlichkeit und Beständigkeit. Das sind die Zauberwörter“, fährt er fort. „Es ist nicht leicht für mich, heutzutage jemanden zu finden, der meinen optischen und geistigen Anforderungen entspricht. Manche kauen mir die ganze Zeit ein Ohr ab und andere kriegen den Mund nicht auf, weil sie unsere Sprache nicht verstehen oder vollkommen zugedröhnt sind. Ich kann weder mit dem einen noch mit dem anderen Extrem etwas anfangen. Ich möchte mich kultiviert unterhalten können, wobei mir natürlich klar ist, dass ich mit einem Jungen in deinem Alter keine politischen oder hochgradig tiefgründigen Diskussionen führen kann, aber ein freundliches Gespräch über Gott und die Welt sollte möglich sein.“
„Sie möchten also nur mit mir plaudern?“, vergewissere ich mich ein wenig verwundert und sehe ihn fragend an.
Sein Grinsen verstärkt sich und gräbt kleine Grübchen in seine Wangen, die mir sofort gefallen. „Nein, das nicht. Aber es sollte eben nicht ausgeschlossen sein. Zugleich bitte ich dich um absolute Verschwiegenheit, was die Dinge betrifft, die hier geschehen. Ich schätze es nicht, wenn alle Stricher der Stadt über mich Bescheid wissen. Sollte ich also erfahren, dass du geplappert hast, sehen wir uns nie wieder. In Ordnung? Das Gleiche gilt, wenn du mich bestiehlst.“
‚Klingt fair und einleuchtend.‘
„Natürlich, das versteht sich von selbst.“
„Leider nicht, sonst müsste ich es nicht extra sagen. Ich habe schon sehr schlechte Erfahrungen machen müssen.“
Das kann ich mir vorstellen.
„Ich verspreche es!“
„Gut, gut.“ Er nickt zufrieden und trinkt einen weiteren Schluck, was ich ihm gleichtue. „Also dann, darf ich erfahren, wie du heißt?“
„Anaïs.“
Er verdreht grinsend die Augen und schmatzt kurz. „Du weißt schon, dass das ein französischer Mädchenname ist, oder? Also wenn du dir schon einen Fantasie-“ Wortlos ziehe ich meinen Ausweis aus der Hosentasche und unterbreche ihn damit, wobei ich mit dem Daumen unauffällig mein Geburtsdatum verdecke. „Oh … okay.“
„Meine Freunde nennen mich Any, aber Sie können es halten, wie Sie wollen. Da wir schon so ehrlich sind, verraten Sie mir auch Ihren Namen?“ Ich will mir für ihn keinen Spitznamen überlegen müssen.
„Natürlich, das gebietet schließlich die Höflichkeit, Any. Ich bin Professor Doktor Alexander Elric von Reimherr. Da ich leider nicht ausschließen kann, dass ich öfter mal in den Nachrichten oder in Zeitungen präsent bin, würdest du es eh irgendwann herausfinden, deshalb sage ich es gleich.“
‚Wahrscheinlich werde ich mir den Namen nicht mal die nächsten zehn Minuten merken können.‘
„Ich habe keinen Fernseher zu Hause und ich lese in der Regel auch keine Tageszeitung, aber trotzdem danke für Ihr Vertrauen. Wie darf ich Sie denn ansprechen?“
„Aufgrund unseres Altersunterschiedes bevorzuge ich, dass du mich weiter siezt, aber du darfst trotzdem Alexander sagen.“ Er nickt wohlwollend und lächelt wieder. Irgendwie wirkt er richtig vornehm, aber als ein Herr von und zu hatte er sicher auch eine strenge Kinderstube.
„Wie Sie wollen. Soll ich mich jetzt ausziehen?“ Langsam kann ich es kaum noch erwarten und werde etwas nervös. Ich hatte die ganze Woche keinen Sex und ehrlich gesagt macht mich seine stoische, reservierte Art ungemein an, vor allem im Hinblick auf seine Länge, die mir ziemlichen Respekt einflößt. Ich weiß jedoch: Sex mit einem großen Schwanz ist der Himmel auf Erden, sofern der Mann kein brutaler Idiot ist und einfühlsam damit umgehen kann.
„Gleich. Es gibt nur noch ein paar Dinge, die ich vorher wissen möchte.“ Dabei greift er wie beiläufig in die Schublade des Schrankes und holt ein Portemonnaie hervor, aus welchem er vier Fünfziger zieht und diese unter mein Handy legt. „Keine Angst, du bekommst immer die vereinbarte Summe, egal was wir tun. Selbst wenn wir nur reden“, beruhigt er mich und schiebt mir die Geldscheine zu. „Du brauchst also auf nichts drängen, sondern kannst ganz entspannt bleiben.“
Gut, das ist wirklich ungewöhnlich. Viele meiner Freier wollen danach noch reden, aber die wenigsten bezahlen dafür, vor allem, wenn sich dadurch ihre intime Zeit verkürzt.
„Machst du das hier freiwillig oder zwingt dich jemand?“, will er auf einmal wissen und reißt mich aus meinen Gedanken. „Bitte antworte ehrlich und lüg nicht.“
„Ich mache es freiwillig“, beantworte ich seine Frage wahrheitsgemäß und er nickt.
„Und bist du wirklich schwul, Any?“
„Ja, bin ich. Ich stehe total auf Schwänze.“
Ich sehe schon an seinem Gesichtsausdruck, dass ich mir den Nachsatz hätte klemmen sollen, und schäme mich leicht für meine plumpe Antwort.
„Das sagen sie leider alle, doch ich möchte wissen, ob du wirklich genießt, was du tust, wenn dein Gegenüber dir auch optisch gefällt.“
„Ja, tue ich.“ Diesmal verzichte ich auf eine Erläuterung, doch ich kenne derartige Fragen schon. Jeder Freier will hören, dass wir den Job machen, weil wir einfach Spaß daran haben, und nicht etwa, um uns Stoff leisten zu können oder das Geld zu unseren Familien ins Ausland zu schicken. Sie wollen sich einreden, dass wir selbst dann mit ihnen vögeln würden, wenn sie uns nicht bezahlen müssten, warum auch immer.
„Okay. Wir werden sehen.“ Ich sehe, dass er mir nicht glaubt, aber ich werde ihm schon zeigen, wie scharf ich auf seine Latte bin, sobald wir im Bett landen.
„Wie alt bist du? Da du gerade auf deinem Personalausweis dein Geburtsjahr zugehalten hast, nehme ich an, dass du minderjährig bist.“
‚Verdammt! War es doch nicht subtil genug.‘„Alt genug!“, lüge ich und er hebt eine Augenbraue.
„Gut, um das mal klarzustellen: Nach Paragraph 182 des Strafgesetzbuches ist es mir verboten, einen unter 18-Jährigen für sexuelle Handlungen zu bezahlen. Egal in welcher Hinsicht. Was du hier tust, ist absolut freiwillig, unentgeltlich und du kannst jederzeit gehen, ohne dass dir irgendetwas passiert. Wenn du allerdings einmal abbrichst und gehst, dann gehst du für immer und es gibt kein Zurück. Ich schenke dir bei jedem Treffen gerne eine gewisse Summe für deine Rückfahrkarte, verstanden?“
„Verstanden.“ Ich nicke und lächele verschwörerisch. Wie man es letztendlich betitelt, ist ja eigentlich vollkommen egal. Im Endeffekt bleibt es trotzdem Prostitution, doch viele reden sich damit ein besseres Gewissen ein oder schützen sich auch vor Lockvögeln, die vielleicht verkabelt wurden und ihre Aussagen aufzeichnen.
„Wunderbar. Also, wenn du möchtest, kannst du dich jetzt ausziehen.“ Seine Stimme klingt nun etwas persönlicher, trotzdem bleibt er sitzen und überschlägt die Beine, während er ruhige, klassische Musik im Fernseher anschaltet. Sein Kinn stützt er im Anschluss auf die Hände, anscheinend will er mir einfach nur zuschauen. „Langsam, ja? Keine Hektik.“
„Okay.“ Ich stehe auf und beginne mich zu entkleiden, meine Hüften leicht hin und her schwingend. Ich ziehe mir den schwarzen Pullover über den Kopf und öffne die oberen Knöpfe meines Hemdes.
Alexander sieht mir zu, taxiert mich mit leicht zusammengekniffenen Augen und lässt seinen Blick immer wieder über meinen Körper wandern, ohne dabei abschätzig zu wirken.
Ich öffne meinen Gürtel und lasse die schwere Jeans zu Boden fallen. Dann steige ich heraus und nähere mich ihm so weit, bis sein übergeschlagenes Knie beinahe meine Shorts berührt.
„Wollen Sie …?“, frage ich kokett und deute auf das letzte bisschen Stoff an mir, welches meinen deutlich angeschwollenen Halbsteifen bedeckt.
„Schon gut … mach nur.“
Der Kerl ist wirklich seltsam. Verwundert entledige ich mich selbst meiner Unterhose und stehe nun nackt vor ihm, doch er unternimmt nichts und guckt mich einfach nur an.
„Du bist noch viel hübscher, als ich mir dich vorgestellt habe“, säuselt er und macht mich damit beinahe verlegen. Zwar kenne ich derartige Komplimente zuhauf, aber aus seinem Mund klingen sie irgendwie … ehrlicher.
„Stütz dich doch bitte mal mit den Händen auf den Tisch, Any“, flüstert er und klingt dabei wie … na ja … ein sehr fürsorglicher Arzt. Vielleicht hätte ich mal fragen sollen, worin er seinen Doktor hat? Urologie?
Ich folge seinem Wunsch und bemerke, dass er aufsteht. Er stellt sich nur wenige Zentimeter hinter mich und ich spüre die ausstrahlende Wärme seines Körpers auf meiner Haut.
Seine Hände fahren an meinen Flanken entlang, ohne mich dabei zu berühren. Lediglich über meine hellblonden Haare haucht er und der Stoff seiner Anzughose streift kaum merklich meine Pobacken.
Gänsehaut überflutet mich.
Dieser Mann ist so völlig anders als die Freier, die ich sonst habe. Meistens können die mich gar nicht schnell genug begrapschen, doch dieses Exemplar hier bringt mich beinahe dazu, nach einer Berührung zu betteln.
Sacht drücke ich meinen Rücken durch und präsentiere selbstbewusst meinen Po, mit dem ich ihn nun unweigerlich berühre. Ich seufze beim Kontakt mit seinem stattlichen Schwanz und dränge mich ihm fordernd entgegen.
„Wann hattest du das letzte Mal Sex?“, fragt er, von meiner Anmache völlig unbeeindruckt. „Und ich bitte dich nochmal, bei der Wahrheit zu bleiben.“
„Ich kann leider immer nur am Wochenende meinem … Hobby nachgehen. Gestern lief nichts, also war das letzte Mal am Sonntag vor acht Tagen.“
Er grunzt nur zufrieden und scheint mir diesmal Glauben zu schenken.
„Und hast du in dieser Woche masturbiert?“
‚Ich dachte, die Fragerunde ist vorbei?‘
„Am Mittwoch.“
„Gut, das sind dann also knapp drei Tage“, stellt er fest, löst darauf aber zu meiner Enttäuschung seinen Körper von mir. „Würdest du dich bitte aufs Bett legen?“
‚Endlich geht es zur Sache!‘
Ich richte mich wieder auf, friemele rasch ein Kondom sowie ein Tütchen Gleitgel im selben Format aus meiner am Boden liegenden Hose, platziere mich wie von ihm gefordert und lege beides demonstrativ neben mich auf die Kissen. So gehe ich immer vor, um meinen Freiern zu suggerieren, dass sie davon Gebrauch machen sollen. Aber Alex beachtet mich überhaupt nicht, sondern dimmt nur das Licht und gießt sich an der Küchenzeile ein Glas Wein ein, ohne mich dabei anzusehen. Im selben Moment fällt mir ein, dass ich ihn vorhin überhaupt nicht nach seinen Vorlieben gefragt habe. Doch so, wie ich ihn jetzt einschätze, wird er mich wahrscheinlich nur ganz genüsslich aufbocken und darauf freue ich mich tatsächlich. Männer mit einem großen Penis sind meiner Erfahrung nach generell ruhiger. Das ist wie mit großen Hunden: je größer, desto entspannter, je kleiner, desto aggressiver.
Als ich wartend auf dem Rücken liege, stellt er sich ans Fußende des Bettes und hebt die Hände.
„Darf ich?“
Hektisch nicke ich. „Ja, natürlich.“
Vorsichtig fasst er unter meine Kniekehlen, zieht mich daran zu sich, bis mein Po die Bettkante berührt, und spreizt meine Beine, so weit es geht. Dann zieht er seinen halbrunden Sessel heran und setzt sich direkt vor mich.
„Bitte … spiel ein bisschen mit dir. Schließ einfach die Augen und tu so, als wärst du alleine in deinem Zimmer.“
Dass ich in meinem Zimmer niemals alleine bin und genau aus diesem Grund darin auch nur extrem selten wichse, verschweige ich lieber. Er scheint ein leidenschaftlicher Voyeur zu sein, drum will ich ihm den Gedanken nicht versauen.
Umgehend nehme ich mir selbst das Gleitgel und schmiere mich mit der kompletten Ladung ein. Meine Hände gleiten erst nur über meinen Schwanz, ziehen die Vorhaut zurück und tasten über die pralle Spitze, bevor ich meine Linke nach unten schicke, um mein Loch für ihn zu spreizen. Dabei stöhne ich herzzerreißend und versuche ihn mit meinem Fuß auf seinem Oberschenkel zu animieren.
„Any …?“
„Ja …?“, keuche ich, bereits voll in meinem Film.
„Hör auf, mir Theater vorzuspielen.“
‚Was ...?‘ Meine Bewegungen erstarren abrupt, ich verstumme und öffne die Augen, um ihm gleich darauf in sein smartes Gesicht zu blicken. „Wieso Theater?“
„Willst du mir weismachen, dass du wirklich so masturbierst, wenn keiner dich sieht? Du machst es dir gerade, als würdest du mich beeindrucken wollen“, murrt er enttäuscht. „Ich habe dir doch gesagt, was mir besonders wichtig ist. Eines davon ist Ehrlichkeit und du bist gerade ganz und gar nicht ehrlich.“
„Aber … so, wie ich es normalerweise mache, wird Ihnen nicht gefallen“, versuche ich mich zu erklären. „Sie wollen doch gucken und dann sehen Sie kaum noch was.“
Alex steht auf, lehnt sich über mich und kommt mir plötzlich so nahe, als würde er mich küssen wollen.
„Wenn ich künstliches Stöhnen und ausgeleuchtete, verkrampfte Haltungen sehen wollte, würde ich mir einen Porno anschauen!“ Dabei streicht er mit seiner Nase über meine und ich rieche zum ersten Mal den leichten Duft seines herben Rasierwassers. „Mach es exakt so, wie wenn du allein bist, und achte nicht auf mich.“
Dann entfernt er sich wieder von mir und setzt sich zurück auf seinen Sessel, während er sein Kinn auf den Handrücken stützt.
‚Na schön. Er ist der Boss.‘
Wortlos drehe ich mich auf die Seite.
Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass es ihm so besser gefällt, ziehe ich meine Knie an und lege mir ein Kopfkissen über die Augen, um es vollends dunkel zu haben. Meine angewinkelten Beine pressen meine Eier zusammen, die ich absichtlich dazwischen bugsiert habe, erst dann beginne ich mit schnellen, aber minimalen Bewegungen zu wichsen. Ich stöhne kaum hörbar, konzentriere mich stattdessen voll auf die Reibung und hechele eigentlich nur noch zwischen die leisen Klänge der melodischen Klaviermusik. Mit zwei Fingern der anderen Hand taste ich nach meinem glitschigen Eingang und reibe ihn kreisend, bis ich richtig in Fahrt komme. Erst als ich spüre, wie sich meine Muskeln zusammenziehen, keuche ich auf und dränge sie in mich hinein, wo sie von den orgasmischen Wellen meines pulsierenden Schwanzes rhythmisch zusammengequetscht werden. In diesem Moment wünsche ich mir, Alex hätte meine Finger durch seinen Schwanz ersetzt, doch als ich mir das Kissen vom rot erhitzten Gesicht ziehe, sitzt er noch immer voll bekleidet auf seinem Sessel und lächelt mich an.
„Das war wirklich sehr schön. Danke“, raunt er, steht auf und reicht mir mein Glas Wasser. „Wenn du duschen möchtest, da vorn ist das Bad. Du hast noch eine halbe Stunde Zeit, bevor du gehen musst, also brauchst du dich nicht zu hetzen.“ Nach diesen Worten trinkt er sein Glas Wein aus und stellt sich ans Fenster, um über die Lichter der Stadt zu blicken.
„Und was ist … mit Ihnen?“, fragte ich, noch immer etwas unruhig atmend, und fühle mich fast ein bisschen geprellt.
„Alles gut, kümmere dich nicht um mich. Der Anblick war sehr anregend und das genügt mir für heute.“
***
Die ganze Zeit, während das Wasser heiß aus der breitgefächerten Dusche prasselt, zermartere ich mir das Hirn, warum dieser Mann mir zweihundert Flocken zahlt, um mir bei meinem fünf gegen einen Spielchen zuzuschauen. Das will einfach nicht in meinen Kopf. So etwas hätte er für einen Zehner an jeder Ecke haben können, oder noch billiger, aber Geld kümmert ihn ja ganz offensichtlich nicht.
Natürlich scheint für ihn eine gewisse Art von Beziehungsaufbau im Vordergrund zu stehen, aber er hat sich ja noch nicht einmal selbst gerieben, also was bringt es ihm?
‚Oder ist er vielleicht ein Psycho und will mich jetzt umbringen, sobald ich aus der Dusche herauskomme?‘ Bei dem Gedanken schüttele ich mich kurz, doch dann läge meine Menschenkenntnis vollkommen daneben und eigentlich konnte ich mich bisher sehr gut darauf verlassen. ‚Nein. Wahrscheinlich ist er einfach nur ein bisschen … schüchtern.‘
Nachdem ich mich abgetrocknet habe, trete ich deutlich vorsichtiger aus dem Bad und registriere erleichtert, dass Alex keinen Maleranzug über seine feine Kleidung gezogen hat oder seine Hände hinter dem Rücken verborgen hält.
„Na, alles gut?“, fragt er freundlich wie zuvor und legt ein Buch zur Seite, in das er sich anscheinend während meiner Abwesenheit vertieft hat. Er trägt jetzt eine Brille, die seine eloquente Erscheinung vorteilhaft betont.
„Ja, danke. Die Brause ist toll. So von oben, da denkt man fast, man steht in warmem Regen.“
„Deswegen nennt man sie Regenwalddusche“, erklärt er grinsend.
„Ah ...“ Ich lache kurz verschämt und rubbele mir die Haare trocken. „Vielleicht können wir ja beim nächsten Mal zusammen darunter entspannen … oder gleich?“ Irgendwie will ich noch nicht aufgeben.
Alex kommt näher und steckt die Hände in die Hosentaschen. „Warum solltest du das wollen? Mal davon abgesehen ist deine Zeit gleich um, du kannst also gehen.“
‚Meine Zeit?‘ Das klingt ja fast, als ob ich ihn bezahle. Aber irgendwie benehme ich mich ja auch gerade so.
„Ich hätte Sie gerne wenigstens einmal nackt gesehen … und an mir gespürt“, säusele ich leise und meine das vollkommen ernst, was er offenbar auch etwas verwundert registriert.
„Beim nächsten Mal vielleicht.“ Er seufzt und fährt mir verträumt, beinahe väterlich durch die Haare. „Wenn ich fragen darf: Wie viel verdienst du mit dem Job so durchschnittlich im Monat?“
‚Überlegt er etwa, es selbst auszuprobieren?‘
„Das schwankt zwischen fünfhundert und achthundert, je nachdem, ob ich krank werde, wie das Wetter mitspielt und ob ich am Wochenende irgendwelche Veranstaltungen im Heim habe.“
Er erstarrt in seiner Bewegung und sieht betroffen auf mich runter. „Du lebst im Heim?“
‚Scheiße!!! Das soll er doch gar nicht wissen! Verdammt! Sonst verplappere ich mich nie!‘
„Ich … also … ja. Aber das ist okay. Ich will nicht drüber reden“, blocke ich sofort ab, ziehe mich rasch an und schnappe mir meine Jacke von der Garderobe.
„Wenn ich dich zukünftig jedes Wochenende zu mir bitte, könntest du dir dann vorstellen, in den nächsten Wochen komplett auf Orgasmen zu verzichten, solange du nicht bei mir bist?“
Perplex sehe ich ihn über die Schulter hinweg an. Meint er das tatsächlich ernst?
„Aber dann … könnte ich gar keine anderen Freier mehr bedienen“, halte ich dagegen und runzele die Stirn.
„Du hast gesagt, du verdienst bestenfalls achthundert im Monat, stimmt´s?“
„Äh … ja?“
„Ich zahle dir eintausendfünfhundert! Dafür kommst du jeden Samstagabend bis spätestens 19 Uhr zu mir und bleibst bis Sonntag 13 Uhr. Keine anderen Freier in dieser Zeit, kein eigenes Handanlegen, kein Alkohol, keine Drogen und auch keine Zigaretten, wenn du zu mir kommst. Ansonsten kannst du machen, was du möchtest. Für die Heimleitung kann ich dir einen Schein ausstellen, dass du an einer Studie zur Einzelnachhilfe im Rahmen einiger Intensiv-Wochenendkurse teilnimmst, dann sollte deine Abwesenheit auch über Nacht kein Problem sein. Wärst du damit einverstanden?“
‚Einverstanden???‘ Am liebsten würde ich ihm an den Hals springen und ihn abknutschen! Jede Nacht außerhalb dieser tristen Mauern voll mit Menschen, die mich ekelhaft finden, ist einfach großartig, vollkommen egal, was ich dafür tun muss!
„Ja, absolut!!!“, jubele ich auf und gebe mir Mühe, dabei nicht allzu kindlich zu wirken. „Das wäre toll!“
Sein Lächeln verstärkt sich und er läuft noch einmal an den Tisch, wo er ein leeres Blatt Papier aus der Hotelmappe entnimmt. „Sehr schön. Sag mir doch schnell, wie viel du dann jedes Mal bekommst.“
„Äh ...“ Es rattert in meinem Kopf, denn da hat er leider meinen absolut wunden Punkt erwischt. Ich bin ein totaler Zahlenkrüppel und beherrsche nicht mal das kleine Einmaleins. „Ich … ich weiß nicht. Soll ich es schnell mit dem Handy ...?“
„Na so etwas solltest du aber in deinem Alter ohne Taschenrechner ausrechnen können“, tadelt er mich ernsthaft und mir wird klar, dass er mich getestet hat. „Eintausendfünfhundert geteilt durch acht Tage im Monat sind einhundertsiebenundachtzig-fünfzig pro Tag. Runden wir das Ganze auf, dann gebe ich dir also jedes Mal, wenn du zu mir kommst, glatte zweihundert, in Ordnung? Das kannst du dir merken, oder?“
„Ja“, flüstere ich beschämt und schließe meine Schuhe.
„Gut, dann sind wir uns ja einig und ich weiß jetzt auch, worin ich dir Nachhilfe gebe. In Mathe! Ich mach dir das Schreiben bis morgen fertig, dann kannst du es mitnehmen. Sagst du mir jetzt bitte den Namen und die vollständige Adresse deines Heimes?“
Etwas mulmig nenne ich ihm meine Anschrift und bin erstaunt, dass er sich auf Anhieb meinen vollständigen Namen gemerkt hat, denn diesen notiert er direkt darunter, ohne zu fragen. Seinen habe ich bis auf den Vornamen schon wieder völlig vergessen. Irgendwas mit Riemen …?
„Schön. Komm bitte morgen bereits um 15 Uhr zu mir, damit du rechtzeitig wieder loskannst, um dich für die Schule am Montag zu erholen.“ Dabei reicht er mir einen weiteren kleinen Zettel, auf dem er seine Zimmernummer sowie die Adresse des Hotels notiert hat. „Und nun los, nicht dass du noch Ärger bekommst.“
„Jawohl Sir.“
„Und nimm dir lieber ein Taxi. Das ist sicherer, als wenn du um diese Uhrzeit noch mit der Bahn umherfährst.“
Jetzt klingt er wirklich, als wäre er mein Vater.
„Okay … also dann bis morgen. 15 Uhr.“
Kapitel 2 - Erwartungen
‚Ich verstehe es nicht! Ich verstehe es einfach nicht!!!‘ Weder meine eigenen Gefühle noch die des Professors.
Warum? Warum tut jemand so etwas? Was bringt es ihm, mir beim Wichsen zuzusehen? Und noch viel schlimmer: Warum stört es mich so sehr, dass er sich nicht an mir vergeht? Reize ich ihn etwa nicht genug?
Vielleicht ist es mein Ego, das sich da meldet. Der verletzte Stolz eines Strichers, der von sich denkt, für jeden begehrenswert zu sein? Oder fühle ich mich sogar in meiner Ehre gekränkt?
Ich weiß es nicht.
Mein Mitbewohner Mario schläft zum Glück bereits, als ich zurückkomme, daher ist es nicht allzu schlimm, dass ich 15 Minuten zu spät dran bin.
Schnell verstecke ich das Geld in meinem flachen Batmanfedermäppchen und stopfe dieses zurück in mein selbst gebautes Geheimversteck unterm Unterwäschefach. Dann klettere ich leise auf mein Hochbett, bemüht, die Stufen nicht so laut knarzen zu lassen.
Die ganze Nacht durchpflügen meine Gedanken den Acker meiner Hirnwindungen, doch sie finden keine Antwort.
Nicht mal meine Lieblingsfantasie, in der Mandrake mir rüde den Arsch leckt, kann mich von den eisblauen Augen des Arztes ablenken, dabei habe ich vorher niemals sexuelle Fantasien von meinen Freiern gehabt.
Noch stundenlang verhindert meine Erektion, dass ich Schlaf bekomme, aber ich will mich an die Anweisungen meines neuen Sugar-Daddys halten und zwinge mich, die Finger von meiner Stange zu lassen.
***
Zum Glück dürfen wir sonntags etwas länger schlafen, dennoch bin ich alles andere als ausgeruht, als wir um 10 Uhr geweckt werden.
Der normale Alltag hat mich für einige Stunden wieder. Aufstehen, waschen gehen, dabei die dummen Kommentare meiner Mitbewohner ignorieren, Tisch decken, die dummen Kommentare meiner Mitbewohner ignorieren, den Jüngeren beim Brötchen schmieren helfen und … hey, ganz was Abwechslungsreiches: Die dummen Kommentare meiner Mitbewohner ignorieren, bevor ich schließlich selbst frühstücken kann.
Danach melde ich mich bei den Betreuern ab und lasse bereits kryptisch verlauten, dass ich mich heute um einen geeigneten Nachhilfeunterricht kümmern will, um meine Noten zu verbessern, was mit großem Erstaunen und aufmunternden Worten angenommen wird. So viel dazu.
Heute ist es wieder wärmer, trotzdem nehme ich mir eine Jacke mit. Ich fahre zum Bahnhof und entdecke Steven, der mir bereits breit grinsend entgegenkommt.
„Jo Any!“, trällert er und holt ein paar Scheine aus der Tasche. „Schau dir das an! Fünfundachtzig Flocken hab ich dem Alten gestern abgenommen und dabei ist er nur einmal drüber gerutscht! Ist das nicht geil?“
„Reife Leistung.“ Ich lache anerkennend und klopfe ihm auf die Schulter. „Und ich hab gestern zweihundert verdient und musste mir lediglich einen runterholen!“
„Ja, ja, schon klar. Du mich auch! Der alte Zocker hatte echt keine Chance gegen mich. Der war nackt, noch bevor ich den ersten Schuh ausgezogen hab!“ Triumphierend zündet er sich einen Joint an und erinnert mich damit daran, dass sich mein Gras immer noch in meiner Jackentasche befindet.
„Du glaubst mir wohl nicht?“, motze ich ihn an und werde richtig wütend, weil er sich mit seinem Popelbetrag gerade so brüstet. „Gestern kam ein Freier zu mir, der mir zweihundert gezahlt hat, nur damit ich zwei Stunden mit ihm rede und mir vor ihm einen wichse! Der hat mich nicht mal angefasst.“
„So ein Blödsinn!“, mault Steven zurück, schiebt sein Käppi ein Stück schiefer und mümmelt an seiner Fluppe. „Gönn‘s mir doch mal! Sonst krieg ich immer die anstrengenden Typen.“
„Ich gönne es dir, aber ...“ Da schnauzt sich plötzlich eine uns allen bekannte, laute Stimme in die Gehörgänge.
„Komm mir nicht mehr unter die Augen, du vollgeschissener Kanakenpenner! Kannst wem anders die Leute abzocken, aber nicht mir, verstanden?“, brüllt Mandrake über den Platz und tritt nach einem südländischen Jungen, der bereits auf dem Boden liegt.
„Was ist denn da los?“, wechsele ich sofort das Thema und lasse mich von Steven, meinem alten Szene-Orakel, aufklären.
„Manni hat den Kleinen da gestern mit einem seiner Stammfreier gesehen und du weißt ja, wie er auf das Abluchsen seiner Schäfchen reagiert.“
Ja, das wissen wir alle. Dass die Männer eigentlich selbst entscheiden können, wen sie von uns nehmen, vergisst er dabei immer und tyrannisiert einfach alle, bis niemand mehr die sowieso schon selten ausbrechenden Gäste seines Harems annehmen. Bevor er noch einmal nach dem Kollegen vor ihm treten kann, hält ihn jedoch ein solcher Freier zurück.
„Komm schon, Drake, ehe du deine Kraft an den da verschwendest, lass sie bei mir raus.“
Schon grinst er wieder und verschwindet mit dem nicht unattraktiven, schlanken Mann.
‚Was für ein Amöbenhirn.‘
Ich frage mich immer wieder ernsthaft, wieso dieser Arschprolet so viele Verehrer hat … mich eingeschlossen, der ich nun wirklich nicht dumm bin.
Reicht es denn allen Ernstes, einfach unglaublich gut auszusehen, und schon braucht man keinen anständigen Charakter mehr? Wie muss der Kerl im Bett sein, dass sich die Freier so sehr nach seinem Schwanz verzehren? Wenn er jedoch nur halb so brutal zu denen ist, wie er es hier auf der Straße praktiziert, will ich keinen Sex mit ihm.
Ich habe Steven nie gefragt, aber er muss ungefähr dieselbe Altersklasse sein, außerdem arbeitet er bereits seit Jahren auf der Straße. Doch im Gegensatz zu dem Schickimicki-Punk besitzt er ein gutes Herz, auch wenn er sehr durchsetzungsfähig werden kann, sobald es ums Geschäft geht.
„Steven, erzähl mir doch mal was. Hattest du jemals einen Freier mit Mandrake zusammen?“
„Jetzt geht das wieder los“, stöhnt er und legt genervt den Kopf in den Nacken. „Nein, hatte ich nicht! Schlag ihn dir aus dem Kopf, Any. Du kannst dir eine Affäre mit ihm nicht leisten und außerdem wäre das mehr als kontraproduktiv für deinen Job!“
Ich pikse ihm in die Seite und schmolle. „Wenn du mir sagst, dass er ein rücksichtsloser Brutalo im Bett ist, dann vergesse ich ihn sofort. Aber das sagst du nie.“
„Weil es eine Lüge wäre“, knurrt mein Kumpel, setzt sich auf die Kante des betongerahmten Hochbeetes und beginnt seinen Tagesvorrat an Zigaretten zu drehen. „Er ist kein ganz so zwischenmenschlicher Durchfall, wie er immer tut. Ich hatte ein paar Freier, die ihn kannten, und alle schwärmten in den höchsten Tönen von seinen Techniken. Er ist ein guter Schauspieler, er gibt ihnen, was sie wollen, und tut so, als wäre es das, was er will. Er ist ein ausgefuchster Betrüger und macht, was ihm die meiste Kohle bringt, denn nur das zählt für ihn.“
„Du meinst, er könnte mir den Orgasmus meines Lebens verschaffen?“
„Ja, aber … nein! Mann! Hör auf, über so was nachzudenken!“
„Was ist mit seinen Freunden? Er hat doch ständig ‘nen Neuen? Glaubst du nicht, ich könnte bei ihm landen? Vielleicht ändert er sich dann und ...“
„Genaaaauuu Cinderella. Du bist der Eine, auf den Manni sein ganzes Leben lang gewartet hat. Du wirst alles Böse aus ihm herausblasen und dann werdet ihr glücklich bis in alle Ewigkeit in eurem Reihenhäuschen in der Vorstadt leben, und euer ganzer Stolz sind zwei schwule Pudel!“ Er grölt regelrecht und muss aufpassen, sich nicht auf dem Boden zu kringeln.
Ich laufe rot an und stoße ihm empört in die Seite. „Wieso musst du mich immer verarschen? Und dabei auch noch so ausholen?“
„Weil du dich dann so schön aufregst“, erwidert er lachend und stößt mich zurück. „Aber klar, geh zu ihm hin, am besten direkt nachher, wenn er zurückkommt, dann braucht er sich nicht mal neu einzuschmieren, bevor er dich fickt. Und danach bricht er dir das Herz, so wie allen anderen zuvor, die der Meinung waren, den großen Bad Boy bekehren zu können.“
„Du bist gemein“, grummele ich nur noch und setze mich mutlos neben ihn.
„Nein, ich bin realistisch und habe keine rosa Zuckerwatte in den Augen.“
Er schielt zu mir rüber, bemerkt, wie deprimiert ich bin, und wuschelt mir schließlich seufzend durch die Haare. „Schmoll nicht! Du hast was Besseres verdient, Any, ich will doch nur nicht, dass er dir dein Arschloch bricht … äääh dein Herz, meine ich.“
„Duuuuuu …“ Schon springe ich ihn an und kappele mich mit ihm auf dem Boden.
***
Der Gang bis hoch aufs Zimmer ist es, vor dem ich am meisten Angst habe. Noch nie musste ich alleine durch eine dieser prunkvollen Eingangshallen, denn ich bin sonst stets schon in Begleitung und nun also mein Debüt im teuersten Protzhotel, das Berlin zu bieten hat. Kurzerhand beschließe ich, meinen Joint zu rauchen, und inhaliere ihn hastig in einer Nebenstraße, bevor ich den Mut habe, den Tempel der Reichen zu betreten.
Beim Gedanken an die mintgrünen Teppiche und die großspurigen schwarzen Marmorsäulen komme ich mir so deplatziert vor, dass ich es kaum beschreiben kann. Schon der erste Schritt fällt mir trotz des Grases unsagbar schwer und meine Füße kleben auf dem Asphalt der Straße, als seien sie mit Blei gefüllt. Doch der Portier vom Waldorf Astoria erinnert sich anscheinend an mich und hält mir freundlich die Tür auf.
Schleunigst husche ich mit gesenktem Haupt in den Fahrstuhl, versuche die missbilligenden Blicke der Empfangsbediensteten zu ignorieren und checke noch einmal nervös den kleinen Zettel mit der Zimmernummer, bevor ich einen Kaugummi hervorhole und in das entsprechende Stockwerk fahre.
„Hallo Any“, begrüßt mich Alex freundlich, tritt einen Schritt zur Seite und lässt mich eintreten.
„Hallo Alex“, erwidere ich etwas unsicher und überlege, ob ich ihn zur Begrüßung küssen soll, doch er macht keinerlei Anstalten in diese Richtung, also lasse ich es.
Er ist barfuß und trägt ein sehr lockeres, weißes Hemd, die oberen drei Knöpfe offen, sowie die Anzughose, welche ich bereits vom Vortag kenne.
„Bist du gut hergekommen? Dein Heim ist ja gar nicht so weit weg“, will er gleich darauf wissen und nimmt mir die Jacke ab.
„Ich komme nicht direkt vom Heim, dort verschwinde ich immer so früh wie möglich“, erkläre ich kurz und ziehe meine Schuhe aus.
„Das ist schade, aber ich kann mir schon vorstellen, dass du es dort nicht leicht hast.“ Er räuspert sich und drückt mir dann erneut vier Fünfziger in die Hand. „Hier, bevor wir es vergessen. Aber steck sie gleich ein und lass sie nicht erst wieder auf dem Tisch liegen.“
„Ja … danke.“ Ein Freier, dem es wichtig ist, dass man sein Geld nicht vergisst, dass es so was noch gibt. „Wollen Sie heute erst wieder mit mir sprechen oder soll ich mich gleich ausziehen?“
„Hast du es eilig?“ Seine Stimme bekommt einen seltsam raunenden Unterton und er zieht eine Augenbraue hoch.
„Nein, nein! Ich wollte nur wissen … also … worauf ich mich einstellen soll.“
„Any, entspann dich erst mal“, fordert er von mir, seufzt leicht und bietet mir einen Stuhl an „Ich möchte, dass du dich hier möglichst normal verhältst. Ich mag es nicht, wenn die Jungs immer nur darauf achten, wie sie mir gefallen könnten. Tu einfach, wonach dir ist. Wenn du nackt sein möchtest, zieh dich aus. Wenn nicht, behalt deine Sachen an.“ Darauf geht er zur kleinen Eckküche und lässt mich zurück. „Hast du schon was gegessen? Ich möchte auf keinen Fall, dass nachher dein Magen knurrt.“
‚Da ist sie wieder … seine Papa-Seite.‘
„Ich hab gefrühstückt.“
Er öffnet den kleinen Kühlschrank, nimmt einen mit Folie bedeckten Teller heraus und entfernt diese. Dann stellt er mir die kalte Platte mit allerlei aufgespießten, kleinen Häppchen hin.
„Das dachte ich mir. Ich wusste nicht, was du magst, also hab ich einfach eine gemischte Auswahl vorbereiten lassen.“
Meine Augen gehen mir beinahe über.
„Was … was ist das alles?“
„Das da sind gefüllte Räucherlachsrouladen mit Preiselbeersahnemeerrettich, dann … lass mich kurz schauen … frittierte Black Tiger Prawns im Tempuramantel, Babymozzarella mit Kirschtomaten, Bresaola, das ist luftgetrocknetes Rindfleisch aus der Toskana, mit Melonenspalten, Putensatespießchen in Kräuterpanade, Vitello tonnato und der Rest sind nur gewöhnliche Antipasti.“
„Äh … ja. Danke.“
Es dauert keine 15 Minuten, bis ich den kompletten Teller leer gefuttert habe. Nicht mal die Gemüsedeko lasse ich übrig.
Alex trinkt in der Zwischenzeit ein Glas Wasser, lehnt mir gegenüber, den Kopf mit der Hand gestützt, und beobachtet mich nur die ganze Zeit grinsend.
Ich komme mir ein bisschen vor wie Hänsel und er repräsentiert eine attraktive, männliche Version der Hexe, die mich mästen will.
„Na? Satt?“, fragt er schließlich, als ich versteckt rülpsen muss und mir den Bauch halte.
„Ja, danke. Das war endlecker. Fehlt nur noch der Verdauungsschnaps.“
„Dafür ist es zu früh und du bist zu jung“, tadelt er mich und räumt den Teller weg. „Ich denke, es ist gut, wenn du die Portion kurz sacken lässt. Das waren Vorspeisen für drei Personen.“
‚Hupps.‘ Das macht das Heimleben. Friss, was du kriegen kannst, sonst nimmt es dir jemand weg. „Tut mir leid.“
„Schon gut, du brauchst dich nicht entschuldigen. Ich denke, wir sollten vorab noch ein paar Formalitäten klären, auch wenn ich das eigentlich lieber hinterher machen möchte, aber da du jetzt eh erst mal verdauen musst …“ Er legt mir ein paar Zettel auf den Tisch und reicht mir ein Glas stilles Wasser, bevor er fortfährt: „Das hier sind Kopien aller nötigen Qualifikationsnachweise, dann dein Antrag auf eine entsprechende Nachhilfe-Schulung mit örtlicher Unterbringung sowie der vergleichbare Kurs der ansässigen Universität, welcher mir als Vorlage diente. Unterschreib hier und da auch nochmal, dass du an einer Studie teilnimmst, die dir den Kurs finanziert, so braucht die Heimleitung keine Kosten fürchten und sie müssen nur noch ihre Zustimmung geben.“
Ich überfliege die höchst offiziell wirkenden Blätter und frage mich ernsthaft, ob das eine Art Vorspiel oder der Entwurf einer seiner geheimen Fetische ist.
„Hier steht, die Studie läuft drei Jahre, wiederholt sich alle sechs Monate und erstreckt sich dann jeweils über vier Wochen?“
„Ganz genau. Das ist der Zeitraum, in dem ich immer in Berlin bin. Sehr wichtig ist aber auch der Nachsatz, dass die Schulung jederzeit durch dich beendet werden kann, ohne dass Stornierungskosten entstehen. Wenn du also keine Lust mehr auf die Treffen mit mir hast, kannst du die freien Wochenenden entweder für dich selbst als Alibi nutzen oder deiner Heimleitung sagen, dass du abbrechen möchtest, ohne dass sie befürchten, was zahlen zu müssen.“
‚Wow … das ist alles erstaunlich gut durchdacht.‘
Er hat sich total viel Mühe gemacht und wahrscheinlich werden sich meine Betreuer die Unterlagen nicht mal richtig durchlesen. Die sind froh, wenn sie ihre Aufsichtspflicht abgeben können, und quittieren dafür beinahe alles.
Ich unterschreibe nervös und gebe ihm die Zettel samt seinem Stift wieder zurück, bevor ich tief durchatme. „Gut und jetzt?“
Er schiebt mir die Papiere erneut zu und nimmt nur seinen Stift. „Na ich brauche die nicht. Pack sie ein, leg sie deiner Heimleitung vor und dann hoffe ich, dass ich dich am Samstag nächste Woche zum Nachhilfeseminar begrüßen darf.“
Daraufhin muss ich kurz lachen, denn er sagt das so bierernst, als würde es zukünftig wirklich nur um Zahlen und Bruchrechnen gehen. Aber wer weiß, inzwischen kann ich mir auch gut vorstellen, dass er mir beim Sex Matheaufgaben stellt.
Sämtliche Dokumente packe ich in eine bereitliegende Folie, dann verstaue ich diese in meinem Rucksack.
„Wenn es in Ordnung für dich ist, würde ich dich bitten, diesmal vorher duschen zu gehen. Du scheinst nicht zu wissen, dass Marihuana ebenfalls als Droge zählt, deshalb lasse ich dir das heute noch einmal durchgehen. Zukünftig hältst du dich aber bitte ausnahmslos an meine Vorgaben, denn du riechst sehr stark nach Gras und das finde ich nicht sonderlich ansprechend.“ Dabei reicht er mir eine kleine Geschenktasche. „Hier, die sind für dich. Du kannst sie mitnehmen oder auch gleich für die Zukunft im Bad stehen lassen.“
„Danke ... und dann komme ich angezogen wieder raus.“
Er sieht mich irritiert an. „Na ja … also ...“
„Sie haben doch gesagt, ich soll mich ausziehen oder meine Klamotten anbehalten, so wie ich es will?“ Doch mein freches Grinsen verrät ihm bereits, dass ich nur Spaß mache.
Der Professor prustet kurz und schüttelt den Kopf. „Du bist spitzfindiger, als ich dachte. Aber ja … da hast du recht. Also handhabe das, wie es dir gefällt. Wirst ja sehen, was du davon hast.“
‚Ui … das klingt ja schon fast bedrohlich.‘
Bei seiner tiefen Stimmlage und den unterschwellig mitschwingenden Aussichten zuckt mein Schwanz voller Vorfreude.