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Der zweite Tag des Finalen Belastungstests tobt weiter … Die Menschenarmee wird auf dem Schlachtfeld von einer Übermacht der Dunklen Ritter umzingelt. Trotz Asunas verzweifeltem Kampf und der Hilfe von Lisbeth und Silica wird Kirito schließlich von PoH gefangen genommen. Der ehemaligen Anführer von Laughing Coffin will sich ein für alle Mal rächen und ihn vernichten. Doch als alle Hoffnung verloren scheint, ertönt eine Stimme in Kiritos Herzen. Es ist die Stimme der Person, mit der er jahrelang zusammen gelebt, gekämpft und gelacht hat. Die Stimme seines einzigen, besten Freundes … Und endlich erwacht Kirito wieder zum Leben.
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Seitenzahl: 381
Veröffentlichungsjahr: 2025
Kapitel XXI
Erwachen (Fortsetzung)
7. Juli 2026/7. November des Jahres 380
menschlicher Zeitrechnung
6
»Ich … mach dich … fertig …!«
Zotsch!
Mit einem dumpfen Geräusch durchbohrte ein zweites Schwert Kleins Rücken.
Unaufhörlich strömten Tränen über Asunas Wangen. Es schien wie ein Wunder, dass sie noch nicht versiegt waren.
Obwohl Klein von den Klingen am Boden festgehalten wurde, versuchte er weiter verbissen, sich mit der rechten Hand vorwärts zu ziehen. Verächtlich blickte der Aufwiegler im schwarzen Poncho – der ehemalige Anführer der PK-Gilde Laughing Coffin – auf ihn hinab.
»Scheiße, das kann man sich ja nicht mitansehen. Fußvolk wie du sollte sich einfach raushalten. So was passiert, wenn du meinst, bei den Großen mitspielen zu müssen.«
Er breitete die Arme aus und schüttelte missbilligend den Kopf, bevor er den roten Soldaten hinter sich einen Befehl in einer Sprache gab, die Asuna nicht verstand. Einer der Spieler nickte und erhob ein weiteres Schwert.
Die dritte Klinge blitzte auf, um Kleins letzte noch verbliebene HP auszumerzen.
»Hajimaaa!«
Ein Schrei, vermutlich auf Koreanisch, ertönte aus der Menschenmenge hinter ihnen, als ein einzelner roter Soldat hervorstürmte und das auf Klein niedergehende Schwert mit seiner eigenen Waffe parierte.
***
Unmöglich … Wie kann es so wehtun?
Wol-saeng Jo alias Moonphase lag am Boden und rang mit dem Schmerz am Rücken, wo ihm der Mann im schwarzen Poncho einen tiefen Schnitt zugefügt hatte.
Wol-saengs AmuSphere sollte eigentlich nur ein äußerst geringes Maß an Schmerzempfinden erzeugen können. In Silla Empire, das er sonst regelmäßig spielte, rief es nicht einmal dann viel mehr als ein leichtes Kribbeln hervor, wenn der Kopf des Spielers vom größten Drachen zermalmt wurde. Dennoch empfand Wol-saeng einen Schmerz, als sei er mit einem glühenden Eisen versengt worden.
Der Mann im schwarzen Poncho hatte ihn blitzschnell mit seiner abscheulichen Waffe, einer Art klobiges Küchenbeil, attackiert. Wol-saeng, der sich selbst für einen einigermaßen erfahrenen Spieler hielt, hatte keine Chance gehabt, zu reagieren. Würde man in der Wirklichkeit einen solchen Hieb einstecken, wäre man entweder auf der Stelle tot oder würde zumindest vor Qual das Bewusstsein verlieren. Also konnte dieser Schmerz nicht mehr als die virtuelle Emulation einer Sinnesempfindung sein.
Das Wissen darum machte den Schmerz allerdings nicht weniger unerträglich. So unerträglich, dass Wol-saeng sich trotz der gegenwärtigen Situation am liebsten auf der Stelle ausgeloggt hätte.
Dennoch krümmte er sich auf der dunklen Erde zusammen und erduldete die Qualen. Denn die Geschichte, die ihnen aufgetischt worden war, überzeugte ihn einfach nicht.Japanische Hacker griffen angeblich Testspieler auf dem Server eines neuen VRMMORPGs an, das von einem Team aus Amerika, China und Korea gemeinsam entwickelt worden war. Und nun brauchten diese Testspieler Unterstützung, um die Barbarei der Japaner zu stoppen.
Wol-saeng war wie die anderen koreanischen und chinesischen Spieler dem Aufruf in den sozialen Medien gefolgt und in dieses VRMMO gedivt. Und tatsächlich hatten sie hier mitansehen müssen, wie ein Heer von japanischen Spielern eine Gruppe vermeintlicher Amerikaner angriff und vernichtete.
Doch war die Situation tatsächlich so, wie der Absender des Aufrufs sie dargestellt hatte?
In Wol-saengs Augen waren es eher die Japaner, die verzweifelt wirkten, wohingegen für die Amerikaner alles eher ein Spiel zu sein schien. Dieser Eindruck hatte sich auch nicht geändert, nachdem sich mithilfe der Zehntausende von Koreanern und Chinesen das Blatt in der Schlacht gewendet hatte und die Japaner so gut wie machtlos waren. Selbst mit zerstörter Ausrüstung und erschöpften HP versuchten sie weiterhin mit aller Macht … ja, nicht etwas zu zerstören, sondern augenscheinlich zu beschützen.
Kurz bevor Wol-saeng vom Mann im schwarzen Poncho attackiert worden war, hatte eine Spielerin aus der Menge der japanischen Spieler in fließendem Koreanisch an sie appelliert.
Ihr werdet reingelegt! Dieser Server gehört einem japanischen Unternehmen! Und wir sind keine Hacker, sondern normale User! Ihr wurdet unter falschem Vorwand hergelockt, um die Entwicklung zu sabotieren!
Etwas in der Stimme und Miene der Spielerin, die sich als Siune vorgestellt hatte, hatte Wol-saeng tief bewegt. Inmitten des Getümmels hatte er sich zu ihr durchgearbeitet und sie gefragt, ob sie ihre Behauptung beweisen könne. In dem Moment, als einer von Siunes Freunden etwas auf Japanisch zu ihr gesagt hatte, war Wol-saeng vom Hieb des Mannes im schwarzen Poncho getroffen worden und zu Boden gegangen.
Der anschließende Kampf war schwindelerregend schnell vorbei und noch dazu komplett einseitig gewesen. Die japanischen Spieler waren vom tiefroten Heer überrannt worden. Der Großteil von ihnen war durch den Totalverlust ihrer HP ausgeloggt worden. Die weniger als zweihundert Überlebenden waren ihrer Waffen beraubt und zusammengetrieben worden.
Dann war der Mann im schwarzen Poncho wieder an der Front aufgetaucht, wie um den Sieg zu verkünden – doch stattdessen hatte er etwas Seltsames getan.
Er hatte einen schwarz gekleideten Jungen, der im Rollstuhl saß und zwei Schwerter umklammert hielt, aus dem Unterstützungstrupp zu sich bringen lassen und begonnen, auf Japanisch auf ihn einzureden.
Erneut hatte Wol-saeng das Gefühl bekommen, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Warum saß jemand in einem VRMMO, einer virtuellen Welt, im Rollstuhl?
Zwar konnte auch in Silla Empire erlittener Schaden an den Beinen einen lähmenden Debuff verursachen, sodass sich der Spieler vorübergehend nicht mehr bewegen konnte. Doch durch Magie, Medizin oder genug Zeit konnte dieser Zustand wieder vollständig geheilt werden. So lange gelähmt zu sein, dass man einen Rollstuhl brauchte, war kein Spiel mehr.
Zudem schien auch das Bewusstsein des Jungen beeinträchtigt zu sein. Er zeigte keinerlei Reaktion auf die Worte des Mannes im schwarzen Poncho. Selbst als er durchgeschüttelt wurde, leistete er keine Gegenwehr. Er erinnerte fast mehr an einen NPC – nur die leere Hülle eines Avatars, der nicht von einem Spieler gesteuert wurde.
Schließlich hatte der Mann die Geduld verloren und den Rollstuhl erbarmungslos umgetreten. Für einen Moment hatte Wol-saeng seine Schmerzen vergessen und erschrocken die Luft angehalten. Selbst die anderen Koreaner ringsum hatten irritiert gewirkt.
Als der Junge zu Boden gestürzt war, hatte er zum ersten Mal von selbst eine Reaktion gezeigt. Er hatte die linke Hand nach dem weißen seiner beiden Schwerter ausgestreckt, die er bis zu dem Sturz fest umklammert gehalten hatte. Erst da hatte Wol-saeng bemerkt, dass sein rechter Arm von der Schulter abwärts fehlte.
Doch er hatte das Schwert nicht erreichen können. Der Mann im Poncho hatte ihm die Waffe abgenommen und sie gerade außer Reichweite gehalten, als würde er ein kleines Kind ärgern. Während er am Boden gelegen hatte, hatte der Junge angestrengt versucht, danach zu greifen. Da hatte ihn der Mann am Arm gepackt und brutal in die Höhe gerissen. Er hatte den Jungen angebrüllt und ihm ein paarmal hart ins Gesicht geschlagen.
Plötzlich war eine weitere laute Stimme erschollen. Einer der gefangen genommenen Japaner mit einer Art Samurairüstung und einem Bandana um den Kopf hatte den schwarzen Poncho packen wollen.
Doch sofort hatte ein koreanischer Spieler hinter ihm mit dem Schwert zugeschlagen und es tief in den Körper des Samurais gebohrt. Obwohl dieser Treffer weitaus mehr schmerzen musste als Wol-saengs Wunde, hatte der Japaner versucht, weiter vorwärts zu kriechen, bis ihn ein zweites Schwert aufgehalten hatte.
Der Mann im schwarzen Poncho hatte den aufgespießten Samurai mit einem süffisanten Grinsen gemustert. Dann hatte er den roten Kriegern einen Befehl auf Koreanisch gegeben.
»Der Typ nervt. Macht ihn kalt.«
Einer der Krieger hatte genickt und mit seinem Schwert ausgeholt.
Da konnte Wol-saeng nicht länger schweigend zusehen. Zwar hatte er immer noch keinen Beweis dafür, dass Siune die Wahrheit gesagt hatte, doch das brutale Verhalten dieses Mannes im Poncho gegenüber dem Jungen im Rollstuhl war in jedem Fall abscheulich. Die Verzweiflung des Samurais dagegen machte überdeutlich, dass er seinen Kameraden unbedingt beschützen wollte.
Wol-saeng selbst hatte kein sonderlich positives Bild von Japan. Selbst abgesehen von den geschichtlichen und territorialen Problemen verhielten sich die Japaner in vielerlei Hinsicht verschlossen, herablassend – als seien sie das einzige fortschrittliche Land in Ostasien. Dass der The-Seed-Nexus für Europa und Amerika freigegeben, für Korea und China jedoch gesperrt war, war ein perfektes Beispiel dieser Haltung.
Doch Japan als Land spiegelte nicht jeden einzelnen Japaner wider. Schon vor VRMMO-Zeiten hatte es PC-Spiele mit internationalen Servern gegeben, wenn auch nicht viele. Dort hatte er mit manchen japanischen Spielern zwar unerfreuliche Erfahrungen gemacht, aber gleichermaßen auch mit manchen von ihnen viel Spaß gehabt.
Wol-saeng war angewidert vom Verhalten des Mannes im schwarzen Poncho. Er wollte Siune und dem Samurai-Typen glauben. Ob sie Japaner oder Koreaner waren, spielte dabei keine Rolle. Seine innere Stimme schrie ihn an, dass es das Richtige war.
Sobald er sich bewegte, schoss ihm ein schwindelerregender Schmerz durch den Kopf. Doch er biss die Zähne zusammen und raffte sich auf. Dann zog er sein Schwert und holte tief Luft.
»Hajimaaa!«, brüllte Wol-saeng aus voller Kehle. Aufhören! Dann stürmte er los.
Sein Avatar hier hatte nur durchschnittliche Statuswerte und war schwerfälliger als sein auf Agilität ausgelegter Charakter Moonphase in Silla Empire. Doch als hätte irgendeine mysteriöse Kraft von ihm Besitz ergriffen, sauste er nun wie der Wind über die karge Erde und wehrte gerade rechtzeitig noch das Schwert ab, das das Leben des Samurais beenden wollte.
»Was zur Hölle … soll das?!«, schnauzte der koreanische Spieler überrascht, aber vor allem wütend.
Wäre es ein Chinese gewesen, hätte Wol-saeng sich nicht einmal mit ihm verständigen können, also nutzte er diesen glücklichen Zufall und versuchte, ihn zu überzeugen. »Kommt dir die ganze Sache denn nicht komisch vor?! Der Kampf ist längst vorbei! Wozu dann jetzt noch diese Selbstjustiz?!«
Sein Landsmann schwieg einen Moment. Er ließ seinen Blick von dem Samurai zu seinen Füßen hinüber zu dem Jungen wandern, der aus dem Rollstuhl gestürzt war. Die Augen hinter dem Visier blinzelten verdattert. Je mehr sein Kampfeseifer schwand, desto mehr Zweifel schienen ihm zu kommen. Der Druck der Klinge, die mit Wol-saengs Schwert verschränkt war, gab allmählich nach.
Doch bevor Wol-saeng weitersprechen konnte, keifte eine scharfe Stimme aus der Menschenmenge, die sie umringte: »Baesinja!« – Verräter! – »Schaltet ihn auch aus!«
Angestachelt vom Zorn ihrer Landsleute packte der andere Koreaner sein Schwert wieder fester. Doch dann hörte Wol-saeng unerwartete Worte aus der Menge.
»Wartet! Hören wir ihn an!«
»Der Typ im Poncho geht echt zu weit!«
Mit einem Mal begannen immer mehr koreanische Spieler, untereinander zu diskutieren, und schnell sprang der Funke auch auf die anderen über. Bald teilte sich die Menge in die Hardliner, die alle noch lebenden Japaner auslöschen wollten, und eine gemäßigtere Gruppe, die dafür plädierte, die Situation erst einmal richtig aufzuklären. Eine ganz ähnliche Auseinandersetzung fand auch unter den Chinesen statt. Zwar verstand Wol-saeng ihre Worte nicht, doch ihre zornigen Stimmen schallten über das Ödland.
Wie wollte ihr einziger Kommandant dieser Situation Herr werden?
Als sich Wol-saeng zu ihm umwandte, sah er den Mann im schwarzen Poncho über dem einarmigen Jungen stehen. Er ließ seinen massiven Dolch um seine Finger wirbeln. Seine Mundwinkel unterhalb der Kapuze waren zu einem breiten Grinsen verzerrt.
Es dauerte ein wenig, bis Wol-saeng dämmerte, dass es kein Ausdruck von Ärger war, sondern unterdrücktes Gelächter. Ein Schauer lief über seinen Rücken, so eiskalt, dass er die Schmerzen betäubte.
Dieser Mann war nie und nimmer an der gemeinsamen Spieleentwicklung von China, Korea und Amerika beteiligt. Es war sogar fraglich, ob solch ein Spiel überhaupt existierte. Wer auch immer er war, er hatte nur ein Ziel: die Spieler mehrerer Länder auf diesem Schlachtfeld mit echtem Blut und echtem Schmerz aufeinanderzuhetzen… und sie einander töten zu lassen.
»Angma …«, hörte Wol-saeng sich selbst raunen – Teufel.
***
Vassago Casals wurde als Sohn einer hispanischen Mutter und eines Vaters japanischer Abstammung in Tenderloin geboren, einem Slumviertel von San Francisco.
In den USA wurde ein Name, der eindeutig zum Nachteil des Kindes sein würde, bei der Anmeldung der Geburt vom Amt abgelehnt. Daher hatte seine Mutter ihm statt Devil oder Satan den Namen Vassago gegeben. Und der Beamte hatte die Anmeldung anstandslos akzeptiert, ohne zu wissen, dass dies der Name eines Prinzen der Hölle war.
Es gab eigentlich nur einen Grund, warum eine Mutter ihrem Kind den Namen eines Dämons geben würde: weil es ein ungewolltes Kind war – oder mehr noch, weil sie es hasste.
Wie sich seine Eltern kennengelernt hatten, wusste Vassago nicht genau, und es interessierte ihn auch nicht. Letztlich war es offenbar eine Zweckbeziehung aus Geldgründen gewesen. Die Schwangerschaft war nicht geplant gewesen, und seine Mutter hatte die Abtreibung gewollt. Sein Vater hatte sie jedoch gezwungen, das Kind auszutragen. Man hätte also meinen können, dass zumindest sein Vater ihn geliebt hatte, doch dem war nicht so. Er hatte sich nur hin und wieder nach dem Gesundheitszustand des Kindes erkundigt, ihm aber nie auch nur ein Spielzeug mitgebracht. Das Einzige, was er seinem Sohn mitgegeben hatte, war die Fähigkeit, Japanisch zu sprechen.
Vassago musste fünfzehn Jahre alt werden, um zu verstehen, warum sein Vater seine Mutter zur Geburt gezwungen hatte, um ihr dann nur das absolute Minimum an Unterhaltskosten zu zahlen.
Da erst erfuhr er, dass er in der Familie väterlicherseits einen Halbbruder hatte, der mit einer Niereninsuffizienz geboren worden war. Und er selbst sollte der Spender sein. Vassago hatte in dieser Sache nicht mitzureden. Doch er stellte eine Bedingung: Er wollte in Japan leben, dem Heimatland seines Vaters. Sobald seine Rolle als Spender erfüllt wäre, hätte er für seinen Vater keinen Wert mehr. Somit war auch seine weitere finanzielle Unterstützung ungewiss. Wenn Vassago in den Slums geblieben wäre, hätte auf ihn dort nur eine Zukunft als Drogendealer gewartet. Stattdessen wollte er lieber das Land verlassen und woanders neu beginnen.
Sein Vater akzeptierte die Bedingung, und Vassago erhielt im Austausch gegen seine linke Niere einen Reisepass und ein Flugticket. Er reiste nach Japan, ohne sich von seiner Mutter zu verabschieden. Doch was ihn dort erwartete, war ein noch härteres Schicksal.
Nach japanischem Recht erforderten internationale Adoptionen eine Menge komplizierter Formalitäten und strenge Prüfungen. Und selbst wenn eine Adoption zustande kam, wurde Kindern über sechs Jahren damit nicht automatisch auch die Aufenthaltsberechtigung erteilt. Daher war ihm von Anfang an nichts anderes übriggeblieben, als in den Schatten der Gesellschaft zu leben.
Er wurde von einem koreanischen Verbrechersyndikat aufgenommen. Da Vassago Englisch, Spanisch und Japanisch sprechen konnte, stellten sie ihm einen Schlafplatz und Verpflegung und bildeten ihn zum Attentäter aus.
Fünf Jahre später, als er zwanzig Jahre alt war, hatte er bereits neun Jobs erfolgreich abgeschlossen. Sein zehnter Job sollte etwas vollkommen anderes sein als alle bisherigen. Er sollte jemanden in der virtuellen Welt töten, an den in der Wirklichkeit nicht heranzukommen war.
Als ihm seine Aufgabe zum ersten Mal beschrieben wurde, verstand er sie nicht. Erst als man ihn über den SAO-Vorfall informierte, der sich wenige Tage zuvor ereignet hatte, ergab die ganze Sache für ihn Sinn. Die Zielperson war diesem Vorfall zum Opfer gefallen und wurde nun durchgängig im streng abgesicherten Zuhause gepflegt. Wollten sie darauf warten, dass das Spiel die Zielperson tötete, wäre der Zeitpunkt, an dem es passierte, unvorhersehbar. Zudem könnte die Person letztlich sogar noch lebend entkommen. Aber wenn Vassago in dasselbe Spiel divte und die HP seines Ziels auslöschte, würde das NerveGear in der Wirklichkeit die Arbeit für ihn verrichten und das Ziel töten.
Dennoch stellte ihn das vor drei große Probleme.
Auch der Attentäter Vassago würde sich bis zum Abschluss des Spiels nicht mehr ausloggen können. Und falls er im Spiel sein Leben verlieren sollte, würde er tatsächlich sterben. Zudem würde Vassago das Ziel nicht selbst angreifen können. Würde irgendjemand später an ein Protokoll darüber gelangen, wer wen angriffen hatte, würde das einen Hinweis auf das Attentat hinterlassen.
Als Belohnung für diesen extrem schwierigen Job bot ihm das Syndikat eine enorme Geldsumme. Vassago rechnete nicht damit, dass sie ihm diese Summe wirklich zahlen würden, selbst im Falle eines Erfolgs. Doch er hatte ohnehin keine andere Wahl, als den Job anzunehmen.
Obwohl die meisten noch unbenutzten NerveGears von der Polizei beschlagnahmt worden waren, war es dem Syndikat irgendwie gelungen, ein Exemplar in die Finger zu bekommen. Solange Vassago die SAO-Software hatte und den Willen, sich in dieses tödliche Spiel zu stürzen, konnte ihn weder die Polizei noch die Entwicklerfirma davon abhalten, sich einzuloggen.
Die letzte und unerwartete Hürde war der passende Charaktername. Vassago, der noch nie ein Computerspiel gespielt hatte, war mit der Wahl des Namens überfordert. Schließlich entschied er sich für eine Abkürzung der Bedeutung des Namens, den ihm seine Mutter gegeben hatte: PoH.
Vassagos erste Erfahrung mit einer wahren virtuellen Welt veränderte ihn tiefgreifend – sie befreite sein wahres Wesen. Die japanischen Spieler erinnerten ihn an seinen lang vergessenen Vater und dessen Sippschaft. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie sehr er alle Ostasiaten hasste.
Er würde das Ziel töten, wie es sein Auftrag war. Aber auf dem Weg dorthin würde er so viele andere Spieler umbringen wie möglich.
Mit diesem Gedanken gründete er SAOs größte PK-Gilde Laughing Coffin und nahm im Lauf der Zeit die Leben zahlreicher Spieler. Als die Gilde zu groß wurde und er ihrer Leitung überdrüssig, fädelte er eine Konfrontation mit den Frontkämpfern ein, um sie vernichten zu lassen. Gerade als er endlich zu seinem entscheidenden Zug kommen wollte, um den »Blitz« und den »schwarzen Schwertkämpfer« – die er als seine ultimative Beute auserkoren hatte – zu töten, wurde das Spiel beendet.
Als er in die wirkliche Welt zurückkehrte, spürte Vassago keine Freude, sondern nur Leere und Enttäuschung. In dem Wissen, dass er niemals wieder in diese traumhafte virtuelle Welt reisen können würde, entschied er sich, für die Suche nach ähnlichen Erfahrungen nach Amerika zurückzukehren. Also ermordete er seinen Boss, der ihm das versprochene Honorar schuldig bleiben wollte, und setzte sich mit dem Geld nach Amerika ab. Dort kam er in der Abteilung für Cyberoperationen eines privaten Militärunternehmens mit Sitz in San Diego unter.
Im virtuellen Training gegen die Nationalgarde oder die Marine konnte er all seine Fähigkeiten aus SAO-Zeiten zur Geltung bringen. Schon bald wurde er zum Ausbilder ernannt. Doch obwohl sein Leben so stabil war wie nie zuvor, fand er keine Erfüllung darin.
Nur einmal. Einmal noch wollte er in diese Welt reisen. Dieses Konstrukt aus digitalen Trugbildern, das mehr über die wahre Natur der Menschen zutrage brachte, als die Realität es je konnte.
Nach langer Zeit des Hoffens fand er sich nun in Underworld wieder, einer geradezu erschreckend realistischen VR-Welt, wo er dem Blitz und dem schwarzen Schwertkämpfer erneut begegnete. Das war schon kein wundersamer Zufall mehr, sondern konnte nichts anderes als Schicksal sein.
Irgendetwas schien allerdings mit dem geistigen Zustand des schwarzen Schwertkämpfers nicht zu stimmen. Doch sicherlich würde er wieder zu sich kommen, sobald Vassago alle Leute um ihn herum tötete. Genau diese Wesensart des Schwertkämpfers faszinierte Vassago zutiefst. So sehr, dass er sich bereitwillig selbst umbringen würde, sobald er diesen jungen Mann mit eigenen Händen getötet hatte.
Zuerst würde er die Chinesen und Koreaner aufeinanderhetzen, die mit falschen Informationen nach Underworld gelockt worden waren, bis alles in einem Blutbad endete. Er hatte von vornherein nicht damit gerechnet, dass diese hastig improvisierte Lügengeschichte lange halten würde. Bereits jetzt begannen immer mehr Leute, an der Story zu zweifeln und mit den Spielern zu streiten, die noch vor Patriotismus glühten. Sobald die Anspannung ihren Höhepunkt erreicht hatte, musste er nur noch für einen kleinen Funken sorgen, der das Chaos entbrannte.
Ein Stück entfernt versuchte der Koreaner, dem er kurz zuvor einen kräftigen Hieb verpasst hatte, gerade beharrlich, seine Landsleute zu überzeugen. Würde er den Patrioten zurufen, dem Kerl den Kopf abzuschlagen und diese ganzen Memmen zu töten, würden sie in ihrem Feuereifer sicher ihre Schwerter zum Angriff ziehen.
»Wart’s nur ab …«, raunte Vassago dem schwarzen Schwertkämpfer zu, der mit leerem Blick am Boden lag. »Ich werde dich schon noch aufwecken …«
Erst da fiel ihm auf, dass die Züge dieses jungen Mannes seinem Halbbruder ähnelten, den er vor der Nierentransplantation flüchtig gesehen hatte. Die Erkenntnis versetzte ihm einen scharfen Stich.
Sobald er den schwarzen Schwertkämpfer und den Blitz in dieser Welt getötet hätte, würde er auch sich selbst ausloggen. Danach würde er die beiden finden, wo auch immer auf der Ocean Turtle sie sich aufhielten, und mit größter Wonne erneut töten – diesmal richtig.
Allein die Vorstellung dieses Moments schien den Schmerz in seiner linken Seite zu mildern, der nie verebbt war, seit ihm mit fünfzehn Jahren die Niere gestohlen worden war.
Halb verborgen unter seiner Kapuze grinste er und flüsterte dem Jungen wieder zu: »Wenn du zu lange pennst, gehen sie alle drauf. Also los, wach schon auf.«
Vassago ließ einmal seinen Mate Chopper zwischen den Fingern wirbeln und ging gemächlich los.
***
Knirsch.
Asuna hatten bereits alle Kräfte verlassen, als sie das Geräusch von Stiefelsohlen auf dem ausgedorrten Boden hörte.
Knirsch, knirsch. Es klang mechanisch, fast roboterhaft, und doch rhythmisch wie ein Tanz. Damals in der schwebenden Festung hatte Asuna sie viele Male gehört – die Schritte des nahenden Todes.
Als sie den Blick hob, sah sie Kirito etwa zwanzig Meter entfernt am Boden liegen. Eine Gestalt im schwarzen Poncho kam von dort auf sie zu.
Doch das Ziel der Gestalt war nicht etwa sie selber, sondern Klein, der rechts neben ihr von zwei Schwertern durchbohrt worden war. Der Samurai schien den Tod nur noch mit reiner Willenskraft fernzuhalten. PoH wollte ihm nun offensichtlich eigenhändig den Rest geben.
Doch kaum hatte sie diesen Gedanken gehabt, erkannte sie, dass auch das nicht stimmte.
In Kleins Nähe diskutierten zwei Krieger in roter Rüstung lebhaft miteinander. Tatsächlich kam es überall in der riesigen Armee, die die überlebenden japanischen Spieler und Truppen aus Underworld umzingelt hatte, zu heftigen Wortgefechten.
Wahrscheinlich gingen diejenigen, die noch immer PoHs Worten glaubten, nun die Spieler an, die seine Lügen durchschaut hatten. Wenn das nicht bald aufhörte, würde schon der kleinste Auslöser reichen, damit Erstere zum Angriff übergehen würden. Und sollte das geschehen, würde sich der Kreislauf des Hasses auch auf die verbündeten Spieler aus China und Korea ausweiten. PoH wollte sie aufhalten …
Nein.
Oh nein.
Dieser Kerl wollte den neuen Konflikt, der auf dem Schlachtfeld ausgebrochen war, selbst befeuern.
Genau wie damals, als er das Versteck seiner eigenen Gilde Laughing Coffin an die Frontkämpfer verraten und ein blutiges Gefecht inszeniert hatte.
Asuna hatte keine Ahnung, was er sich davon versprach, die Hälfte der Kämpfer unter seinem Kommando auslöschen zu lassen. Ihre einzige Gewissheit war, dass etwas Schreckliches geschehen würde.
Während PoH seelenruhig weiterging, gab er irgendwelche Befehle auf Koreanisch.
Die beiden Krieger, die Klein niedergestreckt hatten, schüttelten ihre Verwirrung ab und ergriffen den Dritten an den Armen, denjenigen, der es nicht vermocht hatte, Kleins Lebenslicht ganz auszulöschen.
Der Todesgott im schwarzen Poncho packte mit einem scharfen Schnappen seinen beilartigen Dolch fester. Er wollte den »Verräter« selbst hinrichten und seinen Kopf der Menge präsentieren, um die Spieler auf seiner Seite dazu anzustacheln, ihre Kameraden anzugreifen.
Das durfte sie nicht zulassen. Für ihr höchstes Ziel, die Menschen von Underworld zu beschützen, hätte sie die roten Soldaten vielleicht nicht davon abhalten sollen, sich gegenseitig an die Gurgel zu gehen. Doch selbst wenn die Hälfte von ihnen ausgelöscht wurde, blieben immer noch über Zehntausend von ihnen. Und dann würde noch tieferer Zorn und Hass in ihnen brodeln, der sich anschließend auf die Japaner und Underworldler richten würde.
Zudem waren es gerade die Spieler, die durch PoHs Hetze bedroht waren, die allmählich die Wahrheit über diese Welt erkannten – also diejenigen, die den Worten der Japaner Glauben schenkten. Sie konnte diese Leute nicht einfach ihrem Schicksal überlassen.
Sie musste handeln. Sie musste aufstehen, ihre Waffe ergreifen und PoH aufhalten.
Doch ihre Arme und Beine gehorchten ihr nicht. Mit jedem Atemzug fuhr ein stechender Schmerz durch die zahllosen Wunden, die ihren Körper übersäten, und verzehrte ihre Willenskraft.
Es geht nicht … Ich kann nicht aufstehen.
Asuna kniete auf der Erde, und ihrer Brust entrang sich ein schwaches Stöhnen.
Langsam krümmte sie sich zusammen. Schmutzige, wirre Haarsträhnen fielen über ihre Schulter und nahmen ihr die Sicht. Sie hörte den Todesgott Schritt für Schritt näherkommen und wollte ihre tränenerfüllten Augen schließen, als …
Alles wird gut.
Du schaffst das, Asuna.
Eine Stimme drang an ihr Ohr, leise, doch unmissverständlich.
Arme legten sich sanft und zugleich kräftig um ihre Schultern.
Ein warmes Licht flutete ihren Körper, ihr Herz. Ein frischer Wind wehte all ihre Schmerzen davon.
Komm, steh auf, Asuna.
Um das zu beschützen, was dir wichtig ist.
Ihre rechte Hand zuckte, glitt über den Boden und packte, was sie dort ertastete.
Radiant Light, das Rapier der Göttin der Schöpfung.
Als sie aufsah, reckte der Todesgott im schwarzen Poncho seinen blutrot blitzenden Dolch hoch empor. Der rote Soldat, den die anderen beiden fest im Griff hatten, war vor Angst wie erstarrt. Der Tumult ringsum verebbte auf einen Schlag, und zahllose Augenpaare richteten sich auf die erbarmungslose Klinge.
Asuna hielt den Atem an, biss die Zähne zusammen und sammelte all ihre verbliebene Kraft. Dann sprang sie los.
»H…aaaaaah!« Mit einem gellenden Schrei holte sie mit dem Rapier aus, und ein helles Licht entsprang dessen Spitze. Es war eine Basistechnik, die sie schon Tausende, Zehntausende Male eingesetzt hatte – der Sword Skill Linear.
PoH bemerkte ihren Angriff dank seiner hervorragenden Reflexe. »Oho …«, murmelte er und lehnte den Oberkörper zurück.
Asuna stieß ihre Waffe direkt in die Dunkelheit unter der zurückweichenden Kapuze. Sie spürte einen leichten Widerstand. Eine schwarze Locke flog durch die Luft, und ein paar Blutstropfen spritzten aus der dunklen Haut.
Er ist ausgewichen!
Wie schon in Aincrad, so war man auch in Underworld nach dem Einsatz eines Sword Skills für einen Moment schutzlos. Als Asunas Körper für einen kurzen, tödlichen Augenblick erstarrte, schoss PoHs Klinge schon brüllend auf sie zu.
Doch zur gleichen Zeit konzentrierte sie sich auf den Boden unter seinen Füßen.
Ein irisierendes Licht glühte auf und erlosch wieder. Mit der Macht der Lebensgöttin Stacia erzeugte sie unter seinem Standbein einen winzigen Felsvorsprung.
Obwohl es eine denkbar kleine Geländemanipulation gewesen war, zuckte ein scharfer Schmerz durch ihren Kopf. Doch im Gegenzug geriet der schwarze Todesgott ins Straucheln, sodass seine Klinge nur ihr Kleid aufschlitzte.
»Urgh …!« Sobald sich Asuna wieder aus ihrer Erstarrung löste, holte sie erneut mit dem Rapier aus. »Whoa!«
Mit wild flatterndem Poncho erhob PoH wieder seinen Dolch.
Ihr blitzschneller Stoß kollidierte heftig mit seinem mächtigen Hieb. Weiße und rote Funken sprühten. Während Asuna mit aller Kraft versuchte, seine Klinge zurückzudrängen, keuchte sie: »Was … willst du?«
PoHs Mundwinkel verzogen sich unter der Kapuze zu einem Grinsen. »Ist doch wohl klar«, stieß er mit rauer Stimme hervor. »Den Typen in Schwarz töten … Seit er mir auf der fünften Ebene von Aincrad entwischt ist, hab ich es nur auf ihn abgesehen.«
»Warum hasst du Kirito so sehr? Was hat er dir getan?«
»Hassen?«, wiederholte PoH entrüstet. Er lehnte sich vor und zischte: »Ich dachte, ausgerechnet du würdest verstehen, wie sehr ich ihn liebe. In dieser Welt voller Arschlöcher war er der Einzige, an den ich uneingeschränkt glauben konnte. So sehr ich ihn auch leiden ließ, er ist nie daran zerbrochen. Trotz aller Versuche, ihn zum Bösen zu verleiten, blieb er standhaft. Er hat mir immer Hoffnung und Freude gegeben. Deswegen pisst es mich erst recht an, dass so’n Krüppel aus ihm geworden ist, während ich nicht dabei war. Ich werde ihn aufwecken – koste es, was es wolle. Dafür töte ich so viele wie auch immer nötig – und wenn es Tausende oder Zehntausende sind!«
Seine grauenhaften Worte legten sich wie ein dunkler Schleier über Asuna und nagten erbarmungslos an ihrem Kampfgeist. »Hoffnung …? Freude …? Hast du überhaupt eine Ahnung, wie viel er durchmachen musste wegen dir?!«, erwiderte sie heftig.
Ihre gekreuzten Klingen ließen immer wieder Funken sprühen, und der Druck auf ihr Schwert wurde immer größer.
Das lag jedoch nicht etwa an Asunas geschwächtem Willen. Es war PoHs unheilvoller Mate Chopper, der zitterte wie ein Lebewesen, während er immer größer und massiver wurde.
PoH schien ihre Bestürzung zu bemerken. In der Dunkelheit unter der Kapuze grinste er breit.
»Ich habe endlich kapiert, wie diese Welt tickt. Vergossenes Blut und verlorene Leben werden hier zu Energie. So wie in dem Moment, als die Priesterin des Lichts das Heer des Dark Territory mit ihrem fetten Laserstrahl eingeäschert hat.«
Asuna hatte vor ihrem Dive eine Erklärung zu diesem Grundprinzip von Underworld erhalten. Die räumlichen Ressourcen, von denen er sprach, konnten ohne komplizierte Kommandos oder Ressourcen absorbierende Waffen nicht benutzt werden. Selbst wenn die Vergrößerung des Mate Choppers auf dem Einsatz von räumlichen Ressourcen beruhte, hatte PoH dennoch kein Kommando gesprochen. Zudem war sein Dolch vermutlich aus seinen Charakterdaten aus SAO-Zeiten konvertiert worden und konnte somit nicht über Underworlds Absorptionsfunktion verfügen.
»Damals in Aincrad verschlechterten sich die Stats des Mate Choppers jedes Mal, wenn damit ein Monster getötet wurde«, fuhr PoH fort, als hätte er ihre Gedanken gelesen. »Doch je mehr Spieler – Menschen – ich damit tötete, desto mächtiger wurde er. Na ja, wenn man damit eine übelst große Anzahl an Mobs killt, wird angeblich der Fluch gebrochen, und die Waffe verwandelt sich in ein Katana mit einem ähnlichen Namen. Aber das ging mir natürlich am Arsch vorbei. Der Punkt ist, dass sein ursprünglicher Effekt, mit jedem absorbierten Menschenleben stärker zu werden, auch hier in Underworld funktioniert. Auf diesem Schlachtfeld wimmelt’s von den Leben der Amerikaner, die ihr plattgemacht habt, und denen der Japaner, die von den Chinesen und Koreanern gekillt wurden. Wenn sich jetzt noch die Verbündeten gegenseitig umbringen, wird’s hier vor Lebensenergie nur so strotzen.«
Noch während er sprach, wuchs der Mate Chopper knarrend immer weiter. Asunas Radiant Light, obgleich es eine GM-Waffe war, knirschte, als könne die Klinge dem Druck nicht länger standhalten. Alle Hintergrundgeräusche verstummten. Sie hörte nur noch ihren eigenen Atem und das Klopfen ihres Herzens.
Als würde PoH gleichermaßen wie seine grausige Waffe wachsen, drängte er Asuna immer weiter zurück, während er ihr zuraunte: »Sobald ich alle Leben hier absorbiert habe, werde ich jedes einzelne synthetische Fluctlight in dieser Welt ausradieren. Und damit meine ich nicht nur die paar bibbernden Loser hinter dir, sondern alle. Die Monster im Reich der Finsternis genauso wie die Leute in der Menschenwelt. Keine Ahnung, wie viele Tausend das sind, aber das sollte ihn doch aufwecken. Wenn er noch der schwarze Schwertkämpfer ist, an den ich glaube.«
Ein kalter Wind zerrte an seiner Kapuze und gab für einen flüchtigen Moment den Blick auf seine Augen frei. Rote, matt leuchtende Augen.
Er war ein Teufel. Kein Mensch, sondern ein echter Teufel.
Das war PoHs wahre Natur. Die Maske des heiteren Agitators und auch die des strengen Kommandanten auf diesem Schlachtfeld waren nichts als Lügen. In Wahrheit war er ein eiskalter Rächer, der einzig danach trachtete, Menschen zu quälen und zu töten.
Allmählich wich die Kraft aus Asunas Beinen. Ihr Rapier knirschte, und die Klinge des Beils näherte sich ihrer Kehle.
»Bleib locker. Ich werde dich noch nicht töten. Ich werde nur dafür sorgen, dass du mir nicht mehr in die Quere kommst. Schließlich will ich, dass du bis zum Ende zusiehst … wenn er erwacht und dann in meinen Armen stirbt.«
Der Mate Chopper war inzwischen fast doppelt so groß wie ursprünglich. Das Radiant Light schien einen durchdringenden Schrei auszustoßen, als sich ein feiner Riss in seiner Klinge bildete.
Asuna sackte auf ein Knie. Ein schwarzer Nebel quoll aus PoHs Kapuze und nahm ihr die Sicht. Nur die massive Stahlklinge und seine roten Augen blitzten noch in der Dunkelheit auf.
Als alle Kräfte sie zu verlassen drohten, spürte sie wieder, wie sich zierliche Hände auf ihren Rücken legten.
Keine Sorge.
Ich bin immer bei dir.
Ein helles Licht entsprang ihrer Brust und zerschnitt die Dunkelheit.
In der Reflexion der breiten Klinge des Mate Choppers sah sie, wie sich blütenweiße Flügel aus ihrem Rücken entfalteten.
Die Geräusche kehrten zurück, und über dem Tumult des Schlachtfelds hörte sie die Stimmen ihrer Freunde.
»Asuna! Du schaffst es, Asuna!«
»Asuna! Asunaaa!«
»Steh auf, Asuna!«
»Asunaaa!«
Lisbeth. Silica. Agil. Klein.
Doch nicht nur sie. Auch die überlebenden ALO-Spieler wie Sakuya, Alicia, Siune und die anderen Sleeping Knights, und auch Renly, Tiese, Ronie, Sortiliena sowie etliche Soldaten und Priester von der Verteidigungsarmee der Menschenwelt feuerten sie an.
Ich danke euch allen.
Danke, Yuuki.
Ich kann immer noch kämpfen. Eure vereinten Herzen geben mir Kraft.
»Ich werde nicht aufgeben … Leuten wie dir, die nichts als Hass kennen, werde ich mich niemals geschlagen geben!«, schrie Asuna ihm entgegen.
Im gleichen Augenblick strömten Wellen hellen Lichts aus ihrem Körper und warfen PoH zurück.
Sie erhob sich und holte weit mit dem Rapier aus. Aus der Klinge schossen blassviolette Strahlen und tauchten die ganze Welt in ihre Farbe, die an Thymianblüten erinnerte.
»Hrgh …!« Der Todesgott versuchte, die Füße in den Boden zu stemmen, doch dieser Attacke war er schutzlos ausgeliefert.
Asuna aktivierte den Original Sword Skill, den Yuuki alias Zekken ihr vermacht hatte.
Fünf blitzschnelle Stöße von rechts oben leuchteten in einer diagonalen Linie auf.
Fünf weitere Treffer von links oben bildeten mit der ersten Linie ein Kreuz.
»Uargh …« PoH spuckte einen Sprühnebel aus Blut aus, doch sein riesiges Beil glühte beständig tiefrot. Wenn er sie mit einer direkten Konterattacke traf, würde er ihre restlichen HP ausradieren.
Doch Asunas Angriff war noch nicht beendet.
»Haaaaaaaah!« Sie konzentrierte alle verbliebene Energie auf die Spitze des Rapiers für ihren letzten – und mächtigsten – Hieb mitten in den Schnittpunkt des Kreuzes.
Dies war das Finale von Mother’s Rosario, der 11-Hit-OSS.
Ein violetter Blitz durchbohrte PoHs Brust wie eine Sternschnuppe.
Der Todesgott im schwarzen Poncho wurde hoch in die Luft geschleudert und stürzte weit entfernt mit einem schweren Krachen zu Boden.
Nachdem sie all ihre Willenskraft erschöpft hatte, fiel Asuna wieder auf die Knie.
Danke, Yuuki, flüsterte sie in Gedanken noch einmal.
Sie bekam keine Antwort. Vielleicht waren es von Anfang an nur die Hände und Stimme einer Vision gewesen, die Asunas Erinnerung entsprungen war. Doch selbst wenn, dann war sie keine Einbildung. Nicht in einer Welt, die vollständig aus Erinnerungen konstruiert war.
Eigentlich sollte der Original Sword Skill Mother’s Rosario hier nicht einsetzbar sein. Auch wenn Higa und Kikuoka die Sword Skills aus dem alten SAO zusammen mit The Seed implementiert hatten, war es Asunas Undine in ALO, die Mother’s Rosario geerbt hatte. Da Stacia nicht aus jenem Charakter konvertiert worden war, verfügte sie auch nicht über dessen Daten.
Dennoch hatte der OSS einwandfrei funktioniert, mitsamt den dazugehörigen Lichteffekten. Wenn das durch die Kraft ihrer Vorstellung geschehen war, dann war Yuuki auch tatsächlich aus ihrer Erinnerung auferstanden, um ihr Mut zu geben. Denn Erinnerungen vergingen niemals.
PoH lag noch immer am Boden. Eine 11-Hit-Kombo mit einer GM-Waffe konnte er unmöglich überlebt haben. Doch im Gegensatz zu den anderen Spielern war er über einen STL verbunden, weshalb sich sein Körper selbst im Falle seines Todes nicht sofort auflöste, sondern für eine Weile zurückblieb, wie es auch bei den Bewohnern der Menschenwelt und des Dark Territory der Fall war.
Gestützt auf ihr Rapier kam Asuna mühsam wieder auf die Füße. Dann wandte sie sich zu Klein um. Er war noch immer von Schwertern durchbohrt, doch die drei, die ihn festgehalten hatten, waren zurückgewichen und starrten sie mit ungläubigen Gesichtern an, ebenso wie der vierte Krieger, der die Hinrichtung aufgehalten hatte.
Zwar wäre sie am liebsten sofort zu Kirito geeilt, doch zunächst musste sie die Klingen aus Kleins Körper entfernen und seine Wunden heilen. Als sie jedoch auf ihn zugehen wollte, erbebte unter ihren Füßen die Erde.
Mit angehaltenem Atem drehte sie sich wieder um.
PoH lag unverändert am Boden und rührte sich nicht. Doch der Mate Chopper in seiner rechten Hand strahlte ein unheimliches rot-schwarzes Licht aus. Bei genauerem Hinsehen schien die Luft auf dem Schlachtfeld langsam um die Klinge zu zirkulieren.
»Oh nein … Seine Waffe absorbiert sakrale Kraft!«, rief Sortiliena, die an der Frontlinie der Menschenarmee stand.
Asuna biss die Zähne zusammen und stürmte los, um die verhängnisvolle Klinge zu zerstören.
Doch noch bevor sie ihn erreichen konnte, richtete sich der Körper des Todesgottes auf, als sei er von dem schwebenden Mate Chopper in die Höhe gezogen worden.
Die Vorderseite seines Ponchos war völlig zerfetzt und entblößte seinen Leib in dem engen Lederanzug. In seiner Brust – dort, wo ihn der letzte Hieb des OSS getroffen hatte – klaffte ein so großes Loch, dass man hindurchsehen konnte.
Die Underworldler schrien entsetzt auf, als sie PoH aufstehen sahen, obwohl ihm das Herz aus der Brust gesprengt worden war. Selbst unter den Chinesen und Koreanern, die diesen Ort für eine gewöhnliche VRMMO-Welt hielten, brach Unruhe aus.
Vermutlich hatte der Mate Chopper eine große Menge räumlicher Ressourcen absorbiert und in PoHs HP konvertiert. Trotz dieser Schlussfolgerung konnte Asuna nicht aufhören zu zittern.
PoH divte mit einem STL. Was bedeutete, dass er gerade die gleichen Schmerzen spüren musste, wie es in der Realität der Fall wäre. Als Asuna vom Speer durchbohrt worden war, hatten die Schmerzen ihr fast die Sinne geraubt. Welche Qualen ein klaffendes Loch in der Brust verursachen musste, konnte sie sich nicht einmal annähernd vorstellen.
Doch der Todesgott grinste nur mit blutverschmierten Lippen. Dann brüllte er so laut, dass das gesamte Schlachtfeld erbebte: »Kameraden! Da seht ihr die wahre Natur der dreckigen Japaner! Tötet jeden Einzelnen dieser schwächlichen Verräter!«
Er musste auf Koreanisch gesprochen haben, und dennoch verstand Asuna jedes Wort klar und deutlich.
Von PoHs hoch erhobenem Mate Chopper breitete sich eine rot-schwarze Aura über das ganze Ödland aus.
Oooh …
Ooooooh!
Die Hälfte der Chinesen und Koreaner reckten ebenfalls ihre Schwerter in die Höhe und stießen ein wildes Gebrüll aus.
Sie griffen ihre Landsleute an, die sie zur Vernunft zu bringen versuchten. Ein Teil von ihnen attackierte die verbliebenen japanischen Spieler und die Truppen von Underworld. Und es gab nichts, was Asuna noch dagegen tun konnte.
Urplötzlich bekam sie einen Stoß von hinten und stürzte. Das schon stark beschädigte Rapier glitt aus ihrer Hand und fiel zu Boden.
Ein gutes Stück entfernt streckte der Junge mit dem schwarzen Haar angestrengt seine Hand nach ihr aus.
»Kirito …«, hauchte Asuna.
Auch sie streckte die Hand nach ihrem Geliebten aus und wartete auf das Ende.
7
Ich hatte im Klassenzimmer nur ein kleines Nickerchen gehalten, doch mir war, als sei ich aus einem langen Traum erwacht.
Es war ein schöner, schmerzlicher, trauriger Traum gewesen. Während ich durch den leeren Schulflur ging, versuchte ich, mich an den Inhalt zu erinnern, doch es wollte mir nicht gelingen.
Schließlich gab ich auf und wechselte im Eingangsbereich in meine Straßenschuhe.
Als ich durch das Schultor schritt, blies mir der kühle, trockene Herbstwind durch die langen Ponyfransen. Ich hängte mir die Schultasche über die Schulter, vergrub meine Hände in den Hosentaschen und ging mit gesenktem Kopf los.
Auf dem Weg vor mir schwatzten Schüler meiner Schule fröhlich miteinander. Ich stopfte mir die Kopfhörer meines Audioplayers tief in die Ohren, um ihr Gerede über Träume, Hoffnungen, Liebe und Freundschaft auszublenden, und machte mich mit hochgezogenen Schultern auf den Heimweg.
Unterwegs ging ich in einen kleinen Supermarkt, um mir die neuesten Spielezeitschriften der Woche anzusehen, und kaufte das Magazin mit dem längsten Sonderbericht über Sword Art Online, das in einem Monat offiziell starten sollte. Bei der Gelegenheit lud ich auch meinen E-Money-Account für Onlinespiele auf.
Mit einer Kreditkarte hätte ich mir diese Mühe sparen können. Als ich meine Mutter einmal vorsichtig danach gefragt hatte, hatte sie mir jedoch erklärt, ich würde keine bekommen, bis ich Student wäre. Dem hatte ich nichts entgegenzusetzen. Ich war dankbar, dass meine Eltern mir überhaupt Taschengeld gaben, obwohl ich nicht ihr leibliches Kind war.
Während ich den Laden durch die automatischen Türen verließ, dachte ich darüber nach, dass es langsam mal an der Zeit wäre, das Bargeld abzuschaffen und alles komplett zu digitalisieren.
Da bemerkte ich eine Gruppe von fünf Leuten, die in einer Ecke des Parkplatzes hockten. Sie waren noch nicht dort gewesen, als ich den Laden betreten hatte, sondern mussten gekommen sein, während ich in die Zeitschriften vertieft gewesen war. Sie lachten laut, und um sie herum lagen Tüten und Packungen von Snacks verstreut.
Ihrer Uniform nach mussten sie auf meine Mittelschule gehen, doch ich ignorierte sie wie selbstverständlich und wandte mich zum Gehen.
Da warf mir einer von ihnen einen hilfesuchenden Blick zu.
Wäre seine Uniform nicht gewesen, hätte man den schmächtigen Jungen für einen Grundschüler halten können. Er war in einer anderen Klasse, aber ich kannte ihn – bis zu einem gewissen Zeitpunkt waren wir sogar Freunde gewesen.
Auch er hatte während der Sommerferien am Betatest von Sword Art Online teilgenommen.
Es grenzte an ein Wunder, dass bei nur tausend Testern im ganzen Land zwei aus demselben Jahrgang derselben Schule ausgewählt worden waren. Das war so erstaunlich, dass sogar ein absoluter Einzelgänger wie ich ihn von mir aus kontaktiert hatte, als ich davon erfahren hatte.
Unsere Bekanntschaft hatte kurz vor den Sommerferien begonnen und war mit ihrem Ende, oder genauer gesagt dem Ende des Betatests von SAO, wieder vorbei gewesen. Wir hatten alle paar Tage eine Gruppe gebildet und uns recht gut verstanden. Doch sobald das zweite Schuljahr begonnen hatte und ich ihm zum ersten Mal seit einem Monat wieder in der echten Welt begegnet war, war einmal mehr meine seltsame Eigenart aufgetreten – ich hatte mich gefragt, wer diese Person überhaupt wirklich war, die ich eigentlich gut kennen sollte.
Es war ein Gefühl, als wohnte diesem Menschen aus Fleisch und Blut ein vollkommen Fremder inne. Wenn das vorkam, konnte ich nicht länger aufrichtig nett zu demjenigen sein. So ging es mir hin und wieder sogar mit meinen Eltern und meiner kleinen Schwester.
Er hatte unsere Freundschaft offenbar auch nach dem offiziellen Start von SAO und auch an der Schule fortführen wollen. Doch irgendwann hatte er meine Haltung ihm gegenüber gespürt und sich distanziert. Seitdem hatten wir kein Wort mehr miteinander gewechselt.
Wieso hing er hier mit diesen Typen, mit denen er für gewöhnlich nichts zu tun gehabt hätte, auf dem Parkplatz ab?
Sein flehentlicher Blick und die Worte des Jungen mit blondierten Spitzen neben ihm beantworteten meine Frage. »Was is’, was guckste so blöd?«
Sofort machten auch die anderen drei finstere Gesichter und stießen bedrohliche Laute aus. Offenbar hatten sich die Krawallmacher seiner Klasse auf ihn eingeschossen, schnorrten sich bei ihm durch und nutzten ihn als Laufburschen aus. Und nun sah er mich hilfesuchend an.
Ich hätte ihn auffordern sollen, mit mir nach Hause zu gehen. Aber ich brachte kein Wort heraus. Meine Kehle war wie zugeschnürt, und ich brachte nur ein Murmeln hervor: »Schon gut …«
Dann ließ ich meinen früheren Freund im Stich und ging weiter. Er sagte nichts, doch aus den Augenwinkeln sah ich, wie sein kindliches Gesicht sich verzog, als sei er den Tränen nahe.
Eilig verließ ich das Ladengrundstück und schlurfte mit gebeugtem Rücken im Licht der Abendsonne die Straße hinunter. Ich ging und ging, die Augen starr auf meine Füße auf dem Asphalt gerichtet, ohne an irgendetwas zu denken.
Hinter mir ging die Sonne rasch unter, und eine violette Dunkelheit legte sich über die Stadt. Mein so vertrauter Schulweg fühlte sich auf einmal völlig fremd an. Weder Menschen noch Autos waren auf der Straße, nur das Geräusch meiner Schritte hallte von den Gebäuden links und rechts wider.
Tapp, tapp, tapp … Fwwt, fwwt, fwwt.
»Hm …?« Ich blieb abrupt stehen. Unversehens hatte sich der Boden von Asphalt zu kurzem Gras gewandelt. Seit wann gab es auf meinem Heimweg solch eine ungepflasterte Stelle? Verwundert hob ich den Blick.
Was ich sah, war nicht die Nebenstraße in Kawagoe, sondern ein schmaler Pfad durch einen mir fremden, tiefen Wald.
Nachdem ich mich einen Moment lang umgesehen hatte, blickte ich an mir hinunter.
Meine schwarze Schuluniform war verschwunden. Stattdessen trug ich eine indigoblaue Tunika und eine Lederrüstung. Meine Hände steckten in fingerlosen Lederhandschuhen und meine Füße in kurzen Stiefeln mit Metallnieten. Und statt der Schultasche hing über meiner Schulter jetzt ein kurzes, aber schweres Schwert.
»Wo bin ich …?«, murmelte ich, doch niemand antwortete mir.
Also zuckte ich mit den Schultern und schlug den Pfad durch den Wald ein.
Es dauerte keine Minute, bis meine Erinnerungen prickelnd erwachten. Diese alten Bäume mit ihren knorrigen Zweigen. Das Gefühl des weichen Bodens unter meinen Füßen. Das hier war der Wald nordöstlich der Stadt der Anfänge auf der ersten Ebene der schwebenden Festung Aincrad. Folgte ich diesem Pfad, würde er mich nach Horunka führen.
Ich sollte schnellstens ins Dorf gehen und mir ein Zimmer im Gasthaus nehmen. Für heute wollte ich nur noch ins Bett. Einfach einschlafen und an nichts mehr denken.
Nur das trübe Mondlicht hing zwischen den Bäumen, während ich unermüdlich weiterging.
Da hörte ich ein Stück vor mir einen dünnen Schrei.
Wieder blieb ich kurz stehen, bevor ich meinen Weg fortsetzte. Dort, wo sich auf der rechten Seite die Bäume lichteten, fiel das bläuliche Mondlicht auf den Pfad. Erneut hörte ich einen Schrei – und dann die schnarrenden Laute von Monstern.
Vorsichtig ging ich weiter. Ich näherte mich der Lichtung und spähte hinter einem dicken Stamm hervor.
Vor mir lag eine große freie Fläche, fast wie eine runde Bühne im Wald. Im fahlen Licht zeichneten sich die Bewegungen unheimlicher Silhouetten ab.
Fünf oder sechs Pflanzenmonster, die an riesige Kannenpflanzen erinnerten, wackelten mit ihren spitzen Ranken. Sie umzingelten einen jungen Mann, der das gleiche Outfit trug wie ich. Er hieb aus Leibeskräften mit seinem Schwert nach den Tentakeln, aber so viele er auch abschlug, es wuchsen immer neue nach.
Sein Gesicht kam mir bekannt vor.
Wir hatten einmal eine Gruppe gebildet, um Items zu sammeln, die diese Pflanzenmonster droppten. Wenn ich mich recht erinnerte, war sein Name … Coper. Doch warum war er von so vielen Monstern umzingelt?
Was auch immer ihn in diese Situation gebracht hatte, ich musste ihm helfen.
Doch wieder wollten mir meine Beine nicht gehorchen. Ich stand dort wie angewurzelt und kam nicht einen Schritt vorwärts.
Eine Ranke zog ihm von hinten die Füße weg, und Coper stürzte ins Gras. Die Monster kamen näher, und das Klappern der menschenähnlichen Zähne in ihren Mäulern hallte unheilvoll durch die Dunkelheit.
