Sword Art Online – Fairy Dance – Light Novel 04 - Reki Kawahara - E-Book

Sword Art Online – Fairy Dance – Light Novel 04 E-Book

Reki Kawahara

5,0

Beschreibung

Um Asuna zu retten, macht sich Kirito entschlossen auf zum Weltenbaum, wo sie anscheinend gefangen gehalten wird. Auf seinem Weg gerät er durch eine List von Spielern der Salamander-Rasse in Bedrängnis. In seiner Not kommen ihm das Sylphen-Mädchens Leafa und die Navigationsfee Yui zu Hilfe. Doch was keiner ahnt, Leafa und Kirito verbindet ein Geheimnis …

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Schaute man empor, sah man dort in der Dunkelheit Dutzende Lichter funkeln.

Es waren keine Sterne. Von dem weiten Gewölbe hingen unzählige Eiszapfen herab, die von innen schwach leuchteten. Dies war der Boden einer Höhle, doch das wirklich Bemerkenswerte war deren Ausmaß.

In weiter Ferne ragten die Höhlenwände auf, die vermutlich nicht weniger als dreißig Kilometer voneinander entfernt waren. Auch bis zur Decke der Höhle waren es mindestens fünfhundert Meter. Der Höhlenboden war zerfurcht von zahllosen Klüften und Schluchten. Hier und dort gab es weiß zugefrorene Seen und schneebedeckte Berge und überdies sogar Bauten wie Festungen und Burgen.

Bei diesen Dimensionen konnte dieser Ort keinesfalls mehr als Höhle bezeichnet werden. Nein, vielmehr musste man ihn eine unterirdische Welt nennen.

Tatsächlich war er genau das. Dieses Gebiet erstreckte sich unter dem Land der Elfen Alfheim. Eine Welt der Dunkelheit und des Eises, die von furchterregenden bösen Gottheiten beherrscht wurde. Ihr Name war ...

»Jötunheimr«.

4

»Hatschiii!«

Ein undamenhaft kräftiger Nieser entfuhr der Sylphen-Schwertkämpferin Leafa, und sie bedeckte hastig ihren Mund mit beiden Händen.

Schnell sah sie zum Eingang des Schreins. Sie stellte sich schon vor, wie dort das riesige Gesicht einer bösen Gottheit hereinlugte, die von dem Geräusch angelockt worden war. Doch glücklicherweise tanzten dort nur Schneeflocken. Sobald sie sich dem Feuerchen auf dem Boden des Schreins näherten, schmolzen sie noch in der Luft und verdampften.

Während sie den Kragen ihres dicken Umhangs zurechtrückte, kauerte Leafa sich wieder an die hintere Wand des Schreins und stieß einen tiefen Seufzer aus. Kaum spürte sie die Wärme des flackernden Feuers, als sich schon die Schläfrigkeit heranschlich. Leafa blinzelte mehrmals, um sie zu vertreiben.

Es war ein kleiner steinerner Schrein mit etwa vier Metern Länge, Breite und Höhe. Die Wände und Decke waren geschmückt mit Reliefs von schrecklichen Monstern, die sich im flackernden Licht der Flammen zu bewegen schienen. Nicht gerade das, was man ein lauschiges Plätzchen nennen würde. Dennoch war Leafas Begleiter, der neben ihr im Schneidersitz an der Wand lehnte, mit einem friedlichen – oder eher dümmlichen – Gesichtsausdruck eingenickt.

»Hey, wach auf!«, flüsterte sie und zog an seinem spitzen Ohr, doch er murmelte nur etwas Unverständliches. Auf seinem Knie hatte sich ein weiteres Mitglied ihrer Gruppe, eine kleine Fee, zusammengerollt. Sie atmete ruhig im Schlaf.

»Hör mal, wenn du schläfst, wirst du ausgeloggt!«

Noch einmal zog sie an seinem Ohr. Daraufhin ließ er einfach seinen Kopf auf ihren Schoß fallen und bewegte sich dann auch noch ein wenig hin und her, wie um eine bequeme Position zu finden.

Mit einem frustrierten Aufschrei streckte sie ihren Rücken und ballte ihre Fäuste in der Luft, während sie überlegte, wie sie ihren Begleiter wecken sollte.

Allerdings war es kein Wunder, dass er eingeschlafen war.

Schließlich ging es schon auf zwei Uhr morgens zu, wie ihr ein Blick auf die Zeitanzeige in der unteren rechten Ecke ihres Blickfelds verriet. Um diese Zeit lag Leafa sonst schon längst im Bett und schlief tief und fest.

Natürlich war Jötunheimr, wie auch Alfheim darüber, keine echte Welt. Es war eine virtuelle Welt auf einem Server, der irgendwo im wirklichen Tokyo, Japan stand. Leafa und ihr Begleiter befanden sich gerade im Full Dive in dieser Welt mithilfe des »AmuSphere«-Interface.

Diese Welt zu verlassen, war tatsächlich ganz einfach. Ein Wisch nach unten mit Zeige- und Mittelfinger öffnete ein Fenster für das Hauptmenü, wo man nur noch den Log-out-Button drücken musste. Oder man konnte sich einfach schlafen legen, woraufhin das Gerät die Änderung der Gehirnwellen registrierte und die Verbindung automatisch trennte. Am nächsten Morgen wachte man in seinem Bett in der wirklichen Welt auf.

Doch jetzt gab es einen Grund, warum sie der heftigen Müdigkeit zum Trotz wach bleiben mussten.

Also blieb sie hart und ballte ihre linke Hand zur Faust, die sie mitten auf sein stacheliges, schwarzes Haar hinabsausen ließ.

Mit einem satten Sound blitzte der gelbe Lichteffekt eines physischen Angriffs auf, und ihr Begleiter schnellte mit einem merkwürdigen Laut hoch. Er hielt seinen Kopf mit beiden Händen und sah sich nervös um, bis er Leafa erblickte, die ihn anlächelte.

»Guten Morgen, Kirito.«

»Gu... Guten Morgen.«

Ihr Begleiter war der Schwertkämpfer Kirito, ein Spriggan mit dunkler Haut und schwarzen Haaren. Der niedergeschlagene Gesichtsausdruck passte nicht zu seiner schelmischen Erscheinung, die an den Protagonisten eines Shonen-Mangas erinnerte.

»Habe ich etwa geschlafen ...?«

»Auf meinem Schoß. Sei froh, dass du mit einem kleinen Klaps davongekommen bist.«

»Das tut mir leid. Als Wiedergutmachung darfst du auch auf meinem Schoß ...«

»Nein, danke!« Sie wandte sich ab und sah Kirito aus den Augenwinkeln scharf an. »Red nicht so einen Stuss, erzähl mir lieber von dem genialen Fluchtplan, der dir im Traum eingefallen ist.«

»Im Traum ... Da fällt mir nur ein, beinahe hätte ich den gigantischen Pudding à la mode essen können ...«

Es war dumm von mir zu fragen, dachte Leafa und ließ die Schultern hängen. Noch einmal sah sie zum Eingang des Schreins. Inmitten der tiefen Dunkelheit tanzten dort immer noch nur die Schneeflocken, die der Wind herumwirbelte. Ansonsten bewegte sich überhaupt nichts.

Der Grund, aus dem sie sich nicht ausloggen konnten, war folgender: Leafa, Kirito und die kleine Fee Yui, die auf seinem Knie schlief, waren derzeit in den Tiefen von Jötunheimr eingeschlossen und konnten nicht zur Oberfläche entkommen.

Natürlich wäre es möglich gewesen, das Spiel einfach zu verlassen. Doch dieser Schrein war weder ein Gasthaus noch eine sichere Zone, daher wären ihre Avatare für eine gewisse Zeit leblos zurückgeblieben, nachdem ihr Bewusstsein in die Realität zurückgekehrt war.

Ein zurückgelassener Avatar schien Monster förmlich anzuziehen. Bei einem Angriff würden ihre HP ohne Gegenwehr dezimiert werden, und sie wären im Nu tot, woraufhin sie zum letzten Speicherpunkt in der Sylphen-Hauptstadt »Swilvane« zurückgebracht werden würden. Und wofür hätten sie dann die weite Reise vom Sylphen-Territorium hierher unternommen?

Leafas und Kiritos Ziel war »Alne«, die Hauptstadt im Zentrum von Alfheim.

Sie waren heute Abend aus Swilvane aufgebrochen – genauer gesagt, war das mittlerweile gestern gewesen. Sie waren über ein ausgedehntes Waldgebiet geflogen, hatten lange Minentunnel durchquert und dann auch noch einen Angriff der feindlichen Salamander zurückgeschlagen. Als die Gruppe um die Sylphen-Fürstin Sakuya ihnen gedankt und sich von ihnen verabschiedet hatte, war es nach ein Uhr morgens gewesen.

Auch wenn sie unterwegs einige Toilettenpausen eingelegt hatten, hatte ihr Dive zu diesem Zeitpunkt schon acht Stunden angedauert. Alne war immer noch in dunstiger Ferne gewesen, und es hatte nicht gewirkt, als würden sie die Stadt so bald erreichen können. Daher hatten sie sich entschieden, ihr Abenteuer an dieser Stelle erst einmal zu beenden und sich in einem Gasthaus in der Nähe auszuloggen. Sie waren in einem kleinen Dorf gelandet, das sie glücklicherweise im Wald entdeckt hatten.

Sie hätten sich bei der Gelegenheit die Mühe machen sollen, die Map zu öffnen, um nach dem Namen des Dorfes und dem Vorhandensein eines Gasthauses zu sehen. Wer hätte auch ahnen können ...

»Wer hätte auch ahnen können, dass das ganze Dorf ein getarntes Monster ist ...?«, fragte Kirito mit einem Seufzen, als hätte er sich gerade an das Gleiche erinnert.

Auch Leafa seufzte und nickte: »Aber wirklich ... Wer hat eigentlich behauptet, dass es in den Alne-Hochebenen keine Monster gibt?«

»Das warst du.«

»Daran kann ich mich nicht erinnern.«

Nach diesem Wortwechsel seufzten sie beide erneut.

Bei ihrer Ankunft in dem rätselhaften Dorf waren Leafa und Kirito verwirrt gewesen, keinen einzigen Bewohner oder NPC zu sehen. In der Erwartung, dort zumindest den Inhaber eines Gasthauses vorzufinden, wollten sie gerade das größte Gebäude betreten, als es geschah.

Die drei Gebäude des Dorfes stürzten gleichzeitig ein. Ihnen blieb nicht einmal mehr die Zeit, mit weit aufgerissenem Mund über die schleimig glänzende, fleischige Geschwulst zu staunen, in die sich das vermeintliche Gasthaus verwandelt hatte, als sich auch schon der Boden unter ihren Füßen auftat. Im Inneren klaffte eine dunkelrote Höhle, die sich wellenförmig zusammenzog. Was ausgesehen hatte wie ein Dorf, war das Lockmittel eines entsetzlich riesigen Wurm-Monsters gewesen, das die Fortsätze um sein Maul in Gebäude verwandelt hatte.

Leafa, Kirito und Yui in seiner Brusttasche wurden einfach eingesogen und verschluckt. Während sie durch den glitschigen Verdauungstrakt befördert wurden, überlegte Leafa, ob sie nun einfach in der Magensäure aufgelöst werden würden. Sie war überzeugt, dass das ohne Zweifel die schlimmste Todesart ihrer einjährigen Spielerfahrung in ALO sein würde.

Glücklicherweise schienen Leafa und die anderen dem Wurm nicht zu munden, und so wurde sie am Ende einer etwa dreiminütigen Reise durch seinen Verdauungstrakt wieder ausgespien. Das Gefühl von Schleim, der an ihrem ganzen Körper klebte, verursachte ihr Gänsehaut. Sogleich wollte sie ihren Fall mit den Flügeln an ihrem Rücken stoppen und schauderte erneut.

Sie konnte nicht fliegen. Sosehr sie auch ihre Schulterblätter anspannte, um mit den Flügeln zu schlagen, sie bekam keinen Auftrieb. Nach ihr wurde auch Kirito ausgespuckt, und zusammen stürzten sie geradewegs durch ein undefinierbares Halbdunkel. Mit einem Wumms! landeten sie im tiefen Schnee.

Sie zappelte und strampelte, um sich daraus zu befreien. Das Erste, was sie sah, war nicht der Nachthimmel, an dem Mond und Sterne leuchteten, sondern ein endloses Felsgewölbe. Also waren sie in einer Höhle, deswegen konnten sie natürlich auch nicht fliegen. Sie verzog das Gesicht und ließ ihren Blick umherschweifen, als ihr eine hoch aufragende, groteske Gestalt ins Auge sprang, die sich langsam über ein nahes Schneefeld bewegte. Es war ganz ohne Zweifel eines der schrecklichen Monster aus der Klasse der bösen Gottheiten, die sie bis dahin nur auf Bildern gesehen hatte.

Mit ganzer Kraft hielt sie Kirito den Mund zu, als er neben ihr aus dem Schnee auftauchte und gerade losschreien wollte. In dem Augenblick begriff Leafa, dass sie zum ersten Mal in der unermesslich weiten Untergrundwelt »Jötunheimr« gelandet waren, der schwierigsten Region in ALO. Mit anderen Worten, der Riesenwurm diente nicht dazu, die Spieler zu fressen, sondern als Falle, um sie in diese Welt des Eises zu schicken.

Nachdem das fünf Stockwerke hohe, mehrfüßige Monster an ihnen vorübergezogen war, hatten sie diesen Schrein entdeckt und hastig dort Schutz gesucht, um das weitere Vorgehen zu planen. Doch ohne die Fähigkeit zu fliegen waren ihre Fluchtmöglichkeiten begrenzt. Also saßen sie nun seit fast einer Stunde dort an der Wand und starrten ins Feuer.

»Also ... Ich weiß einfach gar nichts über Jötunheimr, um mir Gedanken über einen Fluchtplan machen zu können«, sagte Kirito, der endlich die Müdigkeit abgeschüttelt zu haben schien und wieder mit wachem Blick in die Dunkelheit schaute. »Wenn ich mich recht erinnere, hat die Sylphen-Fürstin es erwähnt, bevor wir herkamen. Als ich ihr meine Münzen gab, sagte sie so etwas wie, solch eine Summe könne man nur bei den bösen Gottheiten in Jötunheimr erfarmen.«

»Ah, stimmt, das hat sie gesagt.« Leafa nickte bei der Erinnerung.

Kurz bevor sie von dem Wurm verschluckt worden waren, hatten Leafa und Kirito eine Konferenz der Fürsten der Sylphen und der befreundeten Cait Sith vor dem Überraschungsangriff einer feindlichen Salamander-Armee gerettet. Bei dieser Gelegenheit hatte Kirito den beiden Fürstinnen eine große Summe Yrd übergeben, die sie zu ihrer Kriegskasse hinzufügen sollten. Als die Sylphen-Fürstin Sakuya das Geld entgegengenommen hatte, hatte sie tatsächlich solch eine Bemerkung gemacht.

»Da fällt mir ein, Kirito, wie bist du eigentlich an diesen riesigen Batzen Geld gekommen?«

Auf Leafas plötzlichen Themenwechsel reagierte Kirito mit unverständlichem Gestammel, bevor er murmelte: »Das, ähm, habe ich geschenkt bekommen von einem Freund, der früher wie besessen ALO gezockt und mittlerweile damit aufgehört hat ...«

»Hmm.«

Es kam oft vor, dass Spieler, die aufhörten, Freunden und Bekannten großzügigerweise ihre Ausrüstung und Yrd vermachten. Mit dieser Erklärung gab sich Leafa erst einmal zufrieden und kehrte wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Also, was meintest du? Was ist denn mit Sakuyas Bemerkung?«

»Nun, ihrer Aussage nach zu urteilen, gibt es tatsächlich Spieler, die hier farmen, nicht wahr?«

»Es gibt wohl welche ...«

»Was bedeuten muss, dass es auch andere Wege herein und hinaus gibt als die Einbahnstraße durch den Riesenwurm.«

Endlich erkannte Leafa, worauf er hinauswollte, und nickte.

»Es gibt wohl welche ... Da ich zum ersten Mal hier bin, habe ich diese Wege selbst nie benutzt. Wenn ich mich richtig erinnere, gibt es in allen vier Himmelsrichtungen je einen großen Dungeon in Alne, und im tiefsten Teil der Dungeons führt eine Treppe nach Jötunheimr. Sie sollten ...«

Mit einem Wink ihrer linken Hand rief sie das Menü und die Map auf. Der nahezu kreisrunde Grundriss von Jötunheimr wurde angezeigt, aber da Leafa die Gegend noch überhaupt nicht erkundet hatte, war alles außerhalb des Umkreises ihres gegenwärtigen Aufenthaltsortes ausgegraut. Mit ihrem rechten Zeigefinger fuhr sie die Karte der Reihe nach oben, unten, links und rechts ab.

»... hier, hier, hier und hier liegen. Dieser Schrein hier befindet sich genau zwischen dem Zentrum und der südwestlichen Wand. Deswegen wären die nächsten Treppen die im Westen oder Süden. Allerdings ...«, fügte sie mit einem Schulterzucken hinzu, »werden die Dungeons mit einer Treppe natürlich alle von einer bösen Gottheit bewacht.«

»Wie stark sind diese bösen Gottheiten eigentlich?«

Für diese unbekümmerte Frage bedachte Leafa ihn mit einem strengen Seitenblick und antwortete: »Auch wenn du noch so stark bist, gegen die hast du keine Chance. Ich habe gehört, dass eine große Salamander-Gruppe sich gleich in das Gebiet gestürzt hat, nachdem es eröffnet wurde. Aber sie wurden schon von der ersten bösen Gottheit komplett ausgelöscht. Du hast gerade einen harten Kampf gegen General Eugene hinter dir, und auch er hat allein keine zehn Sekunden gegen das Monster durchgehalten.«

»Das will was heißen ...«

»Die momentan gängige Taktik erfordert eine Gruppe aus jeweils mindestens acht Tanks mit schwerer Rüstung, Damage Dealer mit starker Feuermagie und Heiler zur Unterstützung, um hier zu farmen. Zwei Schwertkämpfer in leichter Rüstung wie wir würden einfach zerquetscht werden.«

»Darauf kann ich verzichten.«

Obwohl Kirito zustimmend nickte, bebten seine Nasenflügel vor verstohlener Aufregung. Leafa sah ihn erneut scharf an und fuhr fort: »Na, zu 99 Prozent kommen wir gar nicht erst in einem der Dungeons an. Wenn wir diese Entfernung zu Fuß gehen, werden wir dem ein oder anderen Monster begegnen, und dann sind wir sofort tot.«

»Ach ja ... in dieser Map können wir ja nicht fliegen ...«

»Genau. Um die Flugkraft wieder aufzuladen, ist entweder Sonnenlicht oder Mondlicht nötig. Aber wie du siehst, gibt es hier keines von beidem ... Nur die Imps können angeblich ein bisschen unterirdisch fliegen ...«

Sie unterbrach sich und betrachtete für einen Moment die blassgrünen Sylphen-Flügel an ihrem Rücken. Sie waren genau wie die grauen Spriggan-Flügel von Kirito matt und welk. Eine Elfe, die nicht fliegen konnte, war nur ein Mensch mit spitzen Ohren.

»Dann ist unsere letzte Hoffnung, dass wir uns einer dieser großen Raid-Gruppen anschließen können, die du gerade erwähnt hast, und mit ihnen an die Oberfläche zurückkehren ...«

»Das stimmt, aber ...« Leafa nickte und blickte aus dem Schrein nach draußen.

Im blauen Dämmerlicht sah sie endlose Schneefelder und Wälder, und weit in der Ferne ragte eine bizarr geformte Festung auf. Zweifellos warteten dort eine böse Gottheit der Boss-Klasse und ihr Gefolge. Wenn sie auch nur in die Nähe kämen, würden sie wohl eine ziemlich unerfreuliche Erfahrung machen. Natürlich war weit und breit kein anderer Spieler zu sehen.

»Jötunheimr wurde erst vor Kurzem als schwierigste Map im Spiel eingeführt und hat damit die höheren Dungeons an der Oberfläche abgelöst. Deswegen sind hier normalerweise nie mehr als zehn Gruppen. Dass eine von denen zufällig an diesem Schrein vorbeikommt, ist vielleicht noch unwahrscheinlicher, als dass wir eine böse Gottheit alleine besiegen ...«

»Das stellt unseren Glückswert auf die Probe.« Kirito lächelte schwach und streckte seinen Zeigefinger aus, um den Kopf der zehn Zentimeter großen schlafenden Fee auf seinem Knie anzustupsen. »Hey, Yui, wach auf.«

Die kleine Fee in ihrem pinken Kleidchen blinzelte ein paarmal mit ihren langen Wimpern und richtete sich auf. Sie hielt sich die rechte Hand vor den Mund, streckte den linken Arm aus und gähnte einmal herzhaft. Der Anblick war so niedlich, dass Leafa ganz verzückt zusah.

»Aah ... Guten Morgen, Papa, Leafa«, grüßte die Fee sie mit einer Stimme wie das Zupfen auf feinen silbernen Saiten.

Mit sanfter Stimme sagte Kirito: »Guten Morgen, Yui. Leider ist immer noch Nacht, und wir sind immer noch im Untergrund. Tut mir leid, aber kannst du eine Suche durchführen, ob in der Nähe andere Spieler sind?«

»Okay. Bitte gib mir einen Moment ...« Sie nickte und schloss die Augen.

Die kleine Fee Yui in Kiritos Begleitung war eine »Navigationsfee«, die jeder Spieler gegen eine zusätzliche Gebühr aus dem Menü laden konnte. Aber soweit Leafa wusste, lasen die Navigationsfeen einfach nur die Einträge der Systemhilfe mit einer teilnahmslosen Computerstimme vor. Sie hatte bisher noch nie ein Exemplar mit solch einem Spektrum an Gefühlsausdrücken gesehen. Tatsächlich konnte sie sich nicht einmal erinnern, je von einer Navigationsfee mit einem individuellen Charakter und eigenem Namen gehört zu haben.

Während Leafa überlegte, ob die Feen mit der Zeit so zutraulich wurden, wenn man immer die gleiche herbeirief, wartete sie auf Yuis Antwort.

Sofort öffnete die kleine Fee ihre Augen und schüttelte ihr glänzendes, schwarzes Haar.

»Tut mir leid, es gibt keine Signale anderer Spieler innerhalb des Bereichs, in dem ich Daten abfragen kann. Wenn ich nur bemerkt hätte, dass dieses Dorf vorhin nicht auf der Map eingetragen war ...«

Yui ließ niedergeschlagen den Kopf hängen, und aus einem Impuls heraus streichelte Leafa mit dem Zeigefinger über ihr Haar.

»Nein, das war nicht deine Schuld, Yui. Ich hatte dich schließlich darum gebeten, dich ganz auf die Suche nach anderen Spielern in der Umgebung zu konzentrieren. Mach dir darüber bitte keine Gedanken.«

»Vielen Dank, Leafa.«

Als Yui mit feuchten Augen zu ihr aufsah, konnte Leafa plötzlich nicht mehr glauben, dass die Fee von einem Programmcode gesteuert wurde. Sie lächelte von Herzen und berührte sachte Yuis kleine Wange, dann sah sie zu Kirito. »Na, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als es zu versuchen, was?«

»Versuchen ... was denn?«

Kirito blinzelte, und jetzt grinste Leafa ihn verwegen an.

»Wir schauen mal, ob wir allein eine der Treppen zur Oberfläche erreichen können. Hier weiter herumzusitzen, ist doch nur Zeitverschwendung.«

»A... Aber gerade hast du doch noch gesagt, dass wir es auf keinen Fall schaffen ...«

»Zu 99 Prozent, sagte ich. Also lass uns auf das restliche eine Prozent setzen. Wenn wir das Blickfeld und die Bewegungsmuster der herumwandernden Monster im Auge behalten und vorsichtig sind, haben wir eine Chance.«

»Leafa, du bist cool!« Yui klatschte in ihre winzigen Hände. Leafa zwinkerte ihr zu und wollte aufstehen.

Doch Kirito packte sie am Ärmel und zog sie wieder nach unten.

»Wa... Was ist?«

Schwankend setzte sie sich wieder. Sie wollte protestieren, doch der Ausdruck in seinen pechschwarzen Augen aus nächster Nähe brachte sie zum Schweigen. Kirito sah sie unverwandt an und war plötzlich ganz ernst. Entschieden sagte er: »Nein ... logg du dich bitte aus. Ich beschütze dich auch, bis dein Avatar verschwindet.«

»Wie, wa... warum das denn?«

»Es ist schon halb drei. Du hast doch gesagt, du seist Schülerin, oder? Du warst heute für mich über acht Stunden im Spiel. Ich kann dich nicht noch weiter in Beschlag nehmen.«

»Oh ...« Angesichts dieser unerwarteten Aussage fehlten Leafa die Worte.

Kirito sah sie an und fuhr ruhig fort: »Wir wissen nicht einmal, wie lange der Weg in einer geraden Linie dauern würde. Aber wenn wir auch noch ständig dem Suchradius der riesigen Monster ausweichen müssen, wäre es nicht verwunderlich, wenn sich die Entfernung noch verdoppelt. Selbst wenn wir die Treppe erreichen, wird dann bestimmt schon Morgen sein. Ich habe einen Grund, warum ich um jeden Preis nach Alne kommen muss, aber es ist mitten in der Woche, also solltest du dich besser ausloggen.«

»Mir macht es nichts aus, mal eine Nacht durchzumachen ...«

Leafa lächelte gezwungen und wollte den Kopf schütteln, doch Kirito ließ ihren Ärmel los und verbeugte sich ruckartig, als sei die Unterhaltung hiermit beendet.

»Leafa, danke für alles. Ohne dich hätte ich sicher allein schon Tage gebraucht, um Infos über diese Welt zu sammeln. Nur durch dich konnte ich innerhalb von Stunden so weit kommen. Dafür kann ich dir gar nicht genug danken.«

Leafa konnte den plötzlichen Schmerz in ihrer Brust nicht aushalten und ballte beide Hände fest zur Faust. Sie wusste nicht, warum es wehtat. Aber ihre Lippen bewegten sich fast wie von selbst und pressten mit verkrampfter Stimme hervor: »Ich habe es ja nicht nur für dich getan ...«

»Was ...?«

Kirito sah auf, doch Leafa wandte den Blick ab und fuhr mit harter Stimme fort: »Ich ... Ich bin nur hier, weil ich das wollte. Ich dachte, das hättest du verstanden. Was soll das heißen, ›in Beschlag nehmen‹? Glaubst du etwa, ich hätte dich bis hierher nur widerwillig begleitet?«

Das AmuSphere wertete ihre aufwallenden Gefühle aus und ließ allzu offensichtlich Tränen in ihren Augen aufsteigen. Leafa blinzelte mehrmals kräftig, um sie zurückzuhalten. Yui sah von Kiritos Knie nervös zwischen den beiden hin und her. Um ihrem Blick zu entgehen, stand Leafa schnell auf und wandte sich dem Eingang des Schreins zu.

»Ich ... hatte in ALO noch nie so viel Spaß wie bei unserem Abenteuer heute. Es sind so viele aufregende und spannende Dinge passiert. Ich hatte endlich mal das Gefühl, diese Welt als eine weitere Realität wahrnehmen zu können ...!«

Bei den letzten Worten rieb sie sich energisch mit dem rechten Arm über die Augen und wollte blindlings nach draußen laufen.

Doch noch bevor sie dazu kam, erscholl aus nächster Nähe ein seltsamer Lärm, der weder Donner noch das Dröhnen der Erde war.

»Broooah!« Das laute Gebrüll entsprang zweifellos der Kehle eines gigantischen Monsters. Gleich darauf ertönte das Geräusch von stampfenden Schritten, die den Erdboden erzittern ließen.

Verdammt, mit meinem Geschrei vorhin habe ich wohl eine böse Gottheit angelockt, ich Idiotin ...!, schalt sie sich. Um zumindest den Köder zu spielen und das Monster von dem Schrein wegzulocken, wollte sie wieder losrennen.

Doch Kirito stand auf einmal hinter ihr und hielt sie mit festem Griff am linken Arm zurück.

»Lass mich los! Ich locke das Monster weg, also nutz die Gelegenheit zur Flucht ...«, zischte sie mit gesenkter Stimme, doch Kirito sah mit scharfem Blick nach draußen und sagte hastig: »Nein, warte. Irgendetwas ist komisch.«

»Komisch? Was denn ...?«

»Es ist nicht nur ein Monster.«

Bei diesen Worten horchte sie genauer hin und tatsächlich – in das Brüllen der bösen Gottheit, das klang wie das tiefe Dröhnen eines großen Motors, mischte sich auch ein Heulen wie von scharfem Wind. Leafa hielt den Atem an und versuchte, ihren Arm loszureißen.

»Wenn es zwei sind, dann erst recht! Sobald dich eines von ihnen ins Visier nimmt, war’s das! Wenn du stirbst, kannst du wieder ganz von vorn in Swilvane starten!«

»Nein, das ist es nicht, Leafa!«, rief Yui mit spitzer Stimme von Kiritos Schulter. »Die zwei bösen Gottheiten, die sich nähern ... sie greifen sich gegenseitig an!«

»Was?«

Leafa blinzelte überrascht und konzentrierte sich wieder auf ihr Gehör. In der Tat klang das Dröhnen nicht wie Monster, die direkt auf sie zurannten, sondern mehr wie ein unstetes Beben, als würden sie sich herumwälzen.

»A... Aber wieso sollten zwei Monster gegeneinander kämpfen ...?«, flüsterte sie verblüfft. Ihre bedrückende Traurigkeit war augenblicklich vergessen. Kirito raunte entschlossen zurück: »Lass uns mal nachsehen. Dieser Schrein bietet sowieso nicht wirklich viel Schutz.«

»Du hast recht ...«

Sie nickten sich kurz zu. Leafa legte die Hand auf ihr Langschwert und trat nach Kirito hinaus in das Schneegestöber und die Dämmerung.

Schon nach wenigen Schritten sahen sie die beiden bösen Gottheiten, die Urheber des ganzen Lärms. Sie näherten sich dem Schrein allmählich aus östlicher Richtung, ganz wie zwei schwankende kleine Berge. Sie waren gut und gerne zwanzig Meter hoch. Beide hatten die bläulich graue Far-be, die charakteristisch für die Klasse der bösen Gottheiten war.

Bei genauerem Hinsehen fiel auf, dass das Monster, das brüllte wie ein Motor, ein Stück größer war als dasjenige, das heulte wie der Wind.

Das größere Monster konnte gerade noch so als humanoid bezeichnet werden. Es hatte die Gestalt eines Riesen mit drei übereinander angeordneten riesigen Gesichtern, aus dessen Seiten vier Arme wuchsen. Die eckigen Gesichter sahen aus wie Abbilder heidnischer Götter, und jedes von ihnen ließ ein dröhnendes Brüllen los, was sich zusammen wie das Geräusch eines Motors anhörte. In jeder seiner vier Hände schwang es mit Leichtigkeit ein eckiges Großschwert, klobig wie die Stahlträger auf einer Baustelle.

Die etwas kleinere Gottheit hatte eine ganz und gar unbegreifliche Form. Das Gesicht erinnerte mit seinen riesigen Ohren und dem langen Rüssel an einen Elefanten, doch ihr Rumpf war flach und rund wie eine Dampfnudel und wurde von etwa zwanzig klauenbewehrten Beinen getragen. Insgesamt sah das Monster aus wie eine Qualle mit dem Kopf eines Elefanten – oder so ähnlich. Es stieß mit seinen Klauen zu und versuchte, den dreigesichtigen Riesen zurückzudrängen, aber ein Wirbelsturm von vier Eisenschwertern prasselte auf es nieder und machte es ihm unmöglich, die Gesichter zu erreichen. Stattdessen wurde es selbst zurückgeschlagen, und jedes Mal, wenn sich eine Schwertspitze in seinen runden Körper bohrte, spritzte ein Sprühregen schwärzlicher Flüssigkeit heraus.

»Wa... Was geschieht hier ...?«, murmelte Leafa fassungslos und vergaß sogar, sich versteckt zu halten.

In ALO waren drei Fälle denkbar, warum Monster gegeneinander kämpfen sollten. Erstens, wenn eines der Monster das Pet eines Cait-Sith-Spielers war, die sich durch ihre Taming-Skills auszeichneten. Zweitens, wenn ein Pooka eine Melodie spielte, die eines der Monster gegen das andere aufhetzte. Und drittens, wenn ein Monster durch Illusionsmagie verwirrt wurde.

Doch es war klar, dass nichts davon auf den harten Kampf zutraf, der sich gerade vor ihren Augen entfaltete. Bei einem Pet wäre der Zielcursor hellgrün gefärbt, doch beide Gottheiten hatten die gelben Cursors der Monster. Die Luft war nur von dem Brüllen und Heulen erfüllt, es war keinerlei Musik zu hören, und es gab auch keine Lichteffekte, die auf die Anwendung von Illusionsmagie hingedeutet hätten.

Die beiden Monster kämpften verbissen weiter, ohne auch nur Notiz von ihren drei Zuschauern zu nehmen. Indessen schien die Überlegenheit des dreigesichtigen Riesen über die Elefanten-Qualle festzustehen. Schließlich wurde ein klauenbewehrtes Bein der Elefanten-Qualle vom Schwert des Riesen an der Wurzel abgetrennt und schlug so nah vor ihnen auf dem Boden auf, dass es ein Beben durch Leafas Körper schickte.

»Hey, ist es nicht gefährlich, hier herumzustehen ...?«, murmelte Kirito neben ihr. Leafa nickte, bewegte sich aber kein Stück. Sie ließ die Gottheit mit dem Elefantenkopf nicht aus den Augen, während aus deren klaffender Wunde dunkles Blut spritzte und den Schnee schwarz färbte.

Die verletzte Elefanten-Qualle heulte schrill auf und versuchte wieder zu fliehen. Doch der Riese schien nicht die Absicht zu haben, sie entkommen zu lassen. Er stürzte sich auf den runden Körper und hieb noch heftiger mit seinen Eisenschwertern darauf ein. Die Elefanten-Qualle konnte der Wucht des Angriffs nichts entgegensetzen und kauerte sich immer weiter zusammen, während ihre Schreie immer schwächer wurden. Unzählige grässliche, tiefe Schnitte wurden in die graue Haut getrieben, doch der Riese obenauf schlug erbarmungslos weiter mit seinen Schwertern zu.

»Lass uns helfen, Kirito ...«

Als Leafa das ausgesprochen hatte, war sie selbst etwas verblüfft, doch Kirito guckte gleich dreimal so verdutzt. Abwechselnd schaute er sie und die Monster an und fragte dann: »Welchem denn?«

In der Tat sah die Elefanten-Qualle noch erschreckender aus als der noch halbwegs humanoide Riese mit den drei Gesichtern. Aber in diesem Fall musste man nicht lange nachdenken.

»Natürlich dem Monster, das gequält wird«, antwortete Leafa auf der Stelle.

Kiritos nächste Frage war nur allzu verständlich: »Und wie?«

»Äääh ...«

Dieses Mal hatte sie nicht sofort eine Antwort parat, denn sie hatte selbst absolut keine Idee. Doch auch während sie sprachen, schnitt ein tiefer Hieb nach dem anderen in den blaugrauen Rücken der Elefanten-Gottheit.

»Kirito, tu doch etwas ...!«, schrie sie. Ihre Hände krampften sich vor ihrer Brust ineinander.

Der Spriggan-Junge blickte zum Himmel und raufte sich das schwarze Haar. »Das sagt sich so leicht ...« Abrupt hielt Kirito in der Bewegung inne und starrte wieder die beiden Gottheiten an. Seine Augen verengten sich, und in seinen Pupillen funkelte es, als könne man darin seine Gedankenblitze sehen.

»Falls diese Gestalt eine Bedeutung hat ...«, überlegte er laut und sah sich plötzlich in der Gegend um. Dann wisperte er zu Yui auf seiner Schulter: »Yui, gibt es in der Nähe Wasserflächen?! Ein Fluss oder ein See würde schon reichen!«

Ohne nach dem Grund zu fragen, schloss die kleine Fee ihre Augen und nickte sofort.

»Ja, gibt es, Papa! Etwa zweihundert Meter nördlich liegt ein zugefrorener See!«

»Gut ... Hör zu, Leafa, wir rennen dorthin, so schnell wir nur können.«

»Äh ... was?«

Meinte er mit Gestalt den Riesen mit seinen drei Gesichtern und vier Armen? Was hatte das mit einer Wasserfläche zu tun?

Ohne ein weiteres Wort gab er der verwirrten Leafa einen leichten Schubs in den Rücken und zog so etwas wie einen dicken Nagel aus seiner Gürteltasche. Es wirkte wie ein Eispickel zum Werfen, aber Leafa hatte noch nie jemanden diese Art von Waffe benutzen gesehen. Gegen die mächtigen Distanzangriffe mit Magie waren solche einfachen Wurfwaffen-Skills in ALO nahezu bedeutungslos.

Doch Kirito ließ den zwölf Zentimeter langen Eispickel mit einer wahrhaft formvollendeten Bewegung zwischen seinen Fingerspitzen kreisen und hob ihn über die Schulter.

»Hepp ...!«

Damit schwang er blitzschnell seinen rechten Arm, und die eiserne Nadel schoss in einer geraden Linie aus blauem Licht davon.

Sie traf den Riesen genau zwischen den dunkelrot leuchtenden Augen seines obersten Gesichts.

Wie Leafa überrascht feststellte, reduzierte sich die HPLeiste des Riesen tatsächlich ein wenig, wenn auch nur um ein Pixel. Ohne einen extrem hohen Skill-Level konnte man mit solch einem Spielzeug auf keinen Fall die übermächtige Panzerung einer bösen Gottheit durchdringen. Bei der gewaltigen Menge an HP war der Schaden nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber dass er überhaupt Schaden erzeugen konnte, war in diesem Fall schon bedeutsam. Denn ...

»Broaaah!«

Mit einem wütenden Brüllen rollten sechs Augenpaare herum. Der Riese wandte sich von der Elefanten-Qualle ab und richtete seine Aufmerksamkeit auf Leafa und Kirito.

»Weg hier!«, schrie Kirito und spurtete los Richtung Norden, sodass hinter ihm der Schnee aufstob.

»Hey ...!« Leafas Mund öffnete und schloss sich wieder, dann folgte sie hastig dem Spriggan, der sich rasch entfernte. Gleich darauf ertönte direkt hinter ihr ein ohrenbetäubendes Gebrüll, und der Erdboden bebte. Der Riese verfolgte sie.

»Warte ... Ah ... Aaaaah!«, schrie Leafa und rannte so schnell, wie ihre Beine sie nur trugen. Doch Kirito lief vorneweg wie ein olympischer Kurzstreckenläufer und entfernte sich zusehends. Im »Lugru-Korridor«, der durch das Gebirge führte, hatte sie seine Geschwindigkeit schon am eigenen Leib erfahren, aber es war etwas ganz anderes, wenn er sie dabei zurückließ.

»Gemeinheiiiiit!«, schrie sie gellend, während das Donnern des Riesen hinter ihr näher kam. Das Monster war dreizehnmal so groß wie Leafa, also unterschieden sich ihre Schrittlängen wohl in gleichem Maße. Mit der Befürchtung, der Riese würde auch jetzt seine riesigen Schwerter schwingen, folgte sie Kirito mit ganzer Kraft – oder genauer gesagt, mit den Bewegungsbefehlen, die ihr Gehirn aussandte.

Plötzlich stoppte die schwarz gekleidete Gestalt vor ihr schlitternd in einem Wirbel aus Schnee. Kirito schwang herum und fing sie mit ausgebreiteten Armen ab. Ungeachtet der Situation spürte sie, wie ihr bei dieser Umarmung die Hitze ins Gesicht stieg, und sie wandte sich um.

Erschreckend nah ragte der dreigesichtige Riese hinter ihnen auf. In ein paar Sekunden würde er sie eingeholt haben. Ein Hieb mit einem seiner Eisenschwerter würde die HP von leicht gerüsteten Schwertkämpfern wie Kirito und Leafa einfach verpuffen lassen.

Was in aller Welt hast du vor?!, fragte sie stumm Kirito, der dicht bei ihr stand.

Fast im gleichen Moment hallte ein seltsames Knacken über das unterirdische Gebiet.

Es war das Geräusch eines baumstammdicken Beins, das durch das Eis unter dem Schnee gebrochen war. Kirito war mitten auf einem zugefrorenen See stehen geblieben, der unter einer Schneedecke lag. Keine fünfzehn Meter vor ihnen brach diese ein und gab den Blick frei auf eine dunkel schimmernde Wasseroberfläche. Der dreigesichtige Riese fiel in das Loch, das er selbst verursacht hatte, und eine gigantische Wasserfontäne schoss hoch.

»Los ... geh einfach unter ...«, flehte Leafa inbrünstig, aber eine so leichte Lösung sollte ihnen nicht vergönnt sein. Schon tauchten die Gesichter des Riesen wieder halb aus dem Wasser auf und kamen platschend näher. Offenbar nutzte er sein unteres Armpaar als Ruder und schien trotz seiner felsartigen Beschaffenheit ein hervorragender Schwimmer zu sein. Wenn Kiritos Strategie darin bestand, das Monster im See zu versenken, hatte er die Wette leider verloren.

Wir sollten zumindest noch weiter weglaufen, dachte Leafa und wollte sich bereit machen, doch Kirito hielt sie in seinen Armen und blieb regungslos. Er hatte Leafa immer noch so fest gepackt, dass jeden Moment der Belästigungs-Code aktiviert werden konnte, und starrte den sich nähernden Riesen an.

»Äh, du ... du willst doch nicht etwa ...«

Will er etwa hier sterben?, schoss es ihr unbewusst durch den Kopf.

Oder hatte er etwa vor, dass sie beide im Kampf starben und zum Speicherpunkt in Swilvane zurückkehrten, damit sie sich ausloggte, wie er es vorhin gesagt hatte?

Das durfte auf keinen Fall passieren. Allein während ihrer heutigen Reise hatte sie bei etlichen Gelegenheiten deutlich gespürt, wie stark Kiritos Bedürfnis war, den »Weltenbaum« im Zentrum von Alne zu erreichen. Dieser Spriggan-Junge hatte einen Dive in ALO gemacht und eine Vielzahl von Hindernissen überwunden, einzig und allein aus dem Grund, jemanden zu treffen, der auf dem Gipfel des Weltenbaums auf ihn wartete.

»Nein! Lauf weg ...!«, schrie sie mit spitzer Stimme, während sie zappelte, um sich aus seinem Griff zu befreien. Doch ihr Schrei wurde von einem zweiten Platschen unterbrochen.

Erschrocken drehte sie sich um und sah direkt hinter dem näher rückenden Riesen eine weitere Wasserfontäne hochschießen.

»Huuuuuh!« Was da so markerschütternd heulte, war ganz ohne Zweifel die Elefanten-Gottheit, die so unerbittlich von dem dreigesichtigen Riesen drangsaliert worden war. Da hatten sie sich so bemüht, den Riesen von ihr wegzulocken, doch statt zu fliehen, war sie ihm gefolgt.

Für einen Moment vergaß Leafa ganz ihre Lage und riss entsetzt die Augen auf.

Wasser spritzte umher, als das Monster seine fast zwanzig Beine ausstreckte und die Gesichter und Arme des Riesen umklammerte.

»Broooah!«, brüllte dieser wütend und versuchte, seine Schwerter zu schwingen. Doch im Wasser waren seine Bewegungen schwerfällig, und er konnte die Beine der Elefanten-Qualle nicht abschütteln.

»Oh ... verstehe ...«, flüsterte Leafa mit heiserer Stimme.

Diese Elefanten-Qualle war von Natur aus ein Wassermonster. Auf dem Land brauchte sie fast all ihre Beine, um den riesigen Rumpf zu stützen, doch jetzt trieb ihr Körper im Wasser des Sees, sodass sie mit all ihren Beinen angreifen konnte. Dagegen brauchte der Riese zwei seiner Arme zum Schwimmen, was seine Angriffskraft halbierte.

Die »Gestalt«, von der Kirito gesprochen hatte, bezog sich also auf die Elefanten-Qualle. Im Nachhinein betrachtet war es nur logisch, dass eine Qualle ins Wasser gehörte. Leafa war von sich selbst enttäuscht, das nicht bemerkt zu haben, und ballte die Fäuste.

Lebhaft wie ein Fisch, nein, eine Qualle im Wasser drückte die Elefanten-Gottheit den dreigesichtigen Riesen unter Wasser. Das Toben der zwei kolossalen Monster erzeugte hohe Wellen, die sich auf dem Rand des Eises brachen und Gischt versprühten.

Dann heulte die Elefanten-Qualle noch heftiger, und ihr Körper leuchtete blass auf. Das Licht verwandelte sich in kleine Funken, die durch ihre Beine ins Wasser strömten.

»Ah ...«

»Okay!«

Leafa und Kirito hatten gleichzeitig gerufen. Die HP-Leiste des Riesen begann in rasender Geschwindigkeit zu schrumpfen. Mit ihrem Identifizierungs-Skill erkannte Leafa, dass mit jedem Aufflackern der Funken mehrere Hunderttausend HP vernichtet wurden.

Rote Blitze leuchteten einige Male unter der Wasseroberfläche auf, und mehrere Dampfsäulen stiegen auf, was wohl den Todeskampf des Riesen markierte, doch es hatte keinen nennenswerten Effekt auf die HP-Leiste der Quallen-Gottheit. Bald wurde das dröhnende Gebrüll leiser und verebbte schließlich – gleich darauf nahm eine gewaltige Explosion von Polygonen Leafas gesamtes Blickfeld ein.

Sie wandte sich für einen Moment ab. Als sie wieder hinsah, wurde nur noch ein einziger Cursor angezeigt.

»Huuuuuh!«, heulte die Elefanten-Qualle triumphierend und streckte ihre zahllosen Beine empor. Sofort danach zog sie sie wieder zurück ins Wasser und schwamm zügig durch den See.

Mit angehaltenem Atem verfolgte Leafa, wie die monströse Gestalt ans Ufer trat, während das Wasser in Sturzbächen von ihrem Körper floss, und sich über das knirschende Eis auf sie zubewegte.

Wumm! Wumm! Dröhnende Schritte ließen das Eis unter ihren Füßen erbeben, als die Gottheit sich näherte und direkt vor ihnen zum Stehen kam. Erneut realisierte Leafa deren absurde Größe. Ihre Beine, oder besser ihre Tentakel, die im Kampf gegen den Riesen so dünn gewirkt hatten, waren so dick, dass Leafa sie nicht mit beiden Armen hätte umfassen können. Wie große Bäume wuchsen sie bis in schwindelerregende Höhen, und der dampfnudelförmige Körper an deren Ende war nur in Umrissen zu erkennen.

Der Kopf an der Vorderseite des Rumpfs ähnelte tatsächlich sehr dem eines Elefanten. Die flatternden Ohren auf beiden Seiten des rundlichen Gesichts waren vermutlich eher Kiemen, und der herabhängende Rüssel war annähernd so lang wie die Beine. Auf jeder Seite glänzten drei schwarze linsenförmige Augen, die recht unheimlich waren, aber durch ihre an Onigiri erinnernde Form verliehen sie dem Monster auch einen komischen Ausdruck.

»Also, wie geht’s jetzt weiter?«, flüsterte Kirito.