Sword Art Online – Alicization– Light Novel 10 - Reki Kawahara - E-Book

Sword Art Online – Alicization– Light Novel 10 E-Book

Reki Kawahara

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Beschreibung

Vor zwei Jahren landete Kirito, der Held der SAO-Krise, in einer rätselhaften Fantasy-Welt – ohne Erinnerung an seine Zeit davor. Gemeinsam mit seinem Freund Eugeo machte er sich nun in die Zentralstadt Centoria auf, um Novize an der kaiserlichen Akademie der Schwertkünste zu werden. Tag für Tag arbeiten sie darauf hin, Integrationsritter zu werden, die mächtigsten Vollstrecker von Recht und Ordnung in der Menschenwelt. Denn dann würden sie endlich ihrem Ziel einen Schritt näherkommen, die geheimnisvolle Alice zu retten, die vor langer, langer Zeit verschwunden ist.

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Kapitel II

Projekt Alicization

Juli 2026

1

Durch das Kreuz der Fenstersprossen war der blasse Vollmond zu sehen.

Der schwere Vorhang der Nacht lag über der Sylphen-Hauptstadt Swilvane im Süden Alfheims. Die meisten Geschäfte waren fest mit Rollläden verschlossen, und auf der Hauptstraße waren nur noch sehr wenige Passanten unterwegs. In der Wirklichkeit war es gerade vier Uhr morgens, um diese Zeit waren am wenigsten Leute im Spiel.

Asuna wandte ihren Blick vom Fenster zum Tisch und griff nach ihrer dampfenden Tasse. Sie nahm einen Schluck von dem dunklen Tee, dessen virtuelle Hitze ihre Zunge reizte. Sie spürte keine Müdigkeit, nur eine dumpfe Schwere in ihrem Kopf, nachdem sie die letzten drei Tage nicht mehr richtig geschlafen hatte.

Sie schloss die Augen und legte die Finger sacht an ihre Schläfe. Als das Sylphen-Mädchen neben ihr das sah, fragte sie besorgt: »Alles in Ordnung, Asuna? Du hast kaum geschlafen, hab ich recht?«

»Mir geht’s gut. Aber du warst die ganze Zeit unterwegs, Leafa. Bist du nicht erschöpft?«

»Mein echter Körper ruht sich gerade auf meinem Bett aus, alles in Ordnung.«

Als sie bemerkten, dass keine ihrer Beteuerungen sehr überzeugend klang, zogen beide Mädchen eine Grimasse.

Sie waren in der Unterkunft von Leafa, Suguha Kirigayas Charakter in ALO. Die wie Muscheln glänzenden Wände des runden Zimmers wurden sanft von einer Lampe mit wechselnden Farben beleuchtet, was eine märchenhafte Atmosphäre erzeugte. In der Mitte standen ein perlweißer Tisch und vier Stühle, von denen gerade drei besetzt waren.

Ein Mädchen mit eisblauen Haaren und dreieckigen Ohren hatte ihrem Gespräch gelauscht. Sie verschränkte ihre Hände auf dem Tisch und sagte gelassen: »Wenn ihr euch so überanstrengt, wird euer Verstand nicht arbeiten, wenn es drauf ankommt. Selbst wenn man nicht schlafen kann, macht es schon einen großen Unterschied, wenn man sich zumindest hinlegt und die Augen zumacht.«

Es war der Avatar von Shino Asada, die ihre Cait Sith vor einem halben Jahr erstellt hatte. Ihr Charaktername war Sinon, genauso wie in ihrem ursprünglichen Spiel GGO.

Asuna sah sie an und nickte. »Ja … Nach unserem Treffen werde ich mir hier eines der Betten nehmen und mich hinlegen. Ich wünschte, die Schlafmagie würde auch bei Spielern wirken.«

»Wenn mein Bruder dort im Schaukelstuhl schlafen würde, würden wir auch schläfrig werden …«, murmelte Leafa, was Asuna und Sinon zum Lächeln brachte. Aber es war ein kraftloses Lächeln.

Leafa stellte die Tasse in ihren Händen auf den Tisch. Sie atmete tief durch und setzte eine ernste Miene auf. »Also … Dann berichte ich euch erst mal, was ich heute, besser gesagt, gestern herausgefunden habe. Um es kurz zu machen, ich habe keinen konkreten Beweis gefunden, dass mein Bruder in die Uniklinik in Tokorozawa gebracht wurde. Auf dem Papier liegt er zwar in der Neurochirurgie auf dem 23. Stockwerk, aber dort sind keine Besuche erlaubt. Man kann weder das Stockwerk geschweige denn sein Krankenzimmer betreten. Außerdem gibt es keine Hinweise, dass in der entsprechenden Zeit überhaupt ein Krankenwagen dort angekommen ist. Yui hat sich in die Überwachungskameras gehackt und die Aufzeichnungen überprüft. Das ist also sicher.«

»Mit anderen Worten … Kirito ist mit hoher Wahr-scheinlichkeit gar nicht in der Uniklinik …?«, fragte Sinon, und Leafa nickte kurz.

»Es ist kaum zu glauben, dass so etwas möglich ist … Aber dass nicht einmal seine eigene Familie ihn besuchen oder auch nur kurz sehen darf, ist schon mehr als merkwürdig …«

Sie verstummte und schüttelte den Kopf. Für eine Weile senkte sich eine schwere Stille über den Raum.

Erst vor zwei Tagen, am 29. Juni, war Leafas Bruder Kirito – Kazuto Kirigaya – von Johnny Black alias Atsushi Kanamoto, einem flüchtigen Verbrecher im Fall »Death Gun«, angegriffen worden.

In der Nähe von Asunas Zuhause in Miyasaka im Setagaya-Bezirk von Tokyo hatte Kanamoto ihm auf offener Straße die gefährliche Substanz Succinylcholin injiziert. Durch dessen unmittelbar muskellähmende Wirkung hatte Kazuto einen Atemstillstand erlitten. Obwohl er im Krankenwagen künstlich beatmet worden war, war durch die unterbrochene Sauerstoffversorgung kurz danach auch sein Herz stehen geblieben. Bei seiner Ankunft im Allgemeinkrankenhaus in Setagaya war er bereits für tot erklärt worden.

Schwer zu sagen, ob es nun an den Fähigkeiten des diensthabenden Arztes in der Notaufnahme gelegen hatte, an Kazutos zäher Lebenskraft oder ob sie beide an diesem Tag unter einem guten Stern gestanden hatten. Jedenfalls waren die lebensrettenden Maßnahmen erfolgreich gewesen, und Kazutos Herzschlag war zurückgekehrt. Mit der Zersetzung des Mittels in seinem Körper hatte er auch wieder begonnen, eigenständig zu atmen. So war er wie durch ein Wunder noch einmal dem Tod entkommen. Als der Arzt die Behandlung abgeschlossen und Asuna davon berichtet hatte, wäre sie vor lauter Erleichterung fast in Ohnmacht gefallen. Doch seine nächsten Worte hatten sie daran gehindert.

Es bestehe die Möglichkeit, dass Kazutos Gehirn infolge des fünfminütigen Herzstillstands Schaden genommen habe, hatte der Arzt erklärt. Es sei denkbar, dass permanente Schäden des Denkvermögens oder der Motorik, womöglich sogar in beiden Bereichen, zurückbleiben würden. Im schlimmsten Fall werde er vielleicht nicht mehr aufwachen.

Genaueres könne man ohne die Untersuchung mit einem MRT nicht sagen, weswegen Kazuto schnellstens in ein Krankenhaus mit besserer Ausstattung verlegt werden sollte, hatte der Arzt seine Erklärung geschlossen. Während Asuna gegen eine erneute Welle der Panik angekämpft hatte, hatte sie Kazutos kleine Schwester Suguha angerufen und ihr mit Mühe und Not die Lage erklärt. Als Suguha dann herbeigeeilt war, war sie sofort wieder in Tränen ausgebrochen.

Wenig später war auch Kazutos Mutter Midori Kirigaya direkt von ihrer Arbeitsstelle in Iidabashi eingetroffen, und sie hatten die Nacht auf der Bank vor der Intensivstation verbracht.

Am Morgen des 30. Juni hatte eine Krankenschwester sie davon überzeugt, dass Kazuto nicht mehr in Lebensgefahr war. Also waren die Mädchen zu Asunas Zuhause unweit der Klinik gegangen. Derweil war Midori erst einmal nach Kawagoe gefahren, um Dinge wie Kazutos Krankenversicherungsausweis und Ähnliches zu holen.

Sie hatten geduscht und ihre Schulen über ihre Abwesenheit informiert. Danach hatten sie sich hingelegt, um zumindest etwas Schlaf nachzuholen. Sie hatten noch schläfrig ein paar Worte miteinander gewechselt und waren für ein paar Stunden in einen leichten Schlummer gefallen. Gegen ein Uhr nachmittags war Asuna von Midori Kirigayas Anruf geweckt worden.

Als sie hastig ans Handy gestürzt war, hatte Midori ihr am anderen Ende der Leitung mitgeteilt, dass Kazuto leider noch nicht wieder bei Bewusstsein sei und für eine gründlichere Untersuchung und bessere Behandlung ins Klinikum der Medizinischen Hochschule des Militärs verlegt werde, die näher am Zuhause der Kirigayas in Kawagoe lag. Ein Krankenwagen werde ihn hiernach in das Krankenhaus transportieren, und Midori selbst werde mit dem Taxi folgen, sobald sie die Formalitäten erledigt hätte. Asuna hatte ihr geantwortet, dass sie sich mit Suguha sofort auf den Weg zum neuen Krankenhaus machen werde.

Tatsächlich war der bewusstlose Kazuto an diesem Tag gegen 13:40 Uhr durch den Eingang der Notaufnahme in einen Krankenwagen befördert worden und hatte das Krankenhaus in Setagaya verlassen. Das war auch von den Überwachungskameras des Krankenhauses aufgezeichnet worden, wie Yui überprüft hatte.

Der Krankenwagen war den Akten zufolge um 14:45 Uhr desselben Tages im Universitätsklinikum in Tokorozawa eingetroffen. Kazuto war sofort in der Abteilung für Neurochirurgie im 22. Stockwerk untergebracht worden, wo er einer gründlichen Untersuchung unterzogen worden war und sein Zustand derzeit beobachtet wurde. Sowohl Asuna als auch Suguha hatten das ohne den geringsten Zweifel geglaubt. Bis ihnen vorgestern spät abends am Krankenhaus nicht nur ein Besuch in Kazutos Zimmer verwehrt worden war, sondern sie nicht einmal Bilder der Videoüberwachung hatten sehen dürfen.

Asuna dachte kurz über Leafas Worte nach und nickte.

»Kirito hat das Krankenhaus in Setagaya also verlassen, so viel steht fest. Und an der Uniklinik ist dokumentiert, dass ein ›Kazuto Kirigaya‹ aufgenommen wurde … Aber niemand hat Kirito gesehen, und von den Überwachungskameras wurde er auch nicht aufgezeichnet. Angenommen, der Krankenwagen ist mit ihm an Bord zu einem anderen Ort als der Uniklinik gefahren … und es war keine zufällige Verwechslung der Patientendaten …«

»… dann wäre es eine vorsätzliche Täuschung gewesen. Oder anders gesagt … eine geplante Entführung«, beendete Sinon mit ruhiger Stimme den Gedankengang, und ihre dreieckigen Ohren zuckten einmal heftig. »Aber hieße das nicht, dass der Krankenwagen selbst eine Fälschung war? Die Uniformen der Sanitäter sind eine Sache, aber kann man einfach so einen Rettungswagen aus dem Boden stampfen?«

Es war Leafa, die auf ihre Frage antwortete. »Recon ist ein Auto-Fan. Ich hab ihn mal unauffällig danach gefragt. Er meinte, dass Laien niemals einen Krankenwagen so fälschen könnten, dass er auch Leute vom Krankenhaus täuschen würde. Niemand konnte damit rechnen, dass mein Bruder zu dem Zeitpunkt von Kanamoto angegriffen werden und ins Krankenhaus kommen würde. Und die Verlegung in ein anderes Krankenhaus wurde nur achtzehn Stunden später beschlossen …«

»Also wäre es nach Kiritos Zusammenbruch praktisch unmöglich gewesen, ein gefälschtes Fahrzeug vorzubereiten«, sagte Asuna.

Sinon fragte weiter: »Aber heißt das, jemand hatte schon seit Langem geplant, irgendeinen x-beliebigen Patienten mit einem falschen Krankenwagen zu kidnappen, und es hat rein zufällig Kirito getroffen …?«

»Nein, das scheint nicht der Fall zu sein.« Leafa schüttelte mit schwingendem Pferdeschwanz ihren Kopf. Nach einer kurzen Pause erklärte sie: »Wenn ein Patient von einem zum anderen Krankenhaus transportiert wird, fordert das Ausgangskrankenhaus normalerweise in der Notrufzentrale telefonisch einen Krankenwagen an. Aber Yuis Nachforschungen zufolge hat an diesem Tag keiner diesen Anruf getätigt. Trotzdem ist der Krankenwagen mit perfektem Timing dort aufgetaucht. Die Mitarbeiter vom Krankenhaus sind anscheinend alle einfach davon ausgegangen, dass irgendjemand anders den Wagen angefordert hat. Allerdings wussten die Sanitäter im Krankenwagen, dass er in die Uniklinik in Tokorozawa verlegt werden sollte, und sogar seinen Namen. Die Krankenschwester am Empfang war sich da ganz sicher.«

»Also war es wirklich eine geplante Entführung, die auf Kirito abzielte…«

»Was bedeutet, der Täter konnte zum einen sofort an die Informationen über Kiritos Einlieferung ins Krankenhaus kommen und außerdem auch noch einen echten Krankenwagen für seine Zwecke losschicken«, schlussfolgerte Asuna. Einen Moment später nickten die beiden anderen.

Ihr kurzes Zögern beruhte auf der Angst, weitere Schlüsse zu ziehen. Asuna konnte es ihnen nachfühlen. Denn falls ihre Annahme der Wahrheit entsprach, hatte Kazutos Entführer einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die öffentliche Einrichtung des Rettungsdienstes.

Ein Teil von ihnen hoffte noch, dass sie sich einfach zu viele Gedanken machten.

Vielleicht wurde Kazuto wirklich im Universitätsklinikum behandelt. Vielleicht hatten sie nur keine Videos von ihm sehen können, weil Kameras die empfindlichen medizinischen Geräte gestört hätten. Vielleicht gab es keine Aufzeichnungen von seiner Ankunft, weil die Überwachungskameras irgendeinen Defekt hatten … Für gewöhnlich wäre man wohl eher von diesen Begründungen ausgegangen. Tatsächlich hatte Kazutos und Suguhas Mutter Midori vermutlich keinerlei Zweifel an den Erklärungen des Krankenhauses zur gegenwärtigen Situation. Dass es sich um eine Entführung oder gefälschte Informationen handelte, war die kollektive Wahnvorstellung, die sich drei übermäßig besorgte Mädchen zusammengesponnen hatten. In Wahrheit gab es kein solches Verbrechen, Kazutos Behandlung würde gut verlaufen, und schon bald würde der Anruf kommen, dass er wieder bei Bewusstsein sei …

Doch einem Teil von Asuna, abseits ihres gesunden Menschenverstandes und logischen Denkens, war geradezu schmerzlich bewusst, dass hier etwas im Gange war. Das Gleiche spürten sicher auch Kazutos kleine Schwester Leafa und Sinon, die mit ihm dem Tod ins Auge geblickt hatte.

Es war nicht davon auszugehen, dass auch der Angriff mit Succinylcholin auf Kazuto durch den dritten »Death Gun« Kanamoto zum Plan gehörte. Allerdings hatte sich jemand diesen Vorfall zunutze gemacht, um Kazuto irgendwohin zu entführen.

»Egal ob eine Einzelperson oder eine Organisation dahintersteckt, ich sehe sie als den Feind an«, verkündete Asuna entschieden.

Sinon blinzelte verdutzt, dann lächelte sie leicht. »Ehrlich gesagt … bevor ich heute hierherkam, habe ich mir ziemliche Sorgen gemacht, dass ihr beiden am Boden zerstört sein würdet. Immerhin geht es um Leafas großen Bruder und deinen – äh – Freund, Asuna … Und er ist nicht nur bewusstlos, sondern jetzt auch noch verschollen …«

Bei dieser unerwarteten Bemerkung erkannte Asuna verwundert, dass sie tatsächlich nicht so niedergeschlagen war wie erwartet. Obwohl sie sich in der Nacht nach Kiritos Zusammenbruch noch die Augen aus dem Kopf geweint hatte …

Leafa hatte die Hände fest vor der Brust verschränkt und sagte: »Na ja … natürlich mache ich mir Sorgen. Als mir klar wurde, dass mein Bruder womöglich gar nicht im Krankenhaus ist, habe ich schreckliche Angst bekommen. Aber gleichzeitig war ich auch nicht wirklich überrascht. Bestimmt ist mein Bruder wieder in irgendeine Riesensache verwickelt … und tobt an irgendeinem Ort rum, den ich mir nicht mal vorstellen kann. So war es bei der Sache mit SAO und auch bei Death Gun … Also wird es dieses Mal bestimmt wieder so sein …«

»Ja … du hast recht«, stimmte Asuna zu, wobei ihr er-neut bewusst wurde, dass sie es mit Suguhas langjähriger Erfahrung mit Kazuto nicht aufnehmen konnte. »Kirito kämpft bestimmt wieder mal wie immer irgendwo. Also lasst uns die Kämpfe führen, die wir führen können!« Sie warf Sinon einen Seitenblick zu und ergänzte: »Shinonon, du wirkst selbst auch nicht wirklich bedrückt, oder?«

»Ach, na ja … Ich für meinen Teil bin davon überzeugt, dass ich die Einzige bin, die ihn besiegen kann, also …«, murmelte Sinon und verstummte.

Asuna tauschte einen kurzen, unbehaglichen Blick mit ihr und kam wieder zurück zum Thema.

»Wie dem auch sei … Allein die Sache mit dem Krankenwagen zeigt schon, dass der Feind ziemlich einflussreich sein muss.«

»Sollten wir es nicht lieber der Polizei melden? Wenn ein Polizist dabei ist, erlaubt uns das Krankenhaus vielleicht zumindest einen Blick auf die Überwachungskameras, meint ihr nicht?«

Sinons Vorschlag war vernünftig, doch Asuna schüttelte leicht den Kopf. »Die Zeit von Kiritos Ankunft und seiner Einlieferung in die neurologische Abteilung ist auf dem Server der Uniklinik dokumentiert. Laut den Daten ist Kirito ohne jeden Zweifel dort. Die Polizei wird nicht aktiv werden, wenn unsere einzige Begründung für eine Entführung das fehlende Videomaterial von seiner Ankunft ist. Außerdem konnten wir die Videos nur überprüfen …«

»… weil Yui ihr System gehackt hat«, murmelte Sinon grimmig lächelnd. Dann kam ihr eine Idee. »Oh … aber könnten wir uns nicht in das Netzwerk der Kameras innerhalb des Krankenhauses klinken anstatt der Überwachungskameras im Außenbereich? Wenn wir die Aufzeichnungen von Kiritos Krankenzimmer überprüfen könnten …«

»Leider hat das Netzwerk innerhalb der Klinik ein anderes Sicherheitssystem. Es wird durch eine extrem mächtige Firewall geschützt, und nicht einmal Yui konnte da hindurchkommen.« Leafa schüttelte niedergeschlagen den Kopf.

Sie hatte den gesamten gestrigen Tag damit verbracht, die Allgemeinklinik in Setagaya und das davon weit entfernte Universitätsklinikum gründlich zu untersuchen. Trotz der Hilfe der AI Yui über ihr Handy war allein die Fahrt von Ort zu Ort schon anstrengend genug gewesen.

Selbstverständlich hatte Asuna sie dabei begleiten wollen, aber da Kiritos Zustand inzwischen offiziell stabil war, war ihr nicht erlaubt worden, einen zweiten Tag in Folge in der Schule zu fehlen. Um Leafa zumindest ein wenig bei ihrer Recherche zu unterstützen, hatte Asuna ihr das gesamte Guthaben an elektronischem Geld auf ihrem Handy für die Taxikosten übertragen. Natürlich hatte sie sich im Unterricht überhaupt nicht konzentrieren können.

Der Schule war nur mitgeteilt worden, dass Kazuto wegen einer plötzlichen Erkrankung abwesend sei. Keiner ihrer Mitschüler wusste von dem Überfall, nicht einmal ihre engen Freunde Rika Shinozaki und Keiko Ayano, die sich um Kazutos Gesundheit sorgten. Das schlechte Gewissen, ihnen nicht einmal die Hälfte der Wahrheit erzählen zu können, zerriss Asuna fast das Herz.

Allerdings hatte sie sich am gestrigen Morgen mit Leafa besprochen und eine Entscheidung getroffen. Bis sich die Lage – ob Kazuto also im Universitätsklinikum war oder nicht – aufgeklärt hatte, würden sie beide und Sinon den Vorfall für sich behalten.

Nur Sinon hatten sie kontaktiert, weil sie sich noch kurz vor dem Überfall im Dicey Café gesehen hatten und sie von dem Death-Gun-Vorfall direkt betroffen gewesen war. Und jetzt war Sinons Gemütsruhe und Klugheit sehr beruhigend für sie. Mit einem Blick zu Sinon, die auch in ALO ihrer Berufung als Scharfschützin nachging, sagte Asuna: »Ich glaube, unsere beste Waffe ist, dass wir Kirito besser kennen als jeder andere. Also lasst uns noch mal einen Schritt zurückgehen und nachdenken. Wenn Kirito das Ziel des Feindes ist, was wäre dann sein Motiv?«

»Ich sag’s nicht gern, aber wenn sie es auf Lösegeld abgesehen hätten, hätten sie wahrscheinlich eher dich entführt. Es gab keine Kontaktaufnahme von den Entführern, oder?«, fragte Sinon.

Leafa schüttelte den Kopf. »Kein Anruf, keine Mail, kein Brief. Außerdem ist es für eine Lösegelderpressung viel zu aufwendig. Mein Bruder ist nicht so ein VIP, dass man extra einen gefälschten Rettungswagen vorbereiten würde, um ihn aus dem Krankenhaus zu entführen.«

»Das stimmt auch wieder … Ich möchte gar nicht daran denken, aber könnte es nicht ein Racheakt sein …? Fällt euch jemand ein, der einen Hass auf Kirito hat?«

Dieses Mal war es Asuna, die langsam den Kopf schüttelte. »Unter den Überlebenden von SAO gibt es bestimmt ein paar, die wütend auf Kirito sind, weil er sie damals in den Kerker geworfen hat, oder neidisch darauf sind, dass er das Spiel beendet hat. Aber jemand, der das Geld und die Beziehungen hätte, so etwas zustande zu bringen …«

Vor Asunas innerem Auge tauchte das Gesicht von Nobu-yuki Sugou auf, der die ehemaligen SAO-Spieler als Versuchsobjekte für seine abscheulichen Experimente missbraucht hatte, bis er von Kirito an die Polizei übergeben worden war. Aber dieser Mann saß immer noch hinter Gittern. Da er seine Flucht ins Ausland vorbereitet hatte, war auch sein Antrag auf Freilassung gegen Kaution abgelehnt worden.

»Nein, mir fällt niemand ein, der so weit gehen würde …«

»Also weder Geld noch Rache … hmm …«

Sinon senkte für einen Moment den Blick und zupfte mit den Fingerspitzen an einem ihrer Katzenohren. Dann sagte sie unsicher: »Also, das ist jetzt nur geraten … Aber wenn weder Geld noch Rache das Motiv für Kiritos Entführung war, muss das bedeuten, dass sie Kirito aus irgendeinem Grund gerade brauchen. Oder etwas an ihm. Ein bestimmtes Attribut, um mal einen Spielebegriff zu benutzen. Was fällt euch da ein?«

»Sein Können mit dem Schwert«, antwortete Asuna sofort, ohne auch nur nachzudenken. Wenn sie die Augen schloss und sich Kirito vorstellte, kam ihr als Erstes immer seine schwarz gekleidete Gestalt aus SAO-Tagen in den Sinn, wie er mit seinen zwei Schwertern in den Händen wie ein Wirbelsturm die Gegner niederstreckte.

Leafa, die mit ihm durch ALO gereist war, hatte offenbar dasselbe Bild vor Augen. Augenblicklich fügte sie hinzu: »Seine Reaktionsgeschwindigkeit.«

»Seine Anpassungsfähigkeit an das System.«

»Sein Urteilsvermögen von Situationen.«

»Seine Überlebensfähigkeit … Oh.«

Nachdem sie abwechselnd mit Leafa all diese Eigenschaften aufgezählt hatte, wurde Asuna etwas klar, und sie verstummte.

Sinon nickte zufrieden. »Richtig. All das sind VRMMO-Attribute … aus der virtuellen Welt.«

Als ihr das so deutlich vor Augen geführt wurde, grinste Asuna wie zum Trotz. »Na, der echte Kirito hat auch jede Menge gute Seiten!«

»Natürlich hat er die, er lädt uns ständig zum Essen sein. Aber auf andere Leute wirkt er wie ein ganz normaler Highschool-Schüler. Mit anderen Worten, wenn der Feind diesen irrsinnigen Plan auf die Beine gestellt hat, weil er so unbedingt an Kirito herankommen wollte, muss er es doch auf Kiritos hervorstechende Fähigkeiten in der virtuellen Welt abgesehen haben, oder nicht?«

»Du meinst doch nicht etwa … dass sie ihn zwingen, irgendein VR-Game durchzuspielen? Aber er ist doch gerade bewusstlos. Was wollen sie mit ihm in dem Zustand anfangen, wenn sie ihn weder behandeln noch untersuchen?« Leafa rang die Hände, und in ihrem Gesicht stand die Sorge um ihren großen Bruder geschrieben.

Sinon hatte den Blick auf den Tisch gesenkt. Nun verengten sich ihre stahlblauen Augen, als hätten sie ein Ziel erfasst, und sie antwortete ruhig: »Er mag bewusstlos sein … aber nur dem äußeren Anschein nach. Falls eine Maschine benutzt werden würde, die nicht auf das Gehirn, sondern seine Seele zugreift …«

»Ah …« Asuna sog scharf den Atem ein. Erschüttert fragte sie sich, warum sie bis jetzt nicht daran gedacht hatte.

»Genau. Wenn man das in Betracht zieht, sollte uns allen eine Organisation einfallen, die als Feind infrage kommt. Eine Organisation, die die einzige Maschine auf der Welt besitzt, die sich mit der Seele verbindet und vor ein paar Tagen auch noch einen Betriebstest mit Kirito als Test-Diver durchgeführt hat«, sagte Sinon.

Asuna nickte. »Also hat RATH, die den Soul Translator entwickelt haben, Kirito entführt …? Ja … wenn sie die Mittel haben, solch eine unglaubliche Maschine zu bauen, wären sie bestimmt auch in der Lage, einen gefälschten Krankenwagen loszuschicken …«

»RATH … Ihr meint die Firma, bei der mein Bruder in letzter Zeit jobbt?«, fragte Leafa.

Überrascht lehnte sich Asuna vor. »Leafa, du weißt über RATH Bescheid?«

»Ach, na ja, nichts Genaues … Nur, dass die Firma ihren Sitz in Roppongi hat.«

»Stimmt, das habe ich auch gehört. Aber Roppongi ist groß … Und die Polizei wird bestimmt nicht aktiv werden, wenn wir ihnen nur sagen können, dass RATHs Institut irgendwo in Roppongi liegt und Kirito möglicherweise dort sein könnte.«

Sinon biss sich auf die Lippe. Leafa hielt mit sorgenvoller Miene den Blick gesenkt.

Zögerlich wandte sich Asuna an die beiden. »Hört mal, ich wollte eigentlich nichts sagen, bis sich etwas ergeben hat, aber wir haben womöglich noch eine hauchdünne Verbindung zu Kirito. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie irgendwann abreißt …«

»Was meinst du damit, Asuna?«

»Sinon habe ich es neulich schon erklärt. Ich meine das, was Kirito hier hat.«

Damit tippte Asuna sich mit dem rechten Zeigefinger auf die Mitte ihrer Brust.

»Ach ja … der Herzfrequenzsensor. Das Teil schickt Infos übers Netz in Echtzeit an dein Handy, richtig …?«

»Das Signal ist schon vor einer ganzen Weile abgebrochen. Aber ich dachte, wenn wir seine Signale von der Route des falschen Krankenwagens zurückverfolgen, könnten wir so vielleicht seinen Aufenthaltsort bestimmen. Also habe ich um eine Analyse der Daten gebeten.«

»Wen denn?«

Statt zu antworten, sah Asuna nach oben und rief: »Yui, wie sieht es aus?«

Sofort erschienen in der Luft einige Zentimeter über dem Tisch funkelnde Lichtpartikel, die sich zu einer kleinen menschlichen Gestalt verdichteten. Für einen Moment leuchtete das Licht hell auf und erlosch dann.

Daraus erschien der Avatar eines Mädchens, keine zehn Zentimeter groß. Sie hatte glatte, schwarze Haare und trug ein weißes Kleid. Auf ihrem Rücken flirrten vier bunt schillernde Flügel. Das Mädchen – eine Fee – schlug die langen Wimpern auf und schaute mit ihren großen Augen erst Asuna, dann Leafa und Sinon an. Offenbar entschied sie, dass Sinon zuerst gegrüßt werden sollte, und verbeugte sich in der Luft schwebend vor ihr.

»Lange nicht gesehen, Sinon«, sagte sie, und ihre Stimme klang wie das Zupfen auf silbernen Saiten.

Sinon lächelte sanft und nickte ihr zu. »Guten Abend, Yui … oder eher ›Guten Morgen‹, schätze ich.«

»Es ist 4:32 Uhr morgens. Da der Sonnenaufgang heute für 4:29 Uhr angesetzt war, kann man es wohl als Morgen betrachten. Guten Morgen, Leafa, Mama.«

Die künstliche Intelligenz Yui – ehemals ein Seelsorgeprogramm in SAO – machte eine Drehung um sechzig Grad, um auch die anderen beiden zu grüßen. Dann schwebte sie wieder in der Luft vor Asuna. »Die Rückverfolgung der Datenpakete, die von Papas Biosensor an dein Handy gesendet wurden, ist zu 98 Prozent abgeschlossen.«

»Verstehe. Wenn diese Daten aus dem Umkreis von Roppongi gesendet wurden, würde das unsere Theorie stützen …«, überlegte Sinon, und Asuna nickte kräftig.

Alle drei Mädchen sahen Yui erwartungsvoll an.

»Dann werde ich euch nun das derzeitige Ergebnis der Analyse mitteilen. Die Relaisstationen des Mobilfunks haben einen recht starken Schutzwall, wenn auch nicht so stark wie das Militärklinikum. Deswegen konnte ich leider nur drei Sendeorte bestimmen.«

Yui unterbrach sich und schwenkte ihre rechte Hand. Unter ihren nackten Füßen wurde das türkis leuchtende Hologramm einer detaillierten Karte des Stadtzentrums von Tokyo angezeigt. Yui hörte auf, mit den Flügeln zu schlagen, und landete. Mit kleinen Schritten trippelte sie zu einem Ort auf der Karte. Mit einem Plong erschien ein rot leuchtender Punkt.

»Hier liegt das Krankenhaus in Setagaya, zu dem Papa zuerst gebracht wurde. Und hier war die erste Sendequelle.«

Sie ging ein paar Schritte weiter, und ein neuer Punkt leuchtete auf. »Im dritten Block von Aobadai im Meguro-Bezirk, ungefähr um 14:15 Uhr am 30. Juni 2026. Ich zeige jetzt die geschätzte Fahrtroute an.«

Eine weiß leuchtende Linie zog sich auf den Straßen von einem zum anderen leuchtenden Punkt. Yui ging wieder in den Südwesten der Karte. Ein dritter Punkt wurde angezeigt, mit dem sich die Linie verband. »Das zweite Signal kam vom zweiten Block von Shirokanedai im Minato-Bezirk, gegen 15 Uhr am selben Tag.«

Für eine Route von Setagaya nach Roppongi ist das zu weit südlich, dachte Asuna beunruhigt. Aber sie hörte weiter schweigend Yuis Bericht zu.

»Und … die dritte Sendequelle war hier.« Ganz entgegen ihren Erwartungen zeigte Yui auf ein Stück aufgeschüttetes Land an der Küste weit östlich von Roppongi.

»Im vierten Block von Shin-Kiba im Koto-Bezirk, gegen 21:50 Uhr. In den rund dreißig Stunden seit diesem letzten Signal ist die Verbindung zu Papa abgebrochen.«

»Shin-Kiba …?!«, stieß Asuna unwillkürlich aus.

Doch bei näherem Nachdenken fiel ihr ein, dass in diesem neu erschlossenen Land riesige, intelligente Gebäude dicht an dicht standen. War es nicht möglich, dass in einem dieser Gebäude eine zweite Basis von RATH war?

»Yui … Was befindet sich an dieser Adresse?«, fragte sie und spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte.

Doch erneut war die Antwort nicht, was sie vermutet hatte.

»Die Einrichtung an diesem Standort hat die Bezeichnung ›Tokyo Heliport‹.«

»Was …? Ist das nicht ein Hubschrauberlandeplatz?«, murmelte Sinon entgeistert.

Auch Leafa wurde blass. »Hubschrauber?! Heißt das etwa … mein Bruder wurde von dort aus noch weiter weggebracht?«

»Moment mal …«, sagte Asuna, während sie angestrengt versuchte, das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen. »Yui, seit Shin-Kiba kam kein einziges Signal mehr, richtig?«

»Ja …« Zum ersten Mal nahm Yuis niedliches Feengesicht einen trübseligen Ausdruck an. »Es gibt keine Anzeichen, dass sich Papas Biosensor mit irgendeiner Relaisstation in Japan verbunden hat.«

»Bedeutet das … er wurde mit dem Hubschrauber von Shin-Kiba aus an irgendeinen Ort ohne Empfang gebracht … vielleicht irgendwo in den Bergen oder der Wildnis?«, überlegte Leafa.

Sinon schüttelte den Kopf. »Egal wo sie gelandet sind, letztendlich müssen sie ihn zu irgendeiner Einrichtung gebracht haben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ein hochmodernes Unternehmen heutzutage in einer Einrichtung ohne Handyempfang sitzt. Selbst wenn sie Kirito in einen Bereich gesteckt haben, der die Funkwellen abschirmt, hätte das Signal irgendwo einmal durchkommen müssen …«

»Und wenn er nicht in Japan ist … sondern im Ausland …?«, fragte Asuna mit zitternder Stimme. Keiner hatte darauf sofort eine Antwort.

Das kurze Schweigen wurde von Yuis ebenso unschuldiger wie ruhiger Stimme unterbrochen.

»Abgesehen von einigen Militärmaschinen gibt es keine Hubschrauber, die von Tokyo aus ohne Zwischenlandung das Ausland erreichen können. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe ich zu wenige Daten, um etwas Konkretes sagen zu können. Aber ich denke, dass sich Papa noch irgendwo im Inland befindet.«

»Stimmt. Die Forschung, die RATH betreibt, könnte die derzeitige VR-Technologie auf den Kopf stellen. Für das Unternehmen ist das ein Betriebsgeheimnis höchster Stufe. Es ist schwer vorstellbar, dass sie ihr Forschungsinstitut ins Ausland verlagern würden, nicht wahr?«, sagte Sinon, und auch Asuna nickte.

Auch der von ihrem Vater geleitete Elektronikhersteller RECT hatte mit Betriebsspionage zu kämpfen. Sie hatte gehört, dass die wichtige Forschung und Entwicklung in einem streng bewachten Institut im Tama-Hügelland durchgeführt wurde. Es gab zwar auch einige Standorte im Ausland, aber verglichen mit den Einrichtungen im Inland sickerten von dort tatsächlich deutlich häufiger Informationen durch.

Leafa sah mit nachdenklicher Miene zu Boden und murmelte: »Dann muss er in einer abgelegenen Gegend irgendwo in Japan sein … Aber kann man im heutigen Japan wirklich ein so geheimes Forschungsinstitut bauen?«

»Zumal es nicht gerade ein kleines sein wird … Yui, hast du irgendetwas über RATH herausgefunden?«

Auf Asunas Frage flog Yui wieder auf und blieb auf Augenhöhe der drei Mädchen in der Luft schweben. »Ich habe mit zwölf öffentlichen und drei inoffiziellen Suchmaschinen Informationen gesammelt. Aber keine davon entsprach dem Namen einer Firma, einer Einrichtung oder einem VR-Technologie-Projekt. Zudem konnte ich keinerlei Daten oder Patentanmeldungen in Bezug auf die Soul-Translation-Technologie ausfindig machen.«

»Sie erfinden eine bahnbrechende Technologie, die mensch-liche Seelen einlesen und beschreiben kann, und melden kein Patent darauf an …? Das ist schon eine ungewöhnlich gründliche Geheimhaltung, oder?« Seufzend stellte Asuna fest, dass es wohl aussichtslos war, bei RATH nach einer Schwachstelle zu suchen.

Auch Sinon schüttelte fassungslos den Kopf. »Irgendwie … könnte man fast Zweifel bekommen, ob diese Firma wirklich existiert. Wenn ich das früher gewusst hätte, hätte ich Kirito nach mehr Details gefragt. Hat er bei unserem Treffen neulich nicht irgendwas gesagt, das uns einen Anhaltspunkt geben könnte …?«

»Hmm …«

Asuna runzelte die Stirn und durchforstete ihre Erinnerungen. Kanamotos Überfall und jetzt auch noch der Verdacht einer Entführung hatten ihr solch einen Schock versetzt, dass ihre friedliche Unterhaltung im Dicey Café wie eine weit zurückliegende Vergangenheit verblasste.

»Ich weiß noch … dass wir uns so lange über den Soul Translator unterhalten haben, dass es schon Abend wurde. Und wir haben auch kurz über den Ursprung des Firmennamens RATH gesprochen …«

»Ja … das waren diese Schweine- oder Schildkrötenwesen aus Alice im Wunderland, oder? Ganz schön seltsam, wenn man mal darüber nachdenkt. Schweine und Schildkröten ähneln sich doch überhaupt nicht.«

»Lewis Carroll, der das Wort erfunden hat, hat sie auch nie eindeutig beschrieben. Das sind nur Mutmaßungen späterer Forscher, die sich mit Alice beschäftigt haben …« Asuna unterbrach sich plötzlich. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. »Alice … Hat Kirito beim Verlassen des Cafés nicht irgendetwas über Alice gesagt?«

»Was?« Sowohl Sinon als auch Leafa, die ihnen stumm zugehört hatte, schauten sie verblüfft an.

»Mein Bruder hat über Alice im Wunderland gesprochen?«

»Nein, das nicht … Er meinte, er hätte im RATH-Labor das Wort, besser gesagt, die Abkürzung ›Alice‹ aufgeschnappt … Ihr wisst schon, wenn man aus den Anfangsbuchstaben von Wörtern ein neues Wort mit anderer Bedeutung bildet …«

»Du meinst ein Akronym. So etwas wie es zum Beispiel viele Behörden der amerikanischen Regierung zur Vereinfachung benutzen«, erklärte Sinon.

Leafa murmelte mit wippendem Pferdeschwanz: »Mit anderen Worten, wenn man die Anfangsbuchstaben von fünf Worten aneinanderreiht, ergibt das A, L, I, C, E … richtig?«

»Genau das. Mal überlegen, wenn ich mich richtig erinnere, sagte Kirito …«

Als sich Asuna mit aller Kraft konzentrierte, hörte sie wie aus großer Ferne Kiritos Stimme, die ihr vertrauter war als jede andere. Mit Bedacht sprach sie die Worte nach. »Artificial … Label … Intelligen… C und E konnte ich nicht verstehen, aber so hörten sich A, L und I an.« Sie spürte einen leichten Kopfschmerz, vielleicht hatte sie den Schwamm ihrer Erinnerungen zu kräftig ausgewrungen.

»Artificial … bedeutet ›künstlich‹, richtig? Dann Intelli-gen…ce, vermute ich mal, also Intelligenz. Aber was für ein Label ist gemeint?«, fragte Sinon.

Yui antwortete sofort: »Es ist anzunehmen, dass die Aussprache die größte Übereinstimmung mit dem Wort ›labile‹ hat. Es ist ein Adjektiv, das so viel wie ›unbeständig‹ oder ›anpassungsfähig‹ bedeutet.«

Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Übersetzt man ›Artificial Labile Intelligence‹, heißt das wohl so viel wie ›hoch anpassungsfähige, künstliche Intelligenz‹.«

»Künstliche … Intelligenz?« Asuna blinzelte überrascht beim unerwarteten Auftauchen dieses Begriffs. »Ach so, ja … Artificial Intelligence, also AI, wie unsere Yui. Aber ich frage mich, was künstliche Intelligenz mit einer Firma zu tun hat, die ein Brain-Machine-Interface entwickelt.«

»Sind damit nicht die automatisch gesteuerten Charaktere in der virtuellen Welt gemeint? So wie die NPCs dort«, sagte Sinon und wies mit ausgestreckter Hand auf die Läden, die sich draußen vor dem Fenster aneinanderreihten.

Asuna verzog den Mund, weil ihr eine Sache nicht einleuchten wollte. »Aber wenn der Firmenname RATH aus Alice im Wunderland entlehnt wurde und ›ALICE‹ innerhalb von RATH als Codename für künstliche Intelligenz benutzt wird … kommt euch das nicht komisch vor? Wenn das stimmt, scheint das Ziel der Firma nicht die Entwicklung des nächsten VR-Interface zu sein, sondern einer AI, die darin agiert.«

»Hm, meinst du …? Aber NPCs in Spielen sind nichts Ungewöhnliches, und es sind auch schon etliche speicherresidente AI-Programme für Desktop-PCs auf dem Markt. Wieso sollten sie sich da bei der Entwicklung die Mühe machen, die ganze Existenz der Firma geheim zu halten und sogar jemanden zu entführen?«, fragte Sinon.

Darauf hatte auch Asuna keine direkte Antwort. Mit jedem Schritt nach vorn gerieten sie in eine weitere Sackgasse. Zu diesem unangenehmen Gefühl kam noch die Befürchtung, dass ihre Überlegungen in eine ganz falsche Richtung gingen. Dennoch wandte sie sich auf der Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt an Yui. »Sag mal, Yui, was genau ist künstliche Intelligenz eigentlich?«

Da zeigte Yui ein für sie ungewöhnlich gequältes Lächeln und landete auf dem Tisch. »Das fragst du mich, Mama? Das wäre so, als würde ich dich fragen, was der Mensch ist.«

»Oh, da hast du wohl recht.«

»Streng genommen ist es unmöglich, zu definieren, was künstliche Intelligenz ist. Denn es gab in dieser Welt noch nie eine echte künstliche Intelligenz«, erklärte Yui, die auf dem Rand der Teekanne Platz genommen hatte.

Die drei Mädchen blinzelten verblüfft. »Was? Aber … du bist doch eine AI, Yui? Bist du nicht das, was man eine künstliche Intelligenz nennt?«, stammelte Leafa.

Yui legte nachdenklich ihr Köpfchen schief und schwieg für einen Moment, ganz wie ein Lehrer, der überlegt, wie er seinem Schüler etwas am besten erklären kann. Dann nickte sie und begann. »Gut, fangen wir mit dem an, was derzeit als AI bezeichnet wird. Im vergangenen Jahrhundert haben die Entwickler von künstlicher Intelligenz mit zwei unterschiedlichen Ansätzen versucht, das gleiche Ziel zu erreichen. Eine wird ›Top-down-AI‹ genannt, die andere ›Bottom-up-AI‹.«

Asuna hörte aufmerksam zu, um die Worte zu verstehen, die Yui mit der unschuldigen Stimme eines kleinen Mädchens zu ihnen sprach.

»Der Top-down-Ansatz basiert auf einfachen Frage-Antwort-Programmen in einem bestehenden Computersystem, die allmählich mit mehr Wissen und Erfahrung gespeist werden. Indem sie immer mehr dazulernen, sollen sie sich einem echten Intellekt annähern. Fast alle derzeitigen künstlichen Intelligenzen haben ein Top-down-Design, mich eingeschlossen. Mit anderen Worten … mein ›Intellekt‹ ähnelt eurem zwar von außen betrachtet, aber eigentlich ist es etwas vollkommen anderes. Offen gesagt bin ich nicht mehr als ein Komplex aus Programmen, die besagen: ›Wenn A gefragt wird, antworte B‹.«

Ein Schatten von Einsamkeit schien über Yuis helles Gesicht zu huschen. Asuna fragte sich, ob es nur eine Sinnestäuschung war.

»Als du mich zum Beispiel gerade gefragt hast, was künstliche Intelligenz ist, habe ich eine Mimikvariation gezeigt, die als ›gezwungenes Lächeln‹ klassifiziert ist. Das ist ein Ergebnis meines empirisch angeeigneten Wissens, dass Papa bei Fragen betreffend seiner Person oft mit diesem Gesichtsausdruck reagiert. Im Prinzip funktioniert das nicht anders als das Programm für die Wortvorhersage auf Mamas Handy. Oder andersherum gesagt, auf noch nicht erlernte Eingaben kann ich nicht angemessen reagieren. Deswegen muss man sagen, dass die Top-down-AI derzeit noch nicht das Niveau einer echten Intelligenz erreicht hat. Das ist die sogenannte AI, von der Leafa gerade gesprochen hat.«

Yui unterbrach sich und schaute aus dem Fenster zum leuchtenden Mond in der Ferne. »Als Nächstes erkläre ich euch die Bottom-up-AI. Das ist der Ansatz, den Aufbau des biologischen Gehirns mit seinen hundert Milliarden verknüpften Gehirnzellen mittels elektronischer Instrumente nachzubilden und darin einen Intellekt zu erzeugen.«

Es war eine so unfassbare oder vielmehr wahnwitzige Vorstellung, dass Asuna unwillkürlich murmelte: »Ist das nicht ein bisschen unrealistisch …?«

»Ja«, erwiderte Yui prompt. »Soweit ich weiß, hat man den Bottom-up-Ansatz als reines Gedankenexperiment aufgegeben. Falls er realisiert werden sollte, würde das eine Intelligenz hervorbringen, die sich fundamental von der meinen unterscheidet und ein ähnliches Niveau wie das von euch Menschen erreichen können sollte …«

Yui richtete ihren Blick wieder auf die drei Mädchen. Nach einer kurzen Pause fasste sie zusammen: »Wie gesagt, derzeit hat das Wort AI – künstliche Intelligenz – zwei Bedeutungen. Zum einen meint es eine simulierte AI wie mich, Navigationsgeräte oder NPCs in Spielen. Und zum anderen beschreibt es eine echte künstliche Intelligenz mit der gleichen Kreativität und Anpassungsfähigkeit wie der menschliche Geist – die aber bisher nur als Konzept existiert.«

»Anpassungsfähigkeit …«, wiederholte Asuna murmelnd. »Eine anpassungsfähige künstliche Intelligenz.«

Schlagartig richteten sich die Blicke der drei anderen auf sie. Asuna sah sie nacheinander an und fasste bedächtig in Worte, was in ihrem Kopf allmählich eine vage Gestalt annahm. »Was, wenn der von RATH entwickelte STL nicht das Ziel ist, sondern ein Mittel zum Zweck …? Ich bin mir ziemlich sicher, dass Kirito auch den Verdacht hatte, dass RATH den STL benutzt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen … Was, wenn sie durch die Analyse der menschlichen Seele eine echte künstliche Intelligenz – die weltweit erste Bottom-up-AI – erzeugen wollen?«

»Und der Codename dieser echten AI ist ›ALICE‹ …?«, flüsterte Leafa.

Sinon fügte mit ebenso entgeisterter Miene hinzu: »Mit anderen Worten, RATH ist keine Entwicklerfirma von VR-Interfaces der nächsten Generation, sondern hat eigentlich das Ziel, eine künstliche Intelligenz zu entwickeln?«

Je mehr Überlegungen sie anstellten, desto vager und unermesslicher wurde ihr Feind. Diese Erkenntnis ließ alle drei Mädchen verstummen. Selbst Yui zog die Brauen zusammen, als könne sie die Menge an neuen Daten nicht verarbeiten.

Asuna streckte ihre Hand aus. Über ein Pop-up-Menü füllte sie ihre Teetasse wieder mit Tee auf, dann nahm sie einen großen Schluck. Sie atmete einmal tief durch und begann, die Kampfkraft ihres Feindes neu abzuschätzen.

»Wenn RATH unser Feind sein sollte, sind sie viel mehr als bloß eine gewöhnliche Firma. Immerhin reden wir hier von einem Unternehmen mit den Mitteln, Menschen mit gefälschten Krankenwagen und sogar einem Helikopter zu entführen. Sie verfügen über diesen monströsen STL, der in einer Forschungseinrichtung steht, von der nicht einmal der Standort bekannt ist. Und noch dazu wollen sie eine AI auf menschlichem Niveau erschaffen. An den Job bei RATH kam Kirito durch Chrysheight … also, Kikuoka vom Innenministerium. Vielleicht lag das gar nicht an Kikuokas Beziehungen zur VR-Branche, sondern vielmehr daran, dass RATH selbst mit der Regierung in Verbindung steht …«

»Seijirou Kikuoka. Ich dachte mir schon, dass er nicht die harmlose Brillenschlange ist, als die er sich ausgibt … Und du hast ihn immer noch nicht erreicht?«, fragte Sinon mit düsterer Miene.

Asuna nickte matt. »Seit vorgestern erreiche ich ihn telefonisch nicht, und er beantwortet auch meine Mails nicht. Wenn alle Stricke reißen, wollte ich direkt zur Abteilung für Virtuelles marschieren, aber das würde wahrscheinlich zu nichts führen.«

»Ja, vermutlich nicht … Kirito hat erzählt, dass er mal versucht hat, Kikuoka zu beschatten, aber der hat ihn mit Leichtigkeit abgeschüttelt …«

Unmittelbar nach dem Auftreten der SAO-Affäre vor vier Jahren war vom Innenministerium eine »Sondereinheit zur Rettung der Opfer« aufgestellt worden, die nach dem Ende des Vorfalls als Abteilung für sämtliche VR-Angelegenheiten bestehen geblieben war. Dazu gehörte auch dieser Staatsbeamte mit der schwarz gerahmten Brille, Seijirou Kikuoka. Seit Kazutos Rückkehr in die reale Welt pflegte Kikuoka den Kontakt zu ihm. Obwohl Kazuto in der Wirklichkeit bloß ein ganz normaler Highschool-Schüler war, hielt Kikuoka aus irgendeinem Grund große Stücke auf ihn und hatte ihn auch beim Death-Gun-Vorfall mit einer Untersuchung beauftragt.

Asuna hatte ihn einige Male in der Wirklichkeit getroffen und in ALO eine Gruppe mit seinem Undinen-Magier Chrys-height gebildet. Dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass hinter seinem freundlichen Auftreten etwas Undurchschaubares lag, sodass sie ihm nie ganz über den Weg traute. Kikuoka selbst behauptete zwar stets, nur ein langweiliger Beamter auf dem Abstellgleis zu sein, aber auch Kazuto hatte den Verdacht geäußert, dass er in Wahrheit einen anderen Posten innehatte.

Da es Kikuoka gewesen war, der Kazuto den Job bei dem rätselhaften Unternehmen RATH vermittelt hatte, hatte Asuna gleich nach Kazutos Verschwinden unzählige Male versucht, ihn zu kontaktieren. Doch jedes Mal bekam sie nur eine automatische Nachricht, dass Kikuokas Handy nicht erreichbar sei.

Als sie die Geduld verloren und direkt im Ministerium angerufen hatte, war ihr mitgeteilt worden, dass sich Kikuoka auf einer Dienstreise im Ausland befände. Das erklärte natürlich, warum er nicht erreichbar war. Andererseits war das Timing derart perfekt, dass es sie argwöhnen ließ, ob er nicht vielleicht selbst mit Kazutos Verschwinden zu tun hatte.

»Aber …«, stammelte Leafa und sah in die angespannten Gesichter der anderen beiden Mädchen, »wenn RATH durch diesen Kikuoka mit dem Ministerium verbunden ist, wieso sollten sie sich dann solche Mühe geben, alles geheim zu halten? Ein Unternehmen muss vielleicht seine Geheimnisse bewahren, um seinen Profit zu sichern. Aber wenn die Regierung solch ein Wahnsinnsprojekt fördern würde, würde sie es normalerweise doch eher im großen Stil bewerben, oder?«

»Hm … stimmt auch wieder …« Sinon wiegte ihren Kopf hin und her, dann nickte sie.

In den letzten Jahren war neben der Forschung am virtuellen Raum vor allem die Erschließung des Weltraums von allen Ländern fieberhaft vorangetrieben worden. Raumfähren ohne externe Booster oder bemannte Mondbasen, sogar Baupläne für einen Weltraumlift waren in Amerika, Russland, China und auch Japan in schneller Folge verkündet worden. Auch Asuna kam kein Grund in den Sinn, warum das Land die Entwicklung einer echten AI so beharrlich geheim halten sollte, wenn es eine ähnliche oder sogar noch stärkere Auswirkung haben könnte.

Falls Kiritos Entführung aber tatsächlich mit einem staatlichen Projekt der höchsten Geheimhaltungsstufe zusammenhing, konnten sie als einfache Schüler nichts mehr dagegen ausrichten. Außerdem hatte in diesem Fall wohl selbst die Polizei keine Handhabe. Niedergeschlagen von dem Gefühl der Machtlosigkeit ließ Asuna die Schultern hängen. Ihr Blick traf auf Yui, die vom Tisch zu ihr aufsah. »Yui …?«

»Kopf hoch, Mama! Als Papa hier in Alfheim nach dir gesucht hat, hat er auch niemals aufgegeben.«

»A… Aber … ich …«

»Dieses Mal bist du an der Reihe, Papa zu suchen!«

Yuis vorige Behauptung, all ihre Reaktionen seien nur das Ergebnis eines einfachen Lernprogramms, war fast nicht zu glauben, so sanft und warmherzig war ihr Lächeln. »Es gibt ganz sicher noch eine Spur, die zu Papa führt. Selbst wenn der Gegner die japanische Regierung sein sollte, werden sie das Band zwischen euch nicht durchtrennen können. Daran glaube ich fest.«

»Danke, Yui. Ich werde nicht aufgeben. Wenn die Regierung unser Feind ist, marschiere ich direkt ins Parlament und knöpfe mir den Premierminister höchstpersönlich vor.«

»Das ist die richtige Einstellung!«

Asuna und ihre geliebte Tochter grinsten einander an. Lächelnd betrachtete Sinon die beiden, dann runzelte sie plötzlich die Stirn.

»Was hast du, Sinon?«

»Hm, na ja … Auch wenn RATH tatsächlich als Forschungsinstitut in Verbindung mit der Regierung steht, heißt das nicht, dass die Regierung oder das Parlament von dem gesamten Inhalt der Forschungen Kenntnis haben.«

»Ja … und?«

»Wenn das ein Plan wäre, den irgendein Ministerium im Geheimen gefördert hat, gäbe es eines, das sie auf keinen Fall verbergen könnten, denkt ihr nicht auch?«

»Was …?«

»Das Budget! Für solche Forschungseinrichtungen und auch für den STL muss doch ein gewaltiges Budget benötigt werden. Ich weiß nicht, wie viele Millionen oder Milliarden es sein müssen. Aber ich glaube, solch eine Summe kann man nicht einfach klammheimlich aus der Staatskasse oder den Steuern unterschlagen. Also müsste es doch unter irgendeiner Bezeichnung im Staatsetat aufgeführt werden.«

»Hmm, aber Yuis Recherchen zufolge gibt es keine großen Projekte mit Bezug zur VR-Technologie … Oh, ach so! Vielleicht waren es die falschen Suchworte …? Nicht VR-Technologie, sondern künstliche Intelligenz …?«

Als Asuna ihren Blick Yui zuwandte, nickte die mit ernster Miene und bat sie, kurz zu warten. Sie breitete die Arme aus, und ihre Fingerspitzen begannen, violett zu funkeln. Sie verband sich aus ALO mit dem Internet.

Nach einem Moment der Stille, erfüllt von der Erwartung und Sorge der drei Mädchen, öffnete Yui leicht die geschlossenen Lider. Ganz anders als noch Sekunden zuvor sprach sie jetzt mit der monotonen Computerstimme einer digitalen Fee: »Habe Zugriff auf die öffentlich bekannt gegebenen Budgetforderungen aller Ministerien und Behörden im vergangenen Jahr. Suche nach den Schlüsselworten künstliche Intelligenz, AI sowie 38 verwandten Begriffen …