Sylt - Jamie Carver - E-Book

Sylt E-Book

Jamie Carver

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Beschreibung

Traust du dich, den Schatten von Sylt entgegenzutreten? Sylt galt immer als das perfekte Urlaubsparadies: strahlende Dünen, rauschende Wellen, salzige Luft. Doch hinter dieser Postkarten-Idylle lauert etwas Finsteres – unsichtbar, unbarmherzig und tödlich. In zehn packenden Psychothriller-Kurzgeschichten nimmt dich diese Sammlung mit an Orte, wo selbst das Meer mehr ans Ufer spült als nur Salz: dunkle Geheimnisse, die unter die Haut gehen. Jede Geschichte zieht dich tiefer in den Abgrund menschlicher Seelen – mal flüstert die Gefahr verführerisch und lockt mit einem verborgenen Detail, mal brüllt sie aus der Kehle eines skrupellosen Tyrannen, mal schleicht sie sich lautlos ins Kinderzimmer, wo ein Kindermädchen auf etwas Grauenhaftes stößt. DÜSTER, SCHAURIG, MITREISSEND – diese Sammlung deckt das Böse auf, das sich im Herzen eines Ferienidylls versteckt. Direkte Sprache und Szenen, die dich nicht mehr loslassen, erwarten dich. Lies sie auf eigene Gefahr. Bist du bereit für den Nervenkitzel? Willkommen auf Sylt – wo Ebbe und Flut nicht nur das Meer, sondern auch das Dunkelste im Menschen regieren.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Sylt

Psychothriller-Kurzgeschichten

Jamie Carver

Düster, verführerisch, absolut fesselnd – hast du den Mut, dich den Schatten auf Sylt zu stellen?

Wir dachten immer, Sylt wäre nur ein idyllisches Urlaubsparadies. Doch hinter den strahlenden Dünen lauert etwas Unheimliches – unsichtbar, unaufhaltsam und absolut tödlich.

10 Psychothriller-Kurzgeschichten entführen dich an Orte, an denen selbst die Wellen nicht nur Salz ans Ufer spülen, sondern auch dunkle Geheimnisse.

Jede Erzählung ist ein gnadenloser Tauchgang in menschliche Abgründe: mal flüstert die Gefahr leise und lockt dich mit einer verborgenen Zutat, mal schreit sie laut aus dem Mund eines tyrannischen Direktors, mal schleicht sie sich lautlos ins Kinderzimmer und lässt ein Kindermädchen einen grausamen Fund machen.

Du glaubst, du kannst wegsehen? Versuch es. Aber wenn du dich einmal in diese Geschichten wagst, wird Sylt nie wieder dieselbe Insel für dich sein.

DÜSTER, SCHAURIG, ATMOSPHÄRISCH – eine einzigartige Sammlung, die das Böse mitten in den Ferienidyllen aufspürt.

• Enthält direkte Sprache und verstörende Szenen • Auf eigene Gefahr lesen

Bereit für den Adrenalinstoß? Willkommen auf der Insel, wo das Böse jeden Tag Ebbe und Flut beherrscht.

Das Kindermädchen von Sylt

Der salzige Geruch des Meeres drang durch mein offenes Fenster, während ich meinen alten VW Golf durch die gewundenen Straßen von Kampen lenkte. Meine Hände umklammerten das Lenkrad fester als nötig. Es war mein erster Tag als Kindermädchen bei der Familie Rothmann, und mein Magen rebellierte vor Nervosität.

»Sie haben die richtige Abzweigung genommen«, murmelte ich zu mir selbst und betrachtete die imposanten Reetdachhäuser, die sich zu beiden Seiten der Straße erstreckten. Mit meinen fünfundzwanzig Jahren und einem abgeschlossenen Pädagogikstudium sollte ich eigentlich selbstbewusster sein, aber etwas an dieser Stelle ließ mich erschaudern. Das Rothmann-Anwesen ragte vor mir auf wie eine Festung aus weißem Stein und dunkelbraunem Reet. Der gepflegte Vorgarten wurde von hohen Hecken umzäunt, die jeglichen Einblick von außen verhinderten. Meine Finger zitterten leicht, als ich den Wagen parkte und meine dunkelbraunen Haare zu einem ordentlichen Dutt zusammenband.

»Guten Morgen, Sie müssen Frau Weber sein.« Die Stimme von Henrik Rothmann klang genauso geschliffen wie bei unserem Vorstellungsgespräch via Zoom. Er stand bereits in der geöffneten Tür, groß, schlank, Anfang vierzig, in einem perfekt sitzenden grauen Anzug.

»Ja, guten Morgen, Herr Rothmann«, erwiderte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Seine stahlblauen Augen musterten mich von oben bis unten, und ich war froh, dass ich mich für die schlichte schwarze Hose und die weiße Bluse entschieden hatte.

»Kommen Sie herein. Meine Frau und die Kinder erwarten Sie bereits.« Er trat zur Seite, und ich folgte ihm in eine Eingangshalle, die größer war als meine gesamte Wohnung in Hamburg. Der Geruch von frisch gebackenem Kuchen vermischte sich mit dem teuren Parfüm, das in der Luft hing.

»Marie! Jonas! Das neue Kindermädchen ist da!«, rief Henrik Rothmann die geschwungene Treppe hinauf. Seine Stimme hallte von den hohen Decken wider, und ich hörte das Trappeln von Kinderfüßen über mir. Eine zierliche Frau mit platinblonden Haaren erschien im Türrahmen zum Wohnzimmer. Sophia Rothmann, Ende dreißig, perfekt geschminkt und in ein cremefarbenes Designerkleid gehüllt.

»Willkommen, Frau Weber. Wir sind so froh, dass Sie sich für uns entschieden haben.« Ihre Worte klangen warm, aber ihre grünen Augen blieben kalt. Etwas in ihrer Haltung ließ mich innerlich zusammenzucken. Warum hatte das letzte Kindermädchen so plötzlich gekündigt? Die Kinder kamen die Treppe heruntergestürmt. Marie, acht Jahre alt, mit den gleichen platinblonden Haaren wie ihre Mutter, und Jonas, sechs, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Beide blieben abrupt stehen, als sie mich sahen.

»Das ist also die Neue«, sagte Marie mit einer Stimme, die für ein achtjähriges Mädchen erschreckend erwachsen klang. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich mit dem gleichen durchdringenden Blick wie ihr Vater. Jonas hingegen versteckte sich halb hinter seiner Schwester und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ein nervöses Lachen entfuhr Marie, das ihre Mutter mit einem scharfen »Marie!« sofort unterband.

»Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer«, sagte Sophia Rothmann und deutete auf die Treppe.

»Sie werden im Ostflügel untergebracht, mit Blick auf den Garten. Das Zimmer hat ein eigenes Bad, und Sie haben selbstverständlich einen Schlüssel für Ihren Bereich.« Während wir die Treppe hinaufstiegen, spürte ich die Blicke der Kinder in meinem Rücken. Das Geräusch meiner Schritte wurde von dem dicken Teppich gedämpft, aber das Knarren der alten Holzdielen darunter war nicht zu überhören.

»Meine Vorgängerin...«, begann ich vorsichtig, wurde aber sofort von Sophia Rothmann unterbrochen. »Darüber sprechen wir besser nicht. Konzentrieren wir uns auf die Zukunft, nicht wahr?« Der Ostflügel war kühler als der Rest des Hauses. Sophia öffnete eine schwere Holztür zu einem überraschend großzügigen Zimmer.

»Hier werden Sie wohnen«, erklärte sie knapp und schaltete das Licht ein. Die cremefarbenen Wände wirkten im Kunstlicht seltsam gelblich.

»Das Bad ist dort drüben«, sie deutete auf eine Tür in der gegenüberliegenden Ecke.

»Ihre Arbeitszeiten kennen Sie ja bereits. Die Kinder haben einen straffen Zeitplan.« Ihre perfekt manikürten Finger trommelten ungeduldig gegen den Türrahmen. Ich stellte meine Tasche ab und betrachtete das große Doppelbett mit dem dunkelblauem Überwurf.

»Das ist sehr großzügig, danke.« Meine Stimme klang leise in dem hohen Raum. Ein alter Kleiderschrank aus dunklem Holz nahm fast die gesamte Länge einer Wand ein.

»Marie hat Klavierunterricht um vier, Jonas Nachhilfe um fünf«, fuhr Sophia fort.

»Beide müssen vorher ihre Hausaufgaben erledigt haben. Das Abendessen ist punkt sieben.« Sie machte eine kurze Pause.

»Ach, und der Dachboden ist tabu. Für alle.« Ein dumpfes Poltern über uns ließ mich zusammenzucken. Sophias Gesicht versteinerte für einen Moment.

»Das sind nur die alten Balken«, sagte sie schnell.

»Bei Wind knarzt hier alles.«

»Ich verstehe.« Aber ich verstand gar nichts. Draußen war völlige Windstille, und das Geräusch hatte sich definitiv nicht wie knarzendes Holz angehört.

»Richten Sie sich ein. In einer Stunde erwarte ich Sie unten in der Küche.« Mit diesen Worten verließ sie den Raum. Ihre hochhackigen Schuhe klackerten über den Holzboden, bis das Geräusch in der Ferne verklang. Ich öffnete meinen Koffer und begann auszupacken. Dabei fiel mein Blick immer wieder auf die dunklen Holzbalken an der Decke. Das Gefühl, beobachtet zu werden, ließ sich nicht abschütteln.

»Na, gefällt dir dein Zimmer?« Marie stand plötzlich in der Tür. Ich hatte sie nicht kommen hören. Sie trug jetzt ein anderes Kleid, dunkelblau mit weißen Punkten.

»Marie, du hast mich erschreckt«, sagte ich und versuchte, ruhig zu klingen.

»Ja, das Zimmer ist sehr schön. Möchtest du mir beim Auspacken helfen?« Sie kam näher, ihre Bewegungen seltsam steif.

»Clara mochte das Zimmer auch. Am Anfang.« Ein süffisantes Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Aber dann hat sie angefangen, diese Geräusche zu hören.«

»Welche Geräusche?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte.

»Das darfst du nicht fragen«, flüsterte Jonas, der plötzlich hinter seiner Schwester aufgetaucht war. Seine großen blauen Augen waren vor Angst geweitet. Marie drehte sich ruckartig zu ihm um.

»Sei still!«, zischte sie. Dann wandte sie sich wieder mir zu, ihr Gesichtsausdruck wieder völlig neutral.

»Mama sagt, wir sollen dir beim Eingewöhnen helfen.«

»Das ist sehr nett von euch«, erwiderte ich vorsichtig. Etwas an der Art, wie die beiden sich bewegten und sprachen, fühlte sich falsch an. Als würden sie eine einstudierte Rolle spielen. Ein schriller Schrei von draußen ließ uns alle zusammenzucken.

»Nur eine Möwe«, sagte Marie schnell, zu schnell. Jonas Unterlippe begann zu zittern. Ich trat ans Fenster und schob die schweren Vorhänge zur Seite. Der Garten unter mir war perfekt gepflegt, mit symmetrisch geschnittenen Buchsbäumen und einem kleinen Springbrunnen. Am Rand des Grundstücks stand eine alte Schaukel, die sich leicht im nicht vorhandenen Wind bewegte.

»Warum zeigt ihr mir nicht das Haus?«, schlug ich vor, um die seltsame Stimmung zu durchbrechen. Maries Augen leuchteten auf eine Art, die mir Unbehagen bereitete.

»Oh ja«, sagte sie.

»Wir zeigen dir alles. Außer den Dachboden natürlich. Da darf niemand hin. Absolut niemand.« Sie betonte jedes Wort übertrieben deutlich. Wir verließen mein Zimmer und die Kinder führten mich durch endlose Korridore. Das Haus war ein Labyrinth aus dunklem Holz und teuren Antiquitäten. Überall hingen Gemälde von ernst dreinblickenden Vorfahren.

»Das ist Papas Arbeitszimmer«, erklärte Marie und deutete auf eine verschlossene Tür.

»Da dürfen wir auch nicht rein. Papa arbeitet viel. Sehr viel.« Sie wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Jonas.

»Was macht euer Vater beruflich?«, fragte ich, während wir weitergingen. Die Dielen knarrten unter unseren Füßen.

»Er ist Investmentbanker«, antwortete Marie.

»Er verdient sehr viel Geld.« Sie klang wie eine schlechte Imitation ihrer Mutter.

»Aber manchmal kommt er tagelang nicht aus seinem Büro.« Jonas zupfte an meinem Ärmel.

»Clara hat auch immer gefragt«, flüsterte er.

»Sie hat zu viel gefragt. Deshalb ist sie...« Marie stieß ihm den Ellbogen in die Seite und er verstummte abrupt. Wir erreichten die große Küche im Erdgeschoss. Sophia stand am Herd und rührte in einem Topf. Der Geruch von Vanille und etwas anderem, Undefinierbarem lag in der Luft.

»Ah, da seid ihr ja«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

»Kinder, geht bitte in eure Zimmer und packt eure Schultaschen aus. Ich muss mit Frau Weber den Wochenplan besprechen.« Marie und Jonas verließen die Küche mit der gleichen unnatürlichen Steifheit, mit der sie sich die ganze Zeit bewegt hatten. Als ihre Schritte verklungen waren, drehte sich Sophia zu mir um.

»Sie müssen entschuldigen«, sagte sie mit einem künstlichen Lächeln.

»Die Kinder sind noch... verstört. Wegen Clara. Sie war fast ein Jahr bei uns, wissen Sie? Die Kinder hatten sich so an sie gewöhnt.«

»Was ist denn mit ihr passiert?«, wagte ich zu fragen. Sophias Lächeln gefror.

»Sie hatte... Probleme. Psychische Probleme. Sie bildete sich Dinge ein. Hörte Geräusche. Sah Dinge, die nicht da waren.« Sie wandte sich wieder dem Herd zu.

»Am Ende mussten wir sie gehen lassen. Zu ihrem eigenen Besten.« Ein metallisches Klirren ließ mich zusammenzucken. Sophia hatte den Löffel fallen lassen.

»Entschuldigung«, murmelte sie und bückte sich danach. Ihre Hände zitterten leicht.

»Der Wochenplan«, sagte sie hastig und zog einen dicken Ordner aus einem Küchenschrank.

»Alles ist genau durchstrukturiert. Die Kinder brauchen ihre Routine.« Sie schlug den Ordner auf und begann, mir den geplanten Tagesablauf zu erklären. Während sie sprach, wanderten meine Augen zu einem Foto an der Küchenwand. Es zeigte die Familie vor dem Haus, alle lächelnd, perfekt arrangiert. Aber etwas stimmte nicht mit dem Bild. Am Rand, halb verdeckt von einem Vorhang im Fenster, war ein verschwommenes Gesicht zu sehen.

»Ist alles klar soweit?«, Sophias Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich nickte automatisch, obwohl ich kaum zugehört hatte.

»Gut. Dann können Sie ja mit dem Abendessen beginnen. Die Kinder mögen ihre Nudeln...«

»...ohne Soße, nur mit Butter«, unterbrach eine Stimme von der Tür. Henrik stand dort, hatte seinen Anzug gegen einen Pullover getauscht.

»Wie ihre Mutter.« Er lächelte, aber es erreichte seine Augen nicht. Die Spannung in der Küche war plötzlich zum Greifen. Sophias Körper versteifte sich merklich.

»Ich dachte, du arbeitest«, sagte sie mit brüchiger Stimme.

»Ich mache eine Pause«, erwiderte er und trat näher.

»Wollte sehen, wie sich unser neues Kindermädchen einlebt.« Seine Augen bohrten sich in meine.

»Sie haben doch keine... Ängste, oder? Klaustrophobie? Probleme mit alten Häusern?« Ich schüttelte den Kopf.

»Nein, gar nicht.« Eine Lüge. Seit ich das Haus betreten hatte, fühlte ich mich wie in einer langsam zuschnappendem Falle.

»Ausgezeichnet«, sagte er.

»Clara hatte solche Ängste. Am Ende. Sie behauptete, die Wände würden sich bewegen. Die Treppen ihre Position ändern.« Er lachte kurz auf.

»Lächerlich, nicht wahr?« Ein Scheppern von oben ließ uns alle aufblicken.

»Die Kinder«, sagte Sophia schnell.

»Sie sollen nicht mit ihren Spielsachen werfen.«

»Ich sehe nach ihnen«, bot ich an, froh, der beklemmenden Atmosphäre in der Küche entkommen zu können.

»Nein!«, sagten beide Eltern gleichzeitig. Zu laut, zu schnell. Henrik räusperte sich.

»Ich meine, das ist nicht nötig. Sie bleiben besser hier unten. Die Kinder... sie brauchen manchmal ihre Ruhe.« Das Poltern über uns wurde lauter, rhythmischer. Wie Schritte, die immer schneller wurden. Sophias Gesicht war kreidebleich geworden.

»Der Wind«, sagte Henrik mit Nachdruck.

»Nur der Wind.« Aber draußen bewegte sich kein Blatt. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare aufstellten. Etwas stimmte ganz und gar nicht in diesem Haus. Und ich begann zu ahnen, dass Clara vielleicht doch nicht so verrückt gewesen war, wie alle behaupteten.

»Ich zeige Ihnen jetzt die Vorratskammer«, sagte Sophia hastig und griff nach meinem Arm. Ihr Fingernägel gruben sich schmerzhaft in meine Haut.

»Sie müssen wissen, wo alles steht.« Sie führte mich durch eine schmale Tür neben dem Kühlschrank. Die Vorratskammer war überraschend groß und erstreckte sich tief in das Haus hinein. Regale voller Konserven und Vorräte reihten sich aneinander.

»Ganz hinten«, Sophia deutete in die Dunkelheit, »stehen die Speziallebensmittel für Jonas. Er hat Allergien.« Ihre Stimme klang gepresst.

»Viele Allergien.« Als wir tiefer in die Kammer gingen, fiel mir ein seltsamer Geruch auf. Süßlich und modrig zugleich. Er wurde stärker, je weiter wir vordrangen. Plötzlich blieb Sophia stehen.

»Hören Sie«, flüsterte sie, den Blick starr nach vorne gerichtet.

»Was Sie vorhin über Clara gehört haben... es stimmt nicht. Nicht alles.« Mein Herz begann schneller zu schlagen.

»Was meinen Sie?«, fragte ich leise zurück.

»Sie ist nicht gegangen. Sie...« Sophia verstummte abrupt. Schritte näherten sich der Vorratskammer.

»Henrik«, zischte sie.

»Schnell, tun Sie so, als würde ich Ihnen die Vorräte erklären.«

»Schatz?« Henriks Stimme klang durch die Kammer.

»Wo steckst du?« Seine Schritte kamen näher.

»Hier hinten, Liebling!«, rief Sophia mit übertrieben fröhlicher Stimme.

»Ich zeige Frau Weber gerade die Vorräte für Jonas Spezialdiät.« Henrik erschien im schwachen Licht der einzelnen Glühbirne. Sein Gesicht lag halb im Schatten.

»Das kann warten. Marie möchte ihre neue Klavierstunde besprechen.« Sophia nickte mechanisch und ging schnell an ihm vorbei. Ich wollte ihr folgen, aber Henrik stellte sich mir in den Weg.

»Wissen Sie«, sagte er leise, »Clara verbrachte viel Zeit hier unten. Sie sagte, sie würde hier unten Stimmen hören.« Ein Schauer lief mir über den Rücken. Der süßliche Geruch wurde plötzlich übermächtig.

»Ich sollte nach oben gehen«, sagte ich und versuchte, meine Stimme ruhig zu halten.

»Natürlich«, er trat zur Seite. Als ich an ihm vorbeiging, packte er plötzlich meinen Arm.

»Noch etwas, Frau Weber. Halten Sie sich von dem alten Dienstbotenaufgang fern. Er ist nicht sicher. Clara war dort auch oft. Zu oft.« Ich nickte stumm und flüchtete förmlich aus der Vorratskammer. In der Küche lehnte ich mich schwer atmend gegen die Wand. Was hatte Sophia mir sagen wollen? Und was war wirklich mit Clara geschehen? Ein leises Kichern ließ mich herumfahren. Marie stand in der Küchentür, ihre Augen unnatürlich groß.

»Clara hat auch immer so geschaut«, sagte sie mit singender Stimme.

»Kurz bevor sie anfing zu schreien.«

»Marie«, ermahnte ich sie mit zittriger Stimme.

»Solche Dinge sagt man nicht.« Sie kam näher, ihre Bewegungen katzenhaft und lauernd.

»Weißt du«, flüsterte sie, »Clara hat gesagt, dass nachts jemand an ihrer Tür klopft. Erst ganz leise.« Sie klopfte mit ihrem Zeigefinger sanft gegen den Küchentisch.

»Dann immer lauter.« Der Rhythmus wurde intensiver.

»Das reicht jetzt«, sagte ich mit mehr Autorität. Marie lächelte nur, ein kaltes, erwachsenes Lächeln.

»Papa sagt, wir sollen nicht darüber reden. Aber ich weiß, dass du sie auch bald hören wirst. Die Geräusche vom Dachboden. Das Kratzen in den Wänden. Die Schritte im alten Dienstbotengang.« Jonas erschien hinter seiner Schwester, die Augen rot vom Weinen.

»Marie, nicht«, flehte er.

»Du weißt, was Papa gesagt hat.« Ein durchdringender Ton ließ uns alle zusammenzucken. Die Türklingel. Maries Gesicht verwandelte sich augenblicklich in das eines normalen achtjährigen Mädchens.

»Das ist bestimmt Frau Brinkmann zum Klavierunterricht!« Sophias Absätze klackerten durch die Eingangshalle. Ich hörte gedämpfte Stimmen, dann das Geräusch der sich schließenden Haustür. Aber keine weiteren Schritte.

»Marie!«, rief Sophia.

»Deine Klavierlehrerin ist krank. Die Stunde fällt aus.« Ihre Stimme klang seltsam. Maries Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Sie lügt«, zischte sie. »Frau Brinkmann ist nie krank. Nie.« Sie packte Jonas Hand.

»Komm, wir gehen nach oben.« Als die Kinder weg waren, wagte ich mich in die Eingangshalle. Sophia stand wie versteinert vor der geschlossenen Tür, ein zerknittertes Stück Papier in der Hand.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte ich vorsichtig. Sie zuckte zusammen und verbarg das Papier hastig in ihrer Tasche.

»Natürlich«, sagte sie mit einem falschen Lächeln.

»Nur eine Absage. Nichts Wichtiges.« Aber ich hatte das Wort »WARNUNG« in großen roten Buchstaben auf dem Zettel gesehen. Ein Blick auf die alte Standuhr zeigte mir, dass es Zeit für das Abendessen war.

»Ich fange dann mal mit dem Kochen an«, sagte ich und ging zurück in die Küche. Während ich Wasser für die Nudeln aufsetzte, hörte ich über mir wieder diese rhythmischen Schritte. Sie bewegten sich von einer Ecke des Hauses zur anderen, immer im gleichen Takt. Wie ein Pendel. Wie ein Countdown. Dann begann das Flüstern in den Wänden. Das Flüstern wurde lauter, ein undeutliches Murmeln, das durch die Rohre zu kommen schien. Ich versuchte, mich auf das Nudelwasser zu konzentrieren, aber die Geräusche wurden immer eindringlicher.

»Sie flüstern wieder, nicht wahr?« Jonas stand plötzlich neben mir, sein kleines Gesicht ernst und blass.

»Clara hat auch immer so gezittert, wenn sie es gehört hat.« Ich bemerkte erst jetzt, dass meine Hände zitterten. Der Löffel in meiner Hand klapperte gegen den Topf.

»Das sind nur die alten Rohre«, sagte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm.

»Nein«, sagte er leise.

»Das sind sie nicht. Sie wollen uns etwas sagen. Über Clara.« Er trat näher, seine Stimme kaum mehr als ein Hauch.

»Sie ist noch hier. Irgendwo. Ich habe sie gesehen.« Ein lautes Räuspern ließ uns beide zusammenfahren. Henrik stand im Türrahmen, sein Gesicht eine Maske der Missbilligung.

»Jonas, geh auf dein Zimmer. Sofort.« Der Junge huschte davon wie ein verschrecktes Tier. Henrik trat näher, seine Schuhe klackten bedrohlich auf den Fliesen.

»Kinder und ihre Fantasie«, sagte er mit einem Lächeln, das seine Augen nicht erreichte.

»Man darf sie nicht zu ernst nehmen.«

»Natürlich nicht«, log ich und wandte mich wieder dem Herd zu. Meine Nackenhaare stellten sich auf, als ich seine Präsenz hinter mir spürte.

»Wissen Sie«, sagte er, »Clara hatte auch diese... Angewohnheit, den Kindern zuzuhören. Ihren Geschichten zu glauben.« Er machte eine Pause.

»Das war ihr Fehler.« Das Nudelwasser kochte über. Zischend ergoss es sich über den Herd. Als ich mich umdrehte, war Henrik verschwunden. Aber das Flüstern in den Wänden war lauter geworden. Mit zittrigen Händen wischte ich das verschüttete Wasser auf. Dabei fiel mein Blick auf eine Ritze zwischen den Fliesen. Etwas Dunkles, Verkrustetes hatte sich dort festgesetzt. Es sah aus wie...

...getrocknetes Blut. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Mit zitternden Fingern kratzte ich an der dunklen Substanz. Sie löste sich in kleinen, rostbraunen Flocken.

»Das würde ich nicht tun.« Maries Stimme ließ mich zusammenzucken. Sie stand im Türrahmen, ihr blondes Haar wie ein Heiligenschein im Licht der untergehenden Sonne.

»Mama wird böse, wenn man in den Ritzen kratzt.« Ich richtete mich hastig auf.

»Das Nudelwasser ist übergelaufen«, erklärte ich schwach. Maries Lächeln wurde breiter.

»Clara hat auch immer in den Ritzen gekratzt«, sagte sie beiläufig.

»Sie sagte, sie müsse Beweise finden. Beweise für das, was im Dienstbotengang passiert ist.« Ein Scheppern von oben ließ uns beide aufblicken. Es klang wie fallendes Metall, gefolgt von einem dumpfen Schlag. Maries Gesicht verlor jegliche Farbe.

 »Er ist wütend«, flüsterte sie.

»Papa mag es nicht, wenn wir über den Gang reden. Oder über Clara.« Sie trat näher, ihre Stimme kaum hörbar.

»Weißt du, was das Beste an diesem Haus ist? Die Wände sind so dick, dass niemand die Schreie hört.«

»Marie!«, Sophias Stimme schnitt durch die Küche.

»Geh nach oben und mach dich fürs Abendessen fertig.« Das Mädchen gehorchte sofort, aber im Hinausgehen drehte sie sich noch einmal um. Ihre Augen trafen meine, und für einen Moment sah ich echte Angst darin.

»Entschuldigen Sie meine Tochter«, sagte Sophia mit gezwungenem Lächeln.

»Sie hat eine... lebhafte Fantasie. Das Haus ist alt, da knarzt es eben manchmal.«

»Natürlich«, erwiderte ich. Aber wir beide wussten, dass das, was wir gehört hatten, kein gewöhnliches Knarzen war.

»Das Abendessen«, sagte Sophia hastig.

»Die Nudeln...« Sie verstummte, als wir beide das leise Klopfen hörten. Es kam aus der Wand neben dem Herd. Rhythmisch. Beharrlich. Sophias Gesicht wurde aschfahl.

»Ich... ich muss nach Henrik sehen«, murmelte sie und floh förmlich aus der Küche. Das Klopfen wurde lauter. Deutlicher. Als würde jemand versuchen, durch die Wand zu kommunizieren. Ich presste mein Ohr gegen die kühlen Fliesen und hielt den Atem an. Da war es. Schwach, aber unverkennbar. Eine Stimme, die meinen Namen flüsterte. Und sie kam aus dem Dienstbotengang. Mit zitternden Händen tastete ich die Wand ab. Irgendwo musste der Eingang zum Dienstbotengang sein. Das Flüstern wurde drängender, verzweifelter. Hinter dem großen Küchenschrank entdeckte ich eine schmale Tür, fast unsichtbar. Der Türgriff war staubig, aber darunter blitzte abgenutztes Messing.

»Nicht«, hörte ich Jonas ängstliche Stimme von der Küchentür. Er stand dort wie ein kleiner Geist, die Augen weit aufgerissen.

»Papa wird sehr böse, wenn jemand die Tür öffnet.«

»Was ist dort drin, Jonas?«, fragte ich leise.

»Was ist mit Clara passiert?« Er schüttelte heftig den Kopf und wich zurück.

»Sie hat auch immer gefragt«, flüsterte er.

»Immer weiter gefragt, bis sie die Antwort fand. Und dann...« Er schluckte schwer.

»Dann hat Papa sie in sein Arbeitszimmer gerufen. Das war das letzte Mal, dass wir sie gesehen haben.« Das Klopfen wurde lauter, fordernder. Meine Finger schlossen sich wie von selbst um den Türgriff. Er war eiskalt.

»Er kommt!«, zischte Jonas plötzlich und verschwand blitzschnell. Sekunden später hörte ich Henriks schwere Schritte auf dem Flur. Hastig trat ich von der Tür weg und griff nach den Nudeln. Als Henrik die Küche betrat, tat ich so, als würde ich sie abgießen.

»Probleme mit dem Abendessen?«, fragte er mit samtweicher Stimme. Seine Augen fixierten mich wie ein Raubtier seine Beute.

»Nein, alles in Ordnung«, log ich. Das Klopfen war verstummt, aber die Luft in der Küche schien zu vibrieren vor unterschwelliger Spannung.

»Wissen Sie«, sagte Henrik und trat näher, »Clara war eine exzellente Köchin. Aber sie hatte diese... unglückliche Angewohnheit, ihre Nase in Dinge zu stecken, die sie nichts angingen.« Er stand jetzt direkt hinter mir. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken.

»Manchmal«, fuhr er fort, »ist es besser, nicht alles wissen zu wollen. Verstehen Sie?« Ich nickte stumm, während mein Herz raste. Seine Hand legte sich schwer auf meine Schulter.

»Gut«, sagte er leise.

»Sehr gut. Dann werden Sie und ich sicher gut miteinander auskommen. Anders als Clara...« Ein markerschütternder Schrei von oben unterbrach ihn. Es war Maries Stimme. Henrik erstarrte für einen Moment, dann stürmte er aus der Küche. Ich hörte seine Schritte die Treppe hinaufeilen, gefolgt von Sophias panischer Stimme: »Marie! Was ist passiert?« Mein Instinkt sagte mir, ich sollte nach oben laufen, nach dem Mädchen sehen. Aber etwas hielt mich zurück. Der Dienstbotengang. Die Tür. Jetzt war meine Chance. Mit zitternden Fingern drehte ich den eiskalten Türgriff. Er bewegte sich schwergängig, als wäre er seit Jahren nicht benutzt worden. Das alte Holz ächzte protestierend. Der Gang dahinter war pechschwarz. Modrige Luft schlug mir entgegen, vermischt mit diesem süßlichen Geruch, den ich schon in der Vorratskammer bemerkt hatte. Ich zog mein Handy heraus und aktivierte die Taschenlampe. Der schmale Korridor war mit verblichener Tapete ausgekleidet, die sich in feuchten Fetzen von den Wänden löste.

»Hallo?«, flüsterte ich in die Dunkelheit. Meine Stimme wurde von den feuchten Wänden verschluckt. Kein Klopfen mehr, kein Flüstern. Nur absolute Stille. Vorsichtig machte ich einen Schritt in den Gang hinein. Der Boden unter meinen Füßen war uneben. Als ich nach unten leuchtete, sah ich Kratzer im alten Holz. Lange, verzweifelte Kratzer. Etwas knirschte unter meinem Schuh. Ich bückte mich und hob es auf. Es war eine Halskette, ein einfaches silbernes Kreuz an einer feinen Kette. Sie war mit dunklen Flecken übersät.

»Das gehörte Clara«, sagte eine leise Stimme hinter mir. Ich wirbelte herum. Marie stand im Türrahmen, ihr weißes Kleid im Licht meiner Taschenlampe gespenstisch leuchtend.

»Dein Schrei...«, begann ich, aber sie unterbrach mich mit einem kalten Lächeln.

»War nur eine Ablenkung«, sagte sie sachlich.

»Damit du die Tür öffnest. Ich wusste, dass du es tun würdest. Genau wie Clara.« Im selben Moment hörte ich, wie sich hinter Marie schwere Schritte näherten. Henrik. Er würde jeden Moment hier sein.

»Lauf«, flüsterte Marie plötzlich, ihre Stimme hatte jede Kälte verloren.

»Lauf, bevor er dich auch findet. Wie Clara. Wie all die anderen.« Das Geräusch der Schritte kam näher. Maries Augen weiteten sich vor Angst.

»LAUF!« Ich stürzte tiefer in den Gang hinein, das schwache Licht meines Handys als einzige Führung. Hinter mir hörte ich Henriks wütende Stimme: »Wo ist sie?« Der Gang machte eine scharfe Biegung nach links. Mein Atem ging keuchend, während ich weiterstolperte. Das Handylicht tanzte wild über die feuchten Wände, warf groteske Schatten.

»Sie ist hier drin!«, hörte ich Henriks Stimme durch den Gang hallen. Seine Schritte donnerten hinter mir her. Der süßliche Geruch wurde stärker, beinahe erstickend. Plötzlich endete der Gang in einer massiven Holztür. Meine zitternden Hände zerrten am Türgriff – verschlossen.

»Nein, nein, nein«, murmelte ich panisch. Das Licht meines Handys flackerte.

---ENDE DER LESEPROBE---