Sylt. Tödliche Insel - Silke Jensen - E-Book
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Sylt. Tödliche Insel E-Book

Silke Jensen

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Beschreibung

Wenn eine idyllische Urlaubsinsel zur tödlichen Falle wird … „Sylt. Tödliche Insel“ von Silke Jensen jetzt als eBook bei dotbooks. Endlich Urlaub! Endlich Sylt! Der Tierarzt Thomas und seine Frau haben sich die freie Zeit redlich verdient. Doch schon auf dem Weg zum Hotel fallen Thomas schwerkranke Tiere auf den Weiden auf – er denkt sich nichts dabei, doch dann bekommt seine Frau hohes Fieber und stirbt kurz darauf. Verzweifelt macht sich Thomas auf die Suche nach der Todesursache … Kann er verhindern, dass eine schreckliche Epidemie die idyllische Ferieninsel in einen Ort des Grauens verwandeln wird? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Sylt. Tödliche Insel“ von Silke Jensen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 407

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Über dieses Buch:

Endlich Urlaub! Endlich Sylt! Der Tierarzt Thomas und seine Frau haben sich die freie Zeit redlich verdient. Doch schon auf dem Weg zum Hotel fallen Thomas schwerkranke Tiere auf den Weiden auf – er denkt sich nichts dabei, doch dann bekommt seine Frau hohes Fieber und stirbt kurz darauf. Verzweifelt macht sich Thomas auf die Suche nach der Todesursache … Kann er verhindern, dass eine schreckliche Epidemie die idyllische Ferieninsel in einen Ort des Grauens verwandeln wird? 

Über die Autorin:

Silke Jensen ist ein Pseudonym der Bestseller-Autorin Kari Köster-Lösche. Sie wurde 1946 in Lübeck geboren, ist Tierärztin und Geschichtsexpertin und hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.

Unter dem Namen Kari Köster-Lösche veröffentlicht sie bei dotbooks folgende Romane: »Die Erbin der Gaukler«, »Jagd im Eis«, »Die Wagenlenkerin«, »Die Hexe von Tondern«, »Die Reeder«, »Die Heilerin von Alexandria« und das Kinderbuch »Stille Nacht, eisige Nacht« sowie zwei historische Romanserien:

DIE WIKINGER-SAGA:»Der Thorshammer – Band 1«»Das Drachenboot – Band 2«»Die Bronzefibel – Band 3«

DIE SACHSEN-SAGA:»Das Blutgericht – Erster Roman«»Donars Rache – Zweiter Roman«»Mit Kreuz und Schwert – Dritter Roman«

Beide Romanserien sind jeweils auch als Sammelbände erhältlich.

***

eBook-Neuausgabe Mai 2016

Dieses Buch erschien bereits 2002 unter dem Titel »Das Sylt-Virus« im Econ Ullstein List Verlag.

Copyright © der Originalausgabe 2002 by Econ Ullstein List Verlag GmbH 8c Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/FotoHamBorg-Borg Enders

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-470-2

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Silke Jensen

Sylt – Tödliche Insel

Roman

dotbooks.

Prolog

If you do not like what a scientist is saying, get another scientist.

Ostsylt

Über dem Meer im Osten zeigte schon ein schmaler Streifen Helligkeit den dämmernden Tag an. Aber noch war Zeit. Noch lag tiefe Schwärze über der Weide, auf der zwei Männer ein Loch gruben.

Ein dritter hielt Wache auf dem Feldweg, der einzigen Richtung, aus der sich jemand nähern konnte, was fatal gewesen wäre. Sie wussten nur zu gut, dass sie gerade dabei waren, gegen das Tierseuchengesetz zu verstoßen.

»Wie tief noch, Vater?«

»Mindestens zwei Meter.«

»Da unten ist aber Wasser …«

»Und wenn schon. In die Stiefel wird es dir nicht hereinlaufen.«

Der junge Mann murrte unhörbar und grub weiter. Der Kleiboden war schwer, verfestigt von den Tritten der Rinder. Auch war er nie gepflügt worden, weil er für den Ackerbau zu nass war. Große Erdklumpen rutschten an den Seiten herab und der Sohn fühlte sich wie in einem Brunnenschacht.

Stunden schienen vergangen und das Loch war weit wie ein Badezimmer geworden, als sein Vater endlich mit gedämpfter Stimme herunterrief: »Lass gut sein, Ove! Komm hoch!« Er ließ ihm die Leiter herunter.

Dann schleiften sie das Rind an den Rand der Grube.

Der Vater keuchte, als er die Taschenlampe auf den Kadaver richtete. »Will verdammt sein, wenn ich so etwas schon einmal gesehen habe«, fluchte er. »Eine kaum tote Kuh ist doch nicht steif wie ein tiefgefrorenes Stück aus dem Kühlhaus! Wir müssen die Beine an den Gelenken abschneiden und daneben legen. Hol das Schlachtmesser.«

»Seid ihr bald fertig?«, zischte der Nachbar, der im Schatten des Anhängers stand, aber jetzt schon deutlich erkennbar war. »Junge, es wird bald hell …«

»Reg dich nicht auf, so früh kommt keiner auf die Weide«, antwortete Ove. »Das Vieh sperrt sich noch … Mit dem stimmt wirklich etwas nicht. Aber wir fangen gleich an zu schaufeln. Du kannst schon mitkommen.«

Er beeilte sich, zu seinem Vater zurückzukehren. Der riss ihm das Messer aus der Hand, machte einen tiefen Schnitt in das Fleisch des Rindes und stemmte sich auf den Vorderlauf, der sich mit einem Knacken an den schwarzweißen Leib legte. Das Brechen der Gelenke hörte sich widerlich an.

»Komm jetzt!«, schnauzte sein Vater. »Soll ich alles allein machen?«

Zu dritt rollten sie den Kadaver über die Erdmassen in das Loch hinein. Ove putzte sich die Hände im taunassen Gras ab und machte sich dann mit Feuereifer ans Zuschaufeln.

Als sie die Erde festgetreten und das Grab mit den ausgestochenen Grassoden bedeckt hatten, dämmerte es. Ove sammelte die Schaufeln ein, um sie zum Auto zu tragen. Entgeistert blieb er vor seinem Vater stehen.

»Beweg dich, Ove! Lernt ihr auf der Universität nicht mal das?«

»Sieh dich an, Vater«, flüsterte Ove.

Auch der Nachbar verzog angeekelt sein Gesicht.

Die Hände des Altbauern waren nass von wässerigem Blut, dessen Farbe stellenweise ins Bräunliche spielte. Und an seiner blauen Jacke klebten lange rosa Fetzen, die vor kurzem noch das Flotzmaul des Rindes gewesen waren. Stinkender gelblicher Schleim hielt sie am Stoff fest.

»Das war keine Maul- und Klauenseuche«, sagte der Nachbar bedächtig.

»Natürlich war es keine MKS!«, fuhr der Alte ihn gereizt an und entledigte sich der Jacke, so schnell er konnte. »Ich wusste schon, warum ich das Mistvieh verschwinden lassen musste. Bloß kein Aufsehen!«

Mit der schwarzbunten Kuh hatten auch alle anderen Organismen, die auf ihr, in ihr und von ihr lebten, ein plötzliches Ende gefunden: Die Larven der Dasselfliegen hielten zwar ihre Atemöffnungen noch eine Weile offen; die borstigen Stacheln der Leberegel aber wurden weich und blieben in Blut und Lebergewebe stecken; die zwirnsfadendünnen, grauen Lungenwürmer erschlafften und streckten sich.

Teil 1

Die nützlichen Bakterien des Magens und des Darms beendeten ihre Verdauungstätigkeit, lange bevor die sinkende Körpertemperatur des Wirtes ihren Stoffwechsel lahm legte und die entstehenden Methangase ein ihnen feindliches, tödliches Milieu schufen.

Und auch die Viren, die in einigen Zellen des Rinderkörpers schmarotzt hatten, wurden abrupt an der Weitergabe ihrer Erbinformation gehindert. Sie waren ohnehin ein Irrtum der Natur.

Kapitel 1

»Erledigt«, sagte Thomas Hamm munter und legte die Injektionsspritze weg. »Ein Glück, dass wir noch nicht so viel Kummer mit unbekannten Infektionen haben wie unsere Kollegen in der Humanmedizin.«

Herr und Hund starrten ihn gleichermaßen überrascht an. Die acht Jahre ihres Zusammenlebens hatten sie einander immer ähnlicher werden lassen.

Hamm fühlte sich bei seinen Überlegungen ertappt. »Oder, vielmehr«, korrigierte er sich, »sind die Tiere wohl ebenso befallen von Bakterien und Viren, aber wir identifizieren sie nicht.«

»Wollen Sie damit sagen«, fragte ihn der Besitzer der großen, fast weißen Dogge in streitsüchtigem Ton, »dass die Tiere Ihnen wurscht sind? Sie behandeln sie nicht sachkundig?« Seine eisgrauen Augenbrauen zogen sich bedrohlich zusammen.

Die Dogge richtete ihre goldbraunen Augen auf Hamm und zog leicht die Lefzen hoch. Kein Lächeln, eine Warnung. Ihre Zähne waren wie die ihres Besitzers ausgesprochen weiß. Fleischfresser, dachte Hamm und behielt die Hand des Mannes im Auge, die das Kettenhalsband umschloss und allmählich weiß vor Anstrengung wurde.

Die Dogge begann entschlossen vorwärts zu tappen.

Hamm rührte sich nicht. »Du meine Güte«, sagte er,

»selbstverständlich behandeln wir sie nach bestem Wissen. Aber ist Ihr Hund vielleicht krankenversichert? Können Sie die hohen Kosten bezahlen für Laboruntersuchungen, die sich womöglich über Wochen erstrecken? Und vor allem, wollen Sie das überhaupt? Nur um zu erfahren, dass Ihr Hund vom Morbillivirus befallen ist, der genauso wenig behandelt werden kann wie ein Herpes, HSV oder XYZ?«

»Stellen Sie erst einmal fest, was für ein Virus es ist, damit Sie wissen, ob Sie überhaupt behandeln können«, knurrte der Hundebesitzer, »dann werde ich feststellen, ob ich bezahlen möchte.« Die Dogge ließ ein tiefes, dröhnendes Bellen ertönen.

»Okay, okay«, sagte Hamm friedfertig und ging zur Tür, um beide zu entlassen. Die Tür fiel hinter dem letzten Patienten dieses Tages zu. Erleichtert wusch er sich die Hände, irgendeine alberne Melodie auf den Lippen.

Dieser Freitag war nicht nur der letzte Tag vor dem Wochenende, sondern vor seinen Ferien. Er zog den Kittel aus, warf ihn in den Korb für Schmutzwäsche, zupfte vor dem Spiegel seinen krausen rötlichen Kinnbart zurecht und strich sich über die lockigen Haare, die einen Ton heller waren. Dann ging er in den angrenzenden Raum, wo eine seiner Sprechstundenhilfen fieberhaft an der Buchführung arbeitete. »Na, noch immer nicht fertig?«, fragte er und stützte die Ellenbogen auf den Tresen.

Sie ließ die Finger auf den Tasten des Computers ruhen und sah auf. »Ich habe es bald geschafft, Dr. Hamm«, sagte sie.

»Fein.« Hamms Gedanken kehrten zu seinem letzten Patienten zurück. »Der kommt wieder«, prophezeite er. »Sagen Sie meinem Vertreter, dass der Mann zu den Querulanten gehört. Er soll behutsam mit ihm umgehen. Als Kunden will ich ihn nicht verlieren, auch wenn er ein absolutes Ekelpaket ist.«

Seine Helferin nickte. »Ich werde ihn warnen. Erholen Sie sich gut.«

»Ach, erholen kann man sich bei dem Rummel auf Sylt doch nicht.« Er grinste. »Will ich ja auch nicht. Allerdings, in Diskotheken und Bars rumzuhängen habe ich auch keine Lust. Vielleicht kann ich dort tauchen oder Segelfliegen.«

»Warum fahren Sie denn da hin?«

»Meiner Frau zuliebe. Ich hab es ihr versprochen«, erklärte er knapp. Er stieß einen leisen Seufzer aus, drehte sich um und betrachtete gleichgültig den noch nicht geputzten Praxisraum.

Kleine Blutspritzer unterhalb des Behandlungstisches, der gleichzeitig Operationstisch war, ließen erkennen, dass hier angewandte Wissenschaft praktiziert wurde, abhängig von den Forschungsergebnissen in Universitäten und Pharmafirmen. Hamm hielt seine Praxis auf dem neuesten Stand, aber sein Herz hing nicht an ihr …

Seine große Liebe wäre die Wissenschaft gewesen. Und im Urlaub Segeln. Am liebsten hätte er seinen Urlaub in Griechenland auf einem Kaiki verbracht; die moderne Gin Fizz beim ersten gemeinsamen Segeltörn war bereits ein Kompromiss gewesen, ein Zugeständnis an seine Frau. Aber in diesem Jahr hatte sie auch dies kategorisch abgelehnt. Sylt war ihr recht gewesen.

»Sylt soll echt gut sein.«

Hamm schrak hoch. »Ja, Sylt soll gut sein«, murmelte er, klatschte mit der flachen Hand auf die Theke und verließ seine Praxis.

Die Wohnung lag ziemlich weit von der Praxis entfernt. Mainzer Landstraße, Galluswarte, Platz der Republik. Stickig war es und staubig. Am Messegelände atmete Hamm auf. Ab hier waren die Staus zu dieser Tageszeit nicht mehr schlimm. Als er seine Wohnung in Westhausen endlich erreicht hatte, war es bereits dunkel. Die fünf großen Zimmer waren hell erleuchtet.

Margrit saß mit hochgezogenen Knien auf dem mit weichem hellen Stoff bezogenen Sofa und studierte eine Zeitschrift. Ihre enge Lederhose spannte an den Oberschenkeln, aber sie konnte sie gut tragen. Sie blickte auf, als er näher kam. »Wollen wir’s nicht mit Golf probieren?«, fragte sie. »Oder Heißluftballon. Auf Sylt gibt es alles.« Sie schlang die Arme um seinen Nacken und zog ihn zu sich herunter.

»Meinetwegen Golf, Tauchen oder Raketenfliegen«, antwortete Hamm gut gelaunt. Immerhin hatten seine Ferien in dieser Minute begonnen. Er küsste seine Frau zärtlich auf beide Nasenflügel. »Schon fertig mit Packen?«

Margrit ließ ihn so abrupt los, wie sie ihn eingefangen hatte, und griff wieder nach ihrer Zeitschrift. »Nein, ich hatte noch keine Lust. Außerdem war ich beim Frisör, habe ein paar Einkäufe erledigt, weißt du, den Badeanzug, den ich so gerne haben wollte …«

»Aber der kostete doch über dreihundert Mark!« Hamm war entsetzt. »Kaum ein Stückchen Stoff und dafür so viel Geld! Des Kaisers neue Kleider …«

»Ach, lass mich doch!«, rief Margrit wütend. »Sei nicht so engstirnig. Für Sylt braucht man so etwas. Sonst glauben die Leute noch, ich sei deine arme Verwandte.«

Hamm nickte. Er drehte sich um und ging zum Regal, das die lange Seite des Raums einnahm; schwarz gebeizte Holzbretter auf schlichten Metallstollen nahmen seine luxuriöse Musikanlage auf und wenige Bücher, die wie Skulpturen angeordnet waren. Das war Margrits Werk, ihm selbst war es gleichgültig, wie sie standen, nur zur Hand sollten sie sein. Daneben seine Teddybären. Er nahm einen auf und streichelte das knubbelige, abgegriffene Fell, ohne zu wissen, was er tat. Er wollte keinen Streit, schon gar nicht jetzt. Ein neuer Autoklav für die Praxis wäre wichtiger gewesen, aber er verkniff sich die Bemerkung, setzte das Plüschtier wieder hin und goss sich einen Gin ein.

Margrit beobachtete ihn aus dem Augenwinkel, während sie sich eine Zigarette anzündete.

Hamm warf ihr einen Blick zu. »Wolltest du nicht mit dem Rauchen aufhören?«

»Das sagst du nur, weil du aufgehört hast, stimmt’s?«

Er fühlte sich erwischt und sie lächelte triumphierend.

»Der Zug geht um kurz nach neun. Wir müssen mit dem Packen anfangen. Du bist sowieso immer so spät dran …« Hamm brach ab. Eigentlich hatte er das gar nicht sagen wollen, aber Margrit brachte es immer wieder fertig, ihn zu provozieren. Glücklicherweise hatte sie den letzten Satz nicht mehr gehört.

»Sei doch nicht immer so pedantisch«, sagte sie abfällig. »Wir sind jung, wir wollen unseren Spaß haben. Aber du denkst immer nur darüber nach, was du in der nächsten Minute tun musst. Oder ich. Die Praxis, der Zug, die Koffer. Irgendwie und irgendwann werden wir schon fertig werden. Wenn wir es morgen nicht schaffen, fahren wir eben übermorgen.«

Die Reservierung, dachte er und schwieg verbissen. Das Geld wirft man doch nicht so einfach weg.

Margrit hing anscheinend inzwischen anderen Gedanken nach, worüber er ganz froh war. Ihre Lippen wurden plötzlich schmal, ihr Nasenrücken scharf. »Wenn’s wenigstens die Praxis wäre«, fuhr sie gehässig fort. »Damit lässt sich ja ganz gut Geld machen, jedenfalls Kollegen von dir tun es. Aber das ist es nicht einmal. Deine Bakterien sind es, die du in Wahrheit liebst. Wenn du mich nicht kennen gelernt hättest, säßest du immer noch als Assistent an der Universität. Für einen Hungerlohn, um es mal deutlich zu sagen.«

»Das nun auch wieder nicht«, murmelte Hamm müde, weil sie das Thema immer wieder aufwärmte. »Ich hätte mich habilitiert.«

Die Glasplatte des Tisches kreischte schrill, als Margrit ihr Glas abstellte. »Professor, was ist das schon. Glaubst du, mit dem Titel kann man heutzutage jemandem imponieren? Eindruck schinden könntest du, wenn du genug Geld verdienen würdest, um uns anständig zu ernähren!«

»Bitte nicht schon wieder!« Hamm wandte sich erbittert ab. Selbst an diesem Abend musste sie wieder den alten Streit heraufbeschwören. Was sollte er denn noch tun? Alle Zugeständnisse, die in diesem Hause gemacht wurden, gingen von ihm aus. Sylt war der letzte Versuch.

Er ging hinüber ins Schlafzimmer und fing an zu packen. Einige Zeit später schlenderte Margrit mit der Zigarette zwischen den Fingern hinter ihm her und sah seiner hektischen Tätigkeit mit amüsiertem Lächeln zu.

Der Zug flog durch die Landschaft, Mainz und Köln rasten vorbei, in Bremen stiegen mehrere Fahrgäste mit schwarzen Aktenkoffern ein. Margrit verzog ihr Gesicht, als sie ihre Zeitschriften und die Handtasche von dem freien Sitz neben sich räumen musste. Hamm betrachtete verstohlen die beiden Männer, die zugestiegen waren. Den Typ kannte er von früher; das waren keine Manager aus dem kaufmännischen Bereich. Die waren ihm seelenverwandt.

Er hatte sich nicht getäuscht.

»Die O-Antigene beweisen es doch fast«, sagte der eine, ein Dunkelhaariger mit einer Narbe an der Wange.

Typisch: Schmiss einer schlagenden Verbindung, dachte Hamm. Vielleicht auch ein Veterinär. Irgendwie erkannte man sich. Juristen und Soziologen waren anders.

Der andere schüttelte den Kopf. »Ach, keine Spur«, widersprach er, »außerdem ist es nur noch von akademischem Interesse. Syphilis interessiert nicht mehr, seit die Menschheit mit immer neuen Virusarten beglückt wird. Ich wünschte, ich wäre Virologe. Der Virologie und der Genetik gehört die Zukunft. Zu meiner Zeit war es die Bakteriologie.«

Margrit legte ihre Hand auf Hamms Knie. »Wir haben Urlaub, bitte, Thomas«, flüsterte sie.

»Ja, eben.«

»Ich wollte dir gerade etwas Witziges erzählen …«

»Später«, sagte er. Im Moment interessierten ihn die Erlebnisse seiner Frau nicht, während Nachrichten aus der Welt der Wissenschaft immer noch eine unwiderstehliche Faszination auf ihn ausübten.

Um sein Interesse nicht allzu offen zu zeigen, sah er aus dem Fenster. Flache norddeutsche Landschaft, Kopfweiden, langsam fließende breite Flüsse, Kanäle. Ihm gefiel sie. Was ihm nicht gefiel, war die Entdeckung, dass Margrit seine geliebte Wissenschaft immer noch als Konkurrentin ansah. Sie würde nie aufhören, sie zu bekämpfen.

Kurz hinter Altona stellte Hamm sich ans offene Fenster. Sie näherten sich der See. Fast meinte er schon, Wasser riechen zu können.

»Warum grinst du denn so? Bin ich der Anlass für deine Heiterkeit?«, fragte Margrit pikiert.

»Ich habe überhaupt nicht an dich gedacht«, antwortete er, um gleich reuig hinzuzufügen. »Entschuldige, ich habe es nicht so gemeint.«

»Das ist wohl noch die freundlichste Erklärung«, murrte Margrit unversöhnlich.

In Niebüll hatte der Zug fünf Minuten Aufenthalt. Krähen schrien und umkreisten hohe Ulmen neben einem Wasserturm. Die Fußgänger retteten sich mit großen Sprüngen vor dem Unrat, der herabklatschte und den ganzen Bürgersteig schon weiß eingesprenkelt hatte.

Margrit rümpfte angeekelt die Nase. »Und das soll das Sprungbrett nach Sylt sein? Sind wir wirklich im richtigen Zug? Was für eine öde, langweilige Gegend! Nur Kühe und Schafe. Und Friesen, vermute ich.« Sie entzog sich Hamms Arm und begann in ihrer Handtasche zu kramen.

»Ein Urlaub ist für einen Neubeginn gut geeignet«, sagte er leise.

Aber seine Frau zündete sich mit eckigen, kompromisslosen Bewegungen eine Zigarette an und begann zornig zu inhalieren, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

»Endlich«, sagte sie, als draußen ein schriller Pfiff das Signal zum Weiterfahren gab und der Zug anrollte. »Aber ich kann dir sagen, wenn du auf Sylt nur ein einziges Mal das Wort Virus oder Bakterie fallen lässt, kannst du dir die Hoffnung auf einen harmonischen Urlaub abschminken.«

Das ungeduldige Klacken ihrer hohen Absätze verstummte, als er widerwillig nickte. Erleichtert betrachtete er die grauen Steinquader unterhalb des Gleisbettes, die nach wenigen Metern zu einem erhöhten Damm aufwuchsen, auf dem sich sogar das Rattern der Räder anders anhörte. Wenn sie erst einmal auf Sylt angekommen waren, würde Margrit vom Sylter Trubel absorbiert werden. Der Glanz des Reichtums würde ihr gefallen.

»Es ist Ebbe«, stellte Margrit staunend fest und blickte über den glitzernden Schlick, der das Sonnenlicht tausendfach reflektierte und endlos weit schien. »Das Meer ist fast bis an den Horizont zurückgedrängt. Wann kann man denn dann baden?«

»Ja, schön«, sagte Hamm bewundernd. »Irgendwann wird es schon gehen. Andere Menschen baden ja hier auch. Bei Hut, vermute ich.« Er versuchte, die Missstimmung von eben zu vergessen.

Einige Minuten später ging der Damm in Grünland über. Sylt. Hamm zog das Fenster hinunter und steckte die Nase in den Wind. »Genau so habe ich es mir vorgestellt«, sagte er, als er das Gesicht wieder zurückgezogen hatte. »Schafe, Rinder, Pferde und im Hintergrund die See.«

Unterhalb des Bahndeiches lagen Weiden und hin und wieder Häuser, die sich allmählich zu einem Ort verdichteten. Als die Reetdächer immer näher an den Eisenbahndamm heranrückten, um schließlich fast an ihm hochzuklettern, blieb Hamms Blick an einem von ihnen hängen. »Morsum«, las er am Bahnhofsgebäude ab. »Hoffentlich wohnen wir in einem solchen Friesenhaus.«

»Hoffentlich nicht.« Margrit drückte die Zigarette mit einer energischen Bewegung aus. »Hoffentlich ist das Friesische Haus nicht so, wie es sich anhört. Zugige Ritzen und Spinnen überall!«

»Meine Güte, es ist ein Hotel. Die Preise sprechen nicht für eine Kate«, verteidigte Hamm verdrossen seine Wahl. Dann zeigte er verwundert auf die Weide, an der sie gerade vorüberfuhren.

Die meisten Tiere waren Milchkühe, aber in der Herde befanden sich auch einige Jungrinder. Wie Erstklässler in der Grundschule hatten sie sich von den Älteren abgesondert, lagen dicht beieinander in einer kleinen Senke und kauten wieder. Nicht weit von ihnen lag eine einzelne Milchkuh auf dem Rücken, die Beine steif in die Höhe gestreckt. Ihr Bauch war aufgebläht, als stünde er kurz vor dem Platzen.

»Merkwürdig«, murmelte Hamm. »Es ist Nachmittag und jede Menge Verkehr. Aber die Besitzer haben anscheinend noch nicht entdeckt, dass sie ein totes Rind auf der Weide haben.«

»Bestimmt eine Bakterienerkrankung, wenn es nach dir ginge!« Margrits Stimme klang gehässig. »Aber es ist nicht dein Bier! Und ich will nichts mehr davon hören.«

»Ja, ich weiß«, antwortete Hamm abwesend. Ihm war beim Anblick des Kadavers unbehaglich geworden. Obwohl er ihn wegen der Geschwindigkeit des Zuges nur kurz hatte sehen können, war ihm irgendetwas seltsam vorgekommen.

Es dauerte einige Zeit, bis der Zug entladen war und sie in ihren Wagen steigen konnten. Hamm entdeckte einen großen Plan von Westerland und Sylt, an dem sie hielten, um sich zu orientieren.

Der Autoverkehr war fast großstädtisch. Staus wie zur Frankfurter Rushhour hatte Hamm hier eigentlich nicht erwartet. Und überall Hinweisschilder auf Restaurants, Kneipen, Strände, Surfspezialisten. Na ja, wegen Margrit war er eigentlich ganz froh darüber.

Als sie den Stadtrand erreichten, wurde es ruhiger. Die Sonne stand schon tief im Westen und ließ die Reetdächer golden aufleuchten.

»Ich glaube, es wird mir doch gefallen«, sagte Margrit heiter und drückte ihre halb aufgerauchte Zigarette aus.

Hamm nickte erleichtert, entdeckte in diesem Augenblick eine reetgedeckte Tafel mit dem Hinweis auf ihr Hotel und bog von der Straße ab. Das Hotel erwies sich als altes friesisches Haus mit modernem Anbau: zweistöckig, in rotem Backstein, mit Zwerchgiebel und an den kurzen Seiten abgewalmt. Auf so etwas hatte er gehofft.

Margrit nahm mit gerunzelter Stirn Kurs auf die Rezeption, während er noch das Auto abschloss.

Der Portier, der ihnen einen Anmeldezettel zuschob und den altmodischen Schlüssel aus einem Fach holte, war von ausgesuchter Höflichkeit. Er lächelte Margrit zurückhaltend an und deutete mit einer kaum sichtbaren Verneigung seine Bewunderung für sie an. Alles wird gut, dachte Hamm.

Er überließ Margrit das Auspacken, das sie mit links erledigen würde. »Ich will mich unten kurz umsehen«, sagte er. »Pläne holen, Tidenkalender und so etwas.« Dann rannte er nach unten zur Rezeption, wo immer noch der höfliche Concierge Dienst tat.

»Kann ich Ihnen helfen, Herr Doktor Hamm?«, fragte er.

»Ja«, antwortete Hamm und versuchte zu verhindern, dass sein Lachen allzu verlegen klang. »Unterwegs habe ich ein totes Rind auf einer Weide gesehen und würde den Besitzer gerne benachrichtigen. Kein schöner Anblick. Wissen Sie, ich bin beruflich einschlägig tätig …

Das Tier lag auf einer Weide in der Nähe einer Bahnschranke. Kurz danach fuhren wir durch Archsum.«

Der Hotelangestellte hörte aufmerksam zu. »An der Bahnschranke zwischen Morsum und Archsum«, fasste er zusammen. »Ich werde sehen, was ich tun kann.«

Er wählte mehrere Anschlüsse an, während Hamm in den ausliegenden Prospekten blätterte und mit halbem Ohr zuhörte. Der Besitzer war bald gefunden. Die Weiden rechts und links der Bahnschranke gehörten Nanning Wollesen.

Problem erledigt, dachte Hamm erleichtert. Es vertrug sich nicht mit seinem Verantwortungsgefühl zu wissen, dass irgendwo ein Kadaver verweste. Der abstoßende Anblick passte nicht zum Image der Insel als erste Adresse Deutschlands für Urlauber. Vielleicht spielten da ja auch Kinder. Aber jetzt war die Tierkörperverwertungsanstalt an der Reihe. Auch auf Sylt musste es so etwas wie einen Abholdienst geben.

Der Hörer klickte leise, als der Portier ihn auf den Apparat zurücklegte und zu ihm zurückkam. »Ich sprach mit Nanning Wollesen selber«, berichtete er. »Er hat seine Weiden gerade inspiziert. Er macht das jeden Nachmittag. Ein totes Tier hat dort nicht gelegen. Sie müssen sich irren, Herr Doktor Hamm.«

»Ich bin Tierarzt! Glauben Sie, ich könnte ein totes Rind nicht von einem lebenden unterscheiden?«, fragte Hamm erstaunt.

»Ich glaube es Ihnen«, antwortete der Concierge nachgiebig. »Aber Nanning Wollesen nicht.«

Kapitel 2

»Ich habe es mir viel kälter auf Sylt vorgestellt«, sagte Margrit, als sie eine Stunde später beim Abendessen in einer kleinen griechischen Kneipe in der Innenstadt saßen, die sie ausgewählt hatte.

Zweifellos betrachtete sie den Griechen als Zugeständnis an Hamms Liebe zu Griechenland. Er hätte hier an der Nordsee ein Fischrestaurant vorgezogen, aber um des Friedens willen hatte er auf Einspruch verzichtet. Er hob Margrit das Glas mit dem goldgelben Retsina entgegen. »Auf unseren Urlaub.« Dann begann er entschlossen, der Moussaka zu Leibe zu rücken, für ihn der Prüfstein für die Güte eines griechischen Lokals.

Sie war gut. Margrit hatte es anscheinend trotz des kalorienarmen marinierten Gemüses, das sie nach langer Diskussion mit dem Wirt bestellt hatte, weniger gut getroffen. Nach dem ersten Bissen begann sie sich umzusehen. Als Hamm ihren Blicken verstohlen folgte, blieben seine Augen an dem idiotischen Talkmaster eines privaten Senders hängen.

Er grinste in sich hinein. »Gut?«, fragte er.

Margrit blickte ihn an, als sei sie gerade aufgewacht, und führte erneut die Gabel zum Mund. »Zu viel Olivenöl«, sagte sie und schluckte lustlos.

Danach richtete sie ihr Interesse auf die Gäste in der hintersten Ecke der Kneipe, drei Männer und eine junge Frau, die Hamm noch nicht auf dem Bildschirm gesehen hatte. Prominent waren sie also wahrscheinlich nicht. Aber er konnte sich ausmalen, in welche Richtung Margrits Gedanken gingen.

Sie liebte Plastiken und Malerei. Einer der Männer, dunkel getönt und mit einem markanten, herben Profil, sah aus, als wäre er in Afrika von einem Künstler geschnitzt worden. Alles an ihm wirkte teuer und elegant, das bis zum Brustbein offene Hemd und die Lederjacke.

Hamm aß in Ruhe, aber mit wachsender Wut zu Ende und bemerkte, dass Margrit nur ein paar Bissen genommen hatte. Mit einer energischen Geste lenkte er die Aufmerksamkeit des Kellners auf sich. »Die Rechnung bitte.«

»Wir gehen«, sagte er zu Margrit. »Dein Appetit ist wohl nicht so groß heute. Und mir gefällt die Umgebung nicht sonderlich.«

Margrit nickte mit mürrischer Miene und schob den noch halb vollen Teller von sich weg.

Als sie zur Tür gingen, legte Hamm seine Hand ganz leicht auf die Schulter seiner Frau. Nicht besitzergreifend, so wollte er es nicht verstanden wissen. Aber ein kleines Signal in Richtung auf das Kunstobjekt in der Ecke konnte nicht schaden. Dessen Blicke folgten Margrit mit einem versteckten Lächeln, das besagen sollte, dass er sie sehr wohl haben konnte, wenn er wollte. Hamm antwortete mit einem spöttischen Grinsen. Als er draußen auf dem Kies stand, fühlte er sich als Sieger dieses stummen Kampfes. Ein völlig neues Gefühl. Nicht schlecht.

Sein kleiner Triumph wurde schnell abgekühlt durch die Entdeckung, dass das Wetter mit überraschender Geschwindigkeit umgeschlagen war. Am Nachmittag war es noch warm gewesen; jetzt fuhr ein scharfer Wind durch die alten Bäume, und es war erheblich kälter. Wie meistens trug er keine Jacke über dem T-Shirt. Aber ganz schutzlos war er nicht. Er grinste in sich hinein, als er bemerkte, dass sein Körper sich ohne sein Zutun ein atavistisches Fellkleidchen anlegte; er spürte beinahe jedes einzelne seiner rotblonden Haare, die sich auf seinen Armen aufstellten.

»Grinst du schon wieder über mich?«, fragte Margrit.

Seine Nase fing Rauch auf, als er sich umdrehte. »Ich habe noch nie über dich gegrinst«, antwortete er höflich und fuhr schärfer als beabsichtigt fort: »Du wolltest hier nicht mehr rauchen!«

Er nahm ihr die Zigarette aus der Hand, warf sie auf den Boden und trat sie aus. Sie war neben einem schwarzen Porsche Targa gelandet, den er jetzt erst bemerkte. Neustes Modell, ohne Charakter.

Margrit stand wie erstarrt. »Wenn du so viel Geld nach Hause bringst, dass wir uns einen solchen Wagen leisten können, hast du das Recht, mir das Rauchen zu verbieten«, sagte sie mit harter Stimme und zündete sich eine neue Zigarette an.

»Du irrst dich«, sagte Hamm erbittert. »Ich würde mir eine solche Kiste nie zulegen. Wahrscheinlich muss man Münchner sein, um so etwas zu mögen. MM 111. Je teurer der Wagen, desto simpler die Nummer.«

»Wer Geld hat, kann sich alles kaufen«, entgegnete Margrit schnippisch und wartete demonstrativ genervt darauf, dass er endlich ihren eigenen Wagen aufschloss.

»Wie wahr.«

Sie fuhren zum Hotel zurück, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Hamm wusste, dass er zu scharf reagiert hatte. Wenn er gekonnt hätte, so hätte er den ganzen überflüssigen Abend rückgängig gemacht.

Im Hotel ging er zum Kühlschrank, um sich eine Flasche Sprudel gegen die Nachwirkungen des Retsina zu holen, und setzte sich dann vor den Fernseher.

Er hörte Margrit im Bad kramen, vermutlich unterzog sie sich ihrer üblichen Abschminkprozedur. Der Krimi interessierte ihn nicht, und die Szene, die er ihr gemacht hatte, tat ihm inzwischen unendlich leid.

Als sie im Bett lagen, stahl sich seine Hand zu ihr hinüber. Sie rührte sich nicht, obwohl sie nicht schlief, wie er an ihren Atemzügen erkennen konnte.

Er stützte sich auf seinen Ellenbogen. Margrit lag auf dem Rücken und starrte einen Deckenbalken an. Ihre dunkelbraunen Haare, die im Sonnenlicht zuweilen einen rubinroten Schimmer bekamen, bauschten sich um ihren Kopf wie ein seidenes Prunkgewand auf einem Barockgemälde. Sie war so schön. Leider versäumte er oft hinzuschauen. »Margrit?«, flüsterte er.

»Nein«, erwiderte sie brüsk und warf sich auf die Seite.

Na ja, die Bahnfahrt war lang, dachte Hamm und starrte auf ihren Rücken. Er ließ sich zurücksinken. Offenbar war er gestresst, ohne es bemerkt zu haben. Er würde alles gutmachen. Er streichelte ihre nackte Schulter, bis er nach langer Zeit einschlief.

Am nächsten Morgen kuschelte sich Margrit in Hamms Arme, kaum dass sie richtig aufgewacht war. Schlaftrunken umarmte er sie.

»Ich höre mit dem Rauchen auf.«

»Versprochen?«, fragte er ungläubig und war auf der Stelle hellwach. Eine von Margrits guten Seiten war, dass sie absolut ehrlich war, mit sich und anderen.

Sie nickte.

Er war grenzenlos erleichtert. Die vielen Untersuchungsergebnisse über die Gefahren von Zigaretten konnte nun wirklich keiner wegdiskutieren, ein Mediziner am allerwenigsten. Das Risiko eines Lungenkarzinoms war damit deutlich verringert, aber das konnte er ihr nicht erzählen. Auch nicht, wie erotisch so ein bisschen Ohrknorpel mit Bindegewebe war, dachte er versonnen und ließ seine Zunge an ihrem Ohr spielen. Überhaupt war die menschliche Anatomie etwas Wunderbares. Er ließ sich an diesem Morgen viel Zeit, sie zu erforschen.

Hand in Hand, kichernd wie Teenies, rannten sie später die Stufen ins Erdgeschoss hinunter. Der große Frühstücksraum war aufgeteilt in gemütliche Nischen, in denen der Tisch jeweils von zwei Bänken mit karierten Kissen flankiert wurde. Warmes, gelbes Licht erhellte jeden Tisch. Eine Wand des Raums wurde eingenommen von einem großen Büfett. In den Schüsseln und Körben mit Brötchen, Wurst- und Fleischaufschnitt, Käse, Marmeladen und Müsli klafften bereits größere Lücken.

Ein Ober lenkte Hamms Blick dezent zu einem Schild, das die Frühstückszeit angab. Hamm zuckte bedauernd mit den Schultern, während Margrit schon die Müslimischungen inspizierte. Klar, sie waren zu spät, aber man würde ihnen sicher das Büfett nicht vor der Nase abtragen. Außerdem saßen da noch zwei andere Gäste, ein Paar, das sein Frühstück noch nicht beendet hatte. Sie schienen sich über Hamms Verlegenheit zu amüsieren.

»Wünschen Sie Kaffee oder Tee?«, fragte der Ober mit einem unterdrückten Seufzer.

»Oh, Kaffee und Tee, bitte«, antwortete Hamm dankbar. Der Morgen war gerettet.

Etwas verwundert sah er dem grauhaarigen Gast entgegen, der sich erhoben hatte und auf ihn zusteuerte. Sein blauer Blazer und die graue Hose waren geeignet für jeden Kongress, weniger für die Sylter Strände. Wie ein Mediziner sah er nicht aus. Von nahem wirkte er jünger, als seine Haare ihn scheinen ließen, vielleicht fünfzig bis fünfundfünfzig.

»Gestatten, Weiss«, sagte er förmlich. »Darf ich Sie einladen, mit uns zusammen zu frühstücken?«

Eigentlich nicht. Hamm hätte den Morgen lieber allein mit seiner Frau fortgesetzt. Aber er überließ Margrit die Entscheidung und sah sie fragend an. Sie musterte Weiss mit vorgeschobener Unterlippe, überlegte kurz und nickte. Dann balancierte sie ihre randvolle Schale mit Müsli zum Tisch des Ehepaars.

»Meine Frau«, stellte Weiss die rundliche Dame vor, die dort saß. »Entschuldigen Sie bitte, dass wir gelacht haben. Wir wollten nicht unhöflich sein. Mir wurde zu spät bewusst, dass es in Ihren Augen eigenartig erscheinen musste.«

»Kein Problem.« Margrit setzte sich.

»Der arme Ober«, sagte Frau Weiss mit gedämpfter Stimme. »Mit uns hat er nämlich vor einer Viertelstunde genau dasselbe erlebt wie mit Ihnen und deshalb lachten wir. Wir sind für ihn alle miteinander bestimmt disziplinlose Süddeutsche.«

»Aus Bayern.« Hamm schmunzelte. Man hörte es deutlich.

»Aus Bad Tölz.«

Hamm begann sein Brötchen anatomisch genau zu zerlegen, während er Weiss zuhörte, der gewandt Konversation machte, wie jemand, der gewohnt ist, zu Kongressen und Tagungen zu fahren.

Er hatte Recht. Weiss stellte sich als Rechtsanwalt heraus. Und als Segler. Nicht uninteressant.

Aus dem Augenwinkel warf er einen verstohlenen Blick zu Margrit hinüber, die ein gelangweiltes Murren von sich gab. Aber sie schüttelte nur den Kopf und widmete sich ihren Körnern. Ihre Stimmung schien umzuschlagen. Hamm unterdrückte einen Seufzer. Obwohl es ihre Entscheidung gewesen war, lag es jetzt wieder an ihm, das Beste aus der Situation zu machen.

»Wir sind das erste Mal so weit nördlich«, berichtete Weiss. »Wir waren schon mal auf den Ostfriesischen Inseln. Aber am liebsten segele ich im Süden. In diesem Klima zieht man sich auf dem Wasser vermutlich sofort Rheuma und Ähnliches zu. Wenn ich an diese traditionellen dänischen Holzboote denke … Brr.«

»Aber die Holzboote sind wunderbar!«, widersprach Hamm begeistert. »Ein Colin Archer, zum Beispiel. Die können hervorragend kreuzen. Lotsenkutter. Auch früher war Zeit Geld. Wer keine Höhe segeln konnte, verlor seine Kunden an den Besseren.«

»Na ja«, sagte Weiss nachgiebig und goss sich eine weitere Tasse Kaffee ein, »trotzdem ziehe ich heutige Hochseesegler vor.«

»Zu groß! Was wollen Sie allein auf einem Zwölfmeterboot! Oder wollen Sie immer mit Crew segeln? Ich nicht, ich würde einen kleinen Spitzgatter von Berg bevorzugen.«

»Ist der nicht etwas unbequem?«, fragte Weiss in höflichem Ton. »Ich meine, nass und eng …?« Er zog den Teller mit Katenschinken zu sich heran und legte die übrig gebliebenen Scheiben auf seinen Teller. Mit einem entschuldigenden Lächeln zu seiner Frau winkte er dem Ober.

»Da können Sie noch die Hand des Bootsbauers spüren«, schwärmte Hamm. »Sie können seine Gedanken lesen, sein Geist ist im Boot. Glauben Sie mir!«

»Selbstverständlich, Herr Doktor Hamm«, sagte der Rechtsanwalt versöhnlich, »aber ich bin älter als Sie. Ich brauche keinen Geist, ich brauche die Dusche.«

Der Ober wartete auf das Ende der Diskussion.

»Ich hätte gerne noch Schinken, falls die Küche es möglich machen kann. Und ein Kännchen Kaffee«, sagte Weiss.

»Sofort«, murmelte der Ober ein wenig gereizt.

Frau Weiss wandte sich mit einem gequälten Lächeln an Margrit. »Segeln Sie auch so ungern?«

»Ich hasse Segeln!« Margrit machte sich nicht die geringste Mühe, ihre Stimme zu dämpfen. »Und nie im Leben würde ich einen Fuß auf ein kleines, enges, nasses hölzernes Boot setzen!«

Hamm zuckte zusammen. Das hatte er nicht gewusst. Vielleicht hatte er es auch nur nicht wissen wollen …

»Liebling …« Frau Weiss legte ihrem Mann die Hand auf den Arm. »Wir Frauen segeln nun mal nicht gern.«

»Könnt ihr nicht mal von etwas anderem sprechen?«, fragte Margrit mit kaum unterdrückter Wut.

Hamm hörte auf zu kauen. Margrit stand wieder einmal kurz vor der Explosion. Die unscheinbare Frau Weiss hatte genau das getan, was seine Frau am meisten hasste: sie auf mütterliche Art in Schutz genommen. »Sind Sie schon lange hier?«, warf er hastig ein. »Was kann man hier unternehmen?«

»Fünf Tage. Man kann hier vieles machen, langweilig wird es einem nie, wenn man zu zweit ist. Da wäre zum Beispiel…«

Hamm hörte Frau Weiss unkonzentriert zu, während er erleichtert zur Kenntnis nahm, dass Margrit ihre Kampfhaltung wieder ablegte. Stattdessen setzte sie das mokante Lächeln auf, das signalisieren sollte, wie sehr sie sich der etwas betulichen und auf liebenswerte Weise altmodischen Frau Weiss überlegen fühlte. Sie hatte nicht das geringste Recht dazu. Er konnte dieses Lächeln nicht ausstehen.

»Darf ich …?«, fragte Weiss mitten in die ausführlichen Erklärungen seiner Frau hinein und hielt das Kaffeekännchen einladend hoch.

»Gerne.« Margrit dankte ihm mit dem für wichtige Gesellschaftsanlässe reservierten Lächeln.

Frau Weiss machte eine Pause, bis ihr Ehemann die Kanne wieder abgestellt hatte, und fuhr dann mit ihren Vorschlägen fort. Hamm entspannte sich in der wieder friedlich werdenden Stimmung und genoss sein erstes Inselfrühstück bis zum letzten Brötchenkrümel.

»Sind Sie ein Schinkenfetischist, Herr Weiss?«, fragte Margrit amüsiert, während sie beobachtete, wie er sich über die neue Schinkenportion hermachte.

Wider alle Erwartungen hatte der Koch die Schinkenscheiben gerollt und mit eingelegten Brokkoliröschen dekoriert. Weiss lachte ein wenig und überließ seiner Frau die Erklärung.

»Robert kann daran nicht vorbei. Morgens, mittags und abends Schinken«, sagte sie zärtlich und blickte ihren Mann mit der Vertrautheit einer langjährigen Ehe an.

Er blinzelte ihr zu. Nach dem letzten Bissen holte er eine blaue Packung Gauloises aus der Jacke und hielt sie einladend in ihre Richtung. Hamm lächelte stolz, als Margrit standhaft ablehnte.

Ein Rauchwölkchen schwebte über den Tisch. Margrit blähte die Nasenflügel und erstarrte. Hamm entschloss sich gerade zu einer unverbindlichen Erklärung, als Margrit aufsprang.

»Komm, Thomas!«, sagte sie und rannte davon, wie von Gespenstern gejagt.

»Was hat Ihre Frau?«, fragte Frau Weiss erschrocken. »Erwarten Sie ein Kind?«

Hamm kaute auf seiner Unterlippe und blickte Margrit unschlüssig hinterher. »Sie hat gerade mit dem Rauchen aufgehört. Da ist es wahnsinnig schwer, abstinent zu bleiben, gerade nach einer Mahlzeit. Und wenn dann noch jemand anders raucht…«

»Warum haben Sie denn nichts gesagt, Herr Doktor?«, fragte Frau Weiss vorwurfsvoll. »Robert hätte natürlich verzichtet, wenn er das gewusst hätte. Er ist zwar ein starker Raucher, aber er ist vor allem ein Gentleman.«

Klar. Aber Margrit scheute nie davor zurück, eine Szene zu machen. Nur konnte er das dem Ehepaar Weiss schlecht sagen. Hamm stand auf, bedankte sich und ging seiner Frau nach.

Kapitel 3

Über dem zweistöckigen Anbau des Krankenhauses von Sylt lag die Stille eines Museums. Professor Tilmann Habermehl, ärztlicher Direktor der Klinik am Rande von Westerland, zog sich gerne in seine Privatpraxis für Frauenheilkunde zurück, in der nichts vom Hubschrauberlandeplatz zu hören und zu sehen war, wo man aus allen Fenstern auf englischen Rasen blickte und in den Fluren das Auge mit Originalradierungen von Eckener erfreut wurde.

Nur das Flachdach bot Anlass zu ständigem Ärger. Und ärgerlich wurde auch Habermehl, als er die Schüssel bemerkte, die irgendein Idiot auf den Fußboden gestellt hatte. Schwärzliche Streifen an den Deckenfliesen ließen erkennen, dass dort bei Regen Tropfen entlangliefen. Aber derzeit war heißes Sommerwetter.

Im Vorübergehen warf er einen Blick in sein Sekretariat. »Frau Teschke, lassen Sie den Blechtopf auf dem Flur entfernen. Das geht so nicht! Ich bin jetzt in der Suite.«

Die Suite war der größte und schönste Raum seines Reiches. Habermehl öffnete und schloss die Doppeltüren und trat an das Krankenbett.

Wie täglich, wenn er zur Visite kam, war Frau Schönherr eifrig bemüht, wie ein Bild von Tizian zu wirken, hingegossen in überquellender Schönheit. Nüchtern betrachtet, war sie eine übergewichtige Patientin im Nachthemd, eine von den zahllosen älteren Damen mit viel Geld und noch mehr Beschwerden. Habermehl liebte diese Patientinnen.

Sie betrachtete ihn fasziniert, von der silbernen Stirnlocke bis zu seinen makellos glänzenden schwarzen Schuhen. »Ich möchte nicht weg«, sagte sie und versuchte, ihrer tiefen Stimme den Ton eines hölzernen Klanginstrumentes zu verleihen.

Doch Habermehl interessierte sich nicht für Musik. Er setzte eine teilnahmsvolle Miene auf, während er über die Finanzierung der Dachreparatur nachdachte. Koch, der ein ausgesprochen penetranter Verwaltungschef war, drängte schon seit einiger Zeit auf eine Lösung.

»Liebe Frau Senator, liebe Frau Schönherr«, sagte Habermehl herzlich, als ihm die Stille auffiel. »Sie werden den Alltag leicht meistern, Sie sind völlig gesund, glauben Sie mir.«

»Ja, Gott sei Dank, oder vielmehr Ihnen sei Dank, Herr Professor«, schmeichelte sie ihm, was er nicht ungern hörte, »ich bin jetzt nicht mehr krank. Jetzt brauche ich Erholung. Mir gefällt es hier.«

Habermehl folgte ihren Blicken. Der Raum war wohnlich eingerichtet, leicht antikisierend in einem Gemisch aus Rokoko und Biedermeier. Trotz des exklusiven Preises würde er ab dem übernächsten Tag von einer Privatpatientin aus Flensburg belegt werden.

»Ich würde wahrscheinlich im Nu wieder die gleichen Symptome haben und das wollen wir doch nicht, bester Herr Professor, nicht wahr?«

»Nein, natürlich wollen wir das nicht, aber dieser Fall wird nicht eintreten«, widersprach Habermehl geduldig. »Sie sind voll eingestellt auf die Tabletten; Ihren Blutdruck haben wir stabilisiert.« Er setzte sich vertraulich auf die Bettkante und nahm die beiden Hände der Patientin zwischen seine eigenen. »Sie müssen sich mit der Diät aber disziplinieren, versprechen Sie mir das, Frau Senator?«

Die Wärme seiner Hände und sein gütiger Ton wirkten wie gewohnt. Sie atmete tief durch. Röte überzog die runzelige Haut ihres Brustausschnittes, während sie Habermehl tief in die Augen sah.

Seine graue Haartolle saß perfekt, er hatte sich im Spiegel, der im Eingangsbereich hing, davon überzeugt. Er war immer noch ein gut aussehender Mann; sein Charme war Teil des Renommees der Klinik. Er zog ihre rechte Hand an seine Lippen.

Mitten im Handkuss entzog Frau Schönherr ihm abrupt ihre Hand. »Was aber, wenn ich die Tabletten weglasse? Ich bin psychisch labil. Sie können mich nicht fortschicken.«

Habermehl ließ sich einen Gedanken durch den Kopf gehen, der zunehmend an Attraktivität gewann. Sie besaßen kein zweites Zimmer dieser Ausstattungskategorie. Aber möglicherweise würden sie zwei der anderen Räume zu einer Suite umbauen können. Gegen gutes Geld ließen sich Handwerker vom Festland auch kurzfristig beschaffen. Er lächelte seine Patientin beruhigend an und erhob sich. »Sie dürfen natürlich bleiben, so lange Sie möchten, Frau Senator.«

Als er die innere Tür hinter sich schloss, hatte die Idee bereits feste Formen angenommen. Sie war so simpel, dass er sich wunderte, sie noch nicht gehabt zu haben.

Er würde den ganzen Anbau zu einer Kurklinik umbauen. Nicht Patienten, sondern Erholungssuchende waren die Lösung für die Geldnöte des Hauses.

Der Assistenzarzt Gebhardt bog so stürmisch in den verglasten Gang zwischen dem Anbau und der Klinik ein, dass sein Kittel hinter ihm herflatterte. Er hatte es eilig und außerdem lag dieser Trakt außerhalb seines Kompetenzbereichs. Ohne nachweisbaren Grund hatte er darin nichts zu suchen.

»Herr Gebhardt!«

Die Stimme seines Chefs, den er zu dieser Zeit auf dem Golfplatz vermutet hatte. Pech gehabt. Gebhardt verhielt seinen flotten Schritt und wandte sich um. Habermehl stand in dem kurzen Gang, der zu seinem privaten Untersuchungszimmer und der Rokokosuite führte.

Nervös schob Gebhardt den Kopf seines Stethoskops in die Tasche zurück. Die andere Hand behielt er auf dem Rücken. »Ja, Herr Habermehl? Ich bin etwas in Eile.«

»Das bemerke ich, Herr Kollege«, antwortete Habermehl steif. »Dennoch ist es Ihre vornehmste Aufgabe, dies vor den Patienten zu verbergen.«

»Zum Glück sind gerade keine im Flur. Aber ich werde es beim nächsten Mal berücksichtigen«, versprach Gebhardt lebhaft und wollte mit einem knappen Nicken verschwinden. »Ich muss trotzdem …«

»Besteht akute Gefahr?«

»Nein«, gab Gebhardt etwas verstimmt zu. »Aber es ist wichtig.«

»Viele Dinge sind wichtig. Unter anderem auch, wie man sich in einem Krankenhaus verhält, damit die Patienten nicht an Siechtum, an Sterben und an Katastrophen erinnert werden. Ich weiß, dass Sie in menschlicher Hinsicht noch nicht über viel Erfahrung verfügen, dennoch …« Habermehl seufzte.

Gebhardt stand wie auf Kohlen. Er schlug die Augen nieder, um zu verbergen, wie sehr er den Chefarzt verabscheute. »Ich werde es mir merken«, antwortete er widerwillig.

»Na, na, nun gehen Sie schon. So schlimm war es ja auch nicht«, sagte Habermehl, plötzlich wohlwollend.

Gebhardt sah ihm ins Gesicht und begriff. Es schmeichelte dem Alten, wenn er glaubte, dass ein junger Arzt sich ihm gegenüber wie ein Schuljunge fühlte.

Pfui Teufel, war der Mann eitel und dazu noch unfähig! Aber die Hauptsache war, dass er ihm entkommen war, ohne dass Habermehl das Buch entdeckt hatte.

Versonnen betrachtete Gebhardt den Titel: ein älteres Kompendium der tropischen Erkrankungen mit einer hoffentlich so genauen Beschreibung von Symptomen wie im 19. Jahrhundert üblich. Er war nicht gerade Spezialist auf diesem Gebiet. Niemand in diesem Hause war es, auch Habermehl nicht. Dafür war er eigen, was seine Besitztümer betraf. Das Teschke-Mädchen wäre in Teufels Küche gekommen, wenn Habermehl bemerkt hätte, dass sie ein Buch aus seiner Privatbibliothek ausgeliehen hatte.

Er blätterte das Kapitel Malaria auf. Sechs Seiten. Er überflog sie und fragte sich erneut, ob er es bei der Patientin wirklich mit der bösartigsten Form von Malaria zu tun hatte.

Auf der Station überprüfte Gebhardt ein zweites Mal den Vorbericht. Der Hausarzt hatte sich außerstande gesehen, eine Patientin mit ständigem Erbrechen und Atemnot zu behandeln, deren Urin schwarz wie Kohle war. Als er die neuesten Labordaten studierte, steckte eine junge Lernschwester den Kopf ins Stationszimmer.

»Bitte kommen Sie mal, Herr Doktor«, bat sie schüchtern. »An Frau Christensen kommt mir etwas ganz merkwürdig vor.«

»Ja, das weiß ich doch«, sagte er etwas erstaunt.

»Wirklich? Auf dem Krankenblatt ist es aber nicht aufgeführt«, sagte sie standhaft. Sie war jung und hübsch, und Gebhardt tat ihr den Gefallen, sofort mitzugehen.

Merle Christensen war vor zwei Tagen eingeliefert worden. Sie stammte aus Archsum auf Sylt und war noch nie über Husum und Flensburg hinausgekommen. Es war also fast unmöglich, dass sie sich eine tropische Malaria zugezogen haben sollte. Bisher war es ihnen nur gelungen, den Zustand der Kranken zu stabilisieren. Sie war immerhin ansprechbar. »Moin, Merle. Wie geht’s?«, grüßte Gebhardt freundlich.

Ihre blauen Augen waren matt. »Noch nicht so gut wie sonst«, sagte sie, »aber schon besser als gestern. In ein paar Tagen bin ich wieder gerade vor.«

»Nehmen Sie sich nicht etwas zu viel vor?«, fragte Gebhardt nachsichtig lächelnd. Zum Glück wusste sie nicht, wie nahe sie dem Tod gewesen war. Er wandte sich zur Lernschwester um und hob fragend die Augenbrauen.

Ihr Daumen deutete verstohlen auf das Fußende des Bettes.

»Ich möchte Sie nochmals untersuchen, Merle«, kündigte Gebhardt ihr unschuldig an.

Sie zuckte die Schultern.

»Seit wann haben Sie dieses Geschwür?«, fragte er, als er am linken Fuß der Patientin eine offene Stelle entdeckte, die ihm bisher entgangen war.

»Ich habe da kein Geschwür«, antwortete sie und stützte sich auf die Ellenbogen hoch.

»An der Unterseite des Fußes, an der Sohle zwischen dem großen Zeh und dem nächsten.«

»Nein, da hatte ich nie etwas. Das hätte doch wehtun müssen? Ich gehe gerne barfuß.«

Mit angehaltenem Atem betrachtete Gebhardt die schwarzbraune Verfärbung der Haut, in deren Mitte ein kleiner blutender Krater nach innen führte. Es konnte nur eine sinnvolle Erklärung für das Symptom geben …

Sorgsam bettete er den Fuß zurück unter die schlichte weiße Klinikdecke und beendete seine Untersuchung. »Nun, wir werden sehen«, sagte er munter. »Ich komme am Nachmittag noch mal vorbei.«

Merle Christensen, laut Krankenblatt zweiundzwanzig Jahre alt, strich sich die blonden Haare zurück und schenkte Gebhardt ein vertrauensvolles Lächeln.

»Das haben Sie gut gemacht«, sagte er draußen im Flur anerkennend zur Lernschwester und erntete dafür eine erfreute Miene. »Wenn mich jemand sucht: Ich bin in der Pathologie.«

Bis zur hinteren Treppe ging er im normalen Tempo, aber die Stufen ins Kellergeschoss nahm er in weiten Sprüngen. Dieser untere Teil der Klinik stammte noch aus früheren Zeiten, als man sich auch außerhalb der Universitätskliniken eine eigene Pathologie leistete.

Er rannte am Sektionsraum und am Histologielabor vorbei. Den Pathologen fand Gebhardt in seinem Büro vor. »Hallo, Ralf«, sagte er, noch etwas atemlos.

Dr. Michelsen, seit einem Jahr Pathologe an der Klinik und zum selben Zeitpunkt eingestellt wie Gebhardt, was sie sofort zu Verbündeten gemacht hatte, schwang auf seinem Drehstuhl herum und schob irritiert die Brille vor die Augen. »Ist dir ein Patient abhandengekommen, oder was?«

»Glaubst du, ich würde ihn ausgerechnet bei dir suchen?«, fragte Klaus Gebhardt abwesend.

Michelsen wies schweigend auf einen Stuhl.

»Ich habe vermutlich eine Patientin mit einem Melanozytoblastom«, erklärte Gebhardt düster.

»Kommt vor.«

Gebhardt schwieg.

»Die Kinder werden es wohl mit Fassung tragen«, versuchte Michelsen ihn zu trösten. »An irgendetwas muss ein Greis ja sterben. Und es geht immerhin schnell. Sie wird nicht zum Pflegefall werden.«

»Das ist es ja«, entgegnete Gebhardt. »Von wegen Greis. Sie ist zweiundzwanzig Jahre alt.«

Der Pathologe runzelte die Stirn. »Sehr ungewöhnlich. Glaubst du im Ernst an ein MZB?«

»Sieht so aus. Aber das ist noch nicht alles. Gestern gab es die maligne Veränderung noch gar nicht, heute ist sie schon pfenniggroß.«

»Das gibt es nicht. Entweder du hast gestern geschlampt oder es ist kein Melanom«, sagte Michelsen entschieden.

Gebhardt holte scharf Luft. »Geschlampt! Bei so ungewöhnlichen Symptomen schlampt man nicht. Zuerst dachte ich an Schwarzwasserfieber. Aus dem tropischen Sylt! Aber aus Nordfriesland ist die Patientin noch kaum rausgekommen. Und jetzt noch ein Melanom! Manche Patienten machen einem das Leben wirklich schwer.«

»Bring mir die Patientin her und ich sage dir, was sie hat«, schlug Michelsen vor.

»Werde mich hüten! Ich will sie schließlich am Leben erhalten«, lehnte Gebhardt mit einem schwachen Grinsen ab.

»Warum so misstrauisch? Auch Pathologen sind Menschen! Aber was willst du dann von mir? Du bist doch sicher nicht nur gekommen, um mein fachmännisches Urteil zu verwerfen?«

»Bücher. Alles über Melanome. Ein Buch über Malaria habe ich gerade von Habermehl ausgeliehen. Heute Nacht werde ich im Bereitschaftsdienst mal ein paar Lesestunden einschalten.«