Syria Ares - Marinella ten van Haarlen - E-Book

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Marinella ten van Haarlen

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Beschreibung

Syrien ist überall... Eine junge Staubsaugervertreterin lernt über das Internet die Hölle Syriens kennen und gerät in die Folterkammer eines irren Fanatikers, der für die Erhaltung des Regimes neue Techniken entwickelt...

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Marinella van ten Haarlen

Syria Ares

Der Himmel über Syrien

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Capriolen

 

Marinella Charlotte van ten Haarlen

 

 

Syria Ares

"Der Himmel über Syrien"

Kriminalroman

 

Dieses Buch ist erschienen mit kasaan media publishers

 

ISBN:  978-3-96593-166-4

Nachdruck und Reproduktion, auch in Passagen, verboten

Ausgabe Oktober 2021

All Copyrights by Marinella Charlotte van ten Haarlen

2011-2021

Johannesburg, Transvaal-Gauteng, 2021

Dies ist ein Roman. Die geschilderten Ereignisse sind frei erfunden.

Die geschichtlichen Ereignisse sind rein zufällig. Entsprechen dem Storyboard dieses Buches. Diese haben sehr wenig oder nichts mit der Realität, schon überhaupt nicht mit lebenden oder verstorbenen Personen zu tun. Das wäre natürlich rein zufällig. Orientieren sich lediglich an den geschichtlichen Gegebenheiten.

 

 

 

Achtung, dieses Buch ist erst ab dem 18. Lebensjahr zu lesen, es enthält explizite Darstellungen von Gewalt, die in der Natur der Sache liegen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für A.A und J.F

Für O.K. und M.F., T.L.,

F.T, D.T,

Besonders für MJ und E.

Für meine Eltern

Für meine Geschwister M.L.C.

 

 

 

 

 

 

 

 

Capriolen

 

Meine sonst auch bescheidene Welt war in diesen ersten Tagen des Jahres 2012 recht begrenzt, statisch und aberwitzig.

Manchmal nur noch einfach unverständlich.

Alle redeten über die längst überfälligen Revolten in Arabien. Assange und Fukushima waren vergessen, wie 25 Jahre zuvor Tschernobyl oder andere Geschichten, die der Atomkatastrophe folgten.

Julian Assange war in dieser Zeit sehr still geworden, war jedoch für viele der Hoffnungsträger schlechthin.

Aber dann, nach den systemischen Unterdrückungen der Occupy Now Bewegung, das Kapital siegte ein weiteres, vielleicht ein letztes Mal. Vernichtete die monetäre Punkerszene.

Allenfalls erinnerte jemand an Maggie Thatcher, die Falklandkrise, 30 Jahre zuvor. An Arthur Scargill, der ihr die Stirn geboten hatte.

In Polen, und der von seltsamen politischen Strömungen getriebenen Ukraine, bereitete man sich auf die Fußballeuropameisterschaft vor.

Die Mafia stand Pate auf den Rängen.

Menschenrechte in einem Land, in dem Menschen wahllos von der Straße verhaftet werden konnten, einfach die Opposition mundtot gemacht werden konnte. Im Jahr 2012 konnte ich es mir schwerlich vorstellen.

Ich hielt alles für überzogen, so konnten Menschen doch nicht sein, der neue Machthaber in Nordkorea, die Mönche, die sich in Lhasa verbrannten.

Irgendeine Großtante von mir hatte über die Nazis erzählt, über die Folgen für die Menschen, die Freiheit, die Olympiade von Berlin 1936. Das war lange her und weit weg.

Mich erschreckte, dass Neonazis durch die Lande reisen konnten, unzählige Menschen in einer Demokratie ermorden konnten, ohne dass jemand einen Gesamtzusammenhang sah. Später den für Nazis typischen Abgang des erweiterten Selbstmordes wählten.

Was war sonst noch los?

Ich ging einmal Schlittschuhlaufen. Trollte mich nach einer halben Stunde, weil einfach zu viele Menschen um mich herum tanzten.

Jopie Heesters war Weihnachten des letzten Jahres gestorben. Unzählige bunte Blätter berichteten darüber, über die letzten Stunden, was die Redakteure annahmen oder auch nicht, was Heesters in seinen letzten Tagen, Minuten machte.

Gasparone wurde dreimal am Tag im Radio gespielt.

„Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen!“, bisweilen sang ich mit Heesters und Marika Rökk mit.

Pfeffer hatte die Ungarin ja in frühen Tagen gehabt, stellte ich fest.

Bei E-bay verschenkten die Leute in Ungarn Häuser oder boten diese für einen Euro an.

Die DDR war schon im 22. Jahr bundesdeutsch. Die Bilder der deutschen Revolution jedoch geisterten durch meinen Kopf. Die Tage von Leipzig, damals, heute als Tag gestorben. Immer grausamer, immer steriler. Der Fernseher brachte es ins Haus, in die Wohnzimmer.

Es berührte mich nicht mehr, wer sich damit beschäftigte, war selbst schuld.

Ich vermisste die Talkshows am Nachmittag, wenn ich bei meinen Kunden war. Es war einfacher, dann meine Staubsauger zu verkaufen. Die Damen im Haushalt waren abgelenkt, stellten wenig Fragen, weil sie das Schicksal einer 13-jährigen Mutter ohne Freund, einer Transsexuellen, einer dickbrüstigen Bardame, einer strippenden Go-Go-Tänzerin, eines tätowierten Strichers, eines zum tibetischen Glauben konvertierten Ex-Nazi als das reale Leben empfanden, das sie umgab.

Nicht mich, nicht den Staubsauger, der war nur Beiwerk. Kostete etwas.

Die letzten Jahre des Kapitalismus.

Ich empfand mich, mein Leben, mein ganzes Dasein als besonders einfach und langweilig. Schon als monoton.

Eine Frau, die Klinken putzte, ohne Elan, ohne Perspektive, ohne Ehrgeiz.

 

Einen Freund besaß, wollte ich nicht, allenfalls einen der vielen zuckend-leuchtenden Vibratoren aus dem Erotikshop an der Ecke. Eine gealterte, faltige Dame, die diese Gerätschaften wie reife Birnen, zwischen kichernden Teenagern und lüsternen Männern in verschlossenen Kabinen verkaufte, drehte mir diesen an.

Mir war es egal.

An sich alles war mir egal geworden.

Der verstaubte im Badezimmerschrank. Wie auch mein sonstiges Leben.

Manchmal trank ich eine Flasche Wein, eher aus Langeweile und Frustration als aus Genuss.

Wer konnte auch noch genießen?

Neue Staubsauger, große und kleine, handliche und teure Modelle, das war mein Leben, mein Streben, meine Welt, mein Zuhause. Immer in den Häusern anderer Menschen, die neuesten Errungenschaften meiner Firma, die ich eigentlich nur so vehement wegen dem Geld vertrat, vorführte.

Trepp auf, Trepp ab, ich lief mir in den Tagen die Hacken ab.

Zu mehr reichte es nicht. Immerhin für die 12,95 Euro Hackenprämie.

Die wirtschaftliche Situation gab für mich nicht mehr her. Ich war kontaktarm, menschenscheu, zudem lieblos geworden.

Eine gewöhnliche Frau, ein Hering im Meer des Lebens.

Jeden Abend saß ich vor dem Fernseher, strickte, träumte, sah die Bilder aus Arabien, wunderte mich über die Aufstände, die wie ein Flächenbrand erschienen. Das Internet machte es möglich, sterile Beziehungen zu den Menschen, die ein blutiges Regime nach dem anderen absetzten.

Es war das Ende des Winters. Es war jeden Tag eine sich schneller drehende, ungewiss und ungerecht gewordene Welt der Gegensätze, die sich abzeichnete.

Irgendwann, als mich auch das Internet unsäglich nervte, stieg ich auf Radio um. Es rauschte beständig, war ein Kofferradio von Schaub Lorenz aus der Küche einer Mutter, die viele Mirácoli-Packungen verkocht hatte. Teile der Gewürzmischung fanden sich noch an dem Gehäuse, hinten rechts.

Ich hatte es vom Sperrmüll, als ich noch Sascha, meinen überzüchteten, verhaltensgestörten Bull Terrier hielt.

Eines Abends, als wir Gassi gingen, war ich über das Gerät gestolpert. Ich nannte es Volksempfänger.

Dauernd musste ich mit ihm zum Tierarzt, er war ein Simulant, ein schlechter dazu. Zwischen uns herrschte Hassliebe. Selbst seine verstörte Tochter, die er mit einem Pudel hatte, irgendwann Ende der 1990er-Jahre, biss ihn, bellte ihn nur noch an.

Am liebsten ging er an thailändischen Clubs Gassi, schaute den freizügig gekleideten Damen bei ihrem abendlichen Geschäft zu. Einmal rückte er aus, ich fand ihn hinter der Bar, wo er Bier soff.

Er konnte froh sein, nicht als Fertiggericht am nächsten Tag im Suppentopf zu enden.

 

Später schien er wirklich erleichtert.

Das machte ihn fast schon wieder liebenswert und menschlich. Ein tierischer Psycho, der unter einem ADHS litt.

Am liebsten kopulierte er mit einer russischen Hundedame aus dem 6. Stock, gegenüber von der Breese aus Neubrandenburg.

Irgendwann eiterte sein Schwanz, er war alt und grau geworden. Drei Arztrechnungen gab ich ihm, bei der vierten zögerte ich noch.

Eine letzte Runde um den Teich, er schien um das Leben zu betteln, ich brachte es nicht übers Herz, ihn einschläfern zu lassen.

Ein paar Tage später fraß er nichts mehr, er spürte, ich war gleichgültig geworden, streichelte ihn nur noch ungerne.

Ich wartete auf seinen kommenden Tod wie der Teufel persönlich. Sein Schwanz roch wie verdorben. Dann, in den letzten Stunden weinte ich, versuchte mich zu erklären. Er verstand und starb, ich warf ihn lieblos wie ich war in die Biotonne.

Immerhin, unter Mayonnaise-geschwängerten Salatblättern und geschnittenen Gurkenherzchen von der Witwe Strauss gegenüber. Sie hatte in den Tagen 75. Geburtstag.

Ein paar Tage danach trugen sie den Sarg aus dem Haus. Sie drin.

Die böse Zunge war endlich verstummt.

An allen ließ sie den Frust eines ganzen beschissenen Lebens aus. Ihr bester Zuhörer war der noch immer kaisertreue 90-Jährige, der gelegentlich ihren wirren Geschichten zuhörte. Die alte, vergessene Zeit misste. Selbst er, der Realität gänzlich entrückt, wunderte sich über die multiplen Feststellungen der alten Frau. Angeblich wohnte, hauste ein Mann im Himmel, wo, konkretisierte sie nicht, der die Farben sandte - viele Farben, die ganze Palette wahrscheinlich. In diesem Fall wurde der Bock zum Anstreicher gemacht. Im Stockwerk unter ihr wähnte sie ein böses, zügelloses Bordell, stellte sie im gleichen Atemzug fest, beschimpfte die Nachbarn, wollte sie prügeln. Aber die nackten Puppen, in dem Fall eine 50-jährige Finanzbeamtin, tanzte wie von Sinnen mit ihren zahllosen Freiern auf den Tischen.

Nächtelange, steuerfreie Gelage dichtete sie den armen Geistern an, da waren böse Russen, typische Albaner und dann noch Serben, die sie allenfalls vom benachbarten Balkangrill kannte.

Hemmungslose Sexorgien, in denen sich die zahllosen nackten Körper gegenseitig besamten.

Das klang mir eher wie eine lange verdrängte Wunschliste der sehnsüchtig erwarteten Realitäten.

 

Zum Schluss halluzinierte sie, sah ständig irgendwelche Männer, zwei-vielleicht dreimal -hatte sich der soziale Dienst vergeblich um die alte Frau bemüht. Sie schrie ständig im Flur, dass sie vergewaltigt worden war.

Jeder war der potenzielle Täter. Stundenlang war die Polizei bei ihr, nachdem sie eines Nachts ihre Haustür verbarrikadiert hatte. Mit Rohren und Pappkartons, Stühle, die sie auf den Gang stellte. Sie war die letzte, die die Berliner Mauer wieder aufbaute. Zumindest wehte die lange vermisste sowjetische Fahne über dem Berg Sperrmüll. Ganz oben saß sie mit einer Spielzeugpistole auf, kämmte sich die Haare, putzte sich die Zähne.

Die Strauss halluzinierte sich das Weltbild der beschämten Finanzbeamtin solange, bis im Februar der Möbelwagen vor der Tür stand. Das Corpus Delikti, der Tisch blieb stehen, darauf tanzten dann die Jünglinge weiter. Die olle Strauss wünschte die gesamte Abordnung der Wohnungsbaugesellschaft in die Psyche nach Ost. Wenn sie einmal in Fahrt kam, wechselten die Schichten der Polizeiwache schneller, als es der eigentliche Dienstplan vorgesehen hatte. Aber sie schaukelte bei Wind und Wetter auf der alten abgewetzten, quietschenden Hollywoodschaukel von Kettler, grinste, rezitierte gesanglich mit unfassbarem Groove Roy Black „Du bist nicht allein!“

Fast zur gleichen Zeit, als der Supermarkt an der Ecke zumachte. Der Ramschladen sollte abgerissen werden. Eine schwerfällige Mixtur zwischen Tante Emma und auslaufendem Warenlager der Delikat in der DDR.

Die beiden Abzocker aus der Wohnung neben mir zogen in den Tagen auch aus. Sie zogen jeden ab. Anders konnten sie überhaupt nicht leben.

Gleich wen. Zu besten Zeiten leisteten sie sich von anderer Leute Geld Urlaube. Immer in die Türkei, sechsmal im Jahr.

Einige traurige Untermieter der beiden klingelten später bei mir, wollten Geld. Eine Blonde mit einem kläffenden Hund aus Nord randalierte vor der Tür. Auch das half nicht.

Die Abzieherin war eine ekelhafte Person, verlogen, geistig unterbelichtet, falsch und zynisch. Lebte vom Mitleid ihrer Zeitgenossen, Typ Fliegenpilz in einer Kreuzung mit einer Spinne, die ihr Netz fein über alles zog. Klebrig war sie dazu auch noch. Sie putzte ständig, weil sie sich versprach, ihre Seele zu säubern.

Das half dann auch nicht mehr.

Ein alterndes It-Girl mit Falten im Gehirn.

Er, ein drahtiges Bürschchen, ehemals erfolgloser Bademeister, machte irgendwann einen auf Taucher, zumindest sah ich die Flossen häufiger. Ihn später dann nicht mehr. Manchmal schraubte er im Dunkeln seine Nummernschilder seiner beiden Wagen um. Aalglatt, früher Kokser. Nebenbei unwissender, schlecht gebildeter Oberlehrer mit Hang zur extremen Eitelkeit. Als die Stadtwerke den beiden auf den Pelz rückten, wählten sie geschickt den nächsten Augenblick, um zu verschwinden. Der freundliche Abdreher von der Stromgesellschaft war auch schon mehrfach mit allerlei Drohungen gekommen. Wollte mir in Sippenhaft die Zufuhr gleich mitsperren.

Es war das Ende einer besonderen Nachbarschaft.

Jedoch, wenn ich freinahm, die Umsatzzahlen der neuen Verwirbeler machte, rückte die ganze Garnitur moderner Spediteure an, um irgendwelche Pakete zu bringen. Versandhäuser und deren Errungenschaften der modernen Zivilisation. Waren die beiden im Urlaub, stapelten sich die Briefe der deutschen Inkassoelite bis unter die schlecht isolierte, gammelige Decke.

Nebenbei war die die Abzieherin, die mit ihrem iPhone wie siamesisch verwachsen schien, noch in einen dubiosen Verein zur Erhaltung der kurdischen Gänseblümchen verwickelt.

Fortan litten in Tausenden von Bettelmails die sonst wenig beachteten Gewächse unter allerlei Getrampel böser Zeitgenossen, die sich in den Ecken und Kanten des türkischen Grenzgebietes verschanzten.

Als die Kassen leerer wurden, der Dünger, den sie auf Geheiß eines Biologen in das Gelände streuten, teurer, starben Millionen dieser Exemplare an einer umgehenden, seuchen-flächenähnlichen Gänseblümchenkrankheit.

So schrien Millionen von Gänseblümchen nach botanisch-finanzieller Hilfe aus dem Säckelchen verträumter Weltverbesserer, die sich in Scharen einfanden, eine Patenschaft für die zertretenen Pflanzen zu übernehmen.

Namenlose Gänseblümchen erstrahlten im Glück des flugs eingeflogenen, deutschen Düngers.

Einfallsreich und abgewichst war die Abzockerin schon.

Ja, bei ihr kam zu dem Zaster das Laster, nicht besonders geschickt operiert zu haben.

Böse Zungen munkelten über die wahren Motive der plötzlichen botanischen Liebe.

 

Es kamen die Anfänge der syrischen Revolution, zuerst wie in all den anderen Ländern, die ihre Despoten stürzten, nahm niemand diese wahr. Aber die Nachrichten, die mit flimmernden Handys gedrehten Filme über die Untaten des Assad-Regimes fielen nicht aus dem Rahmen. Die Welt war grausam geworden.

An diesem Abend hörte ich dann aber, lüsterte ich fast nach Foxtrott, wurde süchtig danach, häkelte im Takt des jeweiligen Stückes.

 

 

Ich suchte Freunde, sie mich aber nicht, wollte die, durch meine berufliche Tätigkeit gewohnte Aufdringlichkeit umgehen.

Also surfte ich durch Foren, Freundschaftsportale, suchte in günstigem rent-a–mate, verlor mich zwischen verliebten Psychopathen, die sich dafür entschuldigten, überhaupt in den Foren zu sein. Notgeilen Selbstmördern, die die Plastiktüte für den finalen Genuss von mir aufgesetzt haben wollten.

Ein pervertierter Patnerschaftskreis, dessen einzige Aufgabe es war, Nacktfotos und Geld ranzuschaffen. Am Ende landete ich in dem Freundschaftszirkel von homophoben Exsöldnern, die ausweislich ihrer eigenen Likezeichen am liebsten Panzerrohre kopulierten.

Was für ein Leben im 21. Jahrhundert?

Eines Tages las ich, dass Margot Honecker ihre violette Welle gegen das Altersgrau ausgetauscht hatte. Aus Chile über die kleine Rente lamentierte, die sie erhielt.

 

Irgendwann war er da, irgendwo im Netz, zwischen Bytes und Tags versteckte er sich, hinterließ niemals eine Spur irgendwo.

Sein Englisch war außergewöhnlich, sein Deutsch extrem schlecht.

Ein verhinderter Poet, der mich nach Nacktfotos von mir, allerdings ohne Kopf, bat. Gleich in der ersten, sehr schnulzigen E-Mail.

Sonst müsste ich einen Schleier tragen.

Ich war irritiert, wollte ihn sperren. Aber dann machte er mich neugierig auf sich und seine sehr obskure Welt.

Er nannte sich Ares. Einmal war er 20, einmal 15, am folgenden Tag 30 Jahre alt. Nicht viel später ein alter Sack.

Ares beschrieb sich wie der herzliche Ritter aller einsamen Frauen, der Favorit aller Schwiegermütter, wusste auf jede Frage eine Antwort, einen plausiblen Grund seines Ichs.

 

Für eine Weile missdeutete ich seinen scharfen Verstand als außergewöhnliche Bildung, als soziale Kompetenz, als einer, der davongekommen war.

Eines Morgens, so schrieb er, stotterte in jedem geschriebenen Satz, den ich mehrfach lesen musste, kamen die Panzer der Regierung. Jeder erwartete sie, aber niemand wollte diese stählernen Ungetüme für wahrhaben.

Sie waren plötzlich einfach da, das Geräusch der schweren Motoren, der Ketten, das Rasseln der Metalle, das Vibrieren der Platten, die einen angerosteten T-72 umgaben. Das Summen der Rohre, wenn diese sich drehten, ihre ausgemachten Ziele anvisierten, unvermittelt, realitätslos schossen.

Die kopflose Hast, der Abschied, die planlose Flucht, wie ein Hase war er durch die staubige Natur gelaufen. Ein Wunder begleitete ihn. Ares verdurstete nicht, er verhungerte nicht.

Er betete zu Allah, zu Gott. Er war unser aller Erlöser, verschiedene Namen Krimineller, untereinander zerstrittene Banden stürmten die Stadt, trugen die Fahne Syriens vor sich her. Häuser brannten, davor lagen zwischen den Trümmern Zivilisten. Viele Kinder.

Die Banditen suchten nach den Kindern, um die Eltern zu treffen, den Schmerz der Mütter zu verhöhnen, jedes Haus wurde durchsucht, hier und da wurde geschossen, erwürgt, erschlagen oder überfahren. Einmal vor, einmal zurück mit dem Jeep, dann knackte es. Ares lief, keine Kugel traf ihn. Er rannte, bis die Lungen brannten. Da kamen die Soldaten, Panzer, sie schossen auf die Banditen. Das Beben der Erde hörte nicht auf. Panzer brannten. Qualmten dort, wo er einst spielte, mit dem feuerroten Ball.

 

 

Ares vergaß nie zu beten. Dafür, für diese doch so heilsame Disziplin, bewunderte ich ihn, lobte ihn und seine Art, mit der Situation umzugehen.

Vieles spielte sich in den ungezählten Pixeln auf dem Monitor ab. Punkte, Farben und Bilder, die nur im Kopf zu einem Ganzen wurden, in den Gedanken verschmolzen.

Ich suchte nach Brieffreunden im Netz. Gleich, woher sie kamen.

Das machte ich dann und wann, seitdem ich jung war.

Irgendwann gefiel er mir. Nährte meine Hoffnung über eine doch gerechtere Welt.

Ares war zweifellos Syrier, schien jeden Winkel dieses fernen, mir doch unbekannten Landes zu kennen, dieses in einer besonderen Weise zu verehren.

Aufgezogen mit einer seltsamen Mischung aus arabischer Vorstellungskraft und ekelerregendem Antisemitismus.

Ein Schuldiger musste her, für all die Leiden, die das syrische Volk in Jahrzehnten der Diktatur eines Clans ertragen musste. Zweifellos, es wurde Israel ausgemacht, ein Feindbild geschaffen in den Köpfen der Menschen.

Gepaarter Nationalismus mit einem Schuss Selbstverständnis, arabischem Chauvinismus, dass nur in der betreffenden Zeit die überleben durften, die das Recht des Stärkeren, des moralisch Verwerflicheren für sich in Anspruch nehmen durften.

Für ihn war Hitler ein Mann, den er aus den Geschichtsbüchern gut kannte. Die Wahrheit über den Usurpator aus Braunau am Inn schien vollkommen verzogen. Was Ares über ihn dachte, nachdem er in der Schule bizarre Informationen erhielt, erschreckte mich.

Ares umgarnte mich mit seinem Wissen über den elenden Nazi-Despoten.

Der Hass auf alles oder jeden war für mich die Folge der Flucht aus einem zerstörten Land, jenseits menschlicher Vorstellungskraft und Direktiven.

Folter war in seiner verlassenen Heimat eine Normalität, die der gelebten, täglichen Unterdrückung, der gewachsenen, gezüchteten Repression.

Ares warf mir in einer der ersten E-Mails vor, dass ich nichts über Folter wusste. Das schien in unseren zunächst kurzweiligen Briefwechsel ein besonderes Manko. Er fürchtete, dass Syrien nicht den Platz in der Weltgeschichte einnehmen würde, wenn nicht jedes schmerzhafte Detail der Unterdrückung genauestens vermerkt wurde. So entschloss er sich, Buch über das Elend zu führen.

Es verletzte ihn, dass ich nicht die furchterregenden Methoden angesehener Männer kannte, die, wie er meinte, in heroischer Natur gegen die vorgingen, die das ganze, bekannte Weltbild zerstörten, nachhaltig trübten.

Wer sich dem Handwerk verschloss, grenzte sich aus einer modernen, für Ares aufgeklärten Gesellschaft aus.

Dieser virtuelle Geist legte Wertschätzung auf die Geschichte der Folter. Empfand die Folter, Quälerei als menschliche Note, als ein zu lernendes Metier.

Der Geruch des Todes faszinierte ihn umso mehr.

Die Schreie der Menschen im Todeskampf faszinierten ihn so sehr, dass er nach seiner Arbeit, was auch immer er tat, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen - ich fand es in diesen Tagen nicht heraus - in eines der Krankenhäuser ging und sich das Wimmern der Leidenden anhörte.

Für Ares war Sexualität und Mater einerlei. Er ergötzte, erfreute sich an dem Schmerz der Seelen. Seine Seele existierte nicht mehr, sie war unterwegs auf der Flucht verloren, abhanden gegangen.

Für den Mann, so schrieb er, der aus seinem Kulturkreis kam, war Sex und Gewalt eins.

Es ging um das Faustrecht, um das Recht des Mannes, der Stärkere zu sein. Gleich, wie viele Frauen und Kinder starben.

Mädchen waren allenfalls als häusliche Bedienung gedacht, im nächsten Moment waren die Frauen doch treue Kameraden, zumindest das.

Ohne sie sollte es auch nicht gehen.

 

Ich schrieb ihm über meinen außergewöhnlichen Musikgeschmack.

Ich liebte Revuen aus den 1930er-Jahren, sah Hertha Mayen in einem Stück von Edmund Kötscher aus 1943: Sing mit mir, tanz mit mir!, zu der Zeit wurde an allen Fronten gestorben. Damals regierte die Diktatur in Deutschland. Jeder Widerstand wurde im Keim erstickt. Sophie Scholl, wie viele Sophie Scholls gab es in Syrien?

Ich drückte auf Wiederholung auf dem Player, dachte darüber nach, ob ich so viel Mut gehabt hätte.

Verneinte es innerlich.

Dann kamen mir die Bilder der ganzen Hitlers, Stalins, Ulbrichts, Saddams und der vielen unbeachteten Diktatoren in den Sinn. Meine eigenen Gedanken ekelten mich.

Die kleinen und längst vergessenen Helfer, die ungezählten Folterknechte des Systems. Welche Musik hörten die heute?

Aus der 3. Etage erscholl ein Technosong aus Ende der 1990-er Jahre.

Ich dachte an Ares. Ich dachte an die Proteste der „Grünen Revolution“, drei Jahre zuvor.

Wieder wollten die Geistlichen, die selbst erklärte Elite des Irans, gegen die Opposition vorgehen, weil die Barden, die Musiker, Schriftsteller die Unfreiheit einer Diktatur spüren sollten. War es in der Zeit, als diese Lieder gespielt wurden, nicht auch so in Deutschland?

Wer eine Fatwa aussprach, hasste, unterstützte den, der Kinder, Frauen und Oppositionelle exekutierte. Assad, der Menschen folterte. Der Zahn um Zahn, Auge um Auge forderte, sich dafür Knechte hielt. Kleine Räder in einem großen, immer schlechter funktionierenden System, das sich selbst überholte, selbst abschaffte.

Was war aus der Protestwelle im Iran geworden?

Vergessen die Schönheit, die von einem dieser, ich konnte das Wort überhaupt nicht aussprechen, Pasdarans oder von Mopeds mit Metallknüppeln prügelnden Basidsch-e Mostaz'afin-Milizen erschlagen wurde. Diktatoren konnten nur prügeln. Das hatte sich seit Hitler und der SA nicht geändert.

Aber der eine Diktator half dem anderen. Das war auch schon immer so, Franco, der Tenno und Hitler. Das braune Dreigestirn mit dem unbestrittenen Prinzen Benito Mussolini.

Ich erschrak über meine eigenen Gedanken. Hörte über den MP3-Spieler wie zum Trotz Willy Berking: Ja und Nein. Weil auch die es hörten, die Hitler seinerzeit verdammten. Denen wollte ich mich nahe fühlen. Für die Syrier. Für die Iraner, für die Palästinenser. Das waren Politiker oder solche, die es sein wollten.

Im Grunde genommen waren sie nichts.

Über Radio wurde an diesem Tag wieder über ein Massaker in Homs berichtet.

Lebten dort überhaupt noch Menschen, die das System Assad töten könnten?

Oder übertöteten sie ihre eigenen Gegner in einer Art Blut – und Granatenrausch?