Tage des Neubeginns - Mila Sommerfeld - E-Book
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Tage des Neubeginns E-Book

Mila Sommerfeld

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Beschreibung

Ein prachtvolles Kaufhaus, die Liebe zum falschen Mann und ein gefährliches Geheimnis …
Das große Finale der Familiensaga um die drei Schwestern vom Kaufhaus KAWA

Würzburg, 1933: Als Jüngste der Familie Wagner ist Maria verwöhnt und von allen geliebt. Als sie bei der Arbeit im Kaufhaus ihrer Schwester Edgar kennenlernt und die beiden sich heimlich näherkommen, könnte ihr Glück vollkommen sein. Doch von einen Tag auf den anderen verlässt Edgar sie und heiratet stattdessen ihre große Schwester Katharina. Marias Schock ist umso größer, als sie zudem feststellt, dass sie schwanger ist. Um die Schande zu verbergen und sich eine stabile Familie aufzubauen, heiratet sie kurzentschlossen einen anderen. Doch als Edgar in den Krieg geschickt wird, spürt Maria, wem ihr Herz wirklich gehört …

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Zeit des Wandels.

Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Erste Leser:innenstimmen
„Ich kann die komplette Reihe nur jedem Liebhaber von Familiensagas ans Herz legen!“
„Mitreißend erzählt und dadurch fesselnd bis zur letzten Seite.“
„Liebe, Drama und deutsche Geschichte in einer perfekten Mischung vereint!“
„Eine bewegende Familien- und Liebesgeschichte, an die ich noch lange denken werde.“
„emotional, spannend und super recherchiert“

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Seitenzahl: 641

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Über dieses E-Book

Würzburg, 1933: Als Jüngste der Familie Wagner ist Maria verwöhnt und von allen geliebt. Als sie bei der Arbeit im Kaufhaus ihrer Schwester Edgar kennenlernt und die beiden sich heimlich näherkommen, könnte ihr Glück vollkommen sein. Doch von einen Tag auf den anderen verlässt Edgar sie und heiratet stattdessen ihre große Schwester Katharina. Marias Schock ist umso größer, als sie zudem feststellt, dass sie schwanger ist. Um die Schande zu verbergen und sich eine stabile Familie aufzubauen, heiratet sie kurzentschlossen einen anderen. Doch als Edgar in den Krieg geschickt wird, spürt Maria, wem ihr Herz wirklich gehört …

Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits erschienenen Titels Zeit des Wandels.

Alle Bände der Reihe können unabhängig voneinander gelesen werden.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe Februar 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-905-2 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-908-3 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-873-4

Copyright © 2020, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2020 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Zeit des Wandels (ISBN: 978-3-96087-678-6).

Covergestaltung: Anne Gebhardt unter Verwendung von Motiven von stock.adobe.com: © phatthanit, © xiaoliangge, © Vlad Ivantcov, © ILIA shutterstock.com: © FlexDreams, © Coco Ibet, © Belikart, © Liudmila Pak Lektorat: Astrid Rahlfs

E-Book-Version 18.03.2024, 19:17:29.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Tage des Neubeginns

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Tage des Neubeginns
Mila Sommerfeld
ISBN: 978-3-98778-873-4

Ein prachtvolles Kaufhaus, die Liebe zum falschen Mann und ein gefährliches Geheimnis …Das große Finale der Familiensaga um die drei Schwestern vom Kaufhaus KAWA

Das Hörbuch wird gesprochen von Brigitte Carlsen.
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für meine Familie

Vorwort

Ursprünglich sollte der Roman die Liebesgeschichte zweier Menschen erzählen vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs. In dieser schrecklichen Zeit geschah so viel Unrecht, dass meine Protagonistinnen es als ihre Aufgabe sahen, Widerstand zu leisten, und so trat der Hintergrund stärker hervor. Trotz der Kämpfe, des Grauens und des Leids entstand aber nicht nur eine Liebesgeschichte, sondern drei Erzählungen, niedergeschrieben in drei Büchern. 

Während der Recherche zur Zeit des Zweiten Weltkriegs dachte ich häufig an meinen Vater. Er musste mit achtzehn Jahren in den Krieg ziehen und geriet in Gefangenschaft. Mögen wir in der Welt nie mehr solche Gräuel erleben und in Frieden miteinander leben. 

1

Würzburg, 1933

Trotz des eiskalten Tages strahlte Maria wie an einem Sommermorgen. Sie bemerkte es erst, als ihr entgegenkommende Passanten auch ein Lächeln schenkten. Endlich hatte der Goldschmied seine Arbeit an dem Geschenk für Mama beendet und es nach Marias Wünschen gestaltet. Sie fasste nach dem Schächtelchen in ihrer Handtasche. Mama würde Augen machen. Sie eilte durch die Schönbornstraße mit ihren mehrstöckigen Häusern, die im Erdgeschoss oft kleine Läden beherbergten und bog um die Ecke. Dann hatte sie den Wäscheladen erreicht. Die Marienkapelle schlug sechs Uhr, als Maria vor dem Laden stehen blieb. Wie jedes Mal wanderte ihr Blick zu dem Metallschild über der Tür. Darauf stand in schwarzen Lettern vor einem cremefarbenen Hintergrund: Leonore Wagner.

Mamas Traum von einem eigenen Geschäft hatte sich noch vor der Geburt Katharinas, ihrer Ältesten, erfüllt und seitdem arbeitete sie jeden Tag darin. Vor einem Jahr hatte sie Katharina eingestellt. Maria hob das Kinn. Das sollte ihrer Mutter erst einmal jemand nachmachen, ihr Geschäft so gut zu führen, dass sie sogar noch ihre Tochter beschäftigen konnte!

Als sie die Ladentür öffnete, bimmelten die Glöckchen darüber, doch der Raum war leer. Bestimmt war Katharina schon nach Hause gegangen und Mama im kleinen Nebenraum mit etwas beschäftigt.

Maria blieb an der Theke stehen, auf der cremefarbene Handschuhe lagen. Solche liebte Katharina. Sie strich über die kühle Seide. Sie selbst hasste alles, was sie daran hinderte, zu erspüren, was sie berührte. Fühlen war doch das Wichtigste überhaupt.

Leonore kam aus dem Büro heran, gefolgt von einem Mann in Papas Alter. Er trug einen Mantel aus schwerem Wollstoff über einem Anzug, in der Hand hielt er einen Hut. Bei Marias Anblick lächelte er, drehte sich dann zu Mama um, verabschiedete sich und verließ den Laden.

Marias Mutter sperrte hinter ihm ab. Sie fuhr sich durchs Haar und schaute erst auf ihre Schuhspitzen, bevor sie das Gesicht hob. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Lippen ebenso – wie bei einem jungen Mädchen. Sie lächelte. „Liebes, wie schön, dass du mich besuchst.“

Maria erschien es eher, als sei sie im unpassenden Moment vorbeigekommen. „Wer war der Mann?“

Leonore drehte sich zur Ladentür, als stünde er noch dort. „Ach der. Nur ein Bekannter.“

„Einer, der in dein Büro darf?“

Sie zuckte die Schultern. „Er kennt sich mit den Büchern gut aus. Ich hatte da eine Frage zu einem bestimmten Punkt.“ Sie ging wieder nach hinten und kam mit Mantel, Hut und Handtasche zurück.

Maria musterte sie. „Etwas, das ihr nicht im Laden bereden konntet?“

Leonore rückte ihren Hut vor dem Spiegel zurecht. „So ist es.“

Sie traten nach draußen. Mama schaute von einer zur anderen Seite der Straße, als wartete der Mann auf sie. Merkwürdig! In das Büro durfte niemand außer Katharina – normalerweise! Maria horchte in sich. Das Kribbeln in ihrem Bauch war mit dem Mann verschwunden und damit die Freude, ihre Mutter zu überraschen. Sie schaute sich um. Wer war der Mann, der sozusagen in das Allerheiligste des Geschäftes eindringen durfte? Mama kannte ihn wohl gut genug, um das zuzulassen, also vertraute sie ihm offenbar. Doch die Vertrauten ihrer Eltern gingen bei ihnen ein und aus. Der Mann hatte sie aber noch nie zu Hause besucht, hier im Laden aber schon. Seltsam.

Erst Tage später verschenkte Maria das Medaillon. Leonore strahlte überglücklich, als sie es öffnete und die winzigen Fotografien bestaunte. Eine von Papa, eine von Katharina, Sophia und ihr.

Leonore gab ihr einen Kuss. „Danke, mein Kind. Das ist ja wunderschön. Hast du die anfertigen lassen?“

Maria nickte. Die Freude, die sie stets wärmte, wenn sie jemanden beschenkte, erfüllte sie auch jetzt. Aber an dem Medaillon klebte die Erinnerung an den Mann in Mamas Büro, an Mama, die wie ein junges Mädchen wirkte, eines, das von etwas abzulenken versuchte, indem es Alltägliches tat.

Leonore schien die Stimmung ihrer Tochter zu spüren. „Was ist denn? Schau, ich lege es gleich um.“

Maria lächelte und imitierte mit verstellter Stimme den üblichen Spruch ihres Vaters. „Das will ich aber auch hoffen.“

Beide lachten sie.

Wie so oft hatte Maria die sie aufwühlenden Gedanken in die hinterste Ecke ihres Kopfes gestopft, doch sie blieben ja dennoch bestehen und drängten in ihr Bewusstsein, wenn sie alleine war – so wie jetzt. Gedanken an eine eingerahmte Familie, eingebettet in ein Medaillon, aus dem keiner herausfiel. Sie setzte sich auf den Stuhl vor ihrem Sekretär. Die meisten Menschen stellten sich wohl ans Fenster, wenn sie nachdachten. Marias aber ging zur Straße hin und da lenkte sie oft etwas ab, vorüberschlendernde Nachbarn, ein Automobil und seit neuestem Uniformierte, die Papa besuchten. Die empfing er hier in der Villa! Deswegen auch die ewigen Streitereien zwischen ihrem Vater und Sophia, die die Partei ablehnte. Das tat Katharina auch, aber die knallte Papa ihre Meinung nicht an den Kopf. Sophia vertrat ihre als Einzige und hielt sie Papa vor, ohne dass sie ihn verärgerte. Sie blieb immer sein Augenstern. Maria selbst lehnte die Partei ebenso ab, denn ihr erschienen die meisten Mitglieder gewaltbereit und diese Bereitschaft machte ihr Angst. Und dann die Ablehnung der Juden! Selbst Papa behandelte David wie einen Sklaven, wenn Parteimitglieder ihn besuchten, nur weil David ein Jude war. Dabei behauptete er stets, David sei nicht nur ein Bediensteter, sondern ein Freund. Würde sie Papa aber vorhalten, wie grässlich er sich ihm gegenüber benahm, würde er bestimmt nur abwinken und behaupten, sie verstünde nichts von Politik. Das lag gewiss daran, dass sie sich kaum an den Diskussionen um die Partei beteiligte. So wie damals, als Papa der Familie erklärt hatte, er trete der NSDAP bei, weil er es für besser hielt, ihr anzugehören, um Stadt und Land auf Vordermann zu bringen. Da hatte nur Sophia aufbegehrt. Alle anderen hatten geschwiegen, auch sie selbst, obwohl sie den Entschluss nicht verstanden hatte. Auch jetzt fragte sie sich, warum Papa eine Partei unterstützte, die Juden ablehnte, und auftrat, als gehörte ihr die Stadt und das Land, obwohl sie die Wahl noch nicht gewonnen hatte und hoffentlich als Verlierer hervorging.

Maria fragte Papa aber nicht. Zum einen scheute sie einen Konflikt innerhalb der Familie, zum anderen stand es ihr nicht zu, ihren Vater zu kritisieren, der sie mit Hingabe großgezogen hatte. Aber gerade sein liebevolles Wesen brachte sie nicht mit dem Eintritt in diese Partei zusammen. Glaubte er, dort etwas Gutes bewirken zu können? Vielleicht. Wenn es so war, warum erkannte Sophia den Grund nicht? Sie stand Papa doch so nah. Stattdessen schleuderte sie ihm alles entgegen, was ihr gegen den Strich ging, und es herrschte häufig Krach zwischen ihnen. Wie oft hatte Maria da mit ihren Späßen die Wogen geglättet. Wieder ein Teil einer Rolle, der gut vertuschte, was sie wirklich bewegte.

Doch wenn die Familie nicht zusammenhielt, was blieb ihr dann? Im Grunde schien es ihr, als verschlösse Papa die Augen davor, was die Partei verkündete und ausführte, und Sophia rüttelte ihn wieder wach. Sie war stark und glich ihm so sehr. Sie würde er immer lieben, also brauchte sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen.

Katharina, die Mama in ihrem Laden half, war die Tüchtige und Vernünftige, die abwartete und danach in Ruhe überlegte und abwog. Sie selbst, als die Kleine, übergingen alle. Oder lag es nicht daran, dass sie die Jüngste war? Wie sie die anderen wohl beschrieben, wenn sie danach fragte? Wahrscheinlich nur auf das Äußere reduziert: helle Haut, schwarze Augen, schwarzes Haar. Und da sagte Sophia immer, Schwarz sei keine Farbe!

Vor Jahren hatte sie einmal gefragt, wie sie zu dem Schwarz gekommen war. Ihr Vater war strohblond, mittlerweile auch grau gesprenkelt und besaß blaue Augen. Mama hatte braunes Haar und braune Augen. Soviel Maria bekannt war, hatten auch ihre Großeltern kein schwarzes Haar besessen. Mama hatte ihr geantwortet: „Du bist eben etwas Besonderes.“

Wer mochte das schon sein, wenn man nicht gerade Geburtstag feierte oder einen Preis gewonnen hatte und deswegen im Mittelpunkt stand?

Etwas Besonderes. Maria schnaubte. Oh ja, das war sie!

Letztes Jahr hatte Mama Doktor Lange geklagt: „Maria ist stets so blass. Ich mache mir Sorgen deswegen.“

Der Doktor hatte abgewunken. „Das haben wir gleich.“ Er hatte ihr Blut abgenommen und ihr nach wenigen Tagen Lebertran verschrieben.

Als der Doktor ihr den verordnet hatte, hielt er ihre Krankenakte so, dass Maria unter dem Kästchen mit der Bezeichnung Blutgruppe AB las.

Viel später hatte sie sich bei Lange erkundigt: „Was hat es denn mit der Blutgruppe auf sich?“

„Oh, diese Blutgruppe setzt sich aus der Gruppe A und B zusammen. Hier im Land herrscht vor allem die Gruppe A oder AB vor.“

Es war nicht schwer, die von ihrer Mutter herauszufinden. Die stand in ihren Unterlagen zu den Geburten von ihren drei Kindern. Sie hatte Gruppe B.

Tage später, bei einem Spaziergang, hatte Papa ihr über die Wange gestrichen. „Der Lebertran bekommt dir gut. Du hast richtig rosige Wangen.“

„Danke.“ Sie hatte ihren Mut zusammengenommen. „Welche Blutgruppe hast du?“

„Beschäftigst du dich jetzt auch damit?“

Sie hatte nur mit den Schultern gezuckt.

„Null.“ Er hatte gegrinst. „Eine seltene Blutgruppe.“

Die Antwort hatte Maria ernüchtert.

In ihren Augen stiegen Tränen auf, rannen die Wangen herab und tropften auf den Sekretär. Aus Erzählungen Davids wusste sie von Mamas Übelkeit während der Schwangerschaft mit ihr und wie Maria an dem eiskalten Morgen im Januar zur Welt gekommen war. Mama war also ihre leibliche Mutter, fehlte nur die andere Wurzel, ihr wirklicher Vater.

Nein, so konnte sie ihn nicht nennen. Er hatte sie gezeugt, aber sich wohl kaum für sie interessiert. Oder wusste er nichts von ihr, so wie sie bis vor kurzem nichts von ihm? Wer er wohl sein mochte? Einer von den Bekannten ihrer Eltern? Nein, wohl eher nicht. Zumindest ähnelte ihr keiner von ihnen, weder besaß einer das schwarze Haar, noch … Halt!

Sie hatte jemanden gesehen mit dem gleichen Haar und dem hellen Teint! Den Mann im Laden, der aus dem Büro gekommen war!

Konnte das wirklich sein? Glich er ihr tatsächlich äußerlich oder wünschte sie sich das nur, weil sie ihren Erzeuger kennenlernen wollte? Natürlich war es merkwürdig gewesen, dass er im Allerheiligsten des Ladens gewesen war, aber das machte ihn noch lange nicht zu ihrem Vater.

Wie sollte sie nur herausfinden, wer es war, ohne ihre Mutter zu fragen? Darauf ansprechen durfte sie sie niemals, denn das stellte Mama nur bloß und ob sie ihr dann den Namen verraten würde, das stand in den Sternen.

Wieder sammelten sich Tränen in Marias Augen. Sie war also ein Fehltritt, ein Versehen, ungewollt und doch in das Leben einer intakten Familie gepurzelt – mit Eltern und zwei Schwestern gesegnet, nein, zwei Halbschwestern. Und sie war der Bastard, und käme das heraus, wie stünde Mama dann da? Nein, deren Untreue musste bei Maria bleiben. Die würde sie als Geheimnis hüten.

Es klopfte an der Tür, so leise wie es nur David tat. Er steckte den Kopf zur Tür herein. „Gnädiges Fräulein, darf ich kurz stören?“

David schaute auch heute wieder aus wie einem Magazin entsprungen. Das dunkle Haar gescheitelt, die Kleidung wie frisch gebügelt.

Maria drehte sich weg und wischte mit dem Taschentuch über ihr Gesicht. „Ja, David?“

„Fräulein Margarethe wartet unten in der Diele.“

„Ach, schicken Sie sie doch bitte herauf.“

„Selbstverständlich, Fräulein Maria.“

Maria wischte sich das Gesicht noch einmal mit dem Taschentuch ab, stand auf und betrachtete sich im Spiegel. So verheult wie sie ausschaute, hielt sie es für besser, wenn Margarethe heraufkam und sie sonst keinen antraf.

Schon klopfte es an der Tür. Margarethe schneite herein und umarmte Maria zur Begrüßung. Dann hielt sie sie etwas auf Abstand und zog eine Braue hoch. „Hast du geweint? Was ist denn los?“

Maria schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin etwas erkältet und habe schlecht geschlafen.“

Margarethe legte ihr die Hand auf die Stirn. „Fieber hast du keins. Dann lass uns an die Luft gehen, die wird dir guttun.“

„Ich sehe dich in letzter Zeit kaum noch. Warum igelst du dich so ein?“

„Tue ich doch gar nicht.“ Margarethe richtete vor dem Spiegel ihre Frisur. „Na gut, im Grunde habe ich in der letzten Zeit auch viel um die Ohren.“

Maria musterte sie. „Was machst du denn?“

„Mich um die christliche Jugendgruppe kümmern.“

„Aha.“

Margarethe erzählte von ihrer Arbeit dort, dass sie mit den Kindern las und Lieder sang, doch Maria hörte nur mit halbem Ohr zu. War es nicht leichter, sich um andere zu kümmern, wenn im Inneren alles an seinem Platz war?

Margarethe stoppte ihre Erzählung und starrte Maria an. Wartete sie auf eine Antwort? Maria hatte die Frage nicht gehört. Also nickte sie. Hoffentlich passte die Reaktion.

Margarethe lächelte. „Was du brauchst, ist etwas Zerstreuung. Wie wäre es, wenn wir zwei an einem Abend ins Tanzcafé gingen?“ Maria rollte mit den Augen. „Ich bin noch viel zu jung dafür sagt Mama.“

„Du bist siebzehn, ich zwanzig, also auch nicht volljährig. Trotzdem lässt mich meine Mutter hingehen.“

„Du bekommst doch ohnehin alles, was du dir wünschst.“

Margarethe verzog das Gesicht. „Ja, ich – das verwöhnte Einzelkind.“

Maria schaute zu Boden. Nun drückte sie Margarethe auch in eine Rolle. Sie hob das Gesicht wieder. „Entschuldige, ich weiß, dass das nicht stimmt.“

Zwar war Margarethe das einzige Kind der Schultheiß, und ihre Mutter versuchte auch, sie zu verhätscheln, indem sie sie nach der neuesten Mode ausstaffierte und auch sonst alles Erdenkliche tat, um ihr Kind glücklich zu sehen. Doch Margarethe selbst war das Getue eher lästig und für ihre Garderobe interessierte sie sich nur, wenn ihr etwas außergewöhnlich erschien. Ihr lag es mehr, anderen zu helfen, was sie ja auch in der Jugendarbeit tat.

Maria schämte sich ihrer Worte. Sie war gerade gedankenlos gewesen, weil sie den Kopf mit Sorgen voll hatte. Im Grunde beneidete sie Margarethe um ihre Leichtigkeit im Leben. Ihre Worte waren Maria peinlich. Sie senkte den Kopf und hob ihn wenig später wieder.

Margarethe kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Du bist ganz schön durch den Wind, hm?“

Maria zuckte die Schultern. „Etwas angeschlagen halt.“

„Überleg dir das mit dem Tanzcafé noch einmal.“

Sie umarmte Maria, ging bereits zur Tür, drehte sich aber wieder um. „Ist Sophia da?“

„Ich weiß nicht.“

„Ich schau mal nach ihr.“

Schon verschwand sie aus dem Zimmer, schloss die Tür hinter sich und ließ Maria alleine zurück. Was war das denn? Seit wann interessierte Margarethe sich für Sophia?

Maria ging ans Fenster und schaute hinaus. Der Apotheker von gegenüber trat aus dem Haus, stellte den Kragen nach oben und steckte die Hände in die Taschen. Er machte nur kleine Schritte und ging gebeugt. Wie viele Sorgen es wohl brauchte, bis sie ein Rückgrat beugten?

Unten öffnete Margarethe das Gartentor, Sophia folgte ihr. Margarethe lachte und hob das Gesicht. Maria trat rasch einen Schritt zurück ins Zimmer. Fehlte ja gerade noch, dass sie sie bemerkten und ihretwegen ein schlechtes Gewissen bekamen.

Maria setzte sich wieder auf den Stuhl und starrte die gegenüberliegende Wand mit dem Bild über ihrem Betthaupt an. Ein Engel beschützte ein Mädchen und einen Jungen, die über einen schmalen Steg balancierten, unter dem ein Wildbach rauschte. Wagte jemand etwas, wurde er beschützt. Derjenige, der einfach nur dasaß und vor sich hinbrütete, bedurfte keines Schutzes. Er war es nicht wert, solange er sich nur bemitleidete.

Keiner mochte Heulsusen. Margarethe hatte es ihr gerade demonstriert. Sie ging lieber mit Sophia spazieren, weil die sich eben dazu bereiterklärte, anstatt ihr beim sich selbst Bedauern Gesellschaft zu leisten.

Und nun? Maria starrte auf ihren Sekretär. Da lagen ihre Notizbücher, fein säuberlich nach Jahren und Themen geordnet. Obenauf das mit den Außentemperaturen aus diesem Jahr. Sie schlug es auf, ging zum Fenster, las die Temperatur ab und trug die sieben Grad für heute ein.

Im Grunde notierte sie ständig etwas, angefangen bei ihrer Körpergröße und der von Katharina und Sophia über die Höhe des Nussbaumes im Garten bis zu den Sonnenstunden am Tag. Nun also die Temperaturen. Sie strich über die Seite. Zahlen liebte sie, die schafften Klarheit, Ordnung – allemal besser als diffuse Gefühle und Trübsal. Sie griff in ihr Holzkästchen, nahm ihren Glückspfennig heraus, trat ans Fenster, drehte ihn in der Hand und fing die Sonnenstrahlen mit ihm ein. Er funkelte, als sei er gerade erst gegossen worden. Als kleines Mädchen hatte sie ihn im Hofgarten der Residenz gefunden und hocherhobenen Hauptes nach Hause getragen. Damals hatte sie ihn jedem gezeigt, der ihn sehen wollte, denn er war ihr erstes Geldstück gewesen. Mama hatte sie daraufhin erklärt, dass sie von nun an ihr Geld zählen wolle und überhaupt Zahlen das Schönste der Welt seien. Wäre nur alles so logisch wie eine Zahlenreihe.

Maria trug den Pfennig zurück zum Sekretär, verstaute ihn in dem Kästchen, packte alle Notizbücher weg, als ihr ein kleines Büchlein dazwischen herausfiel. Sie hob es vom Boden auf. Es war ihr Tagebuch aus Kinderzeiten. Sie schlug es wahllos auf und begann zu lesen:

Margarethe ist gemein. Sie hat gesagt, dass ich immer die Prinzessin sein will und nie die Hofdame. Aber Sophia hat dann gesagt, dass ich auch beschützt werden muss und deshalb die Prinzessin sein darf. Dann wollte ich sie aber nicht mehr sein.

Schon damals hatte sich Sophia um ein gerechtes Miteinander gesorgt. Das hatte sich bis heute nicht geändert.

Wir waren mit Mama auf dem Volksfest und haben Zuckerwatte gegessen. Die war lecker. Katharina hat mir noch Bonbons geschenkt und gesagt, ich solle sie mir gut einteilen, dann könne ich mich länger an den schönen Tag erinnern.

Maria roch die Zuckerwatte beinahe, wenn sie die Augen schloss. Sie strich über ein Bonbonpapier, das sie unter die Zeilen geklebt hatte. Die Kindheitserlebnisse erschienen ihr wie ein einziger Nachmittag im Sommer: träge, pastellfarben, voller Kinderlachen. Damals hatte sie wie selbstverständlich dazugehört.

Sie klappte das Buch zu. So durfte sie nicht weiter in den Tag hineinleben, grübeln und sich zermürben. Aber was konnte sie tun? Wie den Namen des Vaters herausfinden? Und dann?

Das Denken im Kreis brachte nichts. Maria lief nach unten, schlüpfte in ihren Mantel, wickelte sich einen Schal um und verließ das Haus. Frische Luft würde ihre Gedanken sortieren. Hoffentlich!

Sie ging im Park spazieren, vorbei an dem Ententeich, dessen Wasser am Rand eine Eisschicht trug, an den Bäumen und Büschen, die ihre erstarrten Äste gen Himmel ragten. Schließlich verließ sie den Park wieder. Unschlüssig stand sie vor dem Tor zum Hofgarten der Residenz. Sollte sie gleich zurückgehen? Da rief eine Stimme in ihrem Rücken ihren Namen. Maria drehte sich um. Die Sängerin Sina kam auf sie zu. Wie war bloß noch der Nachname?

„Hallo, ich bin Sina Mainberger. Sie sind doch eine Freundin von Margarethe, oder?“

Maria nickte. „Ja, stimmt.“

Sina vergrub ihre Hände in den Manteltaschen ihres verschlissenen Mantels. Obwohl sie abgetragene Sachen anhatte, schaute sie umwerfend aus. Das schwarze Haar, die olivfarbene Haut, die vollen roten Lippen und diese großen dunklen Augen.

Haar und Augen – ihren eigenen so ähnlich.

Sina blieb vor ihr stehen. „Sie sind Maria, oder? Margarethe hat mir so viel von Ihnen erzählt. Die schöne Maria.“

Sina schaute sie lächelnd an, doch Maria mochte das Kompliment nicht mehr hören. Gab es denn an ihr nichts Interessanteres als ihr Aussehen? Wie oft hatte sie schon gesagt bekommen, wie gut sie aussehe, Mamas hübsches Mädchen, nun eine attraktive junge Frau. Als wäre das Äußere wichtig. Im Grunde diente es ihr als Rückzug, als Versteck ihres Inneren. Dafür eignete es sich prima.

„Alles in Ordnung?“ Sina musterte sie.

Maria senkte den Blick. „Ja.“

Sina deutete mit dem Kinn zum Hofgarten. „Ich muss hier weiter und Sie?“

„Ich gehe mit.“

Sina erzählte von ihrer Arbeit beim Stadttheater. Dabei zog sie den Wollschal enger um den Hals. „Die Stimme ist mein Kapital. Und was arbeiten Sie?“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich weiß schon, nicht jede junge Frau arbeitet. Margarethe auch nicht, aber sie engagiert sich ja in der Kirche oder so was Ähnliches.“

Maria wandte sich ab. Was sollte sie antworten? Wen interessierte schon eine Aufstellung über die Außentemperaturen?

Da kamen ihnen drei Uniformierte entgegen, die direkt auf sie zusteuerten. Sina trat einen Schritt zur Seite und zog Maria mit sich. Die Uniformierten wichen nicht zurück, sie setzten ihren Weg fort, als gehöre er ausschließlich ihnen. Unfassbar! Maria schluckte. „Sind wir Geister oder was sollte das gerade eben?“

Die drei trafen auf andere und grüßten mit ausgestrecktem Arm. „Heil Hitler!“

Sie redeten kurz miteinander, und einer mit gelacktem schwarzem Haar drehte sich zu ihnen um. Die Augen kniff er zu Schlitzen zusammen.

„Komm!“ Sina zog Maria mit sich. „Verschwinden wir von hier.“

Sie duzte Maria auf einmal, die Furcht schien sie zusammenzuschweißen.

„Was wollen die von uns?“ Maria folgte Sina, die schon beinahe aus dem Hofgarten hinausrannte. Erst als sie das Tor erreichten und auf den Rennweg traten, blieben sie stehen. Sina schaute zurück. „Keiner zu sehen.“ Dann wandte sie sich an Maria. „Ich weiß es nicht, nehme aber an, dass die keine Sinti mögen und ich bin eine.“

„Ich verstehe nicht.“

Sina hob die Hände. „Wen mögen die schon? Die Juden nicht und uns Sinti auch nicht.“ Sie schüttelte den Kopf. „Einer von den wichtigen Parteimitgliedern hat mir nach meinem letzten Auftritt Blumen geschickt. Auf der Straße aber würde er mich nicht einmal grüßen.“

„Aber …“ Maria drehte sich um und schaute zurück, doch es kam ihnen nur eine junge Frau mit einem Mädchen an der Hand entgegen.

Sina legte ihr die Hand auf den Arm. „Ich muss jetzt weiter. Mach dir nicht so viele Gedanken, die Rüpel meinten mich.“

„Das reicht ja wohl!“ Maria schüttelte den Kopf. „Was nehmen die sich eigentlich raus?“

„Was sie wollen. Auf Wiedersehen.“ Sina lächelte, rieb sich die Hände, steckte sie in die Taschen und eilte in Richtung Stadttheater.

Maria schaute ihr nach. Diese Uniformierten hätten Sina und sie umgerannt – einfach so – wenn Sina nicht rechtzeitig reagiert hätte. Und das nur, weil sie den Sinti angehörte? Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Das würde sie Papa erzählen!

Sie ging den Rennweg hinauf und traf dort auf Sophia. Die sagte über den Schal um Mund und Nase: „Na, wenn du sowieso spazieren gehst, hättest du das auch zusammen mit uns machen können.“

Maria nickte. Wie sie das „uns“ betonte. Als seien Margarethe und sie beste Freundinnen. „Ja, ich wollte auch noch ein wenig an die Luft.“

Sophia hakte sie unter. „Jetzt aber nichts wie heim in die warme Stube.“

Maria hielt mit ihr Schritt und erzählte von den Uniformierten.

Sophia schnaubte. „Dieses elende Pack! Wollen zwei Frauen über den Haufen rennen, das trauen sie sich. Ich möchte die sehen, wenn ihnen von starken Männern die Stirn geboten wird.“

„Reg dich nicht wieder auf.“ Maria seufzte. Hätte sie nur ihren Mund gehalten und Papa später zur Rede gestellt.

Sophia blieb plötzlich stehen. „Warte! Die Kerle haben was gegen die Sinti und sind deswegen auf euch zugestürmt, also wegen Sina?“

Maria zuckte die Schultern. „Das sagt jedenfalls Sina.“

„Was aber ist mit dir? Du warst doch neben ihr. Die können sich doch nicht trauen, dich auch umzurennen!“

Maria strich sich über ihr Haar. „Vielleicht haben sie durch mich hindurchgeschaut.“

Sophia lächelte. „Das wären aber die ersten Männer, die das täten.“

Maria schaute sie fragend an. „Was meinst du damit?“

„Du schaust schon ab und an in den Spiegel, oder?“

„Hör auf!“ Jetzt ging das schon wieder los! Maria ging weiter, Sophia folgte ihr und schwieg zum Glück. So blieb ihr die Litanei über die Männer und ihr Aussehen erspart. Aber Sophias Gedanke nagte an ihr. Es stimmte, was sie ansprach. Maria war an Sinas Seite gewesen und sie gehörte nicht den Sinti an. Warum waren die Uniformierten nicht ausgewichen? Natürlich war es falsch, Sina abzulehnen und sie umzulaufen, aber wenn die beiden das vorhatten, warum nahmen sie es in Kauf, dass auch Maria in Mitleidenschaft gezogen würde? Nur weil sie Sina begleitet hatte?

David öffnete die Haustür, nahm ihnen die Mäntel ab und hängte sie auf Bügel. Da stürmte Sophia bereits in Heinrichs kleines Zimmer, das sogenannten Herrenzimmer, in dem er auch jetzt am Tisch saß, die Lesebrille auf das blonde Haar geschoben, eine Zigarette rauchend. Der zweite Stuhl stand ein Stück vom Tisch entfernt, offenbar hatte David ihm Gesellschaft geleistet. Sophia baute sich vor ihrem Vater auf.

„Du glaubst nicht, was passiert ist.“

Heinrich stippte die Asche ab und hob das Gesicht. „Was?“

Maria folgte David in den Raum und stellte sich neben ihn.

„Erzähl du!“, forderte Sophia sie auf. Also berichtete sie, wie die Uniformierten sich verhalten hatten. Als sie endete, fragte ihr Vater: „Sina Mainberger? Die Sängerin vom Theater?“ Sophia übernahm. „Genau die. Und was sagst du dazu, dass deine Parteifreunde Maria und sie einfach so umrennen wollten?“

Heinrich musterte David, antwortete ihr aber. „Möglich, dass sie nicht auf ihren Weg geachtet haben.“

„Was?“ Sophia schnaubte. „Glaubst du Maria nicht?“

„Manchmal sieht etwas anders aus als es gemeint war.“

Maria drehte sich um, verließ das Zimmer und stieß dabei beinahe mit Leonore und Katharina zusammen.

Ihre Mutter hielt sie am Arm fest. „Was ist denn hier los?“

Sophia drehte sich zu ihnen um und schilderte durch die offene Tür, was geschehen war. „Und Vati spielt natürlich wieder alles runter.“

Katharina legte den Arm um Maria.

Leonore trat ins Zimmer und wandte sich an ihren Mann. „Warum glaubst du dem Kind nicht?“

Maria senkte den Kopf. Dem Kind! Natürlich brauchte sie wieder ihre Mutter, die ihr den Rücken stärkte. Wie sie das hasste! Auch die Debatten und das Schimpfen Sophias. Lieber hätte sie alleine mit ihrem Vater gesprochen und das in Ruhe. Später würde sie genau das tun!

Maria lächelte. „Es ist ja nichts passiert. Schlimmer als alles andere ist mein Bärenhunger. Wenn ihr also nicht wollt, dass ich wirklich umfalle, dann lasst uns jetzt zu Abend essen.“

„Das ist mal ein Wort!“ Heinrich stand auf, bot Leonore den Arm an und führte sie ins Esszimmer. Sophia ging kopfschüttelnd an ihr vorbei und machte gerade den Mund auf, als Katharina sie stoppte. „Lass es jetzt mal gut sein.“

2

Hilda hatte Zwetschgenknödel mit Bröseln und viel Zucker gekocht. Es waren eingemachte Zwetschgen, die sie in die Knödelmitte gedrückt hatte. Maria liebte das Essen. Doch gerade verging ihr der Appetit. Sie hätte Sophia zur Seite stehen sollen. Schließlich hatte sie ihr helfen wollen und deswegen ihren Vater zur Rede gestellt. Oder war es ihr nur wieder um die Politik gegangen? Maria seufzte.

„Warst du nicht kurz vorm Verhungern?“ Sophia deutete mit der Gabel auf Marias Teller. „Du isst ja gar nichts.“

Sofort beugte Leonore sich zu ihrer Tochter. „Was ist denn los, Liebes?“

Sophia zog eine Braue hoch, ein Zeichen, dass sie Maria durchschaute. „Maria, iss ruhig weiter. Es werden noch Zeiten kommen, in denen wir unsere Kraft brauchen. Das ist erst der Anfang, glaub mir.“

„Sophia!“ Mama streichelte über Marias Arm. „Lass dein Unken bei Tisch!“

„Wo soll ich das denn sonst kundtun? Auf dem Marktplatz?“

Maria legte das Besteck zur Seite und wartete. Schon mischte sich Heinrich ein, indem er seine Hand auf die seiner Tochter Sophia legte. „Du darfst nicht alles so schwarzsehen, Mädel. Es wird mit dem Land schon wieder bergauf gehen.“

Sophia schnaubte. „Schau dich doch mal um …“

„Habt ihr noch ein anderes Thema als die Politik?“ Katharina schaute in die Runde. „Frau Wendel war heute im Laden und hat uns zum Kaffee am Sonntag eingeladen.“

„Ach ja.“ Leonore grinste. „Ihr Sohn kommt für zwei Wochen in die Stadt, bevor er nach Berlin zurückfährt.“ Sie schaute Katharina an. „Er ist Arzt im Krankenhaus.“

Sophia grinste Maria an. Da arbeitete Mama den ganzen Tag mit Katharina zusammen und ahnte nicht, dass das Herz ihrer Ältesten bereits jemandem gehörte.

„Du hast mir das schon erzählt, Mama“, sagte Katharina und rührte in ihrer Tasse. „Und? Wollen wir zu Wendels?“ Heinrich lockerte seine Krawatte. „Ich habe für Sonntagabend schon Gäste eingeladen.“

„Welche aus der Partei?“ Sophia stand auf. „Da müsst ihr leider auf mich verzichten. Der Besuch vom letzten Mal hat mir gereicht.“

Leonore schüttelte den Kopf. „Dieses Kind!“

Sophia blieb kurz im Türrahmen stehen. Natürlich hatte sie das gehört.

So war es immer. Ihre Mutter schimpfte über Sophia, Papa hielt zu seinem Augenstern. Diesmal schwieg er aber, und nun lag es an ihr, Sophia in Schutz zu nehmen. „Es stimmt doch, was sie sagt. Die Gäste vom letzten Mal haben sich nicht gut benommen und David …“

Sie brauchte es nicht auszusprechen. Papa hatte ihn wie einen Sklaven behandelt, nur weil er Jude war, obwohl er sonst beinahe wie mit einem guten Freund mit ihm umging.

Maria schaute zur Tür. Sophia zwinkerte ihr zu, dann verschwand sie nach oben. Gut, dass sie ihr nicht mehr böse war.

Heinrich räusperte sich. „Jedenfalls müssen wir den Besuch bei Wendels absagen.“

Mama seufzte. „Wie schade. Vielleicht können wir sie für die Woche darauf zu uns einladen, da ist der Sohn …“

„Mama, ich bin nicht an ihm interessiert.“ Katharina strich sich durchs Haar. „Egal ob er Arzt ist oder nicht.“

Leonore verzog das Gesicht. „Dann eben nicht.“

Katharina strich lächelnd über ihren Arm und damit war das Thema vom Tisch.

Maria stand auf. „Ich gehe nach oben.“

Im Kamin brannte ein Feuer, dennoch fröstelte Maria. Sie legte sich auf das Bett und kuschelte sich in die warme Wolldecke, die David ihnen im Winter stets aufs Bettende legte. Wie klar Katharina ihre Meinung äußerte, auch wenn sie Mama nicht gefiel. Sie selbst traute sich das meistens nicht, weil sie es nicht riskieren wollte, jemanden zu verärgern. Gut, vorhin hatte sie Sophia verteidigt. Es stimmte ja auch, dass die Rüpel gemein zu David gewesen waren, und Papa hatte sich auf ihre Seite geschlagen. Dennoch! Wie alle geschwiegen hatten, als sie Sophia unterstützt hatte. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn jemand etwas dazu gesagt hätte und ihr die Möglichkeit gegeben hätte, alles abzumildern. So war es aber nicht gewesen. Vielleicht dachten sie auch, die Kleine bräuchte sich nun wirklich nicht um die Politik zu sorgen. Oder noch schlimmer: Lassen wir sie halt auch einmal mitreden.

Zum Glück klopfte Sophia an und steckte den Kopf zur Tür herein. „Schläfst du schon?“

„Wenn ich jetzt darauf antworte …“

„Kluges Mädchen.“ Sophia kam herein. „Ich gehe noch mal weg, wollte dir aber sagen, dass Margarethe dich morgen Abend ins Tanzcafé mitnehmen will.“ „Das wird Papa mir nicht erlauben.“ Sophia grinste und fasste nach dem Türgriff. „Du kannst es doch wenigstens versuchen. Hm?“

„Ja.“ Maria stützte sich auf die Ellbogen auf. „Sophia? Was um alles in der Welt hast du da an?“

„Etwas Praktisches.“ „Da ist selbst Hilda beim Kochen schöner angezogen.“

„Danke und gute Nacht.“

Wo wollte sie denn in dem Aufzug hin? Ob das mit Margarethe und ihrer Jugendgruppe zu tun hatte? Maria würde sie fragen. Vermutlich hatte Margarethe ein schlechtes Gewissen, weil sie heute mit Sophia losgezogen war. Aber das brauchte sie ja nicht, sie selbst hatte den Spaziergang abgelehnt. Jedenfalls ginge sie gerne zum Tanzen. Aber ihr Vater würde ihr das niemals erlauben. Wieso sollte er auch? Ausgerechnet ihr!

Am nächsten Morgen las Heinrich aus der Zeitung vor. „Vergangene Nacht hat der Reichstag in Berlin gebrannt.“

Sophia schob die Brauen zusammen. „Lies doch weiter! Da steht auch, dass die Gesetze keine Bedeutung mehr haben. Der Boden für deine Partei ist geschaffen.“

Heinrich faltete die Zeitung zusammen und wischte sich über das Gesicht. „Sophia …“

„Was?“ Sophias Gesicht rötete sich. „Das bedeutet doch, dass alle, die nicht für deine Partei sind, Feinde der Regierung sind. Richtig?“

Heinrich hob abwehrend die Hände. „Jetzt übertreib nicht so!“

Sophia stand auf und pfefferte die Serviette auf den Tisch. „Ich übertreibe? Frag mal David, ob ich das tue! Frag alle anderen Juden in der Stadt!“ Sie drehte sich um und verließ das Esszimmer.

Maria wandte sich an ihren Vater. „Was meint sie damit?“

Er umschloss ihre Hand. „Nichts, mein Kind. Sophia malt alles schwarz.“ Dann verließ auch er das Zimmer.

Leonore stand ebenso auf. „Fang du jetzt nicht auch noch an, dich für Politik zu erwärmen. Es reicht auch so schon.“

Maria legte die Serviette auf den Tisch. Warum behandelten sie alle wie ein kleines Mädchen? Nur noch Katharina saß am Tisch, schlug die Zeitung auf und las darin.

„Sophia hat recht. Wenn doch alle Gesetze außer Kraft gehoben sind, dann kann die Regierung machen, was sie will, oder nicht?“

Katharina hob den Kopf. „Hier in der Stadt hat die NSDAP die Wahl noch nicht gewonnen. Hoffentlich wählen die Einwohner richtig.“

„Aber auch wenn sie hier nicht gewinnen, dann … Katharina ich habe Angst.“

Katharina faltete die Zeitung zusammen und legte den Arm um Marias Schulter. „Offenbar sind noch mehr mit den Handlungen der Partei nicht einverstanden. Denn jemand hat den Reichstag in Brand gesteckt.“

Maria lehnte ihren Kopf auf Katharinas Schulter. „Ich habe Angst um die jüdischen Einwohner. Denk an David und …“ Sie rang mit sich. Sollte sie fragen? Sie setzte sich gerade hin und schaute Katharina in die Augen. „Du bist doch mit Joseph Weiß zusammen?“

Katharinas Wangen färbten sich rot, sie senkte den Blick. „Na ja, wir mögen uns.“

„Ich weiß. Was wird Joseph tun? Er wird doch die Auswirkungen der Regelungen der Partei auch zu spüren bekommen.“

Katharina zuckte die Schultern. „Wir haben da nicht drüber gesprochen. Aber es gibt so viele jüdische Händler und Kaufleute. Die können sie nicht alle schikanieren.“

Da war sich Maria nicht sicher. Was, wenn Joseph in Schwierigkeiten geriet? Wie würde es Katharina dabei ergehen? Von David gar nicht zu reden …

Katharina drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Ich muss los. Sorge dich nicht unnötig.“

Unnötig? Maria schloss die Augen. Vor ihrem geistigen Auge schien die Zukunft vorbeizuziehen wie ein breiter Fluss, dessen Wasser sich vom Schlamm verfärbte.

Maria blieb sitzen, bis David das Geschirr auf dem Tisch zusammenstellte.

„Gnädiges Fräulein, kann ich etwas für Sie tun?“

Sie schaute ihn an. „Ist Papa noch zu Hause?“

David nickte. „Meines Wissens wird er erst am Nachmittag das Haus verlassen, wie die gnädige Frau auch.“

„Wie bitte?“

David zupfte an seiner Fliege um den Hals. „Sie haben wohl einiges zu bereden.“

Maria stand auf. „Ich verstehe. Sie sind wohl im Wohnzimmer?“

„Im kleinen Zimmer.“

„Danke.“ Sie legte David die Hand auf den Arm. „So kann es nicht weitergehen.“

„Sehr wohl, gnädiges Fräulein.“

Maria klopfte an die Tür des kleinen Zimmers und öffnete sie, noch bevor sie jemand hereinbat. Ihre Mutter war nicht da. Heinrich saß zurückgelehnt und mit einer Zigarette in der Hand im Stuhl. „Liebes, was gibt es?“

Maria setzte sich in den zweiten Stuhl ihrem Vater gegenüber. „Sprecht ihr darüber, warum du noch in dieser Partei bist?“

Heinrich hob die Brauen. „Wie kommst du darauf?“

Maria schaute zur Decke und wieder zu ihrem Vater. Wo sollte sie anfangen?

„Der Reichskanzler und Oberste deiner Partei hat genügend einflussreiche Leute um sich geschart. Hinzu kommt, dass er dem Volk verspricht, was es hören will, nämlich Arbeit und Wohlstand. Ja, und er sucht nach Schuldigen für die Krise im Land. Stimmt das?“

Heinrich drückte die Zigarette aus und runzelte die Stirn. Den Ausdruck der Verwunderung liebte Maria an ihm.

„Du scheinst die Zusammenhänge erfasst zu haben.“ Heinrich machte eine kurze Pause, brauchte sie wohl auch.

„Und nun willst du, dass ich so eine Partei verlassen soll?“

Maria stand auf. „Nein. Bleib bei ihnen.“

Mama öffnete die Tür des kleinen Zimmers, als Maria gerade die Klinke in die Hand nahm, um hinauszugehen. „Kleines, was gibt es?“

„Margarethe möchte mit mir heute Abend ins Tanzcafé.“

„Unsinn, du bist viel zu jung. Es sei denn, Katharina geht mit.“

Maria lächelte. „Und wenn Sophia mich begleitet?“

„Der Hitzkopf? Kommt überhaupt nicht infrage.“

Maria stieg die Treppe hinauf, ging in ihr Zimmer und trat ans Fenster. Sophia wurde neunzehn, doch Mama traute ihr nicht zu, auf sie achtzugeben und hielt sie für einen Hitzkopf. Erkannte sie nicht, was Sophia bewegte? Was bestimmt viele Menschen im Land sorgte? Ja, Sophia platzte mit allem sofort heraus, was ihr auf dem Herzen lag, aber wenigstens verschloss sie nicht die Augen, wie es Mama offensichtlich tat.

Es klopfte an der Tür. Margarethe schneite herein. „Und? Darfst du?“

Maria zuckte die Schultern. „Ich habe Mama gefragt, aber sie erlaubt es nur, wenn Katharina mitgeht und die hat bestimmt keine Lust.“

Margarethe winkte ab. „Wozu sind beste Freundinnen da? Komm!“

Sie stiegen die Treppe hinab. In der Diele hielt Margarethe sie zurück. „Lass mich das regeln.“

Die Tür vom kleinen Zimmer stand offen. Mama trug David irgendwelche Anweisungen auf. Sie strich sich eine Strähne hinters Ohr, wie so oft, wenn sie nachdachte – die gleiche Geste, bei der sich Maria oft ertappte. In dem Augenblick, als Mama zu David aufschaute, erkannte sich Maria in ihr wieder. Das zaghafte Lächeln in dem herzförmigen Gesicht, die hohen Wangenknochen, die dunklen großen Augen. Mamas waren heller, auch ihr Haar hatte eher einen Kastanienton, wie Katharinas. Und doch sah Maria ihr unglaublich ähnlich.

David notierte etwas auf einem Zettel. „Sehr wohl, gnädige Frau. Ich werde mich sofort darum kümmern.“

„Tun Sie das, mein Lieber.“ Leonore wollte gerade die Tür hinter ihm schließen, aber Margarethe ließ sich davon nicht aufhalten. Sie grüßte Marias Eltern und stimmte sie im Handumdrehen um.

Als Armin, der im Grunde meist nur Heinrich chauffierte, sie am Abend in dessen Wagen zum TanzcaféChristina brachte, hielt Maria es noch immer für ein Wunder, zumal ihr Vater stets um den guten Ruf der Familie besorgt war. Schließlich war der Name Wagner in Würzburg und auch im Land hoch angesehen. Heinrich Wagners Baufirma hatte manch prächtiges Geschäftshaus neben kleineren Wohnhäusern errichtet. Zudem hatte er eine Menge Freunde unter den angesehenen Bürgern der Stadt, nun auch welche von der Partei.

Maria schaute zu Margarethe, die aus dem Seitenfenster hinaussah. Sie hatte ihre Mutter schlicht gefragt, ob sie ihr nicht zutraue, auf Maria zu achten, und da hatte Leonore zugestimmt. Sie war mit ihren zwanzig Jahren immerhin drei Jahre älter als Maria, aber auch noch nicht volljährig. Dennoch wusste Leonore auf einmal, dass sie sich auf sie verlassen konnte. Seit sie als kleine Mädchen zusammen im Hofgarten und im Park gespielt hatten, waren Maria und sie beste Freundinnen geworden. Es war keine Woche vergangen, ohne dass sie sich wenigstens einmal getroffen und sich ihre Geheimnisse anvertraut hatten. Und nun hielt Mama Margarethe offenbar für vernünftig und sie saßen zusammen im Fond von Papas Automobil und ließen sich von Armin zum Café chauffieren, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

Maria fummelte am Gürtel ihres Kleides. „Bin ich passend angezogen?“

Margarethe winkte ab. „Ja. Aber du könntest auch im Kleid eurer Köchin zum Tanzen gehen und die Männer würden trotzdem Schlange stehen.“

„Aha.“

Margarethe lachte. „Glaub mir, du wirst dich im Café nicht langweilen.“

Maria drehte ihr Gesicht zum Seitenfenster. Warum beantwortete Margarethe nicht einfach ihre Frage nach dem passenden Kleid? Schließlich hatte sie nicht danach gefragt, ob sie hübsch genug für das Tanzcafé war. Sie seufzte. Sobald sie auf einen Teil ihrer Garderobe hinwies, bezog man ihr Aussehen mit ein. Als gäbe es sonst nichts Nennenswertes an ihr – keinen Verstand, kein Herz, keinen Charakter, nichts Liebenswertes. Stets hieß es, sie könne sich auch in einem Sack zeigen und jeder starre ihr in die Augen oder in ihr hübsches Gesicht, auf ihr schwarzes langes Haar, als sei sie eine seelenlose Hülle, eine Puppe. Sah das Margarethe wirklich in ihr? Wie oft hatte sie ihr die Notizen gezeigt, die einen Fingerzeig darstellten – einen auf ihren Verstand. Erkannte Margarethe das nicht?

Marias Familie wohl auch nicht, denn die hielt sie nach wie vor klein. Alles Unerfreuliche verschleierte sie vor ihr, als genüge es, hübsch zu sein. Aber warum nur?

Katharina hatte schon immer Verantwortung aufgebürdet bekommen und sie brauchte sich nie nach ihrem Aussehen bewerten zu lassen, obwohl sie attraktiv war. Nein, Katharina hatte schon als kleines Mädchen auf Sophia und sie achten müssen. Jetzt, mit ihren zwanzig Jahren, kam noch ihr Fleiß hinzu. Den lebte sie in Mamas Laden aus und verkaufte Wäsche und Seidenstrümpfe. Einmal nur hatte Maria gefragt, ob sie selbst auch dort arbeiten dürfe, da hatte Mama abgewunken. Für drei sei der Laden zu klein. Aber war das auch der wahre Grund? Schließlich konnte sie gut mit Zahlen umgehen. Lag es nicht vielmehr daran, dass Mama ihr Arbeiten nicht zutraute oder daran, dass sie vor allem verschont werden sollte, weil sie das Stiefmütterchen der Familie war? Ein Kloß bildete sich in Marias Hals. Verflixt! Den brauchte sie jetzt nicht.

Armin stoppte den Wagen vor dem Café und hielt ihnen die Türen auf. Maria dankte ihm und er neigte leicht den Kopf. Er könnte wirklich Davids Bruder sein, die gleiche schlanke Gestalt, das dunkle Haar seitlich gescheitelt.

Margarethe stieß sie an. „Schau mal, jetzt gehen die Männer sogar in Uniform zum Tanzen.“

„War das vorher nicht so?“

„Zum Glück nicht.“

Armin schloss die Türen. „Wann soll ich die gnädigen Fräulein abholen?“

Maria hakte sich bei Margarethe unter. „Ich darf bis um zehn Uhr ausgehen.“

Die Uhrzeit hatte Margarethe herausgehandelt. Maria hätte gerne noch eine halbe Stunde drangehängt, wollte aber das Zugeständnis nicht überreizen. Sie gab sich für heute Abend mit der Uhrzeit zufrieden, schließlich hatte Sophia mit achtzehn noch nicht alleine ausgehen dürfen. Schade, dass sie nicht mitgegangen war. Bis vor kurzem hatten sie viel gemeinsam unternommen. In letzter Zeit aber hatte Sophia nur die Politik im Kopf, ihre Malerei nicht zu vergessen.

„Na komm!“, riss Margarethe sie aus ihren Gedanken.

Maria holte tief Luft und blieb vor dem Eingang stehen. Nun würde sie sich gleich unter Leute mischen, die sich häufig hier trafen, wie selbstverständlich miteinander umgingen und sich miteinander unterhielten. Worüber wohl? Hoffentlich blamierte sie sich nicht im Gespräch mit ihnen. Im Grunde gab es für sie nur Margarethe, mit der sie über Mädchensachen redete, und ihre Familie, mit der sie wie in einer Puppenstube lebte, jedenfalls bis sie auf das Geheimnis ihrer Mutter gestoßen war.

Margarethe zog sie mit sich, führte sie eine Treppe hinauf und öffnete eine schwere Holztür, die nur angelehnt war.

Zigarettenrauch schlug ihnen entgegen. Jemand spielte auf einem Klavier einen Walzer, dazwischen vernahmen sie laute Stimmen, ab und an das helle Lachen einer Frau.

Margarethe fasste nach Marias Hand, führte sie um die Tanzpaare herum und an Tischen vorbei, an denen junge Männer und Frauen saßen. Schließlich fanden sie einen leeren Tisch und nahmen Platz. Maria schaute sich um. Links von ihnen tanzten Paare. Daneben saß ein junger Mann am Klavier, hielt den Kopf schräg und hatte die Augen geschlossen. Offenbar fühlte er jede Note des Stückes mit.

Rechts von ihnen ging es zu einer Theke, über die eine ältere Frau wischte. Von dort trugen junge Männer in Uniform Gläser, gefüllt mit Wein oder Säften, zu den jeweiligen Tischen und stießen mit Freunden oder jungen Frauen an.

Maria grinste. „Ich dachte, das hier sei ein Café.“

„Das ist es auch.“ Margarethe nickte. „Tagsüber bieten sie hier Kaffee und Kuchen an. Abends die Möglichkeit zum Tanzen.“ Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen. Unter ihrem himmelblauen langen Abendkleid schaute die Schuhspitze ihres silbernen Schuhs heraus, mit dem sie bereits im Takt der Musik wippte.

Der Klavierspieler machte eine Pause. Die Paare gingen zu ihren Plätzen zurück. Einzig zwei Männer in Uniform blieben vor dem Klavierspieler stehen. Einer von ihnen redete auf ihn ein, bis er nickte und sich abwandte. Dann drehten sie sich um und steuerten ihren Tisch an. Ein Blonder mit Schnauzbart nickte.

„Guten Abend, die Damen. Ich bin Günther Merz.“ Er deutete auf den Mann neben sich. Der war kleiner und untersetzter, hatte aber ebenso blondes Haar. „Das ist Dietmar Rauch. Dürfen wir die Damen zu einem Glas Wein einladen?“

Maria stellte Margarethe und sich vor. Noch bevor sie widersprechen konnte, denn sie mochte keinen Wein, schickte Günther seinen Freund zur Theke, indem er mit dem Kinn hindeutete. Dann lächelte er Maria an. „Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Maria schaute kurz zu Margarethe, die die Brauen hochzog, doch sie wollte nicht unhöflich sein. „Bitte. Nehmen Sie Platz.“

Günther schmunzelte. Hatte sie etwas Komisches gesagt? Er fischte eine Schachtel Zigaretten aus der Jacke und bot sie ihnen an. Beide lehnten sie ab. Maria war klar, dass sie nach Rauch riechen würde, doch sie wollte ihn nicht noch direkt vor der Nase riechen und hätte das beinahe laut gesagt, als Günther die Schachtel wieder einsteckte, ohne sich selbst eine Zigarette anzuzünden. Das gefiel ihr. Ein Mann, der Rücksicht nahm.

Als Dietmar mit dem Wein zurückkehrte, boten sie ihm Platz an und stießen dann zusammen an. Der Wein schmeckte sauer, wie sie es auch erwartet hatte. Um wie viel lieblicher war doch ein Glas Apfelsaft, oder noch besser, der aus den süßen Kirschen vom Land, den Helga immer mitbrachte und zu Pfannkuchen servierte. Wein hingegen schmeckte nach unreifem Obst. Maria setzte das Glas ab, als der Klavierspieler die ersten Takte einer Polka spielte. Günther hielt ihr die Hand hin. „Wollen wir?“

Er führte sie geschickt an den tanzenden Paaren vorbei. Während des Tanzes schaute sie zu Margarethe hinüber, die mehrmals zusammen mit Dietmar aus dem Takt geriet und sich schon bald wieder an den Tisch setzte. Maria gefiel es aber zu tanzen. Beim langsamen Walzer schloss sie die Augen und wog sich im Rhythmus des Stückes. Wie gut es tat, sich in der Musik zu verlieren, auf nichts mehr achtzugeben, die Gedanken vorbeiziehen zu lassen, ohne sie zu bewerten, sich ausschließlich auf den Takt zu konzentrieren und die Führung dem Mann zu überlassen.

„Es ist schön, Ihnen beim Genießen der Stücke zuzusehen, Fräulein Maria.“ Günther lächelte, als sie die Augen öffnete.

„Es macht mir Freude, zu tanzen.“ Sie flüsterte. „Margarethe anscheinend nicht.“

„Dietmar ist auch kein guter Tänzer, ihm fehlt das Feingefühl.“

„Da sollten Sie ihm etwas Nachhilfe geben.“

„Weil ich so gut führe?“

Der Tanz endete und sie gingen zurück an den Tisch. Maria lachte. „Sie spielen wohl gerne den Anführer?“

„Merkt man mir das an?“ Günther schmunzelte.

In dem Augenblick bat ein junger Mann mit dunklem Haar Margarethe um einen Tanz. Sie sprang vom Stuhl auf. „Liebend gerne, gerade weil Sie keine Uniform tragen.“

Günther schüttelte lachend den Kopf. Dann wandte er sich an Dietmar. „Bist du der jungen Dame auf die Füße getreten?“

Dietmar stand vom Stuhl auf. „Nein, aber ich gehe jetzt nach Hause. Kommst du mit?“

Günther trank einen Schluck. „Nein, ich bleibe noch.“

Sie schauten Dietmar nach, der mit eingezogenem Kopf den Raum verließ.

„Er ist stark wie ein Bär.“ Günther machte eine weit ausholende Bewegung. „Aber das hier ist nicht das passende Umfeld.“

Maria nippte am Wein. „Wäre ein Wald das richtige?“

Günther lachte. „Schon eher.“ Dann zog er die Stirn in Falten. „Dietmar stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ist früh verstorben, die Mutter bügelt Wäsche für die bessere Gesellschaft. Natürlich reicht das nicht zum Leben, denn es gibt noch zwei Schwestern, die auch satt werden wollen. Die kleinste ist erst zehn, die ältere bereits neunzehn und der ganze Stolz der Mutter. Ein blitzgescheites Mädchen, das Lehrerin werden will. In sie wird investiert und zwar aus dem Erbe des Vaters.“ Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. „Dietmar mit seinen sechzehn Jahren versuchte eine Stelle zu bekommen, um eben Geld für die Familie zu verdienen. Leider eckte er überall mit seinem vorlauten Mundwerk an.“

„Warum versucht er es nicht im Baugeschäft?“

„Sie denken an Ihren Vater. Ich weiß, dass er eine gutgehende Baufirma hat.“

Maria zuckte die Schultern. „Ja, die fiel mir ein, weil Dietmar breit wie ein Kleiderschrank ist.“

„Ich weiß nicht genau, wo er überall gearbeitet hat, aber als ich ihn traf, war er erneut auf der Suche.“

„War?“

„Jetzt gehört er zu uns, wie viele andere auch.“

„Sie meinen, er gehört der Partei an. Ach, und da braucht er nicht mehr zu arbeiten? Sitzen da alle faul herum und streichen sich ihre Bärte glatt?“

Günther lachte und wurde wieder ernst. „Momentan durchläuft er eine Ausbildung.“

„Welcher Art?“

„Eine Art Polizeiausbildung. Wir fördern jeden Freiwilligen darin, sich körperlich zu ertüchtigen.“

Maria lächelte, das hörte sich an wie auswendig gelernt. Sie strich sich eine losgelöste Strähne aus der Stirn. „Wofür ertüchtigt er sich, wenn ich fragen darf?“

Er holte tief Luft. „Sehen Sie: Männer wie Dietmar fühlen sich unnütz und geraten in ihrem Trübsinn womöglich auf die falsche Bahn. Bei uns aber, da mischt er ganz vorne mit, gerade wegen seiner Kraft. Er rennt schneller, klettert flinker, wirft weiter als andere. Neulich schlug er ein Brett mir nichts dir nichts auseinander, als wäre es nur eine dünne Zaunlatte.“

Maria nickte. „Gut, also er ist stark. Aber wofür werden die Jungen ausgebildet?“

Da trat Margarethe an den Tisch. Sie hatte wohl die letzte Frage gehört, denn sie schnaubte.

„Das ist die Frage.“ Sie wandte sich an Günther. „Nehmt ihr jeden Mann bei euch auf?“

Der stand auf und zog Maria mit sich. „Kommen Sie! Tanzen wir. Deswegen sind wir ja da und nicht wegen der Belange der Partei.“

Maria drehte sich zu Margarethe um, die die Lippen zusammenkniff und die Brauen zusammenschob. Maria verstand.

Günther legte den Arm um ihre Taille, da hob sie das Gesicht zu ihm. „Ihr nehmt aber keine Männer jüdischen Glaubens bei euch auf, richtig?“

Günther seufzte. „Lassen wir die Politik doch ruhen.“

„Das funktioniert momentan nicht. Unser Hausangestellter hat neulich einen Stein an den Kopf bekommen. Ein Junge warf ihn.“

„Das ist sehr bedauerlich.“

„David gehört dem jüdischen Glauben an.“

Günther starrte sie an. „Sie beschäftigen einen Juden? Aber ihr Vater ist Mitglied der Partei!“

„Und? Ist das jetzt verboten?“

Er drehte sie schneller im Kreis, dann führte er sie wieder langsamer. „Was heißt verboten? Es gibt aber auch genug deutsche Männer, die Arbeit suchen, da …“

„David ist ein Deutscher!“ Maria blieb stehen.

Günther schaute sich um. „Wollen wir uns draußen weiter unterhalten?“

Sie trat nah an ihn heran. „Worüber denn?“

Er führte sie an den Rand der Tanzfläche. „Hören Sie! Worüber streiten wir hier? Ich habe nichts zu entscheiden, Sie auch nicht. Also.“

„Sie mögen keine Juden!“

Er zuckte die Schultern. „Mich fragt keiner. Ich helfe lediglich jungen Männern, Arbeit zu finden.“

„Aber keinem, der dem jüdischen Glauben angehört.“

„Darüber habe ich nicht zu bestimmen.“

„Aber Sie gehören einer Partei an, die …“

„Ganz wie Ihr Vater.“

Maria zuckte zusammen. Er hatte recht. Sie senkte den Blick. Papa gehörte einer Partei an, die die Juden ablehnte. Aber jetzt auszutreten wäre falsch. Vielmehr würde der Umstand ihnen vielleicht nützlich sein, und so hatte Papa bestimmt auch gedacht, als er damals über den Beitritt mit ihnen geredet hatte.

Günther nahm ihre Hand. „Lassen Sie uns etwas trinken gehen.“

Maria schüttelte den Kopf. „Das Glas Wein genügt mir, danke. Margarethe sitzt alleine am Tisch. Ich werde ihr Gesellschaft leisten.“

„Mich wird sie dort nicht mehr wollen.“ Günther verzog keine Miene. „Schade. Werden wir uns wiedersehen?“

„Läuft man sich in unserer Stadt nicht ständig über den Weg?“

Er grinste. „Trauen Sie sich ja nicht, an mir vorüberzugehen wie an einem streunenden Hund.“

Sie starrte ihn an. Behandelten nicht die Uniformierten gerade die Juden wie streunende Hunde? Sie fand gerade keine passende Antwort.

„Leben Sie wohl.“ Sie ließ ihn stehen und setzte sich an den Tisch.

„Den Wein bringe ich nicht hinunter.“

Margarethe zuckte die Schultern. „Ich möchte jetzt sowieso gehen.“

„Aber es ist noch nicht einmal neun Uhr. Armin holt uns erst um zehn ab.“

„Ach, lass uns zu Fuß nach Hause gehen, das schaffen wir leicht in einer halben Stunde.“

Maria nickte. „Du kannst bei mir übernachten.“

„Einverstanden.“ Sie holten ihre Mäntel.

Als Maria die Treppe hinabsteigen wollte, hielt Margarethe sie zurück. „Es tut mir leid, dass ich dir den Abend verdorben habe. Es ist dein erster hier im Café und ich meckere an den Uniformierten herum.“ Sie warf ihr einen traurigen Blick zu.

Maria umarmte sie. „Es ist alles gut. Ich kann dich ja verstehen.“

„Trotzdem! Aber diese Kerle aus der Partei …“

Maria ließ sie los. „Wie mein Vater.“

Margarethe nickte. „In Ordnung, ich bin schon still.“

Vor der Tür lehnte Günther an der Wand. „Gute Nacht, die Damen.“

Margarethe zog Maria mit. „Komm! Das ist nicht der richtige Umgang für dich.“

„Das wird sich noch zeigen“, rief Günther ihnen nach.

3

Sie gingen die Juliuspromenade hinab, vorbei am Spital, den Dominikanerplatz entlang, überquerten den Marktplatz, als die Marienkapelle Viertel nach neun schlug. Maria warf einen Blick auf die rot-weiße Kirche mit dem spitzen Turm. War es wirklich wichtig, zu welcher Religion sich jemand bekannte und auf welchem Weg er zu Gott fand?

„Woran denkst du?“, riss Margarethe sie aus den Gedanken.

„Warum stören sich die Parteimitglieder an den jüdischen Einwohnern?“

Margarethe schnaubte. „Das ist bei denen Programm. Ihr Führer hasst die Juden. Den Grund weiß nur er allein.“

„Aber das ergibt doch keinen Sinn.“

„Danach fragen die nicht. Sie gängeln die Juden und behandeln sie wie Aussätzige.“

„Aber hier doch nicht. In Würzburg haben sie die Wahl noch nicht gewonnen.“

„Sie tun aber so, als ob sie das hätten. Und natürlich behandeln sie sie ungerecht. Denk an David.“

Maria schluckte. Was David geschehen war, gruselte sie und es war ein Unglück, das sich hoffentlich nicht wiederholte. „Papa gehört auch der Partei an.“

Margarethe blieb vor dem Dom stehen. „Ja, und dein Vater wird sich der Mehrheit beugen und die lehnt die Juden ab.“

Nun reichte es Maria mit Margarethes Schwarzseherei, die keinem etwas nutzte. „Ach hör doch auf! Lass uns von was anderem reden.“

Sie gingen am Dom vorbei, über den Paradeplatz und auf den Vorplatz der Residenz zu. „Übrigens, dein neuer Verehrer ist ein Uniformierter, der andere zum Kampf ausbildet. Wie findest du das?“

Maria stieß einen Brummlaut aus. Natürlich fand sie das nicht gut, aber etwas drückte ihr gerade die Luft ab.

Margarethe seufzte. „Maria, lass auch einmal das Hässliche in deine Welt einziehen. Nicht alles ist himmelblau und rosarot.“

Für wenige Augenblicke kochte es in Maria. So dachten alle über sie! Als ob sie nur im Sonnenschein tanzte. Tränen traten ihr in die Augen. Sie hielt Margarethe am Arm fest und zwang sie, ihr in die Augen zu sehen.

„Das denkst du von mir? Dass ich nur mit Gänseblümchen im Haar über die Wiese springe?“ Die Tränen rannen ihr die Wangen herab, aber das spielte gerade keine Rolle. „Natürlich. Maria ist die mit dem Sonntagslächeln.“

Margarethe riss die Augen auf. „Um Himmels willen! Was ist denn geschehen?“

Am liebsten hätte Maria sich auf eine Bank im Park gesetzt, die Sterne beobachtet und sich ausgeruht. Dazu war es aber zu kalt.

Margarethe zog sie in den Park und reichte ihr ein Taschentuch. „Was ist denn? Was bedrückt dich? Red schon!“

Maria wischte sich die Tränen ab. „Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll … es betrifft Mama und mich. Ich … also Papa ist vermutlich nicht mein Vater, nicht mein richtiger.“

„Was?“ Margarethe umarmte sie, ließ sie dann wieder los. „Wie kommst du darauf?“

Maria erzählte ihr von der Blutgruppenbestimmung. „Verstehst du?“

„Nein.“ Margarethe schaute sie fragend an.

„Die Blutgruppen von Papa und Mama können nicht meine ergeben. Nachdem Mama aber mit mir schwanger war, muss ich einen anderen leiblichen Vater haben.“

„Bist du sicher?“

„Ja, natürlich.“ Wieder flossen die Tränen herab. „Ist das nicht schrecklich?“

Margarethe nahm sie in den Arm. „Das tut mir so leid.“ Sie strich ihr übers Haar. „Ich hab dich lieb, denk immer daran. Katharina und Sophia lieben dich und Heinrich auch. Na und deine Mutter doch erst recht, oder nicht?“

Maria zuckte die Schultern. „Ich weiß nicht.“

Margarethe strich ihr eine Strähne aus der Stirn. „Sie macht doch alles für dich.“

„Richtig. Aber warum tut sie das wohl?“

„Weil sie dich liebt.“

Maria schüttelte den Kopf. „Nein, weil sie vermeiden will, dass ich merke, wie ungewollt ich bin.“

„Aber das ist doch Unsinn!“

Maria schnaubte. „Das musst du als beste Freundin sagen.“

„Nein, das meine ich auch so.“

„Danke, aber ich sehe das anders.“

Margarethe rieb sich die Hände. „Lass uns zu dir gehen.“

Maria zog sich aus und kämmte sich vor dem Spiegel.

Margarethe trat hinter sie. „Schau dich an. Dein lockiges schwarzes Haar, die blasse Haut und deine großen dunklen Augen.“

„Nichts davon besitzen Mama und Papa.“

„Und wenn schon. Du aber.“

„Als ob du dich nicht sehen lassen könntest!“ Margarethe hatte braunes Haar und blaue Augen. Eine Mischung, die interessant wirkte, wie Maria fand.

Margarethe legte sich ins Bett, Maria kroch unter die Decke an ihre Seite. „Danke, dass du mir zugehört hast.“

„Ich habe viel um die Ohren, aber für dich nehme ich mir immer Zeit, das weißt du.“

„Du wirst es keinem verraten?“

„Natürlich nicht.“

„Kostet dich deine Jugendarbeit so viel Zeit?“

Margarethe setzte sich auf. „Ziemlich. Willst du nicht mitmachen?“

„Zuerst muss ich zu mir finden.“

Margarethe legte sich hin. „Wir müssen deinen leiblichen Vater finden.“

„Hilfst du mir?“

„Natürlich.“

Als Maria eines Abends wieder einmal mit Margarethe auf dem Weg ins Tanzcafé war, zog eine Gruppe junger Männer mit Fackeln in den Händen an ihnen vorbei. Sie brüllten Parolen. „Wir werden das deutsche Volk beschützen. Nieder mit den Feinden!“

Margarethe hielt einen an. „Von welchen Feinden redet ihr?“

Der junge Mann wippte auf den Ballen, reckte die Brust heraus und brachte vor Wichtigkeit kaum die Wörter über die Lippen. „Alle Nicht-Deutschen.“

Margarethe ballte die Fäuste. „Wer soll das sein?“

Maria zog sie weiter. „Das nützt doch nichts, wenn du dich mit denen jetzt anlegst.“

„Hast du gesehen, wie knallrot der im Gesicht geworden ist? Wenigstens das.“ Sie blieb stehen und schaute der Gruppe nach. „Elendes Pack!“

Maria schüttelte den Kopf. „Aus deinem Mund hab ich ein solches Schimpfwort noch nicht gehört.“

„Dann ist es jetzt eben das erste Mal!“

Maria hakte sie unter. „Komm.“