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Männer, Mütter und andere Katastrophen Caitlin wäre gerne eine perfekte Mutter, dazu erfolgreich im Job, sexy und begehrenswert. Nicht ganz einfach, wenn man gerade wegen einer anderen verlassen wurde und sich nun mit drei Kindern allein durchschlagen muss. Was Caitlin braucht, sind starke Nerven – was sie stattdessen findet, ist ein Job als Kummerkastentante bei einem hippen Elternmagazin. Ausgerechnet sie, das personifizierte Chaos, soll in einer wöchentlichen Kolumne Tipps geben, wie man zur Power-Mom wird? Und als wäre das nicht genug, spielt auch noch ihr Herz verrückt. Denn plötzlich sind da zwei Männer, die ihr nicht aus dem Kopf gehen wollen. Der eine zu jung, der andere zu liiert … Begeisterte Leserinnen: »Absolut brillant. Genau die richtige Mischung aus Humor, Romantik und der Realität des Elternseins. Ich musste laut lachen und habe auch ein paar Tränen vergossen.« – Leserin »Zum Totlachen! Ich habe dieses Buch geliebt.« – Leserin »Mal inspirierend, mal lustig, mal spannend, mal entzückend, mal beängstigend, mal hoffnungsvoll, mal charmant und mal aufregend – dieses Buch ist von Anfang bis Ende ein Lesevergnügen!« – Leserin Ein humorvoller und herzlicher Blick auf das Jonglieren von Mutterschaft, Karriere und Liebe. Perfekt für Fans von Kerstin Gier und Sophie Kinsella.
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Seitenzahl: 533
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Caitlin wäre gerne eine perfekte Mutter, dazu erfolgreich im Job, sexy und begehrenswert. Nicht ganz einfach, wenn man gerade wegen einer anderen verlassen wurde und sich nun mit drei Kindern allein durchschlagen muss. Was Caitlin braucht, sind starke Nerven – was sie stattdessen findet, ist ein Job als Kummerkastentante bei einem hippen Elternmagazin. Ausgerechnet sie, das personifizierte Chaos, soll in einer wöchentlichen Kolumne Tipps geben, wie man zur Power-Mom wird? Und als wäre das nicht genug, spielt auch noch ihr Herz verrückt. Denn plötzlich sind da zwei Männer, die ihr nicht aus dem Kopf gehen wollen. Der eine zu jung, der andere zu liiert …
eBook-Neuausgabe Oktober 2025
Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2008 unter dem Originaltitel »Mummy said the F-Word« bei Hodder & Stoughton, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Mama macht Murcks« bei Knaur Taschenbuch, München.
Copyright © der englischen Originalausgabe 2008 by Fiona Gibson
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: MostlyPremade - Nadine Most unter Verwendung von stock.adobe.com (sabelskaya, LadadikArt, vector)
und freepik.com (user4478866)
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (fe)
ISBN 978-3-69076-381-3
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Fiona Gibson
Roman
Aus dem Englischen von Nicole Friedrich
Für Margery und Keith,
mit all meiner Liebe
Auf unserem Küchentisch liegt die aktuelle Ausgabe der Bambino. Ich nehme die Zeitschrift zur Hand, blättere sie flüchtig durch und bin kurz davor, sie in den Mülleimer zu befördern. »Großbritanniens wöchentlich erscheinende Elternbibel« prangt unterhalb des glänzenden, pinkfarbenen Logos, so als käme kein Elternteil ohne dieses Printprodukt aus.
Wie der Zufall es will, schlage ich die Ratgeberseite auf. »Wenn Daddy fremdgeht« lautet eine der Überschriften. Fast von selbst schnellt mein Blick zur geöffneten Gartentür. Mein Ehemann Martin ist draußen und telefoniert auf dem Handy. Er hat sich heute krankgemeldet, weil er angeblich eine lebensbedrohliche Grippe hat, steht aber in ständigem Kontakt zu seinem Büro, naturellement. Unser Sohn Travis, der bei ihm ist, genießt die Junisonne und versucht eifrig, Schmetterlinge zu fangen, um sie in seinen Spielzeugkrankenwagen zu stopfen.
Als mein Blick erneut auf die offen daliegende Zeitschrift fällt, bekomme ich eine Gänsehaut. Die Kummerkastentante heißt Harriet Pike. Sie trägt eine teuer anmutende Bluse, die aussieht, als wäre sie frisch gestärkt, und ihrem Lächeln wohnt etwas Höhnisches inne. Sie erinnert mich an die Frau aus dem Obstladen, die angewidert das Gesicht verzogen hat, als Travis ein kleines Malheur aus der Latzhose gekullert ist. Wie ein Katzenarsch hat ihr Mund ausgesehen. Zum Glück wird man gegen diese Art von Menschen irgendwann immun.
»Frech und forsch – diese Frau schießt aus der Hüfte«, steht über Harriets Kolumne. Ich fange an, den Fall mit dem untreuen Vater zu lesen. Nicht, weil ich erwarte, dass diese Pike etwas Hilfreiches zu sagen hat. Ich bin lediglich neugierig. Meine Freundin Millie ist die Chefredakteurin der Zeitschrift, weshalb ich Woche für Woche die neueste Ausgabe erhalte, die jedoch fast immer ungelesen in die Mülltonne wandert. Wenn sie das wüsste. Millie meint es nur gut, hat mich in den Verteiler aufgenommen, in der Hoffnung, das Magazin möge ein wenig Glanz in mein tristes Leben bringen. Dass ich nicht lache.
Frau Pike nimmt sich des Themas an, indem sie das väterliche Fremdgehen in mehrere Phasen unterteilt. So als wäre es das Einfachste auf der Welt, einen komplizierten Sachverhalt wie ein Backrezept darzustellen. »Schritt eins«, lese ich, »ist die Trauer.«
Sie trauern den guten Zeiten und Ihrem gemeinsamen Leben nach. Doch egal, wie groß Ihr Schmerz auch sein mag, vergessen Sie nie, dass Untreue nur selten zu Lasten eines Partners geht. Nehmen Sie Ihre eigene Rolle einmal genauer unter die Lupe. Könnte es sein, dass Ihr Partner sich vernachlässigt gefühlt hat? Dass er das Gefühl hatte, nur noch die zweite Geige in Ihrem Leben zu spielen?
Hoppla, auf welchem Planeten lebt dieses Weibsbild eigentlich? Dieser Mistkerl hat herumgehurt, und damit basta!
»Es wäre wünschenswert«, labert Pike weiter, »wenn Sie die Kraft aufbrächten, ihm zu verzeihen.«
Schnaubend werfe ich die Zeitschrift auf den Tisch.
Eine kühle Brise weht vom Garten herein. Martin, der dabei ist, das Gespräch zu beenden, kommt in die Küche geschlendert. Ich hebe den Blick und bemerke, wie er mit großen Augen auf die Zeitschrift starrt, die noch immer auf der Kummerkastenseite aufgeschlagen ist. Unsere Blicke treffen sich. Und dann sehe ich es – Schuldgefühle und Furcht, die ihm wie Graffiti ins Gesicht geschmiert sind.
Irgendetwas stimmt hier nicht. Mein Herz überschlägt sich, und die Souterrainküche verschwimmt, als würde sie sich vor meinen Augen auflösen. Also habe ich mich doch nicht getäuscht, bin keine paranoide Idiotin. Seit geraumer Zeit habe ich nämlich schon das Gefühl, Martin würde mir etwas verheimlichen – etwas, das er mir unmöglich sagen kann. Mir, mit der er seit zwölf Jahren verheiratet ist und die ihm drei Kinder geboren hat. Eine Zeit lang hatte ich sogar den Verdacht, er könnte den Job verloren haben, brächte aber nicht den Mut auf, es mir zu beichten. Im Geiste habe ich ihn mit einem Kaffeebecher in der Hand auf einer Parkbank sitzen sehen, um die Zeit totzuschlagen.
Jetzt wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass es so wäre. Wir würden das Kind schon schaukeln. Ich könnte mir eine Vollzeitstelle in einem Büro suchen, damit wir fürs Erste über die Runden kämen, und wäre sogar bereit, ihm seine Lügen zu verzeihen.
Seinen Krankenwagen unter dem Arm stapft Travis in die Küche und tänzelt ein wenig um seinen Vater herum, ehe er zu ihm aufsieht. Martins Gesicht erstrahlt plötzlich in einem satten Kirschrot. Ich kralle mich an der Stuhllehne fest, aus Angst, ich könnte umkippen, sobald ich sie loslasse.
»Caitlin, es tut mir unendlich leid.«
Ich starre auf Martins Lippen. Normalerweise nennt er mich nie Caitlin. Solange ich denken kann, bin ich Cait für ihn.
Mir schwant Entsetzliches.
»Was ... geht hier vor sich?«, höre ich mich flüstern.
Martin ist plötzlich kreidebleich, so als würde sein inneres Thermometer nicht mehr richtig funktionieren. Kraftlos lässt er sich am Esstisch nieder.
»Brummbrumm«, murmelt Travis und vollführt mit dem Krankenwagen eine gekonnte Wende in drei Zügen auf dem Küchenboden.
»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu reden«, raunt Martin und wirft einen flehenden Blick in Travis’ Richtung.
»Will Schmetterlinge. Komm schon, Daddy, spielen.«
Ich bin sprachlos. In meinem Kopf macht sich ein dumpfes Pochen breit.
»Daddy ist lustig«, gluckst Travis, »weil Daddy weint.«
Er hat recht, auch wenn Martin die Tränen zurückhält und sich lediglich feuchte Flecken um die Augenpartie bilden.
»Sei so lieb und geh nach oben, Travis«, bitte ich ihn. »Geh rauf in Lolas Zimmer. Sie spielt gerade Tierärztin.« Genau wie ihr Vater ist sie heute krank. Mit einem Mal habe ich das Gefühl, das Haus ist von oben bis unten verschleimt und verkeimt.
»Nein«, sagt Travis trotzig und steckt sich den Finger in die Nase. »Bitte. Ab mit dir nach oben. Du spielst doch so gerne Tierarzt. Vielleicht lässt sie dich sogar Chefarzt spielen. Geh schon mal vor, Mäuschen, ich komme gleich nach.« Wenn ich könnte, würde ich ihm eine Million Pfund in die Taschen seiner Latzhose stecken, damit er endlich verschwindet.
»Doofe Lola, doofer Tierarzt.« Travis mustert Martin.
Dem eigenen Vater zuzusehen, wie er mit den Tränen kämpft, ist vermutlich viel spannender, als einer Möchtegerntierärztin beim Hantieren mit dem batteriebetriebenen Röntgengerät oder den kleinen Plastikkatzenbabys beim Urinieren zuzusehen. Ich schicke ein Stoßgebet gen Himmel, Travis möge des ungewohnten Anblicks überdrüssig werden und sich in Bewegung setzen.
In all den Jahren habe ich Martin nie weinen sehen. Hin und wieder habe ich sogar daran gezweifelt, dass er mit Tränendrüsen auf die Welt gekommen ist, oder mir eingeredet, sie seien in der Pubertät verödet.
Wie aus dem Nichts überkommt mich das Gefühl, all meine Sinne seien geschärft. Mein Herz hämmert in einem wilden Takt. »Muss Pipi«, quengelt Travis.
»Was es auch ist«, verkünde ich mit gelassener Stimme, »du kannst es mir ruhig sagen.«
»Cait«, murmelt Martin, »es gibt da eine andere. Ich werde dich verlassen.«
Ich fahre herum und starre auf Travis, dessen blaue Cordlatzhose im Schritt langsam, aber stetig dunkler wird, weil er nicht mehr an sich halten kann.
»Mummy weint auch«, sagt er und grinst, als hätte ich gerade einen Zaubertrick vorgeführt, der auf weitere Highlights hoffen lässt. Was ist schon ein Tierarztspielset, wenn sich die eigenen Eltern ein Wettweinen liefern? Was sind wir doch für eine lustige Familie.
Nachdem ich mir mit dem Unterarm die Tränen weggewischt habe, gehe ich mit bleiernen Beinen auf Travis zu, hebe ihn hoch und setze ihn mir aufs Becken. Während ich ihn nach oben trage, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als so lange zu schrumpfen, bis ich in seinen Spielzeugkrankenwagen passe, damit man mich an einen warmen, freundlichen und sicheren Ort bringt, an dem sich keine Katastrophen ereignen.
Später, als die Kinder im Bett liegen und schlafen, erfahre ich, dass sie Daisy heißt, im Außendienst tätig ist und eines Tages bei Bink & Smithsons, dem Architekturbüro im Stadtteil Holborn, in dem mein Mann arbeitet, in der Tür stand.
»Was vertickt sie denn?«, blaffe ich ihn an.
Wir sitzen uns am Küchentisch, der beinahe überquillt, gegenüber. Ich quäle ihn, ziehe ihm jedes noch so intime Detail aus der Nase, wovon ich mir eine gewisse Befriedigung erhoffe, die jedoch nicht eintritt.
»Sie ... arbeitet für die Firma, von der wir den Wasserspender gekauft haben und ...«
»Komm endlich zur Sache!«
»Sie ... na ja, irgendwann stand sie da und wollte überprüfen, ob das Gerät die richtige Wassertemperatur hat ... und wissen, ob es beim Austauschen der Flaschen Probleme gegeben hat.«
Verstehe. Und bei der Gelegenheit hat sie sich auf deinen Schreibtisch gesetzt, über deine Witze gelacht, dir wegen deines Hemdes und deiner Krawatte Komplimente gemacht und dir ganz nebenbei das Gefühl vermittelt, jung und begehrenswert zu sein, ehe sie die Krallen ausgefahren hat und zum Angriff übergegangen ist. Du armer Tropf hattest nie eine Chance, oder? Als du wieder zu dir gekommen bist, steckte plötzlich eine Hand in ihrem BH – Körbchengröße C – und die andere im farblich abgestimmten Slip.
»Und dann ... irgendwie ist es dann eben passiert.«
Martins Hände hatten offenbar auf magische Weise ein Eigenleben entwickelt. So ähnlich muss es gewesen sein, als Travis’ Fuß mit Eddie Templetons Hintern kollidiert ist – die beiden waren wegen eines zerrissenen Bildes aneinandergeraten. Mir war bis heute gar nicht bewusst, dass bestimmte Körperteile meines Mannes – Hände und Penis – ihre Unabhängigkeit erklärt und sich der Diktatur seines Gehirns entzogen haben. Vielleicht sollte ich ihm den Tipp geben, einmal bei einem Neurologen vorstellig zu werden.
»Wann war das?«, frage ich stumpf.
»Äh, vor ungefähr drei Monaten.«
»Du belügst mich seit einem Vierteljahr?«
Martin nickt langsam.
»Wann habt ihr zum ersten Mal ...?« Meine Stimme verliert sich, ich halte mich an der Tischkante fest.
Sein Adamsapfel tänzelt nervös. »Noch am selben Tag. Im Büro ... als ich sie kennengelernt habe.«
»Wie bitte?«, entfährt es mir schrill. »Ihr habt es in deinem Büro getrieben? Verdammt, Martin.«
»Nein, nein, so war es auch wieder nicht. Wir ...« Er unterbricht sich. »Es war auf der Toilette.«
Ich öffne und schließe den Mund. Auf der Toilette. Na, dann ist ja alles nur halb so wild. Besser, als auf seinem Schreibtisch. Zeit, die Sektkorken knallen zu lassen.
Ein entsetzlicher Würgelaut entsteigt meiner Kehle.
Martin starrt mich an. Seine Lippen sind blass und runzelig. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mir wünschte, das wäre alles nicht passiert.«
»Liebst du ... sie?« Für diese Frage könnte ich mich ohrfeigen, aber ich muss sie einfach stellen.
Er presst die Lippen zusammen und schüttelt den Kopf. »Nein, doch ... ach, ich weiß auch nicht, Cait. Ich weiß nur, dass ich nicht mehr hier leben will, mit dir.«
»Bitte«, fauche ich ihn an. »Dann hau doch ab.«
Es ist, als hätte er seit Monaten von diesem Moment geträumt, als wäre ein langgehegter Wunsch endlich in Erfüllung gegangen. Fast augenblicklich weicht die Anspannung aus seinen Gliedern. Er steht auf, verlässt die Küche und läuft nach oben. Ich höre, wie sich die Haustür öffnet, ins Schloss fällt und er den Wagen aufschließt. Dann lässt er den Motor an. Wenig später wird das Geräusch des wegfahrenden Autos von dem stetigen Brummen Ostlondons geschluckt.
Martin ist fort. Den Kopf auf die Hände gestützt, presse ich die Augen zusammen und rede mir ein, alles sei wieder wie früher, sobald ich sie öffne. Mein Ehemann wird sich wie immer ein wenig distanziert geben, aber wenigstens ist er noch hier, bei mir.
Als ich die Augen öffne, hat sich nichts geändert. »Es ist vollkommen normal, wütend zu sein«, kann ich die verfluchte Kummerkastentante aus der Bambino hören. Meine Familie, mein Leben, alles dahin wegen eines Quickies auf der Bürotoilette.
Um es mit den Worten einer Außendienstmitarbeiterin zu sagen: »Scheint, als wären wir über das Ziel hinausgeschossen.«
Vergessen Sie Computer und sonstigen modernen Schnickschnack. Das größte Geschenk, das Sie einem Kind machen können, sind die Wärme und Stabilität einer liebevollen Familie.
Harriet Pike, Bambino-Redakteurin, 18. Februar
Gequirlte Kacke.
Caitlin Brown, dreifache Mutter und seit kurzem wieder solo
Wussten Sie schon, dass nicht Ihr Zahnfleisch oder Ihre Zähne, sondern Ihre Zunge die Ursache für Mundgeruch ist? Schuld daran ist ein unsichtbarer Belag, der den perfekten Nährboden für geruchsintensive Bakterien bildet. Eine Anwendung unserer neuen antibakteriellen Zungenbürste genügt, um ...
»Mum!«
Ich tippe gerade »£4,99 (Sondereinführungspreis)«.
»MUM! Wo bist du?« Lolas Stimme hallt von den Wänden des Treppenaufgangs wider, während sie in die Küche gepoltert kommt.
»Ich arbeite«, rufe ich zurück. »Sieh dir eine DVD an oder mal was. Ich bin in einer Minute fertig.«
Wir haben einen Pakt geschlossen, Lola und ich. Sie erlaubt mir, in die Tasten zu hauen, um meine Artikel für vitalworld.com fertig zu schreiben, einer Website, die mit der Angst der Menschen vor körperlichen Gerüchen Geld macht, dafür darf sie in der Zwischenzeit – wir reden hier von maximal einer Stunde – eine Simpsons-DVD ansehen oder ihr Zebraposter ausmalen. Mir ist bewusst, dass Mütter eigentlich vor Schuldgefühlen vergehen müssten, wenn sie auch nur versuchen, den kleinen Zeh in die Tür zur Arbeitswelt zu bekommen. Aber auf der anderen Seite ist mir nach Martins Auszug nichts anderes übriggeblieben, als wieder in Lohn und Brot zu gehen. Ich finde nicht, dass Lolas Verabredung mit Bart Simpson den Tatbestand der Vernachlässigung erfüllt.
Es ist Freitag, und wir sind gerade von der Schule zurückgekommen. Wir leben in einer ruhigen, von Reihenhäuern gesäumten Straße unweit der U-Bahnstation »Bethnal Green«. Als Martin und ich nach unserer Hochzeit hierher gezogen sind, waren die Häuser noch einigermaßen erschwinglich, weshalb es in diesem Viertel viele junge Familien gibt. Jake, mein zehnjähriger Sohn, ist gerade beim Fußballtraining in der neuen Sporthalle. Aus unerfindlichen Gründen geht er noch immer dorthin, obwohl der Trainer mehrfach hat durchblicken lassen, dass er sich mehr um seine Fingernägel kümmert, statt hinter dem Ball herzulaufen. Travis, mein Dreijähriger, ist heute auf der Geburtstagsfeier seines durchgeknallten Freundes Rory. Eine gute Mutter hätte ihren Spross nicht nur einfach abgeliefert, sondern wäre dageblieben. Ich kann von Glück sagen, dass Travis keinen gesteigerten Wert auf meine Anwesenheit gelegt hat. »Tschüss, Mummy«, hat er gerufen und mir freudestrahlend zugewunken. Für meinen Jüngsten scheint es nichts Schöneres zu geben, als mich für eine Weile mal los zu sein.
Ich mache weiter: Wenige Sekunden genügen, um die Zungenoberfläche von der Schicht pilzähnlicher Sporen zu befreien.
Mann, bin ich gut. Der Booker Prize ruft. In Gedanken sehe ich mich bereits die Bühne eines pompösen Ballsaals betreten, um die begehrte Auszeichnung entgegenzunehmen. In meiner Fantasie habe ich dichtes kastanienbraunes Haar (anstelle von Straßenköterblond), das sich wasserfallartig über meinen Rücken ergießt, und Brüste, die so fest sind wie die einer Neunzehnjährigen. Nichts erinnert mehr an die sitzengelassene, fünfunddreißigjährige Mutter in abgewetzten Jeans und einem ausgeleierten Uraltpulli.
»Mummy! Ich habe dich jetzt hundertmal gerufen, aber du antwortest gar nicht.« Sichtlich entnervt stapft Lola in die Küche und lässt sich auf meinen Schoß plumpsen, woraufhin mein Drehstuhl gefährlich ins Schleudern gerät.
»Ja, Mäuschen. Ich habe dich gehört. Gib mir noch eine Minute.«
»Das sagst du immer. Und dann dauert es doch länger als eine Minute. Manchmal sogar Stunden.«
Sie gibt ein bühnenreifes Seufzen von sich. Obwohl sie erst vor kurzem sieben geworden ist, hat sie längst kapiert, welche Knöpfe sie drücken muss, um bei mir ein höllisch schlechtes Gewissen auszulösen.
»Tut mir leid, Kleines. Je eher du mich weitermachen lässt, desto schneller habe ich Zeit für dich. Dann machen wir etwas Schönes, versprochen.«
»Das ist nicht fair«, knurrt sie.
Ich schiele über ihre Schulter hinweg auf den Monitor. Was könnte ich mir sonst noch über dieses Zungenkratzding aus den Fingern saugen? Ross, der Redakteur, dem ich zuarbeite und der die Beiträge absegnet, erwartet eine ellenlange und vor allem detaillierte Beschreibung. Es ist noch gar nicht so lange her, dass er mich zusammengestaucht hat, weil ich ein Warzenvereisungs-Dingsdabumsda nicht verführerisch genug angepriesen habe. Am liebsten hätte ich ihm, so von Erwachsenem zu Erwachsenem, gesagt, er könne sich das Ding in den Allerwertesten schieben, aber als Selbständige, die nur einen Kunden an der Angel hat, ist es ratsam, die Faust in der Tasche zu ballen. »Sie müssen mehr Besucher anlocken«, hat er gesagt, »Sie müssen die Leute so weit bringen, dass sie überzeugt davon sind, unsere Produkte könnten« – an der Stelle hatte er ins Telefon geschnaubt – »ihrem Leben eine völlig neue Wendung geben.«
Was soll ich bloß schreiben? »Putzen Sie sich ja nie die Zunge, wenn Ihr neuer Freund das erste Mal bei Ihnen übernachtet, weil er sonst denken könnte, Sie hätten einen Zungenputztick? Ganz zu schweigen von kleinen Kindern, die diese Angewohnheit alarmierend finden könnten.«
Wenn ich ehrlich bin, will mir nicht so recht in den Kopf, warum der Mensch sich auf einmal um die pelzige Region im hinteren Bereich der Zunge kümmern soll. Bislang dachte ich immer, dass die Zunge sich selbst reinigt und keiner speziellen Pflege bedarf. Wenn wir so weitermachen, ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur täglichen Darmspülung. Wer weiß, vielleicht erwartet uns schon bald der Hochdruckreiniger für den Rektalbereich. »Mit einem Knopfdruck reinigen Sie selbst die schwer zugänglichen Regionen«, heißt es dann. Wenn es so weit ist, sollte ich Daisy ein Exemplar zuschicken, damit sie Martin damit beglücken kann. Wetten, das würde dem Freitagabend der beiden zu neuen Höhepunkten verhelfen?
»Was ist das?« Lola beugt sich neugierig nach vorne zum Monitor.
»Was ist was, Mäuschen?« Bitte geh. Lass mich in Ruhe arbeiten.
»Eine Zungenbüste.«
»Zungenbürste«, sage ich mit einem Schmunzeln und lege den Arm um ihre schmale Taille. »Wenn man aus dem Mund riecht, kann man sich damit die Zunge reinigen.«
»Igitt. Ich stinke doch nicht aus dem Mund, oder?«
»Im Gegenteil, Mäuschen, dein Atem riecht nach Orange.«
»Ich will weiterlesen«, fleht sie mich an.
»Lols, das interessiert dich nun nicht wirklich. Es geht um stinklangweilige Dinge, die im Erwachsenenkörper schiefgehen können.«
Seufzend scrolle ich weiter nach unten, damit sie sich über geruchsbindende Schuheinlagen informieren kann. Den Part mit den duftenden Slipeinlagen bei mittelschwerer Inkontinenz enthalte ich ihr bewusst vor.
»Ich muss jetzt wirklich dringend weitermachen. Geh und guck von mir aus noch eine Folge der Simpsons an oder mal was Schönes.«
»Ich kann nicht«, murmelt sie in ihr T-Shirt.
»Warum nicht?«
»Is kaputt.«
»Aber du hast noch so viele andere Filzstifte. Was ist mit dem Zweihunderterpack, den dir dein Vater geschenkt hat?« Mein Blick ruht noch immer auf dem Monitor.
»Nicht die Stifte. Der Fernseher.«
Ich drehe sie zu mir herum, damit ich ihr Gesicht sehen kann. »Was ist mit dem Fernseher?«
»Er ist kaputt. Mir ist Limo reingelaufen.«
»Ich fasse es nicht«, schimpfe ich und speichere vorsichtshalber mein literarisches Meisterwerk ab, ehe ich Lola von meinem Schoß verbanne. Mit ihr im Schlepptau – sie ist plötzlich auffällig leise – laufe ich nach oben ins Wohnzimmer, wo ich mich über den Fernseher beuge und in die Schlitze des Gehäuses spähe, denen ein schwacher Geruch nach künstlicher Orange entsteigt.
»Was genau ist passiert?«, will ich wissen, während ich mit den Händen über die klebrigen Schlitze fahre.
»Weiß auch nicht«, murmelt Lola verlegen.
»Was soll das heißen, du weißt es nicht? Der Fernseher ist nagelneu. Weißt du eigentlich, wie viel ein neues Gerät kostet, Lola? Über hundert Pfund! Glaubst du etwa, ich habe einen Goldesel unterm Bett versteckt?«
Betreten senkt sie den Blick. Ihre Wimpern wirken dunkel und voll, als würden Tränen zwischen ihnen hängen.
»Der hat uns gar nichts gekostet. Millie wollte ihn wegwerfen, aber du hast sie gezwungen, ihn uns zu geben.«
Ich seufze. Eine Strähne von Lolas dichtem, lockigem Haar – rotbraun wie die Haut von Mandeln – fällt ihr ins Gesicht. Ihre sanft geschwungenen Lippen, die sie, auch wenn ich es nur ungern zugebe, von ihrem Vater geerbt hat, werfen sich auf, als wollte sie pfeifen. Sie hat recht. Millie hat uns ihren alten Fernseher vermacht, nachdem Martin tatsächlich die Frechheit besessen hatte, das alte Gerät mitzunehmen. Angeblich, weil sein Herz daran hing und weil es sowieso seiner war; ein Bonus der Chefetage, weil er einen wichtigen Auftrag an Land gezogen hatte. Ich war überrascht, dass er sich nicht gleich auch noch den Kühlschrank unter den Nagel gerissen hatte.
»Jetzt noch mal ganz von vorne«, sage ich. »Deine Limo ist also in den Fernseher gelaufen. Was ist danach passiert? Gab es ein Zischen oder einen Knall?« Ich muss mich am Riemen reißen, um nicht aus der Haut zu fahren.
Seit Martins Auszug hängt meine Tochter, die einst durch Extrovertiertheit geglänzt hat, wie eine Klette an mir, und ich möchte sie nur ungern zusätzlich aufregen. Die Tatsache, dass ihr Daddy nicht nur mit der Vertreterschlampe – gelegentlich Daisy genannt – zusammenlebt, sondern auch mit deren vierjähriger Tochter Poppy, macht ihr schwer zu schaffen.
»Er ist einfach ausgegangen«, antwortet Lola leise und sieht mir neugierig dabei zu, wie ich den Fernseher mehrere Male an- und ausschalte und anschließend mit der Faust auf das Gerät eindresche.
»Die Sache ist die«, sage ich zähneknirschend, »wenn man Flüssigkeit in ein elektronisches Gerät schüttet, kann das sehr gefährlich sein. Du könntest einen Stromschlag bekommen und sogar sterben. Darum erlaube ich auch keine elektrischen Apparate im Badezimmer.«
»Was ist ein Apparat?«, will sie wissen.
»Ein Heizlüfter oder eine Mikrowelle. Dinge, die mit Strom funktionieren.«
»Wir haben doch gar keinen Heizlüfter.«
»Genauso, wie wir jetzt keinen Fernseher mehr ...« In dem Moment klingelt das Telefon.
»Sind Telefone auch Apparate?«, erkundigt sich Lola, während ich mir den Hörer schnappe.
»Hallo Cait.«
Es ist Martin, unter anderem bekannt als Bumskönig oder Superrammler, wie Millie ihn getauft hat. Als könnte seine Stimme eine ansteckende Krankheit übertragen, halte ich das Telefon vom Ohr weg.
»Hi«, sage ich schroff.
»Ich habe gestern zweimal angerufen und bei Jake eine Nachricht hinterlassen. Hat er dir nichts ausgerichtet?«
»Kann schon sein, dass er es erwähnt hat«, antworte ich ausweichend.
»Er meinte, du wärst in der Badewanne.«
»Das stimmte ja auch. War das in Ordnung? Oder wäre es dir lieber, ich liefe vor Dreck strotzend und mit fettigen Haaren herum?«
»Ist ein Föhn ein Apparat?«, zwitschert Lola dazwischen.
Martin schnaubt. Er klingt wie jemand, der gegen eine verstopfte Nase ankämpft. Mir kommt die Galle hoch.
»Es geht um dieses Wochenende«, sagt er. »Es ist wahnsinnig wichtig.«
»Das Wochenende hat schon so gut wie angefangen«, kläre ich ihn auf. »Es ist nämlich Freitag, falls dir das entgangen sein sollte.«
»Herrje, Cait! Können wir nicht wie Erwachsene miteinander reden? Warum musst du immer gleich so schnippisch werden?« Es juckt mir in den Fingern, ihm eine Standpauke über Verbindlichkeiten zu halten, ich verkneife mir Lola zuliebe aber jeglichen Kommentar. »Was für ein Problem hast du denn?«, erkundige ich mich dümmlich.
»Wo soll ich anfangen? Ich weiß, dass ich an der Reihe wäre, die Kinder zu nehmen, aber ...«
»Sag jetzt nichts«, fahre ich ihm ins Wort. »Dir ist etwas Wichtiges dazwischengekommen, und es tut dir unendlich leid.«
»Mit Sarkasmus kommen wir auch nicht weiter.« Martin gibt abermals ein selbstgefälliges Geräusch von sich.
Im Geiste sehe ich, wie sich seine Nasenflügel aufblähen, und ich frage mich, welcher Teufel mich geritten hat, mich ausgerechnet in diesen Mann zu verlieben und mit ihm drei Kinder zu zeugen. Traurig, aber wahr, es hat eine Zeit gegeben, in der ich vor Freude fast losgequiekt hätte, weil wir an der Batters Corner verabredet waren, einem beliebten Treffpunkt in den Achtzigern. Nur zu gut kann ich mich an das elektrisierende Gefühl erinnern, als ich ihn dort gesehen habe, wie er auf mich gewartet hat. Damals war mir, als läge nicht nur ein grandioser Abend vor mir, sondern als würde mein Leben in völlig neue Bahnen gelenkt.
»Martin, lass bitte die Kirche im Dorf«, sage ich mit unterkühlter Stimme, »ich habe ganz normal gesprochen.«
Er atmet laut aus. »Poppy wird am Sonntag fünf. Entschuldige, aber es ist mir irgendwie durchgegangen.«
»Und?«
»Dads elektrische Zahnbürste ist ein Apparat«, verkündet Lola. »Warum darf ich eigentlich keine haben? Damit kriegt man die Zähne sauberer als mit diesem Zungending.«
»Also«, murmelt Martin, »lass uns die Sache nicht unnötig verkomplizieren ...«
»Du hast versprochen, mit den Kindern am Sonntag in den Vergnügungspark zu gehen. Schon vergessen?«
»Au ja«, ruft Lola aufgeregt. »Kommst du auch mit, Mummy?« Energisch schüttle ich den Kopf. Martin zelebriert es ausgiebig, sich an den Tagen, an denen er die Kinder hat, in ein positives Licht zu rücken. Dann geht er mit den dreien in den Zoo, in Vergnügungsparks oder in Schokoladenfabriken. Das alles nur, um ihnen zu beweisen, dass er, auch wenn er jetzt bei Daisy und Poppy in Stoke Newington lebt, der beste Vater auf der ganzen Welt ist. Er spielt seine Rolle so gut, dass sich sogar fremde Kinder um ihn scharen und Mütter vor Rührung weinen. Kein Wunder, dass es Frauen den Slip auszieht, wenn er an ihnen vorbeigeht. Martin, der Stecher von Stoke Newington. Schade, dass er leider nicht denselben Elan an den Tag legt, wenn es um Unterhaltszahlungen oder Jakes Warzensalbe geht.
Martin räuspert sich. »Jedes andere Wochenende liebend gern, aber es ist Poppys Geburtstag, und sie möchte den Tag gerne mit mir verbringen ... nur sie und ich.«
»Kann sie das nicht auch mit ihrer Mutter?«, frage ich.
»Ja, schon ...«
»Du hast also das Gefühl, du solltest dabei sein. An Poppys Ehrentag. Nur ihr drei. Ich weiß, dass du in Mathe nie besonders gut warst, aber wenn Daisy mitkommt, dann ist es nicht nur sie und ich.« Meine Stimme hat sich in ein Krächzen verwandelt, was mir überhaupt nicht gefällt.
»Cait«, versucht Martin es auf die sanfte Tour. »Es wäre einfach nicht der richtige Zeitpunkt für ein großangelegtes Familientreffen.«
Aha, so siehst du deine Kinder also: als Störenfriede, die Poppys Ehrentag beflecken. Ich brodele innerlich. Was er ihr wohl zum Geburtstag schenkt? Ein Pony? Fünfzehn Antilopen? Ein lebensgroßes Lebkuchenhaus mit einer Glasur aus geschmolzenen Lollis? Diese verzogene Göre hat doch eh schon alles. Nach dem ersten Treffen mit Poppy haben die Kinder gar nicht mehr aufgehört, von ihren vielen tollen Spielsachen zu schwärmen.
»Und«, brumme ich. »Was habt ihr vor?«
»Freizeitpark.«
»Sieh einer an.« In meinem Kopf wimmelt es nur so von Schimpfworten, dass ich Angst habe, sie könnten mir zu den Ohren herauskommen.
»Das war Poppys Wunsch«, fügt er rasch hinzu. »Sie freut sich schon eine halbe Ewigkeit darauf.«
»Genau wie unsere drei«, zische ich.
»Ich nehme sie ein anderes Mal mit. Wir werden uns bestimmt ...«
»Hab schon verstanden«, platzt mir der Kragen. »Am Samstag, wenn Poppy nicht Geburtstag hat, sind unsere dran, und Poppy ist dran, wenn sie ...«
»Ich kann unmöglich zweimal an einem Wochenende nach Thorpe Park fahren«, tobt Martin. »Wie stellst du dir das vor?«
Lola kaut nervös auf einer Haarsträhne.
»Warum eigentlich nicht?«, kontere ich.
»Verdammt noch mal, Cait. Weil ich Vergnügungsparks hasse. Überall wimmelt es von kreischenden, hyperaktiven Kindern, die mit billigen Süßigkeiten abgefüllt werden. Es ist zum Weglaufen.«
»Bisher dachte ich immer, es macht dir Spaß, etwas mit unseren Kindern zu unternehmen.«
Eine Pause. »Wieso musst du mir eigentlich jedes Wort im Mund herumdrehen?«
Jedes Wort? Ich wüsste da etwas anderes, das ich ihm herumdrehen könnte. Wie von selbst taucht ein Bild von Martins Nacken mit seinen feinen gekräuselten Härchen, die nahtlos in seine mittlerweile ergraute Rückenbehaarung übergehen, vor meinem geistigen Auge auf. Ich lege die Hände um seinen Hals und drehe ihn nach allen Seiten, ehe ich kraftvoll zudrücke – und zwar so lange, bis ihm die Augen und die Hauptschlagader hervorquellen. Es ist schön, mal nicht die Erwachsene mimen zu müssen und sich hinter einer Wir-wollen-doch-beide-nur-das-Beste-für-die-Kinder-Fassade zu verstecken. Jedes Mal, wenn er die Kinder fürs Wochenende abholt, drehe ich fast durch und habe Angst, mein Herz könnte stehenbleiben.
»Oder«, übergehe ich seinen Einwurf, »du nimmst sie alle mit, und ihr teilt euch auf, sobald ihr im Park seid. Daisy zieht mit Poppy los und du mit unseren dreien. Jede Familie für sich. Ihr könnt ja ...« Als mir klar wird, dass Martin Daisy und Poppy mittlerweile auch als seine Familie ansehen könnte, versagt mir die Stimme.
»Die Freiraumproblematik«, wie er es nennt, bedeutet letztlich, dass es ihm nicht möglich ist, seine Kinder häufiger als jedes zweite Wochenende zu sich zu nehmen. Im Grunde sind Daisy und Poppy stets in seiner Nähe. Vermutlich hat er diesem Gör schon Millionen von Gutenachtgeschichten vorgelesen, genau wie er es früher bei unseren Kindern getan hat. Aber jetzt hat Martin ja eine neue Familie. Eine Frau mit einem glänzenden schwarzen Bob, festen, jugendlichen Brüsten und einer bezaubernden Tochter, die es nicht duldet, wenn Lola die Mähne ihres »My little Pony« bürstet. Acht Monate sind inzwischen seit Martins Auszug vergangen. Glaubt man dem Alles-wird-wieder-gut-Geschwafel in Zeitschriften wie Bambino, müsste ich eigentlich längst über die Trennung hinweg sein und mein Leben neu ausgerichtet haben. Irgendwie sehne ich mich aber noch immer danach, ihm in die Eier zu treten. Wir haben ja bisher nicht einmal die Scheidung eingereicht. Ich habe in der Richtung bisher nichts unternommen, aus Angst, Martins Leben könnte einfacher werden, wenn er nicht mehr mit mir verheiratet ist. Selbst Martin hat sich bislang nicht getraut, das Thema zur Sprache zu bringen.
Ich beende das Gespräch und werfe einen Blick auf den aktuellen Spielstand – 1:0 für Martin.
Lola sieht zu mir auf. Ihre Augen leuchten so dunkel wie Christbaumkugeln. »Warum will Daddy nicht mit uns in den Park?«, fragt sie.
»Er hat versprochen, es so schnell wie möglich nachzuholen«, stammle ich. »Und er freut sich schon sehr darauf. Dieses Wochenende ist ihm leider etwas dazwischengekommen.«
»Oh. Was denn?«
Natürlich kennt sie die Antwort längst, will mich lediglich dazu zwingen, die Wahrheit auszusprechen. Während ich fieberhaft nach einer unverfänglichen Erklärung suche, wird mein Mund schlagartig trocken. »Das hat er nicht gesagt«, höre ich mich mit erstickter Stimme flüstern.
»Er geht lieber mit Poppy hin, stimmt’s?«, fragt sie traurig.
Ich beuge mich zu ihr herunter und schließe sie in die Arme.
»Es ist ihr Geburtstag«, sage ich leise. »Sie hat es sich so sehr gewünscht.«
Lola wirft mir einen stoischen Blick zu, ihr Gesicht wirkt unerschütterlich. »Genau wie ich.«
»Hör zu, wir machen dafür etwas anderes Schönes. Sobald ich mit der Arbeit fertig bin, okay? Was hältst du davon, dass wir die Jungs abholen und anschließend Pfannkuchen zum Tee backen?«
»Mit Zitrone und Zucker?«
»Wie du willst, dann kaufen wir auf dem Rückweg noch eine Zitrone, und du darfst ausnahmsweise mal den Teig selbst machen.« Lola ringt sich ein mattes Lächeln ab und lässt sich auf den Teppich plumpsen. Mir steht längst nicht mehr der Sinn danach, ihr eine Standpauke wegen des Fernsehers zu halten – nicht nach der Enttäuschung mit Thorpe Park. Sie setzt eine konzentrierte Miene auf und widmet sich ihrem Malbuch. Wie könnte es anders sein, der Zebrapapa bekommt eine formvollendete Krone. Egal, was Martin tut oder wie oft er sie enttäuscht, er ist und bleibt ihr Superdaddy.
Zurück in den Katakomben des Hauses – in unserer schummerigen Kellerküche –, versuche ich, mich wieder in Arbeitsstimmung zu bringen, merke aber schnell, dass es keinen Zweck hat. Ich kann mich partout nicht auf Zungenbürsten, Anti-Falten-Cremes oder Insektenvernichtungssprays konzentrieren. Es kommt oft vor, dass Martins Anrufe mich vollkommen aus dem Konzept bringen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich annehmen, dass er es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, mich nun auch noch um meinen Job bei Vitalword zu bringen.
Es ist keinesfalls so, dass ich mir wünsche, wir würden wieder zusammenkommen. Allein bei dem Gedanken, von Martin berührt zu werden, wird mir speiübel. Nein, am meisten machen mir die Auswirkungen unserer Trennung auf die Kinder Sorgen. Es bringt mich beinahe um den Verstand, wenn ich mit ansehen muss, wie Lola mit aller Kraft darum kämpft, nicht die Fassung zu verlieren, und das tapfere Mädchen mimt. Jake hat eine vollkommen andere Strategie entwickelt, um mit der Situation umzugehen: Er hat einen Putzfimmel entwickelt. Das erste Mal, als ich ihn dabei erwischte, wie er den Staubsauger nach oben in sein Zimmer schleppte, dachte ich, er bräuchte ihn für ein Spiel.
»Ich möchte ein ordentliches Zimmer haben«, murmelte er. »Aber das kann ich doch machen«, protestierte ich.
»Lass mal.«
Einige Tage später hat er sich von seinem Taschengeld eine Dose Raumspray mit Frühlingsduft gekauft. Jedes Mal, wenn er sie benutzt, wabert der synthetische Geruch durch das ganze Haus und setzt sich in alle Ritzen. Manchmal kommt es mir vor, als könnte ich den Duft förmlich schmecken.
Und Travis? Er ist noch viel zu klein, um die Tragweite der Trennung zu erfassen. Natürlich ist auch ihm aufgefallen, dass sein Vater nicht mehr mit uns unter einem Dach wohnt, dass es eine neue Frau und eine neue Tochter in seinem Leben gibt und Daddy nicht mehr da ist, um ihm morgens Cornflakes in eine Schüssel zu füllen und die Milch aus schwindelerregender Höhe einzugießen, so dass ein weißer und spritzender Milchwasserfall entsteht.
Frustriert rufe ich meine Mails ab. Ross von Vitalworld hat mir geschrieben.
Hi Cait,
hoffe, Ihnen und Ihrer Brut geht es gut.
Er benutzt immer den Ausdruck »Brut«, was in mir das Gefühl hervorruft, eine fette Glucke zu sein.
Auch auf die Gefahr hin, mich unbeliebt zu machen, aber wäre es Ihnen möglich, den Ton Ihrer Beiträge in Zukunft etwas elanvoller zu halten? Die Chefetage wünscht sich mehr Pep – Sie wissen schon, was ich meine. Ich bin überzeugt davon, dass Sie das mit Bravour meistern. Hoffentlich müssen Sie jetzt nicht alles umschreiben.
Machen Sie es gut, ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Ross
Ich starre auf meine Produktliste:
Gloss and Gleam Anti-Schuppen Conditionier
Ich tippe »Gibt es etwas Schlimmeres als einen Schneesturm auf Ihren Schultern?« und denke: Ja! Es gibt Unmengen von Dingen, die schlimmer sind. Zum Beispiel, wenn der eigene Ehemann aus heiterem Himmel verkündet, dass er mit seiner Freundin in ein renoviertes Loft mit zwei Dachterrassen ziehen wird, weil sie sich gemeinsam etwas aufbauen wollen. Und das, obwohl die Unterhaltszahlungen Superdaddy angeblich das letzte Hemd kosten. Wer’s glaubt, wird selig.
Schweißhemmende Salbe
Pastillen mit Lakritz- und Gewürznelkenextrakt gegen Mundgeruch
Mitesserentfernungspumpe
Haarwuchsmittel für Männer
Hühneraugensalbe mit natürlichem Bienenwachs, die ihre wohltuende Wirkung auch an Fußballen, Ellbogen und anderen schwieligen Stellen entfaltet
Wer kauft diesen Kram bloß? Hypochonder?
Darmberuhigende Flatulenztabletten
Den Peinlichkeiten des menschlichen Körpers scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Da mir die Lust an der Zungenbürste gründlich vergangen ist, wende ich mich schweren Herzens den Pupspillen zu.
Vielleicht ist es an der Zeit, mir endlich einen anständigen Job zu suchen.
Und wer ist schuld an dem ganzen Schlamassel? Martin. Wenn er nicht angerufen und die Pläne fürs Wochenende über den Haufen geworfen hätte, wäre ich mit meinen Lobeshymnen auf die Produkte sicher längst fertig, peppiger Unterton hin oder her.
Thorpe Park. Dieses Wochenende ist Saisonstart und die Wetteraussichten sind ziemlich gut. Von mir aus kann er das ganze Wochenende mit Daisy und Poppy auf den von ihm so verhassten Karussells verbringen. Die Kinder und ich werden einen Riesenspaß haben, wenn wir losziehen, um ... irgendetwas wird mir schon einfallen.
Auch wenn es mir schwerfällt, aber ich bin zu dem Entschluss gekommen, über Martins Entscheidung, sein eigen Fleisch und Blut wegen eines fremden Geburtstagskindes im Regen stehenzulassen, kein böses Wort mehr zu verlieren. Soll er doch einen verdammten »Familienausflug« machen. Ich für meinen Teil schwebe kilometerweit über den Dingen.
Thorpe Park ist so kunterbunt wie der Inhalt einer umgekippten Spielzeugkiste.
»Komm schon!«, quiekt Travis und reißt sich von mir los.
Es gelingt mir in letzter Sekunde, ihn am Träger seiner Latzhose zurückzuhalten. »Wir müssen zusammenbleiben, sonst verlieren wir uns. Sieh dich doch nur mal um, es wimmelt hier von Menschen.«
»Will da drauf«, kreischt er und deutet auf eine Achterbahn mit Looping, bei deren Anblick mir angst und bange wird.
»Das ist nur etwas für größere Kinder, Travis. Aber es gibt unzählige andere Karussells, die du fahren kannst.«
»Babykram. Bin schon groß.« Schmollend schiebt er die Unterlippe vor, als wäre sie eine Rampe.
Sam fängt meinen Blick auf und grinst. Ich bin – zumindest vorübergehend – wieder ein Teil von »wir«. Zu meiner Überraschung und Freude hat mir einer meiner männlichen Freunde, seines Zeichens alleinerziehender Vater, angeboten mitzukommen. Sams Ex-Frau und Mutter ihres gemeinsamen zehnjährigen Sohns Harvey ist vor einigen Jahren nach Cornwall abgeschwirrt, um sich dort mit Hilfe einer alten Flamme »selbst zu finden«. Genau wie mir ist ihm übel mitgespielt worden, aber im Gegensatz zu mir ist er nicht – soweit ich das beurteilen kann – von Hass oder Rachegelüsten erfüllt. Der Umgang zwischen Sam und Amelia erscheint mir schrecklich erwachsen und respektvoll. Einmal habe ich eine selbstgebastelte Geburtstagskarte auf seinem Kaminsims entdeckt. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Babe. Alles Liebe, Melly XXX«, stand darauf, was wohl kaum auf gegenseitigen Hass schließen lässt.
»Hast du eigentlich keine Angst, wir könnten ihnen begegnen?«, fragt er mich, während wir uns durch die Menge schieben.
Genau das hat mir vorgeschwebt, eine Geste, die bedeutet: Du kannst mich mal. Ich weiß, besonders reif oder clever ist das nicht. Inzwischen bin ich mir auf einmal selbst nicht mehr sicher, ob ich hier sein möchte.
»Das ist eher unwahrscheinlich«, antworte ich, »und falls doch, werde ich so souverän sein wie noch nie.« Außerdem habe ich ja dich, möchte ich am liebsten hinterherschieben.
Sam legt mir tröstend einen Arm um die Schultern. Wundervoller, lieber Sam. Er ist unbeschreiblich attraktiv – betörend dunkle Augen, schlank –, und jede andere Frau, deren Libido nicht unter die Räder gekommen ist, hätte sich alle fünf Finger nach ihm geleckt. »Ich möchte einfach nur nicht, dass du dich aufregst«, sagt er.
»Sam«, ich drehe mich zu ihm um, »die drei sind mir so was von egal. Komm schon, lass uns die Wildwasserbahn suchen.«
Meine Laune ist im Steilflug – vermutlich, weil Jake zur Abwechslung mal fröhlich dreinblickt und kein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter zieht.
Der Vormittag vergeht wie im Flug. Wir tingeln von einem Fahrgeschäft zum nächsten und stellen uns todesmutig den Luftkissen und der magenfreundlichsten Achterbahn, die wir finden.
Die beiden Frauen in der Gondel vor uns können es nicht lassen, Sam lüsterne Blicke zuzuwerfen, sobald sie glauben, dass ich gerade mal nicht hinsehe. Ich kenne Sam nun seit einem Jahr, und seitdem er vor sechs Monaten mit Harvey in unser Viertel gezogen ist und unsere Söhne, die beide auf dieselbe Schule gehen, die dicksten Freunde geworden sind, unternehmen wir alle naselang etwas gemeinsam. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich nicht mehr im Tal der Depression vor mich hindümple, mich nicht mehr wie eine weggeworfene Bananenschale fühle, die am Boden des Treteimers namens Leben liegt. Mittlerweile komme ich mir wie eine Dose Baked Beans vor, die sich irgendwo in der Mitte tummelt. Natürlich denken Bev, Marcia und all die anderen Mütter vom Elternbeirat, dass wir hemmungslosen und wilden Sex haben, weil wir ständig zusammenhocken und unsere Söhne ein Herz und eine Seele sind. Hinzu kommt, dass alleinerziehende Mütter ihrer Meinung nach chronisch notgeil sind. Als ich letzte Woche Marcia im Supermarkt über den Weg gelaufen bin, hat sie den Inhalt meines Einkaufswagens inspiziert, als würde sie Fertiggerichte und flaschenweise Gin darin vermuten.
Nach dem Mittagessen nimmt Sam Travis mit zu den Kinderkarussells, während ich mich mit den anderen in eine Gondel des Riesenrads quetsche. Mit Riesenrädern komme ich gerade noch so zurecht. Und dann, als wir den höchsten Punkt erreichen, entdecke ich ihn: Martin. Er trägt ein eidottergelbes T-Shirt und hat ein Kind auf den Schultern.
Augenblicklich verkrampft sich mein Magen, und ich greife nach Lolas Hand. Ich hätte die Kinder niemals herbringen dürfen, zumindest nicht heute. Jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die drei ihrem Vater und dem Geburtstagskind gegenüberstehen. Und das nur, weil ich eine selten dämliche Kuh bin. Ich starre Poppy an. Über Daisys kleinen Liebling weiß ich lediglich, dass sie immer, wenn unsere Kinder übers Wochenende da waren, eine ausgefallene Belohnung bekommt. Außerdem hat sie einen »besonderen« Stuhl am Esstisch, auf dem nur sie sitzen darf, verabscheut »softe« Lebensmittel und ist stolze Eigentümerin eines Barbie-Hauses inklusive Pool und Wohnwagen. Würde mich nicht wundern, wenn sie auch noch Anteile an Barbies Ferienvilla auf Mauritius besitzt. Da Martin die Kinder jedes Mal abholt und wieder nach Hause bringt, hatte ich bislang nicht die Ehre, die kleine Prinzessin persönlich kennenzulernen. Seit Lola mir erzählt hat, dass Poppy sich weigert, etwas zu tragen, das nicht pink ist, nenne ich sie insgeheim Prinzessin Pink.
Martin scheint einen richtig guten Draht zu ihr zu haben. Poppy wippt aufgeregt auf seiner Schulter herum, während er sie an den Fußgelenken hält, die ihm auf die Brust herabhängen, damit ihr nichts passiert. Man könnte fast glauben, dass er ihr leiblicher Vater ist. Statt »My little Pony« heißt es jetzt auch noch »My big Daddy«, oder wie? Und das, obwohl er ein potthässliches T-Shirt trägt. Entweder er leidet seit neuestem an Geschmacksverirrung, oder er versucht, wie ein flippiger Moderator im Kinderfernsehen oder gar ein Quietsche-Entchen daherzukommen.
Fieberhaft plane ich unsere Flucht, damit wir dem Bilderbuchgeburtstagskind und seinem Quietsche-Entchen nicht begegnen müssen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, die Kinder ausgerechnet heute hierherzuschleppen? Ich wollte ein Exempel statuieren. Martin denkt sich vielleicht nichts dabei, unsere Kinder zu enttäuschen, ich schon. Am liebsten würde ich meine Botschaft laut nach unten brüllen: »Mag sein, dass du denkst, du seiest der Einzige, der an Poppys Geburtstag herkommen darf, aber – tata! – wir sind auch da und werden uns amüsieren, bis wir Umfallen.« Erst jetzt fällt mir auf, dass ich keinen Gedanken daran verschwendet habe, wie den Kindern zumute sein könnte, wenn sie ihrem Vater mit seiner tollen neuen Familie begegnen. Was bin ich doch für ein schlechter Mensch. Nur ein hirnloses Monster von Mutter instrumentalisiert die eigenen Kinder, um ein Exempel zu statuieren. Am besten, man nimmt mir die Kinder weg. Was gäbe ich darum, wenn wir uns unentdeckt aus dem Staub machen könnten. Ich hab’s – sobald wir wieder festen Boden unter den Füßen haben, werde ich Sam sagen, dass wir auf der Stelle nach Hause müssen. Falls nötig, täusche ich eine Krankheit vor, falle in Ohnmacht oder gleich tot um. Hilfe, das Quietsche-Entchen kommt immer näher. Als unsere Gondel fast wieder unten ist, kann ich Poppys Hinterkopf sehen. Ihr dunkelblondes Haar ist mit unzähligen Spangen und noch mehr Schleifen hochgesteckt. Ein Paradebeispiel für »Weniger wäre mehr«.
»Mummy«, protestiert Lola, »du zerquetschst mir die Hand.«
»Tut mir leid, Mäuschen, das war keine Absicht.« Ich lasse los und wische mir die verschwitzten Finger an der Jeans ab. Trotz der frischen Frühlingsluft ist mein Körper von einem Schweißfilm überzogen. Zum Glück kann ich die Vertreterschlampe nirgends entdecken. Ich habe Daisy bisher nur einmal getroffen, vor einigen Monaten, als ich ihr und Martin händchenhaltend bei Weihnachtseinkäufen in Covent Garden begegnet bin. Kaum hatten die beiden mich entdeckt, ließen sie voneinander ab, als hätte der andere urplötzlich Feuer gefangen. Immerhin hatte die Schlampe den Anstand, einen schockierten Gesichtsausdruck aufzusetzen. Ich presste die Kiefer so fest aufeinander, dass ich schon Angst hatte, sie könnten brechen. Die Anstrengung, ein vernünftiges und reifes Verhalten an den Tag zu legen, war so groß, dass ich vollkommen entkräftet den nächstbesten Pub betrat, mir ein Glas Weißwein bestellte und es in einem Zug herunterstürzte. Sollte ich je in einer Entzugsklinik landen, werde ich Martin die Rechnung schicken lassen.
»Das war toll«, schwärmt Harvey. »Können wir nicht noch eine Runde drehen?«
»Später vielleicht«, sage ich schnell. »Wir sind mit deinem Vater beim Teetassenkarussell verabredet und müssen Tempo machen. Los, ab mit euch.« Mit der Hand deute ich in die entgegengesetzte Richtung des Quietsche-Entchens.
»Warum haben wir es auf einmal so eilig?« Argwöhnisch kneift Jake die Augen zusammen.
»Weil ... wir auf so gut wie alle Karussells wollen. Es gibt hier unendlich viel zu entdecken, findest du nicht auch? Ist es nicht phantastisch?« Als ich merke, dass ich kurz davor bin zu hyperventilieren, versuche ich, meine Atemzüge zu beruhigen.
Jake streicht sich den überlangen Pony aus der Stirn. Sosehr ich mir auch Mühe gebe, Martin zu ignorieren, sein knalliges T-Shirt ist einfach nicht zu übersehen. Wie eine Butterblume, die auf einem Bach treibt. Als das Riesenrad endlich zum Stehen kommt, klettern wir hinaus.
»Mum, guck mal!«, ruft Jake. »Da ist Dad!« Er schnappt Lola an der Hand und rennt los.
Harvey bleibt indes bei mir und sieht nicht minder neugierig drein wie ich, während die beiden wie angewurzelt vor ihrem Vater stehen bleiben und Poppy anstarren.
»Hallo Daddy«, sagt Lola leicht geknickt.
Im Zeitlupentempo legt sich ein Lächeln auf Martins Lippen. »Hallo, ihr beiden!«
Als ich mich der kleinen Gruppe nähere, schleudert er mir einen finsteren Blick entgegen.
Harvey, der mit einem Mal verschüchtert und betreten wirkt, vergräbt die Hände tief in den Taschen und starrt auf den Boden. Lola sieht wütend zu der kleinen blonden Puppe auf den Schultern ihres Vaters hinauf. Poppy zerbeißt das Bonbon, das sie im Mund hat. In den standhaften Ausdruck in ihren Augen mischt sich eine Spur von Selbstgefälligkeit. Ihr Teint erinnert an Porzellan, sie hat weit auseinanderstehende hellblaue Augen und trägt eine pinkfarbene Jacke, deren Kapuze mit silberfarbenem Fell gesäumt ist.
»Das ist ja mal eine Überraschung«, stammelt Martin und grinst dümmlich.
»Die Kinder haben darauf bestanden«, murmele ich.
»Genau«, bekräftigt Jake. »Mum meinte, du könntest uns nicht mitnehmen, also ist sie mit uns hergefahren. Warum konntest du das eigentlich nicht?«
»Ich ... das ist ein wenig kompliziert«, antwortet Martin mit einem gequälten Grinsen.
Ich spüre, wie ich innerlich schrumpfe.
»Ist doch egal«, meldet Lola sich zu Wort. »Jetzt sind wir ja alle zusammen.«
Martin legt die Stirn in Falten und zischt, als wäre Harvey schwerhörig. »Ist das nicht Sam Blackwells Sohn?«
»Ja. Er heißt Harvey. Sam ist mit Travis auf einem der Kinderkarussells und wartet bestimmt schon auf ...«
»Was mir einfach nicht in den Kopf will«, fährt Martin mir in die Parade, »ist, dass du ausgerechnet heute hierherkommen musstest. Warum? Um mir eins auszuwischen?«
Wie mir schwant, hat er vergessen, dass auf seinen Schultern ein kleines Mädchen mit sechs Millionen Spangen im Haar sitzt, das jedes Wort mit anhört.
»Natürlich nicht«, schieße ich zurück.
»Du hast wirklich ein Händchen für Fettnäpfchen, Cait.« Gerade als ich protestieren will, holt er zu einem weiteren Angriff aus. »Wir hätten darüber reden können, wenn es dir so wichtig gewesen wäre. Ich hätte nie gedacht, dass du zu solchen Mitteln greifen würdest.«
»Dad, wir waren auf dem Riesenrad«, murmelt Jake.
»Das ist schön«, antwortet Martin, der noch immer gequält lächelt.
»Können wir das auch machen, Martin?«, flüstert Poppy. »Können wir auch auf das Riesenrad?«
»Später, Mäuschen«, murmelt er.
Jetzt sagt er also schon Mäuschen zu ihr?
»Wo ist Mummy?«, will sie wissen.
»Sie ist losgegangen, um ...« Als er Daisys Gesicht in der Menge erspäht, hält er inne. »Guck mal, da ist sie ja.«
Poppy dreht sich um und strahlt von einem Ohr zum anderen, während sich uns die Vertreterschlampe nähert.
Daisy, die mit zwei Heißgetränken bewaffnet ist, lächelt. Bis sie mich entdeckt. Scheiße lese ich in ihrem Blick. Muss das denn sein? Es ist ihr anzusehen, dass ihr Kiefer mahlt. Sie trägt enge dunkelblaue Jeans, flache violette Pumps mit Schleifchen und eine ärmellose Bluse mit Blumenmuster. Ich komme mir wie ein notgeiler alter Bock vor, weil ich sie so anstarre.
Als sie von einem Kind angerempelt wird, gerät sie kurz ins Schwanken, und ein wenig Flüssigkeit schwappt aus den Trinköffnungen der Deckel.
»Mummy«, ruft Poppy, aber Daisy bringt lediglich ein trübes Lächeln zustande.
Wieder zieht es meinen Blick auf ihre Bluse. Sie ist nass und dadurch beinahe transparent. Keine Jacke, kein Pullover, und das im März! Was für eine dumme Gans.
»Hallo Caitlin«, sagt sie und überreicht Martin einen dampfenden Becher. »Wie schön, Sie zu sehen.« Unter ihrem linken Auge zuckt es verräterisch.
»Wundervoll, nicht wahr?«, entgegne ich, unfähig, den Blick von ihren atemberaubenden Brüsten zu nehmen, die zu meinem Leidwesen noch nicht einmal von einem BH gestützt werden. Sie sind so stramm wie bei Barbie und stechen auch genauso hervor. Es hat fast den Anschein, als wäre Daisy einem Comic entsprungen, der aus der Feder eines Dreizehnjährigen mit Hang zu pneumatischen Titten stammt.
Sie sehen irgendwie unecht aus.
»Warum bist du nass, Daisy?«, will Lola wissen.
Das ist mein Mädchen.
»Nicht schön, ich weiß.« Ihr Lachen ist eine Spur zu schrill, und sie schüttelt das Haar, wie Models es in Werbespots für Shampoo tun. »Bei der Fahrt mit den Gummibooten ist mein Mantel ganz nass geworden, da habe ich ihn kurzerhand ausgezogen.«
»Aber deine Bluse ist auch ganz nass«, lässt Lola nicht locker. »Und heute ist es nicht sehr warm.«
Dafür hast du dir eine Fünfpfundnote verdient, du beste Tochter auf der ganzen Welt.
»Komisch«, melde ich mich zu Wort. »Wir waren auch auf den Gummibooten, und uns ist nichts passiert. Sieht aus, als hätten wir Glück gehabt.«
»Ich glaube eher, dass es damit zusammenhängt, wo man sitzt«, entgegnet sie kühl.
Erst jetzt fällt mir auf, dass Martin zusätzlich zu der blonden Puppe auf seinen Schultern einen zusammengefalteten Mantel unter dem Arm trägt. Vermutlich gehört er Daisy. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er je meinen Mantel getragen hätte.
Harvey beäugt Daisy mit einem spöttischen Lächeln, Jake nestelt am Reißverschluss seiner Jacke herum. Mit einem triumphierenden Ausdruck in den Augen greift Daisy nach Martins Hand und drückt so fest zu, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortreten.
»Wie dem auch sei«, ergreift Martin das Wort, »wir sind gerade auf dem Weg zum Mittagessen. Amüsiert euch noch schön, wir sehen uns dann nächstes Wochenende, Kinder. Wir werden wahnsinnig viel Spaß haben, das verspreche ich euch. Lust aufs Naturkundemuseum?«
Sein Vorschlag bringt ihm ein halbherziges Nicken von Lola ein, während Jake eine leere Smarties-Verpackung zertritt.
»Wir werden etwas unternehmen, das ihr nicht so schnell vergessen werdet«, sagt Martin abschließend, während ich den Blick auf den Boden richte, um nachzusehen, ob meine Beine von den vielen Lügen kürzer geworden sind.
Als ich wieder aufblicke, entdecke ich Sam und Travis, die fieberhaft nach uns Ausschau halten. Beim Anblick von Martin verlangsamt Sam seine Schritte. Unsere Blicke treffen sich, und er runzelt die Stirn.
»Ich bin mir sicher, dass die drei es kaum abwarten können«, sage ich steif und schiebe die Kinder in Sams Richtung.
»Tschüss«, ruft Poppy uns noch nach.
Sie ist nur ein Kind, sage ich mir. Sie trifft am wenigsten Schuld. Schließlich war es ihre Mutter, die auf Männerfang gegangen ist. Poppy kann nichts dafür, dass sie ein Flittchen zur Mutter hat. Ich gebe mir größte Mühe, dem Mädchen zum Abschied zuzulächeln, wie jeder vernünftige Erwachsene es getan hätte, aber es will mir partout nicht gelingen. Das Kinn auf Martins Kopf gelegt, deutet sie auf die größte Achterbahn.
Ich greife nach Lolas Hand, drücke sie fest und zwinge meine Augen, sich zu benehmen, als die drei in der Menge verschwinden.
Wir sind wieder zu Hause, und obwohl es inzwischen draußen dunkel und kalt ist, waren die Kinder nicht davon abzubringen, in den Garten zu laufen, um gefrorene Pfützen einzutreten. In der Küche geht es zu wie in einem Taubenschlag. Ständig kommt einer herein, auf der Suche nach neuem Werkzeug, um den Eisoberflächen zu Leibe zu rücken. Ich verteile bereitwillig alte Plastiklöffel, weigere mich aber, Suppenkellen oder Brotmesser herauszurücken.
»Ich hoffe, die Begegnung mit Miss Wet-T-Shirt hat dir nicht allzu sehr zugesetzt«, sagt Sam, als die Kinder außer Hörweite sind.
Ich bin gerade dabei, ein Backblech mit Fischstäbchen in den Ofen zu schieben. Der Anblick von Daisys Brüsten verfolgt mich noch immer.
»Wie kommst du denn darauf?«, entgegne ich. »Du hattest recht. Es war wirklich nicht sonderlich klug, mit den Kindern ausgerechnet heute einen Abstecher in den Vergnügungspark zu machen.«
»Das habe ich gar nicht gesagt ...«
»Nein, aber gedacht hast du es. Hast versucht, mich zu warnen, doch ich musste mir ja unbedingt beweisen, dass ich kein Problem mit der Situation habe. Mit dem Ergebnis, dass die Kinder sich jetzt hundeelend fühlen.« Meine Stimme zittert. »Ich hätte ihnen das nicht zumuten dürfen.«
»Vielleicht war es wirklich nicht die beste Idee«, sagt Sam, was eine Spur besser ist als »Ich hab’s dir doch gleich gesagt«.
Als er mich angrinst, tue ich dasselbe. Sein Lächeln ist ansteckend. Manchmal kommt es mir vor, als wären unsere Mundwinkel auf mystische Weise miteinander verbunden.
»Wie dem auch sei«, füge ich hinzu, »was hältst du eigentlich von Miss Wet-T-Shirt?«
Im Garten wird sich gezankt. Zu viele Kinder, zu wenig Pfützen. »Puh«, murmelt er.
»Jetzt rück schon raus mit der Sprache«, fordere ich ihn auf. »Findest du sie attraktiv? Du kannst es ruhig sagen. Ich meine, ich weiß, dass ...«
»Nein, das ist es nicht. Sie hat ein verhärmtes Gesicht, bei dem man Angst haben muss, es könnte zerplatzen, sobald sie lacht. Kann sie überhaupt lachen?«
Es ist furchtbar nett von Sam, dass er versucht, mich aufzuheitern. »Eigentlich meinte ich ihre nasse Bluse und die Tatsache, dass sie keinen BH anhatte.«
Sam zieht die Augenbrauen zusammen. »Sie waren ziemlich ...«
»Aufrecht?«
»Nass. Sie waren ziemlich nass. Ein wärmender Rollkragenpullover wäre wohl angemessener gewesen.«
Lachend schütte ich eine große Dose Erbsen in einen Topf. Es würde mir nichts ausmachen, wenn Sam der Anblick der Schlampe gefallen hätte. Schließlich ist er ein Mann, wenn auch ein Exemplar, das sich weigert, mit Frauen auszugehen. Womöglich, weil er seiner Verflossenen doch noch ein klitzekleines bisschen nachweint. Oder er hat, genau wie ich, keine Lust darauf, sich bei der erstbesten Gelegenheit mit jemandem in den Laken zu wälzen.
Seit Martins Auszug bin ich zu niemandem unter die Decke gekrochen – mit Ausnahme von Travis und Lola, als sie sich mit Alpträumen oder Windpocken herumgequält haben. Ich bezweifle, dass ich je wieder mit jemandem schlafen werde. Es ist jetzt mehr als acht Monate her, dass ich Sex hatte, und der Gedanke, von einem Mann berührt zu werden, löst in mir noch immer Übelkeit aus. Ich habe sogar versucht, mir vorzustellen, wie ich mit Sam schlafe, um mir zu beweisen, dass ich kein hoffnungsloser Fall bin. Ich habe alle Register gezogen, habe mir vorgestellt, wie wir beide splitterfasernackt leidenschaftliche Küsse austauschen und meine Hände seinen makellosen, durchtrainierten Körper erforschen – alles für die Katz. Kein Kribbeln, keine Erregung. Vor lauter Verzweiflung habe ich das Szenario mit allen Männern zwischen zwanzig und fünfundachtzig durchgespielt, die ich kenne – in meinen Augen ein ziemlich weites Feld. Wieder nichts. Meine Libido ist tot, verdorrt wie eine Pflanze, um die sich niemand gekümmert hat.
Als Sam nach draußen geht, um nach den Kindern zu sehen, weht ein kühler Windstoß in die Küche. Wie immer genieße ich es, wenn er Zeit mit uns verbringt. Seit wir uns bei strömendem Regen unter der Rutsche im Park zum ersten Mal begegnet sind, verbindet uns eine enge Freundschaft.
»Hey«, sagt er und streckt den Kopf durch die Tür, »die Sache mit dem Freizeitpark nimmt dich doch mehr mit, als du zugeben magst, habe ich recht?«
Ich nicke. »Ich habe die Kinder benutzt, um Martin eins auszuwischen.«
»Ach, Cait. Die haben den Zwischenfall längst vergessen. Sie hatten einen tollen Tag. Versuch, nicht länger an Martin und seine neue Flamme zu denken.«
Wie soll das denn gehen?, frage ich mich, während Sam zurück in die Küche kommt und mich in die Arme schließt.
»Hör zu.« Er löst die Umarmung und sieht mir in die Augen. »Du willst ihn doch gar nicht zurückhaben, oder?«
»Wie kommst du denn darauf?« Ich drehe mich weg und reiße die Ofenklappe auf.
»Dann vergiss diese Daisy einfach. Sie ist eine blöde Schnepfe, und die beiden haben sich gegenseitig verdient. Vermutlich liegt sie längst mit einer Lungenentzündung flach.«
»Schön wär’s.« Ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass ich vor meinem geistigen Auge sehe, wie Martin ihr aus den nassen Kleidern hilft, ihr ein heißes Bad einlässt, ihr ein Glas Wein bringt und ihr anschließend liebevoll den Rücken massiert ...
Noch mehr macht mir jedoch zu schaffen, dass ich im Alter von fünfunddreißig zu einem asexuellen Wesen mutiert bin.
Später, nachdem ich Lola und Travis ihre Gutenachtgeschichten vorgelesen habe, gehe ich in Jakes Zimmer. Er ist gerade dabei, sein Bücherbord mit einem gelben Staubwedel zu putzen. »Warum tust du das?«, frage ich ihn leise.
»Weil ich Lust dazu habe«, murmelt er.
Ich hole tief Luft und lasse mich auf der Bettkante nieder. Meine Schuldgefühle bringen mich fast um. Statt hier herumzusitzen und ihm bei der Arbeit zuzusehen, sollte ich ihm lieber helfen. Streng genommen hätte ich längst über das Bücherbord wischen sollen, damit er es nicht tun muss. Ein Zehnjähriger sollte sich um andere Dinge als um Hausarbeit kümmern.
»Jake«, fasse ich mir ein Herz. »Es freut mich, dass du dich nützlich machst, aber du solltest deine Freizeit nicht mit Putzen oder Ähnlichem verbringen.«
»Schon in Ordnung«, murmelt er.
»Wieso machst du das Bücherbord überhaupt sauber? Du bist ja zu einem richtigen Ordnungsfanatiker geworden. Sam hat seinen Augen nicht getraut, als er letztens in dein Zimmer gegangen ist, um ...«
»Da war ’ne Spinne«, fällt Jake mir ins Wort, den Staubwedel fest umklammert. »Sie ist einfach über meine Bücher gelaufen.« Ich stoße ein nervöses Lachen aus. »Seit wann hast du denn Angst vor Spinnen? Für dich gibt es doch nichts Schöneres, als Insekten im Garten zu sammeln.«
»Das bedeutet, dass es hier dreckig ist. Lauter Spinnweben und so.«
Ich öffne den Mund, um etwas zu erwidern, doch er dreht sich von mir weg und verpasst dem Bord zur Sicherheit noch einmal eine Schicht Polierspray. Mit einem Gefühl innerer Leere sehe ich meinem Sohn dabei zu, wie er dem Staubtuch Höchstleistungen abfordert. Wie gerne hätte ich meinen alten Jake zurück. Den Jake, der auf meinen Schoß gekrochen kommt und sich einen Kuss von mir abholt. Der Jake, in dessen Zimmer nach Urin müffelnde Schlafanzüge auf dem Boden herumliegen und auf dessen Fensterbank sich Gläser mit schimmeligem Saft tummeln.
Was gäbe ich darum, jetzt
