Tannöd - Andrea Maria Schenkel - E-Book

Tannöd E-Book

Andrea Maria Schenkel

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Beschreibung

Es sind die unsicheren Jahre nach dem Zweiten großen Krieg, als sämtliche Bewohner eines bayerischen Einödhofs tot aufgefunden werden - brutal erschlagen, niedergemacht mit der Spitzhacke. Die Familie Danner war als verschlagen und habsüchtig verrufen, und jeder Dorfbewohner weiß die Untat aus seiner eigenen Sicht zu deuten. Minutiös wird dieser authentische Fall rekonstruiert und der Leser so zum Eingeweihten des Mörders, ohne jedoch dessen Motiv oder gar seine Identität je zu erfahren. Dieses wahre Verbrechen, das bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, bildet den Kern von Andrea Maria Schenkels fulminantem Debüt.

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Seitenzahl: 144

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Andrea Maria Schenkel

Tannöd

Roman

Hoffmann und Campe

Den ersten Sommer nach Kriegsende verbrachte ich bei entfernten Verwandten auf dem Land.

In jenen Wochen erschien mir dieses Dorf als eine Insel des Friedens. Einer der letzten heil gebliebenen Orte nach dem großen Sturm, den wir soeben überstanden hatten.

Jahre später, das Leben hatte sich wieder normalisiert und jener Sommer war nur noch eine glückliche Erinnerung, las ich von eben jenem Dorf in der Zeitung.

Mein Dorf war zum »Morddorf« geworden und die Tat ließ mir keine Ruhe mehr.

Mit gemischten Gefühlen bin ich in das Dorf gefahren.

Die, die ich dort traf, wollten mir von dem Verbrechen erzählen. Reden mit einem Fremden und doch Vertrauten. Einem der nicht blieb, der zuhören und wieder gehen würde.

Herr, erbarme Dich unser!

Christus, erbarme Dich unser!

Herr, erbarme Dich unser!

Christus, höre uns!

Christus, erhöre uns!

Gott Vater vom Himmel, erbarme Dich ihrer!

Gott Sohn, Erlöser der Welt, erbarme Dich ihrer!

Gott Heiliger Geist, erbarme Dich ihrer!

Heilige Dreifaltigkeit, ein einiger Gott, erbarme Dich ihrer!

Heilige Maria, bitte für sie!

Heilige Gottesgebärerin, bitte für sie!

Heilige Jungfrau aller Jungfrauen, bitte für sie!

Heiliger Michael,

bitte für sie!

Alle heiligen Engel und Erzengel,

Alle heiligen Chöre der seligen Geister,

Heiliger Johannes der Täufer,

bittet für sie!

Heiliger Josef,

bitte für sie!

Alle heiligen Patriarchen und Propheten,

Heiliger Petrus,

Heiliger Paulus,

Heiliger Johannes,

bittet für sie!

Alle heiligen Apostel und Evangelisten,

Heiliger Stefanus,

Heiliger Laurentius,

bittet für sie!

Alle heiligen Märtyrer,

Heiliger Gregorius,

Heiliger Ambrosius,

bittet für sie!

Heiliger Hieronymus,

Heiliger Augustinus,

bittet für sie!

Alle heiligen Bischöfe und Bekenner,

Alle heiligen Kirchenlehrer,

Alle heiligen Priester und Leviten,

Alle heiligen Mönche und Einsiedler,

bittet für sie!

Am frühen Morgen, vor Tagesanbruch, betritt er den Raum. Mit dem Holz, das er von draußen hereingebracht hat, heizt er den großen Herd in der Küche an, befüllt den Dämpfer mit Kartoffeln und Wasser, stellt den gefüllten Kartoffeldämpfer auf die Herdplatte.

Von der Küche aus geht er, den langen fensterlosen Gang entlang, hinüber in den Stall. Die Kühe müssen zweimal am Tag gefüttert und gemolken werden. Sie stehen in einer Reihe. Eine neben der anderen.

Er spricht mit gedämpfter Stimme auf sie ein. Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, während der Arbeit im Stall immer mit den Tieren zu sprechen. Vom Klang seiner Stimme scheint eine beruhigende Wirkung auf die Tiere auszugehen. Ihre Unruhe scheint durch den monotonen Singsang der Stimme, durch die Gleichförmigkeit der Worte zu schwinden. Der ruhige, einförmige Klang löst ihre Spannung. Er kennt diese Arbeit schon sein ganzes Leben. Sie macht ihm Freude.

Er streut neues Stroh auf die alte Unterlage auf. Das Stroh dafür holt er aus dem angrenzenden Stadel. Es verbreitet im Stall einen angenehmen, vertrauten Geruch. Kühe riechen anders als Schweine. Ihr Geruch hat nichts Aufdringliches, nichts Scharfes an sich.

Danach holt er das Heu. Er holt es auch aus dem Stadel.

Die Verbindungstür zwischen Stadel und Stall lässt er offen.

Während die Tiere fressen, melkt er sie. Davor ist ihm etwas bange. Die Tiere sind es nicht gewöhnt, von ihm gemolken zu werden. Doch seine Befürchtungen, dass das eine oder andere Tier sich nicht von ihm melken lassen würde, waren umsonst gewesen.

Die garen Kartoffeln riechen bis hinüber in den Stall. Es ist Zeit, die Schweine zu füttern. Er schüttet die Erdäpfel aus dem Dämpfer direkt in einen Eimer, dort werden sie gequetscht, bevor er sie zu den Schweinen in den Schweinestall bringt.

Die Schweine quieken, als er die Tür zu ihrem Verschlag öffnet. Er schüttet den Inhalt des Eimers in den Trog, dazu noch etwas Wasser.

Er hat seine Arbeit erledigt. Bevor er das Haus verlässt, achtet er darauf, dass das Feuer im Herd erloschen ist. Die Tür zwischen Stadel und Stall lässt er offen. Den Inhalt der Milchkanne schüttet er auf den Mist. Die Kanne stellt er wieder an ihren alten Platz zurück.

Am Abend würde er erneut in den Stall gehen. Er würde den Hund füttern, der sich bei seinem Kommen stets winselnd in die Ecke verkriecht. Er würde die Tiere versorgen. Dabei würde er stets darauf achten, um den Strohhaufen in der linken hinteren Ecke des Stadels einen Bogen zu machen.

Betty, 8 Jahre

Die Marianne und ich sitzen in der Schule nebeneinander. Sie ist meine beste Freundin. Deshalb sitzen wir ja auch beieinander.

Die Marianne mag die Rohrnudeln meiner Mama immer besonders gern. Wenn meine Mama welche macht, bringe ich ihr immer eine mit, in die Schule oder am Sonntag auch mit in die Kirche. Am letzten Sonntag habe ich ihr auch eine mitgebracht, aber die musste ich dann selbst essen, weil sie nicht in der Kirche war.

Was wir immer so gemeinsam machen? Was man halt so spielt, Räuber und Gendarm, Fangerles, Verstecken. Im Sommer ab und zu bei uns im Hof Verkaufen. Da richten wir uns am Gartenzaun zum Gemüsegarten einen kleinen Laden ein. Mama gibt mir dann immer eine Decke und wir können unsere Sachen darauf ausbreiten: Äpfel, Nüsse, Blumen, buntes Papier oder was wir halt so finden.

Einmal hatten wir sogar Kaugummi, den hat meine Tante mitgebracht. Der schmeckt prima nach Zimt. Meine Tante sagt, die Kinder in Amerika essen das immer. Meine Tante arbeitet nämlich bei den Amis und ab und zu bringt sie Kaugummi und Schokolade und Erdnussbutter mit. Oder Brot in so komischen grünen Dosen. Einmal im letzten Sommer sogar Eis.

Meine Mama ist davon nicht so begeistert, weil der Freund von der Tante Lisbeth ist nämlich auch aus Amerika und ganz schwarz.

Die Marianne sagt immer, ihr Papa ist auch in Amerika und er kommt sie ganz bestimmt bald holen. Aber das glaube ich nicht. Ab und zu schwindelt die Marianne nämlich ein bisschen. Mama sagt, das darf man nicht, und wenn die Marianne wieder eine ihrer Schwindelgeschichten erzählt, streiten wir. Meistens nimmt dann jeder seine Sachen aus dem Kaufladen weg und wir können nicht mehr weiterspielen und die Marianne läuft dann nach Hause. Nach ein paar Tagen verstehen wir uns dann wieder.

An Weihnachten habe ich eine Puppe vom Christkind bekommen und die Marianne war ganz neidisch. Sie hat nur eine ganz alte, die ist aus Holz und noch von ihrer Mutter. Da hat die Marianne wieder mit ihrer Geschichte angefangen. Ihr Papa kommt bald und nimmt sie mit nach Amerika. Ich habe ihr gesagt, ich bin nicht mehr ihre Freundin, wenn sie immer so viel lügt. Seitdem hat sie nichts mehr darüber erzählt.

Im Winter waren wir ab und zu beim Schlitten fahren auf der Wiese hinter unserem Hof. Das ist ein prima Schlittenberg, da kommen immer alle aus dem Dorf hin. Wenn man nicht rechtzeitig bremst, saust man unten in die Hecken. Dann gibt’s zu Hause meistens Ärger. Marianne musste ab und zu ihren kleinen Bruder mitnehmen, zum Aufpassen. Der hängt einem dann immer am Rockzipfel. Ich habe ja keinen kleinen Bruder, nur eine große Schwester, aber das ist auch nicht immer schön. Die ärgert mich oft.

Wenn der kleine Bruder mal in den Schnee gefallen ist, hat er angefangen zu weinen und hat meistens auch noch in die Hose gepieselt und Marianne hat dann nach Hause gemusst und schlimmen Ärger bekommen. Weil sie nicht auf ihn aufgepasst hat und weil er wieder in die Hose gemacht hat und so weiter. Am nächsten Tag in der Schule war sie dann ganz traurig und hat mir erzählt, dass sie weg möchte, denn der Großvater ist so streng und die Mama von ihr auch.

Vor ein paar Tagen hat sie mir erzählt, dass der Zauberer wieder da ist. Sie hat ihn im Wald gesehen und der bringt sie bestimmt zu ihrem Papa. Ja, der Zauberer, hat sie gesagt. Diese Geschichte hat sie im Herbst schon einmal erzählt, gleich nach Schulanfang und ich habe ihr nicht geglaubt, den Zauberer gibt es nicht und Zauberer, die einem einen Papa herzaubern, der in Amerika sein soll, die gibt es erst recht nicht. Da habe ich mich wieder mit ihr gestritten und sie hat geweint und gesagt, den Zauberer gibt es und er hat lauter bunte Flaschen in seinem Rucksack und andere bunte Dinge und manchmal sitzt er einfach da und summt vor sich hin. Das muss doch ein Zauberer sein, so wie der aus unserem Lesebuch. Da habe ich gerufen »Lügnerin, Lügnerin« und sie ist weinend heimgelaufen. Und weil sie doch am Samstag nicht in der Schule war und sie doch die Rohrnudeln meiner Mama so gerne isst, habe ich ihr am Sonntag eine in die Kirche mitgebracht. Aber da war sie dann auch nicht. Mama hat gemeint, weil keiner von ihnen da war, die sind vielleicht auf Verwandtenbesuch. Drüben in Einhausen bei dem Bruder von ihrem Großvater. So habe ich halt die Nudeln selber gegessen.

Marianne liegt wach in ihrem Bett. Sie kann nicht einschlafen. Sie hört das Heulen des Windes. Wie die »wilde Jagd« rast er über den Hof. Die Großmutter hat ihr schon oft die Geschichten von der »wilden Jagd« und der »Trud« erzählt, immer in den langen, dunklen Rauhnächten zwischen Weihnachten und Neujahr.

»Die ›wilde Jagd‹ saust vom Wind getrieben dahin, so schnell wie die Wolken im Sturm, schneller noch. Sie sitzen auf Rössern, so schwarz wie der Teufel«, hat die Großmutter erzählt. »In schwarze Mäntel gehüllt. Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. Die Augen glutrot, jagt sie dahin. Wenn einer so unvorsichtig ist, sich in einer solchen Nacht draußen herumzutreiben, packt ihn die ›wilde Jagd‹. Im Galopp«, hat die Großmutter gesagt. »Einfach so, schnapp!«

Dabei machte sie mit ihrer Hand eine Bewegung, als ob sie selbst etwas packen und wegwischen würde.

»Schnapp! Und sie heben den armen Teufel hoch in die Luft und reißen ihn mit sich fort. Fort, hoch hinauf zu den Wolken, in den Himmel empor reißen sie ihn. Er muss mit dem Sturm mitziehen. Sie lässt ihn nicht mehr los und johlt und lacht ganz höhnisch. Ho, ho, ho«, lachte da die Oma mit einer tiefen Stimme.

Marianne konnte es sich richtig vorstellen, wie die »wilde Jagd« einen packt, hochreißt und lacht.

»Oma, was passiert dann?«, fragte da die Marianne. »Kommt der denn nie mehr herunter?«

»Doch, doch«, antwortete die Großmutter. »Er kommt schon wieder herunter manchmal, manchmal nicht! Die ›wilde Jagd‹ schleift den armen Kerl mit sich, solange es ihr Spaß macht. Manchmal setzt sie ihn wieder ganz sachte ab, nachdem sie ihren Schabernack mit ihm getrieben hat. Manchmal. Aber meistens wird der arme Kerl am anderen Morgen irgendwo gefunden mit zerschlagenen Gliedern. Der ganze Körper zerschunden, zerschlagen. Manch einer ist nimmer gesehen worden. Den hat die ›wilde Jagd‹ gleich beim Teufel abgeliefert.«

An die Geschichte von der »wilden Jagd« muss sie nun die ganze Zeit denken. Nie würde sie bei so einem Wetter das Haus verlassen. Die »wilde Jagd« soll sie nicht packen. Sie nicht!

Sie liegt lange wach. Wie lange, weiß sie nicht. Ihr kleiner Bruder liegt im gleichen Raum. Die Betten stehen so, dass sie fast Kopf an Kopf liegen. Sie in ihrem Bett und er in seinem Kinderbettchen.

Sie hört seinen Atem ruhig und gleichmäßig. So nah liegen sie beieinander. Er atmet ein und aus. Manchmal, wenn sie nicht schlafen kann, lauscht sie diesem Geräusch in der Nacht, versucht, sich seinem Atem anzupassen, atmet ein, wenn er einatmet, und atmet aus, wenn er ausatmet.

Manchmal hilft das, und sie wird auch müde und schläft selbst ein. Aber heute gelingt ihr das nicht. Sie liegt wach.

Soll sie ihr Bett verlassen? Der Großvater wird wieder fürchterlich schimpfen. Er mag es nicht, wenn sie in der Nacht aufsteht und nach der Mutter oder der Großmutter ruft.

»Du bist alt genug. Du kannst alleine schlafen«, sagt er dann und schickt sie wieder in ihr Bett zurück.

Unter der Tür schimmert ein Lichtstrahl durch. Schwach, aber sie sieht den Schein des Lichts wie einen schmalen Streifen.

Es ist also noch jemand wach. Die Mutter vielleicht? Oder die Großmutter?

Marianne nimmt ihren ganzen Mut zusammen, sie streckt ihre nackten Füße aus dem Bett. Es ist kalt im Zimmer. Sie schiebt die Bettdecke beiseite. Ganz sachte, damit der kleine Bruder nicht aufwacht, schleicht sie sich auf Zehenspitzen zur Tür. Vorsichtig, damit die Dielenbretter nicht knarren.

Langsam und behutsam drückt sie die Türklinke nach unten und öffnet leise die Tür. Sie schleicht über den Gang hinüber in die Küche.

In der Küche brennt noch Licht. Sie setzt sich an das Fenster und blickt hinaus in die Nacht. Unheimlich ist ihr und sie fängt an zu frösteln in ihrem leichten Nachthemd.

Da bemerkt sie, dass die Tür zum Nebenraum noch ein Stück offen steht.

Die Mutter wird noch in den Stall gegangen sein, denkt sich Marianne. Sie öffnet die Tür zum Nebenraum ganz. Von dort gelangt man durch eine weitere Tür in den Gang, der zum Stall und in den Stadel führt.

Sie ruft nach ihrer Mutter. Nach ihrer Großmutter. Aber es kommt keine Antwort.

Das Mädchen geht durch den langen, düsteren Futtergang. Sie zögert, bleibt stehen. Ruft erneut nach ihrer Mutter, nach ihrer Großmutter. Diesmal etwas lauter. Wieder keine Antwort.

Im Stall sieht sie das Vieh angebunden, mit Ketten an den eisernen Ringen des Futterbarrens. Die Leiber der Kühe bewegen sich ruhig. Der Raum ist nur durch eine Petroleumlampe erleuchtet.

Am Ende des Futtergangs sieht Marianne, dass die Tür zum Stadel offen steht.

Ihre Mutter wird im Stadel sein. Sie ruft erneut nach der Mutter, wieder ohne Antwort.

Sie geht den Gang weiter entlang in Richtung Stadel. An der Tür bleibt sie erneut unschlüssig stehen. Keinen Laut vernimmt sie aus dem Dunkel. Sie atmet tief durch und geht hinein.

Heilige Maria Magdalena,

bitte für sie!

Heilige Katharina,

bitte für sie!

Heilige Barbara,

bitte für sie!

Alle heiligen Jungfrauen und Witwen,

bittet für sie!

Alle Heiligen Gottes,

bittet für sie!

Sei ihnen gnädig! – Verschone sie, o Herr!

Sei ihnen gnädig! – Erlöse sie, o Herr!

Babette Kirchmeier, Beamtenwitwe, 86 Jahre

Die Marie, die Marie.

Die war bei mir als Haushaltshilfe. Na, bis ich ins Altenheim bin.

Ja, ja, als Haushaltshilfe, die Marie. War eine ganz brave. Ganz brav. Hat immer alles schön erledigt. Nicht so wie die jungen Dinger, immer nur fortgehen und mit den Burschen poussieren. Nein, die Marie war nicht so. Ein braves Mädel war sie.

Nicht besonders hübsch, aber brav und arbeitsam. Die hat mir den ganzen Haushalt in Schuss gehalten.

Wissen Sie, ich bin nicht mehr so gut auf den Beinen, darum bin ich auch ins Heim.

Kinder hab ich keine und mein Mann ist auch schon fast fünfzehn Jahre tot. Im Juni am 24. werden es fünfzehn Jahre.

Der Ottmar war ein guter Mann. Ein guter Mann.

Die Marie ist zu mir ins Haus, weil die Beine nicht mehr so wollten. Die Beine, die wollen schon lange nicht mehr. Wenn man alt wird, will vieles nicht mehr, nicht nur die Beine. Alt werden ist nicht schön, das hat schon meine Mutter immer gesagt, glauben Sie mir. Nicht schön ist das.

Früher bin ich gelaufen wie ein Wiesel. Mit meinem Ottmar, Gott hab ihn selig, bin ich immer zum Tanzen. Am Sonntagnachmittag zum Tanztee ins Odeon. Noch vor dem Krieg war das. Der Ottmar war ein guter Tänzer. Beim Tanzen haben wir uns auch kennen gelernt, damals noch unterm Kaiser. Ein schneidiger Bursch war er, mein Ottmar mit seiner Uniform. Der Ottmar war beim Militär damals, jetzt ist er auch schon wieder fast fünfzehn Jahre tot.

Die Zeit vergeht, die Zeit vergeht. Ich hab die Schwierigkeiten mit der Hüfte gekriegt. Man wird ja nicht jünger.

Da ist die Marie zu mir ins Haus. Geschlafen hats in der Kammer. Anspruchsvoll war sie ja nicht, die Marie. Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch und ein Kleiderschrank. Mehr hats nicht braucht.

Wie ich im Januar, lassen Sie mich nachdenken, ja im Januar war’s, ins Altenheim bin, denn mit dem Laufen ist es jetzt ganz schlecht. Ganz schlecht. Na, da ist die Marie zu ihrer Schwester.

Ich hab gar nicht gewusst, dass sie jetzt eine Stelle als Magd hat. Aber gepasst hat das schon zu der Marie. Die hat hinlangen können. Geredet hat sie nicht viel. War mir recht, denn die geschwätzigen Dinger mag ich nicht. Die tratschen und tratschen den ganzen Tag und daheim verlottert Haus und Hof.

Ja, ja, die Marie war bei mir als Haushaltshilfe. Na, bis ich ins Altenheim bin. Im Januar bin ich ins Altenheim. Eine gute brave Haushaltshilfe, die Marie. War eine ganz brave. Ganz brav. Hat immer alles schön erledigt.

Ich merk, ich werde jetzt müde. Ich möchte jetzt schlafen. Wissen S’, im Alter braucht man viel Schlaf. Viele können ja nicht schlafen, aber ich brauch viel Schlaf. Hab schon immer gerne und viel geschlafen.

Äh, was haben Sie mich gefragt, jetzt hab ich es ganz vergessen, ja mit dem Alter, Sie wissen ja. Nach der Marie haben Sie mich gefragt. Tja, die Marie. Die war eine ganz brave und arbeitsam und fleißig.

Was macht die jetzt eigentlich?

Ist die nicht bei ihrer Schwester?

Ach, bin ich müde, ich möchte jetzt schlafen. Wissen S’, wenn man alt ist, braucht man seinen Schlaf.

Der Winter will und will dieses Jahr dem Frühling nicht Platz machen. Es ist viel kälter als es normalerweise in dieser Zeit des Jahres ist. Seit Anfang März hat es abwechselnd geregnet oder geschneit. Das Grau der Morgennebel will auch im Laufe des Tages nicht weichen.