Tante Dimity und der gefährliche Drache - Nancy Atherton - E-Book

Tante Dimity und der gefährliche Drache E-Book

Nancy Atherton

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Kirmes kommt nach Finch und bringt Abwechslung in das verschlafene Dörfchen. Der mittelalterliche Markt lockt mit Ritterspielen, Minnesängern und einem imposanten König. Alle Einwohner lieben es und auch Lori und Ihre Familie lassen sich von der Begeisterung anstecken. Doch dann wird die Krone des Königs gestohlen und er selbst überlebt nur knapp einige merkwürdige Unfälle. Tracht jemand König Wilfred nach dem Leben? Loris kriminalistischer Spürsinn ist geweckt und zusammen mit Tante Dimity beginnt sie zu ermitteln ...

Zauberhaftes Abenteuer mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: König Wilfreds Honigkuchen

"Nancy Atherton gelingt es, eine Welt zu erschaffen, in der wir alle gerne leben würden." Publishers Weekly

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 380

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen


Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

König Wilfreds Honigkuchen

Über dieses Buch

Die Kirmes kommt nach Finch und bringt Abwechslung in das verschlafene Dörfchen. Der mittelalterliche Markt lockt mit Ritterspielen, Minnesängern und einem imposanten König. Die Einwohner lieben es und auch Lori und Ihre Familie lassen sich von der Begeisterung anstecken. Doch dann wird die Krone des Königs gestohlen und er selbst überlebt nur knapp einige merkwürdige Unfälle. Tracht jemand König Wilfred nach dem Leben? Loris kriminalistischer Spürsinn ist geweckt und zusammen mit Tante Dimity beginnt sie zu ermitteln...

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten »Tante Dimity« Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Monika Köpfer

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: © Jerry LoFaro

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3505-7

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity Slays the Dragon« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2009 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2009 by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Claudia und Don Stafford,meine guten Engel und Nachbarn

Kapitel 1

DIE INVASION VON Finch begann an einem milden Montagabend Ende Mai. Noch ahnte mein friedliches englisches Dorf nichts davon, dass es drei Monate später von Horden randalierender Halbstarker, Raufbolden, Aufschneidern und Rüpeln heimgesucht werden sollte. Und obendrein von einem unerwarteten Todesfall.

Niemand von uns sah es kommen. Am fraglichen Abend saßen meine Nachbarn und ich ruhig – manche von uns schläfrig – im alten Schulhaus, das seit vielen Jahren als Gemeindesaal diente. Das Komitee für Dorfangelegenheiten hatte zu der Versammlung eingeladen, zu der sich fast siebzig Bewohner eingefunden hatten, wurde doch die jährliche Maiversammlung als die wichtigste des Jahres angesehen.

Einziges Ziel der Veranstaltung war es, den genauen Ablauf unserer Sommeraktivitäten zu klären. Im Großen und Ganzen war es eine ungeheuerliche Zeitverschwendung, wusste doch jeder, dass das Sommerfest, der Flohmarkt, die Reiterspiele, die Kunstausstellung, die Blumenausstellung, die Hundeschau und der Wettbewerb »Wer hat das schönste Cottage?« genauso abgehalten würden wie eh und je.

Neuerungsvorschläge durften zwar gemacht werden und wurden auch reichlich diskutiert, jedoch niemals befolgt. Schließlich entschied man sich für das immergleiche Datum, die immergleichen Klapptische und ausgefransten Tischtücher, die immergleichen angelaufenen Teekessel und das zunehmend schäbige Dekorationsmaterial. Die Reiterspiele würden auf Anscombe Manor ausgetragen werden, das Sommerfest würde, wie immer, beim Pfarrhaus stattfinden und alles andere – abgesehen von dem Cottage-Wettbewerb – nach alter Tradition im Schulhaus. In den acht Jahren, seit mein Mann und ich nach Finch gezogen waren, war man nicht den kleinsten Deut von dieser Routine abgewichen.

Das Einzige, was sich von Jahr zu Jahr änderte, war die Einteilung der Freiwilligen für die niederen Dienste. Die glanzvollen Jobs waren schon seit 1982 in festen Händen – und zwar in denen von Damen, die unter Einsatz ihres Lebens für das Recht kämpfen würden, große Hüte und geblümte Kleider tragen zu dürfen, während sie die Kunstausstellung oder die Blumenschau eröffneten oder bei den Reiterspielen gönnerhaft Schleifchen überreichten. Bei der Vergabe der weniger glanzvollen Jobs war der Andrang verständlicherweise nicht so groß. Niemand kämpfte dafür, Tischdecken bügeln, Abfalleimer leeren oder Reste von feuchtem Krepppapier vom Rasen des Dorfangers klauben zu dürfen. Doch da derlei Tätigkeiten für den Erfolg einer Veranstaltung unerlässlich waren, musste man wohl oder übel Freiwillige finden.

Unserer wertgeschätzten Komiteevorsitzenden, der allmächtigen Peggy Taxman, oblag es, die minderen Jobs an den Mann zu bringen. Und aus diesem Grund war die Maiversammlung stets gut besucht. In Peggys Macht stand es, uns mit angenehmen Aufgaben zu betrauen, etwa stets für gefüllte Teekessel zu sorgen, oder mit widerlichen Pflichten, wie zum Beispiel der, nach der Hundeschau den Schulhausboden zu schrubben. Gespannt, welches Schicksal uns dieses Jahr ereilen würde, saßen wir da.

»Wir kommen nun zur Tagesordnung.« Peggy schlug mit ihrem Hammer auf den Tisch, um ihn dann anklagend auf das Publikum zu richten. »Und wenn ich einen von euch bei einem Nickerchen erwische, lass ich ihn rauswerfen!«

Mr Barlow, der bereits vor sich hin döste, schrak hoch. »Sind wir schon fertig?«, fragte er schläfrig.

»Nein, wir fangen gerade an«, murmelte Miranda Morrow zwischen den Zähnen.

»Gut.« Mr Barlow gähnte, rieb sich die Augen und hob den Blick zu den fünf Komiteemitgliedern.

Diese saßen Seite an Seite an einem langen, mit einem Leintuch bedeckten Tisch auf der kleinen Bühne im hinteren Teil des Schulhauses. Peggy Taxman nahm den mittleren Platz ein, eine Position, die es ihr erlaubte, drohend über der versammelten Menge zu wachen. Das gemeine Volk der Dorfbewohner hockte kleinlaut auf Klappstühlen zu beiden Seiten des Mittelgangs, der zu der Flügeltür der Schule führte, durch die Peggy nach ihrer Schlusserklärung majestätisch hinausrauschen würde.

Niemand würde es wagen, sich ihr in den Weg oder ihre Entscheidungen in Frage zu stellen. Als Frau mit Unternehmergeist hatte sie sich ein regelrechtes Imperium in Finch geschaffen, das aus den beiden größten Geschäften am Ort und dem Postamt bestand. Sie war eine Frau von Statur, sowohl physisch als auch finanziell, und ihr unerbittlicher Sinn für staatsbürgerliche Pflichten brachte sie dazu, mit eiserner Hand, Argusaugen und donnernder Stimme über das Dorf zu herrschen. In der Regel genügte ein vorwurfsvoller Blick hinter ihrer spitzen, strassbesetzten Brille hervor, um auch den Mutigsten unter uns vor Angst erbeben zu lassen. Wenn der Blick allein keine Wirkung zeigte, nahm sie ihre Stimme zu Hilfe, und auch wenn ich nie mit eigenen Augen gesehen habe, wie sie ihre eiserne Hand zum Einsatz brachte, zweifelte ich nicht im Geringsten daran, dass sie es bei Bedarf tun würde.

Die übrigen Komiteemitglieder waren bei weitem nicht so einschüchternd. Sally Pyne, die Vizevorsitzende und Besitzerin der örtlichen Teestube, zog Tratschen dem Regieren vor und war zufrieden, dass Peggy der Herr im Haus war. George Wetherhead, Schriftführer und Modelleisenbahn-Liebhaber, war so schüchtern, dass er selten den Blick von seinem Laptop hob, auf dem er die Minuten zu protokollieren pflegte. Mr Wetherhead wäre ebenso wenig auf die Idee gekommen, Peggy zu widersprechen, wie sie zu einem Ringkampf herauszufordern.

Jasper Taxman, unser Schatzmeister, war pensionierter Buchhalter, ehe seine Heirat mit unserer Vorsitzenden ihn dazu zwang, seine Definition von Ruhestand zu überdenken. Keine noch so anstrengende Anstellung hätte ihn mehr beanspruchen können als seine Frau. Wenn er nicht gerade an einer der Kassen in Peggys Geschäften saß oder im Postamt Briefmarken verkaufte, führte er die Bücher von einem der unzähligen Komitees, deren Vorsitz Peggy ausübte.

Der letzte Stuhl auf dem Podium war dem am wenigsten wichtigen Mitglied vorbehalten: mir, Lori Shepherd – Ehefrau, Mutter und glücklos Einberufene. Ich saß an dem langen Tisch, weil ich den schwerwiegenden Fehler begangen hatte, bei der letztjährigen Maiversammlung abwesend zu sein, woraufhin ich, ungefragt, zum Adjutanten ernannt worden war.

Alles in allem betrachtet war ich damit noch glimpflich davongekommen. Mochte mein Titel auch eindrucksvoll klingen, meine Pflichten waren alles andere als das. Meine Aufgabe bestand darin, während der Versammlung unter den Dorfbewohnern für Ordnung zu sorgen, und anschließend Peggys Arbeitspläne zu verteilen. Da unsere Vorsitzende niemanden brauchte, um die Dorfbewohner in Schach zu halten, und sie die Einsatzpläne nicht freigab, ehe sie nicht ihre umfangreichen Notizen durchgesehen hatte, verbrachte ich den größten Teil des Abends damit, abwesend ins Leere zu starren.

»Agendapunkt Nummer eins«, sagte Peggy. »Ein paar Bemerkungen zu den Blumengirlanden, die an den Ausstellungstischen angebracht werden müssen. Sicherheitsnadeln werden als unansehnlich betrachtet und dürfen nur in folgenden Fällen eingesetzt werden ...«

Wie durch einen Zauber blieben meine Augen offen, während mein Geist aus dem Schulgebäude schwebte. Mein erster Gedanke galt, wie immer, meinem Zuhause. Finch schmiegte sich behaglich in ein grünes Flusstal inmitten der Flickenteppich-Felder und sanften Hügel der Cotswolds, einer ländlichen Region in den englischen West Midlands. Zusammen mit meinem Mann Bill und Will und Rob, unseren sechsjährigen eineiigen Zwillingen, wohnte ich drei Kilometer südlich von Finch in einem honigfarbenen Steincottage.

Auch wenn Bill, die Zwillinge und ich Amerikaner waren, lebten wir lange genug in England, um den Unterschied zwischen Crème fraîche und Clotted Cream zu kennen, und eine unheilbare Sucht nach Letzterem entwickelt zu haben. Bill führte von seinem Hightech-Büro auf dem Dorfanger die europäische Niederlassung der altehrwürdigen und in Boston ansässigen Anwaltskanzlei seiner Familie. Will und Bob gingen in dem nahe gelegenen Marktflecken Upper Deeping zur Schule, und ich teilte meine Zeit zwischen meiner Familie und den diversen Pflichten gegenüber der Dorfgemeinschaft.

Bis vor Kurzem hatte Anneliese Sciaparelli bei uns gewohnt, das geliebte Kindermädchen unserer Söhne, die uns Mitte Mai jedoch verlassen hatte, um ihren langjährigen Verlobten Oliver Elstyn zu heiraten. Seither war ihr Zimmer unbewohnt. Da die Zwillinge eine Ganztagsschule besuchten, fühlten weder Bill noch ich uns bemüßigt, ein weiteres Kindermädchen einzustellen, ohnehin waren wir beide der Ansicht, dass Anneliese unersetzlich sei.

»Agendapunkt Nummer einundzwanzig ...«

Peggys bellende Stimme schreckte mich aus meinen Träumereien auf.

»... die richtige Handhabung der Abfalleimerdeckel!«

Augenblicklich sank ich in meine Benommenheit zurück, ein Zustand, den ich mit beinahe jedem Anwesenden im Schulhaus teilte. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal bei einer Dorfversammlung Begeisterung oder Aufregung erlebt hatte. Mein Leben war in vielerlei Hinsicht idyllisch – ich hatte einen rührenden Gatten, gesunde Söhne, ein glückliches Zuhause –, doch in letzter Zeit wurde mir zusehends klar, dass es auch ein ganz klein bisschen ... langweilig war. Ich liebte meine Freunde und Nachbarn – meistens –, doch ihre Gesichter hatten begonnen eine Spur zu vertraut zu werden, ihre Gewohnheiten ein wenig zu vorhersehbar. Die beschauliche Routine des Dorflebens, die ich einst als so erfüllend empfunden hatte, wurde in letzter Zeit ein wenig zu ... beschaulich.

Während ich den Blick über die Gesichter der Versammelten wandern ließ, musste ich traurig feststellen, dass es kaum etwas gab, was ich über meine Dorfgenossen nicht wusste. Mr Barlow, ein pensionierter Mechaniker, war zurzeit dabei, den Vergaser eines Oldtimer-Mustangs zu säubern, den er für einen wohlhabenden, frisch geschiedenen Kunden aus Tewkesbury restaurierte. Obwohl Miranda Morrow eine strenge Vegetarierin war, verbrachte sie täglich Stunden damit, ausgesuchte Fleischbissen für ihre Katze zuzubereiten. Lilian Bunting, die Frau des Pfarrers, war damit beschäftigt, zum wiederholten Mal den dritten Absatz ihrer Einleitung zu ihrem Buch über Glasmalerei zu überarbeiten. Dick Peacock, der örtliche Wirt, hatte angefangen zu töpfern, doch im Dorf war man sich einig, dass auch seine handgefertigten Becher seinen selbst gekelterten Wein nicht genießbarer machten.

Und so weiter und so fort. Ich hätte auswendig sagen können, wessen Hund Flöhe hatte, wessen Dach undicht war, wessen Enkel engelsgleich waren und wessen nicht. Wenn Finch irgendwelche Überraschungen für mich bereithielt, dann verbarg es sie gründlich.

»Punkt dreiundzwanzig: Anmeldeformulare für die Blumenschau. Beim Ausfüllen müssen unbedingt Blockbuchstaben ...«

Während Peggy fortfuhr, ihre Punkte herunterzuleiern, wanderte mein Blick zum Porträt der Königin, das über der Flügeltür seinen Ehrenplatz hatte. Normalerweise überkam mich beim Betrachten von Englands würdevoller Monarchin in ihrem königlichen Ornat ein kleiner, anglophiler Schauder, doch ich hatte das Porträt in diesem Klassenzimmer schon so oft gesehen, dass der Zauber nicht mehr wirkte.

Seufzend blickte ich auf meine untätigen Hände. Wenn man mich gefragt hätte, so hätte ich zugeben müssen, dass niemand anders für mein wachsendes Gefühl der Langeweile verantwortlich war als ich selbst. Nach dem Fiasko mit dem vermeintlichen Vampir im Oktober hatte ich geschworen, mit beiden Füßen fest auf dem Boden zu bleiben. Seit sieben Monaten ließ ich sie nun schon erfolgreich auf dem Boden und unterdrückte auf diese Weise meine angeborene und nahezu unwiderstehliche Neigung, meiner lebhaften Fantasie freien Lauf zu lassen.

Als im Januar Sally Pynes antike Gebäckdose spurlos verschwunden war, hatte ich meinen Impuls im Keim erstickt, den Dieb aufzuspüren. Auf diese Weise überließ ich es Sally, sich zu erinnern – zwei Tage später –, dass sie ihr wertvolles Gefäß Mr Barlow geliehen hatte, der im Krippenspiel einen der drei Weisen aus dem Morgenland gegeben und für den Weihrauch ein angemessenes Gefäß benötigt hatte.

Weder hatte ich es mir eines kalten Februarmorgens, als ein Fremder jede Ecke und jeden Winkel in Finch fotografierte, erlaubt, in ihm den Vorboten rücksichtsloser Landerschließungspläne zu sehen, noch einen redegewandten Location-Scout, der Ausschau nach einem geeigneten Filmset hielt, oder einen hinterhältigen ausländischen Spion; und als ich erfuhr, dass der Mann in der Tat ein Immobilienmakler war, dessen Kunde sich für das seit langem leer stehende Crabtree Cottage interessierte, weigerte ich mich, Nachforschungen anzustellen, ob es irgendwelche finsteren Verbindungen zwischen dem potenziellen Käufer und der Frau gab, die in diesem Cottage das Zeitliche gesegnet hatte.

Und das war auch gut so. Denn der Kunde saß jetzt in Gestalt zweier Männer, Grant Tavistock und Charles Bellingham, zu meinen Füßen auf Klappstühlen in der vordersten Reihe. Die neuen Bewohner von Crabtree Cottage, ein äußerst freundliches Paar, waren beide Kunstsachverständige in mittleren Jahren, die nie zuvor von Prunella Hooper und ihrem tragischen Hinscheiden gehört hatten, und denen so sehr daran gelegen war, sich in die Dorfgemeinschaft einzufügen, dass sie sich freiwillig gemeldet hatten, als es darum ging, wer nach dem Flohmarkt das Saubermachen übernahm. Während ich ihre strahlenden Gesichter betrachtete, dachte ich mitleidig: Sie werden es auch noch lernen.

»...teen und Sukkulenten gehören verschiedenen Pflanzenkategorien an und werden dementsprechend bewertet, ohne Ausnahmen ...«

Meine Gedanken drifteten träge von Kakteen über Blumen zu dem wundervollen Brautstrauß, den Anneliese in Händen gehalten hatte, als sie in der Kirche den Mittelgang hinabschritt. Ihre Hochzeit hatte mir definitiv geholfen, meine heimtückische Fantasie in Schach zu halten. Mit dem Einverständnis von Annelieses Mutter hatte ich mich in die Hochzeitsvorbereitung geworfen, mich jedem Detail mit einer solchen Hingabe gewidmet, dass ich keine Energie mehr hatte, um einen Phantomdieb zu jagen oder hinter geheimnisvollen Fremden herzuschnüffeln.

Die Trauung hatte am dritten Samstag im Mai in der katholischen Kirche St. Margaret in Upper Deeping stattgefunden – vor gerade mal neun Tagen –, und ich blickte wehmütig auf den Kalender an der Schulwand, der vom vielen Blättern schon ziemlich abgenutzt aussah. Dank meiner einwandfreien Planung war die Hochzeit ohne die kleinste Störung verlaufen, doch nun, da sie vorbei war, fühlte ich mich ein wenig leer.

Worauf konnte ich mich jetzt noch freuen, fragte ich mich, abgesehen vom Sommerfest, dem Flohmarkt, dem Reiterfest, der Kunstausstellung, der Blumenschau, der Hundeschau und dem »Wer hat das schönste Cottage?«-Wettbewerb? Eine Frau von Verstand würde sich glücklich schätzen, in einer so regen Dorfgemeinschaft zu leben, doch als Peggy fragte, ob es sonst noch irgendein Anliegen gebe, konnte ich nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken. Jeder im Saal wusste, dass Peggys Frage rein rhetorisch gemeint war, denn bei der Maiversammlung gab es nie »noch irgendein Anliegen« zu besprechen.

Deshalb zuckten alle, bis auf Peggy, zusammen, als Mr Malvern zögerlich eine Hand hob und langsam aufstand.

Horace Malvern wohnte auf der Fivefold Farm, dem großen landwirtschaftlichen Betrieb, der an den südlichen Rand unseres Grundstücks grenzte, und ich hatte nie den geringsten Grund gehabt, unsere Nachbarschaft zu bereuen. Einen besseren Nachbarn konnte man sich nicht erträumen – ein ehrenwerter, hart arbeitender Farmer in mittleren Jahren, dessen Verhalten – bis zu dem Zeitpunkt, da er seine Hand hob – so vorhersehbar gewesen war wie Regen im Frühling. Ich konnte mir nicht vorstellen, welches Anliegen er hatte.

Einen Moment lang starrte ich ihn ungläubig an, dann drehte ich abrupt den Kopf zur Seite, um Peggy Taxmans Reaktion zu beobachten, die noch immer mit geschäftiger Miene ihre Notizen durchsah. Erst als Mr Malvern ein demonstratives Hüsteln von sich gab, blickte Peggy von ihrem Klemmbrett auf, sah sich misstrauisch im Raum um, ehe sie ihre stechenden Augen auf den Farmer richtete.

»Was gibt es, Horace?«, sagte sie gereizt. »Fass dich bitte kurz. Ich kann es nicht leiden, wenn Leute einem die Zeit stehlen.«

Mr Malvern trat unbehaglich von einem seiner großen Füße auf den anderen und murmelte barsch etwas gen Boden.

»Sprich lauter, Horace«, befahl Peggy. »Niemand kann dich verstehen.«

Mr Malvern räusperte sich und sagte, mit einem kurzen Blick über die Schulter, laut und deutlich: »Mein Neffe möchte eine Ankündigung machen.«

»Dein Neffe?«, sagte Peggy verdutzt.

»Genau.« Mr Malvern nickte. »Calvin, der Sohn meines Bruders Martin, würde gern etwas verkünden.« Damit drehte er sich um und ging auf die Flügeltür zu, wo er einen schrillen Pfiff ausstieß, ehe er wieder Platz nahm und den Kopf senkte.

Die Doppeltür wurde aufgestoßen, und eine geschmeidige Gestalt im Aufzug eines mittelalterlichen Hofnarren – Schellenkappe und Gewand mit Rautenmuster – kam hereingefegt, indem sie eine Reihe atemberaubender Flickflacks und Radschläge vollführte. Vor dem Podium, geradewegs zu Füßen von Peggy Taxman, fiel der Narr auf die Knie, die Arme ausgestreckt und mit bimmelnden Glöckchen.

Die Knie des Hofnarren hatten kaum den Boden berührt, als sich zwei junge Männer mit federngeschmückten Baretts, gelben Strumpfhosen und leuchtend roten Waffenröcken zu beiden Seiten der Tür aufstellten, lange, schmale Trompeten an die Lippen hoben und gekonnt eine Fanfare schmetterten. Als der letzte Ton verklang, wandten sie sich wie ein Mann dem Publikum zu.

»Erhebt Euch, vornehme Leute!«, riefen sie unisono. »Hier kommt unser großartiger und außerordentlich huldreicher Herrscher, Seine Majestät König Wilfred der Gute!«

Siebenundsechzig Kinnladen fielen gleichzeitig nach unten, als König Wilfred der Gute gemessenen Schritts das Schulhaus betrat.

Kapitel 2

KÖNIG WILFRED BLIEB in der Türöffnung stehen, stützte die Hände in die Hüften und strahlte wohlmeinend in die Versammlung. Er war schätzungsweise Ende zwanzig, groß und kräftig, hatte funkelnde blaue Augen, einen Vollbart, und eine Fülle hellbrauner Locken ergoss sich auf seine Schultern. Hätte er T-Shirt und Jeans getragen, hätte ich ihn keines weiteren Blickes gewürdigt, aber sein Aufzug war es wert, ihn genauer in Augenschein zu nehmen. Während er so dastand, die Hände in die Seiten gestemmt und den Kopf hoch erhoben, fragte ich mich, ob er den Kleiderschrank von Heinrich VIII. geplündert hatte.

Er trug ein ärmelloses, hermelinbesetztes Surkot – ein Überkleid – aus pflaumefarbenem Samt über einem Goldbrokatkittel mit langen Puffärmeln, einem steifen Spitzenkragen und einem aus silbernen Kordeln geflochtenen Gürtel. Seine stämmigen Beine steckten in einer weißen Strumpfhose mit bestickten Strumpfhaltern über den Knien, und seine erstaunlich zierlichen Füße trugen weiche knöchelhohe Wildlederstiefel. Schwere Goldringe schmückten seine dicken Finger, und eine klobige Goldkette mit einem Rubinanhänger hing um seinen Hals. Auf seinen hellbraunen Locken saß eine glänzende Goldkrone, deren hohe Zacken mit Edelsteinen besetzt waren, die zu sehr glänzten, als dass sie echt sein konnten.

Die Trompeter nahmen ihre federgeschmückten Baretts ab und machten eine tiefe Verbeugung, als er eintrat, während sich der Hofnarr zusammenrollte und wie ein Ball zur einen Seite der Bühne kullerte, wo er sich zu Füßen des erschrocken dreinblickenden Mr Wetherhead kauerte. Der einzige Dorfbewohner, der »sich erhoben« hatte, war Sally Pyne, die auf Befehl der Trompeter aufgesprungen war, ehe sie rasch und heftig errötend wieder ihren Platz einnahm. Der Rest von uns blieb mit offenem Mund sitzen, als wären wir zu Stein erstarrt.

»Heil unserem König Wilfred!«, verkündeten die Trompeter im Chor, während sie sich aus ihrer Verbeugung aufrichteten.

»Bitte schweigt, gute Herolde«, erwiderte der König mit einer lässigen Handbewegung. »Offensichtlich hat Unsere Hoheit die braven Untertanen ihrer Sprache beraubt und ihre Gliedmaßen gelähmt. Deshalb werden wir es ihnen nachsehen, wenn sie die übliche Zeremonie nicht ganz befolgen.«

Der Hofnarr richtete sich auf und hielt ein imaginäres Fernrohr ans Auge, das er durch den Saal schwenkte, ehe er es auf Mr Wetherheads noch immer erschrockenes Gesicht richtete.

»Sieht so aus, als ob niemand stehen würde«, verkündete er, »weder auf Zeremonie noch sonst irgendwie.«

Mr Wetherhead zuckte nervös und machte sich so klein wie möglich auf seinem Stuhl.

»Gut gesprochen, Narr«, sagte König Wilfred und kam mit einem fröhlichen Glucksen in Richtung Bühne. »Und närrisch gesprochen, denn ein Narr darf weise sagen, was ein weiser Mann nicht sagen darf, und weise Männer sagen närrisch, was ein Narr nicht ...«

»Calvin Malvern!« Der Name explodierte von Peggy Taxmans Lippen, wie aus einer Kanone geschossen. »Bist du das unter all dem Haar?«

Mit einer schwungvollen Bewegung nahm König Wilfred seine Krone ab und schüttelte die Locken aus seinem runden Gesicht zurück. »Ich bin es, Calvin Malvern, zu Ihren Diensten, Tante Peggy.«

»Ich bin nicht deine Tante, du dämlicher Einfaltspinsel«, donnerte Peggy.

»Ich betrachte dich als meine Tante«, sagte Calvin unbeirrt. »Nach den zahlreichen angenehmen Stunden, die ich als kleiner Junge in deinem Laden ...«

»Ich habe dich öfter aus dem Geschäft gejagt, als ich zählen konnte, du Lausbub«, unterbrach Peggy ihn.

»Aber du warst immer erfreut, wenn ich wieder zurückkam«, konterte Calvin mit engelsgleichem Lächeln.

»Wie auch immer, jedenfalls bin ich nicht erfreut, dich hier zu sehen. Wie kannst du es wagen, meine Versammlung zu stören?«

»Vergib mir«, sagte Calvin. »Ich hatte den Eindruck, dass du nach einem ›weiteren Anliegen‹ fragtest.«

»Zu den weiteren Anliegen gehört es bestimmt nicht, dass du hier hereinplatzt wie ein aufgeblasener Lackaffe und poetischen Unsinn von dir gibst«, brummte Peggy. »Was würde dein armer Vater sagen, wenn er dich wie ein aufgeblasener Pfau hier herumstolzieren sehen würde ...«

»Er würde denken, dass ich etwas Nützliches mit meinem Leben anstelle.«

»Nützliches?«, sagte Peggy mit einem spöttischen Schnaufen. »Verzieh dich, Calvin. Nimm deine kleinen Freunde und spielt woanders Verkleiden. Die Erwachsenen haben zu tun.« Mr Wetherhead gab ein erschrockenes Quieken von sich, als der Hofnarr auf die Bühne sprang und sich über den Laptop beugte.

»Hohes Gericht!«, rief der Narr und hob den Zeigefinger. »Ich kann in diesen Aufzeichnungen nichts erkennen, was ›weitere Anliegen‹ auf die Vorschläge von langweiligen Burschen in Anzügen beschränkt.« Er deutete mit dem Finger anklagend auf Peggy. »Sie müssen den Pfau schreien, ähm, das heißt, reden lassen!«

Dick Peacock gluckste in sich hinein, und Christine Peacock kicherte, während eine Welle der Belustigung durch den Raum schwappte. Ich saß zu nah bei Peggy, um ein hörbares Lachen zu riskieren, lächelte aber verstohlen, als mich der Blick des Hofnarren traf.

»Wir können uns ja anhören, was Cal zu sagen hat, wo er schon mal hier ist!«, rief Mr Barlow aus dem hinteren Teil des Raums.

»Ja, lasst es uns hören!«, rief Lilian Bunting, die in der vorderen Reihe saß.

»Lasst König Wilfred sprechen«, sagte Miranda Morrow, die ihr rotblondes Haar aus dem mit Sommersprossen gesprenkelten Gesicht zurückschüttelte.

Weitere einvernehmliche Stimmen wurden laut. Während der Großteil der Dorfbewohner für Calvin sprach, starrte Horace Malvern schicksalsergeben auf den Boden und sagte nichts. Es war unmöglich zu sagen, ob er wütend war, peinlich berührt oder einfach nur irritiert angesichts der Possen seines Neffen, doch sein Schweigen ließ erahnen, dass zwischen den beiden nicht gerade eitel Freude herrschte.

Peggys Schweigen war jedenfalls unheilvoll, aber sie war eine erfahrene Politikerin und konnte die Stimmung einer Menschenmenge sehr wohl einschätzen, wenn es ihr beliebte. Also wartete sie, bis die Rufe der Zustimmung zu einem Grummeln abgeebbt waren, legte dann ihr Klemmbrett auf den Tisch und schlug zweimal mit dem Hammer auf, ehe sie die Arme über ihrem beeindruckenden Busen verschränkte.

»Das Präsidium gewährt dir zehn Minuten«, verkündete sie mit einem knappen Nicken zu Calvin.

Calvin verbeugte sich vor ihr und murmelte: »Großzügig wie immer, Tantchen Peggy.«

Gekicher wurde laut, begleitet von einem aufgeregten, erwartungsvollen Summen, wie man es bei einer Maiversammlung kaum je erlebt hatte. Lilian Bunting und ich tauschten amüsierte Blicke, ehe wir unsere Aufmerksamkeit Calvin schenkten. Ich hatte keine Ahnung, was er sagen würde, aber es würde jedenfalls unterhaltsamer sein als Peggys Ausführungen darüber, wie die Pfosten aufzubewahren waren.

Eigentlich hatte ich erwartet, dass Calvin sich die Krone wieder aufsetzte und abermals in die Rolle von König Wilfred schlüpfte, um seine geheimnisvolle Ankündigung zu machen. Doch stattdessen reichte er die Krone dem Hofnarr, der eine Woge des Gelächters einheimste, als er so tat, als wolle er sie Peggy auf den Kopf setzen. Danach sprang er leichtfüßig von der Bühne und ließ sich im Schneidersitz zu Füßen von Charles Bellingham nieder. Calvin wartete, bis wieder Ruhe eingekehrt war, dann begann er mit der kunstvoll modulierten Stimme eines ausgebildeten Schauspielers zu sprechen – oder eines aalglatten Vertreters.

»Meine Freunde«, sagte er. »Haben Sie jemals davon geträumt, eine Zeitreise in die Vergangenheit zu machen? Haben Sie sich je danach gesehnt, in ein Zeitalter zurückzukehren, als das einfache Volk ausgelassen auf dem Dorfanger tanzte, während die hohen Herrn zechten, die Ritter fochten und Troubadoure mit süßer Stimme von ritterlichen Taten sangen? Haben Sie je den Wunsch gehabt, in die Pracht und Herrlichkeit des glorreichen alten Englands einzutauchen?«

Mr Barlow räusperte sich verächtlich. »Glorreiches England, pah!«, sagte er grummelnd. »Das stimmt heute nicht, Cal, ebenso wenig wie damals. Die herrschende Klasse hatte es damals leicht, da stimme ich dir zu, aber die Bauern haben sich zu Tode geschuftet und sind früh gestorben.«

»Haufenweise schreckliche Krankheiten gab es damals«, stimmte Sally Pyne zu. »Keine sanitären Anlagen und mehr als rückständige Vorstellungen, was die persönliche Hygiene betraf.«

»Ratten und Läuse, wohin man auch sah«, sagte Christine Peacock und erschauderte. »Gar nicht zu reden von den Flöhen.«

»Flöhe brachten 1347 den Schwarzen Tod nach Europa«, steuerte Jasper Taxman bei. »In fünf Jahren tötete die Seuche an die fünfundzwanzig Millionen Menschen.«

»Fröhlich war das damals nicht«, meinte Mr Barlow.

»Trotzdem bitte ich, das differenziert zu betrachten«, sagte Jasper. »Die Pest rief einen Mangel an Arbeitskräften hervor, was die Lebensumstände des kleinen Mannes verbesserte. Ein Arbeiter konnte einen höheren Lohn verlangen, weil nur noch wenige übrig waren, um die Arbeit zu verrichten.«

»Das mag so gewesen sein«, erwiderte Mr Barlow hitzig, »doch würde niemand bei klarem Verstand die Zeit des Schwarzen Todes als fröhlich bezeichnen.«

Die Diskussion wäre womöglich noch Stunden so weitergegangen – meine Nachbarn liebten es abzuschweifen –, hätte Calvin nicht wieder die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, indem er einen alten Schauspielertrick anwandte: Er erhob die Stimme.

»Meine lieben Leute!«, brüllte er. Als alle Augen wieder auf ihn gerichtet waren, fuhr er in ruhigem Ton fort: »Es geht mir nicht um die Geschichte. Es geht mir um die Fantasie – den Traum von England, nicht wie es war, sondern wie es hätte sein sollen. Und ich lade jeden von euch ein, diesen Traum mit mir zu teilen. Am ersten Samstag im Juli um genau zehn Uhr vormittags werden sich für euch die Pforten zu einer neuen Welt öffnen. Und der Name dieser Welt wird lauten ...«

Er deutete zum hinteren Teil des Raums, wo die Herolde ein Stoffbanner aufrollten, auf dem in schnörkeligen Lettern stand:

König-Wilfred-Kirmes

Wenn Calvin ausgelassenen Applaus erwartet hatte oder einen Chor ehrfürchtiger Seufzer, wurde er gewiss enttäuscht, denn seine packenden Worte wurden mit beharrlichem Schweigen bedacht und einem allgemeinen Ausdruck des Unverständnisses.

Peggy schien für uns alle zu sprechen, als sie rief: »Was um Himmels willen schwafelst du denn da, Calvin?«

»Ich lade euch ein zu einem Erlebnis, das ihr nie vergessen werdet«, antwortete er, unbeeindruckt von Peggys Unverblümtheit und unseren stieren Blicken. »An acht aufeinanderfolgenden Wochenenden im Juli und August werden König Wilfred und seine getreuen Untertanen ein großes Mittelalterfest mit der ihm eigenen Atmosphäre ausrichten: Musikanten werden auftreten, Akrobaten, Gaukler ...«

»So ’ne Art Zirkus?«, fragte Sally Pyne hoffnungsvoll.

»Die König-Wilfred-Kirmes wird viel unterhaltsamer als ein Zirkus sein, Mylady«, sagte Calvin, »Ihr könnt, nein, Ihr sollt selbst an dem Spaß teilhaben. Bei unserer Kirmes wird jeder auf der Bühne mitwirken. Hunderte von ...«

»Entschuldigen Sie«, unterbrach Jasper Taxman ihn. »Wer ist dieser König Wilfred, von dem Sie die ganze Zeit reden? Kein britischer Monarch hieß je Wilfred.«

»Ich bin König Wilfred.« Calvin verbeugte sich in Richtung Jasper. »Mein Königreich unterliegt nicht den Zwängen der historischen Fakten, guter Mann. Mein Königreich ist ein Fest der Fantasie. Hunderte schillernder Darsteller werden die gewundenen Gassen der Kirmes bevölkern. Alle werden in historische Kostüme gewandet sein, eine altertümliche Sprache sprechen und Euch auf so fabelhafte, wunderbare Weise unterhalten, dass ich es nicht beschreiben kann.« Calvin schritt den Mittelgang auf und ab und gestikulierte heftig mit den Armen. »Artisten werden ihre Geschicklichkeit demonstrieren, Kunsthandwerker ihre Erzeugnisse feilbieten, Zauberer werden ihre Zauberkünste und ...«, er zwinkerte übertrieben, »derbe Dirnen ihre Fertigkeiten unter Beweis stellen! Auf unserem Markt wird man in Hülle und Fülle einzigartige handgemachte Kunstwerke finden: Schmuck, Glas-, Töpfer- und Lederwaren und vieles mehr. Marktstände bieten eine reiche Auswahl an Speisen und Getränken an, Gesang und Tanz werden dargeboten, Ihr werdet Euch in ausgelassener Lustbarkeit und Gepränge ergehen. Und täglich könnt Ihr der atemberaubenden Vorführung eines noblen Reiterspiels beiwohnen, in dem sich Ritter hoch zu Ross im Zweikampf üben!«

»Und du erwartest, dass wir da mitmachen?«, fragte Dick Peacock zweifelnd.

»Ich werde bestimmt auf kein Pferd steigen«, sagte seine Frau kategorisch.

»Gott behüte, gute Frau«, sagte Calvin, und sein Blick streifte Christines üppige Gestalt, »aber Ihr könnt einem edlen Ritter Eure Gunst erweisen, wenn es Euch beliebt. Lasst Euch von den Darbietungen unterhalten und kostet von den Speisen, außerdem könntet Ihr in einem mittelalterlichen Kostüm erscheinen.« Er legte einen Finger an die Lippen und musterte Christine kritisch. »Ich stelle mir Euch als adlige Dame des königlichen Hofs vor mit einem rosenfarbenen Wimpel, der Euch umhüllt. Oder als Piratenbraut in hohen Schaftstiefeln und einem um die Hüfte geschnallten Säbel. Oder als Zigeunerin und Wahrsagerin mit goldenen Ohrreifen und sieben Petticoats in sieben verschiedenen Rottönen.«

Christine errötete heftig, wenngleich ihr die Vorschläge nicht zu missfallen schienen. Gleichzeitig wurde der Blick einiger der Frauen in ihrer Nähe träumerisch, als malten sie sich aus, wie sie selbst in hohen Schaftstiefeln und mit einem Säbel um die Hüfte aussehen würden. Calvin hatte offensichtlich eine Saite in ihnen zum Klingen gebracht.

»Es ist Ihnen freigestellt, sich zu kostümieren oder aber in Ihrer normalen Kleidung an dem Spektakel teilzunehmen«, fuhr er jovial fort, indem er sich wieder der Allgemeinheit zuwandte. »Aber wenn Sie sich für ein Kostüm entscheiden, sollten Sie sich nicht allzu sehr um die Detailtreue sorgen. Wir haben den Begriff ›Mittelalter‹ recht großzügig gefasst. Um ehrlich zu sein, alles, was auch nur im Entferntesten an das ausgehende Mittelalter erinnert, wird willkommen sein. Kreativität heißt das Schlüsselwort, also lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf! Oh, hatte ich schon den Streichelzoo für die Kleinen erwähnt?«

Jasper Taxman schnaubte. »Ich bin nicht sicher, ob man kleine Kinder dem Anblick, ähm ... derber Dirnen aussetzen sollte.«

»Es ist alles nur Spaß«, versicherte Calvin ihm. »Unsere Darsteller verstehen es, erstklassige, saubere Unterhaltung für die ganze Familie zu bieten, mit der notwendigen Würze wohlgemerkt, und ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung versichern, die Kinder werden sich im Streichelzoo so gut vergnügen, dass sie der Würze keine Beachtung mehr schenken.«

»Wo planst du, diese Kirmes abzuhalten?«, fragte Mr Barlow.

»Nicht weit von Finch«, sagte Calvin, »und deshalb bin ich heute Abend hergekommen. Wir wollen uns mit unseren Nachbarn gut stellen.« Er streckte den Arm in Richtung Mr Malvern aus. »Unser Horace hat uns großzügig erlaubt, den nordöstlichen Teil von Fivefold Farm in Beschlag zu nehmen. Die König-Wilfred-Kirmes wird im und um Bishop’s Wood herum stattfinden. Während der Kirmeszeiten wird es auf der an den Wald angrenzenden Weide ausreichend Parkgelegenheiten geben.«

Mr Barlows Augenbrauen schossen nach oben, während er Mr Malvern einen fragenden Blick zuwarf. Der hielt seinen indessen fest auf den Boden gerichtet.

»Ich sammle im Bishop’s Wood Kräuter«, sagte Miranda Morrow. »Ich kann mich nicht erinnern, dort irgendwelche gewundenen Gassen gesehen zu haben.«

»Im Moment gibt es dort keine Gassen, ganz richtig«, räumte Calvin lächelnd ein. »Die Arbeiten an den Kulissen werden morgen in aller Frühe beginnen. Ich versichere Ihnen, dass kein bleibender Schaden am Wald angerichtet wird. Die Baumaßnahmen werden in zeitlich begrenztem Rahmen stattfinden. Sobald die Kirmes zu Ende ist, werden die Kulissen entfernt.«

»Wie viel kostet der Eintritt für diese Kirmes?«, fragte Jasper Taxman verschmitzt, während er mit den Fingern auf seinen Tischrechner trommelte.

»Es wird tatsächlich Eintritt verlangt werden«, sagte Calvin zögerlich. »Aber gemessen an dem Vergnügen, das Sie und Ihre Lieben auf der Kirmes erwartet, sind neun Pfund für Erwachsene und vier Pfund für Kinder bis zwölf Jahren sicher nicht viel.«

Ein seltsames Geräusch ging durch das Schulhaus, eine Mischung aus enttäuschtem Gemurmel und wütendem Grummeln. Das Gemurmel kam überwiegend von den Frauen, das Grummeln von den Männern.

»Neun Pfund?«, sagte Jasper entsetzt. »Sie erwarten also allen Ernstes, dass ich neun Pfund bezahle, um zuzuschauen, wie Leute in Kostümen rumlaufen?«

»Nein, eben nicht, guter Mann«, sagte Calvin hoheitsvoll. »Ich erwarte, dass Sie neun Pfund für sehr viel mehr bezahlen, und zwar gern. Wenngleich Ihre Zweifel freilich verständlich sind. Schließlich wissen Sie nicht, wovon ich spreche. Deshalb werde ich einen Pakt mit Ihnen und jedem der hier Anwesenden schließen.« Er wandte sich von Jasper ab und der Allgemeinheit zu. Mit erhobener Stimme fuhr er fort: »Wenn Sie nicht vollkommen zufriedengestellt sind mit Ihrem Tag auf der König-Wilfred-Kirmes, werde ich Ihnen persönlich den Eintritt zurückbezahlen.«

»Das klingt doch fair«, sagte Christine überzeugt.

Die Frauen in ihrer Nähe nickten eifrig.

Ein Anflug von Siegesgewissheit mischte sich in Calvins Lächeln, während er von der Bühne stieg, doch wenn er gedacht hatte, alles sei in trockenen Tüchern, so irrte er sich. Die Dorfbewohner machten sich gerade erst warm.

»Das hört sich ja alles ganz interessant an«, meinte Dick Peacock, »aber ich würde gern mehr über das Essen und die Getränke erfahren. Hast du etwa vor, meinem Pub den Garaus zu machen?«

»Das Gleiche könnte ich in Bezug auf meine Teestube fragen«, sagte Sally Pyne.

»Und was ist mit unserem Sommerprogramm?«, ließ sich Peggy Taxman vernehmen. »Es ist so schon schwer genug, die Leute zu unseren Veranstaltungen zu locken. Wie soll das erst werden, wenn alle zur Kirmes rennen?«

Calvin hob beschwichtigend die Hand. »Keine Sorge, gute Leute. Weder Ihre Geschäfte noch Ihre Veranstaltungen werden wegen der Kirmes in Mitleidenschaft gezogen. Im Gegenteil, sie werden davon profitieren. Die König-Wilfred-Kirmes wird mehr Menschen nach Finch ziehen als je zuvor.«

»Was zu Verkehrsstaus führen wird«, bemerkte Mr Barlow düster.

Ehe Calvin sich dem Thema Verkehr zuwenden konnte, begann die Dorfversammlung ihn mit Fragen zu bombardieren. Ob er eine Genehmigung für die Bauvorhaben habe? Ob er eine Alkohollizenz habe? Und eine zum Ausgeben von Speisen? Und was war mit einer Lizenz für den Verkauf von Waren? Hatte das Bauamt des Landkreises sein Projekt genehmigt? Es hagelte so viele Fragen, dass Calvin gar nicht zu Wort kam, obwohl er sichtlich darum bemüht war.

Schließlich holte Mr Malvern tief Luft, stand auf und schrie: »Seid endlich still, und zwar alle!«

»Also wirklich«, sagte Peggy Taxman entrüstet.

»Jetzt hört mal zu«, fuhr Mr Malvern unbeirrt fort. »Calvin hat sowohl grünes Licht vom Bauamt als auch die erforderlichen Lizenzen und Genehmigungen. Die Darsteller werden während der Kirmes in Wohnwagen leben. Diese werden auf meinem Grund stehen, und ja, wir haben auch dafür die Genehmigung des Landratsamtes. Die Hauptzugangsstraße zur Kirmes zweigt direkt von der Oxford Road zum Bishop’s Wood ab, also wird der zusätzliche Verkehrsstrom südlich des Ortes verlaufen. Finch wird zwar von mehr Autos aufgesucht werden als an normalen Wochenenden, aber zu Staus wird es dennoch nicht kommen.«

»Horace Malvern«, sagte Peggy aufbrausend, »du hast kein Recht, uns diese Farce auf zu ...«

»Ich habe jedes Recht«, fiel Mr Malvern ihr ins Wort. »Du bist vielleicht die Königin von Finch, Peggy, aber mein Neffe braucht nicht deine Erlaubnis, um auf meinem Land eine Kirmes zu veranstalten. Bishop’s Wood liegt auf meinem Land, und ich werde mit dem Wald nach meinem Gutdünken verfahren. Und wenn du nicht einsehen willst, was die Kirmes Finch Gutes bringen kann, dann bist du ebenso blind wie herrschsüchtig.«

Peggys Nasenflügel blähten sich alarmierend auf. »Wie kannst du es wagen ...«

»Selbstverständlich werden wir einen Teil der Erlöse dem Spendenfonds für das neue Kirchendach zukommen lassen«, warf Calvin rasch ein.

»Das hört sich doch großzügig an«, meinte Christine Peacock.

»Ja, äußerst großzügig«, sagten die Frauen um sie herum im Chor.

»Nein, meine Damen« – Calvin legte die Fingerspitzen an die Lippen und warf ihnen eine galante Kusshand zu –, »das Dorf ist großzügig. Ich danke Ihnen, dass Sie mich mit so großer Wärme und Wohlwollen empfangen, und freue mich, Sie alle bei der Kirmeseröffnung willkommen zu heißen – und an weiteren vergnüglichen Wochenenden, die darauf folgen.« Er schnalzte mit den Fingern, woraufhin sein Hofnarr ihm die Krone reichte. Calvin setzte sie sich auf den Kopf und hob zum Abschied eine Hand. »Adieu, gute Leute von Finch. Bis zu unserem Wiedersehen – auf der König-Wilfred-Kirmes!«

»Heil dem guten König Wilfred!«, riefen die Herolde.

Das Paar hob die Trompeten an die Lippen und schmetterte eine weitere Fanfare, um dann Calvin zu folgen, der den Mittelgang hinab zum Ausgang des Schulgebäudes schritt, im Schlepptau den purzelbaumschlagenden Hofnarren. Mr Malvern stand auf und verließ ebenfalls das Gebäude, nicht ohne in der Tür stehen zu bleiben und ein abschließendes Wort an die Versammlung zu richten.

»Es ist beschlossene Sache«, sagte er barsch. »Dachte nur, dass ihr es wissen solltet.« Mit Schwung setzte er sich die Tweedkappe auf den Kopf, drehte sich auf dem Absatz um und war draußen.

Für einen Moment herrschte Stille. Manche rieben sich das Kinn, andere sahen geflissentlich zur Decke. Die eine oder andere Frau befühlte ihre Polyesterbluse und zog nachdenklich die Stirn kraus.

»Für mich hört es sich gut an«, meldete sich Miranda Morrow schließlich zu Wort. »Außerdem wird die Kirmes an den Wochenenden Besucher in unser Dorf führen.«

»Im Pub könnten wir gut ein paar zusätzliche Gäste gebrauchen«, meinte Dick Peacock.

»Ich hätte auch nichts dagegen, wenn in meiner Teestube ein paar mehr Tische besetzt wären«, schaltete sich Sally Pyne ein.

»Die brauchen vielleicht auch Fleisch und Gemüse für ihre Essensstände«, sagte Burt Hodge, ein Farmer.

»Frische Eier sind immer willkommen«, meinte Annelieses Mutter, deren Hühner dafür bekannt waren, dass sie eifrig Eier legten.

»Touristen haben ab und zu einen Platten«, bemerkte Mr Barlow. »Und überhitzte Kühler. Ein Mechaniker findet zwar immer Arbeit, aber er wäre dumm, sich zu beklagen, wenn die Arbeit zu ihm kommt.«

»Es versteht sich von selbst, dass der Pfarrer und ich den Spendenerlös der Kirmes sehr gut für das neue Dach gebrauchen könnten«, sagte Lilian Bunting.

»Die König-Wilfred-Kirmes würde den Bekanntheitsgrad von Finch erhöhen«, ließ sich Charles Bellingham schüchtern vernehmen.

»Wir sind bekannt genug«, sagte Peggy. »Die Kirmes wird unseren Sommerveranstaltungen Konkurrenz machen, unsere Straßen verstopfen und unerwünschte Personen in unser Dorf bringen. Etwas Gutes wird jedenfalls nicht dabei herauskommen.«

Jasper Taxman nahm seinen ganzen Mut zusammen und widersprach seiner Frau: »Die Kirmes könnte den Umsatz des Kaufhauses erhöhen, Peggy. Touristen brauchen immer das eine oder andere, und du hast schließlich alles in deinem Laden.«

Der Widerspruch, den Peggy auf den Lippen gehabt hatte, wurde im Keim erstickt.

»Glaubst du wirklich, Jasper? Glaubst du wirklich, dass das Emporium von diesen ... diesem kindischen Unsinn profitieren könnte?«

»Ja, das tue ich«, sagte Jasper bestimmt. »Im Übrigen finde ich, dass wir uns demnächst einmal mit Calvin Malvern zusammensetzen sollten. Wenn wir einen Stand auf seiner Kirmes mieten, könnten wir ...«

Jasper lehnte sich zu seiner Frau hinüber, um sich leise mit ihr zu besprechen, während sich plötzlich der ganze Saal aufgeregt unterhielt. Alle redeten gleichzeitig und es war schwierig, einzelne Gespräche zu verstehen, aber ein paar Redefetzen drangen dennoch an mein Ohr:

»... spannend ...«

»... farbenfroh ...«

»... Petticoats ...«

»... Stiefel ...«

»... Ritter ...«

»... ritterlicher Zweikampf ...«

Während im Schulhaus alle unkontrolliert durcheinanderredeten, hörte Peggy aufmerksam Jasper zu. Als er mit seinen Ausführungen fertig war, presste sie die Lippen aufeinander und nickte entschlossen. Sie schien das Stimmengewirr im Raum gar nicht wahrzunehmen, bis sie den Blick in die Versammlung richtete. Statt die Dorfbewohner zur Ordnung zu rufen, beendete sie die Zusammenkunft kurzerhand mit drei Hammerschlägen auf den Tisch. Dann warf sie mir die Einsatzpläne für die Sommerveranstaltungen zu, sammelte ihre Notizen zusammen, gab Jasper ein Zeichen, ihr zu folgen, und rauschte durch den Mittelgang zur Flügeltür hinaus.

Ich ging durch die Reihen, um pflichtschuldig die Pläne zu verteilen, und beobachtete erstaunt, wie sie unbeachtet in Jackentaschen oder Handtaschen verschwanden. Niemanden schien es zu interessieren, ob er für den Reinigungstrupp eingeteilt war oder beim Teekessel-Polier-Team. Gedanken an das gegenwärtige Finch waren offensichtlichen Träumen vom guten alten England gewichen. Die Maiversammlung war nicht mit dem üblichen deprimierenden Schlusstakt zu Ende gegangen, sondern in einer Stimmung schwindelerregender Erwartung.

Zu diesem Zeitpunkt konnten wir es noch nicht wissen, aber die Invasion von Finch hatte begonnen.

Kapitel 3

NACH ACHT ANGENEHMEN, aber vorhersehbaren Sommern in Folge würde in Finch endlich etwas Unerwartetes geschehen. Ich konnte es nicht abwarten, Bill davon zu erzählen. Wäre ich in meinem verlässlichen Range Rover zur Maiversammlung gefahren, hätte ich all meine Geschwindigkeitsrekorde gebrochen, um zum Cottage zurückzukehren.

Doch unglücklicherweise war ich in dem rostigen alten Morris Mini unterwegs, den Bill und ich für kinderfreie Fahrten ins Dorf benutzten, und war gezwungen, ruhig und gesetzt über die Buckelbrücke und die gewundene, von Hecken gesäumte Straße zu unserem Cottage zu tuckern. Währenddessen sprühte mein Geist vor Ideen rund um Säbel, Kreolen und rosenfarbene Wimpel.

Es war fast zehn Uhr abends, als ich in unsere Kieselsteineinfahrt bog, also gute zwei Stunden nach der Schlafensgehzeit unserer Zwillinge, nicht jedoch der meines Mannes. Während ich den Mini zwischen meinem Rover und seinem Mercedes parkte, hoffte ich inbrünstig, dass Bill auf mich gewartet hatte. Sekunden später sprintete ich bereits über die Platten des Gehwegs, ohne den frühen Rosenblüten Beachtung zu schenken, die an den Spalieren der Vordertür aufgeblüht waren, oder dem süßen Frühlingsduft des späten Flieders.

Als ich die Diele betrat, hob ich meine Kopie des Dienstplans hoch und rief: »Heil dem guten König Wilfred!«

In dieser Pose blieb ich stehen, doch als Bill noch immer nicht aus dem Wohnzimmer auftauchte, um zu fragen, was um Himmels willen ich da machte, warf ich den Plan auf das Telefontischchen, hängte meine Tasche an den Garderobenständer und machte mich auf die Suche nach ihm.

Ich fand ihn oben, im Bett, mit Stanley, unserem schwarzen Kater, der zu seinen Füßen zusammengerollt lag. Als ich das elterliche Schlafzimmer betrat, öffnete Stanley eines seiner löwenzahngelben Augen, schloss es aber rasch wieder. Mich mochte er ganz gern, aber meinen Gatten betete er an, und er wäre damit zufrieden gewesen, den Rest seines Lebens zu Bills Füßen verbringen zu können.

Bill schlief so tief, dass er sich nicht rührte, als ich mich zu ihm hinabbeugte, um ihn auf die Wange zu küssen, und als ich absichtlich ein paar Mal mit dem Knie gegen das Bett stieß, rollte er sich einfach auf die andere Seite und schmiegte das Gesicht ins Kopfkissen. Ich ließ einen enttäuschten Seufzer vernehmen, doch auch der vermochte Bill nicht aufzuwecken. Auf Zehenspitzen verließ ich das Schlafzimmer.

Ich ging den Flur entlang zum Zimmer der Zwillinge, die ebenso tief schliefen wie ihr Vater. Als ich ihre beiden identisch aussehenden Gesichter betrachtete, stellte ich mir vor, wie ihre braunen Augen strahlen würden, wenn ich ihnen am nächsten Morgen von den Ritterturnieren erzählte. Lächelnd zog ich die Bettdecken straff um ihre Körper, küsste sie auf die zerzausten Köpfe und ging ins Erdgeschoss hinunter. Meine Männer waren mir sehr lieb, aber ich war noch nicht bereit, mich zu ihnen ins Land der Träume zu gesellen. Es drängte mich, jemandem von der Kirmes zu erzählen.

Emma, meine beste Freundin, war nicht zu der Maiversammlung gekommen, weil sie bei einem kranken Pferd wachte. Aber es war zu spät, um sie anzurufen. Genau genommen war es zu spät, um irgendeinen meiner Freunde, die allesamt Frühaufsteher waren, anzurufen. Also begab ich mich ins Arbeitszimmer, wo ich, wie ich wusste, jemanden antreffen würde, der immer hellwach war.

Dort war es still und friedlich. Kein Luftzug bewegte den Efeu draußen vor dem Sprossenfenster, unter dem der alte Eichenschreibtisch stand. Nachdem ich die Tür leise hinter mir zugemacht hatte, knipste ich die Lampe auf dem Kaminsims an, entzündete im Kamin ein Feuer und verbeugte mich tief vor Reginald, der von seinem Stammplatz im Bücherregal zu mir herabsah.

Reginald war ein pudrigrosa Flanellhase. Er hatte schwarze Knopfaugen, wunderschöne handgestickte Barthaare und einen verblassten, ehemals purpurroten Flecken auf seiner Schnauze, die Erinnerung an einen Tag in meiner Kindheit, als ich ihn von meinem Traubensaft kosten ließ. So weit ich zurückdenken konnte, war Reginald immer an meiner Seite gewesen, und als mein ältester Freund verdiente er einen Ehrenplatz im Cottage. Zwar verbeugte ich mich normalerweise nicht vor ihm, aber es wäre undenkbar gewesen, das Arbeitszimmer zu betreten, ohne ihn zu begrüßen; und an diesem Abend war ich noch ganz in dem Traum gefangen, den Calvin Malvern für uns gesponnen hatte.

»Seid gegrüßt, Sir Reginald«, sagte ich, während ich mich wieder aufrichtete. »Wie geht es Euch an diesem wunderschönen Maiabend? Erinnert Ihr Euch Eurer ritterlichen Taten, während Ihr auf Eurem ... Regalbrett sitzt?«, beendete ich dürftig meine kleine Ansprache und grinste. »Ich bin noch nicht ganz firm im Fachjargon, Reg, aber ich habe noch einen Monat, um zu üben. Ihr werdet beeindruckt sein!«