Tante Dimity und der skrupellose Erpresser - Nancy Atherton - E-Book
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Tante Dimity und der skrupellose Erpresser E-Book

Nancy Atherton

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Beschreibung

Als Lori ihren Ehemann Bill zu einer Testamentsverlesung nach Hailesham, dem herrschaftlichen Anwesen von Lord Elstyn begleitet, rechnet sie nicht im Geringsten damit, sich plötzlich in einem unheimlichen Abenteuer wiederzufinden. Das Vermächtnis des Grafen führt zu einem erbitterten Familienstreit, der sich bald bedrohlich zuspitzt. Aber erpresserische Drohbriefe, verdächtiges Dienstpersonal, dunkle Familiengeheimnisse und brennende Parkbüsche mag Lori nicht untätig hinnehmen. Sie ruft Tante Dimity zu Hilfe, um dem skrupellosen Bösewicht das Handwerk zu legen ...

Zauberhafte Spannung mit Tante Dimity. Jetzt als eBook bei beTHRILLED.

Versüßen Sie sich die Lektüre mit Tante Dimitys Geheimrezepten! In diesem Band: Winnies Sirupkuchen.

"Eine höchst genussvolle Lektüre." The Washington Post

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Seitenzahl: 274

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

Winnies Sirupkuchen

Über dieses Buch

Als Lori ihren Ehemann Bill zu einer Testamentsverlesung nach Hailesham, dem herrschaftlichen Anwesen von Lord Elstyn begleitet, rechnet sie nicht im Geringsten damit, sich plötzlich in einem unheimlichen Abenteuer wiederzufinden. Das Vermächtnis des Grafen führt zu einem erbitterten Familienstreit, der sich bald bedrohlich zuspitzt. Aber erpresserische Drohbriefe, verdächtiges Dienstpersonal, dunkle Familiengeheimnisse und brennende Parkbüsche mag Lori nicht untätig hinnehmen. Sie ruft Tante Dimity zu Hilfe, um dem skrupellosen Bösewicht das Handwerk zu legen...

Über die Autorin

Nancy Atherton ist die Autorin der beliebten „Tante Dimity“ Reihe, die inzwischen über 20 Bände umfasst. Geboren und aufgewachsen in Chicago, reiste sie nach der Schule lange durch Europa, wo sie ihre Liebe zu England entdeckte. Nach langjährigem Nomadendasein lebt Nancy Atherton heute mit ihrer Familie in Colorado Springs.

NANCY ATHERTON

Aus dem Amerikanischen von Thomas Hag

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Jeannine Schmelzer unter Verwendung von Motiven © shutterstock: Alvaro Cabrera Jimenez | Montreeboy

Illustration: © Jerry LoFaro

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt

ISBN 978-3-7325-3499-9

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel »Aunt Dimity takes a holiday« bei Penguin Books, New York.

Copyright © der Originalausgabe 2003 by Nancy T. Atherton

Copyright © der deutschsprachigen Erstausgabe 2006

by RM Buch und Medien Vertrieb GmbH

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Elisabeth Slusser,die zugehört hat,und Christine Aden,die dem Ruf gefolgt ist

Kapitel 1

ES HÄTTE EIN ruhiger Nachmittag werden sollen. Bill und ich hatten den Vormittag damit verbracht, in rauen Mengen frische Luft zu tanken und gleichzeitig darauf zu achten, dass unsere dreijährigen Zwillinge im Cotswolds Farm Park in nicht allzu innigen Kontakt mit dem dort ansässigen lieben Vieh traten. Einfach war die Aufgabe nicht gewesen. Will und Rob hatten geradezu heroische Versuche unternommen, jedes einzelne der gesprenkelten Schafe im Park zu streicheln, zudem jede behaubte Henne und jedes gestreifte Schwein. Als sie schließlich auch noch Anstalten machten, sich durch das Gatter zu zwängen und den sanften, aber riesigen Shire-Pferden die Hufe zu schütteln, half nur noch schiere Gewalt.

Mein Ehemann erholte sich von den Anstrengungen, indem er wie die Jungs ein Nachmittagsschläfchen hielt, ich hatte es vorgezogen, mich mit einer Tasse Tee vorm Kamin im Wohnzimmer niederzulassen. Seit die Zwillinge laufen konnten, waren Augenblicke der Ruhe für mich so selten geworden wie gesprenkelte Schafe, und ich beabsichtigte, die friedlichen Minuten so lange auszukosten, wie es ging.

Es wurden genau sieben Minuten.

Die Uhr auf dem Kaminsims schlug zur vollen Stunde, als ein donnerndes Pochen die Haustür erschütterte. Ich sprang auf, goss mir dabei heißen Tee über die Hand und schwor bereits, den Dummkopf zu erdrosseln, dessen gedankenloses Pochen den Schlaf meiner Männer zu stören drohte. Ich war wütend, und mir tat die Hand weh, als ich auf die Tür zustürmte, sie aufriss – und sprachlos stehen blieb.

Meine Freundin und Nachbarin Emma Harris stand vor mir, aber es handelte sich nicht um die Emma, die ich kannte. Meine Emma neigte nicht zu stärkeren Gefühlsausbrüchen, aber die Emma, die auf meiner Türschwelle stand, hätte vor Zorn Stacheldraht kauen können.

»Lori, lass mich rein, oder es gibt ein Blutbad.«

Mein Blick fiel auf ihre geballten Fäuste, und da ich nicht in meinem eigenen Blut baden wollte, trat ich beiseite.

Emma stürmte an mir vorbei ins Wohnzimmer. Ich konnte weder ihr Auto noch ein Pferd entdecken und schloss daraus, dass sie den Pfad, der sich auf einer Länge von einer Meile von ihrem Anwesen aus dem 14. Jahrhundert zu unserem Cottage wand, gelaufen sein musste. Emma genoss Spaziergänge auf dem Land, aber irgendetwas sagte mir, dass sie heute im Marschtempo zu mir geeilt war, anstatt zu schlendern.

Ich schloss die Tür und ging auf leisen Sohlen zurück ins Wohnzimmer. Dort sank ich aufs Sofa und sah eingeschüchtert und schweigend zu, wie sie vor dem Kamin auf und ab ging. Sie schien zutiefst in äußerst unangenehme Gedanken versunken.

Emma hatte im letzten Jahr fast zwanzig Kilo abgenommen und ihr hüftlanges graublondes Haar auf Schulterlänge stutzen lassen. Die Frau, die früher einem niedlichen Koala geähnelt hatte, erinnerte mich momentan eher an eine Löwin, die mit verhaltenem Zorn ihren Käfig durchmisst. Als sie abrupt vor mir stehen blieb, musste ich dem Drang widerstehen, mich vor ihren scharfen Klauen in Sicherheit zu bringen.

»Wie«, fragte sie anklagend, »lautet der Name deines Mannes?«

»Bill«, antwortete ich gehorsam und fügte vorsichtshalber hinzu: »Bill Willis. William Arthur Willis junior, um genau zu sein.«

»Bist du sicher?«, fauchte sie. »Ich frage nur, weil ich bis heute Morgen glaubte, den Namen meines Ehemannes zu kennen.«

Ich blinzelte. »Er heißt nicht Derek Harris?«

»Ha!« Emma funkelte mich düster durch die Gläser ihrer Brille aus dünnem Draht an. »Der Ehemann, der früher unter dem Namen Derek Harris bekannt war, heißt eigentlich Anthony Evelyn Armstrong Seton, Viscount Hailesham.«

Emma verlieh dem Adelstitel die entsprechende Upperclass-Aussprache, bei der man die Hälfte der Silben verschluckt. Entsprechend klang es eher wie ein Niesen: »Hell-shm.«

»Dein Ehemann ist also der Viscount von Hailesham«, sagte ich trocken. »Natürlich. Ich bin übrigens Maria von Rumänien.«

Emmas graue Augen blitzten auf. »Jetzt ist nicht die Zeit für deine albernen Witze, Lori.«

»Dann ist es vielleicht Zeit für ein Beruhigungsmittel, denn du redest wirres Zeug, Emma.« Ich erhob mich und erwiderte ihren zornigen Blick mit etwas Ähnlichem. »Jetzt setz dich hin, atme tief durch, und erzähle mir dann, warum der Mann, mit dem du seit zehn Jahren verheiratet bist, ein Mann, der dich über alle Maßen liebt, verehrt und respektiert, dich über seine wahre Identität im Unklaren gelassen haben soll.«

»Weil«, lautete die prompte Antwort, »er seinen Vater hasst.«

Emma wandte sich auf dem Absatz um und ließ sich in meinen Lieblingssessel plumpsen. Ich durfte derweil die Fäden verknüpfen, während sie noch immer vor Wut kochte.

Ich setzte mich ebenfalls wieder, und mein zorniger Blick wurde schnell nachdenklicher. Derek Harris hatte nie viel von seiner Familie erzählt. Ich konnte mich vage daran erinnern, dass sein Vater ein Earl war und dass die beiden seit vielen Jahren zerstritten waren, aber darüber hinaus wusste ich kaum etwas.

»Weißt du, woher er den Namen Derek Harris hat?«, schnaubte Emma und wartete meine Entgegnung gar nicht erst ab. »Von einem Zimmermann, der auf dem Familiensitz gearbeitet hat. Mein Ehemann, der Viscount, wurde aus purem Trotz zu einem Derek Harris, nachdem sein Vater damit gedroht hatte, ihn zu enterben.«

»Warum hat sein Vater gedroht, ihn zu enterben?«

»Weil Derek sein Geld mit seiner Hände Arbeit verdienen wollte«, antwortete Emma. »Der neunte Earl Elstyn konnte den Gedanken nicht ertragen, dass aus seinem Sohn und Erbe ein Arbeiter werden würde.«

»Ein Arbeiter?« Ich hob die Augenbrauen. Emmas Ehemann war ein Bauunternehmer, der sich auf die Restaurierung historischer Gebäude spezialisiert hatte. Er war einer der renommiertesten Fachleute auf seinem Gebiet. Nur ein ausgesprochen engstirniger Snob hätte ihn als einfachen Arbeiter bezeichnet. »Weiß der Earl eigentlich, womit Derek sein Geld verdient?«

»Woher soll ich das wissen?«, entgegnete Emma. »Die beiden haben seit zwanzig Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen. Damals hat sich Derek seinem Vater ein zweites Mal widersetzt, als er Mary heiratete.« Verächtlich warf sie den Kopf nach hinten. »Offenbar war Marys Blut für Lord Elstyn nicht blau genug.«

Ich schlug die Beine übereinander. Diese Familiengeschichte war wirklich höchst interessant. Das tragische Schicksal von Mary, Dereks erster Frau, war mir bekannt. Sie war kurz nach der Geburt ihres zweiten Kindes gestorben. Derek hatte mir anvertraut, dass er Jahre gebraucht hatte, um den Verlust zu überwinden, und dass es einem Wunder gleichgekommen war, dass er Emma kennen gelernt und sich noch einmal verliebt hatte.

»Wenn Lord Elstyn schon Mary für nicht würdig befunden hat, Gott weiß, was er dann von mir hält«, sagte Emma zornig. »Zumindest war sie Engländerin. Ich bin nicht nur eine Bürgerliche, ich bin auch noch Amerikanerin.«

»Was bedeutet, dass er sich seinem Vater erneut widersetzte, als er dich geheiratet hat«, meinte ich. »Was sagt Dereks Mutter zu all dem?«

»Dereks Mutter starb, als er noch ein Kind war«, antwortete Emma. »Sein Vater hat nie wieder geheiratet. Wahrscheinlich hat er sich gesagt, einen Erben habe ich ja produziert, wozu sich die ganze Mühe noch einmal machen?«

Verwundert rieb ich mir die Nase. »Ich muss gestehen, dass ich Derek bislang nicht für einen Rebellen gehalten habe.«

»Und ich habe ihn nicht für einen Viscount gehalten«, murrte Emma.

»Was ist mit den Kindern?«, fragte ich. »Peter und Nell hatten immer einen guten Kontakt zu ihrem Großvater, oder? Sie sind doch häufig bei ihm.« Die sechzehnjährige Nell hatte fast den gesamten letzten Sommer auf Lord Elstyns Anwesen verbracht.

»Das hat Mary so gewollt.« Emmas düsterer Blick wurde etwas sanfter. »Als sie im Sterben lag, musste Derek ihr versprechen, die Kinder aus der Fehde mit seinem Vater herauszuhalten. Derek hat sein Versprechen gehalten und Nell und Peter stets erlaubt, so viel Zeit mit ihrem Großvater zu verbringen, wie sie wollten.«

»Aber ich verstehe nicht, wieso der Earl Nell und Peter überhaupt um sich haben will«, sagte ich. »Er hat Mary abgelehnt, weil sie eine Bürgerliche war. Was hat ihn davon abgehalten, ihre Kinder abzulehnen?«

»Er hat keine große Wahl«, erklärte Emma. »Peter und Nell sind seine einzigen legitimen Enkel. Entweder akzeptiert er sie, oder er hinterlässt Hailesham einem Cousin.«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Er erbt ganz Hailesham? Wie in Hailesham Park? Dieses Anwesen in Wiltshire, von dem du gesprochen hast, das mit den unglaublichen Gärten?«

Emmas Augen zogen sich bedrohlich zusammen. »Ich habe jahrelang einen Bogen um diese Gärten gemacht, Derek zuliebe, aber jetzt, da ich weiß, dass sie ihm praktisch gehören ...«

»Hailesham Park gehört Derek?«, quietschte ich.

»Noch nicht«, sagte Emma. »Aber wenn er den Titel erbt ...«

»Welchen Titel?«, fragte ich atemlos.

»Du hast nicht aufgepasst, Lori«, schalt mich Emma. »Derek ist nicht einfach Lord Elstyns ältester Sohn, er ist sein einziger Sohn – sein einziges Kind. Wenn der Earl stirbt, erbt Derek alles.«

»Wie das?« Ich rümpfte verwirrt die Nase. »Ich hätte angenommen ...«

»Ich auch«, unterbrach mich Emma. »Aber es ist offenbar egal, ob man seinen Namen ändert, sich mit seinem Vater überwirft und zwanzig Jahre keinen Kontakt mehr mit seiner Familie hat, so lange man seine Titel nicht aufgibt.«

»Was Derek nicht getan hat«, folgerte ich und redete schnell weiter, weil Emma ungeduldig schnaubte. »Okay, ich fasse zusammen.« Ich beugte mich vor, die Ellenbogen auf den Knien, und konzentrierte mich. »Derek ist Viscount Hailesham, sein Vater ist der neunte Earl Elstyn, und Hailesham Park ist der Familiensitz, den Derek erbt, wenn sein Vater stirbt.« Ich sah Emma fassungslos an. »Und das alles ist bis heute Morgen deiner Aufmerksamkeit entgangen?«

»Über Dereks Lippen ist kaum ein Wort gekommen, was seine Familie betrifft, und ich habe es als sein Recht respektiert, diesen Teil seines Lebens von uns fernzuhalten«, sagte Emma. »Ich wusste, dass sein Vater ein Earl ist, aber ich glaubte, das hätte nichts zu bedeuten. Ich glaubte vor allem nicht, dass es irgendwas mit mir zu tun hätte. Aber das hat es.« Sie schluckte. »Derek hat mir die ganze Geschichte heute Morgen erzählt, weil er es musste, Lori. Wir sind nach Hailesham Park zitiert worden.«

Ich hätte beinahe gelacht. »Wie kann Lord Elstyn einen Sohn herbeizitieren, mit dem er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesprochen hat?«

»Indem er Nell als Übermittlerin eingesetzt hat«, antwortete Emma.

Ich lächelte verständnisvoll. »Derek hat Lady Nell noch nie etwas abschlagen können.«

»Nell ist keine Lady«, berichtigte Emma mich. »Sie ist nur eine Ehrenwerte, bis Derek den Titel seines Vaters erbt.«

»Eine Ehrenwerte?« Ich hatte das Gefühl, als habe mir jemand eine Ausgabe von Debretts Adelsliste um die Ohren gehauen. »Ich fürchte, ich komme schon wieder nicht mit, Emma.«

»Ich weiß, wie du dich fühlst.« Sie seufzte wehmütig. »Gestern noch war ich die gute alte Mrs Derek Harris. Heute bin ich die Höchst Ehrenwerte Viscountess Hailesham. Lori«, flüsterte sie, »ich weiß nicht einmal, was eine Viscountess ist.«

Erst jetzt, als ich die leise Panik in Emmas Stimme hörte, verstand ich, warum sie sich so seltsam aufführte. Sie war nicht wütend, sie hatte Angst. Ich fragte mich, ob es mir ebenso ginge, wenn ich eines Morgens als Frau eines englischen Adligen aufwachen würde, aber da Bill und ich Amerikaner waren, würde ich dieses Gefühl wohl kaum kennen lernen.

»Ach, sei einfach nur du selbst«, schlug ich vor.

»Ich selbst?«, rief Emma aus. »Ich bin eine Gärtnerin, Lori. Wenn ich ich selbst sein könnte, würde ich die nächsten zehn Tage damit verbringen, die Rosen zu düngen. Stattdessen muss ich mich nun darauf vorbereiten, mich einer feindlich gesinnten Horde von Aristokraten zu stellen. Und für die ist das natürlich ein Heimspiel. Es handelt sich um eine Familienzusammenführung, verdammt noch mal. Das Ganze soll fünf Tage dauern. Ich weiß weder, was ich anziehen soll, noch wie ich mich zu benehmen habe oder was ich sagen darf und was nicht.« Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen. »Ich weiß nur eins – ich werde mich zum Narren machen.«

Eine gewisse Eifersucht erlaubte mir nicht, so viel Mitgefühl zu zeigen, wie ich es unter anderen Umständen getan hätte.

»Du wirst fünf Tage auf Hailesham verbringen?« Ich seufzte bewundernd. »Ich würde alles darum geben, fünf Tage in diesem Haus sein zu dürfen.«

Emma hob den Kopf. »Dann überleg dir schon mal was«, sagte sie. »Denn ich möchte, dass du mit mir kommst.«

Ich traute meinen Ohren nicht. »Mach keine Witze, Emma.«

»Mir ist nicht nach Scherzen zumute. Ich brauche moralische Unterstützung. Außerdem«, fügte sie ernst hinzu, »brauche ich vielleicht deine Hilfe. Es gilt, einen Mord zu verhindern.«

Kapitel 2

NOCH BEVOR ICH Emmas Zusatz mit einem gebührenden Kommentar bedenken konnte, hörte ich Bills Schritte auf der Treppe. Emma musste sie auch gehört haben, denn sie eilte an meine Seite.

»Sag ja nichts von dem Mord«, flüsterte sie eindringlich.

»A-aber ...«, stammelte ich.

»Hi, Bill«, sagte Emma und rückte die Schultern gerade.

»Hallo, Emma. Verzeih meinen Aufzug. Ich habe ein Schläfchen gehalten.« Mein Ehemann betrat das Wohnzimmer, offensichtlich sehr ausgeruht. Sein dunkelgrüner Pullover und die schwarzen Jeans sahen hingegen etwas zerknittert aus. Er beugte sich über die Sofalehne und gab mir einen Kuss auf den Nacken. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass wir solch angenehmen Besuch haben?«

Ich starrte Emma noch immer mit großen Augen an, so dass sie für mich übernehmen musste.

»Wir wollten deinen Schönheitsschlaf nicht stören«, flachste sie. »Nell lässt euch übrigens liebe Grüße bestellen. Ich war mir ja nicht so sicher, ob das mit der Sorbonne eine gute Idee von ihr war, aber sie scheint dort wieder aufzublühen ...«

Während Emma über ihre Stieftochter plauderte, sah ich sie noch immer fassungslos an. Wer sollte ermordet werden? Wie hatte sie Wind von dem bevorstehenden Verbrechen bekommen? Warum bat sie mich um Hilfe, anstatt die Polizei zu alarmieren? Und was genau erwartete sie von mir? Die Gedankenflut, die meinen Kopf beherrschte, war so gewaltig, dass ich beinahe nicht bemerkt hätte, dass Bill sich verabschiedete.

»Ach du meine Güte, ist es schon so spät?«, sagte er mit einem Blick auf seine Armbanduhr. »Tut mir leid, Emma, ich muss mich sputen. Annelise kehrt heute aus Altnaharra zurück, und ich habe versprochen, sie vom Bahnhof abzuholen.«

Annelise Sciaparelli, unser göttliches Kindermädchen, hatte lange vier Wochen ihre Schwester und deren Mann, beide Archäologen, auf einer Ausgrabungsstelle im schottischen Hinterland besucht. So sehr Bill und ich die Zeit genossen hatten, die wir ganz allein mit unseren Söhnen verbrachten, so sehr freuten wir uns, die Zwillinge eingeschlossen, auf Annelises Rückkehr.

Bevor er hinausging, sah Bill mich an. »Geht es dir gut, Lori? Du wirkst so ... benommen.«

»Ach ja?« Ich zwang mich zu einem fröhlichen Lächeln. »Zu viel frische Luft wahrscheinlich. Ich hätte auch ein Nickerchen machen sollen.«

»Jetzt wo Annelise wieder da ist, können wir jede Menge Schlaf nachholen«, sagte Bill und fuhr zärtlich mit der Hand durch meine kurzen braunen Locken. Er verabschiedete sich von Emma und eilte in den Flur.

Emma schwieg, bis wir hörten, dass er die Haustür hinter sich geschlossen hatte.

»Bitte, Lori«, sagte sie dann. »Beruhige dich etwas.«

Ich hätte sie am liebsten gepackt und geschüttelt. »Du wirfst mal eben das Wort Mord in die Runde und verlangst von mir, dass ich mich beruhigen soll?«, stieß ich hervor. »Also, wer soll ermordet werden?«

»Derek.« Emma hob die Hand, um mich erst einmal zum Schweigen zu bringen, und ließ sich neben mich auf das Sofa fallen. »Ich weiß, ich höre mich an wie eine hysterische Zicke, aber denk doch mal drüber nach, Lori. Derek ist das schwarze Schaf der Familie. Er ist außerdem der Erste in der Erbfolge und bekommt das Vermögen seines Vaters. Was, wenn jemand auf den Gedanken kommt, dass dieses schwarze Schaf sein Erbe nicht verdient hat?« Emma warf einen ängstlichen Blick zum Erkerfenster. »Ich habe das schreckliche Gefühl, als könnte jemand versuchen, einen Zweig des Stammbaums zu kappen.«

Emma Harris war keine überkandidelte Frau. Verglichen mit mir war sie so abgeklärt wie eine alte Eiche. Wenn sie sich Sorgen um Dereks Sicherheit machte, lag das nicht an einer hyperaktiven Phantasie.

Ich lehnte mich zurück, verschränkte die Arme und versuchte, die Situation von ihrem Blickwinkel aus zu sehen.

»Familientreffen können in der Tat schwierig sein«, verkündete ich weise. »Man weiß nie, ob und wann alte Feindschaften ausbrechen. Und ich nehme an, dass es in einer alten, mächtigen Familie auch sehr viele alte Feindschaften gibt.«

Emmas Schulter berührte mich, als sie sich tiefer in die Kissen drückte.

»Normalerweise streiten sich die Leute schon darum, wer Tante Mildreds gehäkelte Tischdecke bekommt«, sagte sie. »Aber in diesem Fall geht es um Tante Mildreds unbezahlbare Rembrandt-Sammlung.«

Ich sah sie etwas skeptisch an. »Ist Dereks Familie wirklich so reich?«

»Lord Elstyn lädt Nell des Öfteren zum Essen ein«, begann Emma. »Auf seine Jacht. In Monte Carlo.«

»Oh.«

Nachdenklich schauten wir ins Kaminfeuer.

»Fünf Tage an einem abgeschiedenen Ort«, murmelte ich. »Fünf Tage umgeben von potentiell feindlich gesonnenen Cousins und Cousinen. Wer weiß, was da alles geschehen kann.«

»Du weißt, wie Derek ist, wenn es etwas zu reparieren gibt«, sagte Emma düster. »Jemand weist ihn auf einen losen Dachziegel hin, er klettert auf eine Leiter, um ihn festzunageln, und schwupps, schon wackelt die Leiter.« Sie drehte sich zu mir. »Wenn du mitkommst, können wir ihn viel besser im Auge behalten.«

»Weiß Derek, dass du dir Sorgen um ihn machst?«, fragte ich.

»Er hält mich für melodramatisch«, sagte Emma. »Und paranoid. Oder einfach nur für albern. Deshalb möchte ich nicht, dass du Bill davon erzählst. Sonst machen sich die beiden nämlich gemeinsam über mich lustig.«

»Hast du mit Nicholas gesprochen?« Nicholas Fox war ein Police Detective, der krankgeschrieben war und derzeit im Herrenhaus von Anscombe Manor, dem Anwesen der Harris, wohnte.

»Nicholas braucht Ruhe und Frieden«, sagte Emma kopfschüttelnd. »Ich möchte nicht, dass er sich wegen Derek aufregt.«

»Was ist mit Kit?«, schlug ich vor. »Er wird dir bestimmt nicht unterstellen, dass du albern bist.«

Auch Kit Smith wohnte auf Anscombe Manor, er hatte eine eigene Wohnung bei den Pferdeställen. Er war der Stallmeister der Harris, einer meiner liebsten Freunde und die selbstloseste Seele, die ich kannte. Wenn es jemanden gab, der Emma in ihrer Not helfen würde, dann Kit.

»Ich habe auch mit Kit nicht darüber gesprochen«, sagte Emma vorsichtig. »Er würde mir bestimmt anbieten, mich nach Hailesham zu begleiten, aber das dürfte wohl keine gute Idee sein.«

»Nicht, wenn Nell da ist.«

»Nell wird da sein«, sagte Emma. »Sie fliegt aus Paris ein, um an dem Familientreffen teilzunehmen.«

Emma brauchte nichts weiter zu erklären. Ich hatte mitbekommen, welche Aufregung Nell verursacht hatte, als sie Kit im vorigen Winter mit Liebesbriefen bombardiert hatte. Der arme Mann hatte alles Mögliche getan, um ihre amourösen Absichten im Keim zu ersticken, hatte unter anderem auch darauf hingewiesen, dass er mehr als doppelt so alt war wie sie und schon von daher als Partner nicht geeignet. Nell hatte ihn dennoch unablässig verfolgt. Als wir hörten, dass sie den Sommer bei ihrem Großvater verbringen würde, atmeten wir alle erleichtert auf, und auch ihre überraschende Entscheidung, ein Jahr lang an der Sorbonne zu studieren, schien uns Grund zur Freude.

Seit sie fort war, hatte Kit nichts mehr von Nell gehört. Ich hoffte, dass die Entfernung Nells romantische Begierde hatte versiegen lassen, stimmte Emma aber zu: Mit Kit nach Hailesham Park zu fahren, wenn sich Nell dort aufhielt, hätte geheißen, das Schicksal herauszufordern.

»Tja«, sagte ich, »dann bleibe wohl nur ich übrig.«

Emma sah mich erwartungsvoll an. »Du kommst also mit?«

»Seit wir im April aus den Staaten zurückgekommen sind, habe ich das Cottage nicht mehr verlassen. Ich könnte einen Urlaub gebrauchen.« Ich nickte entschieden. »Du kannst auf mich zählen.«

»Vielen, vielen Dank, Lori. Vielleicht bin ich ja albern, aber falls nicht ...« Emma lächelte, aber hinter ihrem Lächeln verbarg sich eine sorgenvolle Miene. »Ich bin vielleicht nicht scharf darauf, eine Viscountess zu sein, aber noch weniger scharf bin ich darauf, eine Witwe zu sein.«

Derek ein Rebell, Nell eine zukünftige Lady und Emma eine Viscountess – das waren genug Überraschungen für einen Tag. Dachte ich jedenfalls. Doch nach dem Abendessen hielt Bill noch eine weitere für mich bereit.

Das Geschirr war gespült, die Kinder lagen im Bett, und Annelise hatte sich auch schon in ihr Zimmer zurückgezogen, um sich von der Zugreise auszuruhen. Endlich waren Bill und ich allein, Arm in Arm saßen wir auf dem Sofa, und auf unseren Gesichtern schimmerte der rosige Glanz des Kaminfeuers. Wir waren zufrieden, verträumt und schläfrig. Ein günstiger Augenblick, um das Thema Hailesham zur Sprache zu bringen.

Da Emma mich gebeten hatte, ihre Befürchtungen für mich zu behalten, legte ich die Betonung mehr auf die moralische Unterstützung, die sie brauchte, und auf meine Vorfreude darüber, ungehindert durch die privaten Weiten des Elstyn’schen Anwesens zu streifen. Als ich mit meiner Geschichte fertig war, bedachte mich Bill mit einem rätselhaften Lächeln.

»Wenn du willst, kannst du Derek und Emma gerne begleiten«, sagte er. »Ich sähe es allerdings lieber, wenn du mich begleiten würdest.«

»Wohin denn?«, fragte ich.

»Nach Hailesham«, antwortete er.

Ich nahm meinen Kopf von seiner Brust und schaute zu ihm herauf. »Was willst denn du in Hailesham?«

»Ich wollte es dir heute Abend erzählen«, erklärte Bill. »Lord Elstyn hat uns beide nach Hailesham eingeladen, um an dem Familientreffen teilzunehmen.«

»Warum sollte er uns einladen?«, fragte ich perplex.

Die samtenen braunen Augen meines Ehemanns blickten verdächtig naiv und unschuldig drein. »Habe ich das nicht erwähnt? Ich bin einer von Lord Elstyns Anwälten. Er möchte mich in Reichweite wissen, wenn er die Familienangelegenheiten regelt. Für mich wird es ein Arbeitsurlaub, aber ich dachte, dass du bestimmt gerne mitkommen würdest.«

»Du dachtest ...« Ich löste mich aus Bills Armen und glitt fast bis ans andere Ende des Sofas. »Seit wann bist du Lord Elstyns Anwalt?«

Bill räusperte sich und wich ganz offensichtlich meinem Blick aus. »Die Beteiligung des Earls an verschiedenen finanziellen Transaktionen in den Vereinigten Staaten veranlasste ihn vor etwa drei Monaten, mich als Rechtsberater zu engagieren.«

»Du redest wie ein Anwalt, Bill.«

»Lori, ich bin Anwalt.«

Wir sahen einander an, während das Sofa mit jeder Sekunde länger zu werden schien. Mein Mann war in der Tat der Leiter des europäischen Zweigs von Willis & Willis, der altwehrwürdigen Anwaltskanzlei seiner Familie. Ich hätte stolz darauf sein sollen, dass sich ein solch prestigeträchtiger Mandant seiner Dienste versichert hatte. Stattdessen fühlte ich mich verletzt und hintergangen.

»Du weißt seit drei Monaten über Derek Bescheid und hast mir kein Sterbenswörtchen verraten?«, sagte ich.

»Das durfte ich nicht«, entgegnete Bill. »Lord Elstyns Angelegenheiten unterliegen strengster Diskretion.«

Ich warf ihm zwar noch immer schmollende Blicke zu, nickte aber verständnisvoll. Mein Gatte bekam Unsummen dafür gezahlt, dass er seinen Mund hielt. Es war unfair von mir, zu erwarten, dass er mir Geheimnisse eines Mandanten anvertraute, selbst wenn sie unsere engsten Freunde in England betrafen.

»Ich bin noch nie auf Hailesham Park gewesen«, erklärte Bill, um mich gnädig zu stimmen. »Und Hailesham House habe ich auch noch nie betreten.«

Ich sah ihn fragend an. »Und wo ...?«

»In unserem Londoner Büro«, sagte Bill. »Den Lord selbst habe ich in all der Zeit nur zwei Mal zu Gesicht bekommen. Er zieht es vor, über Mittelsmänner zu kommunizieren.«

»Sieht er aus wie Derek?«, fragte ich besänftigt.

»Komm mit mir nach Hailesham und sieh selbst.« Bill breitete die Arme aus.

»Oh Bill, natürlich komme ich mit dir.« Seufzend kuschelte ich mich wieder an ihn. »Aber eines musst du wissen – es gibt Zeiten, da hasse ich deine Berufsgeheimnisse.«

Bill legte seine Arme um mich. »Manchmal tue ich das auch, meine Liebe.«

Ich legte meinen Kopf auf seine Brust und sah auf die glühenden Scheite. Es freute mich, dass unser Gespräch ohne Streit geendet hatte, noch mehr aber freute ich mich darüber, dass ich mein Versprechen gegenüber Emma halten konnte. Unsere liebenden Ehemänner hatten in letzter Zeit reichlich viele Geheimnisse vor uns gehabt. Es schien nur gerecht, dass wir nun ein paar vor ihnen hüteten.

Außerdem brauchte ich Bills Hilfe nicht, um Derek zu schützen. Als Mutter von Zwillingen hatte ich eine geradezu übernatürliche Ahnung für Gefahren entwickelt. Ich konnte zerbrochenes Glas auf fünfzig Meter Entfernung erkennen, ich roch einen glimmenden Zigarettenstummel aus einer Meile. Ich brachte knurrende Hunde, zischende Gänse und Ungeheuer, die im Schrank hausten, zum Verstummen. Was immer der Elstyn-Clan für Derek bereithielt, ich würde damit fertig werden.

Mich machten weniger die potentiellen Gefahren nervös als vielmehr der Gedanke an die Kleiderordnung. Im Gegensatz zu Bill, der gleich mit mehreren goldenen Löffeln im Mund geboren worden war, war ich es nicht gewöhnt, mit dem Adel auf Du und Du zu sein. Während ich mich an meinen Mann kuschelte, fragte ich mich, ob Emma mich nicht nur deshalb eingeladen hatte, damit sie nicht die Einzige war, die sich zum Narren machte.

Wurde erwartet, dass man sich zum Essen umzog? Wenn ja, welches Kleid würde dann angebracht sein? Ich war nicht in der Stimmung, Bill um Rat zu fragen, und schließlich kannte ich jemanden, der garantiert Bescheid wusste. Als mir Bills regelmäßiger Atem verriet, dass er eingeschlafen war, löste ich mich aus seiner Umarmung und machte mich auf den Weg ins Arbeitszimmer.

Kapitel 3

ICH HABE NICHT immer ein angenehmes Leben in einer der schönsten Gegenden Englands verbracht. Während mein zukünftiger Ehemann in einem Anwesen mit zahlreichen Bediensteten aufwuchs, lebte ich mit meiner verwitweten Mutter in einem bescheidenen Mietshaus in einem Arbeiterviertel von Chicago.

Wir waren nicht arm, weil meine Mutter unermüdlich schuftete, damit wir über die Runden kamen. Sicher muss es Tage gegeben haben, an denen sie alles hinschmeißen und mit einem Wanderzirkus hätte durchbrennen wollen, aber sie hat es nie getan. Ihre Liebe zu mir hielt sie stets auf Kurs, so wie auch ihre Freundschaft zu einer Engländerin namens Dimity Westwood.

Im Krieg lebten beide Frauen in London, um dort ihren jeweiligen Ländern zu dienen. Während die deutschen Bomben fielen, freundeten sie sich an, und sie schrieben einander für den Rest ihres Lebens. Ihre transatlantische Korrespondenz wurde für meine Mutter zu einer Zuflucht, in die sie sich zurückziehen konnte, wenn das Leben zu grau und zu schwer wurde.

Meine Mutter hütete ihre Zuflucht sehr. Anstatt mir auf direktem Wege von ihrer Freundin zu erzählen, führte sie Dimity auf recht geheimnisvolle Weise ein, als Heldin einer Reihe von Gutenachtgeschichten. Die starke Tante Dimity war mir so vertraut wie anderen Kindern Dornröschen, aber von der wirklichen Dimity Westwood erfuhr ich erst, nachdem sowohl sie als auch meine Mutter gestorben waren.

Damals stellte sich die echte Dimity als meine Wohltäterin heraus, indem sie mir ein Vermögen und ein honigfarbenes Cottage in den Cotswolds vermachte, dazu ein in dunkelblaues Leder gebundenes Tagebuch. Das Geld rettete mir das Leben, und das Cottage war ein wahr gewordener Traum, aber Dimitys größtes Geschenk an mich war ohne Zweifel das Tagebuch, denn damit ließ sie mir ein Stück von sich selbst zurück.

Buchstäblich.

Immer wenn ich das blaue Buch öffnete, kam Dimity zu mir, in Form einer altertümlichen Handschrift, die man in der Dorfschule zu einer Zeit gelehrt hatte, als die meisten Pflüge noch von Pferden gezogen wurden. Als mich Dimity das erste Mal aus dem Jenseits begrüßt hatte, machte ich mir vor Schreck fast in die Hose, aber die Furcht war schon längst tiefer Dankbarkeit gewichen. Ich konnte mir das Leben ohne meine gute und vertrauenswürdige, wenn auch nicht vollkommen greifbare Freundin gar nicht mehr vorstellen.

Ich schloss die Tür des Arbeitszimmers, schaltete die Lampen auf dem Kaminsims an, nahm das blaue Buch aus dem Bücherregal und machte es mir in einem der beiden Ledersessel gemütlich, die zu beiden Seiten der Feuerstelle standen.

»Dimity?«, sagte ich beim Öffnen des Tagebuchs. »Hast du eine Minute Zeit?« Ich warf einen raschen Blick zur Tür, bevor ich mit einem Lächeln zusah, wie sich Dimitys Worte auf der leeren Seite entfalteten.

Zufälligerweise habe ich sogar mehrere Minuten Zeit, und jede davon steht zu deiner Verfügung.

»Großartig«, sagte ich. »Ich muss dir höchst erstaunliche Neuigkeiten erzählen. Derek Harris ist ein Viscount.«

Ah. Nach einer kurzen Pause fügte Dimity hinzu: Sind das die erstaunlichen Neuigkeiten?

Damit hatte sie mir den Wind aus den Segeln genommen. »Nun ... ja«, sagte ich. Ein oder zwei Ausrufezeichen hatte ich schon erwartet.

Es tut mir leid, meine Liebe, aber ich kann nicht so tun, als sei ich hochgradig verblüfft. Ich kannte Dereks Vater ja sehr gut und sehr lange, musst du wissen. Dereks Stellung innerhalb der Familie Elstyn ist mir wohlbekannt.

Ich unterdrückte ein frustriertes Stöhnen. »Bin ich denn der einzige Mensch in diesem Cottage, der nicht wusste, dass Derek ein hohes aristokratisches Tier ist?«

Ich bin sicher, dass Will und Rob im Dunkeln tappen, was Dereks Titel betrifft.

»Ich wäre mir da gar nicht so sicher«, entgegnete ich. »Wahrscheinlich hat Bill sie schon vor drei Monaten eingeweiht. Damals wurde er Lord Elstyns Anwalt.«

Wie interessant. Edwins Investitionen in Amerika müssen sich gut entwickelt haben, wenn er die Dienste von Willis & Willis in Anspruch nimmt.

»Edwin?«, sagte ich blinzelnd. »Du und Lord Elstyn, ihr habt euch mit den Vornamen angeredet?«

In der Tat. Edwin hat dem Westwood Trust einige großzügige Schenkungen zukommen lassen. Wenn du in den Archiven nachschaust, wirst du seinen Namen in vielen der Spenderlisten finden.

Der Westwood Trust war die Dachorganisation für eine Reihe von wohltätigen Stiftungen, die Dimity am Herzen gelegen hatten. Als Schirmherrin des Trusts saß ich im Aufsichtsrat und nahm an den Sitzungen teil, aber ich war noch nie auf die Idee gekommen, in den Archiven zu stöbern.

»Lord Elstyn mag dem Trust gegenüber sehr großmütig gewesen sein«, sagte ich. »Aber für ihn endet Großmütigkeit wohl vor der eigenen Haustür. Emma hat mir erzählt, dass er sehr barsch mit Derek umgesprungen ist.«

Vater und Sohn haben sich beide nichts geschenkt. Edwin war wütend auf Derek, weil er eine Karriere in der Politik oder im Finanzbereich ausgeschlagen hat, und Derek war wütend auf Edwin, weil der seine Leidenschaft für das Restaurieren nicht akzeptierte. Beide Männer waren zu starrköpfig, um sich einander anzunähern, und das Resultat war eine unglückliche Entfremdung.

»Was war mit Dereks erster Frau?«, fragte ich. »Lord Elstyn hat auf sie herabgesehen, nicht wahr?«

Wenn der Sohn eine riesige und komplexe Familienerbschaft antreten soll, hofft man als Vater verständlicherweise auf eine geeignete Schwiegertochter. Edwin hielt Mary für vollkommen ungeeignet.

Ich schäumte. »Weil sie eine Bürgerliche war wie ich?«

Mary war nicht im Entferntesten wie du, Lori. Sie war süß und hilflos und sie wäre keineswegs in der Lage gewesen, einem solch gewaltigen Haushalt vorzustehen. Edwin lag sicherlich nicht falsch, wenn er davon ausging, dass sie als Herrin von Hailesham Park völlig überfordert gewesen wäre.

Dass Dimity mich anscheinend für nicht besonders süß hielt, erzürnte mich leicht, aber ich konnte verstehen, was sie über die Aufsicht über Hailesham Park gesagt hatte. Ich fand es schon anstrengend genug, das Cottage sauber und ordentlich zu halten. Ein großes Anwesen zu verwalten, war tausendmal schwerer.

»Vielleicht hat Derek seine Frau mit dem Herzen ausgewählt und nicht mit dem Verstand«, sagte ich. »Vielleicht war es keine vernünftige Entscheidung, aber seit wann hat Liebe etwas mit Vernunft zu tun?«

Für Edwin hatte die Pflicht stets den Vorrang vor der Liebe. Er hat aus praktischen Gründen geheiratet und verstand nicht, dass sein Sohn sich weigerte, es ihm gleichzutun.