4,99 €
Der Duke von Madrescourt hat bei einem Pferderennen, das sein bestes Rennpferd vor dem Pferd seines Freundes and Konkurrenten dem Duc de Sauerdun gewinnt, arrangiert, dass seine junge und bildschöne Tochter Lady Loretta Court den Marquis de Sauerdun heiraten solle. Dies soll sehr schnell vonstattengehen, ohne dass sich das Paar vor der Bekanntmachung der Verlobung sieht. Als er diese Nachricht an Loretta weitergibt, will sie ihren Vater von der Idee abbringen. Sie will keinen Mann heiraten, den sie nicht liebt. Um den Vater davon überzeugen zu können, dass der Marquis, auch der moderne Casanova genannt, nicht der geeignete Ehemann für sie ist, macht sie sich allein auf den Weg nach Paris, um dort mehr über den Marquis in Erfahrung zu bringen. Sie reist inkognito und bleibt bei ihrer Cousine, die in Paris mit ihrem Partner unehelich zusammenlebt und deshalb von der Familie ausgestoßen wurde.
Wird es Loretta in ihrer Verkleidung als Lady Brompton gelingen, mehr über den Marquis zu erfahren? Wird ihre Suche nach dem Mann ihrer Träume in Paris erfolgreich sein und sie mit ihm auf dem Regenbogen der Liebe tanzen?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2025
Hören Sie sich alle Ihre Lieblings-Hörbücher von Barbara Cartland kostenlos auf Spotify an, richten Sie einfach die Kamera Ihres Handys auf diesen Code oder klicken Sie hier.
Lady Loretta Court tätschelte ihrem Pferd noch einmal den Hals, bevor sie sich aus dem Sattel schwang.
»Heute ist Minotaurus ganz hervorragend gelaufen, Ben«, sagte sie zu dem Stallknecht, der darauf wartete, das Tier in den Stall zu bringen.
»Er mag es eben, wenn Sie ihn reiten, M’lady!«
Ben grinste.
Sie schenkte ihm ein Lächeln, dann stieg sie die Stufen der Freitreppe hinauf, betrat die große Halle und durchquerte sie rasch. Sie hatte gerade die Empore erreicht, als ein Diener aus einem der Korridore herbeieilte und hinter ihr herrief:
»Seine Gnaden wünscht Sie zu sprechen, M’lady! Ich soll Ihnen sagen, Sie möchten gleich nach Ihrer Rückkehr in sein Arbeitszimmer kommen!«
Loretta stieß einen leisen Seufzer aus. Sie war zwei Stunden geritten und sehnte sich nach einem heißen Bad und frischen Kleidern. Aber wenn ihr Vater nach ihr verlangte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu gehorchen.
Sie stieg die Stufen wieder hinunter, reichte dem Diener die Handschuhe und die leichte Reitpeitsche, die sie nie benutzte.
Dann nahm sie mit einer beinahe trotzig wirkenden Bewegung den Reithut ab und hielt ihn ebenfalls dem Diener hin.
Mit beiden Händen drückte sie ihr Haar zurecht, durchquerte die Halle und bog in den breiten Korridor ein, der zum Arbeitszimmer ihres Vaters führte.
Sie fragte sich, was er wohl von ihr wolle, und dachte, wenn es etwas damit zu tun haben sollte, dass sie ohne Reitknecht ausgeritten war, was er überhaupt nicht mochte, wurde sie sich wieder auf eine seiner endlosen Strafpredigten einstellen müssen, die schon der kleinste Anlass auslösen konnte und die in der letzten Zeit immer häufiger wurden.
Loretta mochte ihren Vater, aber nach dem Tod der Mutter war er immer sonderbarer und vor allem immer diktatorischer geworden.
Wie viele ältere Männer hörte er selten einmal auf das, was andere ihm sagten. Als Lord Lieutenant der Grafschaft war er sehr beschäftigt, hatte aber bisher für seine einzige Tochter stets Zeit gehabt. Gleichzeitig allerdings besaß er sehr strenge Vorstellungen, was die Regeln des Anstands und die Fragen der Schicklichkeit betraf - sehr zu Lorettas Unbehagen, die sich dadurch sehr eingeengt und gegängelt vorkam.
Sie öffnete die Tür des Arbeitszimmers und trat zögernd ein. Gleichzeitig war sie sich wie jedes Mal, wenn sie in den Raum kam, bewusst, wie wundervoll er war. Vor allem war sie - noch mehr als ihr Vater - von den Pferdebildern begeistert, die die Wände schmückten.
Als er noch junger gewesen war, hatte der Duke den Ruf gehabt, einer der attraktivsten Kammerherrn von Queen Victoria zu sein.
Ein gutaussehender Mann war er noch immer, und als er jetzt von dem riesigen Schreibtisch aufschaute, an dem er saß und schrieb, machte er zu Lorettas Überraschung einen außergewöhnlich gutgelaunten Eindruck.
Vor ihm türmte sich ein Stapel Papiere; denn, obwohl er einen Privatsekretär besaß, handelte der Duke nach dem Motto:
»Wenn du willst, dass eine Arbeit zu deiner Zufriedenheit erledigt wird, muss du sie selbst erledigen!«
Die Folge davon war, dass stets eine ganz unnötige Menge Schreibkram auf ihn wartete.
Dennoch lächelte er bei Lorettas Anblick und dachte wie schon so oft, dass er sich glücklich schätzen konnte, eine so schöne Tochter zu haben.
Dass Loretta ein so schönes Mädchen war, konnte allerdings niemanden verwundern, denn schließlich war ihre Mutter mit Abstand die schönste Frau gewesen, die er je in seinem Leben gesehen hatte.
»Du wolltest mich sprechen, Papa?«
»Ja, Loretta. Ich habe dir etwas sehr Wichtiges zu sagen. Ich hielt es für unpassend, mit dir schon gestern Abend nach meiner Rückkehr vom Rennen darüber zu reden. Ich war nämlich sehr müde, und außerdem wollte ich dir keine schlaflose Nacht bereiten.«
In Lorettas Augen erschien ein besorgter Eindruck, als sie fragte:
»Was ist es, das du mir sagen möchtest und worüber du gestern Abend nicht mehr mit mir sprechen wolltest, Papa?«
Der Duke erhob sich hinter dem Schreibtisch, durchquerte den Raum und blieb vor einem prächtigen Kaminsims, über dem ein sehr kostbares Gemälde von Sartorius hing, stehen.
»In Epsom traf ich gestern auch meinen alten Freund, den Duc de Sauerdun«, begann er.
Da ihr Vater langsam und sehr gewichtig sprach, dachte Loretta, dass er für das, was er ihr zu sagen hatte, gewiss einige Zeit brauchen würde, und so ließ sie sich in einem der ledernen Armsessel nieder.
Es war nicht das erste Mal, dass ihr Vater auf den Duc zu sprechen kam.
Sie wusste, dass die beiden Männer eine enge Freundschaft verband, obwohl sie von verschiedener Nationalität waren und ihre Begeisterung für den Pferderennsport sie so manches Mal zu erbitterten Rivalen auf den französischen und englischen Rennplätzen machte.
»Hast du gestern das Pferd des Duc geschlagen?« erkundigte sich Loretta.
»Tatsächlich lief Minotaurus eine halbe Pferdelänge vor Sauerduns Tier durchs Ziel«, antwortete der Duke mit einem zufriedenen Lächeln.
»Das freut mich für dich, Papa!«
»Nach dem Rennen«, fuhr ihr Vater fort, als hatte er ihre Bemerkung gar nicht zur Kenntnis genommen, »tranken Sauerdun und ich noch ein Glas Wein zusammen. Dabei machte er einen Vorschlag, der ziemlich überraschend und unerwartet für mich kam, den ich aber dennoch höchst beachtenswert fand.«
»Ja?«
Ihr Vater brauchte mal wieder sehr lange, um zur Sache zu kommen, und Loretta fragte sich ungeduldig, wann sie wohl endlich nach oben entfliehen könnte.
»Schon lange mache ich mir Gedanken über die Frage, wen du einmal heiraten sollst, Loretta«, setzte der Duke seinen Monolog fort, »und der Vorschlag des Duc, dass sein Sohn der richtige Ehemann für dich wäre, erscheint mir - je länger ich darüber nachdenke - als gar keine so schlechte, um nicht zu sagen, sehr zufriedenstellende Lösung des Problems.«
Loretta richtete sich kerzengerade auf, und ihr Körper war mit einem Mal gespannt wie eine Feder.
»Was… was hast du gesagt, Papa?« fragte sie stockend. »Ich verstehe nicht recht, wovon du - sprichst.«
»Ich spreche von deiner Ehe, meine Liebe, und es würde mir eine große Beruhigung und Freude sein, wenn ich dich dem Marquis de Sauerdun zur Frau geben könnte, einem Mann, der nach dem Tod seines Vaters ein prächtiges Schloss im Tal der Loire und riesige Besitzungen in der Normandie, wo die Sauerduns ja ursprünglich herkommen, erben wird.«
»Aber - Papa!« rief Loretta. »Das kann nicht dein Ernst sein! Wie kannst du mich mit einem Mann verheiraten wollen, den ich noch nie im Leben gesehen habe! Und überdies hast du mir eine Saison in London versprochen!«
»Ich weiß, ich weiß!« entgegnete der Duke ein wenig gereizt. »Aber ganz ehrlich, meine Liebe, diese Gelegenheit ist einfach zu gut, als dass man sie verpassen sollte!«
Loretta erhob sich. Sie war schlank und nicht sehr groß, und obwohl ihr Vater sie wie ein Turm zu überragen schien, schaute sie trotzig zu ihm auf.
»Was immer du auch sagen magst, Papa, ich habe nicht die Absicht, jemanden zu heiraten, den ich nicht liebe!«
»Liebe!« grollte der Duke. »Liebe kommt nach der Hochzeit. Was wichtiger ist und was du als meine einzige Tochter zu tun hast, ist, den richtigen Mann zu heiraten. Einen Mann mit einer festen Position im Leben und einen, den ich für dich ausgesucht habe.«
»Aber, Papa, ich bin es, die ihn heiraten muss, nicht du!«
»Ich weiß«, sagte der Duke ärgerlich. »Aber wenn du glaubst, ich würde zulassen, dass du irgendeinen jungen Luftikus heiratest, der von deinem gesellschaftlichen Rang beeindruckt ist oder mit einer großen Erbschaft rechnet, weil ich keinen Sohn habe, bist du auf dem Holzweg!«
»Bitte, Papa, die einzigen Männer, denen ich bisher begegnet bin, wohnen in der Grafschaft, und ich kenne sie schon mein ganzes Leben lang«, widersprach Loretta.
Traurig fuhr sie fort:
»Weil Mama so früh starb, habe ich nie eine Gesellschaft oder einen Ball besucht, und ich bin auch sonst nirgendwo hingegangen, wo ich Gelegenheit gehabt hätte, meinen zukünftigen Gatten kennenzulernen.«
»Selbst wenn du all diese Gelegenheiten gehabt hättest«, antwortete der Duke, »würdest du wahrscheinlich nie jemanden getroffen haben, der passender für dich gewesen wäre als der Marquis de Sauerdun.«
»Das mag ja sein - vom gesellschaftlichen Standpunkt aus betrachtet«, sagte Loretta, »aber wie soll ich wissen, ob ich glücklich mit ihm werde, wenn ich ihn nicht kenne, ihm nie zuvor begegnet bin?«
»Du wirst ihm begegnen, natürlich wirst du das!« antwortete der Duke. »Ich schlug Sauerdun vor, seinen Sohn am besten zum Royal Ascot mit nach Madrescourt zu bringen. Er fand die Idee ganz ausgezeichnet, und eure Verlobung könnte noch vor Ende der Saison bekanntgegeben werden.«
»Aber, Papa, du bestimmst das einfach alles! Ohne mir die Entscheidung zu überlassen, ob ich den Marquis heiraten möchte oder nicht! Du kommst gar nicht auf die Idee, dass ich ihn ablehnen, dass er für mich aus irgendeinem Grund als Ehemann einfach nicht in Frage kommen könnte!«
»Ablehnen?« fragte der Duke. »Was meinst du mit ablehnen? Noch nie habe ich einen solchen Unsinn gehört! Wie du wissen solltest, werden Ehen in Frankreich arrangiert! Der Entschluss des Ducs steht fest, er hat die Wahl für seinen Sohn getroffen, und der Marquis wird den gleichen Fehler nicht ein zweites Mal machen.«
»Ein zweites Mal?« rief Loretta. »Was meinst du damit?«
»Der Marquis war schon einmal verheiratet«, erwiderte ihr Vater. »Er war damals noch sehr jung. Wie Sauerdun mir erzählte, verliebte er sich offensichtlich Hals über Kopf in ein junges Mädchen, das er in Paris kennenlernte.«
Er machte eine Pause und fuhr dann fort:
»Sie stammte aus einer guten Familie, und es gab keinen Grund, weshalb der Duc einer Heirat zwischen den beiden nicht hätte zustimmen sollen. Also wurden die beiden getraut - was sich schon kurze Zeit später als katastrophaler Irrtum herausstellen sollte. Die beiden jungen Leute passten nicht zusammen, von einem Erben gab es weit und breit keine Spur, und dann erlitt die junge Frau - zum Glück für den Marquis - einen Verkehrsunfall und verstarb kurz darauf an ihren Verletzungen.«
Der Duke machte eine Pause. Bevor seine Tochter etwas sagen konnte, setzte er jedoch hinzu:
»Diesmal geht Sauerdun kein Risiko mehr ein. Er hat die zweite Frau seines Sohnes mit der derselben Sorgfalt ausgesucht, die er bei der Wahl seiner Pferde verwendet.«
»Pferde!« rief Loretta. »Ich höre Pferde!«
Doch der Duke überhörte ihren Einwand und fuhr fort:
»Er hat erfahren, wie schön du bist, und da du außerdem meine Tochter bist, ist er daran interessiert, dass die Hochzeit möglichst bald nach eurer Verlobung stattfindet.«
»Da mache ich nicht mit, Papa!« widersprach Loretta heftig. »Ich weiß genau, was du mir sagen willst. Dass ich absolut keine Wahl habe, gleichgültig, ob ich den Marquis heiraten möchte oder nicht. Er wird nach England kommen, und bei seiner Ankunft wirst du die meisten unserer Verwandten bereits vom Anlass und Zweck seines Besuches in Kenntnis gesetzt haben.«
Ihre Stimme hob sich, als sie fortfuhr:
»Und wenn es einmal bekannt ist, dass wir heiraten werden, wird es für mich unmöglich sein, seinen Antrag abzulehnen - falls er mir selbst überhaupt einen Antrag machen sollte.«
Loretta hatte kaum geendet, als der Duke wieder einmal einen seiner Wutausbrüche bekam.
Er war gefürchtet dafür. Auch bei der Dienerschaft.
Weil er ein derart hünenhafter Mann war und regelrecht furchteinflößend in seiner Unbeherrschtheit, wurde Loretta immer blasser und blasser, je länger er auf sie eindonnerte.
Er nannte sie undankbar, rücksichtslos, selbstsüchtig und gefühllos. Er warf ihr vor, ihn absichtlich aufzuregen, obwohl sie doch wusste, wie einsam und verzweifelt er nach dem Tod ihrer Mutter sei. Er beschuldigte sie der Lieblosigkeit und der Herzensharte.
Loretta zwang sich, kühl zu bleiben. Er sollte sie nicht beunruhigen.
Dennoch traten ihr die Tränen in die Augen. Als sie schließlich etwas sagen wollte, gab er ihr keine Gelegenheit dazu, sondern schrie außer sich vor Erregung:
»Du wirst den Marquis heiraten, und wenn ich dich mit diesen meinen Händen zum Altar schleifen muss! Und ich will kein Wort mehr hören von diesem ganzen Unsinn über Kennenlernen, Lieben und Glücklichsein!«
Durchbohrend blickte er sie an und setzte herrisch hinzu:
»Du wirst gehorchen, Loretta, hörst du! Du wirst mir gehorchen, und das ist mein letztes Wort in dieser Angelegenheit!«
Dann schrie er weiter auf sie ein, bis Loretta wusste, dass sie seine Tiraden nicht länger ertragen konnte.
Mit einem Seufzer wandte sie sich um und lief aus dem Zimmer.
Während sie die Halle durchquerte und die Treppen hinauf zu ihrem Schlafzimmer eilte, rannen ihr die Tränen in Sturzbächen über die Wangen.
Auf ihrem Zimmer angelangt, warf sie die Tür hinter sich zu, zog ihr Reitjackett aus und ließ sich auf dem Bett nieder, die Hände vors Gesicht geschlagen.
»Was soll ich tun?« flüsterte sie. »O lieber Gott im Himmel, was soll ich nur tun?«
Seit dem Tag, da sie erwachsen genug gewesen war, um Liebesgeschichten, angefangen bei ‚Romeo und Julia‘, zu lesen, und gespürt hatte, wie ihr Herz dabei schneller schlug, hatte sie versucht, sich ihre eigene Zukunft vorzustellen, sich auszumalen, wie es sein würde, wenn sie selbst einmal verliebt wäre.
Und stets hatte sie dann die Gewissheit verspürt, dass sie eines Tages ganz bestimmt dem Mann ihrer Träume begegnen würde.
Je älter sie wurde, umso mehr festigte sich in ihr diese Gewissheit. Obwohl er noch kein Gesicht besaß und keine Konturen angenommen hatte, glaubte sie ihn gewissermaßen schon neben sich zu fühlen.
In Gedanken waren sie und er schon miteinander vereint, und schließlich würde er konkret und leibhaftig vor ihr stehen, und sie würden zusammen glücklich sein bis ans Ende ihres Lebens.
Es war ein kindlicher Märchentraum, dem Loretta da nachhing, doch gleichzeitig wurde er, je älter sie wurde, immer mehr zu einem Teil ihres Lebens.
Kein Tag und keine Nacht vergingen, ohne dass sie nicht an ihre Liebe dachte oder sich auszumalen versuchte, wie ihr Leben an der Seite des geliebten Mannes einmal aussehen würde.
Ihr Traummann war ständig bei ihr, er bestieg mit ihr den Himalaja und segelte mit ihr den Amazonas hinauf. Zusammen erlitten sie Schiffbruch mitten auf dem Ozean und fanden Zuflucht auf einer einsamen, menschenleeren Insel. Sie wurden von Banditen verfolgt oder von einem wilden Beduinenstamm durch die arabische Wüste gejagt.
Und stets rettete er sie und brachte sie in Sicherheit, und Loretta wusste voller Zuversicht, dass sie im Leben nie wirklich Angst zu haben brauchte, weil er ja bei ihr war.
Im Stillen war sie fest davon überzeugt, dass er bereits in London auf sie wartete. Dort würde sie ihn treffen, sobald das Trauerjahr nach dem Tod der Mutter vergangen war und sie als Debütantin der Königin vorgestellt wurde.
Vielleicht traf sie ihn auf einer großen Tanzveranstaltung im Haus einer der berühmten Gastgeberinnen, die alle gute Bekannte ihres Vaters waren. Oder auf einem Ball, den ihr Vater für sie im Stadthaus der Familie in der Park Lane gab.
Am romantischsten wurde es natürlich sein, sie begegnete ihm im Thronsaal des Buckingham-Palastes, wenn sie mit den drei weißen Federn des Prinzen von Wales im Haar ihren Hofknicks machte.
Dies würde entweder vor Ihrer Majestät der Queen Victoria persönlich geschehen oder, wenn sie indisponiert war, vor ihrem Sohn, dem attraktiven Prinzen von Wales.
Die Vorbereitungen zu alldem waren bereits getroffen. Das Madrescourt House in der Park Lane sollte eigens zu diesem Zweck geöffnet werden, um Loretta und ihren Vater während der ganzen Saison Unterkunft zu gewahren.
Auch ihre Tante, die Komtess von Bredon, würde dort wohnen und für die Zeit ihres London Aufenthaltes das Amt der Anstandsdame übernehmen.
Die Komtess hatte von London schon eine große Auswahl teurer Kleider kommen lassen, damit sich Loretta diejenigen aussuchte, in denen sie ihr Debüt machen wollte. Sie stammten sämtlich vom teuersten und elegantesten Schneider in der Bond Street.
Obwohl Loretta zugeben musste, dass die Sachen ganz passend waren und dem Anlass angemessen, zu dem sie nach London fuhr, vermisste sie an ihnen eine gewisse Originalität. Sie war darin zu wenig sie selbst, fühlte sich wie in eine Uniform gepresst.
Doch weil ihr Vater stets sehr großzügig zu ihr war, hoffte sie, in London noch eine Anzahl anderer Kleider zu finden, die besser zu ihrem Typ passen würden.
Sie sollten ihren eigenen Geschmack widerspiegeln und nicht den ihrer Tante, der ihr zu steif und konventionell war.
Aber aus alldem würde nun wohl nichts mehr werden, obwohl ihr Vater dies nicht eigens gesagt hatte.
Doch was sollten sie jetzt noch London?
Schließlich gab es keinen wirklichen Grund mehr für sie, dorthin zu fahren.
Jedenfalls nicht für eine ganze Saison, höchstens noch für den einen Tag, an dem der Empfang bei Hof stattfand und wo sie im Buckingham-Palast der Queen vorgestellt werden würde.
Stattdessen würde sich die ganze Aufmerksamkeit auf die Ankunft des Duc de Sauerdun und seines Sohnes, des Marquis, richten, die - so vermutete Loretta - wohl für Ende Mai oder Anfang Juni zu erwarten war.
Ich werde also der Chance beraubt werden, noch jemand anderen kennenzulernen, vor allem jetzt, wo ich Papa so deutlich meine Meinung gesagt habe, dachte sie bedrückt.
Weil sie ihren Vater so gut kannte, wusste sie sehr genau, wie sein Verstand arbeitete, und so war sie sicher, dass ihm nun jeder Vorwand recht sein wurde, sie von London fernzuhalten.
Stattdessen würde er alles tun, um seinem zukünftigen Schwiegersohn den Aufenthalt in England so angenehm wie möglich zu machen.
»Es ist ungerecht«, murmelte sie, »ungerecht und verletzend!«
Loretta kam sich vor wie in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Gleichzeitig war sie entschlossen, sich nicht zu einer Ehe zwingen zu lassen, in der die Liebe keinen Platz hatte, die nur aus reinem Zweckdenken zustande gekommen war und die - dessen war sie sicher - nicht nur für sie, sondern auch für den, der sie heiratete, in einer Katastrophe enden würde.
Sie musste also einen Weg finden, um die drohende Katastrophe zu verhindern!
Unbedingt musste sie das!
Und sie wusste, es würde nicht einfach sein. Schließlich kannte sie ihren Vater zu gut und wusste, dass er nicht von dem abzubringen war, was er sich einmal in den Kopf gesetzt hatte.
Auch war sie intelligent genug, um einzusehen, dass die Idee einer Heirat mit dem Sohn des Duc de Sauerdun vom väterlichen Standpunkt aus äußerst vernünftig war.
Natürlich war der Marquis das, was man eine ‚gute Partie‘ nannte, und zudem mochte es in der Tat äußerst zweifelhaft sein, ob es in ganz England einen heiratsfähigen jungen Mann gab, der, was den gesellschaftlichen Rang und den Reichtum der Sauerduns betraf, dem Kandidaten ihres Vaters das Wasser reichen konnte.
Loretta hatte bereits gehört, wie außergewöhnlich die Stellung war, die diese Familie im französischen Hochadel einnahm, und dass deren Besitzungen auf der ganzen Welt berühmt waren.
Sie hatte zwar nicht sehr aufmerksam zugehört, als ihr Vater über die Gemäldesammlung gesprochen hatte, die die Sauerduns ihr Eigen nannten, aber so viel war ihr im Gedächtnis haften geblieben, dass die Sammlung es mit dem Bilderbestand des Louvre und der National Gallery durchaus aufnehmen konnte.
Schon eher hatten die Pferde des Duc sie beeindruckt, und sein Gestüt war sicherlich größer und erfolgreicher als das ihres Vaters und vielleicht sogar eines jeden anderen Rennstallbesitzers in England.
Sie verstand die Situation ihres Vaters deshalb nur zu gut.
Er hatte sich in einer Hochstimmung befunden, nachdem Minotaurus, das beste Rennpferd aus seinem Stall, das Tier des Ducs geschlagen hatte, und in dieser Hochstimmung mochte es für den Franzosen ein leichtes gewesen sein, ihren Vater für seine Heiratspläne zu begeistern.
Und so hatte ihr Vater eingewilligt. Ohne sich der Tatsache bewusst zu sein, die für Loretta absolut feststand, dass nämlich der Duc de Sauerdun einen ganz besonderen Grund haben musste, wenn er die Heirat seines Sohnes mit solcher Plötzlichkeit und Hast betrieb, anstatt Vater und Tochter zunächst einmal in aller Ruhe zu sich nach Frankreich einzuladen.
Loretta schüttelte den Kopf.
»Es ist so typisch für Papa«, murmelte sie voller Unwillen, »einen derart übereilten Entschluss zu fassen und dann hartnäckig darauf zu bestehen, dass seine Tochter einen Franzosen heiratet, den sie noch nie im Leben gesehen hat! Und das alles nur, weil er mit dem Vater des jungen Mannes seit langem befreundet ist und dieser die gleichen sportlichen Interessen hat wie er!«
Gleichzeitig wusste sie, dass ihr Vater die Wahrheit sagte, wenn er behauptete, dass die Ehen im französischen Adel stets von den Eltern arrangiert wurden.
Aber das galt ja mehr oder weniger auch für den englischen Adel.
»Na schön«, stieß Loretta trotzig hervor, »mögen die Leute denken, was sie wollen, ich werde dann eben die Ausnahme von der Regel sein!«
Natürlich war sie sich der Tatsache vollauf bewusst, dass dies nicht einfach sein würde. Und wenn sie wirklich Erfolg haben wollte, würde sie äußerst clever und tatkräftig vorgehen müssen!
Nun, das würde kein Problem für sie sein!
Denn mochte ihr Vater auch stets sehr starrsinnig sein, wenn es um die Durchsetzung seiner Ziele ging, sie besaß diese Eigenschaft ebenfalls. Schließlich war sie ja seine Tochter!
Nachdem sie sich umgezogen hatte, ging Loretta nach unten.
Sie hoffte, den Umständen entsprechend bleich und vor allem unterwürfig und in ihr Schicksal ergeben auszusehen.
Sie hoffte außerdem, dass ihr Vater sich ein wenig schuldig fühlen würde, wenn ihr Schweigen und ihre niedergeschlagenen Augen ihm zeigten, wie unglücklich sie war und wie sehr sie innerlich litt.
Doch Loretta wurde enttäuscht.
Ihr Vater war bei Tisch in bester Laune. Der Gedanke an ihre bevorstehende Heirat schien ihn so zu begeistern, dass er ihr Aussehen und ihre bedrückte Stimmung kaum zu bemerken schien. Vermutlich nahm er an, dass sein Wutausbruch genügt hatte, um ihren Widerstand zu brechen und sie seinen Wünschen gefügig zu machen.
Sie waren allein, denn die Cousine, die seit einigen Monaten im Haus weilte, um Loretta während der Abwesenheit ihres Vaters, der häufig zu Rennveranstaltungen unterwegs war, Gesellschaft zu leisten, hütete wegen einer Erkältung das Zimmer.
Der Duke redete zu Beginn des Mahls nur von den Rennen, an denen er am Tag zuvor teilgenommen hatte.
Bis in die kleinste Einzelheit berichtete er, wie er mehrere hervorragende Pferde, darunter auch den Favoriten des Duc de Sauerdun, besiegt hatte.
»Und übermorgen geht’s nach Newmarket«, sagte er, »und ich hoffe zuversichtlich, dass ich dort genauso erfolgreich sein werde wie gestern!«
Loretta gab keine Antwort, und der Duke sagte gereizt:
»Um Gottes willen, mein Kind, hör endlich auf, dreinzuschauen, als hättest du eine Zweieinhalb Schilling Münze verloren und dafür ein Drei Pence-Stück gefunden. Die meisten Mädchen würden an deiner Stelle vor Freude Purzelbäume schlagen bei der Vorstellung, gleich in der ersten Saison eine solch großartige Partie zu machen!«
»Aber ich habe doch gar keine Saison gehabt, Papa!« gab Loretta mit trauriger Stimme zu bedenken.
Einen Augenblick wirkte der Duke nachdenklich, dann meinte er forsch:
»Nun, wenn es das ist, was dich bedrückt, werde ich mir überlegen, was sich tun lässt. Allerdings sehe ich keine Veranlassung, deswegen eigens das Haus in London zu öffnen und, wie ursprünglich geplant, einen aufwendigen Ballabend zu geben.«
Er schwieg einen Moment und fügte dann hinzu:
»Weißt du was, wir werden hier einen Ball geben, wenn die Sauerduns zu Besuch sind. Am besten, du überlegst gleich mit deiner Cousine alles Notwendige, damit der Abend noch prächtiger wird als alles, was wir in der Vergangenheit veranstaltet haben!«
Ohne dass er es erwähnte, stand für Loretta fest, dass er die Absicht hatte, auf diesem Ball ihre Verlobung mit dem Marquis bekanntzugeben.
Doch sie behielt den Gedanken für sich und sagte nur:
»Das hört sich sehr - nett an, Papa.«
»Gefällt es dir?« rief der Duke. »Nun, das nenne ich ein gutes Mädchen! Und wenn du nach London fährst, um am Empfang bei der Königin teilzunehmen, werde ich dich selbstverständlich begleiten! Ich glaube, er findet Mitte Mai statt, nicht wahr?«
»Ja, Papa.«
»In Ordnung! Wir werden dann ein oder zwei Bälle besuchen und beim Polo in Ranelagh zuschauen. Aber unser Stadthaus ganz zu öffnen, wie wir das ursprünglich vorhatten, lohnt sich unter den gegebenen Umstanden wohl kaum. Und in London bleiben wir bis nach Ascot, denke ich.«
»Ja, Papa.«
Erst als das Luncheon zu Ende war und der Duke zu einer Zusammenkunft im Grafschaftsgebäude aufgebrochen war, ging Loretta auf ihr Zimmer und zog wieder ihren Reitdress an.
Unter Missachtung der strengen Anordnung des Dukes, nie ohne einen Reitknecht auszureiten, verließ sie den Stallhof.
Sie wusste, dass am Waldrand etwa drei Meilen von ihrem Haus entfernt, Christopher Willoughby auf sie warten würde.
Er war ein junger Mann, den sie von Kind an kannte und dessen Gut direkt an das des Dukes angrenzte, obwohl es viel kleiner war als das Anwesen ihres Vaters und in dessen Augen auch viel unbedeutender.
Tatsächlich blickte der Duke auf den Besitz der Willoughbys mit der gleichen hochmütigen Verachtung hinab wie auf dessen Eigentümer, Christophers Vater.
Dieser war der vierte oder fünfte Baronet, aber völlig verarmt und mittellos. Eine Spende für die Wohltätigkeitsveranstaltungen, deren Patronat der Duke innehatte, war von ihm jedenfalls nicht zu erwarten.
Wenn der Duke gewusst hätte, wie oft sich Christopher Willoughby und seine Tochter auf ihren Ausritten trafen, er hätte gekocht vor Wut.
Aber Christopher war der einzige junge Mann, den Loretta wirklich gut kannte. Obwohl Christopher seit drei Jahren unsterblich in sie verliebt war, dachte Loretta an ihn nur wie an einen Bruder, den sie nie gehabt hatte. Außerdem betrachtete sie Christopher als ihren besten Freund, und weil es viel vergnüglicher war, mit ihm auszureiten als mit einem der einfältigen Reitknechte, verabredete sie mit ihm ständig neue Treffpunkte.
Dann jagten sie über die Felder oder ritten nebeneinander durch den Wald, und sprachen über all die Dinge, die Loretta interessierten und für die Christopher, weil er sie liebte, Verständnis aufzubringen suchte.
Als sie jetzt näher ritt, wusste er sofort, dass etwas nicht stimmte.
»Was ist geschehen?« fragte er sie besorgt.
Sie gab ihm keine Antwort, und Christopher erkannte, wie aufgeregt sie war.
Schließlich sprudelte es aus ihr heraus:
»Du wirst es kaum für möglich halten, Christopher, was Papa über meinen Kopf hinweg arrangiert hat!«
»Was denn?«
»Meine - Hochzeit!«
Die Worte wurden mit großer Heftigkeit hervorgestoßen, und Lorettas Augen funkelten vor Zorn.
Schweigen folgte.
Schließlich sagte Christopher mit heiserer Stimme:
»O Gott, ich wusste es, früher oder später musste es passieren!«
Er war ein gutaussehender junger Mann von fünfundzwanzig Jahren mit breiten Schultern, und er ritt das ziemlich mittelmäßige Pferd, das alles war, was sein Vater sich leisten konnte, außergewöhnlich gut.
Er hatte in einem angesehenen Regiment gedient, und seit seiner Rückkehr versuchte er das Gut so zu führen, dass es wieder einigen Ertrag abwarf.
Da er Loretta über alle Maßen liebte, vernachlässigte er seit kurzem seine Pflichten sträflich, um so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen zu können.
Er wusste, seine Liebe war hoffnungslos. Loretta erwiderte sie nicht.
Auch hatte er ihr nichts zu bieten, dennoch erfüllte sie sein Leben ganz und gar.
Als er das geliebte Mädchen nun anschaute, dachte er: Obwohl ihre Augen besorgt blicken und ihr Gesicht auffallend blass ist, sieht sie wunderschön aus! Schöner als alle Frauen, die er in seinem ganzen Leben gesehen hatte!
Während Loretta ihm berichtete, was ihr Vater gesagt und welchen Plan er gefasst hatte, glaubte Christopher Willoughby, die Welt um ihn herum bräche zusammen. Alles, was ihm etwas bedeutete, lag in Scherben zu seinen Füssen.
»Du kannst und darfst dich nicht mit einem Mann verloben, den du noch nie im Leben gesehen hast!« stieß er heftig hervor, als Loretta eine Pause machte, um Luft zu holen.