Tanz der Banken - Thomas Neiße - E-Book

Tanz der Banken E-Book

Thomas Neiße

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Beschreibung

In Deutschland passiert etwas Unerhörtes. Zwei Banken kämpfen um die Übernahme der jeweils anderen. Dabei werden alle Register gezogen, von finanziellen Drohgebärden bis hin zum Auftragsmord. Auch internationale Finanzinstitute mischen kräftig mit, schließlich winken fette Profite. Am Ende bleiben vernichtete Existenzen und menschliche Tragödien. Gerd Brauner, der Chef der Meinebank in Frankfurt beabsichtigt die Übernahme der Wertebank in München. Dafür ver­folgt er perfide Pläne: Er verbündet sich mit anderen Finanzinstitutionen und plant, durch Strohmänner nach und nach Aktien der Wertebank aufzu­kau­fen. Auch vor einem Auftragsmord und der Erpres­sung eines Personalberaters schreckt er nicht zurück, der einen ehemaligen ­Mitarbeiter und früheren Studienfreund Brauners als Spion in die Wertebank einschleusen soll. So hofft Brauer an ­Insiderinformationen zu kommen. Doch Peter Nehmer, der Chef der Werte­bank, sieht diesem Treiben nicht tatenlos zu und entwickelt seinerseits ausge­­klü­gelte Strategien. Auf einer Hauptversamm­lung kommt es zu einem spek­taku­lä­ren Showdown, was wiederum Brauner zu einer radikalen Maßnahme veranlasst, um seinen Kontrahenten doch noch in die Knie zu zwingen. Immer mehr schau­kelt sich diese Männerfeindschaft hoch, immer gewissenloser verbeißt sich Brauner in sein Vorhaben, das unauf­halt­sam auf ein schreckliches Ende zuläuft. Thomas Neiße kennt die Gepflogenheiten in der Welt der Finanzen aus eigener Erfahrung in- und auswendig. Vieles in dieser turbulenten und spannenden Story könnte durchaus in der Realität vorstellbar sein. Mit viel Phantasie und großer Menschenkenntnis stattet er seine Protagonisten mit typischen Charaktereigen­schaf­ten aus und schafft so ein beklemmendes Szenario, das den Leser bis zum furiosen Ende fesselt.

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Seitenzahl: 473

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Thomas Neiße

TANZ DER BANKEN

Ein Wirtschaftskrimi

»Tanz der Banken« ist eine fiktive Geschichte. Handlung, Personen und Dialoge sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten wären rein zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2020 by R. G. Fischer Verlag

Orber Str. 30, D-60386 Frankfurt/Main

Alle Rechte vorbehalten

Schriftart: Bergamo 11pt

Herstellung: rgf/bf/1A

ISBN 978-3-8301-1839-8 EPUB

Für meine Tochter Sabrina, die immeran mich geglaubt hat.

Inhalt

PROLOG

OUVERTÜRE

RANDBEDINGUNG

ERKENNTNISSE

HEILE WELT

PROBLEMLÖSER

KONTAKT

ENTSCHEIDUNG

ERÖFFNUNG

VERÄNDERUNG

GEWISSHEIT

DURCHBLICK

MITTELSPIEL

SPANNEND

VORFÜHLEN

WEGBEREITUNG

DURCHBLICKE

SHOWDOWN 1

ATEMHOLEN

BESTANDSAUFNAHME

VERBÜNDETENSUCHE

SHOWDOWN 2

LETZTES MITTEL

ZUFÄLLIGKEITEN

BRUCH

KLARHEIT

TRACKING

DURCHATMEN

KLIMAX

ABGESANG

BRAINSTORMING

FINALE

PROLOG

Sein neues Flugzeug ließ sich spielend leicht handhaben und lag wunderbar in der Luft. Letzteres lag natürlich auch daran, dass es momentan keinerlei Turbulenzen oder Fallwinde gab, ermahnte er sich schmunzelnd. Aber egal, die neue Maschine war ein Gedicht. Sie benötigte nur kurze Wege für Start und Landungen, was für seine Zwecke ideal war. Er hatte sich schon vor Jahren angewöhnt, die Strecken zu seinen über ganz Deutschland verstreuten Kunden, wann immer es möglich war, mit dem Flugzeug zurückzulegen. München war ja nun nicht gerade die geographische Mitte Deutschlands. Er war es einfach leid gewesen, aufgrund von Verspätungen der Bahn oder bedingt durch Verkehrsstaus nicht pünktlich zu sein. Natürlich waren die Landebahnen der Provinzflughäfen, die er ansteuerte, kurz. Und genau dafür hatte er nun das perfekte Flugzeug.

Hakim Sailer schaute aus seinem Cockpit auf die sich unter ihm dahin schlängelnde A 8, auf der sich sehr zu seinem Vergnügen gerade mal wieder ein Stau bildete. Hier in 600 Metern Flughöhe konnte ihm das egal sein. Er flog auch nicht aus Schadenfreude entlang der Autobahn, sondern aus Gründen der Orientierung. Es war immer gut seinen Flug zusätzlich zur routinemäßigen Navigation auch an prägnanten Punkten in der Landschaft auszurichten.

Seine neue Maschine, ein sogenanntes Leichtflugzeug, hatte er aus der Konkursmasse einer Flugschule erworben, ein echtes Schnäppchen. Da diese Flugschule bei seinem Arbeitgeber, der Wertebank in München verschuldet war, erfuhr er früh von dem drohenden Konkurs und agierte sofort. Das war zwar nicht so ganz legal, aber der Konkursverwalter hatte dadurch ja auch weniger zu tun. Trotzdem hatte er die Maschine erst einmal ungenutzt in seinem Hangar auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck stehen lassen, bis sich der Staub etwas gelegt hatte. Man konnte ja nie wissen.

Infolge der langen Zeit der Nichtnutzung hatte er seiner Maschine am Tag vor dem Start auch einen ausgedehnten Check angedeihen lassen, was kein Problem war, da sein Heimatflugplatz über eigene Wartungsmöglichkeiten verfügte. Ihm war danach von kompetenter Seite versichert worden, dass die Maschine topfit sei. Das hatte seinen eigenen Check heute Morgen vor dem Start relativ kurz ausfallen lassen.

Unter ihm teilte sich nun die Autobahn und er wusste, dass er gerade das Nürnberger Kreuz bei Feucht überflog. Er korrigierte seine Flugrichtung in Richtung Nordwest und flog entlang der A 3 Richtung Würzburg. Dort würde er allerdings die Autobahnroute verlassen und quer über den Spessart in Richtung Gelnhausen fliegen. Dort lebte Karim, sein Sohn aus erster Ehe. Was ihn dahin verschlagen hatte, war leicht zu erraten: ein Prachtweib namens Sonja. Hakim Sailer freute sich darauf, mit seinem Sohn dessen dreißigsten Geburtstag zu feiern. Er hatte in letzter Zeit nicht so viel Kontakt zu ihm gehabt, sie hatten Differenzen bezüglich der Handhabung ihrer arabischen Wurzeln.

Seine leiblichen Eltern stammten aus dem Libanon und seine deutschen Adoptiveltern hatten ihm ihren Nachnamen Sailer gegeben. Hakim Sailer war froh über seinen deutschen Familiennamen, das hatte ihm vieles erleichtert. Die Deutschen akzeptierten einen arabischen Vornamen, beim Nachnamen sah das schon anders aus. Sein Sohn dagegen war stolz auf sein arabisches Erbe. Er war auch ein Mitglied in der muslimischen Gemeinde in Hanau, etwas, was für Hakim Sailer nie in Betracht gekommen wäre. Er war ein Freigeist und seiner Meinung nach sollte jeder an das glauben, was für ihn gut war. Diesbezüglich hatte er auch mit seinem leiblichen Bruder, der in den Emiraten lebte und zu dem er stets den Kontakt aufrechterhalten hatte, so seine Diskussionen gehabt. Omar hatte seinen Sohn bestärkt, sein arabisches Erbe hochzuhalten und seinen Neffen nach Abu Dhabi eingeladen. Leider hatte ihn das zu einer noch fundamentaleren Einstellung gebracht. Aber es war gut, mal wieder miteinander zu reden.

Hakim Sailer schaute wieder aus dem Cockpit und sah vor sich die Würzburger Festung näherkommen. Sie war schon von weitem gut zu erkennen. Ein imposantes Gebäude auf einem hoch aufragenden Berg. Er änderte erneut seinen Kurs, dieses Mal auf Nordnordwest. Es war Zeit, über den Spessart zu fliegen. Er stieg leicht auf 800 Meter, so wie es sein Flugplan vorschrieb.

Nach einem erneuten Gähnen, dem dritten innerhalb der letzten zehn Minuten, fiel ihm die Thermosflasche mit dem Kaffee ein, die auf dem Sitz neben ihm lag. Der neue Techniker vom Flugplatz hatte sie ihm freundlicherweise mitgegeben. Er schraubte den Verschluss ab, drehte ihn um, goss sich ein und trank zügig. Der Kaffee tat gut, die letzte Nacht war doch sehr kurz gewesen. Er verschraubte die Flasche wieder und stellte dabei erstaunt fest, dass sie aus einem sehr leichten Material bestand. Er hatte keine Ahnung aus welchem, aber auf alle Fälle war es kein Metall.

Bevor er jedoch noch weiter darüber grübeln konnte, merkte er, wie ihm leicht schwindlig wurde. Er kniff die Augen zusammen, schüttelte seinen Kopf, aber die Benommenheit wollte nicht weichen. Er dachte erst an so etwas wie einen beginnenden Herzinfarkt, aber er hatte ja keinerlei Brustschmerzen. Ihm wurde dagegen abwechselnd heiß und kalt, seine Hände fingen an zu zittern und der Schwindel verstärkte sich. Bevor noch die Panik von ihm vollständig Besitz ergriff, wurde ihm schwarz vor den Augen. Hakim Sailer verlor das Bewusstsein.

Den Aufschlag seines Flugzeuges im Wald bei Bad Soden-Saalmünster merkte er nicht mehr.

OUVERTÜRE

Es hätte so ein schöner Tag werden können. Die milde Frühlingssonne überzog das Dreisamtal mit einem warmen Licht, die angrenzenden Berge waren dunstfrei und der nach Freiburg strömende Berufsverkehr war bereits abgeebbt. Nichts störte mehr die angenehme Stille, abgesehen von den schwachen Geräuschen der Rinder und Pferde auf den tiefer im Tal gelegenen Weiden.

Niels Werner bewunderte jedes Mal auf das Neue das sich ihm bietende Panorama. Er konnte sich glücklich schätzen, vor nunmehr gut drei Jahren diesen kleinen Bauernhof hier erstanden zu haben. Es hatte zwar ein kleines Vermögen gekostet, ihn zu renovieren, aber es hatte sich gelohnt. An der Nordseite des Schauinsland, dem Freiburger Hausberg, gelegen, konnte er wie aus einem Adlerhorst den Ausblick genießen. Egal zu welcher Jahreszeit, das Tal war jedes Mal eine Augenweide. Der liebe Gott hatte es wohl mit dem Finger auf die Landkarte gemalt.

Genau dieses Umfeld hatte er gebraucht. Eine gescheiterte Ehe und ein verlorener Job forderten ihren Tribut. Auch wenn seine Freunde ihn mit seinem Einsiedlerleben neckten, er hatte die Einsamkeit in den letzten Jahren sehr genossen. Außerdem hatte er Nicki, eine wenige Monate alte Schäferhündin, aus dem Tierheim geholt, um wenigstens eine kleine Aufgabe zu haben, und er brauchte ja auch jemanden, der ihn auf seinen langen Spaziergängen und beim Joggen begleitete. Dadurch war er so fit wie noch nie in den Jahren zuvor und Nicki hatte ebenfalls eine Metamorphose durchlaufen. Aus dem eher verschüchterten Welpen mit glanzlosem Fell war eine bildschöne Hündin geworden.

Wenigstens eine Frau, die mir zugetan ist, dachte er, hob den Tisch und trug ihn in den Schatten des Hauses, in dem Nicki schon lange lag. Die Sonne hatte im Frühling um diese Tageszeit doch eine gehörige Kraft und überzog den Hof vor seinem Haus mit einer intensiven Wärme. Der Butter auf dem Tisch bekam das nicht ganz so gut und auch sein zumindest teilweise kahler Kopf empfand die Dauerbestrahlung als nicht so angenehm. Außerdem konnte er von hier noch besser die schmale Straße einsehen, die sich am Berghang entlang zu seinem Bauernhof hochschlängelte. Er erwartete allerdings niemanden. Agathe, die treue Seele, die sein Haus in Ordnung hielt, hatte bereits gestern ihren Job erledigt und würde erst in zwei Tagen wiederkommen. Seine Briefe lagerten ohnehin in der Post in Kirchzarten. Das war allerdings in anderer Hinsicht etwas misslich. Manchmal überkam ihn doch das Bedürfnis, wieder in die Nachrichten aus der Finanzwelt einzutauchen und die Börsenzeitung zu lesen. Da eine Zeitungszustellung zu ihm viel zu aufwendig wäre, musste er sich mit dem eher oberflächlichen Fernsehen begnügen. In stillen Stunden betrachtete er dieses Verlangen nach detaillierteren Informationen als kleines Zeichen seiner Genesung. Vielleicht sollte er sich doch allmählich um einen Internetanschluss bemühen.

Der Blick auf die Straße war für ihn aber auch ohne Besucher etwas Besonderes, ja, beinahe etwas Mystisches. Sie schlängelte sich von der Abzweigung an der kleinen Kapelle um den Hof des alten Josef herum, verschwand dann teilweise im Wald, umrundete den kleinen Weiher und nahm dann schnurstracks Kurs auf sein Anwesen. Insgesamt überwand sie dabei gut rund 100 Höhenmeter und endete auf seinem Hof. Abgesehen von dem hinter dem Haus startenden Waldweg, der immer Ausgangspunkt seiner Wanderungen und Waldläufe war, war diese Straße seine Nabelschnur zur Außenwelt, seine Verbindung zu Verwandten und Freunden in Freiburg. Weiter weg hatte er sich in den letzten Jahren kaum bewegt.

Niels Werner stand auf, ging ins Haus und goss sich in der Küche noch einmal Kaffee in seinen Becher. Er liebte seine kreisrunde offene Küche, die ihm ein befreundeter Schreiner aus Frankfurt raffiniert in die Mitte seines Hauses gebaut hatte. Vorher war allerdings das gesamte Haus nahezu entkernt worden. Nun gruppierten sich alle Räume um diesen zentralen Kreis. Auf der Talseite Wohn- und Esszimmer, zum Garten im Westen hin sein Arbeitszimmer, auf der gegenüberliegenden Hofseite seine Lese- und Fernsehecke und auf der Bergseite die zwei Durchgänge zum hinteren Teil des Hauses. Dort befanden sich sein Schlafzimmer mit Bad und begehbarem Kleiderschrank sowie ein separates Gästezimmer mit Dusche und WC. Unterhalb dieser Ebene des täglichen Lebens befanden sich Garage, Waschküche, zwei große Lagerräume und seine Werkstatt, in der er mit den von seinem Schreiner erlernten Fertigkeiten des Öfteren schreinerte. Der Tisch und die beiden Bänke auf dem Hof waren auf diese Weise entstanden.

Bei seiner Rückkehr in den Hof fiel Ihm bei der weit entfernten Kapelle eine Bewegung auf. Das Modell konnte er zwar nicht erkennen, aber offensichtlich stoppte ein Auto an der Abzweigung. Vermutlich hatte sich mal wieder ein Tourist verfahren oder von seinem Navigationsgerät in die Irre leiten lassen. Nach kurzer Zeit setzte der Wagen seine Fahrt fort, bog aber in seine Straße ein. Beim Hof des alten Josef stoppte der Fahrer kurz und redete offenbar durch das offene Fenster mit Gerda, Josefs Frau, die sich im Gemüsegarten zu schaffen machte.

Na, dachte Niels Werner, der wird ja seine Freude haben, die Frau ist doch fast stocktaub. Zu seiner Überraschung bekam der Fahrer aber offensichtlich die Antwort, die er wollte, denn danach setzte das Auto in Richtung seines Refugiums seine Fahrt fort. Allerdings gab der Fahrer beim Anfahren zu viel Gas und wirbelte eine gehörige Staubwolke auf, die die Tiere auf Josefs Koppel einnebelte. Und natürlich kam Josef gerade aus dem Stall und regte sich mächtig auf.

Da ist wohl das letzte Wörtchen noch nicht gesprochen, grinste Niels Werner vor sich hin. Bevor der Wagen von den Bäumen teilweise verdeckt wurde, sah er, dass es eine Limousine war, schwarz und mit getönten Scheiben. Das Auto war zwar noch zu weit weg, aber wenn er wetten sollte, würde er auf ein Frankfurter Kennzeichen setzen.

Er seufzte tief und ging erneut ins Haus, um einen weiteren Kaffeebecher und ein Gedeck zu holen. Das war es dann ja wohl mit dem schönen Tag. Wenn er sich nicht sehr täuschte, kam da ein Teil seiner Vergangenheit angefahren. Wie zum Teufel hatten sie bloß seine Adresse herausbekommen? Ach ja, natürlich, bei der Scheidung im letzten Jahr musste er seinen Wohnort angeben. Sie hatten wohl einfach nur Karin angerufen und seine Ex-Frau hatte nur zu bereitwillig Auskunft gegeben, allein, um ihm eins auszuwischen. Als die Limousine den Weiher umrundet hatte, wurde aus seiner Vermutung Gewissheit, diesen Wagen kannte er nur zu gut. Er hatte selbst schon öfter, als ihm im Nachhinein lieb war, dringesessen.

Langsam rollte der Wagen auf seinen Hof, stoppte und der Fahrer stieg aus.

»Guten Tag, Herr Werner, wie geht es Ihnen?«

Ohne die Antwort abzuwarten, Niels Werner machte sich allerdings auch gar nicht erst die Mühe zu antworten, öffnete er die hintere Wagentür. Der Mann, der ausstieg, sah wie immer aus wie aus dem Ei gepellt, obwohl er doch mindestens zwei bis zweieinhalb Stunden im Auto gesessen haben musste. Mittelgroß, sorgfältig gescheiteltes, gegeltes und, wie er wusste, gefärbtes Haar, dunkelblauer Maßanzug aus feinster italienischer Wolle, handgefertigte Schuhe und eine kunstvoll gebundene Krawatte. Die Manschetten des Maßhemdes, in die, wie er ebenfalls wusste, ein Monogramm mit den Buchstaben GB eingestickt war, hatten gerade die richtige Länge und lugten perfekt unter den Anzugsärmeln hervor. Das Brusttuch in der Brusttasche war makellos gefaltet, sein Muster war selbstverständlich auf die Krawatte abgestimmt.

Stets leicht gebräunt und mit einem gewinnenden Lächeln auf den Lippen war Gerd Brauner, der Chef der Meinebank, einer der großen deutschen Banken, der Inbegriff des sympathischen und erfolgreichen Bankiers. Niels Werner wusste aber, dass unter der perfekten und sympathischen Schale ein eisenharter Kern steckte. Gerd Brauner konnte notfalls auch ein perfides Schwein sein, das über Leichen ging. Unter anderem hatte er es ja am eigenen Leib zu spüren bekommen.

Die beiden Männer sahen sich schweigend an, keiner wusste so recht, wie sie die drei Jahre Funkstille zwischen ihnen überwinden sollten. Niels Werner brach nach einem erneuten tiefen Seufzer schließlich den Bann.

»Tu mir das nicht an. Steig einfach wieder in deinen Wagen und fahre nach Frankfurt zurück.«

Gerd Brauner bewegte sich, aufgrund einer alten Sportverletzung leicht hinkend, mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.

»Hallo Niels, ich freue mich auch, dich zu sehen. Es ist schließlich eine Ewigkeit her.«

Zögerlich ergriff Niels Werner die Hand.

»Ach ja, und an wem liegt das? Wenn ich mich recht entsinne, hast du ja für das Ende des Kontaktes zwischen uns gesorgt, und zwar auf ziemlich unverblümte Art und Weise.«

»Du willst doch wohl keine alten Geschichten aufwärmen. Ich kann ja nichts dafür, dass du dich hier in der Einöde vergraben hast. Wenn du in Frankfurt geblieben wärst, hätten wir uns sicher schon viel früher gesehen. Obwohl ich ja zugeben muss, dass du dir schon ein hübsches Fleckchen Erde ausgesucht hast.« Gerd Brauner sah sich anerkennend um. »Obwohl, na also, ich finde, das ist andererseits schon ein wenig arg weit vom Schuss hier«, und mit einem entschuldigenden Grinsen, »ich bin übrigens immer noch eine Kaffeetante, Niels.«

Ja, dachte Niels Werner, der Kaffeekonsum von Gerd Brauner war schon in ihrer gemeinsamen Zeit an der Uni in Freiburg legendär gewesen. Wann immer man ihn gesucht hatte, fündig wurde man stets am Kaffeeautomaten in der Cafeteria.

»Schon verstanden. Ich hatte den Kaffeebecher für dich bereits geholt, als du noch von deinem famosen Herrn Leist um den Weiher kutschiert wurdest. Nimmst du immer noch zu viel Zucker?«

»Stark und süß, so habe ich es immer gehalten, obwohl es meinem Vorhofflimmern gar nicht guttut. Mein Kardiologe ist alles andere als begeistert. Wieso magst du eigentlich meinen Fahrer nicht? Du hast schon früher ständig auf ihm herumgehackt.«

»Er ist nicht nur dein Fahrer, sondern erledigt auch noch andere Dinge für dich, Dinge, über die man besser nicht spricht und die ich im Detail gar nicht wissen will«, Niels Werners Stimme bekam einen leicht aggressiven Unterton. »Außerdem hat er mich beinahe mal frontal einen LKW küssen lassen. Für einen Berufsfahrer ein absolutes Unding. Was dein Vorhofflimmern angeht, dazu haben ja wohl in größerem Maß andere Faktoren beigetragen, wie Arbeit, Stress, Frauen, Alkohol, renitente Aufsichtsräte, die nicht immer nach deiner Pfeife tanzen, und, nicht zu vergessen, unangenehme Fragen stellende Aufsichtsbehörden.«

Gerd Brauner ließ sich Zeit mit der Antwort, schlürfte hörbar seinen eigentlich noch zu heißen Kaffee und betrachtete seinen alten Studienfreund nachdenklich. Er sah gut aus, der Kerl. Das sich zu seinen aktiven Zeiten bei der Meinebank abzeichnende Doppelkinn war verschwunden, ebenso das von vielen Geschäftsessen zeugende Bäuchlein. Vor ihm saßen mit maximal 95 Kilo austrainierte 1,90 Meter. Körperlich war Niels Werner offenbar topfit, über die mentale Verfassung konnte er nur Vermutungen anstellen, aber das würde sich ja im Verlauf ihres Gespräches feststellen lassen.

»Niels, du hast gut reden. Du bist ja seit drei Jahren raus aus der Mühle und konntest dich hier bestens erholen.«

»Pass auf, mein Lieber, du betrittst gerade vermintes Gelände.«

»Na ja, sorry, aber du bist doch dabei ganz gut gefahren, hast eine Stange Geld bekommen und dir hier ein nettes Heim geschaffen. Es gibt ja wohl schlimmere Schicksale.«

Insgeheim nickte Niels Werner zustimmend. Ja, er war zwar von ihm ziemlich rüde aus der Meinebank entfernt worden, aber immerhin wurde der erzwungene Ruhestand mit viel Geld vergoldet.

Obwohl er ihn wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen hatte, war Gerd in dieser Hinsicht doch großzügig gewesen. Nicht ohne Grund, selbstverständlich, denn er hatte viel über die Geschäftspraktiken gewusst, und das in allen Einzelheiten. Dem guten Gerd konnte keinesfalls daran gelegen sein, dass diese Informationen irgendwie den Weg in die Öffentlichkeit oder zu den Aufsichtsbehörden fanden. Die pragmatische Lösung hieß, entsprechend den Usancen der Finanzbranche; Schweigegeld. Und davon hatte er reichlich profitiert.

»Na ja, so ganz unrecht hast du da wohl nicht. Das bringt mich allerdings zu der Frage, welcher Grund dich hier in meine bescheidene Hütte treibt. So, wie ich dich kenne, muss es ja schon etwas Besonderes sein. Und wage ja nicht, mir irgendwelche Märchen aufzubinden, ich weiß noch immer, wann du lügst.«

Die Hündin wurde langsam unruhig, stupste ihn mit der Schnauze an und wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz. Es war Zeit für ihren Ausgang. Niels kraulte ihr kurz den Kopf.

»Nicki, geh dich allein amüsieren, ich werde hier wohl noch eine Zeitlang unabkömmlich sein. Also sei ein braves Mädchen und geh zum Weiher, aber nicht weiter. Die Katze vom Josef wird heute in Ruhe gelassen, das letzte Mal hat es mich eine Flasche Rotwein gekostet, um ihn wieder zu versöhnen.«

Brauner sah der Hündin nach, als sie sich Richtung Weiher trollte. »Soso, du bist also auf den Hund gekommen, das passt zu dir und deinem Ambiente hier. Du hast ja schon immer zwischen Schlips und Trapper geschwankt. Apropos auf den Hund kommen … ich könnte etwas zum Beißen vertragen, mein Frühstück ist schon lange her und mein Fahrer, auch wenn du ihn nicht leiden kannst, hätte gegen einen Kaffee auch nichts einzuwenden.«

»Der hat sich aber gerade in die Büsche geschlagen. Bevor ich hier irgendetwas für dein leibliches Wohl tue, mein lieber Gerd, will ich erst einmal wissen, wieso du hier unaufgefordert aufkreuzt. Falls es dir nicht klar ist, du bist hier nicht willkommen. Was zum Teufel willst du von mir?«

Brauner sah ihn direkt an. »Ich will dich ins Leben zurückholen.«

»Lächerlich, mir geht es doch gut hier.«

»Niels, das meinst du nur. Gib mir die Gelegenheit, es dir zu erklären. Aber zuerst brauche ich einen Kaffee und was zu beißen.« Widerwillig bewegte sich Niels in Richtung Haus. »Also schön, ich brühe eine neue Kanne auf und irgendetwas zu beißen werde ich auch noch auftreiben. Bleib du schön hier, ins Haus bitte ich dich erst, wenn ich weiß, welche Schweinerei du diesmal vorhast.«

Während Niels Werner im Haus verschwand, war Gerd Brauner versucht, sich an die aus dicken Holzbohlen bestehende Hauswand zu lehnen, unterließ es aber mit Rücksicht auf seinen teuren Anzug. Die Gefahr, dass der mit Harz verschmiert wurde, war ihm einfach zu groß. Samuel Leist, sein Fahrer war in der Tat im Wald verschwunden und ein Blick auf den Weiher sagte ihm, dass Nicki sich sehr wohl allein amüsieren konnte. Er studierte aufmerksam die unmittelbare Umgebung.

Das Haus stand auf einer Art Plateau und war solide aus Holz gebaut und offenbar in einem guten Zustand. Am Südhang des Dreisamtals gelegen, war der Hof zwar nach Norden ausgerichtet, die Sonne beschien allerdings bereits um diese Tageszeit rund die Hälfte des Platzes. Ein großer Garten mit einem Grillplatz grenzte an den Waldrain in unmittelbarer Nähe. Im Westen verdichtete sich das Tal zu einem Nadelöhr, hinter dem das wunderschöne Freiburg lag. Wie fast immer wies diese Stelle eine Dunstglocke auf.

Das Klappern der Haustür holte ihn in die Gegenwart zurück, Niels Werner hatte ein knapp bemessenes Frühstück mit Käse, Schinken und Marmelade auf einem Tablett arrangiert und stellte dieses auf den Tisch.

Gerd Brauner realisierte plötzlich, wie hungrig er doch war, das Croissant im Auto heute Morgen war zu wenig gewesen, um bis zum Mittag vorzuhalten. Beide Männer musterten sich gegenseitig, während sie aßen. Gerd Brauner brach schließlich das Schweigen.

»Du hast es wirklich schön hier, aber ist dir das auf die Dauer nicht zu langweilig?«

Niels Werner sah ihn lange an, seine grünen Augen verrieten nichts von seiner inneren Anspannung. Sogar seine Stimme klang neutral, als er sagte: »Ich habe mich schon gefragt, wann du endlich zur Sache kommst. Du willst doch etwas von mir. Andernfalls wärst du niemals hier aufgetaucht.«

Gerd Brauner hatte lange überlegt, wie er taktisch vorgehen sollte, aber nun entschied er sich für den direkten Weg, den Frontalangriff.

»Ich will die Wertebank kaufen.«

Zischend ließ Niels Werner die Luft entweichen.

»Nee, Gerd, die Wertebank ist so groß wie die Meinebank. Bist du sicher, dass du das stemmen kannst? Der Chef dort ist doch, wenn ich noch richtig informiert bin, Peter Nehmer. Der wird das nie freiwillig zulassen. Du kennst ihn doch, er hält sich selbst für den größten Banker unter der Sonne. Der wird dich nie als den Primus inter Pares akzeptieren, geschweige denn als Chef.«

»Natürlich, freiwillig macht der nie mit. Die Übernahme der Wertebank kann nur unfreundlich klappen. Ich werde also Stück für Stück klammheimlich Aktien sammeln, bis ich ein fettes Paket zusammen habe und ihn dann vor vollendete Tatsachen stellen. Die Börsenkapitalisierung der Bank liegt bei rund 35 Milliarden, aber ich brauche ja nur ein Viertel davon. Mit 25% kann ich alle strategischen Entscheidungen im Aufsichtsrat blockieren denn für diese schreibt ja, wie du weißt, das Aktienrecht 75% Zustimmung des Aufsichtsrates und/oder der Hauptversammlung vor. Er muss sich also mit mir ins Benehmen setzen. Natürlich werde ich das über Strohfirmen machen, ich habe ja keine Lust, für die restlichen Aktionäre ein Übernahmeangebot abzugeben, wozu ich andernfalls verpflichtet wäre.«

»Gerd, du weißt doch ganz genau, was eine Bankenfusion bedeutet. Du hast erst einmal nur Kosten, IT-Integration, nachlassende Produktivität durch verunsicherte Mitarbeiter, die nur noch Papiere schreiben, um zu demonstrieren, wie wichtig sie sind. Du hast für nahezu jede Position zwei Bewerber und die Betriebsräte wissen ganz genau, dass mit Entlassungen zu rechnen ist und werden dir das Leben schwermachen oder finanzielle Zugeständnisse abverlangen. Nichts als Ärger und Unruhe in beiden Häusern. Und das alles ohne einen einzigen Neukunden. Und obendrein kämpfst du noch mit zwei unterschiedlichen Standorten. Frankfurt und München, das passt nicht zusammen, die Mentalitäten der Menschen sind zu unterschiedlich. Du hast doch momentan bei der Meinebank – so wie ich das sehe – die optimale Betriebsgröße. Sicher, nach der Fusion würdest du die mit Abstand größte deutsche Bank leiten. Aber Größe bedeutet nicht automatisch, dass du auch besser bist. Ich persönlich glaube eher an kleinere Unternehmen. Sie sind dichter am Kunden und im Zweifelsfall auch flexibler, da die Entscheidungswege kürzer sind.«

Niels Werner kraulte der zurückgekehrten Nicki den Kopf. Gerd Brauner schenkte sich erst einmal Kaffee nach, ehe er antwortete.

»Du hast mit allem Recht, was du sagst. Aber du weißt doch selbst, wie das ist. Heutzutage bist du zur Größe verdammt. Friss oder du wirst gefressen. Wenn bei einer anderen Bank zu Recht oder zu Unrecht der Börsenwert höher ist, dann macht diese Bank eben eine Kapitalerhöhung und benutzt das neue Eigenkapital, um dich aufzukaufen. Niels, das Haifischbecken da draußen ist noch brutaler geworden in den letzten drei Jahren. Da wachst du eines Morgens auf und ein Anderer hat auf einmal das Sagen. Er übernimmt deine Bank, schlachtet sie aus und das war‘s dann. Nein, mein Lieber, da bin ich schon lieber derjenige, der bestimmt, wo es langgeht.«

»Na gut, das ist natürlich auch eine Überlegung wert. Letztendlich musst du ja wissen was du willst. Ich verstehe nur nicht, was zum Teufel das Ganze eigentlich mit mir zu tun hat?«

Gerd Brauner füllte, um Zeit zu gewinnen, erst einmal einen weiteren Becher mit Kaffee und brachte ihn seinem inzwischen zum Auto zurückgekehrten Fahrer. Er nutzte dabei die Tatsache aus, dass Niels Werner noch zu sehr mit dem soeben Gehörten beschäftigt war, um zu protestieren. Er hatte lange überlegt, wie er vorgehen sollte, und erneut entschied sich Gerd Brauner, nachdem er an den Tisch zurückgekehrt war, für den Frontalangriff.

»Du sollst mein trojanisches Pferd sein.«

Die Stille, die nun folgte, war total. Niels Werner verstand natürlich sofort, was Gerd Brauner meinte und war innerlich geschockt. Da verlangte sein Gegenüber vor über drei Jahren von ihm etwas, nach juristischen Regeln, nicht Korrektes zu tun, schmiss ihn nach seiner Weigerung aus der Bank raus, um nun – als sei nichts geschehen – seelenruhig erneut etwas, zumindest unter menschlichen Aspekten, Halbseidenes vorzuschlagen. Sich von der Wertebank anheuern zu lassen, aber in Wirklichkeit für die Meinebank zu spionieren, konnte man ja wohl kaum als besonders anständig bezeichnen. Wobei die Idee an sich ja schon etwas Bestechendes, ja eigentlich etwas Brillantes gehabt hatte.

»Ich glaube, ich brauche jetzt erst einmal ein Bier, du auch?«

Nach dem Nicken von Gerd Brauner stand Niels Werner auf, ging in den Keller und kehrte mit zwei kleinen Flaschen des nicht weit entfernt gebrauten Ratsherrenpils zurück. Nach dem ersten tiefen Schluck ergriff Gerd Brauner die Gelegenheit seinen Plan näher zu erläutern. Er wusste, jetzt musste er am Ball bleiben, Niels Werner hatte offensichtlich Sympathie für seine Idee, zumindest lehnte er sie nicht rundheraus ab.

»Niels, so eine Bankenfusion muss, wenn sie erfolgreich sein soll, von langer Hand geplant werden. Du selbst hast darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, bei einer Fusion möglichst schnell die Spreu vom Weizen zu trennen. Es ist essentiell, die Interna der anderen Bank zu kennen, bis in die kleinsten Verästelungen hinein. Das hilft enorm, die Weichen sofort richtig zu stellen, vor allem in Bezug auf das Top- und Mittelmanagement. Keine langwierigen Auswahlprozesse, keine zeitraubenden Abstimmungsrunden, keine nervenaufreibenden Diskussionen.

Wenn du in der Lage bist, schnell und präzise zu entscheiden, ist die Schlacht schon halb gewonnen. Und genau dafür brauche ich dich. Bitte no hard feelings wegen der Vergangenheit, ich musste damals so handeln. Du kennst die Gesetze der Branche genauso gut wie ich und weißt das auch. Ich kenne niemanden sonst, der dein untrügliches Gespür für aufgeblasene Angeber im Management hat und der operative Prozesse so messerscharf analysiert. Und, und das wird dich vielleicht überraschen, ich vertraue immer noch total deinem Urteilsvermögen.«

Niels Werner trank mit einem Rutsch sein Bier leer. Die Worte von Gerd Brauner waren, das musste er sich eingestehen, Balsam für seine Seele. Und außerdem war ihm klar, dass seine finanziellen Mittel so allmählich mal wieder eine Aufbesserung gebrauchen könnten. Die Renovierung des Berghofes hatte Unsummen verschlungen und auch seine Scheidung hatte erhebliche Kosten mit sich gebracht. Die gute Karin hatte sich von ihm fürstlich abfinden lassen.

»Das wäre ja mal etwas Neues, ein Job als Spion, oder sollte ich vielleicht sagen als menschliches Schwein. So ganz anständig ist das nicht, mein Lieber. Wie willst du mich denn, im Falle des Falles, überhaupt in die Wertebank einschleusen?«

»Die Wertebank sondiert derzeit den Markt, um einen neuen Leiter Asset Management zu finden, nachdem Hakim Sailer neulich mit seinem Flugzeug tödlich verunglückt ist.« Gerd Brauner hob abwehrend die Hand: »Frag mich nicht, ich weiß es eben. Also, wenn dort dein Name platziert wird, werden die schon auf die Idee kommen, dich zu fragen. Anfangs musst du dich natürlich zieren, aber am Ende lässt du dich weichklopfen. Du wirst dann circa sechs bis zwölf Monate Zeit haben, den Laden zu studieren und wenn ich zur Tat schreite, kannst du mich hoffentlich mit unschätzbaren Informationen versorgen und mir dadurch helfen, schneller die unternehmerischen Ziele zu erreichen.«

»Dann habe ich ja nur noch zwei Fragen. Erstens: Wer platziert dort meinen Namen? Und zweitens: Warum soll ich das überhaupt tun? Mir geht es doch gut hier.«

»Ich glaube, du machst dir da etwas vor. Sicher, es geht dir gut. Aber wenn du ehrlich mit dir selbst bist, dann ist das doch hier auf Dauer für dich zu langweilig. Du bist gerade mal 50 Jahre alt, viel zu jung, um dich für alle Zeiten auf das Altenteil zurückzuziehen. Außerdem schätze ich, dein Bankkonto könnte auch mal wieder eine Auffrischung gebrauchen. Du hast eine dreijährige Auszeit hinter dir, die dir sicher gutgetan hat, aber im Grunde vermisst du doch den Gefechtslärm. Du hast nicht vergessen, wie es ist, wenn du morgens dein Büro betrittst und nicht weißt, was der Tag bringen wird. Wie es ist, wenn du kurzfristig schwerwiegende Entscheidungen treffen musst, die über Wohl und Wehe deiner Anlagestrategie und damit das Anlageergebnis deiner Kunden entscheiden. Wenn deine Mitarbeiter an deinen Lippen kleben und auf den leisesten Wink von dir reagieren. Wenn das von dir investierte oder desinvestierte Geld das Schicksal selbst großer Unternehmen bestimmt. Wenn du tage-, ja manchmal monatelang innerlich zittern musst, ob deine Entscheidungen sich als richtig herausstellen. Oder wenn du um den Globus herumreist und in den Metropolen der Welt die aufregendsten Persönlichkeiten triffst. Das ist Sauerstoff pur, mein Freund, das ist wie eine Droge, und du hast sie immer noch in dir. Und außerdem, wenn das alles so klappt, wie ich es mir vorstelle, mache ich dich zu einem der Vorstände der dann größten deutschen Bank und du kannst dir deinen Verantwortungsbereich selbst aussuchen. Zu deiner ersten Frage, wer deinen Namen ins Spiel bringt, kann ich dir nur sagen, dass ich da so meine Verbindungen habe, und die werden schon dafür sorgen, dass du zum Zug kommst. Außerdem ist deine Reputation immer noch riesengroß.«

Der gewiefte Brauner lehnte sich zufrieden zurück, er hatte wohl den richtigen Ton gefunden. Jetzt bloß keinen Druck aufbauen, lass ihm Zeit, darüber in Ruhe nachzudenken. Er war sich sicher, dass der Fisch schon an der Angel saß, zumindest war er kurz vorm zuschnappen. Das wäre auch kein Wunder angesichts der, wie ihm sein hiesiger Informant gesteckt hatte, drohenden Ebbe in Niels Finanzen. Es war jetzt Zeit für einen Themenwechsel, um eine entspanntere Atmosphäre zu schaffen und seine Verabschiedung vorzubereiten.

»Darf man hier bei dir eigentlich rauchen?«, fragte Brauner

»Solange du das hier draußen machst und mir nicht den Rauch in das Gesicht bläst, habe ich damit kein Problem. Ich selbst habe damit vor einem Jahr aufgehört.«

»Na gut, ich kann auch auf der Rückfahrt eine schmauchen. Darf ich mal deine Toilette benutzen?«

Niels Werner nickte.

»Wenn du ins Haus gehst, findest du gleich rechts die Gästetoilette.«

Nach seiner Rückkehr reckte und streckte sich Gerd Brauner, gut vier Stunden sitzen hatten seine Muskeln sich leicht verkrampfen lassen und auch die mentale Anspannung wurde dadurch gelockert.

»Niels, ich werde mich jetzt wieder Richtung Frankfurt begeben. Denke in Ruhe über meinen Vorschlag nach, und bitte wegen der anderen Sache keine hard feelings. Ich habe dich immer sehr geschätzt und tue das noch immer. Aber ich musste damals alles unternehmen, um die Bank zu retten und ich konnte deine Weigerung, unsere Wandelanleihe in deine Fonds reinzukaufen und mir so aus der Liquiditätsklemme zu helfen, nicht akzeptieren, und vor allem durfte ich sie nicht tolerieren. Es stand einfach zu viel auf dem Spiel. Dein Nachfolger hatte übrigens weniger Skrupel, er ließ seine Fonds zumindest einen Teil der Anleihe erwerben und hat diese Anteile später mit einem satten Gewinn wieder abgestoßen.«

»Ja, weil irgendein Idiot ganz wild darauf war, aus welchen Gründen auch immer, diese Wandelanleihe komplett zu erwerben. Mein lieber Gerd, ich hätte zu diesem Thema noch einiges zu sagen, aber für heute lassen wir es mal gut sein. Nur so viel, die Aufsichtsbehörden verbieten genau das, und mein Nachfolger kann froh sein, dass damals in der Finanzkrise sowieso alles drunter und drüber ging. Diese ganze Geschichte hat mich allerdings gelehrt, im Umgang mit dir etwas vorsichtiger zu sein, und von daher würde ich schon gern wissen, welche Garantien ich habe, dass du dich an zwischen uns beiden getroffene Abmachungen hältst. Da kannst du ja mal darüber nachdenken. Ich gebe jedenfalls zu, dass deine Idee etwas Bestechendes hat, aber wenn ich erfolgreich diese Rolle spielen soll, dann brauche ich einen Airbag, nur für den Fall, dass die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. Also bitte, erstens: wie ist sichergestellt, dass ich Vorstand der fusionierten Bank werde? Zweitens: wie sieht mein Sicherheitsnetz aus, wenn aus irgendeinem Grund die Fusion nicht zustande kommt?«

»Du wirst bei der ganzen Aktion nicht zu kurz kommen, aber bitte schön, ich lasse mir etwas einfallen und werde dir einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Und jetzt muss ich wirklich los.«

Gerd Brauner gab seinem Fahrer ein Zeichen, den Motor zu starten, schüttelte Niels Werner die Hand und ging gerade in Richtung Limousine los, als ihn dessen Stimme einholte.

»Mein Gedächtnis ist ja nicht mehr das Beste, aber ist nicht vor vielen Jahren unsere Unischönheit Claire Dubois zur Wertebank gegangen, um dort im Mittelstandsbereich zu arbeiten?«

Gerd Brauner drehte sich abrupt um und konnte nicht verhindern, dass ihm die Röte in das Gesicht stieg, als er dünnlippig, mit gepresster Stimme antwortete: »Soweit ich informiert bin, ist sie dort nicht mehr aktiv tätig. Ich habe aber auch schon ewig keinen Kontakt mit ihr.«

Mit diesen Worten stieg er in seinen Wagen, winkte noch kurz, als sein Fahrer das Fahrzeug wendete und die Abfahrt zum Weiher in Angriff nahm. Er ließ einen nachdenklichen Niels Werner zurück. Soso, da habe ich ja einen Nerv getroffen. Die Frage nach Claire hat den Meister etwas aus dem Gleichgewicht gebracht und bei der Beantwortung meiner Frage hat er sich an die Nase gefasst. Das macht er immer, wenn er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt. Das wäre vielleicht wert, hinterfragt zu werden.

Schließlich hatte Brauner ziemlich nebulös von seinen Verbindungen fabuliert und er war extrem gut über Interna der Wertebank informiert gewesen. Da konnte vielleicht jemand, den er sehr gut kannte, zur Aufklärung beitragen. Und außerdem hatte beim Gespräch über die seinerzeitige Wandelanleihe etwas in seinem Hirn gezwickt. Er konnte noch nicht den Finger darauflegen, aber vielleicht würde auch diesbezüglich ein Gespräch mit Gabi helfen.

Er griff zum Telefon, rief seine Studienfreundin an, die gerade von einem Kundentermin zurückkam und verabredete sich mit ihr für den Abend in Freiburg. Wenn jemand etwas über den Verbleib von Claire wusste, dann war es sie. An der Uni hatten die beiden regen und freundschaftlichen Kontakt zueinander, nicht zuletzt, weil Gabi fließend französisch sprach.

Claire hatte zwar in Ihrer Jugend im Elsass Deutsch gelernt, aber mit Gabi konnte sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten. In Gedanken sah er die Französin vor sich, ihr gelocktes schwarzes Haar und ihren wohlgeformten Körper. Bei dem Gedanken an sie wurde er ganz unruhig, schon an der Universität waren alle männlichen Kommilitonen auf der Jagd nach ihr. Aber Claire hatte es geschafft, ihr Sexualleben weitgehend geheim zu halten.

Es war wohl allmählich an der Zeit, sich abzulenken. Er zog seinen Jogginganzug an, rief seinen bereits erwartungsvoll mit dem Schwanz wedelnden Hund und startete seine übliche Runde, die ihn am Segelflugplatz in Kirchzarten vorbei bis nach Burg führen würde. Er war heute spät dran und es war schon ungemütlich warm. Aber trotzdem würde er vermutlich seinen Parcours zweimal durchlaufen. Er brauchte nach diesem Treffen jede Menge Sauerstoff.

Bevor er loslief, stellte er nach einem Blick in das Tal fest, dass Josef mit seinem Trecker die Straße blockiert hatte und die Insassen des Frankfurter Autos heftig gestikulierend offenbar beschimpfte. Niels Werner grinste in sich hinein und nahm seine Runde in Angriff. Er würde auf dem Rückweg mal beim Josef verbeijoggen und ganz unschuldig nach dem Inhalt der offensichtlich lebhaften Diskussion fragen.

Und danach würde er mit seinem Handy Claire Dubois googeln. Vielleicht wusste ja die Datensuchmaschine etwas über sie.

RANDBEDINGUNG

Nachdem seine Sekretärin, sich wie immer in den Hüften wiegend, als letzte seiner Mitarbeiter die Büroräume verlassen hatte, lehnte sich Heinz Kolinski erschöpft in seinen Schreibtischsessel zurück. Dieser Tag hatte ihn vollends geschafft. Daran waren vor allem die Kandidatengespräche für die Wertebank schuld. Keiner der vermeintlich großen Namen hatte gehalten, was er versprach. Nach den ersten gezielten Fragen wurde schnell deutlich, dass nach wohlklingenden Tönen und wohlformulierten Sätzen am Anfang bei tiefergehenden Fragen, zum Beispiel nach den verschiedenen Möglichkeiten von Portfoliokonstruktionen, sehr wenig geboten werden konnte. Eigentlich schon erstaunlich, wie wenig Sachverstand im Detail die Damen und Herren hatten.

Wenn er, Heinz Kolinski, mit seinen wenigen Fachkenntnissen diese sogenannten Fachleute schon zum Stottern bringen konnte, wie sollte es dann bloß werden, wenn die mal mit wirklichen Problemen konfrontiert wurden? Bei dem Gedanken, dass die gleichen Personen bei ihren jeweiligen Arbeitgebern die Gelder ihrer dortigen Kunden verwalteten und damit über die Verzinsung derselben entschieden, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Und dann hatten sie auch noch völlig überzogene Vorstellungen in Bezug auf Gehälter und sonstige Incentives. Da war nicht einer, der wenigstens eine gewisse Klasse, beziehungsweise Persönlichkeit sowie überzeugende Pläne und Vorstellungen aufwies. Die einzige Frau unter den Kandidaten hatte außer einer bemerkenswerten Figur auch nichts zu bieten.

Alles nur Jasager, die mehr Zeit damit verbringen würden, ihren Posten zu sichern, als Performance für ihre Kunden und damit für ihre Bank zu machen. Der letzte war ja die Krönung gewesen, behauptete er doch, das Examen als Chartered Financial Analyst in Amerika erfolgreich absolviert zu haben, wusste aber nicht genau, wo er die entsprechende Unterlage aufbewahrte. Das hieß im Klartext, er führte zwar den Titel CFA auf seiner Visitenkarte, konnte diesen aber nicht belegen. Das war genauso, als wenn er, Heinz Kolinski, sich ein Diplom genehmigen würde, aber das entsprechende Dokument nicht vorlegen könnte.

Wo war diese Branche nur hingekommen? Von diesen Damen und Herren konnte er doch allen Ernstes niemanden seinem Exklusivkunden, der erstklassigen Service erwartete, anbieten. Er öffnete die große Schiebetür, die zu seinem kleinen Balkon führte, und trat hinaus in den lauen Frühlingsnachmittag. Die Sonne war zwar schon weiter Richtung Westen gewandert, so dass der gesamte Balkon im Schatten lag, aber es war immer noch sehr angenehm warm. Die umliegenden Hochhäuser hatten tagsüber die Sonnenwärme gespeichert und gaben diese nun wieder an ihre Umgebung ab. Er zündete sich seine Feierabendzigarette an und schaute durch den aus seiner Lunge entweichenden Rauch über die Straße hinüber in den kleinen Park, in dem einige Jugendliche auf einem Phantasiespielfeld Fußball spielten. Er musste beim Betrachten ihrer teils ungelenken Anstrengungen ein wenig an seine eigene Jugend denken, wandte dann aber wieder seine Gedanken seinen Kandidatengesprächen zu.

Rückblickend sah man ja bekanntlich immer klarer. Im Kern musste er sich eingestehen, dass seine Vorauswahl an potentiell für den Job bei der Wertebank in Frage kommenden Personen alles andere als optimal gewesen war. Aber war derzeit überhaupt jemand verfügbar, der den Posten ausfüllen konnte? Heinz Kolinski hatte diesbezüglich momentan überhaupt keine zündende Idee.

Und dann war da noch seine nervende Frau. Musste die doch ausgerechnet heute mitten in den Kandidatengesprächen bei ihm anrufen und ihm die Hölle heiß machen. Sie wollte endlich ihr neues Auto bestellen. Natürlich durfte es nur das Beste vom Besten sein und noch dazu ein Cabriolet. Ein Cabriolet in Deutschland, bei dem notorisch schlechten Wetter, und mit den Gestank verbreitenden endlosen LKW-Schlangen. Innerlich wettete er mit sich selbst, dass sie das Verdeck die meiste Zeit geschlossen haben würde angesichts ihres extrem feinen Geruchssinns, der ihn schon des Öfteren bei anderen Gelegenheiten zum Wahnsinn getrieben hatte. Aber es muss ja ein Cabrio sein.

Und das war noch nicht alles. Die Nachbarn in Kronberg hatten letztes Jahr ein Haus in Downtown Naples in Florida gekauft und dabei schlanke vier Millionen Dollar hingeblättert. Jetzt musste Madam natürlich auch so einen Kasten an der Golfküste haben, nur größer und in einer noch besseren Lage. Das würde, wenn er darauf einginge, grob geschätzt mindestens sechs Millionen kosten.

Hatte diese Frau überhaupt eine Ahnung, wieviel Geld er erst einmal zur Abdeckung der Kosten für seine Personalberatungsfirma verdienen musste? Er hatte sechs Angestellte, die am Ende des Monats ihren Lohn wollten und die Miete für seine repräsentativen Geschäftsräume in der Guiolettstraße im Frankfurter Westend war auch nicht gerade niedrig. Er hatte des Öfteren mit der Idee geliebäugelt, an eine preiswertere Adresse zu wechseln, sich aber immer wieder dagegen entschieden. Die Büros waren wie speziell für seine Bedürfnisse zugeschnitten, der kleine, eine gemütliche Atmosphäre verbreitende Empfangsraum, die hellen Besprechungsräume, der zentral gelegene Raum mit den zwei Sekretärinnen, die daran angrenzenden großzügigen Büros und die Duschmöglichkeit in den sanitären Einrichtungen.

Sie hatte insbesondere nach seinen Wochenendtrips nach London einen unschätzbaren Wert, er brauchte dadurch erst am Montagmorgen nach Frankfurt zurückzufliegen, konnte direkt ins Büro gehen und eventuelle verdächtige Parfumüberreste waren nach dem Duschen auch erfolgreich beseitigt. Am allerwichtigsten waren aber die extrem kurzen Wege zu den Banken, hier bekam er seine Aufträge und hier waren die potentiellen Kandidaten für die neuen Positionen beschäftigt. Sie konnten daher in ihrer Mittagspause ohne Aufsehen zu erregen und ohne großen Aufwand getroffen und interviewt werden.

Die Aufwendungen für den gemeinsamen und ohnehin nicht bescheidenen derzeitigen Lebensstil nahmen auch langsam nicht mehr tolerierbare Ausmaße an. Es genügte ja nicht, in Kronberg ein durchaus vorzeigbares Domizil zu haben, nein, seine Gattin musste ja auch ihre gesellschaftlichen Kontakte pflegen. Sie erfand ständig Anlässe für irgendwelche Soireen oder sonstige Abendveranstaltungen in ihrem Haus. Nicht nur kostete es viele Nerven, sich das Geschwätz der Gäste anzuhören, es war auch ermüdend, durchhalten zu müssen, bis der letzte dann auch endlich ging. Und es kostete vor allem auch jede Menge Geld. Aber seine Frau war mit einem derartigen Lebensstil aufgewachsen, der liebe Schwiegerpapa hatte sie nach Strich und Faden verwöhnt, und nun erwartete sie das Gleiche von ihm. Und der von ihr ach so vergötterte Filius dachte auch nicht daran, sein Studium allmählich zum Abschluss zu bringen und kassierte stattdessen lieber jeden Monat seinen Scheck. Es wurde langsam Zeit, dem Herrn mal richtig die Leviten zu lesen.

Heinz Kolinski beendete seine Zigarettenpause und trat wieder zurück in sein Zimmer. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und nippte an dem Kaffee, den ihm seine Sekretärin kurz vor dem Verlassen des Büros noch kredenzt hatte.

In diesem Personalmarkt, mit dem zunehmend härter werdenden Wettbewerb, wurde es immer schwieriger, überhaupt noch sein Auskommen zu haben. Er konnte sich ja noch halbwegs glücklich schätzen, mit der Wertebank einen exklusiven Vertragspartner zu haben. Seinen Konkurrenten ging es da deutlich schlechter, sie mussten für jeden Auftrag hart arbeiten und deshalb boten sie auch Leistungen zu Kampfpreisen an, was natürlich leider Gottes letztendlich auch negative Auswirkungen auf seine Konditionen hatte.

Aber wenn er sich nicht aus diesem Geschäft verabschieden wollte, musste er diesen Preiskampf zumindest teilweise mitmachen, lange Kundenbeziehung hin oder her. Die Leute in der Wertebank konnten schließlich auch rechnen. Zu blöd aber auch, dass Hakim Sailer mit seinem Flugzeug gecrasht war, dabei war er doch so ein guter Pilot gewesen. Natürlich würde er bei einer erfolgreichen Vermittlung eines Nachfolgers eine satte Prämie einstreichen, aber erst einmal musste er einen guten Mann finden, und wie der heutige Tag bewies, würde das nicht einfach werden.

Neben all diesen wirtschaftlichen Belastungen und geschäftlichen Problemen hatte er ja auch noch das eine oder andere kleine Hobby, das ebenfalls erhebliche Mittel erforderte. Er konnte aber natürlich seiner Frau nicht von Maggy, seiner auch nicht gerade billigen Geliebten erzählen. Die hatte er seinerzeit im Flieger von London nach Frankfurt kennengelernt. Maggy, mit den unglaublichsten Augen, die er je gesehen hatte. Ein derart intensives helles Blau, ein Huskyblau, war ihm noch nie vorher bei einem Menschen begegnet. Quer durch den riesigen Warteraum im Londoner Flughafen Heathrow waren ihm diese Augen aufgefallen. Er hatte sie daraufhin mit irgendeinem blöden Thema angesprochen. Im Laufe der sich daran anknüpfenden Unterhaltung stellte er fest, dass, obwohl für seinen Frauengeschmack eigentlich zu dünn, sie aber dennoch über einen lasziven Sexappeal verfügte, der ihn ungemein ansprach. Obwohl er nicht gerade als attraktiver Mann bezeichnet werden konnte, hatte sich ein nun schon mehrere Jahre dauerndes Verhältnis entwickelt.

Heinz Kolinski hatte aber keine Illusionen. Er war sich ziemlich sicher, dass der einzige Grund dafür, dass Maggy sich auf ihn einließ, in seinem Portemonnaie zu finden war. Er finanzierte ihre Wohnung in London und einen nicht unerheblichen Teil ihres Lebensunterhaltes. Hinzu kam, dass die Flüge nach London auch nicht billiger wurden, ein Treffen in Frankfurt war ihm aufgrund seines hohen Bekanntheitsgrades zu heiß, abgesehen davon, dass er dann den Flug für Maggy auch noch bezahlen würde. Nein, dann schon lieber London ohne Gefahr einer plötzlichen Begegnung mit Bekannten oder gar Freunden. Und das Geld war gut investiert, Maggy lieferte für jeden Euro auch den entsprechenden Gegenwert, was er von seiner Frau nun nicht gerade behaupten konnte.

Das zweite seiner Hobbys erforderte ebenfalls erhebliche Mittel. Obwohl er ein schlechter Spieler war, trieb es ihn doch immer wieder in die Casinos der Umgebung, Bad Homburg und Wiesbaden. Dort hatten es ihm vor allem die Pokertische, und hier hauptsächlich die, an denen Black Jack gespielt wurde, angetan. Dieses Spiel faszinierte ihn und er träumte seit Jahren von einer großen Glückssträhne, die ihn das Casino sprengen ließ. Bisher hatte er unter dem Strich allerdings nur verloren und das hatte ihn vor einigen Jahren beinahe die Existenz gekostet, als er Schuldscheine begeben musste, die er später nicht einlösen konnte.

Damals hatte Gerd Brauner seine Schuldscheine aufgekauft und natürlich hatte er dafür seinen Strohmann, Bodyguard, Fahrer und was er sonst noch alles für ihn tat, Samuel Leist, benutzt. Anschließend hatten sie ihn massiv unter Druck gesetzt und mit der Veröffentlichung seiner Laster gedroht. Auch von seiner Liaison mit Maggy wussten sie, vermutlich hatte auch hier der Dreckskerl Leist den Detektiv gegeben. Er wäre beruflich erst einmal erledigt gewesen, von der privaten Katastrophe einer Scheidung mit astronomischen Unterhaltszahlungen ganz zu schweigen. Sie zwangen ihn, hier half Leist mit körperlicher Gewalt durchaus nach – der Gedanke daran ließ ihn immer noch zittern –, Brauner als stillen Teilhaber in seiner Firma zu akzeptieren und ihm einen dreißigprozentigen Anteil zu überschreiben.

Wenigstens hatte er dafür seine Schuldscheine wiederbekommen. Die ganze Aktion war bis zum heutigen Tag geheim geblieben, andernfalls hätte ihm ja auch die Wertebank keinen Exklusivvertrag angeboten. Nicht auszudenken, wenn die von seiner Verbindung zu Brauner erführen. Bis zu diesem Tag hatte sich Brauner seltsamerweise aber an die Geheimhaltungsklausel gehalten und keinerlei Sonderleistungen von ihm verlangt.

Heinz Kolinski stand auf und verstaute die Akten der Wertebank-Kandidaten im Sideboard an der Wand gegenüber. Dann ging er in die kleine Küche, um sich Kaffee nachzuschenken. Er musste in Ruhe nachdenken, über seine Frau, Maggy, und dann brauchte er vor allem zumindest eine gute Idee für den Posten des Anlagechefs der Wertebank. Schließlich musste der Schornstein weiter rauchen, und dafür benötigte er möglichst bald gute Vorschläge.

Die Damen und Herren in der Wertebank wurden bereits ungeduldig und er wusste, insbesondere der Chef, Peter Nehmer, wollte möglichst bald Resultate sehen. Seine Vermögensverwaltungssparte war derzeit führungslos und kein Chef konnte sich Chaos in einem Unternehmensteil erlauben, welcher immerhin in den letzten Jahren gut ein Drittel des Ergebnisses erwirtschaftete.

Laut und misstönend riss ihn plötzlich das Telefon aus seinen trübsinnigen Gedanken. Viel schlimmer war aber die Nummer auf dem Display; er brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und nahm dann leise fluchend den Hörer ab.

»Kolinski.«

»Hier spricht Gerd Brauner.«

Keinen guten Abend oder eine der sonst üblichen Höflichkeitsfloskeln, nein, nur der Name. Das war üblicherweise genug, um dem Gesprächspartner, und das war in diesem Falle er, Schauer über den Rücken zu treiben.

»Guten Abend, Herr Brauner, das ist aber eine nette Überraschung. Wir haben ja lange nichts voneinander gehört, wie geht es Ihnen?«

»Mensch, Kolinski, so habe ich Sie noch nie säuseln hören. Sie müssen ja die Hosen gestrichen voll haben. Ich bin, glaube ich, der letzte, mit dem Sie reden wollen. Aber Sie können sich getrost entspannen, ich will eigentlich nur mal mit Ihnen essen gehen. Ich verspreche Ihnen auch, keine stillen Beteiligungen oder sonstige Affären zu erwähnen. Einfach nur essen gehen und ein wenig über die Finanzmärkte und Finanzmarktgeschäfte plaudern.«

Heinz Kolinski, der sich allmählich von seinem anfänglichen Schock erholte, konnte sich eine leicht süffisante Erwiderung nicht verkneifen.

»Aber Bankiers reden doch über diese Dinge nicht mit einem normalen Sterblichen, sie bleiben bei diesen Themen doch lieber unter sich.«

Offensichtlich war Gerd Brauner jedoch nicht willens, sich seine, worauf auch immer beruhende, gute Laune trüben zu lassen.

»Manchmal machen wir halt eine Ausnahme, vor allem wenn es sich um Leute handelt, die gute und intelligente Gedanken haben. Da kann unsereiner ja durchaus auch davon profitieren. Durch Reden wird man schließlich nicht dümmer.«

Jetzt war Heinz Kolinski allerdings hochgradig alarmiert. Ich habe mich doch wohl verhört, oder hat der mich gerade wirklich gelobt? Bisher hatte Brauner doch niemals eine, wie auch immer geartete, Wertschätzung ihm gegenüber erkennen lassen. Im Gegenteil, bei den Verhandlungen damals war er ihm mit offensichtlicher Verachtung begegnet.

Dieser Personalfuzzi, den musste man doch wirklich nicht ernst nehmen. Und nun dies. Der wollte etwas von ihm, das war die einzig logische Erklärung, und um herauszufinden, was das war, musste er auf sein Spiel eingehen.

»Na, wenn Sie das so sehen, fühle ich mich natürlich sehr geehrt. Wann und wo wollen wir uns denn treffen?«

»Wie wäre es mit dem alten Dorfkrug in Heldenbergen, Herr Kolinski? Er hat mittlerweile eine gute italienische Küche und dort gibt es keine Banker oder sonstige an unserem Gewerbe interessierte Personen. Ich denke, unser beiderseitiges Interesse muss es sein, nicht gemeinsam in Erscheinung zu treten. Sie wollen doch wohl nicht, dass Sie mit mir in Verbindung gebracht werden, oder? Und was den Zeitpunkt angeht«, Gerd Brauner zögerte leicht, »wie wäre es mit heute Abend, so in einer Stunde?«

Heinz Kolinski wusste genau, worauf Brauner anspielte. Natürlich würde ihm die Wertebank sofort alle Mandate aufkündigen, wenn ruchbar wurde, dass er in irgendeiner Beziehung zu Brauner stand. Brauner selbst würde in diesem Fall den Vogel Strauß geben, womit sicher wäre, dass er auch von der Meinebank keine Aufträge bekommen würde. Er müsste sich dann einen komplett neuen Kundenkreis für seine Firma erschließen, was in dem derzeitigen Marktumfeld nahezu unmöglich war. Trotzdem beschloss er, einen Versuchsballon starten zu lassen.

»Das ist aber arg kurzfristig, für heute habe ich schon andere Pläne, die ich kaum verschieben kann. Ich würde den morgigen Abend bevorzugen.«

Die leichte Verärgerung am anderen Ende der Telefonleitung war förmlich mit den Händen zu greifen, oder bildete er sich das nur ein? Als Brauner antwortete, bestätigte aber seine leicht gereizte Stimme den Eindruck einer Verstimmung.

»Na meinetwegen, Sie müssen ja wissen was für Sie wichtig ist. Also dann morgen Abend um acht im Dorfkrug. Ich lasse einen extra Raum reservieren. Bis dann und seien Sie pünktlich.«

Nach dem Klick im Telefon legte auch Heinz Kolinski seinen Telefonhörer auf. Da soll mich doch einer! Was immer Brauner von ihm wollte, musste extrem wichtig sein. Nicht nur, dass er ihn anrief, das hatte er seit Abschluss der stillen Beteiligung vor 18 Monaten nicht getan, nicht nur, dass er ihm Honig um den Bart schmieren wollte, nicht nur, dass er offenbar großen Wert darauf legte, nicht mit ihm gesehen zu werden, nein, er akzeptierte auch ohne sichtbares Murren einen von ihm vorgegebenen Termin, und das, nachdem er den sehr kurzfristigen Termin Brauners eben erst abgelehnt hatte.

Er war sich ziemlich sicher, dass dies in dieser Form noch niemandem gelungen war. Mit anderen Worten, da kam auf leisen Sohlen ein Knaller daher, aber ein richtig großer. Fragte sich nur noch, wie der konkret aussah, und das würde er aller Voraussicht nach morgen Abend erfahren. Natürlich würde Brauner versuchen, ihn mit halben Informationen abzuspeisen, aber er wollte etwas von ihm. Etwas, das verdammt wichtig war, für ihn oder die Bank, was letztendlich auf das Gleiche hinauskam. Er hätte nie gedacht, dass er einem Termin mit Brauner mit einer derartigen erwartungsvollen Spannung entgegen fiebern würde. Fast bedauerte er schon, das Essen nicht heute wahrgenommen zu haben.

ERKENNTNISSE

Niels Werner verließ bereits am Wiehre-Bahnhof den mit rückkehrenden Wanderern überfüllten Interregio und machte sich zu Fuß auf den Weg ins Restaurant. Wie fast immer hatte er den Zug von Kirchzarten nach Freiburg genommen, nachdem er seinen Jeep auf den letzten verfügbaren Parkplatz am dortigen Bahnhof gequetscht hatte. Er liebte es, zu Fuß durch Freiburg zu laufen, diese unglaublich schöne Stadt war für ihn voll mit Erinnerungen.

Hier hatte er während des Studiums die schönsten vier Jahre seines Lebens verbracht. Hier hatte er Freundschaften geschlossen, die bis zum heutigen Tag Bestand hatten. Eine davon würde er gleich sehen.

Hier hatte er die große Liebe seines Lebens getroffen und sie anschließend durch seine eigene Dummheit wieder verloren. Eigentlich trauerte er Barbara immer noch nach. Aber er hatte ja seine Finger nicht von anderen Frauen lassen können. Als er dann irgendwann anfing zu begreifen, dass es in erster Linie es auf die Persönlichkeit ankam und weniger auf die körperlichen Gegebenheiten, war es schon zu spät. Barbara war inzwischen anderweitig liiert.

Hier hatte er an der Universität große studentische Erfolge gefeiert, aber auch herbe Niederlagen eingesteckt. Diese Stadt war ein Teil von ihm geworden. Das alles war jetzt fast 30 Jahre her und er dachte ein wenig wehmütig daran, wie schnell die Zeit verging.

In der »Auszeit« war schon der erste Andrang der Gäste zu spüren. Trotzdem erspähte er einen kleinen Tisch in der Nähe der Bar und direkt am Fenster. Hier konnten Gabi und er gut sitzen, ohne Gefahr zu laufen, dass ihr Gespräch von den Umstehenden mitverfolgt wurde.

Sie war noch nicht da, ein Blick auf seine Uhr sagte ihm aber ohnehin, dass er zu früh dran war. Er gab dem Mädchen hinter der Bar ein Zeichen und einige Minuten später stand ein mit selbstgebrautem Bier gefüllter Becher vor ihm. Dieses leicht obergärige Bier war ein Genuss und auch einer der Gründe, warum die »Auszeit« eigentlich immer gut gefüllt war.

Hinzu kam noch das urige Ambiente, durch die weit geschwungene hölzerne Bar mit den kupfernen, blitzblank polierten Braukesseln im Hintergrund entstand eine besondere Atmosphäre. Hier traf sich Jung und Alt und man ging ganz entspannt miteinander um. Natürlich waren angesichts von circa 20.000 Studenten in der Stadt die jungen Leute in der Überzahl. Allerdings dürfte der größte Schwung von ihnen erst in einer guten Stunde gegen 20 Uhr eintreffen. Zurzeit waren eher die Leute seines Alters anwesend, sie alle würden gehen, wenn die Studenten anfingen, die Nacht zum Tag zu machen. Schließlich gingen die meisten der jetzigen Gäste einer geregelten Arbeit nach und mussten früh aus den Federn. Nachdem Niels Werner die Umgebung gemustert und keine bekannten Gesichter entdeckt hatte, wanderten seine Gedanken zu dem Treffen mit Gerd Brauner am Vormittag zurück. Auch wenn es ihm widerstrebte es zuzugeben, aber die Idee, ihn als trojanisches Pferd einzusetzen, war ja schon irgendwie brillant. Außerdem brauchte er auch eine finanzielle Auffrischung, ansonsten müsste er doch in absehbarer Zeit den Berghof verkaufen. Und tief in seinem Inneren reizte ihn die Aussicht, wieder in die Financial Community zurückzukehren. Ob er dann tatsächlich Brauner zuarbeiten würde, stünde letztendlich auf einem ganz anderen Blatt. Nicht umsonst hatte er mit dem guten Gerd noch eine kleine Rechnung offen. Die Frage war allerdings, ob Brauner wirklich seine Karten vollends auf den Tisch gelegt hatte. Niels Werner hatte das Gefühl, dass da doch noch mehr war. Ihn würde es nicht wundern, wenn der gute Gerd schon angefangen hätte, heimlich Aktien der Wertebank Stück für Stück an der Börse einzusammeln.

Vielleicht sollte er mal die Kursverläufe dieser Aktie überprüfen. Eventuell würden sich daraus irgendwelche Hinweise oder sogar Verdachtsmomente ergeben. Die notwendigen Daten wären garantiert in der Universitätsbibliothek verfügbar. Und auch die Reaktion auf seine Frage nach Claire war schon erstaunlich gewesen. Sie waren zwar offenbar in der Zeit an der Universität gut miteinander ausgekommen und er wusste auch von sporadischen Treffen der beiden nach der Uni, aber das war doch kein Grund, so aufgescheucht zu reagieren.

Na, da würde vielleicht seine gute Freundin Gabi Seiler weiterhelfen können. Sie war eine der wenigen Kommilitonen die nach dem Examen in Freiburg geblieben waren. Sie hatte, nachdem sie ihre Zusatzausbildung zum Wirtschaftsprüfer erfolgreich abgeschlossen hatte, eine kleine Beratungsgesellschaft für mittelständische Unternehmen in der Region gegründet und dabei einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Betreuung kleinerer Banken, Sparkassen und anderer Finanzinstitute gelegt. Selbst als er schon in Frankfurt war, trafen sie sich, wann immer es ging und hielten so den intensiven Kontakt aus der Studienzeit aufrecht.