Tanz ins Glück - Barbara Cartland - E-Book

Tanz ins Glück E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Prinzessin Marie-Celeste, die älteste und sehr schöne Tochter des Großherzogs von Melhausen soll mit Prinz Aristide von Valoire verheiratet werden, um die beiden Königreiche näher an aneinander zu binden. Auch soll eine prunkvolle königliche Hochzeit das Volk im derzeitigen Klima der Revolution von der Verbreitung aufständischer Ideen abbringen. Die Prinzessin will sich nicht in eine arrangierte Ehe drängen lassen; sie möchte sich ihren Mann selbst auswählen und will zuerst das Leben außerhalb des Palastes kennenlernen. Mit Hilfe ihres Musiklehrers und Mentors Professor Dumont, läuft sie ohne das Wissen ihres Vaters von zu Hause weg und reist mit ihm – als sein Nichte - nach Paris. Sie will Freiheit erleben und leben. Wird es der Prinzessin gelingen, ihre Freiheit zu finden und gleichzeitig das, wonach sie sich sehnt – die große Liebe fürs Leben?

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Seitenzahl: 208

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Table of Contents

Table of Contents2

DIE HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS4

Großherzog von Melhausen4

Prinzessin Marie-Celeste4

Prinzessin Rachel4

Pierre Beauvais4

Die Autorin über diesen Roman4

Erstes Kapitel ~ 18945

Zweites Kapitel17

Drittes Kapitel29

Viertes Kapitel40

Fünftes Kapitel51

Sechstes Kapitel63

Siebentes Kapitel77

Hörbücher93

Zur Autorin94

Weitere Bücher der Reihe95

Tanz ins Glück

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2025

Copyright Cartland Promotions 1981

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

Tanz ins Glück

©1981

DIE HAUPTPERSONEN DIESES ROMANS

Großherzog von Melhausen

Er regiert sein kleines Fürstentum mit eiserner Strenge und kommandiert auch seine Töchter wie seine Soldaten.

Prinzessin Marie-Celeste

Schon ihr Spitzname ,Zaza’ verrät ihr Temperament. Sie hat keine Lust, sich weiter von ihrem Vater herumkommandieren zu lassen und entflieht bei Nacht und Nebel nach Pans.

Prinzessin Rachel

Die jüngere, ständig kränkelnde Schwester, die Zaza maßlos bewundert. Nur eine Wundermedizin kann ihr helfen.

Pierre Beauvais

Ein äußerst gutaussehender, faszinierender Mann, den ein Geheimnis umgibt, das Zaza unbedingt ergründen will. Er verkehrt in Pariser Anarchistenkreisen.

Die Autorin über diesen Roman

Der Hintergrund meines vierzehnten, in dieser Reihe erschienenen Romans, führt uns mitten hinein in das Paris der Künstlerfeste, der Kaffeehäuser und des berühmten Cancans.

Doch hinter dieser heiteren Fassade herrschte gleichzeitig große Unruhe bei der Bevölkerung. Tägliche Zeitungsberichte über Bombenanschläge und Attentate von Anarchisten und Terroristen uns heute leider nur allzu vertraut hielten die Weltstadt in Atem.

Höhepunkt dieser Terrorwelle gegen die herrschende Regierung war das tödliche Attentat auf den Staatspräsidenten Carnot am 24. 6. 1894.

Erstes Kapitel ~ 1894

Prinzessin Marie-Celeste ging durch die langen Korridore des Palastes zum Musikzimmer.

Sie ging allein und dachte, dass sie an jedem andern Tag begeistert darüber gewesen wäre, gemächlich schlendern zu können, wenn sie es wollte, oder aber ganz schnell zu laufen, wenn sie gerade dazu Lust verspürte.

Denn normalerweise hätte die Comtesse Glücksburg sie in dem einen oder dem anderen Fall entweder zur Eile oder zu langsamerem Gehen angehalten und sie daran erinnert, dass der Professor bereits warte.

Wenn es irgendjemand gab, der ihr das Leben zur Qual machte, dann war es die Comtesse Glücksburg mit ihrem protokollarischen Gehabe, mit ihren ständigen Ermahnungen, was eine Prinzessin tun darf und was eine Prinzessin nicht tun darf.

Oft kam es Marie-Celeste so vor, als verbringe sie ihr ganzes Leben nur damit, dieser Comtesse zu gehorchen, und als könne sie ihrer schrillen Kehlstimme nur entkommen, wenn sie im Bett lag.

Das Königliche Herzogtum Melhausen lag zwischen Frankreich und Deutschland, und die Bevölkerung hatte ihre Wurzeln in beiden angrenzenden Ländern.

Die alte Großherzogin war Engländerin gewesen und hatte die französische Seite bevorzugt. Und weil die meisten Lehrer von Marie-Celeste und ihrer Schwester Franzosen waren, war es eine politische Überlegung, dass ihre Hofdame deutscher Abstammung zu sein hatte.

Die Comtesse Glücksburg hatte alle typischen Merkmale ihrer Ahnen. Sie war herrschsüchtig, arrogant und grob zu ihren Untergebenen, hingegen unterwürfig und kriecherisch gegenüber Leuten, die von höherem Stande waren als sie.

Gegenüber Prinzessin Marie-Celeste war sie die unbeugsame, überaus strenge Aufpasserin, die absoluten Gehorsam forderte.

Jetzt aber hatte sich die Comtesse, wie auch viele andere Bürger von Melhausen, eine Grippe zugezogen, nachdem es im Mai noch eine unerwartete Kälteperiode gegeben hatte. Es war zwar nicht richtig, dachte Prinzessin Marie-Celeste, sich darüber zu freuen, doch gab es ihr ein Gefühl von Freiheit, das sie allmählich höher schätzte als irgendetwas sonst.

„Ohne die Comtesse”, sagte sie zu ihrer jüngeren Schwester Rachel, „fühle ich mich, als könnte ich mich in die Lüfte schwingen und zur Sonne fliegen.”

„Genau das möchte ich auch gern” antwortete Rachel.

Marie-Celeste bereute sofort, was sie gesagt hatte. Sie hielt es für gedankenlos, weil ihre Schwester wegen eines Rückenleidens viele Stunden täglich Ruhe halten musste. „Entschuldige, Liebes”, sagte sie.

„Sei nicht so dumm”, erwiderte Rachel. „Du weißt doch, liebe Zaza, du kannst alles zu mir sagen, solange niemand sonst dabei ist.”

Immer wenn sie allein waren, nannte sie ihre ältere Schwester ‚Zaza‘, ein Spitzname, der auf eine Begebenheit vor vielen Jahren zurückging. Damals hatte ein Höfling den beiden zu Weihnachten eine besonders hässliche Kasperlpuppe geschenkt.

Auf der Glückwunschkarte hatte gestanden: „Ihren Königlichen Hoheiten, der Prinzessin Marie-Celeste und der Prinzessin Rachel, in der Hoffnung, dass sie dieses kleine Zeichen der Verehrung beide mögen.”

Unglücklicherweise war die Handschrift so schlecht, dass die Schwestern zunächst die zwei letzten Worte als ‚beißen möge‘ anstatt ‚beide mögen‘ gelesen hatten.

Da sie den Höfling kannten, von dem das Geschenk stammte, fanden sie die Vorstellung, von der Kasperlpuppe gebissen zu werden, so komisch, dass sie diesen Witz nie mehr vergaßen.

Zu jener Zeit war ein Komödiant in Melhausen gewesen, der ein Lied sang, das später sehr bekannt wurde und in dem er, gekleidet wie eine Kasperlpuppe, seine Liebe für eine Frau namens Zaza erklärte, die jedoch von dieser nicht erwidert wurde.

„Zaza, bist du schon wieder von meiner Kasperlpuppe gebissen worden?” pflegte sie zu sagen, und die Vorstellung brachte die beiden Schwestern jedes Mal wieder zum Lachen.

Da Gelächter im Palast ein seltenes Ereignis war, wurde dieses Wortspiel nie langweilig, und Marie-Celeste gewöhnte sich so sehr an den Namen Zaza, dass sie, außer bei offiziellen Angelegenheiten, ihren Taufnamen Marie-Celeste Adelheid Suzanne beinahe völlig vergaß.

Rachel war außer dem Professor der einzige Mensch im Palast, mit dem sie wirklich reden konnte und der Verständnis für ihr Verlangen aufbrachte, auch die Welt außerhalb ihres goldenen Käfigs kennenzulernen.

Sie hatte gehofft, nach ihrer Schulzeit mit Leuten zusammenkommen zu können, mit denen man geistreicher reden konnte als mit den Beamten aus dem Gefolge ihres Vaters. Möglicherweise hätte sie sogar auf Reisen gehen können, so wie es ihre Mutter ihr immer versprochen hatte. Doch die Großherzogin war vor zwei Jahren gestorben, und Zaza machte sich allmählich klar, dass ihr eine Reise nach England oder in ein anderes Land nie gestattet werden würde.

Wenn ihr Vater den Einladungen europäischer Monarchen folgte, dann wollte er offenbar nicht von seiner Tochter begleitet werden; kam er schon einmal aus Melhausen heraus, dann hatte er andere Interessen, als ausgerechnet auf seine Tochter aufzupassen.

Im Ausland hielt man den Großherzog für einen interessanten und attraktiven Mann, obschon selbst seine glühendsten Verehrer meinten, die Natur habe ihn nicht gerade mit übermäßiger Intelligenz ausgestattet. Zu Hause führte er sich auf wie ein Tyrann, schulriegelte seine beiden Töchter und sprang mit seinen Bediensteten um, als wäre er mit ihnen auf dem Kasernenhof.

Auch wenn mehr französisches als deutsches Blut in seinen Adem floss, bewunderte er die Leistungen der Preußen und hätte am liebsten deren übermäßige Förmlichkeit auch an seinem Hof eingeführt.

Je alter Zaza wurde, um so unerträglicher wurde ihr dies alles. Vielleicht hätte sie das nicht so empfunden oder gar nicht gemerkt, wie eingeengt ihr Leben war, wenn es nicht Professor Dumont gegeben hätte.

Ihre Mutter hatte ihn vor zehn Jahren als Musiklehrer engagiert, und zehn Jahre lang war Zazas Begeisterung für diesen Mann und ihr Interesse an allem, was er ihr zu sagen hatte, ständig größer geworden.

Es wäre schwierig gewesen, sich unter vier Augen mit ihm zu unterhalten, wäre nicht die Comtesse Glücksburg so schwerhörig gewesen. Deshalb fand sie Musik langweilig, und meist war sie während der Musikstunden müde, die normalerweise gleich nach dem Mittagessen stattfanden.

Der Professor und Zaza wussten, dass sie nur die ersten zehn Minuten jeder Stunde zu spielen brauchten, und schon war die Comtesse fest eingeschlafen. Dann konnten sie ohne Angst vor Mithörern über alles reden, was sie interessierte.

Der Professor war ein interessanter und hochintelligenter Mann. Nicht nur ein ausgesprochen fähiger Musiker, der bei großen Meistern studiert hatte, er hatte auch zwei Bücher über philosophische Fragen geschrieben und war, wie er es selbst nannte, ein ‚Freidenker‘.

„Ich glaube an die Freiheit”, sagte er immer wieder zu Zaza, „und ich meine damit nicht nur die Freiheit des Einzelnen, sondern die Freiheit des Geistes.”

Es waren weniger ihre Hauslehrer als eben der Professor, der ihr Bücher zum Lesen empfahl, sie nachher mit ihr diskutierte und ihr dadurch neue Horizonte eröffnete, von denen sie ohne ihn wohl nie erfahren hätte.

Ihre Mutter hatte davon gewusst und war damit einverstanden gewesen.

„Der Professor ist in jeder Beziehung ein ganz außergewöhnlicher Mann”, hatte sie gesagt. „Wenn du ihm gut zuhörst, kannst du eine Menge lernen. Aber vernachlässige mir dabei nicht die Musik, denn für einen Laien spielst du schon sehr ordentlich.”

Der Professor unterrichtete sie in Klavier und, weil dies sein Lieblingsinstrument war, in Geige. Doch vor allem lehrte er sie zu denken. Er erschien ihr sehr alt und sehr weise; tatsächlich war der Professor stark gealtert, seitdem sie ihn kennengelernt hatte.

Zaza wusste, woher das kam: Er lebte allein und vergaß einfach die Hälfte seiner Mahlzeiten, wenn er in seine Musik vertieft war oder neuartigen Gedanken nachging, die ihm Freunde aus aller Welt zutrugen, mit denen er korrespondierte.

Sie wusste, dass er insbesondere mit den Verfechtern neuer Ideen in Paris in Verbindung stand, das, wie er oft genug sagte, der kulturelle Mittelpunkt Europas war.

Vom Professor hatte Zaza auch über neue Richtungen erfahren, die sonst im Palast nie und nimmer erwähnt worden waren. Er erzählte ihr von einer neuen Bewegung in Paris, die größere Freiheit und weniger gesellschaftliche Starrheit zum Ziel hatte. „Ein neues Zeitalter zieht herauf”, sagte er. „Meine Freunde sprechen schon davon als ,La Belle Époque’.”

Zaza war zutiefst beeindruckt. „Erzählen Sie, erzählen Sie mir alles darüber”, bettelte sie, und der Professor beschrieb ihr, wie eine Reihe junger Künstler sich gegen die akademische Tradition in der Malerei aufgelehnt hatte.

Dies nahm ihre ganze Vorstellungskraft gefangen, und sie hatte alles über die ‚Impressionisten‘ gelernt, bis er anfing, von den ‚Symbolisten‘ zu reden, die für die Freiheit des Geistes und die befreite Selbstverwirklichung kämpften.

Ganz sicher war sie sich indes nicht, ob sie den Gedanken dieser Leute genau folgen konnte. Aber offensichtlich glaubte der Professor, der Symbolismus sei der Feind verlogener Gefühlsduselei und er könne mit der Dichtung dieselben Empfindungen hervorrufen wie die Musik bei Leuten, die eben einen Sinn für Musik hatten.

„In Paris”, sagte er, „gibt es haufenweise talentierte Schriftsteller, mehr als je zuvor und irgendwo sonst.”

Zaza schaute ihn mit aufgerissenen Augen an und überredete ihn, ihr einiges von der symbolistischen Dichtung zu besorgen, die sie so gern verstehen wollte. Sie war fasziniert von jeder Stunde, denn der Professor hatte jedes Mal wieder neue Ideen.

„Heute bekam ich einen Brief von meinem Freund aus Marseille”, pflegte er zu beginnen. „Er berichtet mir, dass …”

Dann las er den Brief dieses Freundes vor und erläuterte ihn Zaza, die begierig zuhörte, bis eine Bewegung der Comtesse sie schnell wieder zum Musizieren zwang. Und oftmals war sie sehr traurig, wenn die Stunde vorüber war und sie gehen musste.

„Vielen herzlichen Dank, Monsieur”, sagte sie dann betont förmlich, „diese Stunde hat mir wieder viel Freude bereitet.”

„Königliche Hoheit sind sehr gnädig”, erwiderte er dann, „und zweifellos hat Ihr Spiel wieder große Fortschritte gemacht.”

Dann senkte er den Kopf in der vorgeschriebenen Weise, Zaza lächelte ihm augenzwinkernd zu, bevor sie von der Comtesse wieder durch die langen Korridore zurück in das Schulzimmer geführt wurde.

Heute war die Comtesse nicht da, und zu gern hätte sie wieder Neuigkeiten von den Pariser Symbolisten erfahren, wenn sie dem Professor nicht Neuigkeiten über sich selbst mitzuteilen gehabt hätte. Neuigkeiten, die sie irgendwie krank machten, und sie hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend, eine böse Vorahnung, wenn nicht sogar Angst. Noch bevor sie das Musikzimmer erreichte, konnte sie hören, wie der Professor Klavier spielte.

In seiner Jugend hatte er in Paris und anderen Hauptstädten große musikalische Erfolge feiern können; doch dann war er vom Fernweh gepackt worden, und er hielt es an keinem Ort mehr für längere Zeit aus.

Er hatte Länder bereist, in denen die Leute nie von ihm gehört hatten, veranstaltete dort Konzerte und gab das dadurch verdiente Geld gleich wieder aus, um neue Länder zu sehen, neue Menschen kennenzulernen und seinen intellektuellen Horizont noch mehr zu erweitern. Als er dann nach einigen Jahren zurückkehrte, war er als Musiker schon fast vergessen.

Gestört hatte ihn das allerdings nicht.

Er hatte ein Buch über seine Reisen geschrieben, das jedoch kein großer Erfolg wurde, später dann ein Buch über Philosophie, das in Literatenkreisen viel Beachtung fand, der breiten Öffentlichkeit aber kaum bekannt wurde.

Damals war ihm klargeworden, dass er fast kein Geld besaß und für eine neue Karriere in der Musik schon zu alt wurde. Da er auf seinen Reisen alle möglichen Krankheiten gehabt hatte, war er nicht mehr in besonders guter körperlicher Verfassung, und auch seine Finger waren schon ein bisschen steif geworden.

Als die Großherzogin hörte, dass er wieder in Melhausen war, erinnerte sie sich daran, ihn in ihrer Jugend einmal gehört zu haben. Sie ließ ihn in den Palast kommen und fragte ihn, ob er ihre beiden Töchter unterrichten wollte ein Angebot, das der Professor damals nur allzu gern annahm.

Er hatte nicht damit gerechnet, dass eine so hübsche Prinzessin wie Marie-Celeste zugleich auch intelligent sein konnte, und schon nach kurzer Bekanntschaft war sie zur großen Liebe seines Lebens geworden.

Sie war nicht nur das Kind, das er nie gehabt hatte und das ihm nacheifern sollte, sondern sie war auch die Schülerin, die ein Lehrer führen und begeistern kann, um die eigene Botschaft an die Welt weiterzugeben. „Sie müssen für die Freiheit des Geistes und der Seele kämpfen”, sagte er immer wieder zu Zaza.

Aber selbst, wenn sie in ihrem Innersten mit diesem Auftrag einverstanden war, wusste sie nicht, wie sie für irgendetwas kämpfen sollte, solange sie unter der Aufsicht ihres Vaters stand.

Sie öffnete die Tür zum Musikzimmer. Der Professor hörte auf zu spielen und erhob sich von dem Klavierhocker, der vor dem großen Bechstein-Flügel stand.

„Guten Morgen, Prinzessin”, begrüßte er sie und schaute sich um. „Ist die Comtesse nicht mitgekommen?”

„Nein, sie ist krank”, erklärte Zaza.

„Das ist gut”, sagte er, „sehr gut sogar. Dann kann ich Ihnen gleich von meinen Neuigkeiten berichten.”

„Auch ich habe etwas zu berichten”, sagte Zaza leise.

Aber der Professor hörte ihr offenbar nicht zu. Seine Augen leuchteten, und er machte einen erhitzten Eindruck. Sie merkte gleich, dass er seine Neuigkeiten auch nicht einen Moment würde zurückhalten können.

„Worum geht es?” fragte sie.

„Ich habe einen Brief von meinen Freunden aus Paris erhalten. Sie wünschen, dass ich zu ihnen komme. Sehr aufregende Dinge spielen sich ab, und sie möchten auf keinen Fall auf meinen Rat verzichten.”

„Sie wollen also nach Paris?” fragte Zaza. Schon der Gedanke machte ihr das Herz schwer. Doch der Professor war ohne Frage ganz begeistert.

„Ja, morgen fahre ich nach Paris”, sagte er. „Ich habe Ihnen das noch nicht erzählt, Prinzessin, aber ich hatte es mir schon eine ganze Weile vorgenommen. Ich muss einfach sehen, was da vorgeht. Ich muss mitten im Strom der Ereignisse sein. In diesem Brackwasser hier kann ich nicht weiterleben.”

Zaza fühlte sich durch seinen Ton keinesfalls beleidigt, sie hatte ihn schon oft so reden hören. „Ich verstehe Ihre Begeisterung, Professor. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie ich ohne Sie auskommen soll.”

„Seien Sie zuversichtlich”, sagte der Professor. „Schade, dass Sie nicht mitkommen können. Sie hätten sicher Ihre Freude an den gestochenen Wortgefechten. Da fliegen Worte wie Dolche zwischen den streitenden Parteien hin und her - die Begeisterung, das Drama!”

Seine funkelnden Augen und die Art, wie er beim Sprechen mit den Händen gestikulierte, ließen ihn viel jünger erscheinen. Zaza dachte, dass sie ihn noch nie so glücklich gesehen hatte. Doch das machte ihre eigene Niedergeschlagenheit nur noch schlimmer. „Also fahren Sie morgen?” fragte sie kleinlaut.

„Ja, morgen in aller Frühe. Ich hätte meine Nichte mitgenommen, doch bedauerlicherweise leidet auch sie an Influenza.”

„Ganz Melhausen hat diese schweren Erkältungen.”

„Außer Ihnen und mir.”

Beim Sprechen lächelte er Zaza zu, dann sagte sie:

„Auch ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, Professor. Ich kann es nicht ertragen, dass Sie mich ausgerechnet jetzt verlassen wollen.”

Als hätte er eben erst ihren Gesichtsausdruck bemerkt, fragte er: „Was hat Sie denn so aus der Fassung gebracht, Prinzessin? Was ist vorgefallen?”

„Papa hat mir gerade mitgeteilt, dass er meine Hochzeit mit Prinz Aristide von Valoire arrangiert.”

„Hochzeit”, rief der Professor aus. „Sie Arme, dann sind Sie verloren, vollkommen verloren. Was können Sie dann noch erwarten? Ganz ohne Zweifel ist dieser Prinz haltlos, prahlerisch und dumm, genau wie alle diese Prinzenfiguren, die hier herumschwirren.” Der Professor war ein Verächter des Adels und insbesondere der Leute, die den Palast besuchten.

Gewiss hatte der Professor recht, und Prinz Aristide war genauso wie alle anderen. Wenn sie ihn heiratete, würde ihr Leben weitergehen, wie bisher, nur dass sie anstelle ihres Vaters einen Ehemann hätte, der sie herumkommandierte.

„Es ist unerträglich”, sagte der Professor, „wenn sich jemand mit Ihrem Verstand und Ihrer Intelligenz beugen muss vor dem Altar der Bourgeoisie, die jede Freiheit abwürgt, auch die des Geistes.”

Das war, soviel wusste Zaza schon der Kernpunkt der Theorie seiner Freunde, jede Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft rühre von der Herrschaft der Bourgeoisie her, die alle Ämter im Parlament, in den Gerichten, in der Kirche und in der Armee besetzt habe.

„Sicher haben Sie recht”, sagte sie, „aber was kann ich tun?”

„Sie müssen sich eben weigern zu heiraten”, antwortete der Professor. „Sie müssen eine Lanze für die Freiheit brechen. Sie sind zwar nur eine Frau, aber auch eine Frau von Ihrer Klugheit kann das Banner der Freiheit tragen.”

Zaza seufzte.

Sie wusste genau, ihr Vater hätte überhaupt kein Verständnis für ihren Vorschlag, sich ihren Ehemann lieber selbst aussuchen zu wollen, als von ihm mit irgendeinem königlichen Prinzen nach seinem Geschmack verheiratet zu werden.

Da der Großherzog so herrisch war, fand Zaza es normalerweise geschickter, sich gar nicht erst auf eine Auseinandersetzung mit ihm einzulassen; lieber akzeptierte sie, was immer er sagte, um dann das Gegenteil davon zu tun.

Genau dies hatte ihr die Mutter ihr ganzes Leben hindurch mit großem Erfolg vorgelebt.

Die Großherzogin war eine sehr intelligente Frau gewesen, und sie hatte nie Schwierigkeiten gehabt, in allen wichtigen Dingen ihren Willen schließlich doch durchzusetzen. Sie schaffte dies, weil der Großherzog sie liebte und viel Respekt vor ihr hatte.

Oft hatte Zaza den Eindruck, als sehe er in seinen Kindern gar keine Menschen. Die waren eben einfach da, und er behandelte sie wie Gegenstände und erwartete von ihnen Gehorsam. Im Übrigen waren sie für ihn genauso ein Teil des Palastes wie ein Stuhl oder ein Tisch.

Sie könnte ihren ganzen Mut zusammennehmen und ihrem Vater sagen, wie sie zu der Hochzeit stand; doch es würde keinen Zweck haben, denn er würde ihr nicht einmal zuhören.

Sie konnte sich ausmalen, dass er, bevor sie auch nur einen einzigen Satz des Widerspruchs zu Ende gesprochen hätte, schreien würde, bis sie schwieg. Eine vernünftige Auseinandersetzung über dieses Thema erschien ihr vollkommen undenkbar.

„Hochzeit”, wiederholte der Professor. „Hochzeit mit irgendeinem Schwachkopf, der eine Krone trägt, weil sein Vater eine getragen hat und vorher sein Großvater. Wie könnten Sie das aushalten? Die Einfältigkeit unterentwickelter Geister, umgeben von Frauen wie der Comtesse Glücksburg.”

Der Professor hatte recht. Wie könnte sie sich die nächsten fünfzig Jahre lang mit so einer Glücksburg unterhalten, ohne dass wenigstens der Professor die unerträgliche Langeweile mildern würde?

Ihre graublauen Augen in dem zarten Gesicht waren weit geöffnet, als sie fragte: „Was soll ich denn tun? Bitte sagen Sie mir doch, was kann ich tun?”

Der Professor hob die Hände in einer typisch französischen Geste. „Sie müssen eben fliehen”, sagte er. „Sie müssen fliehen, bevor es zu spät ist, bevor Sie sich in einem goldenen Käfig wiederfinden, in dem Ihr Geist dahinwelkt und schließlich abstirbt.”

Zaza lief es heiß und kalt über den Rücken. Als ihr Vater ihr erzählt hatte, dass die Hochzeit vorbereitet würde und sein Botschafter in Valoire die Sache bereits mit dem Prinzen selbst besprach, glaubte sie, ihr Schicksal sei besiegelt.

Doch jetzt hatte ihr der Professor die trüben Aussichten noch klarer vor Augen geführt, noch furchterregender. Angst erfasste sie. „Ich kann es einfach nicht”, sagte sie mehr zu sich selbst, doch der Professor hatte ihre Worte verstanden.

„Es bleibt Ihnen keine andere Wahl”, sagte er. „Es sei denn, Sie haben den Mut, von zu Hause fortzulaufen.”

„Fortzulaufen?”

„Warum nicht? Die Welt ist groß, eine Welt, die Sie nie zu Gesicht bekommen haben, weil Sie Ihr Leben lang eingesperrt waren.”

„Aber wohin soll ich gehen?” fragte Zaza, obwohl sie die, Antwort schon wusste.

„Nach Paris natürlich. Nach Paris. Da werden Sie Menschen finden, Hunderte, Tausende, die so denken wie wir. Menschen, die an den Fortschritt glauben und ihr Leben nicht einfach wegwerfen, sondern es auskosten bis zum Grund.”

Zaza hielt den Atem an. Paris zu sehen war schon immer ihr Wunschtraum gewesen. Sie hatte alle die Bücher über Paris gelesen, die ihr der Professor gegeben hatte, und sie studierte jedes neue Buch, das ihr in die Hände fiel.

Doch bedrucktes Papier war nicht dasselbe wie Paris mit eigenen Augen zu sehen, die Stadt zu fühlen und ihrem Duft zu kosten. „Sie meinen, ich soll . . . nach Paris fahren?” sagte sie. „Warum nehmen Sie mich dann nicht gleich morgen mit?”

Die Überraschung war dem Professor am Gesicht abzulesen, und es wurde ihr klar, dass er wie so oft von seinen eigenen Gedanken fortgerissen worden war, die keinen Bezug mehr zur Wirklichkeit hatten. Das passierte ihm immer wieder, wenn sein Idealismus mit ihm durchging, und es war dann schwieriger ihn, seinen Enthusiasmus wieder mit der Realität in Einklang zu bringen.

Einen Augenblick war es still, dann sagte der Professor: „Wollen Sie wirklich mit mir kommen?”

„Warum denn nicht? Wenn Ihre Nichte Sie nicht begleiten kann, weshalb sollte ich dann nicht an ihrer Stelle mitkommen?”

Die Augen des Professors hafteten fest auf ihrem Gesicht; offenbar überlegte er, wie dieser Plan in die Tat umzusetzen wäre. Kurz darauf sagte er: „Den Pass meiner Nichte habe ich, und warum sollten Sie ihn nicht benützen? Aber vielleicht würden wir an der Grenze festgehalten.”

„Aus welchem Grund sollte man Ihre Nichte als eine entflohene Prinzessin verdächtigen?” bemerkte Zaza.

Der Professor war von der Idee so überwältigt, dass er sich auf dem Klavierhocker niederließ. „Ja, es müsste möglich sein”, sagte er vor sich hin. „Ich könnte Ihnen Paris zeigen, das Paris, über das wir immer geredet haben, das echte Paris. Nicht das Scheinbild, das den Touristen vorgeführt wird.”

„Genau dieses Paris möchte ich kennenlernen”, sagte Zaza.

Der Professor breitete plötzlich die Hände aus, als wollte er die ganze Welt umarmen. „Dann kommen Sie mit”, rief er. „Ich werde Ihnen ein Leben zeigen, wie es Ihnen bisher nie erlaubt war. Und wenn ich dafür ins Gefängnis geworfen werde, dann ist es mir das wert.”

„Gefängnis?” fragte Zaza. „Könnte das passieren, wenn wir erwischt werden?”

„Selbstverständlich. Ihr Vater würde mich vor Gericht stellen, weil ich Sie entführt hätte. Das ist in jedem Land strafbar, Melhausen macht da keine Ausnahme.”

„Dann dürfen wir uns eben nicht erwischen lassen”, sagte Zaza sorglos. Dann fügte sie in ernsterem Ton hinzu: „Was uns vor der öffentlichen Entdeckung retten könnte, ist die Tatsache, dass Papa wohl kaum einen Skandal will.”

„Das ist richtig”, stimmte der Professor zu. „Seine Königliche Hoheit ist sehr empfindlich gegenüber der öffentlichen Meinung.”

„Außerdem”, meinte Zaza, „würde er nicht wollen, dass Prinz Aristide erfährt, ich sei weggelaufen, um ihn nicht heiraten zu müssen. Das könnte nämlich zu einem gespannten Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern führen.”

„Sehr intelligent”, pflichtete ihr der Professor bei.

„Ich müsste Papa klarmachen”, fuhr Zaza fort, „dass es nur eine Ferienreise ist. Ich werde ihm einen entsprechenden Brief hinterlassen. Und da er immer glaubt, was er gerade glauben will, wird er nichts anderes hinter der Sache vermuten. Allerdings wird er sehr böse sein, weil ich ihn nicht vorher um seine Erlaubnis gefragt habe.”

„Guter Gedanke, sehr guter Gedanke”, bestätigte der Professor. „Die Frage ist nur noch, wie werden Sie aus dem Palast kommen?”

„Daran habe ich auch schon gedacht”, sagte Zaza, „und sicher wird es nicht ganz einfach sein.”

Als der Zug am nächsten Morgen um sieben Uhr früh aus dem Bahnhof rollte, saß Zaza in einem Abteil zweiter Klasse. Sie lehnte sich zurück und ließ die Ereignisse der letzten Stunden nochmals an sich vorbeiziehen. Es war alles doch viel leichter gegangen, als sie zunächst befürchtet hatte.

Nachdem sie den Professor am Tag zuvor im Musikzimmer zurückgelassen hatte, war sie schnell zum Zimmer ihrer Schwester gerannt. Rachel lag in ihre Kissen zurückgelehnt und wartete gespannt auf Zazas Rückkehr von der Musikstunde.

Sie hasste es, ständig im Bett liegen zu müssen. Doch der Doktor wusste kein anderes Mittel gegen ihren schwachen Rücken und die ständige Müdigkeit. Wenn sie nichts zu tun hatte und mit niemand reden konnte, vergingen die Stunden langsam und trostlos.

Als Zaza nun wie der Wind ins Zimmer gestürmt kam, blickte Rachel neugierig auf. „Schön, dass du wieder da bist.”

Vorsichtig schloss Zaza die Tür hinter sich. „Rachel, ich muss dir was berichten. Etwas sehr, sehr Aufregendes.”

„Was denn?”

„Ich werde von zu Hause ausreißen.”

„Ausreißen?” rief Rachel.

„Ja, ausreißen. Vor Prinz Aristide, vor dem Palast, vor diesem ganzen langweiligen Leben, in dem nie was passiert. Ich gehe nach Paris.”

Rachel schrie begeistert auf. „Paris?”