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Ein Insider zeigt die dunklen Seiten Hollywoods
Hollywood versteht keinen Spaß – besonders, wenn es um Preise geht, denn dann geht es auch ums große Geld. Als der schwierige Regisseur Jerry den Golden Globe gewinnt, wird er damit gleichzeitig zum Favoriten für den Oscar. Und sofort tauchen böse Geschichten über ihn auf. Damit sinken seine Chancen, den Preis zu bekommen. Wer steckt dahinter? David Spandau, der Held von Stadt der Verlierer und Nächte in Babylon, läuft wieder zur Hochform auf, denn es gibt keinen, der sich in der bösen Glitzerwelt des Films so gut auskennt wie er.
Daniel Depp zieht wieder alle Register – und zeigt, dass er in die Reihe der großen Autoren gehört, die Hollywood ebenso witzig wie böse entzaubern.
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Seitenzahl: 401
1. Auflage
Copyright © 2013 by Daniel Depp
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013
bei carl’s books, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück, 30827 Garbsen.
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-09028-9www.carlsbooks.de
PROLOG
Tschechows dramaturgisches Gesetz besagt, dass eine Schusswaffe, die im ersten Akt an der Wand hängt …
Und Captain Midnight sagte:
»Weg mit dem Köter, sonst mach ich ihn alle.«
Der MacArthur Park in Los Angeles, ein trüber Frühlingsnachmittag.
Deets saß auf einer Bank am See, mampfte ein Pastrami-Sandwich und sah über das Wasser. Das Einzige, was ihm den Blick auf die Skyline ein bisschen vermieste, war die Fontäne. Das blöde Ding nervte. Trotz des nicht gerade berauschenden Wetters waren allerhand Leute auf den Beinen – Asiaten, Schwarze, Latinos, mindestens die Hälfte davon in zwielichtigen Geschäften unterwegs. Der Park war der reinste Supermarkt für Waffen und Drogen, der See eine Deponie für Schießeisen und Leichenteile. Ab und zu fischte die Polizei im Wasser nach Vermissten. Da wäre Deets zu gern mal dabei gewesen. Dann hätte sich ein Besuch im Park endlich mal gelohnt.
Deets, ein Schrank von einem Kerl im ramponierten, speckigen braunen Anzug, trug eine schwere Brille mit dicken Gläsern. Auf den ersten Blick wirkte er wie eine harmlose Dumpfbacke, erst aus der Nähe fiel das seltsame Flackern in seinen Augen auf, das verriet, wie es in ihm arbeitete.
Die fettige Tüte in der Hand, hatte er ein paarmal in das Sandwich gebissen, so geistesabwesend, dass ihm die Soße auf die Jacke tropfte, als sich auf einmal dieser Schwule mit dem Hündchen neben ihn pflanzte und anfing, tuntig in sein Handy zu quasseln, über die Party am Samstag und was Albert mit Ronnie gemacht hatte oder auch nicht. Deets drehte sich fast der Magen um. Der Köter, den die dämliche Schwuchtel auf dem Schoß hatte, war einer von diesen wischmoppartigen Kampfhamstern. Er glotzte zu Deets hoch, schnüffelte, roch das Sandwich und kläffte ihn an. Und die Tunte? Ließ ihn seelenruhig kläffen und quatschte einfach nur noch lauter.
Und da hatte Deets ihm dann angedroht, den Köter zu killen.
Der Schwule stockte mitten im Satz.
»Wie bitte?«
»Du hast mich genau verstanden. Nimm sofort deinen kleinen Klötenlecker da weg, oder ich reiß ihm die Rübe ab.«
Dem Schwulen klappte die Kinnlade runter.
»So…so was dürfen Sie nicht sagen«, brachte er schließlich stotternd hervor.
»Ach nein?«, gab Deets mit vollem Mund zurück. »Dann ruf doch die Cops. Aber hast du vielleicht schon mal davon gehört, dass einer eingebuchtet worden ist, weil er einem Hund Gewalt angedroht hat? In der Verfassung steht nichts über Tiere. Ich kann den Drecksköter vor deiner Nase abmurksen und auffressen und wandere trotzdem höchstens für ein halbes Jährchen in irgendeinen Schmuseknast. Und das auch bloß, wenn der Arsch von einem Richter ein Tierschutznazi ist. Glaubst du etwa, die Stadt lässt vierzigtausend Piepen für einen Prozess und Knastverpflegung springen, bloß weil ich deinen stinkenden Flohteppich allegemacht habe?« Deets biss in sein Sandwich. »Wohl kaum.«
Stumm klappte der Schwule ein paarmal den Mund auf und zu. Tränen stiegen ihm in die Augen.
»Timothy?«, tönte es aus dem Handy. »Was ist los, Timothy?«
Timothy riss den Hund hoch, der grollend nach Deets schnappte, und wollte ihm das Maul zuhalten, wofür ihm sein kleiner Liebling zum Dank in den Finger biss, mit dem Knurren aber trotzdem nicht aufhörte. Deets guckte währenddessen Löcher in die Luft und mampfte ungerührt vor sich hin. Von Weinkrämpfen geschüttelt, drückte Timothy den Hund an sich, damit er ihm nicht vom Arm sprang.
»Schatzi? Sag doch, was hast du auf einmal?«, quäkte das Handy.
Den zappelnden Hund an die Brust gepresst, hastete Timothy schluchzend davon.
Captain Midnight biss in sein Sandwich, spülte mit einem Schluck Limo nach.
Ein paar Meter weiter, auf einer anderen Bank, saß Malo, ein korpulenter Schwarzer in Maßanzug und teuren Schuhen. In der Hand hielt er ein gefaltetes TimeMagazine. Er stand auf, kam herüber und setzte sich auf den Platz, den der Schwule fluchtartig geräumt hatte.
»Immer noch der gleiche Menschenfreund wie eh und je, was, Deets?«
»Konnte es einfach nicht mehr mit ansehen, wie du da drüben rumhockst und Däumchen drehst, bis er endlich abzieht.«
»Und wenn er die Bullen holt?«
Deets gab ein pastramigedämpftes Glucksen von sich.
»Da hinten verticken zwei Typen schon den ganzen Nachmittag Pillen, als wären sie ’ne wandelnde Apotheke. Und da vorn bei der Fontäne kann man noch den Blutfleck sehen, wo irgend so ein Texmex-Gangster letzte Woche im Vorbeifahren von der Konkurrenz niedergemäht wurde. Wenn wir lange genug hier sitzen bleiben, kommt garantiert einer an, der uns das eine oder andere lebenswichtige Organ klauen will. Meinst du, da haben die Cops nichts Besseres zu tun, als mich dranzukriegen, weil ich der Schwuchtel gedroht habe, ihren Fifi abzumurksen? Ich kann Hunde nun mal nicht ausstehen. Widerliche Drecksviecher.«
»Stehst du mehr auf Katzen?«
»Die kann ich genauso wenig leiden.«
Deets verdrückte den Rest von seinem Sandwich, trank den letzten Schluck Limo, knüllte Tüte und Dose zusammen, ließ den Müll neben sich auf den Boden fallen und wischte sich mit einem versifften Taschentuch die Hände ab.
»Was hast du für mich?«
»Du kommst ins Marmont rein?«
»Ins Marmont? Da kommt doch sogar Stevie Wonder rein, auch ohne Krückstock«, sagte Deets.
»Ein leichter Job. Rein, raus – mehr ist nicht dabei. Der Typ ist den ganzen Abend auf der Piste, du hast also jede Menge Zeit. Kriegst du das mit dem Kartenschlüssel hin?«
Deets schnaubte verächtlich, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Er war schließlich Captain Midnight, verdammte Scheiße noch mal.
Malo redete unbeeindruckt weiter.
»In dem Bungalow steht ein Laptop rum, was für einer genau, weiß ich auch nicht. Auf der Festplatte ist ein Manuskript gespeichert, oder Teile davon. Irgendwelche Memoiren, das siehst du dann schon. Du sollst das Zeug kopieren und an die Medien verticken. Du kennst das Spiel, hast es ja schon oft genug gemacht. Nutz einfach deine Kontakte.«
»Dann geht es nicht um Erpressung?«
»Das kann dir egal sein. Lass das Material nach und nach durchsickern. Wenn du wieder aufhören sollst, geb ich dir Bescheid. Und dann ist eine Vollbremsung angesagt, kapiert? Sollte ich erfahren, dass du auf eigene Faust weitermachst, dümpelt deine Birne bald da vorne im See, und dein Arsch liegt mutterseelenallein in Bakersfield. Was du bei dem Deal abkassierst, kannst du behalten.«
Deets warf Malo einen misstrauischen Blick zu und sagte mit einem verschlagenen Grinsen: »Das kommt mir jetzt aber ein bisschen spanisch vor. Ich soll den Scheiß klauen, verscherbeln und die Kohle behalten? Du willst mich wohl vergackeiern.«
»Mein Auftraggeber hat kein Interesse an dem Geld. Er will die Geschichte nur an die Öffentlichkeit bringen.«
»Und wenn jemand die Quelle aufspürt, bin ich der Gearschte?«
Malo zuckte mit den Schultern. »Dein Problem. Du bist alt genug, deinen Kram selber geregelt zu kriegen, und weißt ja wohl, wem du trauen kannst und wem nicht. Schließlich greifst du bei dem Deal genug ab, also winsel mir hier gefälligst nichts vor.«
Dafür hatte Deets erneut nur ein Schnauben übrig.
»Rein, raus. Nicht, dass du dir wieder irgendwelche bescheuerten Mätzchen leistest. Du hinterlässt keine Visitenkarte. Du erledigst den Job und machst dich vom Acker, klar?«
»Du befehlen, ich machen, Massa«, frotzelte Deets.
»Komm mir bloß nicht auf die komische Tour. Nach dem Mist, den du beim letzten Mal gebracht hast, kriegst du überhaupt nur deswegen noch mal einen Auftrag von uns, weil wir auf die Schnelle keinen anderen auftreiben konnten.«
Deets lachte.
»Scheiße, Baby. Ihr wollt mich anheuern, weil ich der Einzige bin, der so eine Sache stemmen kann. Das weißt du genauso gut wie ich. Nicht vergessen: Ich bin Captain Midnight. Deinen Niggerjazz kannst du wem anders vordudeln. Ich weiß, was ich wert bin.«
Malo konnte sich nur mit Mühe beherrschen. »Eines Tages bring ich dich um, du perverse Rassistensau«, knurrte er.
»Solange du mich noch brauchst, tust du mir gar nichts. Also noch ewig und drei Tage. Da kriegst du dicke Nüsse, was, Malo? Geil. Nachdem du die Botschaft vom ollen Sklaventreiber abgeliefert hast, kannst du dich jetzt schön wieder aufs Baumwollfeld verzischen und von mir aus deine Schwester durchbumsen. Und noch was, du gottverfluchter, schwachköpfiger Schaukelstuhlgorilla: Lass dir ja nie wieder einfallen, mir zu drohen.«
Mit einem bitteren Lachen stand Malo auf. Er schüttelte den Kopf.
»Hast du nicht was vergessen, Sambo?«
Malo warf einen Blick auf die gefaltete Zeitschrift, die er immer noch in der Hand hielt. Als Deets grinsend danach greifen wollte, drehte er sich um, warf sie in den Papierkorb und stapfte davon.
»Du blöder schwarzer Schwanzlutscher!«, rief Deets ihm nach.
Ohne sich umzudrehen, zeigte Malo ihm über die Schulter den Stinkefinger.
Grummelnd vor sich hin schimpfend, spähte Deets in den Korb. Berge von matschigem Müll, alles voller Wespen und Fliegen. Da konnte man sich ja weiß Gott was einfangen. Mit spitzen Fingern griff er hinein. Eine alte Koreanerin starrte neugierig zu ihm herüber.
»Was gibt’s denn da zu glotzen, du alte Schlunze?«, raunzte Deets sie an.
Er fischte den verdreckten Umschlag heraus, wischte jeden Geldschein einzeln ab und schob sich das Bündel in die Jackentasche. In seiner Stinkwut auf Malo passte er nicht richtig auf und trat voll in einen Hundehaufen. Fluchend sprang er ins Gras und führte einen kleinen Foxtrott auf, um die Sauerei abzuwischen. Wieder zurück auf dem Weg, kickte er nach einer fetten Taube, die ihm zum Dampfablassen wie gerufen kam, drosch mit Karacho daneben und hätte sich um ein Haar auf die Schnauze gelegt.
Ein Scheißtag eben.
1
Um die zwei kleinen Löcher zu bohren, brauchte er genau zehn Sekunden. Elektronische Kartenleser wie diesen hatte er schon so oft geknackt, dass er ihn nicht mal mehr ausmessen musste. Er angelte mit den Enden eines Kupferdrahts in den Löchern herum, bis das grüne Lämpchen anging und das Schloss mit einem Klicken aufsprang.
Genau dafür bekam er ja die fette Kohle.
Er war eben ein echter Superheld, gar keine Frage.
Captain Midnight schlüpfte in den dunklen Hotelbungalow. Er zog die Tür zu, kramte eine Taschenlampe raus und leuchtete, »New York, New York« vor sich hin summend, den Raum ab. Der Laptop, auf den er es abgesehen hatte, lehnte am Schreibtisch. Er nahm ihn aus der Tasche, stellte ihn auf den Tisch und sah auf die Uhr. Er lag gut in der Zeit.
Er schaltete den Rechner ein und fuhr ihn hoch. Das Passwort? Scheiß drauf. Für Passwörter hatte Deets nur ein müdes Lächeln übrig. Wozu hatte er denn schließlich zwei Dutzend seiner höchst eigenen, speziellen Boot-CDs mitgebracht? Er wählte eine, legte sie ein, startete neu. Das Gerät schaltete ab, summte, wachte wieder auf. Statt irgendein blödes Startprogramm zu benötigen, umging es den ganzen Quatsch und katapultierte Deets aus dem Stand direkt ins Betriebssystem und von dort zu einer Auflistung sämtlicher Dateien.
»Hurra«, sagte Captain Midnight. »Ich bin eben ganz klar ein Gott unter den Sterblichen.«
Gemächlich ging er das Verzeichnis auf dem Bildschirm durch. Er brauchte nicht lange, um die gesuchte Datei zu finden und auf den mitgebrachten USB-Stick zu speichern. Schon nach wenigen Sekunden war alles erledigt. Zur Sicherheit überprüfte er noch mal die Dateien, ob er nicht irgendwas übersehen hatte.
»Das war ja die reinste Kinderkacke. Wo bleibt da die Herausforderung? Wo die Kunst?«
Noch ein Blick auf die Uhr. Kein Grund zur Eile.
»Wollen wir dann mal zum lustigen Teil der Veranstaltung kommen?«
Er riss sich ein Snickers auf, biss hinein und nahm sich kauend das Verzeichnis noch mal vor.
»Öde … öde … öde … Ah!«
Bilder. Captain Midnight klickte die Datei an. Alte Familienfotos und jede Menge Aufnahmen von einem Kerl mit blonden Locken und Bart, der ihm irgendwie bekannt vorkam. Dann stieß er auf die Nacktfotos. Er strahlte.
»Du böser, böser Junge, du.«
Solchen Schweinkram hatten alle Männer auf ihrem Computer. Man musste nur lange genug danach suchen. Das war mit das Beste an seinem Job. Captain Midnight sah sich die Bilder genüsslich an – und kopierte sie ebenfalls auf den Stick.
Als er aus dem Rechner alles Interessante rausgeholt hatte, schaltete er ihn aus und steckte ihn wieder in die Laptoptasche. Er blickte sich prüfend um, ob er auch ja keine Spuren hinterlassen hatte.
Alles in Butter.
Er seufzte. Jetzt kam das Allerbeste. Der einzige Grund, warum er solche Aufträge überhaupt annahm. Das Leben war fad genug. Das hatte man davon, wenn man ein Genie war.
Er wanderte im Zimmer umher und fasste alles an. Öffnete Schubladen, Schranktüren und Koffer. Strich über Hosen, Hemden und Jacken. Befingerte die Unterwäsche, durchwühlte den Wäschesack. Ging ins Bad, betatschte die Zahnbürste, den Rasierapparat, die feuchten Handtücher, die Klobrille. Öffnete den kleinen Kulturbeutel und befummelte das Tablettenfläschchen, die Kondompackung, schnüffelte am Rasierwasser.
Oh yeah, Baby.
Wanderte zurück ins Schlafzimmer, nahm ein nagelneues weißes Hemd aus einer Schublade, zog die Klammern und Pappstreifen heraus, legte es auseinander und breitete es auf dem Bett aus. Er machte seine Hose auf, schwang ein paarmal die Fleischpeitsche und spritzte auf das Hemd ab.
Ah ja, ah ja …
Stand einen Augenblick selig da, mit weichen Knien, ein bisschen schwindlig.
Packte seinen Pimmel wieder ein. Faltete das Hemd sorgfältig wieder zusammen, genau so, wie er es vorgefunden hatte. Legte es zurück in die Schublade.
Sagte: »Herzlichen Glückwunsch, Sie wurden soeben von Captain Midnight gefickt. Hey-ho, volle Kraft voraus!«
Und weg war er.
2
Jerry Margashak stand im Restaurant des Bonaventure Hotels, um ihn herum an die hundert Leute, die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Die meisten von ihnen hatte er zwar noch nie im Leben gesehen, aber da ihm die wenigen Figuren, die er tatsächlich kannte, herzlich zuwider waren, ging er der Einfachheit halber davon aus, dass er auf den großen Rest ebenfalls mit Dank verzichten konnte. Er hatte mehr als nur ein Glas über den Durst getrunken, aber das war bei ihm nichts Ungewöhnliches. Wo er auch hinsah, überall bliesen irgendwelche Verleihfuzzis den Kritikern und Studiobossen Zucker in den Arsch. Nach der Vorpremiere in der Stadt hatte sich das ganze Pack ins Hotel vertagt, um sich auf Kosten der Produktionsfirma zu besaufen, Drogen an Land zu ziehen und eine heiße Nummer fürs Bett aufzureißen.
Der Film, Jerrys Film, der Film, für den er (zumindest theoretisch) das Drehbuch geschrieben und bei dem er Regie geführt hatte, war bei den Testvorführungen so gut angekommen, dass keine größeren Änderungen mehr nötig waren. Die Geldgeber rieben sich die Hände. Die heimischen und europäischen Verwertungsrechte, ohne deren Verkauf das Projekt nie hätte realisiert werden können, waren längst unter Dach und Fach. Nun ging es nur noch darum, den Rest der Welt zu erobern. Und deshalb musste Jerry sich heute unter die internationale Filmschickeria mischen und sich alle paar Minuten sagen lassen, wie genial er war. Was das Letzte war, das er hören wollte.
Aus dem dichtesten Getümmel heraus versuchte eine Blondine verzweifelt, ihm schöne Augen zu machen.
»Das halb nackte Häschen in dem roten Fummel holt sich noch einen Leistenbruch, wenn du ihr weiter die kalte Schulter zeigst«, sagte Annie Michaels.
Annie war seine Agentin, und Jerry hasste sie ebenfalls wie die Pest, aber wie die meisten anderen in diesem Haifischbecken hatte auch sie ihn in der Tasche.
»Ich kann sie nicht ausstehen«, knurrte Jerry.
»Kennst du sie?«
»Nein.«
»Gibt es eigentlich irgendwen, den du nicht hasst?«
»So wird man wenigstens nicht enttäuscht.« Er trank einen Schluck Champagner. »Dann kann es immer nur aufwärts gehen.«
»Und? Was meinst du?«, fragte sie. »Bist du zufrieden?«
»Ich krieg mich gar nicht wieder ein.«
»Alle waren begeistert. Du bist ein Star.«
»Ich will kein Star sein.« Er trank weiter. »Ich will der Typ sein, der einen wirklich guten Film gemacht hat, was man von diesem Streifen beim besten Willen nicht behaupten kann.«
Sie hakte sich bei ihm unter und bugsierte ihn aus dem Gedränge.
»O nein, Freundchen«, sagte sie. »Nicht hier und nicht jetzt. Wenn du dich unbedingt aufführen musst wie ein Kleinkind, bitte schön: Geh ins Hotel, gib dir die Kante und jammer der Kloschüssel was vor.«
»Das ist der letzte Müll, Annie. Das ist nicht mehr mein Film. Spätestens seit Frank und der Zweitregisseur – dieser Nichtskönner, der meint, für einen dramaturgischen Höhepunkt müsste man bloß jemandem mit einer Kettensäge den Kopf spalten – ohne mein Wissen die Wüstenszenen nachgedreht haben. Und dann haben die Schweine ihn auch noch umgeschnitten. Ach, was sag ich, zermetzgert haben sie ihn. Wenn ich nicht Angst um meine Kohle haben müsste, würde ich meinen Namen zurückziehen. Apropos, wo bleibt überhaupt der Rest von meinem Geld?«
Ein aalglatter Typ, der ganz so aussah, als gehörte er in die zweite Riege des Studiomanagements, schüttelte Jerry die Hand.
»Glückwunsch!«, sagte er. »Geiler Streifen. Muss ein tolles Gefühl sein. Endlich die wohlverdiente Anerkennung. Aber da mussten Sie ja auch lange genug drauf warten, was?«
»Stimmt«, antwortete Jerry. »Und ob.«
»Ich sehe schon den Oscar winken«, fuhr der Aalglatte fort. »Beste Regie. Den Golden Globe haben Sie auf jeden Fall in der Tasche.«
»Wer hat letztes Jahr gewonnen?«, fragte Jerry.
»Hä?«
»Wer hat letztes Jahr den Golden Globe für die beste Regie bekommen?«
Der Mann überlegte. »Ist ja ein Ding. Ich kann mich nicht erinnern.«
»Sehen Sie?«, sagte Jerry. Und an Annie gewandt: »Wo steckt er?«
»Wer?«
»Stell dich nicht döfer, als du bist. Frank. Wo hat sich das verdammte Frettchen verkrochen?«
»Keine Ahnung.«
»Ist er hier? Wo ist die miese Ratte? Der muss sich doch hier irgendwo rumtreiben, der Arsch.«
Jerry leerte sein Glas, griff sich das nächste, genehmigte sich einen tüchtigen Schluck und machte sich auf die Suche.
Frank Jurado, der Produzent des Films, unterhielt sich mit einer Gruppe von Geldleuten.
»Da ist er ja, unser Goldjunge«, sagte er, als Jerry neben ihm auftauchte. »Gratuliere!«
»Leck mich, Frank. Wo ist mein Geld?«
»Das besprechen wir später.« Frank sah an ihm vorbei und warf Annie einen warnenden Blick zu. »Jetzt geh erst mal schön weiterfeiern.«
»Und ob wir das besprechen. Und wenn wir dann schon mal dabei sind, kannst du mir auch gleich erklären, wieso du meinen Film so verhackstückt hast und wieso ich wie ein Hamster im goldenen Käfig im Chateau Marmont untergebracht bin.«
»Schöner Käfig für einen Hamster«, sagte einer der Geldsäcke.
»Sie können mich auch mal«, entgegnete Jerry höflich.
Annie hängte sich bei ihm ein und versuchte, ihn weiterzuschieben.
»Nicht hier, nicht heute«, raunte sie ihm zu.
»Nicht? Und wann und wo dann? Am Sankt-Nimmerleins-Tag? Nirgends?«
»Du hast gerade dem größten Verleiher für US-Filme in Lateinamerika gesagt, dass er dich am Arsch lecken kann.«
»Ich will meine Kohle. Ich will mit keinem stinkenden Lamahirten quatschen, es sei denn, er hat meine Kohle. Aber die hat Frank.«
»Du kriegst dein Geld. Du kennst den Deal. Sobald die Auslandsrechte verkauft sind, bekommst du den Rest.«
»Und wann soll das sein?«
»Vielleicht nie, wenn du nicht aufhörst, den Leuten, die an der Quelle sitzen, zu sagen, dass sie dich mal kreuzweise können.«
»Ich traue Frank nicht über den Weg.«
»Meinst du etwa, ich? Für wie blöd hältst du mich? Dem traut keiner. Wäre ja auch noch schöner, er ist schließlich Produzent. Aber er hat dir zu deinem großen Durchbruch verholfen. Letztes Jahr um diese Zeit hast du dich gefreut wie ein Schneekönig, ihn zu sehen. Wo warst du da noch mal? Ach ja, jetzt weiß ich’s wieder. Du bist in Wisconsin versauert. Du musstest dir das Geld zusammenkratzen, damit du dir eine Kamera ausleihen konntest, um einen Film über Käse zu drehen.«
»Es war ein Film über ein aussterbendes Handwerk. Über Kunst und Leidenschaft.«
»Es war ein Schinken über Käse, Jerry.«
»Ein Schinken über Käse«, wiederholte er leise.
»Eben. Und jetzt lässt du dich schön mit Champagner volllaufen und siehst zu, dass du eins von den Betthäschen abschleppst, die dich umschwirren wie die Motten das Licht. Ich kümmere mich um Frank, der bestimmt einen Tobsuchtsanfall bekommen hat. Vielleicht kann ich die Wogen ein bisschen glätten.«
Annie ging. Die Blondine kam. Streckte ihm die Hand hin. Jerry schlug ein.
»Hi, ich bin Terri.«
»Ich bin Jerry.«
»Ich weiß.«
»Terri und Jerry. Klingt wie aus einem Zeichentrickfilm.«
»Soll ich die Maus oder die Katze sein?«
»Kannst du dir aussuchen. Hauptsache, du interessierst dich für Käse. Mit Käse kenn ich mich nämlich wahnsinnig gut aus. Ich würde dir gern etwas darüber erzählen.«
3
Als Jerry und Terri vor dem Chateau Marmont mit dem Taxi vorfuhren, wurden sie beobachtet.
Die Chipmunks – drei junge Armenier von Mitte zwanzig bis Anfang dreißig – ließen sie nicht aus den Augen.
»Wie sieht sie aus?«, fragte Tavit, der in dem dunklen Mercedes auf dem Rücksitz saß und nicht viel erkennen konnte.
»Nicht übel«, sagte Araz.
»Nicht übel?«, sagte Savan. »Sie sieht geil aus.«
»Ob sie Schauspielerin ist?«, fragte Araz.
»Oder ein Model«, sagte Tavit.
»Wir warten noch ein paar Minuten, dann erwischen wir sie nackt, okay?«, sagte Savan.
»Au ja«, sagte Tavit.
4
Die Kleine in dem Bungalow war tatsächlich splitternackt. Jerry wollte sie gerade besteigen, als es laut klopfte und sein schöner Ständer wie ein missglücktes Soufflé in sich zusammenfiel. Fluchend stieg er von ihr runter, warf sich den Hotelbademantel über und stapfte zur Tür. Der verdammte Störer konnte sich auf was gefasst machen.
»Egal, wer da draußen steht«, brüllte er. »Ich brech dir in einer Sekunde die Nase, also sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!«
Er riss die Tür auf.
»Du brichst heute Abend keinem mehr die Nase«, sagte Savan, während sich die Chipmunks an ihm vorbei ins Zimmer schoben.
»Wer zum Teufel seid ihr?«, fragte Jerry.
Tavit meldete sich zu Wort. »Wir sind das Inkassobüro der Baldessarian Investment Corporation.«
»Der Balde- «, begann Jerry. Dann ging ihm ein Licht auf. »Ach so, ihr meint Onkel Atom. Dann müsst ihr die Chipmunks sein.«
»Nicht dieser Name. Etwas mehr Respekt, wenn ich bitten darf«, sagte Araz.
»Die Chipmunks?«, hakte die nackte Terri nach.
»Zieh dir die Decke über die Titten, Baby. Wir haben Gesellschaft«, sagte Jerry. »Atom Baldessarian, ein Kredithai aus Eagle Rock. Armenische Mafia. Das hier sind seine berühmten Neffen.«
»Die armenische Mafia?« Terri zog die Decke hoch.
»Es gibt keine armenische Mafia«, sagte Savan.
»Na klar, und es gibt auch kein Eagle Rock«, sagte Jerry.
»Das mit den Chipmunks verstehe ich immer noch nicht«, sagte Terri.
»Alvin, Theodore und Simon. Du weißt schon.«
»Ach so, die Backenhörnchen aus dem Film«, sagte Terri. »Wie süß.«
»Sie haben sogar ihr eigenes Weihnachtslied«, sagte Jerry.
»Wir sind nicht zum Spaßen aufgelegt«, sagte Araz.
»Ich auch nicht«, antwortete Jerry. »Ich gebe mir jedenfalls die größte Mühe, ernst zu bleiben. Was nicht gerade einfach ist, wenn einem der Schwanz zum Bademantel raushängt. Womit kann ich den Herren dienen?«
»Ich verstehe immer noch nicht, wieso sie Chipmunks heißen.« Terri lächelte Tavit an, der lächelte zurück. Savan boxte ihn gegen den Arm.
»Das Lied wurde von Ross Bagdasarian geschrieben, einem Armenier«, erläuterte Jerry. »Er hat die Chipmunks erfunden. Er war ein Cousin von William Saroyan. Noch so ein berühmter Armenier.«
»Wieso weißt du so viel über Armenier?«, fragte sie. »Gibt es überhaupt berühmte Armenier?«
»Jede Menge«, antwortete Tavit stolz, womit er sich von Savan ein »Schnauze, Mann!« einhandelte.
»Onkel Atom sagt, dass wir nicht genug gewürdigt werden. Deswegen müssen wir die Leute immer daran erinnern, was für einen Beitrag wir leisten«, sagte Tavit.
»Dann erinnere ich dich jetzt mal daran, dass du ein Vollpfosten bist«, sagte Araz. »Wo sind die Sachen?«
»Hier.« Tavit händigte seinem Cousin einen Kinderrucksack mit Häschenapplikation aus.
Araz deutete mit dem Kopf auf Jerry. Savan und Tavit packten ihn und schleiften ihn zu einem Stuhl, pflanzten ihn darauf und hielten seine Arme fest.
»Du schuldest Onkel Atom siebenunddreißigtausend Dollar. Bei zehn Prozent Zinsen die Woche und drei Wochen Rückstand macht das …«
Savan war im Kopfrechnen nicht der Schnellste.
»Vierzigtausendsiebenhundert«, sagte Terri ihm vor. »Ich hab früher in einer Bank gearbeitet.«
»Onkel Atom kriegt sein Geld, und das weiß er auch«, kam es von Jerry.
»Das hast du ihm vor zwei Wochen versprochen«, sagte Araz.
»Wieso knöpfen wir uns nicht lieber zusammen den Kerl vor, der mir einen Haufen Kohle schuldet? Ich weiß, wo er wohnt. Ich helfe euch, ihn zu vermöbeln, und dann können wir Onkel Atom seine vierzig Riesen geben.«
Araz holte eine kleine Lötlampe aus dem Rucksack. Jerry machte große Augen. Araz zündete die Lampe an. Jerry wurde immer nervöser.
Araz schlug Jerrys Bademantel auf.
»Ist ja der Hammer«, sagte Tavit.
»Na, jetzt wird mir so einiges klar.« Savan warf einen Blick auf Terri, die ebenfalls Bauklötze staunte.
»Können wir vielleicht wieder zur Sache kommen? Natürlich nur, wenn die Herren meine Männlichkeit ausreichend bewundert haben – und zwar in durchaus homoerotischer Manier, wie ich anfügen möchte.«
»Wie du willst – kommen wir zur Sache«, sagte Araz. »Du schuldest Onkel Atom vierzigtausend Eier – und hast leider selber nur zwei.«
»Das ist ja nun nicht gerade besonders konstruktiv«, wandte Jerry ein. »Wir wollen doch alle, dass ihr euer Geld bekommt.«
Araz drehte die Flamme höher und schob die Lampe langsam auf Jerrys niedere Gefilde zu. Der versuchte sich loszureißen.
»Herrschaftszeiten.« Jerry rutschte auf dem Stuhl so weit wie möglich nach hinten. »Noch eine Woche. Nur noch eine Woche.«
Es roch nach verbranntem Schamhaar.
»Oh, verflucht«, sagte Jerry.
Terri kreischte. Savan sagte: »Noch einen Mucks, und bei dir gibt’s gebratene Saftschnecke.«
Terri schwieg.
Araz bewegte die Lötlampe vor und zurück, bis Jerry vor Schmerzen schrie.
Araz nahm die Lötlampe weg. Stellte sie ab, ohne sie auszuschalten. Blickte sich um. Entdeckte eine Obstschale. Nahm eine Banane heraus, kippte die restlichen Früchte auf den Boden. Grinste in sich hinein.
Holte etwas aus dem Häschenrucksack, das in Metzgereipapier eingewickelt war. Packte es aus. Zwei eiförmige fleischige Klumpen.
»Ach, du Scheiße«, rief Terri. »Was ist das denn?«
Jerry riss die Augen auf. »Wenn mich die Erinnerung nicht trügt«, sagte er, »sind das Schafhoden.«
»Wie? Was? Eier vom Schaf?«
Araz stellte die Obstschale zwischen Jerrys Füße. Er legte die Schafhoden hinein und arrangierte dazwischen kunstvoll die Banane.
Mit einem vielsagenden Blick auf Jerry griff er nach der Lötlampe und fing an, sein Kunstobjekt zu verschmoren. Es brutzelte. Der Geruch nach Lammkoteletts und gebratener Banane mischte sich mit dem etwas schwächeren Gestank der verbrannten Haare an den Innenseiten von Jerrys Oberschenkeln.
Terri sprang aus dem Bett, rannte ins Badezimmer und übergab sich.
Als von den Hoden und der Banane nur noch verkohlte Häufchen übrig waren, drehte Araz die Lötlampe aus. Jerry stand die Erleichterung überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
Araz sagte: »Gib Onkel Atom das Geld, sonst kommen wir in einer Woche wieder und veranstalten eine echte Grillparty, verstanden?«
Er packte die Lampe in den Rucksack und wandte sich zur Tür. Terri kam wieder aus dem Bad. Savan und Tavit gönnten sich zum Abschied noch einen lüsternen Blick, bis Tavit sich von Savan eine Kopfnuss einfing. Dann waren die Chipmunks auch schon verschwunden.
Terri setzte sich auf die Bettkante.
»Sehen deine Abende immer so aus?«, fragte sie.
»Nicht immer, aber anscheinend immer öfter.«
Sie warf einen Blick auf Jerrys nackte Männlichkeit.
»Daraus wird wohl nichts mehr, oder?«
»Nein, Baby, ich glaube kaum.«
Sie stand auf, schnappte sich ihre Klamotten und verschwand erneut im Bad. Jerry betastete vorsichtig die verbrannten Stellen. Es tat weh.
Terri kam angezogen wieder ins Zimmer.
»Ruf mich an, wenn die Schwellung zurückgegangen ist«, sagte sie.
»Wird gemacht, Baby.«
Sie drückte ihm ein Küsschen auf die Wange und ging hinaus.
Jerry blieb erst einmal sitzen, wo er war. Dann erhob er sich unter Schmerzen und watschelte breitbeinig zum Telefon.
»Zimmerservice? Hätten Sie vielleicht eine Brandsalbe da?« Lauschte in den Hörer. Warf einen Blick auf seine Eier. »Ich glaube, mehr als eine Verbrennung ersten Grades ist es nicht. Hab noch Glück im Unglück gehabt.«
Er klemmte sich hinter seinen Laptop, fuhr ihn hoch und schrieb in sein Tagebuch.
5
Annie Michaels’ Assistentin Sylvia sperrte das Büro auf. Sie kochte Kaffee, sortierte den Poststapel, schaltete den Computer ein und sah sich wie jeden Morgen die RSS Feeds über Internetartikel an, die Annies Klienten betrafen.
In einem Hollywood-Klatschblog stieß sie auf einen ausführlichen Beitrag über Jerry. Über seine Vergangenheit, über die Geschichte mit dem Typen, dem er angeblich ein Drehbuch geklaut hatte.
Scheiße!
Sie griff zum Telefon und rief Annie an.
6
Annie war zu Hause und machte mit ihrem Trainer Roberto Tai-Chi-Übungen.
»Sie müssen vorstellen, Sie Kreppfruit halten. Dann Sie bewegen von einer Seite auf andere.«
»Ich halte eine Kreppfruit, Roberto.«
»Nein, Sie Basketball halten. Muss sein Kreppfruit, kein Basketball. Müssen konzentrieren.«
»Ich konzentriere, Roberto. Ich sehe bloß nicht ein, wieso ich keinen verdammten Basketball halten kann, wenn das bequemer ist. Schließlich will ich zur inneren Ruhe finden. Ich will keinen Unterricht im Obststreicheln.«
»Für innere Ruhe müssen hart arbeiten.«
»Kann ich nicht irgendwie zur inneren Ruhe finden, ohne mir dabei wie Marcel Marceau vorzukommen? Aber so oder so, ich werde sie mir verschaffen, Roberto, darauf können Sie einen lassen. Und wenn wir dabei beide draufgehen. Haben wir uns verstanden?«
»Jetzt wir stoßen Affen zurück.«
Annies Handy klingelte. Sylvia. Sie ging ran. Roberto schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verdrehte die Augen.
»Was ist los?«, fragte Annie. »Ich soll gerade einen Affen schubsen oder so.«
Sylvia dachte im ersten Augenblick, es ginge dabei um Sex oder Drogen, doch dann fiel ihr ein, dass Annie ihren Tai-Chi-Tag hatte.
»Als ich eben das Internet durchforstet hab, bin ich über was gestolpert.«
»Jetzt komm schon zu Potte!«
»Über Jerry Margashak. Du hast gesagt, ich soll dich sofort anrufen, wenn ich bei ihm mal fündig werde.«
»Sylvia, Schatz, wenn du nicht sofort mit der Sprache rausrückst, komm ich rüber und bring dich mit der Machete zum Sprechen. Wie schlimm ist es?«
»Tja«, sagte Sylvia. »Gut ist es auf jeden Fall nicht.«
Und sie erstattete ihr Bericht.
»Verflucht!« Annie legte auf.
»Müssen konzentrieren«, beschwor Roberto sie erneut.
Annie tippte hektisch auf dem Handy herum.
»Nein, Roberto. Ich muss mich um meine Arschlöcher von Klienten kümmern, die es anscheinend darauf abgesehen haben, mich unter die Erde zu bringen. Und übrigens, Sie sind gefeuert. Ich hasse dieses Zeitlupengehampel. Packen Sie Ihr Obst und Ihre Affen ein und schieben Sie ab.«
Ins Handy: »Geben Sie mir Frank … Wie bitte? Wer ich bin? Sind Sie von gestern? Sind Sie gerade erst aus der Wiege gestiegen? Sagen Sie ihm, Annie will ihn sprechen.«
Kurze Pause, und Frank Jurado war am Apparat.
»Frank«, sagte Annie. »Die Kacke ist am Dampfen.«
7
Die große Liebesszene der Neuverfilmung von Die Falschspielerin war abgedreht, der Regisseur rief: »Cut!«, und sah den Kameramann an. »Taugt das was?«
»Das war ganz großes Kino«, sagte der Kameramann.
Der Held fragte: »War ich nah genug dran?«
»Du warst nah genug dran«, sagte die Heldin.
»Ich könnte noch näher ran.«
»Höchstens, wenn du beide Rollen gleichzeitig spielen und dabei in meine Unterwäsche schlüpfen willst.«
»Das wäre zu überlegen«, sagte der Held.
Spandau und Anna, die abseits des Sets standen, verfolgten die Dreharbeiten auf einem Monitor und hörten über Kopfhörer mit.
»Unser Oscar-gekrönter Kameragott bescheinigt uns ganz großes Kino«, verkündete der Regisseur. »Dann lassen wir es so. Können wir es so lassen?«
»Wir können«, sagte der Kameramann. »Machen wir jetzt Mittag?«
»Ich denke schon. Unsere Produzentin ist am Set. Fragen wir das Geld.« Und an Anna gewandt: »Was sagt das Geld? Machen wir jetzt Mittag?«
»Das Geld sagt, lasst es euch schmecken«, antwortete sie.
»Sonst noch jemand hier von euch Geldleuten?«
»Ich bin die einzige«, sagte Anna.
Der Regisseur tönte mit lauter Stimme in die Runde: »Habt ihr gehört? Das Geld sagt, wir können essen. Also essen wir!«
Alles verlief sich in die Mittagspause.
Anna sah Spandau an. »Wie gefällt es dir?«, fragte sie.
»Sieht gut aus.«
»Findest du, dass zwischen Regina und Bill die Chemie stimmt?«
»Für mich auf jeden Fall. Aber du bist das Geld. Ich bin lediglich der Freund des Geldes.«
»Stimmt, ja. Ich bin das Geld.«
»Ich bin schon ganz scharf darauf, dem Mammon zu frönen, aber erst musst du mich füttern.«
»Denkst du eigentlich immer nur ans Essen?«
»Manchmal denke ich auch an richtig schön versauten Sex. Allerdings nicht auf nüchternen Magen.«
»Dann sehen wir lieber zu, dass wir dich satt kriegen.«
»Gehen wir hinterher noch auf ein Schäferstündchen in dein Büro?«
»Ich hab um halb zwei ein Meeting.«
»Und wenn ich ganz schnell esse?«
»Ich schlafe nicht mit einem Mann, der sich mit Ketchup bekleckert hat.«
»Das war doch nur das eine Mal. Heute binde ich mir ein Lätzchen um.«
Spandau zückte sein Handy.
»Wehe, du telefonierst«, sagte Anna. »Wir haben einen Deal. Lunch ohne Handys.«
»Aber dabei ging es nur ums Anrufen. Es war nie davon die Rede, dass man nicht mal kurz seine SMS checken kann. Ich muss nämlich immer noch den Boss spielen.«
»Wie lange soll das noch so gehen? Ist Walter auf einer seiner berüchtigten Sauftouren? Oder hat er mal wieder geheiratet?«
»Er ist zu Hause. Ich mache mir langsam Sorgen um ihn.«
»Wahrscheinlich vergnügt er sich mit einer Flasche Scotch.«
»Das ist aber nicht sehr nett.«
»Nicht nett? Nicht nett ist dein Freund Walter, weil er sich dauernd zuschüttet und von dir erwartet, dass du seinen Job auch noch mit übernimmst.«
Spandau checkte sein Handy.
»Von ihm, ja?«, sagte sie. »Ich wusste es.«
»Er will mich sehen.«
»Er will bloß nicht alleine saufen.«
»Da hätte er sich verrechnet.«
»Aber er würde uns am liebsten auseinanderbringen und dich wieder zum Alki machen. Dann muss er dich nicht mehr mit mir teilen.«
»Können wir bitte über etwas anderes reden?«
»Lass dich nicht von ihm mit runterziehen, David. Es läuft doch so gut mit uns. Das darf er uns nicht kaputt machen.«
»Er ist kein heimtückischer Strippenzieher. Er ist mein Freund.«
»Er ist ein selbstsüchtiger, manipulativer Säufer, und er weiß, dass du der einzige Mensch bist, der es mit ihm aushält.«
Spandau wechselte das Thema. »Gehen wir zu Canter’s? Auf eine richtig leckere Cholesterinbombe?«
»Es ist mein voller Ernst, David.«
»Was soll das, Anna? Willst du mir etwa Angst machen? Drohst du mir, mich zu verlassen?«
»Ich will nur, dass du auf dich aufpasst. Es wird höchste Zeit, dass du das lernst.«
»Dauernd bearbeitest du mich, das Haus im Valley zu verkaufen und bei dir einzuziehen. Aber ich will mich nicht an der Leine herumführen lassen. Ich bin kein Boytoy, Anna. Ich bin ein erwachsener Mann. Wenn dir das nicht passt, bitte schön.«
»So hab ich das doch gar nicht gemeint.«
»Anna Mayhew, die berühmte Schauspielerin, ist es gewöhnt, dass die ganze Welt nach ihrer Pfeife tanzt.«
»Aber doch nicht du.«
»Eben. Ich nicht.«
»Wartest du womöglich immer noch darauf, dass Dee irgendwann zu dir zurückkommt?«
»Weißt du was? Geh doch mit einem von den Kleindarstellern essen, die auf eine Sprechrolle scharf sind. Die kriechen dir bestimmt gern hinten rein. Ich hab das nicht nötig.«
Spandau drehte ihr den Rücken zu.
»Geh nicht«, sagte sie. »Es tut mir leid.«
»Ich habe das Gefühl, dass du hier diejenige bist, die unsere Beziehung in die Binsen gehen lassen will. Seit ich dich kenne, bin ich so nüchtern und treu wie ein Mormone. Was willst du eigentlich noch, Anna?«
»Ich möchte dich nicht verlieren.«
»Dann lass mir mein Leben, und misch dich nicht ein. Ich habe nämlich nicht vor, mich zum Schoßhündchen machen zu lassen.«
»David …«
Er ging.
8
Wenig später hielt Spandau mit seinem schwarzen BMW vor Walters Haus. Stieg aus. Klingelte. Keine Reaktion. Rief mit dem Handy an.
»Hallo, Kumpel«, sagte Walter.
»Lässt du mich rein?«
»Ach, bist du das? Die verdammte Haushälterin hat sich in Luft aufgelöst. Keine Ahnung, wo sie steckt.«
Die Tür ging auf, und vor ihm stand Walter, das Handy noch in der Hand. Er sah zum Fürchten aus.
»Wie nett, dass du mir einen Besuch abstattest«, sagte er ins Telefon.
»Quatsch keinen Stuss, Walter.« Spandau schob sich an ihm vorbei ins Haus.
»Sind wir aber heute gereizt.« Walter kam hinter ihm her. »Es ist doch nicht etwa was faul im Augiasstall?«
»Ich bin echt nicht in der Stimmung, mir von dir deine höhere Bildung aufs Butterbrot schmieren zu lassen. Hast du was zu essen da? Deinetwegen hab ich meinen Lunch verpasst.«
»Wir können ja mal nachsehen, ob die gute Rosa mir was dagelassen hat. Normalerweise bestiehlt sie mich nach Strich und Faden.«
Spandau steuerte bereits die Küche an. Als er den Kühlschrank öffnete, schlug ihm ein derartiger Mief entgegen, dass er die Tür schnell wieder zuknallte.
»Wie lange ist die Haushälterin denn schon weg?«
»Keine Ahnung, Kumpel«, sagte Walter. »Seit zwei Wochen vielleicht? Als ich sie gebeten habe, mir ein weibliches Wesen für erotische Zwecke zuzuführen, hat sie sich verabschiedet. Kann mir nicht vorstellen, was sie daran so verstimmt hat.«
»Wann hast du das letzte Mal was gegessen?«
»Da bin ich leider auch überfragt. Ich bestelle mir was übers Internet. Und irgendwann klingelt’s an der Tür.«
»Es gibt einfachere Methoden, sich umzubringen, Walter.«
»Was du nicht sagst. Und ich dachte schon, ich hätte die praktischste gefunden.«
Nachdem Spandau in den Küchenschränken ein paar Fertiggerichte gefunden hatte, setzte er seinem Freund ein Töpfchen Ramen-Nudeln aus der Mikrowelle vor. Walters Hände zitterten beim Essen. Spandau stellte ihm den nächsten Topf hin.
»Was ist das?«, fragte Walter.
»Ramen-Nudeln.«
»Japanisch, hm?«
»Zumindest tun sie so als ob.«
»Wieso sind die so zickzackförmig?«
»Das weiß ich auch nicht, Walter. Damit sie nicht von den Stäbchen rutschen? Und jetzt iss auf. Bitte.«
»Deine Feindseligkeit schlägt mir auf den Magen.«
»Ich denke eher, das kommt vom Alkohol. Was soll ich bloß mit dir machen? Du musst wieder auf Entzug. Soll ich dir eine Klinik organisieren?«
»Um Gottes willen. Da wollen sie mir doch bloß das Saufen abgewöhnen.«
»Ich kann dich nicht alleine durchschleppen.«
»Das verlangt ja auch keiner von dir.«
»Du hast mich doch selber herbestellt.«
»Aus rein beruflichen Gründen. Ein netter kleiner Auftrag für dich. Frank Jurado.«
»Du willst mich wohl verarschen.«
Walter lachte heiser. »Da freust du dich, was? Das dachte ich mir. Ich wollte unbedingt dein Gesicht sehen, wenn ich es dir erzähle.«
»Als ich den Mistkerl das letzte Mal gesehen habe, hat er mich in einer dunklen Gasse von drei Gorillas vermöbeln lassen.«
»Und jetzt braucht er dich. Das nenne ich ausgleichende Gerechtigkeit.«
»Ausgleichende Gerechtigkeit wäre, wenn ich ihm an die Gurgel gehen könnte.«
»Diese goldene Gelegenheit könnte sich durchaus ergeben. Er hat Ärger mit einem seiner Regisseure. Der außerdem ein Klient von Annie Michaels ist.«
»Annie Michaels, die Agentin des Grauens? Das wird ja immer besser. Kommt mir fast vor wie ein Klassentreffen mit Leuten, die ich am liebsten erst in der Hölle wiedersehen würde. Wieso ausgerechnet ich? Die haben mich doch beide gefressen.«
»Wie oft muss ich es dir noch sagen? In der Filmbranche gibt es keinen Hass. Es gibt nur Einspielergebnisse. Es interessiert keine Sau, wer wen hasst, solange nur jeder kriegt, was er will. Und du bist nun mal der Einzige, der dafür sorgen kann, dass sie es bekommen. Seit der Sache in Cannes bist du eine Berühmtheit. Da können wir fett abkassieren.«
»Ist das dein Ernst? Glaubst du wirklich, ich nehme den Auftrag an?«
»Ach, jetzt tu mal nicht so. Du kannst es doch gar nicht erwarten, denen zu zeigen, wo der Hammer hängt.«
»Wer ist Annies Klient?«
»Jerry Margashack.«
»Und was für einen Ärger hat er genau?«
»Keine Ahnung. Das wollen sie dir lieber selber verklickern.«
»Ich liebe meinen Beruf.«
»Ich weiß.«
»Anna hat recht. Du bist ein heimtückischer Strippenzieher.«
»Die muss es ja wissen«, sagte Walter. »Die hat dich doch dermaßen bei den Eiern, dass du es selber nicht merkst.«
»Jetzt fang du nicht auch noch an.«
»Sie denkt, ich übe einen schlechten Einfluss auf dich aus, hm?«
»Sie weiß, dass du einen schlechten Einfluss auf mich ausübst.«
»Die Schlange im Paradies.«
»Nein«, sagte Spandau. »Bloß ein hoffnungsloser Säufer und mein Freund. Mehr nicht.«
9
Spandau war seit über einer Woche nicht mehr in Woodland Hills gewesen. Obwohl Anna und er offiziell nicht zusammenlebten, wäre es ihm, wenn er sein mehr als bescheidenes Häuschen mit ihrem Anwesen in unmittelbarer Nähe des Sunset Boulevard verglich, absurd vorgekommen, sie mit zu sich zu nehmen. Also verbrachte er immer mehr Zeit bei ihr, bis sich die Grenze zwischen Gast und Mitbewohner allmählich aufgelöst hatte.
Er parkte den BWM neben der Einfahrt und ging hinein. Das Haus roch einsam, vernachlässigt. Dee und er hatten es kurz nach ihrer Hochzeit gekauft und so lange gemeinsam darin gewohnt, bis sie ihn verlassen und sich etwas Eigenes gesucht hatte. Wie alle Ehen hatte auch ihre glücklich begonnen und war ihnen dann nach und nach immer mehr entglitten. Als sie sich kennenlernten, hatte Spandau für ihren Vater Big Beau Macaulay als Stuntman gearbeitet. Es war ein gefährlicher Beruf, aber auch ein Beruf, den Dee kannte und den sie respektieren konnte.
Dann starb Beau, und die Verletzungen, die Spandau sich auf Rodeos und bei schlecht getimten Stunts zugezogen hatte, forderten ihren Tribut. Er hatte bei Walter angeheuert. Bessere Arbeitszeiten, gute Bezahlung, mehr Sicherheit, keine Dreharbeiten am Arsch der Welt. Aber Dee konnte sich mit seinem neuen Job auf den Tod nicht anfreunden. Sie fand es unerträglich, wie die Arbeit ihn veränderte und was sie ihm abverlangte. Sie sagte, er habe die Unehrlichkeit zum Beruf gemacht, indem er Leute ausspionierte und sich ihr Vertrauen erschlich, um es dann auf die eine oder andere Weise ans Messer zu liefern. Und Vertrauen war für Dee alles. Sie begriff nicht, wie er einen Beruf ausüben konnte, der sämtliche Prinzipien verletzte, für die er angeblich stand. Ironischerweise musste Spandau jetzt genau den gleichen Kampf mit Anna ausfechten. Sie drängte ihn zu kündigen. Er fiel ihm schwer, ihr zu erklären, warum er weitermachte, umso mehr, als er selbst schon länger darüber nachdachte, den Job an den Nagel zu hängen.
Spandau ging ins Arbeitszimmer. Dee hatte es immer seine »Gene-Autrey-Hütte« genannt. Der Raum war ursprünglich als Kinderzimmer gedacht gewesen, aber da es in ihrer Ehe doch schon relativ früh leicht gekriselt hatte, war ihnen wenigstens dieser Fehler erspart geblieben. Über die Jahre war daraus eine nicht ganz geglückte Mischung aus Büro und Privatmuseum geworden, angefüllt mit seinem »Macho-Müll«, eine Bezeichnung, mit der Dee vermutlich nicht ganz unrecht hatte: Andenken an seine Filme und Rodeos, seltene Bücher über den Wilden Westen, indianische Totems und an der Wand sogar ein paar antike Waffen. Über dem Rollsekretär, in dem sich Telefon und Computer verbargen, prangte ein großes Poster von Sitting Bull. Spandau machte den Sekretär auf und hörte den Anrufbeantworter ab. Nichts Dringendes. Sitting Bull blickte kritischer als gewöhnlich auf ihn herab, als wäre er ein noch größerer Loser als die übrigen verkorksten Bleichgesichter.
Die Möbel im Wohnzimmer sahen schäbiger aus, als er sie in Erinnerung hatte, und beim Blick durch die Terrassentür stellte er fest, dass der Rasen dringend mal wieder gemäht werden musste. Seit er allein lebte, war irgendwie alles verlottert, vor allem er selbst. Die Scheidung hätte ihn beinahe umgebracht. Er nahm sich ein schlechtes Beispiel an Walter und soff sich fast tot, bis er im vergangenen Jahr Anna kennenlernte. Obwohl sie ihm guttat, mehrten sich die Anzeichen, dass er auf dem besten Weg war, auch diese Beziehung in den Sand zu setzen. Spandau ging nach draußen, zu dem Teich, den er nach Dees Auszug angelegt hatte.
Eine Wasserschildkröte und ein paar große Goldfische mussten als Familienersatz herhalten. Doch schon bald fingen die nächtlichen Raubzüge der Waschbären an, und wenn Spandau morgens aufstand, kam es immer wieder vor, dass er im Garten eine starre goldene Fischleiche fand, angefressen oder auch nur mutwillig zerrupft. Weil er zu der Zeit ständig unter Strom stand, sah er in den kleinen Viechern mit der Räubermaske über den Augen bald das personifizierte Böse, Teufel im Pelzrock, Vertreter alles dessen, was schlecht war auf dieser Welt. Eines Nachts hatte er im Suff sogar mit einem antiken Navy .44er um sich geschossen. Am nächsten Tag war er mit einem höllischen Kater aufgewacht, heilfroh, dass er nicht verhaftet worden und ihm die schrottreife Kanone nicht in der Hand explodiert war.
Die Fische schwammen munter im Kreis. Ein Nachbar fütterte sie, wenn Spandau nicht zu Hause war. Als sie ihn entdeckten, kamen sie angepaddelt. Er holte das Fischfutter und streute eine Handvoll ins Wasser. Gierig schnappten sie nach den Bröckchen. Spandau zählte sie durch. Es schien keiner zu fehlen. Vielleicht hatten die Waschbären sich ein anderes Jagdrevier gesucht. Er war erleichtert. Die Schildkröte, der es bei Spandau – zu Recht – viel zu gefährlich war, hatte schon vor langer Zeit das Weite gesucht.
Zuletzt ging er noch in die Garage, um nach dem Pick-up zu sehen. Der originalgetreu in Babyblau und Weiß lackierte Apache Short Bed, Baujahr 1958, den er von Beau geerbt hatte, war sein ganzer Stolz. Er klemmte sich hinters Lenkrad und nahm die Baseballkappe mit der Aufschrift »Red Pecker Bar & Grill« vom ledernen Beifahrersitz, setzte sie auf und öffnete das Garagentor. Der Wagen sprang fast auf Anhieb an, der Motor lief wie eine Eins. Spandau schaltete das Radio ein, rollte auf die Straße und fuhr ein paar Runden um den Block. Der alte Outlaw Waylon Jennings sang »This Time«, und Spandau sang mit, als säße sein jüngeres – und besseres – Alter Ego am Steuer.
10
Genau vor dem Detektivbüro Coren Investigations fand Spandau eine Parklücke. Er warf einen Blick über den Sunset Boulevard auf das kleine französische Bistro gegenüber, wo Julien, der Besitzer und Koch, gerade die Tageskarte heraushängte. Er musterte Spandau, Spandau musterte ihn. Spandau trottete zu ihm hinüber und las sich übertrieben gründlich die Karte durch.
Schließlich räusperte er sich. »Wie ich sehe, gibt’s mal wieder Daube provençale.«
»Stimmt«, sagte Julien.
»Mit Orangenschale?«
»Nein«, sagte Julien. »Nicht mit Orangenschale.«
»Aha«, sagte Spandau.
Der Koch stöhnte und verdrehte die Augen.
»Jetzt fang nicht wieder damit an, David. Wie oft müssen wir das noch durchkauen? Amerikaner mögen nun mal keine Orangenschale.«
»Ohne Orangenschale ist es nicht authentisch. Das hast du selber gesagt. Du kommst aus der Provence, du hast gesagt, deine Mutter hat es nie ohne Orangenschale gekocht. Du hast gesagt, ich zitiere, dass es ohne Orangenschale bloß ein stinknormaler Rinderschmortopf ist. Oder hab ich mich da etwa verhört?«
»Aber wir sind hier nicht in der Provence. Sondern in Amerika. Und die Amerikaner mögen keine Orangenschale in der Daube provençale. Ich hab’s einmal versucht und bin damit böse auf die Nase gefallen. Es hat nur so Beschwerden gehagelt.«
»Ist ja in Ordnung«, sagte Spandau. »Ich hab auch gar keine ethischen Einwände gegen einen Rinderschmortopf auf deiner Karte, solange du das Kind beim Namen nennst und es nicht als Daube provençale ausgibst.«
»Man muss es praktisch sehen. Du hast doch überhaupt keine Ahnung von der Haute Cuisine. Sie lebt, sie lässt mit sich spielen, passt sich an, und sie verändert sich. Das ist ja gerade das Schöne daran.«
»Und als Nächstes passt du wohl deinen Bohneneintopf an und nennst ihn Cassoulet.«
»Leck mich am Arsch«, sagte Julien auf Französisch.
»War doch nur eine Frage.«
»Ich habe bei Alain Ducasse gekocht, und ich weigere mich, meine Kunst von einem Banausen kritisieren zu lassen, der Cowboystiefel zum Versace-Jackett trägt.«
»Auf ihre eigene bescheidene Art sind auch meine Stiefel Kunst.«
»Danke, das genügt. Wenn Walter dir nicht sagen würde, was du anziehen und was für ein Auto du fahren sollst, wäre das da …« – er deutete mit dem Kopf auf den BMW – »… ein Ford Fiesta und dein Jackett aus dem Katalog.«
»Du bist ein Snob, mein Freund.«
»Wenn das bedeutet, dass ich das Schöne über das Hässliche stelle, bin ich tatsächlich ein Snob. Ich begreife nicht, warum Schönheit für euch Amerikaner etwas Undemokratisches ist.«
»Hat nicht Gainsbourg mal gesagt, dass die Hässlichkeit gegenüber der Schönheit den Vorteil hat, dass sie länger hält?«
»Serge hat sich auch tot gesoffen und Jane Birkin in die Wüste geschickt, als sie die ersten Fältchen bekommen hat. Bleib du mir bloß mit Zitaten von Serge Gainsbourg vom Leib. Du bist kein Franzose, du wirst den Mann nie verstehen. Wann kommst du mal wieder mit Anna vorbei? Sie ist das einzige Intelligente, was du je zuwege gebracht hast, solange ich dich kenne.«
»Einen Rinderschmortopf kriege ich überall.«
»Eines schönen Tages wacht sie auf und wünscht sich, mit einem Franzosen zusammen zu sein.«
»Aber sie stammt aus Texas. Ein Texasgirl, das mal einen Cowboy hatte, wird sich nie wieder mit weniger zufriedengeben.«
Julien verzog angewidert das Gesicht.
»Hoffentlich ist das nicht ansteckend. Ich melde mich, wenn deine weißen Bohnen fertig sind.«