Tanzt mit dem Drachen, Füdlibürger! - Christian Stalder - E-Book

Tanzt mit dem Drachen, Füdlibürger! E-Book

Christian Stalder

0,0

Beschreibung

«Tanzt mit dem Drachen, Füdlibürger!» fasst neunzehn Kolumnen von Christian Stalder, die 2019 auf GRHeute veröffentlicht wurden, zusammen. Die Niederungen des Alltags, die Revolution des Wandels und höhere Blödeleien wohldosiert im kleinen Büchlein.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 63

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Sammlungen



Meiner Familie angedacht.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

lupus austriensis

Die neuen Wilden und der alte Revolutionär

Die Fasnacht ist ein wundersames Tier

Der Emir, vier Jahreszeiten und das Rheinquartier

Elternteilgespräch und Führungsklamauk

Liebe Unbekannte

Welstädtisch Chur

Tanzt mit dem Drachen, Füdlibürger!

Ganz unten

August der Starke (in meinem Klo)

Kir Viral, bitte!

Von Altpapier, Curryreis und dänischen Ratschlägen

Des Bistums Chance auf einen Bankier des Elends

Der Frauenstreik und Käpt’n Kirk

Lake Side Partnun

Lieber Anstand

Roll Over Helvetia

Mit dem Rücken zur Wand

Reinschneidereien

Genesis am Trasimeno

Vorwort

Von Januar 2019 bis Ende 2021 erreichten die ‹Staldereien am Freitag›, eine aus der ausufernden helvetischen Apérokultur erstandene Kolumne, eine heterogene Leserschaft: Soziologen, Politiker:innen, Plessurfischer, Hausmänner und Geschäftsfrauen, Veganer, Wurstmacher und Mitsauffer. In Graubünden und anderswo. Allesamt ganz normale Füdlibürgerinnen und Füdlibürger. Im Laufe der Zeit pendelte sich dieser eigentümliche Rhythmus eines Schreiberlings ein: am Mittwoch schreiben, am Donnerstag abgeben, den Freitag genießen, das Wochenende nix tun, montags ins Land kucken, dienstags verzweifeln um dann mittwochs …

Die Wortakrobatik, die sich von den analog kleinen Bühnen in die Bündner Onlinezeitung schlich, vermochte die eine oder den anderen zu erzürnen: Ihnen danke ich an dieser Stelle fürs Aushalten, Wutmails, gehässig rote Emoji-Gesichtlein und allerhand Finger, die in alle Richtungen zu deuten vermochten. Ich werde Ihnen das vorliegende Büchlein als Wiedergutmachungsgeste postalisch zukommen lassen.

Die Zeilen ohne Netz und doppelten Boden haben viele Begegnungen ermöglicht, welche sonst niemals zustande gekommen wären; hierhin liegt das Besondere der Schnapsidee. Mein Dank geht deshalb an all jene, welche mir in dieser Zeit als Ideengeber:innen vor die Tastatur gelatscht sind, an meine Familie, welche die Hirngespinste mitzutragen gewillt ist und an die beiden Freigeister von GRHeute für den Mut zum Wagnis. Also: Seraina, Laurin, Enea, Rachel, Mathias und den vielen, vielen anderen Menschen: Danke!

So hoffe ich, dass Sie liebe Leserin, Sie lieber Leser, die Zeilen an einem schönen Plätzchen in Buchform genießen können: die Niederungen des Alltags, die Revolution des Wandels und höhere Blödeleien wohldosiert im kleinen Büchlein. Auf in den Tanz mit dem Drachen!

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.

Christian Stalder

lupus austriensis

31. Mai 2019

In den vielen Jahren meiner schmalen Existenz hat sich mein Migrationshintergrund davongeschlichen. Man sieht ihn mir nicht mehr an. Ich bin Mitglied der Minderheit von Schweizern mit österreichischen Wurzeln. Das heiß umfehdete Land der Berge, Land am Strome ist keine klassische Herkunftsadresse der hierher Zugewanderten. Die eigenen Spuren in die alte Heimat sind jäh verschüttet, blitzen aber auf, wenn Fendrich «I am from Austria» jault; dann könnte ich weinen. Ehrlich. Und ich freu mich, wenn die frommen Onkel in der alten Heimat nach dem Kirchgang im ‹Leuen› die Sau rauslassen oder der Herr Hader hinterfotzig Bitterböses salonfähig macht; ja, Österreich ist da, wo sich zynisch die Abgründe der menschlichen Existenz auftun – und man ungehemmt trotzdem, oder gerade deswegen fröhlich sein darf. Dazu gibts gschmackiges Gulasch und dies herrlich leichte Lebensgefühl. Dass dieses Land mitten in Europa, einst gefeiert lebendige Demokratie – mit dem zwar etwas zentralistischen, sicher äußerst mauschelanfälligen Touch, ich gebe ja zu! – mir nichts, dir nichts einen Politskandal erster Güte fabriziert, erstaunt ein bisschen. Also eigentlich nicht, aber das depperte Filmchen zeigt halt, was alle eh schon wussten: Die res publica pfeift längst aufs Gemeinwohl und die nicht verdaute Geschichte ploppt häufiger als gewollt auf. Mal da, mal dort. Die sich selbst als «soziale Heimatpartei» bezeichnende FPÖ steht manchmal gar scharf auf der Grenze zur dümmlich-rechtsbraunen Sülze und hat ihre Feindbilder längst geschaffen.

Trotz alledem: Persönlich war ich froh, mal wieder aus dem Osten Neuigkeiten zu hören. Die gibts ja auch nicht alle Tage. Hab mich schon gefragt, was die da drüben so treiben. Und jetzt konnte ich zusehen, wie der komische Kanzler der neuen Volkspartei erst emporsteigt, dann abgekanzelt wird, um nur Sekunden danach, wie Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen; so fesch dargeboten kriegt man Realsatire nur in der Alpenrepublik. Vielleicht liegt hierin der Gemeinwohlbeitrag. Der Kurzeitkanzler wird die Übergangsregierung provisorisch regieren bis Altkanzler Kurz in keinem halben Jahr wiedergewählt wird. «Ist eh Wuascht!». Meine Landsleute sequenzieren ihr politisches Leben wie ich den Waldviertler zum Geleit.

Zuviel aufs Mal. Meine melancholische Seite zwingt mich zur Schranktüre, ich gönne mir einen hausgemachten Obstler von Tante Erna und lege mich neben den Plattenspieler. Die Erna ist schon lange tot, der Schnaps hat sie überlebt. Die Nadel setzt auf, der Ludwig singt präpotent vom schiachen Wolf. «Der hat’s ned leicht!» Ein Auskommen mit dem vegetarischen Hasen? Vergiss es! Und für ewig gibt er das Pfoterl nicht her, dressiert werden schließlich – da capo! – die Bären. Verachtet und bespuckt wird der Protagonist mit gutem Grund: Wer die Geisslein frisst, braucht sich hinterher über die Häme der Leut nicht zu wundern. Lupus geht‘s bald schon mächtig an den Kragen.

Im Summen der weichen Melodie und mit Erklingen des A-moll-Akkords verschmelzen meine beiden Hintergründe im Hier und Jetzt: Der Feingeist aus der Oststeiermark singt vom Wolf, der hier gut gedeiht, jedoch nicht mehr erwünscht ist. Denen da drüben indes fehlt es an Leitwölfen im Stall. Was tun?

Baun wir zusammen dieses gedachte Land? Dort, wo die Viecher keine Gitter kennen, der Regen ned bitter schmeckt? Dort wo ned das Geld regiert, ja schon gar ned die, die es haben? Wo Politiker ned korrumpierbar sind, nur das Gute wolln und das Wahre sagen?

Der alte, blöde Wolf in des Hirschens Spiel glaubt an das Land, das er Freiheit nennt. Ich nicht. Nach 5 Minuten und 46 Sekunden entlockt die Nadel dem Vinyl nunmehr ein Rauschen. Das Lied ist aus. Ich liege auf dem Spannteppich, brennend der Obstler im Bauch, und heule das Lied der Wölfe. Für sie. Und für Rot-Weiß-Rot.

PS: Immer häufiger geschieht es, dass ich mir schlaftrunken im Bad beim Zähneputzen üppig die Zahnpastaspeichelsauce über die Pyjamahose kleckere. Was tun? Abwischen oder bleiben lassen? Ohne Hose die Zähne putzen? Den meditativen Gang mit Bürste sein lassen? Gar die Zahnhygiene abschaffen? Helfen Sie mir! Die beste Zuschrift wird prämiert.

Die neuen Wilden und der alte Revolutionär

4. April 2019

Meinereiner ging früher zur Kirche. Die neuen Jungen gehen zur Demo. Und erwecken damit meinen Neid: Die Langeweile der beginnenden Neunziger kannte keine gescheiten Demos. Nur diese eine Demo gegen die Obrigkeit im Bistum Chur. Da durfte ich aber nicht hin. Unsere Revolution konzentrierte sich auf Bier im Metermaß, Churer Spaßrock aus der untersten Schublade und Lederjacken aus der Brockenstube. Und kannte nur die Fünf-Tage-Woche; am Wochenende wurden die Haare wieder gekämmt, die Hemdchen gebügelt und die Händchen demütig zum Gebet gefaltet. Heute gehen wochenends immer weniger zur Kirche und immer mehr zur Demo. Ja, die Neunziger waren, rückblickend betrachtet, eine schlechte Zeit für revolutionsaffine Jugendliche.

Hundert und ein halbes Jahr nach dem großen Generalstreik und einundfünfzig Jahre nach 1968 liegen die Dinge heute tatsächlich anders: Unter dem Aufhänger des Klimanotstands gehen die Menschen hierzulande endlich wieder auf die Straße. Wie gerne wäre ich nochmals bepickelt jung, wie diese Mädchen und Jungen im Schweizer Fernsehen, die bescheuert mit den Händen winken und doch kluge Dinge sagen! Diese Wilden dünken mich vorbereitet, organisiert, fokussiert: Sie haben längst verstanden, dass es im Kern um Systemveränderung geht. «Der Revolutionär muss imstande sein, das Gras wachsen zu hören», schrieb einst Karl Marx an seinen Freund Joseph Weydemeyer in einem Brief. Haben die jungen Kritiker:innen dieser Tage ihre Sinne geschärft? Ist da was im Gange? Haben Sie die Zeichen der Zeit erkannt?