Tarzan – Band 2 – Tarzans Rückkehr - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzan – Band 2 – Tarzans Rückkehr E-Book

Edgar Rice Burroughs

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Beschreibung

Der Roman setzt dort an, wo "Tarzan und die weiße Frau" aufgehört hat. Der Affenmensch, der sich heimatlos fühlt, nachdem er seine Aussichten auf eine Hochzeit mit Jane Porter nobel geopfert hat, verlässt die USA in Richtung Europa, um seinen Freund Paul d'Arnot zu besuchen. Auf dem Schiff lernt er die Gräfin Olga de Coude und ihren Mann, den Grafen Raoul de Coude, kennen. Dieses Zusammentreffen ist der Ausgangspunkt für die lange Feindschaft Tarzans mit den zwielichtigen Gestalten Rokoff und Pawlowitsch. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag

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Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 2 – Tarzans Rückkehr

Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 2 – Tarzans Rückkehr

(The Return of Tarzan)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021Übersetzung: Tony Kellen, J. Schulze EV: Pegasus Verlag, Wetzlar, 1950 (319 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962817-96-1

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null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Der Streit auf dem Damp­fer

Ein rät­sel­haf­ter Über­fall

Was in der Mau­le-Stra­ße in Pa­ris ge­sch­ah

Die Er­klä­run­gen der Grä­fin

Die ver­fehl­te Ver­schwö­rung

Ein Zwei­kampf

Die Tän­ze­rin von Sidi Ais­sa

Der Kampf in der Wüs­te

Numa »el adrea«

Durch das Tal des Schat­tens

John Cald­well aus Lon­don

Schif­fe, die vor­über­fah­ren

Der Schiff­bruch der »Lady Ali­ce«

Zu­rück in den Ur­wald

Vom Af­fen­menschen zum Wil­den

Die El­fen­bein-Räu­ber

Der wei­ße Häupt­ling der Wa­zi­ri

Die Lot­te­rie des To­des

Die Stadt des Gol­des

La

Die Schiff­brü­chi­gen

Die Schatz­ge­wöl­be von Opar

Die fünf­zig Män­ner

Wie Tar­zan wie­der nach Opar kam

Durch den Ur­wald

Ein Wie­der­se­hen

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Tar­zan bei Null Pa­pier

Tar­zan – Band 1 – Tar­zan und die wei­ße Frau

Tar­zan – Band 2 – Tar­zans Rück­kehr

Tar­zan – Band 3 – Tar­zans Tie­re

Tar­zan – Band 4 – Tar­zans Sohn

Tar­zan – Band 5 – Der Schatz von Opar

Tar­zan – Band 6 – Tar­zans Dschun­gel­ge­schich­ten

Der Streit auf dem Dampfer

Pracht­voll! sag­te die Grä­fin de Cou­de halb­laut vor sich hin.

Was ist pracht­voll? frag­te der Graf, in­dem er sich nach sei­ner jun­gen Frau um­wand­te. Er schau­te dann um­her, um den Ge­gen­stand ih­rer Be­wun­de­rung zu ent­de­cken.

Oh, gar nichts, mein Lie­ber, er­wi­der­te die Grä­fin, aber ihre oh­ne­hin ro­si­gen Wan­gen färb­ten sich da­bei noch tiefer. Ich dach­te nur mit Be­wun­de­rung an die er­staun­li­chen Wol­ken­krat­zer von New York zu­rück. Die schö­ne Grä­fin lehn­te sich be­hag­lich in ih­ren Ses­sel zu­rück und nahm die Zeit­schrift, die sie auf den Schoß hat­te fal­len las­sen, wie­der auf.

Auch ihr Mann ver­tief­te sich wie­der in sein Buch, doch kam es ihm merk­wür­dig vor, dass sei­ne Frau jetzt die Ge­bäu­de be­wun­der­te, die sie noch vor drei Ta­gen als ab­scheu­lich hin­ge­stellt hat­te.

Bald leg­te der Graf das Buch wie­der aus der Hand. Es ist sehr lang­wei­lig, Olga, sag­te er. Ich will se­hen, ob ich nicht noch ein paar Her­ren auf­trei­be, die sich auch lang­wei­len, so­dass wir viel­leicht mit­ein­an­der Kar­ten spie­len kön­nen.

Du bist nicht sehr ga­lant, rief die jun­ge Frau la­chend, aber da ich mich eben­so lang­wei­le, so kann ich es dir nicht ver­übeln. Geh nur und spie­le mit dei­nen lang­wei­li­gen al­ten Kar­ten, wenn es dir Spaß macht.

Als er fort war, sah sie ver­stoh­len nach ei­nem großen jun­gen Mann, der sich un­weit von ihr be­quem auf ei­nem Lie­ge­stuhl aus­ge­streckt hat­te.

Pracht­voll! mur­mel­te sie noch ein­mal vor sich hin.

Die Grä­fin Olga de Cou­de war erst zwan­zig Jah­re alt, ihr Mann aber schon vier­zig. Sie war ihm treu und er­ge­ben, aber da sie bei ih­rer Wahl gar nicht be­fragt wor­den war, so war sie be­greif­li­cher­wei­se nicht ge­ra­de lei­den­schaft­lich in den Mann ver­liebt, den das Schick­sal oder viel­mehr ihr ad­li­ger rus­si­scher Va­ter ihr als Le­bens­ge­fähr­ten be­stimmt hat­te. Aus ih­rem Aus­ruf der Be­wun­de­rung beim An­blick ei­nes statt­li­chen jun­gen Frem­den darf aber nicht ge­schlos­sen wer­den, dass ihre Ge­dan­ken ih­rem Gat­ten in ir­gend­ei­ner Wei­se un­treu ge­we­sen wä­ren. Sie be­wun­der­te den Frem­den nur eben­so, wie sie ein be­son­ders schö­nes Exem­plar ir­gend­ei­ner an­de­ren Art von Le­be­we­sen be­wun­dert hät­te. Zu­dem war es zwei­fel­los ein Ver­gnü­gen, ihn an­zu­se­hen.

Gera­de als ihr ver­stoh­le­ner Blick über sein Pro­fil husch­te, stand er auf und ver­ließ das Deck.

Die Grä­fin wink­te einen vor­über­ge­hen­den Ste­ward her­an. Wer ist je­ner Herr? frag­te sie.

Er ist als Herr Tar­zan aus Afri­ka ein­ge­tra­gen, gnä­di­ge Frau! lau­te­te die Ant­wort.

Eine ziem­lich große Be­sit­zung, dach­te die jun­ge Frau, aber jetzt war ihre Neu­gier noch ge­stie­gen.

Als Tar­zan lang­sam auf das Rauch­zim­mer zu­schritt, kam er an zwei Män­nern vor­bei, die auf­ge­regt vor der Türe flüs­ter­ten. Er hät­te sie nicht ein­mal be­ach­tet, wenn nicht der eine von ih­nen einen son­der­ba­ren Blick auf ihn ge­wor­fen hät­te. Die bei­den er­in­ner­ten Tar­zan an die Schur­ken­ge­stal­ten, die ihm aus rühr­se­li­gen Dra­men der Pa­ri­ser Thea­ter satt­sam in Erin­ne­rung ge­blie­ben wa­ren. Bei­de wa­ren dun­kel­far­big und dies, eben­so wie ihr Ach­sel­zu­cken und ihre ver­stoh­le­nen Bli­cke, ließ die Ähn­lich­keit noch grö­ßer er­schei­nen. Je­den­falls hat­ten sie nichts Gu­tes im Sinn.

Tar­zan trat in das Rauch­zim­mer und setz­te sich et­was ab­seits von den An­we­sen­den. Er war nicht in der Stim­mung, sich mit an­de­ren zu un­ter­hal­ten. Wäh­rend er sei­nen Ab­sinth schlürf­te, ließ er die ver­gan­ge­nen Wo­chen sei­nes Le­bens sor­gen­voll an sich vor­über­zie­hen. Im­mer wie­der frag­te er sich, ob er wei­se ge­han­delt habe, als er zu­guns­ten ei­nes Man­nes auf sein Ge­burts­recht ver­zich­te­te, dem er in kei­ner Wei­se zu Dank ver­pflich­tet war. Al­ler­dings be­trach­te­te er Clay­ton als einen Freund, aber das war er nicht. Nicht Wil­liam Ce­cil Clay­ton, Lord Grey­sto­ke, zu­lie­be hat­te er sei­ne Ge­burt ver­leug­net. Es war nur der Frau zu­lie­be, die er und Clay­ton lieb­ten, und die eine selt­sa­me Lau­ne des Schick­sals die­sem, statt ihm, be­stimmt hat­te.

Dass sie ihn lieb­te, mach­te ihm den Ge­dan­ken dop­pelt schwer, aber er sag­te sich, er hät­te nicht mehr tun kön­nen, als was er in je­ner Nacht auf der klei­nen Ei­sen­bahn­sta­ti­on in den fer­nen Wäl­dern von Wis­con­sin ge­tan hat­te. Für ihn war vor al­lem ihr Glück der ers­te Be­weg­grund, und sei­ne kur­ze Er­fah­rung mit der Kul­tur und den Kul­tur­menschen hat­te ihn ge­lehrt, dass das Le­ben ohne Geld und ohne Stel­lung den meis­ten von ih­nen un­er­träg­lich war.

Jane Por­ter war nun ein­mal für die Gü­ter der Kul­tur ge­bo­ren; hät­te Tar­zan sie die­sem Man­ne weg­ge­nom­men, so hät­te er sie zwei­fel­los in ein Le­ben ge­stürzt, das ihr elend und qual­voll er­schei­nen muss­te. Tar­zans Ge­dan­ken schweif­ten aus der Ver­gan­gen­heit in die Zu­kunft. Er ver­such­te, sich auf die Rück­kehr in den Dschun­gel zu freu­en, in den grau­sa­men wil­den Dschun­gel, in dem er ge­bo­ren wor­den und wo er von sei­nen 22 Jah­ren 20 ver­lebt hat­te. Aber wel­ches von der My­ria­de Le­be­we­sen des Dschun­gels wür­de ihn bei sei­ner Rück­kehr will­kom­men hei­ßen? Kaum ei­nes! Nur Tan­tor, den Ele­fan­ten, konn­te er sei­nen Freund nen­nen. Die an­de­ren wür­den ihn ver­fol­gen oder ihn flie­hen, wie sie es frü­her ge­tan hat­ten.

Nicht ein­mal die Af­fen sei­nes frü­he­ren Stam­mes wür­den ihm ihre ka­me­rad­schaft­li­che Hand ent­ge­gen­stre­cken.

Wenn die Kul­tur auch sonst nichts für Tar­zan ge­tan hat­te, so hat­te sie ihn doch bis zu ei­nem ge­wis­sen Gra­de ge­lehrt, sich nach der Ge­sell­schaft glei­cher We­sen um­zu­se­hen und das Wohl­tu­en­de der Ka­me­rad­schaft zu schät­zen. Es war ihm jetzt schwer, sich eine Welt ohne ir­gend­ei­nen Freund zu den­ken, ohne ein le­ben­des We­sen, mit dem er sich jetzt doch durch die ge­lern­ten Spra­chen so gut ver­stän­di­gen konn­te. Und so kam es, dass Tar­zan recht trüb­se­lig in die Zu­kunft schau­te, die er selbst sich vor­ge­zeich­net hat­te.

Als er so, eine Zi­ga­ret­te rau­chend, in Ge­dan­ken ver­sun­ken da saß, fiel sein Blick auf einen Spie­gel vor ihm, und dar­in sah er einen Tisch, an dem vier kar­ten­spie­len­de Män­ner sa­ßen. Eben stand ei­ner auf, um fort­zu­ge­hen und dann nä­her­te sich ein an­de­rer, der sich höf­lich er­bot, den lee­ren Platz aus­zu­fül­len, da­mit das Spiel nicht un­ter­bro­chen wür­de. Es war der klei­ne­re von bei­den, die Tar­zan mit­ein­an­der flüs­ternd vor dem Rauch­zim­mer an­ge­trof­fen hat­te.

Das hat­te die Neu­gier Tar­zans ei­ni­ger­ma­ßen ge­weckt, und er konn­te nicht um­hin, im Spie­gel das Bild der Spie­ler am Ti­sche zu be­ob­ach­ten. Tar­zan kann­te nur den Na­men ei­nes der Spie­ler, näm­lich des­je­ni­gen, der ge­gen­über dem neu hin­zu­ge­kom­me­nen saß. Es war der Graf Raoul de Cou­de, den ein zu­vor­kom­men­der Ste­ward ihm letzthin als eine der Berühmt­hei­ten auf dem Schif­fe be­zeich­net hat­te und der eine hohe Stel­lung im fran­zö­si­schen Kriegs­mi­nis­te­ri­um ein­neh­men soll­te.

Plötz­lich wur­de Tar­zans gan­ze Auf­merk­sam­keit auf das Bild im Spie­gel ge­lenkt. Der an­de­re Dun­kel­far­bi­ge, der wie ein Bö­se­wicht aus­sah, war her­ein­ge­kom­men und stand hin­ter dem Stuh­le des Gra­fen. Tar­zan sah, dass er sich um­dreh­te und ver­stoh­len um­her­schau­te; sein hu­schen­der Blick ruh­te aber nicht lan­ge ge­nug auf dem Spie­gel, um Tar­zans wach­sa­me Au­gen zu ent­de­cken. Heim­lich zog der Mann et­was aus sei­ner Ta­sche, aber da er es mit der Hand be­deck­te, konn­te Tar­zan nicht se­hen, was es war.

Lang­sam nä­her­te sich die Hand dem Gra­fen, um ihm das Ding, das sie ent­hielt, in die Ta­sche zu schie­ben. Der Mann blieb so ste­hen, dass er die Kar­ten des Fran­zo­sen be­ob­ach­ten konn­te. Das gab Tar­zan zu den­ken. Er pass­te jetzt sorg­fäl­tig auf und ließ sich kei­ne Ein­zel­heit des Vor­falls ent­ge­hen.

Das Spiel ging da­nach noch etwa zehn Mi­nu­ten wei­ter, bis der Graf dem, der zu­letzt zum Spiel ge­kom­men war, einen ho­hen Be­trag ab­ge­wann. Dann sah Tar­zan den Mann, der hin­ter des Gra­fen Stuhl stand, sei­nem Ver­bün­de­ten zu­ni­cken. So­fort er­hob sich der Spie­ler und zeig­te mit dem Fin­ger auf den Gra­fen.

Hät­te ich ge­wusst, dass der Herr ein ge­werbs­mä­ßi­ger Falsch­spie­ler ist, sag­te er, so wäre ich nicht so schnell be­reit ge­we­sen, mich in das Spiel hin­ein­zie­hen zu las­sen.

Im Nu spran­gen der Graf und die bei­den an­de­ren Spie­ler auf.

Der Graf war erb­lasst.

Was wol­len Sie da­mit sa­gen, Herr? schrie er. Wis­sen Sie, mit wem Sie spre­chen?

Ich weiß, dass ich das letz­te Mal mit ei­nem spre­che, der beim Kar­ten­spiel be­trügt, er­wi­der­te der an­de­re.

Der Graf neig­te sich so­fort über den Tisch und ver­setz­te dem Mann eine Ohr­fei­ge, ehe die an­de­ren da­zwi­schen­tre­ten konn­ten.

Da liegt un­be­dingt ein Irr­tum vor, Herr! rief ei­ner der an­de­ren Spie­ler. Das ist ja der Graf de Cou­de.

Wenn ich mich irre, sag­te der, der ihn be­schul­digt hat­te, so will ich mich gern ent­schul­di­gen, aber ehe ich das tue, soll der Herr Graf er­klä­ren, wozu er die falschen Kar­ten braucht, die ich ihn in sei­ne Sei­ten­ta­sche ste­cken sah.

Der Mann, den Tar­zan beim Hin­ein­schie­ben der Kar­ten be­ob­ach­tet hat­te, such­te den Wort­wech­sel zu be­nut­zen, um sich aus dem Rauch­zim­mer fort­zu­schlei­chen; aber zu sei­nem Är­ger fand er den Aus­gang von ei­nem großen grau­äu­gi­gen Frem­den ver­sperrt.

Sie ent­schul­di­gen, rief er, in­dem er ver­such­te, an ihm vor­bei­zu­schlüp­fen.

War­ten Sie! sag­te Tar­zan.

Aber warum, mein Herr? frag­te der an­de­re un­ge­dul­dig. Ge­stat­ten Sie, dass ich vor­bei­ge­he!

War­ten Sie, sag­te Tar­zan, denn hier ist eine Sa­che zu re­geln, die Sie zwei­fel­los auf­klä­ren kön­nen.

Der Mensch hat­te in­zwi­schen sei­ne Ruhe ver­lo­ren und woll­te Tar­zan mit ei­nem lei­sen Fluch zur Sei­te sto­ßen. Der Af­fen­mensch aber lach­te nur, als er den großen Kerl am Man­tel­kra­gen fass­te und ihn an den Tisch zu­rück­führ­te, ob­schon die­ser sich flu­chend und schla­gend da­ge­gen wehr­te.

So mach­te Ni­ko­laus Ro­koff die ers­te Er­fah­rung mit den Mus­keln, die Tar­zan zum Sie­ge über Numa, den Lö­wen, und Ter­kop, den großen Men­schen­af­fen, ver­hol­fen hat­ten.

Der Mann, der de Cou­de be­schul­digt hat­te, und die zwei an­de­ren Spie­ler sa­hen den Gra­fen er­war­tungs­voll an. Meh­re­re an­de­re Pas­sa­gie­re wa­ren in­fol­ge des Wort­wech­sels hin­zu­ge­kom­men und alle war­te­ten auf den Aus­gang.

Der Mensch ist ver­rückt, sag­te der Graf. Mei­ne Her­ren, ich bit­te Sie, un­ter­su­chen Sie mich.

Die Be­schul­di­gung ist lä­cher­lich, sag­te ei­ner der Spie­ler.

Sie brau­chen ihre Hand nur in die Rock­ta­sche des Gra­fen zu ste­cken, und Sie wer­den se­hen, dass die An­kla­ge be­rech­tigt ist, ver­si­cher­te der Spiel­part­ner, der die Be­schul­di­gung aus­ge­spro­chen hat­te. Und als die an­de­ren noch zö­ger­ten, rief er aus: Vor­wärts! Ich wer­de es selbst tun, wenn kein an­de­rer es will. Zu­gleich ging er auf den Gra­fen zu.

Nein, mein Herr, sag­te de Cou­de. Ich will mich nur von ei­nem Gent­le­man un­ter­su­chen las­sen.

Es ist nicht nö­tig, den Gra­fen zu un­ter­su­chen. Die Kar­ten sind in sei­ner Ta­sche. Ich habe selbst ge­se­hen, wie sie hin­ein­ge­steckt wur­den.

Alle wand­ten sich er­staunt nach dem neu­en Spre­cher um. Sie sa­hen einen wohl­ge­bau­ten Mann, der einen am Man­tel­kra­gen ge­fass­ten Men­schen her­an­schlepp­te. Es ist eine Ver­schwö­rung, rief de Cou­de är­ger­lich. Es sind kei­ne Kar­ten in mei­nem Rock. Und da­mit griff er in sei­ne Ta­sche.

Es herrsch­te tie­fes Schwei­gen in der klei­nen Grup­pe. Der Graf wur­de lei­chen­blass und zog lang­sam sei­ne Hand her­aus, in der er tat­säch­lich drei Kar­ten hielt.

Ent­setzt sah er sie schwei­gend an, in­des sein Ge­sicht auf­flamm­te. In den Mie­nen der Zuschau­er aber, die sa­hen, wie die Ehre ei­nes Man­nes den To­dess­toß er­hielt, misch­te sich Mit­leid mit Ver­ach­tung.

Der grau­äu­gi­ge Un­be­kann­te aber rief: Es ist eine Ver­schwö­rung, mei­ne Her­ren. Der Herr Graf wuss­te nicht, dass die­se Kar­ten in sei­ner Ta­sche wa­ren. Sie wur­den ohne sein Wis­sen wäh­rend des Spie­les hin­ein­ge­steckt.

Von mei­nem Stuh­le dort un­ten aus sah ich al­les vor mir im Spie­gel. Die­ser Mann, den ich beim Ent­wei­chen fest­ge­hal­ten habe, hat die Kar­ten in des Gra­fen Ta­sche ge­steckt.

De Cou­de hat­te zu­erst auf Tar­zan ge­schaut, dann auf den Mann, den die­ser mit der Faust fest­hielt.

Mein Gott, Ni­ko­laus! rief er. Du?

Dann wand­te er sich an den Mann, der ihn be­schul­digt hat­te, und sah ihn einen Au­gen­blick scharf an.

Und Sie, mein Herr, ich er­kann­te Sie nicht ohne Ihren Bart. Er ver­stellt Sie ganz, Paw­lo­wi­tsch. Jetzt ver­ste­he ich al­les. Es ist ganz klar, mei­ne Her­ren.

Was sol­len wir mit ihm an­fan­gen? frag­te Tar­zan. Dem Ka­pi­tän über­ge­ben?

Nein, mein Freund er­wi­der­te der Graf has­tig. Es ist eine per­sön­li­che An­ge­le­gen­heit, und ich bit­te Sie, sie auf sich be­ru­hen zu las­sen. Es ge­nügt, dass ich von der Be­schul­di­gung ent­las­tet bin. Je we­ni­ger wir mit sol­chen Leu­ten zu tun ha­ben, de­sto bes­ser ist es. Aber, mein Herr, wie kann ich Ih­nen für die große Güte dan­ken, die Sie mir be­wie­sen ha­ben? Er­lau­ben Sie, dass ich Ih­nen mei­ne Kar­te über­rei­che, und falls sich mir ein­mal eine Ge­le­gen­heit bie­tet, Ih­nen eine Ge­fäl­lig­keit zu er­wei­sen, so er­in­nern Sie sich, dass ich zu Ihren Diens­ten ste­he.

Tar­zan hat­te Ro­koff los­ge­las­sen, und die­ser be­eil­te sich, mit sei­nem Ver­bün­de­ten Paw­lo­wi­tsch das Rauch­zim­mer zu ver­las­sen. Zu­vor aber zisch­te Ro­koff Tar­zan zu: Sie wer­den Ihre Ein­mi­schung in frem­de An­ge­le­gen­hei­ten noch schwer zu be­dau­ern ha­ben.

Über die­se Dro­hung lach­te Tar­zan, und sich vor dem Gra­fen ver­nei­gend, über­reich­te er ihm sei­ne Kar­te.

Der Graf las:

M. Jean C. Tar­zan.

Herr Tar­zan, sag­te er, Sie wer­den viel­leicht noch ein­mal wün­schen, mir nie­mals einen Freund­schafts­dienst ge­leis­tet zu ha­ben, denn ich kann Ih­nen sa­gen: Sie ha­ben sich die Feind­schaft von zwei der größ­ten Erz­gau­ner von ganz Eu­ro­pa zu­ge­zo­gen. Ge­hen Sie ih­nen aus dem Wege, wo Sie nur kön­nen.

Mein lie­ber Graf, er­wi­der­te Tar­zan mit ru­hi­gem Lä­cheln. Ich habe Fein­de ge­habt, die mehr zu fürch­ten wa­ren, und doch bin ich noch am Le­ben, und es hat mir noch kei­ner et­was an­ha­ben kön­nen. Ich glau­be nicht, dass ei­ner von den bei­den es fer­tig brin­gen wird, mir ein Leid zu­zu­fü­gen.

Wir wol­len es nicht hof­fen, mein Herr, sag­te de Cou­de, aber es wird auf alle Fäl­le nichts scha­den, wenn Sie auf Ih­rer Hut sind und wenn Sie wis­sen, dass Sie sich heu­te je­man­den zum Fein­de ge­macht ha­ben, der nie ver­gisst und nie ver­gibt, und in des­sen bös­ar­ti­gem Hirn im­mer neue Schur­ke­rei­en er­son­nen wer­den, um sich an de­nen zu rä­chen, die sei­ne Plä­ne ver­ei­telt oder ihm zu nahe ge­tre­ten sind. Wenn man Ni­ko­laus Ro­koff einen Teu­fel nennt, so be­lei­digt man da­mit noch die Ma­je­stät des Sa­t­ans.

Am Abend, als Tar­zan sei­ne Ka­bi­ne be­trat, fand er ein zu­sam­men­ge­fal­te­tes Bil­lett auf dem Bo­den, das of­fen­bar un­ter der Tür her­ein­ge­scho­ben wor­den war. Er öff­ne­te es und las:

Herr Tar­zan, Sie wa­ren sich zwei­fel­los der Schwe­re Ih­rer Be­lei­di­gung nicht be­wusst, sonst hät­ten Sie sich si­cher nicht zu Ih­rer heu­ti­gen Hand­lung hin­rei­ßen las­sen. Ich will an­neh­men, dass Sie in Un­kennt­nis ge­han­delt ha­ben und nicht die Ab­sicht hat­ten, einen Frem­den zu be­lei­di­gen. Aus die­sem Grun­de will ich Ih­nen ger­ne er­lau­ben, Ab­bit­te zu leis­ten, und wenn ich die Ver­si­che­rung er­hal­ten habe, dass Sie sich nicht mehr in frem­de An­ge­le­gen­hei­ten mi­schen wer­den, will ich die Sa­che ganz auf sich be­ru­hen las­sen.

An­dern­falls – doch ich bin si­cher, dass Sie so klug sein wer­den, den an­ge­deu­te­ten Weg ein­zu­schla­gen.

Hochach­tungs­voll

Ni­ko­laus Ro­koff.

Ei­nen Au­gen­blick spiel­te ein grim­mi­ges Lä­cheln um Tar­zans Lip­pen, aber dann dach­te er nicht wei­ter dar­an und ging zu Bett.

In ei­ner na­he­lie­gen­den Ka­bi­ne sprach die Grä­fin de Cou­de mit ih­rem Gat­ten.

Wa­rum so ernst, mein lie­ber Raoul? Du bist den gan­zen Abend so ver­drieß­lich ge­we­sen? Was macht dir Sor­gen?

Olga, Ni­ko­laus ist an Bord un­se­res Schif­fes. Wuss­test du es?

Ni­ko­laus! rief sie aus. Das ist un­mög­lich, Raoul. Das kann nicht sein! Ni­ko­laus ist in Deutsch­land ver­haf­tet. Das glaub­te ich auch, bis ich ihn heu­te sah, ihn und den an­de­ren Erz­gau­ner, Paw­lo­wi­tsch. Olga, ich kann die­se Ver­fol­gung nicht län­ger er­tra­gen. Nein, selbst nicht um dei­net­wil­len. Frü­her oder spä­ter wer­de ich ihn den Be­hör­den aus­lie­fern. Ich habe mich in der Tat so halb und halb ent­schlos­sen, dem Ka­pi­tän al­les zu er­klä­ren, ehe wir lan­den. Auf ei­nem fran­zö­si­schen Damp­fer wäre es leicht, uns die­sen Ver­fol­ger dau­ernd vom Hal­se zu schaf­fen.

O nein, Raoul! rief die Grä­fin, in­dem sie vor ihm nie­der­knie­te, da er mit ge­senk­tem Kopf auf ei­nem Di­wan saß. Tu das nicht! Den­ke an das Ver­spre­chen, das du mir ge­ge­ben hast. Sage mir, Raoul, dass du das nicht tun willst. Dro­he ihm nicht ein­mal.

De Cou­de nahm die Hän­de sei­ner Frau in die sei­nen und be­trach­te­te ihre blei­chen, ver­wirr­ten Züge eine Wei­le, ehe er sprach, als ob er aus die­sen schö­nen Au­gen den wirk­li­chen Grund er­ra­ten woll­te, der sie be­stimm­te, die­sen Mann zu schüt­zen.

Es soll ge­sche­hen, wie du wün­schest, Olga, sag­te er end­lich. Ich kann es nicht ver­ste­hen. Er hat je­den An­spruch auf dei­ne Lie­be, An­häng­lich­keit oder Ach­tung ver­wirkt. Er ist eine Ge­fahr für dein Le­ben und dei­ne Ehre und für das Le­ben und die Ehre dei­nes Man­nes. Mö­gest du es nie be­reu­en, ihn ver­tei­digt zu ha­ben.

Ich ver­tei­di­ge ihn nicht, Raoul, un­ter­brach sie ihn hef­tig. Ich glau­be, dass ich ihn eben­so­sehr has­se wie du, aber – o Raoul, Blut ist di­cker als Was­ser.

Ich hät­te heu­te gern die Be­schaf­fen­heit des sei­ni­gen er­probt, sag­te de Cou­de in grim­mi­gem Är­ger. Die bei­den ha­ben heu­te vor­sätz­lich mei­ne Ehre zu be­schmut­zen ver­sucht, Olga. Und dann er­zähl­te er die Vor­fäl­le im Rauch­zim­mer.

Ohne die­sen Frem­den, fuhr er hier­auf fort, wäre es ih­nen ge­glückt, denn wer hät­te mei­nem ein­fa­chen Wort ge­glaubt, da ja die ver­wünsch­ten Kar­ten in mei­ner Ta­sche wa­ren? Ich hät­te bei­na­he selbst dar­an ge­zwei­felt, bis die­ser Herr Tar­zan dei­nen fei­nen Ni­ko­laus zu uns her­an­schlepp­te und den gan­zen fei­gen An­schlag auf­klär­te.

Herr Tar­zan? frag­te die Grä­fin sicht­lich über­rascht.

Ja, kennst du ihn, Olga?

Ich habe ihn ge­se­hen. Ein Ste­ward zeig­te ihn mir.

Ich wuss­te nicht, dass er eine Berühmt­heit ist, sag­te der Graf.

Olga de Cou­de ging auf ein an­de­res The­ma über. Es fiel ihr näm­lich ein, dass es ihr schwer sein wür­de, zu er­klä­ren, warum der Ste­ward ge­ra­de ihr den hüb­schen Tar­zan ge­zeigt habe. Vi­el­leicht er­rö­te­te sie ein we­nig, denn ihr Gat­te sah sie mit ei­nem son­der­bar spöt­ti­schen Blick an. Ach, dach­te sie, ein schul­di­ges Ge­wis­sen ist ein sehr ver­däch­ti­ges Ding.

Ein rätselhafter Überfall

Erst spät am fol­gen­den Nach­mit­tag sah Tar­zan die Rei­se­ge­fähr­ten, in de­ren An­ge­le­gen­hei­ten ihn sein Ehr­lich­keits­ge­fühl ver­wi­ckelt hat­te. Und dann stieß er ganz un­er­war­tet auf Ro­koff und Paw­lo­wi­tsch, und zwar in ei­nem Au­gen­blick, wo es den bei­den si­cher am we­nigs­ten er­wünscht war.

Sie stan­den auf dem Deck an ei­ner Stel­le, wo sie ge­ra­de al­lein wa­ren, und als Tar­zan zu­fäl­lig dort­hin kam, be­fan­den sie sich ge­ra­de in ei­nem hef­ti­gen Streit mit ei­ner Dame. Tar­zan be­merk­te, dass die­se Dame vor­nehm ge­klei­det war. Ihre schlan­ke, fri­sche Ge­stalt ließ auf ein jün­ge­res Al­ter schlie­ßen, ihre Züge konn­te er nicht un­ter­schei­den, da sie dicht ver­schlei­ert war. Sie stand zwi­schen den bei­den Män­nern. Da die­se Tar­zan den Rücken zu­ge­kehrt hat­ten, konn­te er ganz nahe an sie her­an­kom­men, ohne dass sie ihn wahr­nah­men. Er sah, dass Ro­koff zu dro­hen und die Dame zu bit­ten schi­en, aber sie spra­chen in ei­ner frem­den Spra­che, so­dass er nur aus dem An­schein er­ra­ten konn­te, dass die jun­ge Dame sich fürch­te­te.

Ro­koffs Hal­tung war so dro­hend, dass der Af­fen­mensch einen Au­gen­blick hin­ter dem Trio ste­hen blieb, da er un­will­kür­lich be­fürch­te­te, der rohe Mensch könn­te hand­greif­lich ge­gen sie wer­den. Im sel­ben Au­gen­blick fass­te die­ser sie denn auch am Hand­ge­lenk, wie wenn er aus ihr ein Ver­spre­chen er­pres­sen woll­te. Er er­reich­te sein Ziel aber nicht, denn plötz­lich wur­de er mit stahl­har­ten Fin­gern an den Schul­tern ge­fasst und mit sol­chem Schwung auf die Sei­te ge­wor­fen, dass er an­fäng­lich gar nicht wuss­te, was ihm ge­sch­ah. Erst als er auf­blick­te, sah er in die kal­ten grau­en Au­gen des Frem­den, der ihm am Tage vor­her in die Que­re ge­kom­men war.

Don­ner­wet­ter! schrie der wü­ten­de Ro­koff. Was fällt Ih­nen ein? Sind Sie ver­rückt, dass Sie Ni­ko­laus Ro­koff wie­der be­lei­di­gen?

Dies ist mei­ne Ant­wort auf Ihr Brief­chen, mein Herr! flüs­ter­te ihm Tar­zan zu. Und dann schleu­der­te er den Kerl mit sol­cher Wucht von sich, dass er ge­gen die Re­ling hin­stürz­te.

Don­ner­wet­ter noch mal! schrie Ro­koff. Sie ge­mei­ner Mensch, das kos­tet Ih­nen das Le­ben! Und in­dem er auf­sprang, stürz­te er auf Tar­zan los, wäh­rend er einen Re­vol­ver aus sei­ner Ta­sche zu zie­hen such­te.

Die jun­ge Dame fuhr ent­setzt zu­rück.

Ni­ko­laus! rief sie, halt ein, tu das nicht, o tu das nicht! Und dem Frem­den schrie sie zu: Schnell, flie­hen Sie, mein Herr, sonst wird er Sie tö­ten!

Statt aber zu flie­hen, trat Tar­zan auf den Men­schen zu. Ma­chen Sie sich nicht selbst un­glück­lich! sag­te er. Ro­koff war durch die er­lit­te­ne De­mü­ti­gung der­ar­tig in Ra­se­rei ge­ra­ten, dass er den Re­vol­ver auf Tar­zans Brust rich­te­te. Der Hahn knack­te, aber der ers­te Schuss ver­sag­te. Doch ehe der Wü­ten­de ein zwei­tes Mal los­drücken konn­te, hat­te Tar­zan mit ra­schem Griff den Re­vol­ver er­fasst und ihn über die Re­ling hin­aus in die See ge­wor­fen.

Ei­nen Au­gen­blick stan­den die bei­den da und sa­hen ein­an­der an. Ro­koff hat­te sein Selbst­ver­trau­en wie­der er­langt. Er war der ers­te, der sprach.

Zwei­mal ha­ben Sie sich nun be­ru­fen ge­fühlt, sich in Din­ge zu mi­schen, die Sie nichts an­ge­hen. Zwei­mal ha­ben Sie es aus ei­ge­nem An­trieb über­nom­men, mich zu de­mü­ti­gen. Die ers­te Be­lei­di­gung habe ich hin­ge­hen las­sen, weil ich an­nahm, dass Sie in Un­kennt­nis han­del­ten, aber die­se Sa­che wird nicht über­se­hen wer­den. Wenn Sie nicht wis­sen, wer ich bin, so kön­nen Sie bei Ihrem jet­zi­gen un­ver­schäm­ten Be­neh­men si­cher sein, dass Sie spä­ter noch an mich er­in­nert wer­den.

Dass Sie ein Feig­ling und ein Schur­ke sind, mein Herr, er­wi­der­te Tar­zan, ist al­les, was ich von Ih­nen zu wis­sen brau­che.

Er dreh­te sich um, um die Dame zu fra­gen, ob Ro­koff ihr weh ge­tan habe, aber sie war ver­schwun­den.

Dann setz­te er sei­nen Spa­zier­gang auf dem Deck fort, ohne auch nur einen Blick auf Ro­koff und sei­nen Ge­fähr­ten zu wer­fen.

Tar­zan hät­te ger­ne ge­wusst, wel­che Ver­schwö­rung im Gan­ge war oder wel­che Plä­ne die bei­den Män­ner hat­ten. Die ver­schlei­er­te Dame, der er so­eben bei­ge­stan­den hat­te, kam ihm ei­ni­ger­ma­ßen be­kannt vor, aber da er ihr Ge­sicht nicht ge­se­hen, war er nicht si­cher, ob es ihm schon ein­mal be­geg­net war. Das ein­zi­ge, was ihm an ihr auf­ge­fal­len, war ein Ring von be­son­de­rer Ar­beit an der Hand, die Ro­koff er­fasst hat­te. Er be­schloss des­halb, auf die Fin­ger der weib­li­chen Pas­sa­gie­re, die ihm be­geg­nen wür­den, zu ach­ten, um die Dame zu ent­de­cken, die Ro­koff ver­folg­te, und zu er­fah­ren, ob er sie noch wei­ter be­läs­tigt habe.

Als Tar­zan sei­nen Stuhl auf dem Ver­deck wie­der auf­ge­sucht hat­te, muss­te er über die zahl­rei­chen Bei­spie­le mensch­li­cher Grau­sam­keit, Selbst­sucht und Ge­häs­sig­keit nach­den­ken, de­ren Au­gen­zeu­ge er ge­we­sen war von dem Tage an, wo er vor vier Jah­ren zum ers­ten Mal ein an­de­res mensch­li­ches We­sen im Dschun­gel er­blickt hat­te: den glat­ten schwar­zen Ku­lon­ga, des­sen ge­schick­ter Pfeil an je­nem Tage Kala, die große Äf­fin, ge­tö­tet und den jun­gen Tar­zan der ein­zi­gen Mut­ter, die er je ge­kannt, be­raubt hat­te.

Er dach­te auch an die Er­mor­dung Kings durch den Ma­tro­sen Sni­pes mit dem Rat­ten­ge­sicht, an die Aus­set­zung des Pro­fes­sors Por­ter und des­sen Ge­fähr­ten durch die Meu­te­rer der »Ar­row«, an die Grau­sam­keit der schwar­zen Krie­ger und Frau­en Mbon­gas ge­gen ihre Ge­fan­ge­nen und an die klein­li­che Miss­gunst der bür­ger­li­chen und mi­li­tä­ri­schen Be­am­ten der West­küs­ten-Ko­lo­nie, wo er zum ers­ten Mal in die Kul­tur­welt ein­trat.

Mein Gott, sag­te er zu sich selbst, sie sind alle gleich. Be­trü­gen, mor­den, lü­gen, sich zan­ken, und al­les das für Din­ge, die die Tie­re im Dschun­gel nicht be­sit­zen möch­ten: Geld, um sich die An­nehm­lich­kei­ten wei­bi­scher Schwäch­lin­ge zu ver­schaf­fen. Und bei al­le­dem sind sie durch tö­rich­te Ge­wohn­hei­ten ein­ge­engt, die sie zu Skla­ven ih­res un­glück­li­chen Lo­ses ma­chen, wäh­rend sie fest glau­ben, dass sie, die Her­ren der Schöp­fung, die ein­zig wah­ren Freu­den des Le­bens ge­nie­ßen. Es ist die tö­rich­te Welt, auf die Frei­heit und das Glück im Dschun­gel zu ver­zich­ten, um in jene Welt ein­zu­tre­ten.

Als er da saß, hat­te er plötz­lich das Ge­fühl, dass er hin­ter sei­nem Rücken be­ob­ach­tet wur­de, und der alte In­stinkt des wil­den Tie­res brach durch die dün­ne Tün­che der Kul­tur. Tar­zan dreh­te sich so schnell her­um, dass die Au­gen der jun­gen Dame, die ihn heim­lich an­ge­se­hen hat­te, nicht ein­mal Zeit hat­ten, sich zu sen­ken, ehe die grau­en Au­gen des Af­fen­menschen einen fra­gen­den Blick in sie hin­ein­ge­wor­fen hat­ten. Dann, als sie sich senk­ten, sah Tar­zan, dass sich eine schwa­che rote Wel­le über ihr jetzt halb ab­ge­kehr­tes Ge­sicht brei­te­te.

Er lä­chel­te in sich hin­ein über das Er­geb­nis sei­ner kul­tur­lo­sen, un­ga­lan­ten Hand­lung, denn er hat­te sei­ne ei­ge­nen Au­gen nicht ge­senkt, als er den Bli­cken der jun­gen Dame be­geg­ne­te. Sie war sehr jung und sehr hübsch. Sie kam ihm et­was be­kannt vor, so­dass er sich frag­te, wo er sie wohl schon ge­se­hen habe.

Er nahm sei­ne vo­ri­ge Stel­lung wie­der ein und be­merk­te nun, dass sie auf­ge­stan­den war und das Deck ver­ließ.

Als sie vor­bei­ging, wand­te er sich um, um ihr nach­zu­se­hen, weil er hoff­te, einen An­halts­punkt zur Fest­stel­lung ih­rer Per­sön­lich­keit zu ent­de­cken.

Er wur­de nicht ganz ent­täuscht, denn beim Wei­ter­ge­hen er­hob sie eine Hand ge­gen die schwar­ze Haar­fül­le ih­res Na­ckens – die ei­gen­tüm­li­che Be­we­gung, die die Frau­en ma­chen, wenn sie ver­mu­ten, dass sie von hin­ten be­ob­ach­tet wer­den – und da­bei er­kann­te Tar­zan an ei­nem Fin­ger ih­rer Hand den kunst­voll ge­ar­bei­te­ten Ring, den er kurz vor­her an dem Fin­ger der ver­schlei­er­ten Dame be­merkt hat­te.

Es war also die­se schö­ne jun­ge Frau, die Ro­koff ver­folg­te. Tar­zan hät­te gern ge­wusst, wer sie war und in wel­chem Ver­hält­nis ein so lieb­li­ches Ge­schöpf zu dem ro­hen, bär­ti­gen Rus­sen stand.

Am Abend schlen­der­te er nach der Abend­mahl­zeit nach vorn und un­ter­hielt sich bis nach Ein­tritt der Dun­kel­heit mit dem zwei­ten Of­fi­zier. Als die­ser durch die Pf­licht an­der­wei­tig in An­spruch ge­nom­men wur­de, lehn­te Tar­zan sich trä­ge an die Re­ling und sah dem Spiel des Mond­lich­tes auf den sanft da­hin­rol­len­den Wel­len zu. Er war halb durch einen Kran ver­deckt, so­dass die zwei Män­ner, die sich nä­her­ten, ihn nicht sa­hen. Wäh­rend sie vor­über­gin­gen, fing Tar­zan ge­nug von ih­rem Ge­spräch auf, um sich ver­an­lasst zu se­hen, ih­nen zu fol­gen. Er woll­te er­fah­ren, wel­che Teu­fe­lei sie aus­span­nen. Er hat­te die Stim­me Ro­koffs er­kannt und ge­se­hen, dass Paw­lo­wi­tsch sein Beglei­ter war.

Es wa­ren nur we­nig Wor­te, die Tar­zan auf­fan­gen konn­te: … Und wenn sie schreit, so wür­de sie, bis – das Wei­te­re hat­te er nicht mehr ver­stan­den, aber das Ge­hör­te ge­nüg­te, um den Aben­teu­er­geist wie­der in ihm zu be­le­ben, und so be­hielt er die bei­den Män­ner im Auge, als sie jetzt rasch weiter­schrit­ten. Er folg­te ih­nen bis zum Rauch­zim­mer, aber sie blie­ben am Ein­gang ste­hen, of­fen­bar lang ge­nug, um sich zu über­zeu­gen, ob je­mand, des­sen Auf­ent­halt sie fest­zu­stel­len wünsch­ten, da­bei sei.

Dann gin­gen sie so­fort aufs Pro­me­na­den­deck zu den Ka­bi­nen ers­ter Klas­se. Hier muss­te Tar­zan bes­ser auf­pas­sen, um nicht ent­deckt zu wer­den, und das ge­lang ihm auch. Als die bei­den Män­ner vor ei­ner der po­lier­ten Hart­holz­tü­ren ste­hen blie­ben, schlich er sich in den Schat­ten ei­nes Gan­ges, kaum zwölf Schrit­te von ih­nen ent­fernt.

Auf ihr Klop­fen frag­te eine weib­li­che Stim­me auf fran­zö­sisch: Wer ist da?

Ich bin es, Olga – Ni­ko­laus! war die Ant­wort in Ro­koffs be­kann­tem Kehl­laut. Darf ich hin­ein­kom­men?

Wa­rum hörst du nicht auf, mich zu ver­fol­gen, Ni­ko­laus? kam die Stim­me durch die dün­ne Tür. Ich habe dir nie et­was zu­lei­de ge­tan.

Komm, komm, Olga, dräng­te der Mann in ver­söhn­li­chem Tone. Ich will nur ei­ni­ge Wor­te mit dir spre­chen. Ich tue dir nichts und will nicht in dei­ne Ka­bi­ne tre­ten, aber ich kann mei­ne Bot­schaft nicht durch die Tür ru­fen.

Tar­zan hör­te, wie die Sperr­klin­ke drin­nen knack­te. Er trat et­was aus sei­nem Ver­steck her­aus, um zu se­hen, was ge­schä­he, so­bald die Tür ge­öff­net war, denn er konn­te nur an die un­heil­vol­len Wor­te den­ken, die er ei­ni­ge Mi­nu­ten vor­her auf dem Deck ge­hört hat­te: … Und wenn sie schreit, so wür­de sie.

Ro­koff stand ge­ra­de der Tür ge­gen­über. Paw­lo­wi­tsch hat­te sich flach an die ge­tä­fel­te Wand am Ende des Gan­ges ge­drückt. Die Tür wur­de ge­öff­net. Ro­koff trat halb in den Raum und stand mit dem Rücken ge­gen die Tür, wo­bei er im Flüs­ter­ton mit der Frau sprach, die Tar­zan nicht se­hen konn­te. Dann hör­te er die Stim­me der Dame, lei­se, doch laut ge­nug, um ihre Wor­te zu un­ter­schei­den. Nein, Ni­ko­laus, sag­te sie, es ist nutz­los. Dro­he so viel du willst, ich wer­de nie­mals in dei­ne For­de­rung ein­wil­li­gen. Bit­te, ver­lass das Zim­mer; du hast kein Recht hier. Du hast ver­spro­chen, nicht her­ein­zu­kom­men.

Gut, Olga, ich wer­de nicht ein­tre­ten, aber ehe ich mit dir fer­tig bin, muss ich dir sa­gen, dass du noch tau­send­mal wün­schen wirst, mir den Ge­fal­len, um den ich dich bit­te, so­fort er­wie­sen zu ha­ben. Am Ende wer­de ich doch ge­win­nen, und so könn­test du mir Mühe und Zeit spa­ren und Schan­de dir und dei­nem —

Nie­mals, Ni­ko­laus! un­ter­brach ihn die weib­li­che Stim­me, und dann sah Tar­zan Ro­koff sich um­dre­hen und Paw­lo­wi­tsch ein Zei­chen ge­ben. Die­ser sprang schnell auf den Ein­gang der Ka­bi­ne zu und rann­te an Ro­koff vor­bei, der die Tür für ihn of­fen hielt. Dann trat letz­te­rer schnell her­aus. Die Tür fiel zu. Tar­zan hör­te das Knacken des Schlos­ses, als Paw­lo­wi­tsch drin­nen den Schlüs­sel um­dreh­te. Ro­koff blieb vor der Tür ste­hen; er beug­te den Kopf, wie wenn er die Wor­te er­ha­schen woll­te, die drin­nen ge­spro­chen wur­den. Ein häss­li­ches Lä­cheln um­spiel­te sei­ne bär­ti­gen Lip­pen.

Tar­zan konn­te hö­ren, wie die Frau dem Ein­dring­ling be­fahl, ihre Ka­bi­ne zu ver­las­sen. Ich wer­de mei­nen Mann ru­fen las­sen, schrie sie. Er wird kein Er­bar­men mit Ih­nen ha­ben. Paw­lo­wi­tschs höh­ni­sches La­chen drang durch die Tür.

Der Pro­vi­ant­meis­ter wird ih­ren Gat­ten ho­len, Ma­da­me, sag­te der Mann. Die­ser Of­fi­zier ist in der Tat schon be­nach­rich­tigt, dass Sie noch einen an­de­ren Mann als Ihren Gat­ten hin­ter der ver­schlos­se­nen Tür Ih­rer Ka­bi­ne emp­fan­gen.

Pah! rief die Frau. Mein Mann wird schon wis­sen, was er da­von zu hal­ten hat.

Si­cher weiß er es, nicht aber der Of­fi­zier und auch nicht die Jour­na­lis­ten, die auf ir­gend­ei­ne ge­heim­nis­vol­le Wei­se bei der Lan­dung da­von hö­ren wer­den. Aber sie wer­den fin­den, dass es eine fei­ne Ge­schich­te für die Zei­tun­gen ist, und dies wer­den auch alle Ihre Freun­de den­ken, wenn sie sie am – heu­te ist Diens­tag, also am nächs­ten Frei­tag, zu ih­rem Früh­stück in den Blät­tern le­sen. Es wird dem In­ter­es­se an der Ge­schich­te auch kei­nen Ab­bruch tun, wenn die Le­ser er­fah­ren, dass der Mann, zu dem Ma­da­me Be­zie­hun­gen un­ter­hält, ein rus­si­scher Be­dien­ter ist, der Kam­mer­die­ner ih­res Bru­ders, um ganz ge­nau zu sein.

Ale­xei Paw­lo­wi­tsch, ent­geg­ne­te die weib­li­che Stim­me kühl und furcht­los, Sie sind ein Feig­ling, und wenn ich Ih­nen einen ge­wis­sen Na­men ins Ohr flüs­te­re, so wer­den Sie Ihre For­de­run­gen und Dro­hun­gen ge­gen mich bes­ser über­le­gen. Dann wer­den Sie mei­ne Ka­bi­ne so­fort ver­las­sen, und ich will nicht hof­fen, dass Sie mich je­mals wie­der be­läs­ti­gen wer­den.

Dann folg­te ein kur­z­es Schwei­gen, und Tar­zan schloss dar­aus, dass die Frau dem Schur­ken das an­ge­deu­te­te Wort ins Ohr flüs­ter­te.

Das Schwei­gen dau­er­te nur einen Au­gen­blick, dann hör­te man einen Fluch aus dem Mun­de des Man­nes – das Schlür­fen von Trit­ten – den Schrei ei­ner Frau und dann war wie­der Stil­le.

Der Schrei war kaum ver­hallt, als der Af­fen­mensch auch schon aus sei­nem Ver­steck her­vor­sprang. Ro­koff woll­te fort­lau­fen, aber Tar­zan fass­te ihn beim Kra­gen und schlepp­te ihn zu­rück. Kei­ner sprach ein Wort, aber bei­de fühl­ten in­stink­tiv, dass ein Mord in dem Rau­me ge­sche­hen wür­de, und Tar­zan war si­cher, dass es nicht in Ro­koffs Ab­sicht lag, sei­nen Ver­bün­de­ten so­weit ge­hen zu las­sen; er fühl­te, dass des Man­nes Zie­le tiefer la­gen und eher un­heil­voll als roh wa­ren.

Ohne lan­ge zu über­le­gen, warf sich der Af­fen­mensch mit sei­ner Rie­sen­schul­ter so ge­gen die schwa­che Tür, dass die­se in zahl­rei­che Sp­lit­ter zer­sprang; durch die Öff­nung drang er in die Ka­bi­ne, Ro­koff hin­ter sich her­schlep­pend.

Vor ihm, auf ei­nem Ru­he­bett, lag die jun­ge Frau und auf ihr Paw­lo­wi­tsch, des­sen Fin­ger ih­ren schö­nen Hals zu­sam­mendrück­ten, wäh­rend die Hän­de sei­nes Op­fers ihm wir­kungs­los ins Ge­sicht schlu­gen und ver­zwei­felt an den grau­sa­men Fin­gern zerr­ten, die sie er­wür­gen woll­ten.

Bei dem Lärm, der durch Tar­zans Ein­bruch ent­stan­den war, sprang Paw­lo­wi­tsch auf und starr­te dro­hend auf Tar­zan. Die Frau rich­te­te sich zit­ternd auf dem Ru­he­bett auf. Eine Hand hielt sie am Hal­se, und ihr Atem ging in kur­z­en Stö­ßen.

Trotz ih­rer Bläs­se und ih­res auf­ge­lös­ten Haa­res er­kann­te Tar­zan sie als die jun­ge Dame, die er heu­te früh da­bei über­rasch­te, wie sie ihn mus­ter­te.

Was soll das be­deu­ten? frag­te Tar­zan, sich an Ro­koff wen­dend, den er so­fort als den Ur­he­ber die­ser Ge­walt­tä­tig­keit an­sah.

Der Mann ver­harr­te in mür­ri­schem Schwei­gen.

Drücken Sie auf den Knopf, fuhr der Af­fen­mensch fort. Wir wol­len einen Schiff­s­of­fi­zier hier ha­ben, denn die Sa­che ist weit ge­nug ge­gan­gen.

Nein, nein, rief die Frau, in­dem sie plötz­lich auf­sprang. Tun Sie das nicht! Ich bin si­cher, dass man nicht die Ab­sicht hat­te, mir wirk­lich ein Leid zu­zu­fü­gen. Ich er­zürn­te die­sen Mann, und da ver­lor er die Selbst­be­herr­schung – das ist al­les. Ich möch­te der An­ge­le­gen­heit kei­ne wei­te­ren Fol­gen ge­ben, mein Herr.

Es lag ein so fle­hen­der Aus­druck in ih­rer Stim­me, dass Tar­zan nichts wei­ter in der Sa­che tun woll­te, ob­schon er über­zeugt war, dass hier et­was im Wer­ke war, von dem die zu­stän­di­gen Be­hör­den un­ter­rich­tet wer­den müss­ten.

Sie wün­schen also, dass ich nichts in der Sa­che tue? frag­te er.

Nein, nichts, sag­te sie.

Wol­len Sie sich also noch wei­ter­hin von die­sen zwei Schur­ken be­läs­ti­gen las­sen?

Sie schi­en um eine Ant­wort ver­le­gen zu sein, und sah ver­wirrt und un­glück­lich aus. Tar­zan be­merk­te auf Ro­koffs Lip­pen ein tri­um­phie­ren­des Lä­cheln. Die jun­ge Frau fürch­te­te sich of­fen­bar vor die­sen bei­den, und wag­te es je­den­falls nicht, ih­ren wirk­li­chen Wunsch vor ih­nen aus­zu­drücken.

Dann, sag­te Tar­zan, will ich auf mei­ne ei­ge­ne Verant­wor­tung han­deln.

Und sich an Ro­koff wen­dend, fuhr er fort:

Ih­nen und Ihrem Hel­fers­hel­fer möch­te ich sa­gen, dass ich Sie von jetzt an bis ans Ende der Fahrt im Auge be­hal­ten wer­de, und soll­te ir­gend­ei­ne Hand­lung von ei­nem von Ih­nen zu mei­ner Kennt­nis kom­men, durch die die­se jun­ge Dame auch nur im ent­fern­tes­ten be­läs­tigt wird, so wer­den Sie so­fort von mir zur Re­chen­schaft ge­zo­gen, und die­se Re­chen­schaft wird für kei­nen von Ih­nen eine an­ge­neh­me Er­fah­rung wer­den.

Und nun hin­aus mit euch!

Bei die­sen Wor­ten pack­te er Ro­koff und Paw­lo­wi­tsch beim Rock­kra­gen und schob sie kräf­tig durch den Ein­gang, in­dem er je­dem noch einen Fuß­tritt ver­setz­te.

Dann wand­te er sich wie­der zu der jun­gen Dame, die ihn mit großen er­staun­ten Au­gen an­sah.

Und Sie, gnä­di­ge Frau, sag­te er, wer­den mir einen großen Ge­fal­len er­wei­sen, wenn Sie mich be­nach­rich­ti­gen wol­len, so­bald nur ei­ner der Ha­lun­ken Sie wie­der be­läs­tigt.

Ach, mein Herr, ant­wor­te­te sie, ich hof­fe, dass Sie nicht für Ihre freund­li­che Tat zu lei­den ha­ben wer­den. Sie ha­ben sich einen sehr bö­sen Feind zu­ge­zo­gen, der vor nichts zu­rück­schre­cken wird, um sei­nen Hass zu be­frie­di­gen. Sie müs­sen sehr auf Ih­rer Hut sein, Herr – —

Ge­stat­ten, gnä­di­ge Frau, mein Name ist Tar­zan.

Also, Herr Tar­zan, Sie wol­len, bit­te, nicht den­ken, dass ich Ih­nen für ih­ren tap­fe­ren, rit­ter­li­chen Schutz, den Sie mir er­wie­sen, nicht auf­rich­tig dank­bar wäre, weil ich nicht ein­wil­li­gen woll­te, dass die Schiff­s­of­fi­zie­re be­nach­rich­tigt wur­den. Gute Nacht, Herr Tar­zan! Ich wer­de nie ver­ges­sen, was ich Ih­nen schul­de.

Und mit ei­nem lieb­li­chen Lä­cheln, das eine Rei­he schö­ner Zäh­ne se­hen ließ, ver­neig­te sie sich grü­ßend vor Tar­zan, der ihr gute Nacht bot und sei­nen Weg auf dem Deck fort­setz­te.

Der Mann zer­brach sich den Kopf dar­über, dass zwei Men­schen an Bord wa­ren – die jun­ge Dame und der Graf de Cou­de —, die un­ter den Schänd­lich­kei­ten Ro­koffs und sei­nes Ge­nos­sen zu lei­den hat­ten und doch nicht dul­de­ten, dass die Übel­tä­ter dem Ge­rich­te aus­ge­lie­fert wür­den.

Ehe er in je­ner Nacht zu Bett ging, kehr­ten sei­ne Ge­dan­ken noch oft zu der schö­nen jun­gen Frau zu­rück, in de­ren of­fen­bar ver­wi­ckel­tes Schick­sal er so selt­sam ein­ge­grif­fen hat­te. Dass sie ver­hei­ra­tet war, be­wies der gol­de­ne Ring am drit­ten Fin­ger ih­rer lin­ken Hand. Un­will­kür­lich dach­te er dar­über nach, wer der glück­li­che Mann sein moch­te.

Tar­zan sah nichts mehr von den han­deln­den Per­so­nen die­ses Dra­mas, in das er nur einen Blick ge­wor­fen hat­te, bis am Spät­nach­mit­tag des letz­ten Ta­ges der Fahrt. Da sah er sich plötz­lich der jun­gen Frau ge­gen­über, als sie bei­de sich aus ent­ge­gen­ge­setz­ten Rich­tun­gen ih­ren Ver­deck­stüh­len nä­her­ten.

Sie grüß­te ihn mit freund­li­chem Lä­cheln und sprach fast un­mit­tel­bar von dem Vor­fall in ih­rer Ka­bi­ne, de­ren Zeu­ge er zwei Aben­de vor­her ge­we­sen war. Es schi­en, als ob es ihr nicht an­ge­nehm wäre, dass er ihre Be­kannt­schaft mit Män­nern wie Ro­koff und Paw­lo­wi­tsch un­güns­tig aus­le­gen könn­te.

Ich hof­fe zu­ver­sicht­lich, sag­te sie, dass Sie mich nicht nach dem un­glück­li­chen Vor­komm­nis am Diens­tag­abend be­ur­teilt ha­ben. Ich habe viel dar­un­ter ge­lit­ten. Dies ist das ers­te Mal, dass ich mich seit­dem aus der Ka­bi­ne wage. Ich habe mich ge­schämt, schloss sie ein­fach.

Man be­ur­teilt die Ga­zel­le nicht nach den Lö­wen, die sie an­grei­fen, er­wi­der­te Tar­zan. Ich habe die bei­den im Rauch­zim­mer am Werk ge­se­hen, – am Tage zu­vor, wenn ich mich recht er­in­ne­re – und da ich ihre Metho­de kann­te, so wuss­te ich, dass sie nur Un­schul­di­ge an­grei­fen. Män­ner wie die­se kle­ben nur am Häss­li­chen und has­sen al­les, was edel und gut ist.

Es ist sehr gü­tig von Ih­nen, es so aus­zu­le­gen, ant­wor­te­te sie lä­chelnd. Ich habe schon die Ge­schich­te von dem Kar­ten­spiel ge­hört. Mein Mann er­zähl­te mir den gan­zen Vor­fall, und sprach be­son­ders von der Kraft und der Uner­schro­cken­heit des Herrn Tar­zan, dem er sich zu größ­tem Dan­ke ver­pflich­tet füh­le.

Das ist Ihr Gat­te? frag­te Tar­zan.

Ja, ich bin die Grä­fin de Cou­de.

Ich bin schon reich­lich be­lohnt durch das Be­wusst­sein, dass ich der Gat­tin des Gra­fen de Cou­de einen Dienst er­wei­sen konn­te.

Ach, mein Herr, ich ste­he schon so tief in Ih­rer Schuld, dass ich mei­ne ei­ge­ne Rech­nung wohl nie wer­de be­glei­chen kön­nen; dar­um bit­te ich, mich nicht noch mehr zu ver­pflich­ten.

Da­bei lä­chel­te sie ihn so freund­lich an, dass Tar­zan sich sag­te: Für ein sol­ches Lä­cheln wür­de ein Mann noch viel grö­ße­re Din­ge un­ter­neh­men.

Zu­letzt spra­chen sie über die schnel­len Freund­schaf­ten, die auf den Oze­an­damp­fern ent­ste­hen und die oft mit der­sel­ben Leich­tig­keit wie­der ab­ge­bro­chen wer­den.

Tar­zan frag­te sich denn auch, ob er die jun­ge Grä­fin je­mals wie­der­se­hen wer­de.

An je­nem Tag sah er sie nicht mehr, und auch am fol­gen­den Tage bei der Lan­dung konn­te er sie aus dem Ge­drän­ge nicht her­aus­fin­den. Aber bei dem Ab­schied nach je­ner Un­ter­re­dung auf dem Deck hat­te in ih­rem Blick ein Aus­druck ge­le­gen, den er nicht ver­ges­sen konn­te.

Was in der Maule-Straße in Paris geschah

Bei sei­ner An­kunft in Pa­ris be­gab sich Tar­zan so­fort in die Woh­nung sei­nes al­ten Freun­des d’Ar­not. Der Schiffs­leut­nant war er­freut, ihn wie­der­zu­se­hen, aber er mach­te ihm als­bald Vor­hal­tun­gen dar­über, dass er so tö­richt war, auf den Ti­tel und die Be­sit­zun­gen zu ver­zich­ten, die ihm von Rechts we­gen von sei­nem Va­ter John Clay­ton, dem ver­stor­be­nen Lord Grey­sto­ke, zu­stan­den.

Sie müs­sen ver­rückt sein, mein Freund, sag­te d’Ar­not, dass Sie leich­ten Her­zens nicht al­lein auf Reich­tum und Stel­lung ver­zich­ten, son­dern auch auf die Ge­le­gen­heit, al­ler Welt zu be­wei­sen, dass das edle Blut von zwei der an­ge­se­hens­ten eng­li­schen Fa­mi­li­en in Ihren Adern fließt, nicht aber das Blut ei­ner wil­den Men­schenäf­fin. Ich ver­ste­he nicht, dass man Ih­nen glau­ben konn­te, am al­ler­we­nigs­ten Miss Por­ter.

Ich habe nie an Ihre Ab­stam­mung von der Äf­fin ge­glaubt, so­gar da­mals nicht, als ich Sie hin­ten in der Wild­nis des Dschun­gels das rohe Fleisch Ih­rer Jagd­beu­te her­un­ter­rei­ßen und die fet­ti­gen Fin­ger am Schen­kel ab­wi­schen sah. Schon da­mals glaub­te ich nicht, dass Kala Ihre Mut­ter sei, ob­schon ich noch nicht den kleins­ten Be­weis des Ge­gen­teils in Hän­den hat­te. Jetzt aber ken­nen wir Ihres Va­ters Ta­ge­buch. Er hat das schreck­li­che Le­ben dar­in ge­schil­dert, das er mit Ih­rer Mut­ter an der wil­den afri­ka­ni­schen Küs­te füh­ren muss­te. Er er­zählt von Ih­rer Ge­burt und gibt so den über­zeu­gends­ten Be­weis Ih­rer wah­ren Ab­stam­mung, so­gar der Ab­druck Ih­rer klei­nen Kin­der­hand ist dar­in. Al­les dies steht schwarz auf weiß vor uns. Da scheint es mir ein­fach un­glaub­lich, dass Sie trotz al­lem ge­willt sein soll­ten, ein na­men­lo­ser, ar­mer Va­ga­bund zu blei­ben.

Ich brau­che kei­nen bes­se­ren Na­men als Tar­zan, er­wi­der­te der Af­fen­mensch, und was den ar­men Va­ga­bun­den be­trifft, so habe ich nicht die Ab­sicht, es zu blei­ben. In der Tat soll die nächs­te, und wie ich hof­fe, die letz­te An­for­de­rung, die ich an Ihre un­ei­gen­nüt­zi­ge Freund­schaft stel­len muss, die sein, eine An­stel­lung für mich zu fin­den.

Ach was, sag­te d’Ar­not, Sie wis­sen, dass ich es so nicht mei­ne. Habe ich Ih­nen nicht ein dut­zend­mal er­zählt, dass ich ge­nug für zwan­zig Mann habe und dass die Hälf­te mei­nes Ver­mö­gens Ih­nen ge­hört? Und wenn ich Ih­nen al­les gäbe, wür­de es auch nur den zehn­ten Teil des Wer­tes dar­stel­len, den ich auf Ihre Freund­schaft lege, Tar­zan? Wür­den da­mit die Diens­te be­zahlt sein, die Sie mir in Afri­ka er­wie­sen? Ich kann nie ver­ges­sen, mein Freund, dass ich ohne Sie und Ihre wun­der­ba­re Tap­fer­keit am Dorf­pfahl von Mbon­gas Men­schen­fres­sern ge­tö­tet wor­den wäre. Ih­rer lie­be­vol­len Auf­op­fe­rung ver­dan­ke ich es, dass ich von den da­ma­li­gen, schreck­li­chen Wun­den ge­ne­sen bin. Ich habe erst spä­ter ent­deckt, wel­che Ent­sa­gung es für Sie war, bei mir im Am­phi­thea­ter der Af­fen aus­zu­har­ren, wäh­rend Ihr Herz Sie zur Küs­te dräng­te.

Als wir schließ­lich da­hin ka­men und fan­den, dass Miss Por­ter und ihre Ge­fähr­ten fort wa­ren, wur­de mir erst wirk­lich be­wusst, was Sie für einen völ­lig Frem­den ta­ten. Ich ver­su­che auch nicht, Sie mit Geld zu be­zah­len, Tar­zan, aber da Sie ge­gen­wär­tig Geld brau­chen, so stel­le ich Ih­nen selbst­ver­ständ­lich so viel zur Ver­fü­gung, wie Sie wün­schen. Das ist kein Op­fer, das ich Ih­nen brin­ge, son­dern le­dig­lich der Aus­druck mei­ner Dank­bar­keit und mei­ner Freund­schaft.

Nun, sag­te Tar­zan la­chend, wir wol­len uns we­gen des Gel­des nicht zan­ken. Ich brau­che es zum Le­ben, aber es wäre mir lie­ber, wenn ich es er­ar­bei­ten könn­te. Sie kön­nen mir kei­nen bes­se­ren Be­weis Ih­rer Freund­schaft ge­ben, als in­dem Sie eine An­stel­lung für mich su­chen. Ich kann nicht un­tä­tig le­ben. Was mein Ge­burts­recht be­trifft, so ist es in gu­ten Hän­den. Clay­ton hat mich des­sen nicht be­raubt, denn er glaubt in Wirk­lich­keit, der ech­te Lord Grey­sto­ke zu sein, und er wird vor­aus­sicht­lich ein bes­se­rer eng­li­scher Lord sein als ein Mann, der in ei­nem afri­ka­ni­schen Dschun­gel ge­bo­ren und auf­ge­wach­sen ist. Sie wis­sen, dass ich auch jetzt nur halb kul­ti­viert bin. Wenn ich in Zorn ge­ra­te und es mir rot vor den Au­gen wird, so fe­gen die In­stink­te des wil­den Tie­res, die im­mer noch in mir schlum­mern, das we­ni­ge, das ich mir von der fei­ne­ren Kul­tur an­ge­eig­net habe, völ­lig hin­weg.

Und dann, hät­te ich ver­ra­ten, wer ich bin, so hät­te ich die Frau, die ich lie­be, des Reich­tums und der Stel­lung be­raubt, die ihre Hei­rat mit Clay­ton ihr jetzt si­chert. Das konn­te ich doch nicht tun, nicht wahr, Paul?

Ohne eine Ant­wort ab­zu­war­ten, fuhr er fort: Das Ge­burts­recht ist üb­ri­gens von kei­ner großen Wich­tig­keit für mich. So wie ich auf­ge­wach­sen bin, er­ken­ne ich im Men­schen wie im Tie­re nur den Wert an, den sie dank ih­rer geis­ti­gen oder kör­per­li­chen Über­le­gen­heit be­sit­zen. Und so bin ich glück­lich, wenn ich an Kala, als mei­ne Mut­ter, den­ke, denn sie war in ih­rer wenn auch wil­den Art im­mer gut ge­gen mich. Sie muss mich an ih­rer haa­ri­gen Brust ge­nährt ha­ben von je­nem Tage an, da mei­ne ei­ge­ne Mut­ter, die arme un­glück­li­che Eng­län­de­rin, starb. Kala kämpf­te für mich ge­gen die wil­den Be­woh­ner des Wal­des und ge­gen die ro­hen Mit­glie­der un­se­res ei­ge­nen Stam­mes mit dem gan­zen Mute wah­rer Mut­ter­lie­be.

Und ich mei­ner­seits lieb­te sie, Paul. Ich wuss­te nicht, wie sehr ich sie lieb­te, bis der grau­sa­me Speer und der ver­gif­te­te Pfeil von Mbon­gas schwar­zem Krie­ger sie von mei­ner Sei­te ge­ris­sen hat. Ich war noch ein Jun­ge, als das ge­sch­ah, und ich warf mich über ihre Lei­che, um mei­nen Schmerz aus­zu­wei­nen, wie ein Kind um sei­ne ei­ge­ne Mut­ter ge­weint ha­ben wür­de. Ih­nen, mein Freund, wäre sie als ein häss­li­ches Ge­schöpf er­schie­nen, aber für mich war sie schön, – so herr­lich ver­klärt die Lie­be den Ge­gen­stand ih­rer Ver­eh­rung. Und so bin ich voll­kom­men zu­frie­den, für im­mer der Sohn von Kala, der Äf­fin, zu blei­ben.

Ich be­wun­de­re Sie we­gen Ih­rer Treue, sag­te d’Ar­not, aber die Zeit wird kom­men, da sie froh sein wer­den, An­spruch auf Ihre ei­ge­ne Ab­stam­mung zu er­he­ben. Den­ken Sie dar­an, was ich Ih­nen sage, und wir wol­len hof­fen, dass es dann noch eben­so leicht sein wird, den Nach­weis zu füh­ren, wie heu­te. Sie dür­fen nicht ver­ges­sen, dass Pro­fes­sor Por­ter und Mr. Phi­l­an­der die ein­zi­gen Men­schen auf der Welt sind, die schwö­ren kön­nen, dass das klei­ne Ske­lett, das in der Hüt­te zu­sam­men mit dem Ihres Va­ters und Ih­rer Mut­ter ge­fun­den wur­de, das ei­nes jun­gen Men­schen­af­fen war und nicht der Spröß­ling von Lord und Lady Grey­sto­ke. Die­ses Zeug­nis ist äu­ßerst wich­tig. Bei­de sind alte Män­ner und le­ben viel­leicht nicht mehr lan­ge. Und dann, ha­ben Sie nicht dar­an ge­dacht, dass Miss Por­ter, wenn sie ein­mal die Wahr­heit er­füh­re, ihre Ver­lo­bung mit Clay­ton auf­he­ben wür­de? Sie könn­ten mit Leich­tig­keit Ihren Ti­tel, Ihre Be­sit­zun­gen und die Frau, die sie lie­ben, er­rin­gen, Tar­zan. Ha­ben Sie nicht dar­an ge­dacht?

Tar­zan schüt­tel­te den Kopf. Sie ken­nen sie nicht, sag­te er. Nichts könn­te sie fes­ter an ihr Ver­spre­chen bin­den, als ein et­wai­ges Miss­ge­schick, das über Clay­ton käme. Sie ist aus ei­ner al­ten ame­ri­ka­ni­schen Fa­mi­lie des Sü­dens, und de­nen aus den Süd­staa­ten geht ihre Treue über al­les!

*

Die zwei fol­gen­den Wo­chen be­nütz­te Tar­zan, um sei­ne frü­he­re kur­ze Be­kannt­schaft mit Pa­ris zu er­neu­ern. Tags­über be­such­te er die Buch­hand­lun­gen und die Bil­der­ga­le­ri­en. Er las al­les, was ihm in die Hän­de kam, und wenn er dar­über nach­dach­te, wie un­ge­heu­er groß das Ge­biet des Wis­sens ist, so er­schrak er, dass sich der ein­zel­ne Mensch doch ei­gent­lich nur einen ver­schwin­dend klei­nen Teil die­ses Wis­sens an­eig­nen kann. Trotz­dem lern­te er tags­über so viel er nur konn­te. Abends aber ging er aus, um sich zu zer­streu­en und sich zu ver­gnü­gen. An Ge­le­gen­heit dazu fehl­te es ja nicht in Pa­ris.

Wenn er zu viel Zi­ga­ret­ten rauch­te und zu viel Ab­sinth trank, so ge­sch­ah es, weil er die Kul­tur nahm, wie er sie fand, und weil er le­dig­lich das­sel­be tun woll­te, wie sei­ne ge­sit­te­ten Brü­der. Das Le­ben war für ihn et­was Neu­es und Ver­lo­cken­des, au­ßer­dem hat­te er eine Sor­ge in der Brust und ein großes Seh­nen, von dem er wuss­te, dass es nie ge­stillt wer­den konn­te. So dach­te er durch Stu­di­um und Zer­streu­ung so­wohl die Ver­gan­gen­heit zu ver­ges­sen, wie die Ge­dan­ken von der Zu­kunft ab­zu­len­ken.

Ei­nes Abends saß er in ei­nem Ka­ba­rett, schlürf­te sei­nen Ab­sinth und be­wun­der­te die Kunst ei­nes be­rühm­ten rus­si­schen Tän­zers, als er be­merk­te, dass zwei böse schwar­ze Au­gen einen flüch­ti­gen Blick auf ihn war­fen. Ehe Tar­zan sich den Mann ge­nau­er an­se­hen konn­te, hat­te die­ser sich um­ge­wandt und war in der Men­ge am Aus­gang des Saa­l­es ver­schwun­den. Tar­zan war aber si­cher, dass er die­se Au­gen schon frü­her ein­mal ge­se­hen hat­te und dass sie nicht durch einen blo­ßen Zu­fall auf ihn ge­rich­tet wa­ren. Schon eine Wei­le vor­her hat­te er das un­be­hag­li­che Ge­fühl ge­habt, dass er be­ob­ach­tet wür­de. Gleich­sam aus sei­nem tie­ri­schen In­stinkt her­aus hat­te er sich plötz­lich um­ge­dreht und die ihn be­ob­ach­ten­den Au­gen in der Tat über­rascht. Er dach­te aber nicht wei­ter dar­über nach, und als er die Mu­sik­hal­le ver­ließ, be­merk­te er nicht, dass ein dun­kel­far­bi­ger Mensch sich im Schat­ten ei­nes ge­gen­über­lie­gen­den Ein­gangs zu ver­ber­gen such­te.

Tar­zan wuss­te nicht, dass ein Un­be­kann­ter ihm in der letz­ten Zeit stän­dig in die Ver­gnü­gungs­lo­ka­le nach­ge­folgt war. Er war nur sel­ten für sich al­lein ge­gan­gen, aber ge­ra­de an die­sem Abend war d’Ar­not durch eine an­de­re Ver­pflich­tung ver­hin­dert, mit ihm aus­zu­ge­hen.

Als Tar­zan den ge­wohn­ten Heim­weg ein­schla­gen woll­te, eil­te der Beo­b­ach­ter aus sei­nem Ver­steck über die Stra­ße und über­hol­te ihn in ra­schem Schritt.

Tar­zan war ge­wöhnt, durch die Mau­le-Stra­ße nach Hau­se zu­rück­zu­keh­ren. Da sie sehr still und dun­kel war, er­in­ner­te sie ihn mehr an sei­nen ge­lieb­ten afri­ka­ni­schen Dschun­gel als die ge­räusch­vol­len und glän­zen­den Stra­ßen der Um­ge­bung. Wer Pa­ris kennt, wird sich des ab­sto­ßen­den Aus­se­hens der en­gen Mau­le-Stra­ße er­in­nern. Wer sie aber noch nicht ge­se­hen hat, braucht nur einen Po­li­zis­ten da­nach zu fra­gen, und die­ser wird ihm schon sa­gen, dass es in ganz Pa­ris kei­ne Stra­ße gibt, die man nach Ein­bruch der Dun­kel­heit so sehr mei­den muss wie ge­ra­de die­se.

In je­ner Nacht war Tar­zan schon ein gu­tes Stück an den schmut­zi­gen al­ten Miet­häu­sern der üb­len Stra­ße ent­lang ge­gan­gen, als er Hil­fe­ru­fe aus dem drit­ten Stock ei­nes ge­gen­über­lie­gen­den Hau­ses hör­te. Es war eine Frau­en­stim­me. Kaum wa­ren die ers­ten Schrit­te ver­hallt, als Tar­zan auch schon die Trep­pe hin­auf­eil­te, um der Frau zu Hil­fe zu kom­men.

Am Ende des Gan­ges des drit­ten Trep­pen­ab­sat­zes war eine Tür leicht an­ge­lehnt, und Tar­zan hör­te aus dem In­nern wie­der den­sel­ben Hil­fe­ruf, der ihn an­ge­lockt hat­te. Im nächs­ten Au­gen­blick stand er in der Mit­te ei­nes trü­be er­leuch­te­ten Zim­mers. Auf ei­nem ho­hen alt­mo­di­schen Ka­min­sims brann­te eine Öl­lam­pe, die ihre mat­ten Strah­len auf ein Dut­zend ab­sto­ßen­der Ge­stal­ten warf. Au­ßer ei­ner etwa drei­ßig­jäh­ri­gen Frau wa­ren es lau­ter Män­ner. Das Ge­sicht der Frau, durch nied­ri­ge Lei­den­schaf­ten und Aus­schwei­fung ge­kenn­zeich­net, moch­te einst hübsch ge­we­sen sein. Sie stand an die hin­ters­te Wand ge­duckt und hielt die eine Hand am Hal­se.

Hel­fen Sie mir, mein Herr! fleh­te sie mit lei­ser Stim­me, als Tar­zan das Zim­mer be­trat. Man will mich um­brin­gen.