Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzan – Band 4 – Tarzans Sohn E-Book

Edgar Rice Burroughs

0,0

Beschreibung

Die Geschichte beginnt 10 Jahre nach dem Abschluss von "Tarzans Bestien". Tarzan, der sich jetzt John nennt, und Jane versuchen, ihren gemeinsamen Sohn Jack nichts von Tarzans Dschungelvergangenheit wissen zu lassen. Es scheint ein glückliches Leben zu werden, bis Jack in einer Tiershow einen Affen sieht, der offenbar eine gemeinsame Geschichte mit seinem Vater hat. Es ist der Affe Akut. Und sein neuer Besitzer ist der ruchlose Pawlowitsch, 10 Jahre galt er als verschollen und jetzt wittert er die Chance, sich an Tarzan zu rächen. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 442

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 4 – Tarzans Sohn

Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 4 – Tarzans Sohn

(The Son of Tarzan)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2021Übersetzung: J. Schulze, Tony Kellen EV: Pegasus Verlag, Wetzlar, 1952 (304 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962818-05-0

null-papier.de/703

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ein Rie­sen­af­fe reist nach Lon­don

Ajax, der dres­sier­te Affe

Paw­lo­wi­tschs Ende

Eine tol­le Fahrt

Die klei­ne brau­ne Me­riem

Ers­te Dschun­gel­ta­ten

Der »elf­te« Löwe

Korak, der »Tö­ter«

Ka­me­ra­den

Man­ga­ni, Ma­nus und die bun­ten Vö­gel

Die­ser da ist euer neu­er Kö­nig

Die Tier­fal­le

Me­riem be­kommt neue Her­ren

»Bwa­na« und sei­ne Farm

Das Heer der Pa­via­ne

Die Jagd

Der »Mann von Welt« in Afri­ka

Tan­tor schrei­tet durch die Wald­nacht

Korak, der Ein­sa­me

Der Ritt ins Un­be­kann­te

Zu spät

Das tote Dorf

Ab­dul Ka­mak, der Sohn der Wüs­te

Tan­tor hält Abrech­nung

Die schau­ri­ge Nacht

Tar­zan ist wie­der da!

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr

Tar­zan bei Null Pa­pier

Tar­zan – Band 1 – Tar­zan und die wei­ße Frau

Tar­zan – Band 2 – Tar­zans Rück­kehr

Tar­zan – Band 3 – Tar­zans Tie­re

Tar­zan – Band 4 – Tar­zans Sohn

Tar­zan – Band 5 – Der Schatz von Opar

Tar­zan – Band 6 – Tar­zans Dschun­gel­ge­schich­ten

Ein Riesenaffe reist nach London

Ein Boot der »Mar­jo­rie W.« trieb zur­zeit der Ebbe den brei­ten Ugam­bi mit der Strö­mung hin­ab; es war der Be­man­nung an­zu­se­hen, dass sie sich freu­te, die har­te Ru­der­ar­beit der Strom­auf­wärts­fahrt hin­ter sich zu ha­ben, und je­der mach­te es sich, so gut es ging, be­quem. Man war ja noch etwa drei Mei­len von der »Mar­jo­rie W.« ent­fernt, die al­ler­dings so­fort in See ge­hen soll­te, so­wie sie das lan­ge Boot samt sei­ner In­sas­sen an Bord hat­te.

Als so je­der sei­nen Ge­dan­ken nach­hing oder sich mit sei­nen Ka­me­ra­den mehr oder we­ni­ger an­ge­regt un­ter­hielt, wur­de plötz­lich die Auf­merk­sam­keit al­ler nach dem Nor­du­fer des Stro­mes ge­lenkt: Dort stand je­mand … War es ein Mensch? Weit aus­ge­streckt die dür­ren, ab­ge­ma­ger­ten Arme … und dazu die bet­teln­den Rufe in höchs­ten Fis­tel­tö­nen!

Was will er ei­gent­lich? stieß ei­ner der Ma­tro­sen her­vor. Es ist ein Wei­ßer! brumm­te der Steu­er­mann vor sich hin. Dann kom­man­dier­te er: Alle Mann an die Ru­der! Wol­len ge­ra­de auf ihn zu hal­ten und se­hen, was mit ihm los ist, füg­te er noch hin­zu.

Beim Nä­her­kom­men er­kann­ten sie in der Ge­stalt deut­lich das kläg­li­che Zerr­bild ei­nes Men­schen. Ein paar arm­se­li­ge wei­ße Lo­cken deck­ten wirr und kraus das Haupt, der nack­te Kör­per schi­en nur Haut und Kno­chen, und um die schma­len Len­den hing lose ein Lei­nen­fet­zen. Trä­nen ran­nen von den ein­ge­fal­le­nen und nar­ben­be­deck­ten Wan­gen, als der Mann die An­kömm­lin­ge mit frem­dem, un­be­kann­tem Ge­stam­mel an­re­de­te.

Das ist viel­leicht ein Rus­se, mein­te der Steu­er­mann. Kannst du Eng­lisch? rief er dem Fremd­ling zu.

Er ver­stand die Fra­ge und ra­de­brech­te nun lang­sam und sto­ckend her­vor, was er woll­te. Es mach­te den Ein­druck, als sei­en Jahr­zehn­te ver­flos­sen, seit er das letz­te Mal eng­lisch ge­spro­chen hat­te, doch ließ sich sei­nen Wor­ten so viel ent­neh­men, dass er un­ter al­len Um­stän­den aus die­sem »Lan­de der Schre­cken« fort­woll­te. Als er an Bord der »Mar­jo­rie W.« war, er­zähl­te er sei­nen Ret­tern sei­ne gan­ze Lei­dens­ge­schich­te, die über­all mit leb­haf­ter An­teil­nah­me auf­ge­nom­men wur­de. Es war eine un­un­ter­bro­che­ne Ket­te von Ent­beh­run­gen, Nö­ten und Qua­len ge­we­sen, die ihn zehn Jah­re lang ge­fes­selt hat­te. Und tat­säch­lich war auch nichts, was beim An­blick die­ses be­dau­erns­wer­ten Men­schen­wracks an die statt­li­che Er­schei­nung des Schur­ken Ale­xei Paw­lo­wi­tsch von einst er­in­nert hät­te.

Zehn Jah­re wa­ren ver­flos­sen, seit der Rus­se dem Schick­sal, das sei­nen Freund, den Bö­se­wicht Ro­koff, er­eilt, ent­gan­gen war. Nicht nur ein­mal, nein, un­zäh­li­ge Male hat­te Paw­lo­wi­tsch in die­sen zehn Jah­ren das Schick­sal ver­wünscht, das Ni­ko­laus Ro­koff den Tod und da­mit die Be­frei­ung von al­len Lei­den ge­währt, wäh­rend es ihm die schreck­lichs­ten Schre­cken ei­nes Le­bens zu­maß, das wahr­lich schlim­mer als der Tod war, den es ihm hart­nä­ckig im­mer und im­mer wie­der ver­sag­te. Paw­lo­wi­tsch hat­te sich in den Dschun­gel da­von­ge­macht, so­wie er Tar­zans Tie­ren mit ih­rem wil­den Herrn und Ge­bie­ter an Bord der »Kin­caid« den letz­ten Streich ge­spielt hat­te. In sei­ner Angst, dass Tar­zan ihn doch noch ver­fol­gen und ge­fan­gen­neh­men könn­te, hat­te er sich in die Tie­fen des Dschun­gels ge­flüch­tet und war so schließ­lich in die Hän­de ei­nes grau­sa­men Kan­ni­ba­len­stam­mes ge­fal­len, der Ro­koffs Schand­ta­ten noch sehr in Erin­ne­rung hat­te. Zehn Jah­re lang hat­te er dann die Ziel­schei­be al­ler Ra­che­ge­lüs­te die­ser Wil­den sein müs­sen, Wei­ber und Kin­der hat­ten ihn ge­schla­gen und mit Stei­nen nach ihm ge­wor­fen, und die Män­ner wa­ren nur zu oft mit Mes­sern und Knüp­peln über ihn her­ge­fal­len. Ein bös­ar­ti­ges Fie­ber nach dem an­de­ren hat­te sich ihn zu sei­nem Op­fer aus­er­ko­ren – und doch starb er nicht, auch als die Blat­tern ihn mit furcht­ba­ren Kral­len um­klam­mer­ten.

Sie hat­ten ihn also mit an Bord der »Mar­jo­rie W.« ge­nom­men und dort für Nah­rung und gute Pfle­ge ge­sorgt. Ge­wiss, er kräf­tig­te sich ein we­nig, aber ihm war fast nichts da­von an­zu­se­hen. Als das Wrack ei­nes Men­schen, zer­schla­gen und halb­zer­bors­ten, hat­ten sie ihn ge­fun­den – und das Wrack ei­nes Men­schen, zer­schla­gen und halb­zer­bors­ten, wür­de er auch blei­ben, bis der Tod ihn ein­mal zu sich rief, Ale­xei Paw­lo­wi­tsch war noch in den vier­zi­ger Jah­ren, und doch hät­te man ihn leicht für einen Acht­zi­ger ge­hal­ten. Die un­er­gründ­li­che Na­tur hat­te dem blo­ßen Hel­fers­hel­fer schwe­re­re Stra­fen auf­er­legt, als der Füh­rer und An­stif­ter auf sich neh­men muss­te.

Kei­ner­lei Ra­che­ge­dan­ken durch­wühl­ten das Hirn die­ses Ale­xei Paw­lo­wi­tsch mehr, aber er groll­te doch dem Man­ne, den er und Ro­koff nicht hat­ten zer­schmet­tern kön­nen. Groll emp­fand er auch, wenn er an Ro­koff dach­te, denn Ro­koff hat­te ihn mit sich in die­ses Schre­ckens­reich hin­ein­ge­ris­sen, des­sen Qua­len er nun bis zur Nei­ge aus­ge­kos­tet hat­te. Er groll­te auch der Po­li­zei ei­ni­ger Städ­te, aus de­nen er hat­te flie­hen müs­sen, er hass­te die Ge­set­ze, die Ord­nung, er hass­te al­les. Den Ma­tro­sen, die ihn vor dem völ­li­gen Un­ter­gang ge­ret­tet hat­ten, trat er kaum nä­her. Zum Ar­bei­ten war er zu schwach, er war auch viel zu gries­grä­mig, um ein gu­ter Ge­sell­schaf­ter zu sein. Man ließ ihn bald al­lein; er moch­te sich mit sich selbst be­schäf­ti­gen.

Die »Mar­jo­rie W.« war sei­ner­zeit von ei­ner Ve­rei­ni­gung wohl­ha­ben­der Fa­bri­kan­ten gechar­tert wor­den; man hat­te auf ihr ein La­bo­ra­to­ri­um ein­ge­rich­tet und ihr einen Stab von Ge­lehr­ten mit­ge­ge­ben, die nach ei­nem Roh­stoff su­chen soll­ten, den die Un­ter­neh­mer der Ex­pe­di­ti­on bis­her un­ter un­ge­heu­rem Kos­ten­auf­wand aus Süd­ame­ri­ka ein­füh­ren muss­ten. Um was für einen Roh­stoff es sich han­del­te, war al­lein den Ge­lehr­ten an Bord der »Mar­jo­rie W.« be­kannt. Für uns hat dies nur in­so­fern Be­deu­tung, als der wei­te­re Ver­lauf der For­schungs­rei­se das Schiff, nach­dem man Paw­lo­wi­tsch an Bord ge­nom­men, nach ei­ner In­sel in der Nähe der afri­ka­ni­schen Küs­te führ­te.

Das Schiff lag ei­ni­ge Wo­chen un­weit des In­selufers vor An­ker. Kein Wun­der, dass das ewi­ge Ei­ner­lei für die Mann­schaft mit der Zeit recht lang­wei­lig wur­de. Man ging also öf­ters an Land, und schließ­lich hat­te auch Paw­lo­wi­tsch das ein­tö­ni­ge Le­ben an Bord gründ­lich satt und frag­te, ob er sich den Ma­tro­sen an­schlie­ßen dür­fe.

Die In­sel war dicht be­wal­det, üp­pi­ges Dschun­gel­ge­strüpp wu­cher­te bis zum Stran­de her­ab. Die Ge­lehr­ten wa­ren weit ins In­ne­re vor­ge­drun­gen und such­ten nach den wert­vol­len Schät­zen der un­be­rühr­ten Na­tur, die – wie die Ein­ge­bo­re­nen des Fest­lan­des ih­nen ver­si­chert hat­ten – dort in er­staun­li­cher Fül­le zu fin­den sein soll­ten. Die Ma­tro­sen fisch­ten, gin­gen auf die Jagd oder streif­ten plan­los in den Wäl­dern her­um, wäh­rend Paw­lo­wi­tsch am Stran­de auf und ab hin­k­te oder im Schat­ten der großen Bäu­me am Wal­dessaum vor sich hin­däm­mer­te.

Ei­nes Ta­ges schlief er wie­der un­ter ei­nem sol­chen Baum­rie­sen. Die Ma­tro­sen stan­den in ei­ni­ger Ent­fer­nung um einen Leo­par­den, dem die Ku­gel ei­nes ih­rer Ka­me­ra­den im In­nern der In­sel den Garaus ge­macht hat­te. Mit ei­nem Male er­wach­te Paw­lo­wi­tsch. Es kam ihm vor, als habe sich eine Hand auf sei­ne Schul­ter ge­legt, er rich­te­te sich ent­setzt auf: Ne­ben ihm hock­te ein rie­si­ger Men­schen­af­fe und starr­te ihm fest in die Au­gen.

Der Rus­se war zu Tode er­schro­cken, sei­ne Bli­cke schweif­ten hin­über zu den Ma­tro­sen …, doch die wa­ren ei­ni­ge hun­dert Me­ter weit weg. Wie­de­r­um zupf­te der Affe an sei­ner Schul­ter und stieß da­bei ein paar kläg­li­che Jam­mer­lau­te her­vor. Paw­lo­wi­tsch er­kann­te, dass in dem for­schen­den, bit­ten­den Blick des Tie­res und in des­sen gan­zer Hal­tung im Au­gen­blick nichts Be­droh­li­ches lag. Als er sich dann lang­sam er­hob, stand der Affe ne­ben ihm auch so­fort auf.

Halb­ge­bückt wank­te Paw­lo­wi­tsch vor­sich­tig da­von; er muss­te ver­su­chen, mit hei­ler Haut zu den Ma­tro­sen hin­über­zu­kom­men. Doch der Affe ging ru­hig mit und fass­te ihn so­gar an sei­nem Arm. So ge­lang­ten sie un­be­merkt ziem­lich nahe an die Ma­tro­sen her­an; Paw­lo­wi­tsch hat­te in­zwi­schen die Über­zeu­gung ge­won­nen, dass das Tier nichts Bö­ses im Schil­de führ­te; es schi­en an mensch­li­che Ge­sell­schaft ge­wöhnt zu sein. So­fort schoss ihm der Ge­dan­ke durch den Kopf, dass die­ser Affe ei­gent­lich einen rie­si­gen Wert hat­te. Und den woll­te er sich zu­nut­ze ma­chen, sich ganz al­lein. Be­vor er noch zu den Ma­tro­sen stieß, war die­se Idee bei ihm ab­ge­mach­te Sa­che.

Die Ma­tro­sen wa­ren aufs höchs­te be­stürzt, als sie mit ei­nem Male das selt­sa­me Paar aus dem Dickicht her­an­hum­peln sa­hen, und so­gleich reck­te sich den An­kömm­lin­gen ein Ge­wehr­lauf ver­der­ben­brin­gend ent­ge­gen. Doch der Affe zeig­te nicht die ge­rings­te Furcht. Er pack­te so­fort einen Ma­tro­sen nach dem an­de­ren an den Schul­tern und mus­ter­te je­den lan­ge mit ei­nem for­schen­den Blick. Dann wand­te er sich wie­der zu Paw­lo­wi­tsch zu­rück. In sei­nen Zü­gen und in sei­ner gan­zen Hal­tung war bit­te­re Ent­täu­schung zu le­sen.

Den Ma­tro­sen mach­te der Affe jetzt Spaß. Sie dräng­ten sich her­an, such­ten den Rus­sen aus­zu­fra­gen und mus­ter­ten sei­nen Beglei­ter von al­len Sei­ten. Der Rus­se sag­te nur so viel, dass der Affe ihm ge­hö­re. Im Üb­ri­gen rück­te er nicht wei­ter her­aus, be­ton­te aber im­mer wie­der: Der Affe ge­hört mir. All­mäh­lich konn­te man die­se al­ber­ne Er­klä­rung Paw­lo­wi­tschs schon gar nicht mehr an­hö­ren. Ei­ner der Ma­tro­sen ver­such­te sich mit ei­ner klei­nen Ne­cke­rei. Er schlich um den Af­fen her­um und stach ihn mit ei­ner Na­del in den Rücken. Doch der Affe stürz­te sich blitz­ar­tig auf sei­nen Pei­ni­ger. In dem Au­gen­blick, in dem er sich um­dreh­te, hat­te sich das erst so harm­lo­se fried­li­che Tier in eine wut­schnau­ben­de Bes­tie ver­wan­delt. Das brei­te La­chen, das um die Lip­pen des Ma­tro­sen spiel­te, als er sich den küh­nen Scherz er­laub­te, wich au­gen­blick­lich wil­dem Ent­set­zen. Er such­te den lan­gen Ar­men, die sich nach ihm aus­streck­ten, durch einen ra­schen Sei­ten­sprung zu ent­ge­hen, doch ver­geb­lich. Und als er sein lan­ges Mes­ser aus dem Leib­gurt zog, schlug der Affe es ihm mit ei­nem Ruck aus der Faust zu Bo­den. Dann gru­ben sich die gel­ben Fang­zäh­ne des Un­ge­heu­ers in die Schul­tern des Ma­tro­sen …

Mit Knüt­teln und Mes­sern fie­len die an­de­ren Ma­tro­sen über das Tier her, wäh­rend Paw­lo­wi­tsch um den flu­chen­den und brül­len­den Knäu­el der Kämp­fen­den her­um­schlich und sei­ner Wut mit mehr oder we­ni­ger lau­ten Bit­ten und Dro­hun­gen Luft mach­te; denn all sei­ne schö­nen Träu­me von Wohl­stand und Reich­tum sah er schon un­ter den Dol­chen und Knüt­teln der Ma­tro­sen ins Nichts zer­flie­ßen …

Al­lein der Affe war nicht ge­willt, sich ohne wei­te­res der Über­macht zu fü­gen, wenn es auch schi­en, als müs­se er un­ter­lie­gen. Er riss sich jetzt von dem Ma­tro­sen los, der den Frie­den ge­bro­chen hat­te, zwei an­de­re, die sich an sei­nen Rücken fest­ge­klam­mert hat­ten, schüt­tel­te er ein­fach ab und stürz­te dann auf die An­grei­fer, dass ei­ner nach dem an­de­ren zu Bo­den flog. Bald sprang er hier­hin, bald dort­hin …, er war be­händ wie ein Meer­kätz­chen.

Der Ka­pi­tän und der Steu­er­mann wa­ren vom Stran­de aus Zeu­gen die­ses Kamp­fes ge­we­sen und ka­men jetzt mit schuss­be­rei­ten Re­vol­vern her­an­ge­eilt. Zwei Ma­tro­sen, die das Boot der »Mar­jo­rie W.« her­über­ge­ru­dert hat­ten, folg­ten ih­nen auf dem Fuße.

Der Affe stand jetzt ru­hig da und schi­en zu be­trach­ten, was er an­ge­rich­tet hat­te. Paw­lo­wi­tsch ver­moch­te in­des­sen nicht zu er­ra­ten, was er nun tun wür­de. Ob der Affe einen neu­en An­griff er­war­te­te oder ob er über­leg­te, wel­chen sei­ner Geg­ner er zu­erst ins Jen­seits be­för­dern soll­te? Er wuss­te nur so viel, dass die bei­den Of­fi­zie­re mit dem Tier kur­z­en Pro­zess ma­chen wür­den, so­wie sie auf Schuss­wei­te her­an­wa­ren. Ir­gen­det­was muss­te also ge­tan wer­den, und zwar schnell, wenn er das ver­hin­dern woll­te. Kei­ne Be­we­gung des Af­fen deu­te­te dar­auf hin, dass er auch den Rus­sen an­grei­fen wür­de; im­mer­hin war Paw­lo­wi­tsch nicht si­cher, was pas­sier­te, so­wie er sich mit die­sem wil­den Tie­re wei­ter ein­lie­ße. Ob nicht trotz­dem die Bes­tie sich zu wü­ten­dem An­griff auch ge­gen ihn er­hö­be, nach­dem ihr eben erst fri­sches Blut in die Nase ge­stie­gen war? Er zö­ger­te einen Au­gen­blick, doch dann schweb­ten vor sei­nen Au­gen wie­der die Traum­bil­der von Reich­tum und Über­fluss, die die­ser große Men­schen­af­fe zwei­fel­los zur Wirk­lich­keit ma­chen konn­te, wenn Paw­lo­wi­tsch erst ein­mal wohl­be­hal­ten mit ihm in ir­gend­ei­ner Me­tro­po­le der zi­vi­li­sier­ten Welt – viel­leicht in Lon­don? – ge­lan­det wäre.

Der Ka­pi­tän rief Paw­lo­wi­tsch laut ent­ge­gen, er sol­le bei­sei­te­tre­ten, da­mit er den Af­fen nie­der­schie­ßen kön­ne. Statt des­sen dräng­te sich Paw­lo­wi­tsch nä­her an das Tier her­an und wie­wohl ihm vor Angst die Haa­re zu Ber­ge stan­den, be­zwang er sich und stütz­te sich auf des Af­fen Arm.

Komm mit, ge­bot er dem Af­fen und such­te ihn mit An­span­nung al­ler Kräf­te aus dem Krei­se der Ma­tro­sen weg­zu­zer­ren, die mit schre­ckens­wei­ten Au­gen da­sa­ßen oder auf Hän­den und Kni­en aus dem Be­reich ih­res Be­zwin­gers da­von­kro­chen.

Lang­sam ließ sich der Affe bei­sei­te füh­ren, und es war nicht das ge­rings­te An­zei­chen da­für zu ent­de­cken, dass er dem Rus­sen ein Leid an­tun wür­de. Der Ka­pi­tän war in­zwi­schen bis auf ein paar Schrit­te an das selt­sa­me Paar her­an­ge­kom­men und blieb ste­hen.

Tritt bei­sei­te, Sa­b­rov! be­fahl er. Ich will die Bes­tie dort­hin be­för­dern, wo sie ei­nem bra­ven See­mann nichts mehr an­ha­ben kann.

Das Tier war nicht schuld an der gan­zen Sa­che, warf Paw­lo­wi­tsch ein. Schie­ßen Sie bit­te nicht! Die Leu­te reiz­ten das Tier – sie ha­ben den Kampf vom Zau­ne ge­bro­chen. Se­hen Sie nur, der Affe ist völ­lig zahm, und – er ist mein, er ge­hört mir, ja, mir ge­hört die­ser Affe! Ich dul­de nicht, dass Sie ihn tö­ten, schloss er, und in sei­nem an­ge­krän­kel­ten Hirn tauch­te wie­der die küh­ne Idee von vor­hin auf. Er be­rausch­te sich förm­lich an dem Ge­dan­ken, dass der Affe ihm in Lon­don Geld ein­brin­gen wür­de, viel Geld, so viel, wie er nie zu be­sit­zen ge­hofft hät­te, wäre ihm nicht die­ser wert­vol­le Affe vom Glück in den Weg ge­schickt wor­den.

Der Ka­pi­tän ließ sei­ne Waf­fe sin­ken. Die Ma­tro­sen ha­ben das Tier ge­reizt? Stimmt das? forsch­te er. Wie steht es da­mit? wand­te er sich an die Ma­tro­sen, die sich in­zwi­schen vom Bo­den er­ho­ben. Sie hat­ten alle Lehr­geld zah­len müs­sen, aber am schlimms­ten war der dar­an, der den Zu­sam­men­stoß auf dem Ge­wis­sen hat­te, und dem nun sei­ne wun­de Schul­ter eine Wo­che oder län­ger zu schaf­fen ma­chen wür­de.

Simp­son war’s, sag­te ei­ner der Ma­tro­sen. Er stach den Af­fen mit ei­ner Na­del in den Rücken, und der Affe pack­te ihn. Das ge­sch­ah ihm ganz recht; und dass der Affe uns auch ge­hö­rig an­fass­te, kann ich ihm nicht ver­den­ken, denn wir sind dann alle zu­sam­men auf ihn los­ge­stürzt.

Der Ka­pi­tän sah Simp­son an, der die Wahr­heit der Aus­sa­ge be­stä­ti­gen muss­te. Dann trat der Ka­pi­tän auf den Af­fen zu; er tat so, als wol­le er sich nun auch selbst ein Bild da­von ma­chen, ob der Affe tat­säch­lich gar nicht bös­ar­tig sei. Da­bei hielt er den Re­vol­ver schuss­be­reit, um im Not­fall das Tier je­den Au­gen­blick nie­der­stre­cken zu kön­nen. In be­gü­ti­gen­dem Tone sprach er auf den Af­fen ein, der jetzt ne­ben dem Rus­sen hock­te und zu­erst die bei­den neu­en Ma­tro­sen be­trach­te­te. Als der Ka­pi­tän im­mer nä­her kam, er­hob er sich halb und hum­pel­te ihm ent­ge­gen. In sei­nen Au­gen lag der­sel­be ei­gen­ar­ti­ge for­schen­de Aus­druck von vor­hin, als er auf die Ma­tro­sen stieß und ih­nen nach­ein­an­der prü­fend in die Au­gen schau­te. Ganz nahe trat er an den Of­fi­zier her­an, leg­te eine Hand auf des­sen lin­ke Schul­ter und starr­te ihm lan­ge mit su­chen­dem Blick in die Au­gen. Und wie­der husch­te ein Aus­druck von Ent­täu­schung über sein Ge­sicht, und so et­was wie ein mensch­li­cher Seuf­zer ent­rang sich sei­ner Brust. Dann wand­te er sich von dem Ka­pi­tän ab und forsch­te in der­sel­ben selt­sa­men Art in den Ge­sich­tern des Steu­er­manns und der bei­den Ma­tro­sen, die mit den Of­fi­zie­ren nach­ge­kom­men wa­ren. Je­des Mal trot­te­te er seuf­zend wei­ter und schließ­lich wie­der zu Paw­lo­wi­tsch, ne­ben dem er sich aber­mals nie­der­ließ. Er zeig­te dar­auf nicht das ge­rings­te In­ter­es­se mehr an sei­ner Um­ge­bung, ja, es schi­en, als habe er den Kampf von vor­hin be­reits ver­ges­sen.

Als man an Bord der »Mar­jo­rie W.« zu­rück­kehr­te, nahm Paw­lo­wi­tsch den Af­fen mit; es schi­en auch, als sei das Tier ge­ra­de­zu dar­auf er­picht, mit­zu­kom­men. Der Ka­pi­tän leg­te kei­ne Schwie­rig­kei­ten in den Weg; der große Men­schen­af­fe wur­de still­schwei­gend als Pas­sa­gier ge­dul­det. An Bord prüf­te er mi­nu­ten­lang je­des Ge­sicht, und je­des Mal lag wie­der die­sel­be Ent­täu­schung in sei­nen Zü­gen. Die Of­fi­zie­re und See­leu­te an Bord un­ter­hiel­ten sich über das Tier, konn­ten aber kei­ne Er­klä­rung für das selt­sa­me Ge­ba­ren fin­den, mit dem der Affe je­des neue Ge­sicht emp­fing. Hät­te man ihn auf dem afri­ka­ni­schen Fest­land oder auch ir­gend­wo an­ders ein­ge­fan­gen, je­den­falls aber nicht ge­ra­de auf die­ser un­be­kann­ten In­sel, die sei­ne Hei­mat sein muss­te, dann wür­de man der Über­zeu­gung ge­we­sen sein, dass Men­schen ihn frü­her ein­mal ge­zähmt hat­ten. Die­se Auf­fas­sung war aber hier un­halt­bar, weil er doch von die­ser völ­lig un­be­wohn­ten In­sel stamm­te.

Er schi­en üb­ri­gens be­stän­dig je­man­den zu su­chen, und wäh­rend der ers­ten Tage nach Ab­fahrt von der In­sel fand man ihn oft, wie er in den ver­schie­dens­ten Tei­len des Schif­fes her­um­stö­ber­te. Nach­dem er aber je­des neue Ge­sicht an Bord ge­mus­tert und al­les bis in die ent­le­gens­ten Ecken des Schif­fes aus­ge­kund­schaf­tet hat­te, ver­fiel er in na­he­zu völ­li­ge Teil­nahms­lo­sig­keit. Sei­ne gan­ze Um­ge­bung küm­mer­te ihn nicht mehr; nur für den Rus­sen be­hielt er ei­ni­ges In­ter­es­se, so oft er ihm sein Fut­ter brach­te. Sonst schi­en er den Rus­sen auch nur zu dul­den, denn er leg­te ihm ge­gen­über kei­ner­lei be­son­de­re Zu­nei­gung an den Tag. Im Üb­ri­gen deu­te­te nichts dar­auf hin, dass sei­ne wil­den In­stink­te, die sich da­mals bei dem Zu­sam­men­stoß mit den Ma­tro­sen in sei­nem Zorn so schreck­lich ent­la­den hat­ten, ei­nes schö­nen Ta­ges wie­der er­wa­chen wür­den.

Und so kam die »Mar­jo­rie W.« schließ­lich nach Eng­land. Die Of­fi­zie­re und Ge­lehr­ten hat­ten Mit­leid mit dem ar­men halb­ge­bro­che­nen Rus­sen, den sie in der Wild­nis auf­ge­le­sen, und entlie­ßen ihn mit ei­ni­gem Geld und den bes­ten Wün­schen für sei­ne und des Af­fen Zu­kunft.

Im Ha­fen und auf der Fahrt nach Lon­don hat­te der Rus­se mit Ajax sei­ne lie­be Not. Bei­na­he je­den der Tau­sen­de, die un­ter­wegs in sei­ne Reich­wei­te ka­men, such­te der Men­schen­af­fe ein­ge­hend zu mus­tern, wo­bei na­tür­lich nicht we­ni­ge sei­ner »Op­fer« zu Tode er­schro­cken wa­ren. Als er dann of­fen­bar merk­te, dass der, den er such­te, nicht zu fin­den war, ver­fiel er wie­der in eine ge­ra­de­zu krank­haf­te Teil­nahms­lo­sig­keit, aus der er sich nur ganz sel­ten auf­raff­te, wenn je­mand an ihm vor­bei­kam.

In Lon­don ging Paw­lo­wi­tsch mit sei­ner »Beu­te« so­fort zu ei­nem be­kann­ten Tier­bän­di­ger. Der Mann war so­gleich für Ajax be­geis­tert, zu­mal die Ver­hand­lun­gen dazu führ­ten, dass er den Lö­wen­an­teil an dem zu er­war­ten­den Ge­winn der Schau­stel­lung zu­ge­si­chert er­hielt. Zu­nächst woll­te er den Af­fen dres­sie­ren und wäh­rend der hier­für nö­ti­gen Zeit auch für den Un­ter­halt des Tie­res und sei­nes Be­sit­zers sor­gen.

So kam Ajax nach Lon­don, und da­mit hat­te sich das Glied ei­ner Ket­te ei­gen­ar­ti­ger Zu­fäl­le ge­schlos­sen, die für das Le­ben vie­ler Men­schen von ein­schnei­den­der Be­deu­tung sein soll­ten.

Ajax, der dressierte Affe

Mis­ter Ha­rold Moo­re war ein ge­bil­de­ter jun­ger Herr, sehr flei­ßig, aber auch schon ein we­nig gries­grä­mig, er nahm sich selbst sehr ernst, nicht min­der sein gan­zes Le­ben und sei­nen Be­ruf. Er war als Haus­leh­rer zur Er­zie­hung des jun­gen Soh­nes ei­nes bri­ti­schen Lords en­ga­giert wor­den, und da er bald zu der Über­zeu­gung ge­kom­men war, dass sein Zög­ling nicht die Fort­schrit­te mach­te, die des­sen El­tern mit Recht er­war­ten muss­ten, trug er ei­nes Ta­ges der Mut­ter des Jun­gen ge­wis­sen­haft sei­ne Be­den­ken vor.

Ich kann nicht be­haup­ten, dass der Jun­ge nicht ge­weckt und klug ist, mein­te Mr. Moo­re. Wäre dies der Fall, könn­te ich be­stimmt auf Er­fol­ge hof­fen, denn ich wür­de alle mei­ne Kräf­te da­für ein­set­zen, um die­se Schwä­chen aus­zu­glei­chen oder ganz zu be­he­ben. Die Haupt­schwie­rig­keit liegt viel­mehr dar­in, dass der Jun­ge über­mä­ßig ge­weckt und be­gabt ist. Er lernt so rasch, dass ich nicht das ge­rings­te an dem aus­zu­set­zen habe, was er für die Stun­den vor­be­rei­tet. Es be­küm­mert mich je­doch, dass er of­fen­bar nicht ein Fünk­chen in­ne­rer An­teil­nah­me für das auf­bringt, was wir je­weils zu­sam­men durch­ar­bei­ten. Er sitzt ge­wis­ser­ma­ßen nur jede Stun­de ab wie et­was, was man sich mög­lichst schnell vom Hal­se schaf­fen will, und ich bin si­cher, dass kein Un­ter­richts­the­ma ihm eine Mi­nu­te eher wie­der durch den Kopf geht, als bis die Stun­den un­se­res ge­mein­sa­men Stu­di­ums und Vor­trags wie­der her­an­ge­kom­men sind. Das ein­zi­ge, was ihn wirk­lich in­ter­es­siert, schei­nen Stof­fe zu sein, die von Hel­den­ta­ten und Be­wei­sen kör­per­li­cher Tüch­tig­keit be­rich­ten. Er liest al­les, was er an Bü­chern über wil­de Tie­re so­wie über Le­ben und Ge­bräu­che un­zi­vi­li­sier­ter Völ­ker in die Hän­de be­kom­men kann. Den Tier­ge­schich­ten gibt er da­bei den Vor­rang. Er will, dass wir stun­den­lang zu­sam­men in den Wer­ken ei­ni­ger Afri­ka­for­scher her­um­stö­bern, und über­dies habe ich ihn zwei­mal da­bei er­tappt, wie er nachts im Bet­te sit­zend Carl Ha­gen­becks Buch »Von Tie­ren und Men­schen« las. Die Mut­ter setz­te ih­ren Fuß ner­vös auf den Ka­min­tep­pich.

Sie ha­ben ihm das na­tür­lich ver­bo­ten? un­ter­brach sie ihn.

Mr. Moo­re wur­de et­was ver­le­gen.

Ich – – ja – – ich ver­such­te ihm das Buch weg­zu­neh­men, er­wi­der­te er – und eine leich­te Röte ver­färb­te sein sonst blei­ches Ge­sicht. Aber … nun … Ihr Sohn ist doch schon recht kräf­tig für sein Al­ter …

Er woll­te sich das Buch nicht weg­neh­men las­sen? forsch­te die Mut­ter wei­ter.

Ja, er woll­te es nicht, ge­stand der Haus­leh­rer. Er war erst im Grun­de durch­aus gut­mü­tig, er­klär­te je­doch hart­nä­ckig, dass er ein Go­ril­la sei und ich ein Schim­pan­se, der ihm sei­ne Nah­rung rau­ben wol­le. Dann sprang er mit wil­dem Knur­ren, wie ich es noch nie ge­hört, auf mich zu, hob mich bis über sei­nen Kopf hoch und schleu­der­te mich auf sein Bett. Mit al­ler­hand Gri­mas­sen und Be­we­gun­gen woll­te er dann wohl aus­drücken, dass er mich ei­gent­lich zu Tode wür­gen müss­te. Schließ­lich stell­te er sich auf mei­nen aus­ge­streckt da­lie­gen­den Kör­per und stieß einen furcht­ba­ren Schrei aus. Das soll­te, wie er er­klär­te, der Sie­ges­ruf der Men­schen­af­fen sein. Da­rauf trug er mich an die Tür, schob mich hin­aus in den Vor­raum und sperr­te sein Zim­mer von in­nen zu …

Ei­ni­ge Mi­nu­ten wa­ren bei­de sprach­los. Die Mut­ter des Jun­gen brach schließ­lich das Schwei­gen.

Es ist hoch­nö­tig, Mr. Moo­re, sag­te sie, dass Sie al­les, was in Ih­rer Macht steht, dar­an­set­zen, Jack aus die­ser Bahn her­aus­zu­brin­gen; er …

Sie kam nicht wei­ter. Lau­tes Ge­schrei drang zum Fens­ter her­ein. Sie spran­gen bei­de auf. Das Zim­mer lag im zwei­ten Stock des Hau­ses, und dem Fens­ter ge­gen­über stand ein großer Baum, der einen Ast bis auf etwa einen Me­ter an den Fens­ter­sims her­an­streck­te. Eben auf die­sem Ast ent­deck­ten bei­de jetzt den Ge­gen­stand ih­rer erns­ten Un­ter­hal­tung. Der große, kräf­tig ge­bau­te Jun­ge hielt sich auf dem schwan­ken­den, ge­krümm­ten Ast mit Leich­tig­keit im Gleich­ge­wicht und brach, als er die ent­setz­ten Ge­sich­ter der bei­den ge­wahr­te, in lau­te Freu­den­ru­fe aus.

Die Mut­ter und der Haus­leh­rer stürz­ten bei­de nach dem Fens­ter zu, doch noch ehe sie halb dort wa­ren, war der Jun­ge be­händ auf den Sims her­über­ge­sprun­gen und im Zim­mer.

Der wil­de Mann aus Bor­neo, träl­ler­te er vor sich hin und führ­te da­bei eine Art Kriegs­tanz um sei­ne ent­setz­te Mut­ter und den sicht­lich ver­stimm­ten Haus­leh­rer auf. Dann schlang er sei­ne Arme um den Hals sei­ner Mut­ter und küss­te sie auf die Wan­gen.

O Mut­ter, rief er, in ei­ner Mu­sik­hal­le wird ein wun­der­vol­ler dres­sier­ter Affe vor­ge­führt. Wil­ly Grims­bay sah ihn ges­tern Abend. Er sag­te, das Tier kön­ne ein­fach al­les, nur nicht rich­tig spre­chen. Der Affe fährt Rad, isst mit Mes­ser und Ga­bel, zählt bis zehn und kann noch vie­le an­de­re schö­ne Kunst­stück­chen. Darf ich auch hin und ihn an­se­hen? O bit­te, Mut­ter – lass mich hin! Die Mut­ter strich ih­rem Jun­gen freund­lich über die Wan­gen, schüt­tel­te je­doch ab­leh­nend den Kopf. Nein, Jack, ent­geg­ne­te sie be­stimmt. Du weißt, ich bin nicht für sol­che Sa­chen.

Mut­ter, ich sehe aber nicht ein, warum, un­ter­brach sie der Jun­ge. Alle mei­ne Al­ters­ge­nos­sen ge­hen hin, sie ge­hen auch nach dem Zoo …, und du lässt mich nie mit. Je­der meint, ich bin ein Mä­del oder … oder … ein Mut­ter­söhn­chen. Va­ter, du …, rief er dem statt­li­chen Herrn mit den grau­en Au­gen ent­ge­gen, der eben zur Tür her­ein­trat. Va­ter, darf ich hin­ge­hen?

Wo­hin denn, mein Jun­ge? frag­te die­ser.

Er will durch­aus in eine Mu­sik­hal­le und sich dort einen dres­sier­ten Af­fen an­se­hen, warf die Mut­ter des Jun­gen ein und gab da­bei ih­rem Gat­ten mit ei­nem Blick zu ver­ste­hen, dass die Er­laub­nis ver­sagt wer­den soll­te.

Was für ein Affe? Ajax etwa? forsch­te der Herr wei­ter. Jack nick­te.

Gut, ich habe nichts dar­an aus­zu­set­zen, mein Sohn; habe nicht übel Lust, mir die Sa­che selbst an­zu­se­hen. Man sagt all­ge­mein, der Affe sei ein Pracht­ex­em­plar und für einen Men­schen­af­fen au­ßer­ge­wöhn­lich groß. Wir wol­len alle zu­sam­men ge­hen. Meinst du nicht auch, Jane?

Er rich­te­te die­se Fra­ge an sei­ne Frau, die aber den Kopf schüt­tel­te. Sie lehn­te also glatt ab. Da­rauf frag­te er Mr. Moo­re, ob er und Jack jetzt nicht bei den Vor­mit­tags­stu­di­en zu sein hät­ten. Die bei­den gin­gen. Die Lady wand­te sich so­fort an ih­ren Gat­ten.

John, be­gann sie, es muss et­was ge­tan wer­den, um Jacks Nei­gung für al­les, was mit der Wild­nis zu­sam­men­hängt, ein­zu­däm­men. Ich fürch­te üb­ri­gens, er hat das von dir ge­erbt. Du weißt ja aus ei­ge­ner Er­fah­rung, wie stark sich bis­wei­len die Sehn­sucht nach der Ur­ge­walt des Dschun­gel­le­bens bei dir gel­tend macht. Du weißt, wie es dich oft einen har­ten Kampf kos­tet, dem fast wahn­sin­nig hef­ti­gen Ver­lan­gen zu wi­der­ste­hen, wenn es dich pei­nigt, und du dich wie­der in das Land der Ge­fah­ren stür­zen möch­test, das dich so vie­le, vie­le Jah­re an sich ket­te­te. Und du weißt auch – bes­ser als ir­gend­je­mand an­de­res – wie furcht­bar es für Jack wäre, soll­te ihn ei­nes Ta­ges der Dschun­gel ernst­lich lo­cken, oder ihm der Weg da­hin gar ir­gend­wie ge­eb­net wer­den.

Ich be­zweifle, ob über­haupt zu be­fürch­ten ist, dass der Jun­ge eine be­son­de­re Sehn­sucht nach dem Dschun­gel­le­ben von mir ge­erbt ha­ben könn­te, er­wi­der­te Lord Grey­sto­ke. Ich kann mir gar nicht vor­stel­len, dass der­lei Be­son­der­hei­ten vom Va­ter auf den Sohn über­ge­hen. Bis­wei­len will es mir aber schei­nen, lie­be Jane, dass du in dei­ner Sor­ge um Jacks Zu­kunft et­was zu weit gehst, wenn du ihn von dem und je­nem fern hältst. Sei­ne Lie­be zu Tie­ren – zum Bei­spiel der jet­zi­ge Wunsch, die­sen dres­sier­ten Af­fen zu se­hen – ist bei ei­nem ge­sun­den, nor­ma­len Jun­gen sei­nes Al­ters et­was ganz Na­tür­li­ches. Wenn er Ajax se­hen will, so sagt das doch noch lan­ge nicht, dass er einen Af­fen hei­ra­ten will, und, selbst wenn er das woll­te, lie­be Jane, wür­dest du nicht das recht ha­ben, ihm zu sa­gen: Schä­me dich doch!

John Clay­ton, der Lord Grey­sto­ke, schlang einen Arm um sei­ne Gat­tin. Sie blick­te zu ihm auf; ein gü­ti­ges Lä­cheln brei­te­te sich über sein Ge­sicht, er neig­te sein Haupt zu ihr nie­der und küss­te sie.

Dann fuhr er mit erns­te­rer Be­to­nung fort: Du hast Jack nie et­was von mei­nem frü­he­ren Le­ben er­zählt und hast es auch mir nicht ge­stat­tet. Ich glau­be, du hast da­mit einen Feh­ler ge­macht. Hät­te ich ihm von den Er­fah­run­gen des Af­fen-Tar­zan be­rich­ten kön­nen, ich wür­de ihm zwei­fel­los viel von der zau­ber­haf­ten Ro­man­tik ge­nom­men ha­ben, in der das Dschun­gel­le­ben sich in den Köp­fen de­rer malt, die nicht sel­ber al­les durch­ge­macht ha­ben. Mei­ne Er­fah­rung wür­de ihm zu­gu­te ge­kom­men sein, aber so? Wenn ihn jetzt ei­nes schö­nen Ta­ges der Dschun­gel ge­ra­de­zu un­wi­der­steh­lich lo­cken soll­te, wird er sich nur von sei­nen Im­pul­sen lei­ten las­sen, und ich weiß, wie mäch­tig die uns zu­zei­ten ge­ra­de in die falsche Bahn ab­drän­gen kön­nen. Al­lein Lady Grey­sto­ke schüt­tel­te nur wie­der den Kopf, wie sie es hun­dert und mehr Male ge­tan, so oft man auf die Ver­gan­gen­heit zu spre­chen ge­kom­men war.

Nein, John! Sie blieb bei ih­rer An­sicht. Ich wer­de nie­mals mei­ne Zu­stim­mung dazu ge­ben, dass Jack ge­naue­ren Ein­blick in das Le­ben der Wild­nis er­hält, vor dem wir ihn bei­de be­wah­ren wol­len. Ich möch­te nicht, dass ihm dies ge­wis­ser­ma­ßen ein­ge­impft wird. –

Am Abend tauch­te das The­ma von Neu­em auf, und zwar wur­de es von Jack selbst an­ge­schnit­ten. Er hat­te sich be­quem in ei­nem großen Lehn­stuhl ein­ge­hu­schelt und las. Plötz­lich blick­te er auf und wand­te sich an sei­nen Va­ter.

Wes­halb, frag­te er und ging da­mit ge­ra­de auf das Ziel los, darf ich mir Ajax nicht an­se­hen?

Dei­ne Mut­ter bil­ligt das nicht, er­wi­der­te der Va­ter. Und du?

Da­rum han­delt es sich jetzt nicht, wich Lord Grey­sto­ke ge­schickt aus. Es ge­nügt, dass dei­ne Mut­ter da­ge­gen ist. Ich wer­de doch hin­ge­hen, kün­dig­te Jack an, nach­dem er ein paar Se­kun­den schwei­gend und in Ge­dan­ken ver­sun­ken ge­war­tet hat­te. Ich bin nichts an­de­res als Wil­ly Grims­by oder ir­gend­ei­ner mei­ner Ka­me­ra­den, die Ajax ge­se­hen ha­ben. Das hat ih­nen nichts ge­scha­det – und mir wird es auch nichts scha­den. Ich hät­te ja auch ge­hen kön­nen, ohne dir et­was da­von zu sa­gen, doch das woll­te ich nicht. Ich sage es dir also jetzt vor­her, dass ich mir den Ajax an­se­hen wer­de.

Im Ton und in der gan­zen Art, wie Jack sei­nen Ent­schluss vor­brach­te, lag nichts Unehr­er­bie­ti­ges oder Her­aus­for­dern­des. Lei­den­schafts­los klang al­les, wie eine rein sach­li­che Fest­stel­lung. Sein Va­ter ver­moch­te kaum ein leich­tes Lä­cheln und eine ge­wis­se Hochach­tung vor der mann­haf­ten Art sei­nes Soh­nes zu un­ter­drücken.

Ich freue mich über dei­ne Auf­rich­tig­keit, sag­te er. Ich wer­de nun eben­so of­fen sein. Wenn du ohne un­se­re Zu­stim­mung fort­gehst und dir den Ajax an­siehst, wer­de ich dich be­stra­fen. Ich habe dich nie schla­gen müs­sen, aber ich war­ne dich. Wenn du dich den Wün­schen dei­ner Mut­ter nicht fügst, wer­de ich es tun.

Gut, Va­ter! Ich wer­de es dir sa­gen, wenn ich Ajax ge­se­hen habe. –

Mr. Moo­res Zim­mer lag ne­ben dem sei­nes jun­gen Zög­lings, und der Leh­rer war ge­wöhnt, all­abend­lich noch ein­mal einen Blick in das Zim­mer des Jun­gen zu wer­fen, ehe er sich zu­rück­zog. Heu­te Abend nahm er es mit die­ser sei­ner Auf­ga­be be­son­ders ge­nau. Er war ge­ra­de von ei­ner Be­spre­chung mit den El­tern Jacks zu­rück, in der man ihm die größ­te Acht­sam­keit drin­gend ans Herz ge­legt hat­te; er soll­te auf alle Fäl­le ver­hin­dern, dass Jack die Mu­sik­hal­le be­such­te, in der man Ajax vor­führ­te. Als er so ge­gen halb neun Uhr abends die Tür zu Jacks Zim­mer öff­ne­te, war er zwar nicht ge­ra­de völ­lig über­rascht, aber doch so­fort aufs höchs­te auf­ge­bracht. Er fand den künf­ti­gen Lord Grey­sto­ke fix und fer­tig zum Aus­ge­hen an­ge­klei­det und muss­te se­hen, wie er ge­ra­de da­bei war, zum of­fe­nen Schlaf­zim­mer­fens­ter hin­aus­zu­klet­tern.

Mr. Moo­re sprang rasch hin­zu, doch hät­te er sich die­se un­nüt­ze Kraft­ver­geu­dung schen­ken kön­nen. Als Jack hör­te, dass der Leh­rer ins Zim­mer trat und ihn er­tappt hat­te, kehr­te er um. Es schi­en, als ob er das ge­plan­te Aben­teu­er auf­ge­ben woll­te. Wo­hin woll­test du eben? forsch­te Mr. Moo­re, au­ßer sich vor Auf­re­gung.

Ich will mir den Ajax an­se­hen, er­wi­der­te der Kna­be ru­hig, als ob nichts vor­ge­fal­len wäre.

Ich fin­de kei­ne Wor­te, schrie Mr. Moo­re. Doch im nächs­ten Au­gen­blick soll­te er sich noch ganz an­ders wun­dern: Der Jun­ge trat dicht an ihn her­an, pack­te ihn an den Hüf­ten, hob ihn hoch und schleu­der­te ihn mit dem Ge­sicht nach un­ten auf das Bett nie­der. Dann press­te er das Ge­sicht sei­nes Op­fers tief in das wei­che Kis­sen.

Ru­hig! ge­bot der Sie­ger mit war­nen­der Stim­me. Oder ich wer­de Sie ein­fach er­wür­gen.

Mr. Moo­re wehr­te sich mit Hän­den und Fü­ßen, doch ver­geb­lich. Moch­te der Sohn des Af­fen-Tar­zan nun nach sei­nem Va­ter ge­ra­ten sein oder nicht, auf je­den Fall hat­te er aber von ihm eine ge­ra­de­zu un­glaub­li­che Kör­per­kraft er­erbt. Der Leh­rer war in der Hand des Jun­gen gleich­sam Teig, den er kne­ten konn­te, wie er woll­te. Jack knie­te jetzt auf ihm, riss schma­le Strei­fen aus dem Lei­nen­tuch des Bet­tes und band da­mit sei­nem Op­fer die Hän­de auf dem Rücken zu­sam­men. Dann wälz­te er ihn her­um und stopf­te ihm einen Lei­nen­kne­bel zwi­schen die Zäh­ne, den er auch noch durch einen Strei­fen um den Mund und Hin­ter­kopf si­cher­te. Da­bei sprach er mit lei­ser Stim­me, wie wenn er eine harm­lo­se Ge­schich­te zu er­zäh­len hät­te, vor sich hin.

Ich bin Waja, der Häupt­ling der Waji, er­klär­te er, und du bist Mo­ham­med Dubn, der Ara­ber­scheich, der mei­ne Leu­te mor­den und mein El­fen­bein rau­ben woll­te.

Er hob be­hän­de Mr. Moo­res ge­fes­sel­te Füße hoch zu­rück, um sie mit den ge­fes­sel­ten Hand­ge­len­ken zu ver­bin­den.

So Schur­ke! Jetzt habe ich dich end­lich doch in mei­ner Ge­walt. Ich gehe; aber ich wer­de zu­rück­kom­men.

Und Tar­zans Sohn sprang durch das Zim­mer, schlüpf­te zum Fens­ter hin­aus und glitt an den Dach­rin­nen in die Frei­heit hin­ab.

Mr. Moo­re be­weg­te sich un­ter großen An­stren­gun­gen auf dem Bett hin und her, um sei­ne Lage zu ver­bes­sern; denn er be­fürch­te­te, dass er er­sti­cken müss­te, wenn nicht ra­sche Hil­fe käme. In sei­ner Verzweif­lung wälz­te er sich vom Bett her­un­ter, und Er­schüt­te­rung und Schmer­zen die­ses Stur­zes brach­ten ihn we­nigs­tens da­hin, dass er sei­ne Lage nüch­ter­ner be­trach­te­te. War er vor­her ganz im Ban­ne ei­ner ge­ra­de­zu wahn­sin­ni­gen Furcht und ab­so­lut un­fä­hig, klar nach­zu­den­ken, so blieb er jetzt erst ein­mal ganz ru­hig lie­gen und über­leg­te, wie er am leich­tes­ten aus die­ser Klem­me her­aus­käme. Schließ­lich fiel ihm ein, dass sich das Zim­mer, in dem er vor­hin mit Lord und Lady Grey­sto­ke zu­sam­men­ge­ses­sen hat­te, ge­ra­de un­ter Jacks Schlaf­zim­mer be­fand, auf des­sen Die­le er jetzt lag. Er wuss­te, dass im­mer­hin ei­ni­ge Zeit ver­stri­chen war, seit er sich nach oben zu­rück­ge­zo­gen. Die bei­den wür­den in­zwi­schen auch ge­gan­gen sein; denn es kam ihm wie eine Ewig­keit vor, seit er auf dem Bet­te ge­le­gen und sich dort wie ein Verzwei­fel­ter zu be­frei­en ge­sucht hat­te. Das Al­ler­bes­te, was sich tun ließ, war, dass er zu­sah, ob er nicht ir­gend­je­man­den aus dem un­te­ren Stock auf sich auf­merk­sam ma­chen konn­te. Nach zahl­rei­chen ver­geb­li­chen Ver­su­chen hat­te er sich end­lich so­weit ge­bracht und ge­wen­det, dass es ihm ge­lang, mit der Fuß­spit­ze auf die Die­le zu po­chen. Er wie­der­hol­te das Po­chen in kur­z­en Ab­stän­den mit größ­ter Aus­dau­er. End­los lang kam ihm die Zeit vor, aber schließ­lich schi­en die Be­loh­nung nahe. Trit­te nah­ten von un­ten, es stieg je­mand die Trep­pe nach oben und klopf­te an die Türe. Mr. Moo­re poch­te nur wie­der kräf­tig mit dem Fuß auf den Bo­den, denn er konn­te ja nicht an­ders ant­wor­ten. Ei­nen Au­gen­blick war es drau­ßen still, dann wur­de wie­der ge­klopft – und Mr. Moo­re stieß wie­der mit dem Fuß auf den Bo­den. Wa­rum man nur nicht ein­fach die Tür öff­ne­te! Müh­sam wälz­te er sich in der Rich­tung wei­ter, aus der die Hil­fe wink­te. Wenn er sich jetzt mit dem Rücken ge­gen die Tür lehn­te, wür­de er an die Türflä­che po­chen kön­nen und dann müss­te er doch si­cher ge­hört wer­den. Man klopf­te drau­ßen et­was stär­ker, und schließ­lich rief je­mand: Mr. Jack! Es war ei­ner der Hau­san­ge­stell­ten. Mr. Moo­re er­kann­te ihn an der Stim­me. Die Adern droh­ten dem Leh­rer zu zer­sprin­gen, als er jetzt durch den fest in den Mund ge­press­ten Kne­bel hin­durch »He­rein« zu schrei­en ver­such­te. Wie­der ver­gin­gen ein paar Mi­nu­ten, dann klopf­te der Mann drau­ßen ganz laut und rief den Jun­gen beim Na­men. Als er er­neut kei­ne Ant­wort be­kam, drück­te er die Tür­klin­ke nie­der …

Schlag­ar­tig durch­schoss Mr. Moo­re der ent­setz­li­che Ge­dan­ke, dass er ja selbst die Tür hin­ter sich ver­rie­gelt hat­te, als er in Jacks Zim­mer ein­ge­tre­ten war.

Er hör­te noch, wie der Die­ner mehr­mals klink­te und schließ­lich fort­ging, dann fiel Mr. Moo­re in tie­fe Ohn­macht. –

In­zwi­schen ge­noss Jack in vol­len Zü­gen das er­schli­che­ne Glück, nun doch in der Mu­sik­hal­le sein zu kön­nen. Er war noch recht­zei­tig in das Ver­gnü­gungs­lo­kal ge­kom­men; die Vor­füh­rung mit Ajax be­gann erst.

Jack nahm einen Lo­gen­platz und lehn­te sich in atem­lo­ser Span­nung über das Ge­län­der. Sei­ne Au­gen wa­ren weit ge­öff­net und ver­folg­ten stau­nend jede Be­we­gung des großen Af­fen. Der Domp­teur be­merk­te bald den Jun­gen mit dem hüb­schen Ge­sicht, der so ganz Feu­er und Flam­me für den Af­fen zu sein schi­en. Nun ge­hör­te es zu den Glanz­leis­tun­gen des Af­fen, dass er ge­wöhn­lich wäh­rend der Vor­stel­lung eine oder meh­re­re Lo­gen be­trat und dort of­fen­bar nach ei­nem lan­ge ver­miss­ten Be­kann­ten such­te, wie der Domp­teur je­des Mal er­klä­rend vor­aus­schick­te. Der Mann nahm sich dies­mal fest vor, den Af­fen in die Loge mit dem hüb­schen Jun­gen zu schi­cken, der zwei­fel­los zu Tode er­schre­cken wür­de, wenn der zot­ti­ge, wuch­ti­ge Af­fen­ko­loß so nahe an ihn her­an­rück­te.

Als dann schließ­lich der Affe die Schwing­schau­kel ver­ließ, und Bei­falls­stür­me eine Wie­der­ho­lung oder Zu­ga­be heisch­ten, lenk­te der Domp­teur die Auf­merk­sam­keit des Af­fen auf den Jun­gen, der zu­fäl­lig als ein­zi­ger in sei­ner Loge saß. Mit ei­nem Satz sprang der große Men­schen­af­fe von der Büh­ne zu dem Jun­gen. Doch wenn der Domp­teur sich auf eine ko­mi­sche Sze­ne ge­spitzt hat­te, die durch die To­des­angst des Kna­ben be­son­ders ge­würzt wer­den soll­te, hat­te er sich ge­wal­tig ge­irrt. Ein Lä­cheln hell­te die Züge des Jun­gen auf, als er sei­ne Hand auf den zot­ti­gen Arm sei­nes Be­su­chers le­gen konn­te; der Affe fass­te sein Ge­gen­über bei bei­den Schul­tern und forsch­te mit erns­ten, fast durch­boh­ren­dem Blick lan­ge in des­sen Ge­sicht, wäh­rend der Jun­ge den Kopf strei­chel­te und mit lei­ser Stim­me auf ihn ein­re­de­te.

Nie­mals hat­te Ajax je­man­den so lan­ge ge­mus­tert wie jetzt. Er schi­en zwar ein we­nig un­ru­hig, aber nicht im Ge­rings­ten ge­reizt, mur­mel­te dem Jun­gen ir­gen­det­was Un­ver­ständ­li­ches zu und lieb­kos­te ihn dann, wie der Domp­teur es nie bei Ajax mit ei­nem an­de­ren We­sen er­lebt hat­te. Schließ­lich klet­ter­te der Affe in die Loge hin­ein und schmieg­te sich dort dicht an den Jun­gen. Das Pub­li­kum war be­geis­tert, und der Ju­bel wuchs erst recht, als der Domp­teur, da die für die Vor­füh­rung des Ajax be­stimm­te Zeit ver­stri­chen war, den Af­fen aus der Loge her­aus­lo­cken woll­te, und das Tier dar­auf ein­fach nicht rea­gier­te.

Der Di­rek­tor, wü­tend ob die­ser Stö­rung sei­nes Pro­gramms, ließ dem Domp­teur sa­gen, er sol­le sich mehr be­ei­len. Doch als die­ser nun die Loge be­trat, um den wi­der­spens­ti­gen Ajax her­aus­zu­zer­ren, wur­de er mit weit­ge­öff­ne­tem Ra­chen und dro­hen­dem Ge­knurr emp­fan­gen.

Das Pub­li­kum ras­te vor Ent­zücken. Der Affe wur­de mit Bei­falls­stür­men über­schüt­tet, man ju­bel­te dem Jun­gen zu und ließ Spott und Hohn auf den Domp­teur und den Di­rek­tor nie­der­pras­seln, der un­glück­li­cher­wei­se auch noch vor das er­reg­te Pub­li­kum ge­tre­ten war, um dem Tier­bän­di­ger bei­zu­ste­hen.

Schließ­lich wuss­te der Domp­teur vor Verzweif­lung kei­nen an­de­ren Aus­weg, als sich die Peit­sche aus sei­ner Gar­de­ro­be zu ho­len; denn so viel war ihm klar, dass die­se of­fen­sicht­li­che Wi­der­spens­tig­keit das wert­vol­le Tier für künf­ti­ge Schau­stel­lun­gen un­mög­lich mach­te, wenn er sich nicht auf der Stel­le Ge­hor­sam er­zwang. Er kehr­te also mit der Peit­sche in die Loge zu­rück, doch, als er Ajax da­mit nur ein­mal droh­te, muss­te er sich im sel­ben Au­gen­blick auch schon zwei wü­ten­den Fein­den ge­gen­über­se­hen: Der Jun­ge war auf­ge­sprun­gen, hat­te einen Stuhl ge­packt und stand kamp­fes­lus­tig ne­ben dem Af­fen – be­reit, sei­nen Freund zu ver­tei­di­gen. Kein Lä­cheln spiel­te mehr auf sei­nem schö­nen Ant­litz, in sei­nen grau­en Au­gen fla­cker­te ein un­be­stimm­tes Et­was und mach­te den Domp­teur un­si­cher. Ne­ben ihm stand der rie­si­ge Men­schen­af­fe, brum­mend und nicht min­der kampf­be­reit. Was bei dem ge­rings­ten An­zei­chen ei­nes of­fen­sicht­li­chen An­griffs ge­sche­hen muss­te, mag sich je­der selbst aus­ma­len. Dass der Domp­teur auf je­den Fall ge­hö­rig durch­ge­bleut wor­den wäre, wenn es da­mit über­haupt ab­ging, war bei der Hal­tung sei­ner bei­den Geg­ner mehr als klar.

*

Der Die­ner war lei­chen­blass, als er in das Grey­stok­sche Biblio­thek­zim­mer hin­ein­stürz­te und mel­de­te, dass er die Tür zu Jacks Zim­mer ver­schlos­sen ge­fun­den habe. Mit zit­tern­der Stim­me be­rich­te­te er wei­ter, er habe auf sein wie­der­hol­tes An­klop­fen und Ru­fen kei­ne Ant­wort be­kom­men. Es sei nur ein ganz ei­gen­ar­ti­ges Po­chen vom Zim­mer her zu ver­neh­men ge­we­sen, und dann habe es so ge­klun­gen, als be­we­ge sich ein Kör­per un­ten auf dem Fuß­bo­den.

Lord Grey­sto­ke nahm vier Stu­fen auf ein­mal, als er die Trep­pe zum obe­ren Kor­ri­dor hin­auf­stürm­te. Die Lady und der Die­ner folg­ten in größ­ter Eile. Der Lord rief sei­nen Sohn ein­mal laut bei sei­nem Na­men, und, als kei­ne Ant­wort kam, warf er sich mit der gan­zen Wucht sei­nes Kör­pers und un­ter Ein­satz al­ler sei­ner Mus­keln, die nicht das ge­rings­te von ih­rer al­ten Kraft ein­ge­büßt hat­ten, ge­gen die schwe­re Tür. Kra­chend bars­ten die Ei­sen­tei­le, das Holz split­ter­te in großen Fet­zen aus­ein­an­der, und das »Hin­der­nis« flog nach in­nen und deck­te dumpf dröh­nend Mr. Moo­re, der noch im­mer be­wusst­los dicht hin­ter der Tür lag.

Tar­zan sprang hin­ein, und im nächs­ten Au­gen­blick flu­te­te das grel­le Licht von ei­nem hal­b­en Dut­zend elek­tri­scher Lam­pen durch das Zim­mer.

Es dau­er­te im­mer­hin ei­ni­ge Mi­nu­ten, bis man den Leh­rer ent­deckt hat­te, da er un­ter den Trüm­mern der Tür na­he­zu völ­lig ver­schüt­tet lag. Man zog ihn her­vor, be­frei­te ihn aus sei­nen Lei­nen­fes­seln und ent­fern­te den Kne­bel aus dem Mun­de. Durch reich­li­che Kalt­was­ser­um­schlä­ge wur­de er auch bald zum Be­wusst­sein zu­rück­ge­bracht.

Wo ist Jack? war Tar­zans ers­te Fra­ge. Wer hat das ge­tan? fuhr er so­gleich fort; er dach­te an Ro­koff, und blitz­ar­tig war die Be­fürch­tung in ihm auf­ge­taucht, es kön­ne sich hier um eine zwei­te Ent­füh­rung sei­nes Soh­nes han­deln.

Lang­sam und zit­ternd stand Mr. Moo­re auf. Sei­ne Bli­cke wan­der­ten wie irr durch das Zim­mer, und erst nach und nach schie­nen Ge­dan­ken und Be­grif­fe wie­der wach zu wer­den. Die Ein­zel­hei­ten sei­nes jüngs­ten qual­vol­len Er­le­bens moch­ten ihm wie­der vor Au­gen ste­hen. Ich ver­mel­de Ih­nen mei­nen Ver­zicht, ein­mal et­was mit dem Jun­gen zu er­rei­chen, mein Herr! wa­ren sei­ne ers­ten Wor­te. Sie brau­chen kei­nen Haus­leh­rer und Er­zie­her für Ihren Sohn … er braucht ein­zig und al­lein einen … Domp­teur.

Aber wo steckt der Jun­ge denn? warf Lady Grey­sto­ke mit lau­ter, er­reg­ter Stim­me ein.

Er ist fort­ge­gan­gen; er sieht sich den Ajax an.

Tar­zan wur­de es nicht leicht, ein Lä­cheln zu ver­ber­gen. Er stell­te noch zu sei­ner Ge­nug­tu­ung fest, dass der Haus­leh­rer in der Haupt­sa­che nur un­ter dem großen Schre­cken ge­lit­ten hat­te, sonst aber nicht ir­gend­wie ver­letzt war, und fuhr dann so­fort in sei­nem ge­schlos­se­nen Auto nach der be­kann­ten Mu­sik­hal­le.

Pawlowitschs Ende

Der Domp­teur zö­ger­te mit er­ho­be­ner Peit­sche einen Au­gen­blick vor dem Ein­gang der Loge, in der der Jun­ge und der Affe ihn er­war­te­ten. Mit ei­nem Male dräng­te sich ein großer breit­schult­ri­ger Herr von rück­wärts an bei­den vor­bei und in die Loge; über das Ge­sicht des Jun­gen husch­te eine leich­te Röte, als er den An­kömm­ling er­blick­te.

Va­ter! rief er ihm zu.

Der Affe nahm den eng­li­schen Lord rasch aufs Korn, dann ein Sprung … und er war dicht an ihn her­an und be­grüß­te ihn in freu­di­ger Er­re­gung mit ei­nem un­ver­ständ­li­chen jauch­zen­den Ge­plap­per. Die Au­gen des Herrn wei­te­ten sich, er schi­en be­stürzt und blieb auf der Stel­le ste­hen, wie wenn er zu Stein er­starrt wäre.

Akut! schrie er dann.

Der Jun­ge blick­te ver­wirrt von dem Af­fen zu sei­nem Va­ter und von sei­nem Va­ter zu Akut, und dem Domp­teur stan­den Mund und Ohren of­fen, wie er jetzt hör­te, was sich vor ihm zu­trug: Über die Lip­pen des Eng­län­ders quol­len die Kehl­lau­te der Af­fen­spra­che … und der rie­si­ge Men­schen­af­fe ant­wor­te­te tat­säch­lich in glei­cher Wei­se, wäh­rend er sich dicht an den großen Herrn schmieg­te.

Ein an­schei­nend vom Al­ter ge­krümm­ter, häss­li­cher Mann ver­folg­te von der Büh­ne aus die Vor­gän­ge in der Loge; man konn­te deut­lich be­ob­ach­ten, wie über sein mit Nar­ben be­deck­tes Ge­sicht in krampf­haf­ten Zu­ckun­gen wech­seln­de Emp­fin­dun­gen lie­fen, die jede Schwin­gung der gan­zen Ton­lei­ter von hel­ler Freu­de bis zum tiefs­ten Er­schre­cken wie­der­ga­ben.

Lan­ge habe ich nach dir ge­sucht, Tar­zan! sprach Akut. Jetzt end­lich fand ich dich, und nun will ich in dei­nen Dschun­gel kom­men und im­mer dort mit dir le­ben.

Der Herr strei­chel­te den Kopf des Tie­res. All die al­ten Erin­ne­run­gen schos­sen ihm durch das Hirn, Bild reih­te sich an Bild, er sah sich zu­rück­ver­setzt in die Tie­fen des afri­ka­ni­schen Ur­walds, weit weg von hier, da­hin, wo dies rie­si­ge men­schen­ähn­li­che Tier vor Jah­ren mit ihm Schul­ter an Schul­ter ge­kämpft. Er sah den schwar­zen Mu­gam­bi, wie er mit sei­nem knor­ri­gen Knüp­pel zum töd­li­chen Schla­ge aus­hol­te, da­ne­ben den schre­cken­ge­bie­ten­den Shee­ta mit weit ge­öff­ne­ten Pran­ken und zit­tern­dem Bar­te … und dann Akuts furcht­ba­re Af­fen­hor­de, wie sie sich dicht an den Wil­den und an den kampf­wü­ti­gen Leo­par­den he­randräng­te. Tar­zan seufz­te. Ge­wal­tig lock­te von Neu­em das hei­ße Seh­nen nach dem Dschun­gel, das er schon tot ge­glaubt, und das nun nur umso schlim­mer in ihm wog­te. Ach wenn er nur für einen Mo­nat, für ein paar kur­ze Wo­chen da­hin zu­rück­keh­ren könn­te! Nur ein­mal wie­der füh­len, wie dich­tes Busch­werk und die Blät­ter der Ur­waldrie­sen sei­nen nack­ten Kör­per streif­ten, wie­der ein­mal den dump­fen Duft ver­sun­ke­ner und da­hin­ge­welk­ter Tro­penve­ge­ta­ti­on ein­at­men kön­nen …, wie Weih­rauch und Myr­rhen wäre das für ihn, der in den Dschun­gel­grün­den das Licht der Welt er­blickt hat­te! Ein­mal wie­der wit­tern, wie die großen Raub­tie­re des Ur­wal­des lei­se sei­ner Spur folg­ten, wie­der ja­gen und ge­jagt wer­den …, wie­der tö­ten! O, wie die­se Bil­der ihn mit ih­ren schil­lern­den Far­ben lock­ten und um­gar­nen woll­ten! Aber dann tra­ten an­de­re Bil­der auf die Schwel­le sei­nes Be­wusst­seins: ein lieb­li­ches Frau­en­ant­litz, schön und noch so jung; die Freun­de, das Heim, der Sohn … Er zuck­te mit sei­nen ge­wal­ti­gen Ach­seln.

Es darf nicht sein, Akut! kam sei­ne Ant­wort. Doch wenn du zu­rück­keh­ren möch­test, wer­de ich da­für sor­gen. Du könn­test hier nicht glück­lich sein … ich nicht dort drü­ben.

Der Domp­teur trat einen Schritt vor­wärts, doch der Affe zeig­te ihm so­fort brum­mend sein furcht­ba­res Ge­biss.

Geh jetzt mit ihm, Akut, sag­te der Af­fen-Tar­zan. Ich wer­de dich mor­gen be­su­chen.

Der Affe trot­te­te mür­risch und ent­täuscht zum Domp­teur, der auf Tar­zans Be­fra­gen noch sein Quar­tier ge­nannt hat­te. Dann wand­te sich Tar­zan zu sei­nem Sohn. Komm mit! sag­te er nur, und die bei­den ver­lie­ßen die Mu­sik­hal­le. Man nahm in der Li­mou­si­ne Platz. Mi­nu­ten­lang wur­de kein Wort ge­spro­chen. Dann brach Jack das Schwei­gen.

Der Affe kann­te dich ja! be­gann er, und du un­ter­hieltst dich mit ihm in der Af­fen­spra­che. Wie kommt es, dass der Affe dich kennt, und wie hast du die­se Spra­che ge­lernt?

Und so er­zähl­te denn der Af­fen-Tar­zan in kur­z­en Um­ris­sen sei­nem Sohn zum ers­ten Male von sei­nem frü­he­ren Le­ben …, von sei­ner Ge­burt im Dschun­gel, vom Tode sei­ner El­tern, und wie die große Men­schenäf­fin Kala ihn von klein auf ge­nährt und ge­hegt und ge­pflegt, bis er als Jüng­ling ih­ren schüt­zen­den Ar­men ent­wach­sen sei.

Er ver­hehl­te ihm auch nicht die Ge­fah­ren und Schre­cken des Dschun­gels. Er er­zähl­te von den großen Raub­tie­ren, die Tag und Nacht an einen her­an­sch­li­chen; von den Zei­ten der Hit­ze, da al­les schier ver­dorr­te, und von Un­wet­tern und end­lo­sen Re­gen­güs­sen; von Hun­ger und Käl­te und neu­er Tro­penglut; vom Nackt­sein und von den Ängs­ten und Qua­len je­ner Zo­nen. Er mal­te ihm al­les das be­son­ders aus, was den zi­vi­li­sier­ten Men­schen am meis­ten mit Ent­set­zen und Ab­scheu er­füllt, denn er hoff­te, dass die Klar­heit über das Le­ben da drü­ben dem Jun­gen die Sehn­sucht nach dem Dschun­gel aus­trei­ben wür­de, wenn sie wirk­lich schon in ihm ir­gend­wie Wur­zel ge­fasst ha­ben soll­te. Und doch war all das, was er sag­te, im Grun­de nichts an­de­res als sei­ne Erin­ne­run­gen aus der Dschun­gel­zeit, nichts an­de­res als das, was er in bun­tem Ne­ben­ein­an­der lieb­te: das Dschun­gel­le­ben in sei­ner gan­zen Ge­walt und Schön­heit. Ei­nes be­dach­te er zu­dem nicht, wie er so er­zähl­te …, und das war ge­ra­de die Haupt­sa­che: Der Jun­ge, der ne­ben ihm saß und ihm mit atem­lo­ser Span­nung lausch­te, war schließ­lich doch … der Sohn des Af­fen-Tar­zan. –

Nach­dem der Jun­ge zu Bett ge­bracht wor­den war – wohl­ge­merkt, ohne die an­ge­droh­te Stra­fe – be­rich­te­te Lord Grey­sto­ke sei­ner Frau den wei­te­ren Ver­lauf des Abends, und dass er sei­nem Soh­ne schließ­lich das We­sent­li­che aus sei­nem Dschun­gel­le­ben mit­ge­teilt habe. Die Mut­ter hat­te es ja lan­ge vor­aus­ge­se­hen, dass Jack ei­nes Ta­ges et­was von die­sen furcht­ba­ren Jah­ren hö­ren muss­te, in de­nen sein Va­ter nackt und als beu­te­gie­ri­ges Raub­tier den Dschun­gel durch­streift hat­te. Sie schüt­tel­te also jetzt nur den Kopf, gab sich aber der Hoff­nung hin – an der sie frei­lich ab und zu schon irre zu wer­den mein­te – dass das, was be­stimmt in der Brust ih­res Man­nes an lo­cken­den Träu­men noch oft und hef­tig nach der Ver­wirk­li­chung ver­lang­te, we­nigs­tens nicht auf ih­ren Sohn ab­ge­färbt sei. –

Tar­zan such­te Akut am nächs­ten Tage auf; Jack hat­te er nicht mit­ge­nom­men, ob­wohl er ge­ra­de­zu dar­um ge­bet­telt hat­te. Bei die­ser Ge­le­gen­heit be­kam er auch den al­ten nar­ben­be­deck­ten Be­sit­zer des Af­fen zu se­hen, ohne je­doch in ihm den Schur­ken Paw­lo­wi­tsch von einst zu er­ken­nen. Akut brach­te wie­der sein gest­ri­ges An­lie­gen vor, und so sah sich Tar­zan ver­an­lasst, den et­wai­gen Kauf des Af­fen zur Spra­che zu brin­gen. Al­lein Paw­lo­wi­tsch woll­te durch­aus kei­nen Preis nen­nen, sag­te aber schließ­lich, er wür­de sich die Sa­che ein­mal durch den Kopf ge­hen las­sen.

Als Tar­zan wie­der nach Hau­se kam, fand er Jack ganz auf­ge­regt. Er woll­te al­les bis ins ein­zel­ne von die­sem Be­such er­zählt ha­ben und drang dann auf sei­nen Va­ter ein, er sol­le den Af­fen ja kau­fen und mit­brin­gen.

Lady Grey­sto­ke war na­tür­lich über die­sen Vor­schlag au­ßer sich, aber ihr Jun­ge blieb nur im­mer hart­nä­cki­ger bei sei­ner Bit­te. Tar­zan er­klär­te dar­auf, er habe schon be­ab­sich­tigt, den Af­fen zu kau­fen, al­ler­dings nur, um ihn wie­der in sei­ne Dschun­gel­hei­mat zu­rück­be­för­dern zu las­sen. Dem pflich­te­te Jacks Mut­ter bei.

Jack frag­te her­nach, ob er den Af­fen noch ein­mal be­su­chen dür­fe, doch wur­de ihm dies wie­der glatt ab­ge­schla­gen. Er kann­te aber die Adres­se, die der Domp­teur sei­nem Va­ter an­ge­ge­ben hat­te, und zwei Tage spä­ter pass­te er einen güns­ti­gen Au­gen­blick ab und ent­wisch­te sei­nem neu­en Er­zie­her, der an Stel­le des vom Schre­cken arg mit­ge­nom­me­nen Mr. Moo­re en­ga­giert wor­den war.

Nach lan­gem Hin­und­her­ir­ren in ei­nem Lon­do­ner Stadt­vier­tel, in das er bis­her noch nie ge­kom­men war, fand er end­lich den dump­fen, düs­te­ren Win­kel, in dem je­ner po­cken­nar­bi­ge Greis haus­te. Auf das Klop­fen er­schi­en der Alte selbst an der Tür, und als Jack er­klär­te, er wol­le sich den Ajax an­se­hen, mach­te er auf und ließ ihn in den klei­nen Raum ein, den er mit dem Af­fen­rie­sen be­wohn­te.

Frü­her war der ge­ris­se­ne Paw­lo­wi­tsch schon et­was an­spruchs­vol­ler ge­we­sen; aber die zehn furcht­ba­ren Jah­re, die er in Afri­ka un­ter Kan­ni­ba­len hat­te zu­brin­gen müs­sen, moch­ten bei ihm jeg­li­che Spur fei­ne­rer Ge­wohn­hei­ten weg­ge­spült ha­ben. Sein An­zug war fle­ckig und halb­zer­ris­sen, er wusch sich die Hän­de nicht, ge­schwei­ge denn, dass je ein Kamm an die paar krau­sen Haar­sträh­nen kom­men moch­te. Das so­ge­nann­te Zim­mer starr­te vor Schmutz und sah wie eine Rum­pel­kam­mer aus. Als der Jun­ge ein­trat, hock­te der große Affe ge­ra­de auf dem Bett. Schmut­zi­ge Woll­de­cken und übel­rie­chen­de Tü­cher la­gen dort wirr durch­ein­an­der. So­wie der Affe den Jun­gen ge­wahr wur­de, sprang er zu Bo­den und hum­pel­te ihm ent­ge­gen; doch der Alte, der sei­nen Be­such nicht wie­der­er­kann­te und fürch­te­te, dass der Affe nichts Gu­tes im Schil­de führ­te, trat so­fort da­zwi­schen und wies den Af­fen ins Bett zu­rück.

Der tut mir nichts zu­lei­de, rief der Jun­ge laut. Wir zwei sind gute Freun­de, und frü­her war er der Freund mei­nes Va­ters. Lord Grey­sto­ke ist näm­lich mein Va­ter. Er weiß es nicht, dass ich hier­her ge­gan­gen bin. Mei­ne Mut­ter hat es mir üb­ri­gens ver­bo­ten, aber ich woll­te nun ein­mal Ajax se­hen. Und ich will Sie gut be­zah­len, wenn Sie mich oft hier­her kom­men und den Af­fen se­hen las­sen.

Wie Jack sei­nen Na­men er­wähn­te, zuck­te es un­will­kür­lich in Paw­lo­wi­tschs Au­gen. Seit er Tar­zan von der Büh­ne der Mu­sik­hal­le zum ers­ten Male wie­der ge­se­hen hat­te, däm­mer­ten in sei­nem sonst fast stumpf­sin­ni­gen Hirn Ge­dan­ken auf, die ihn lan­ge in Ruhe ge­las­sen, ja es reg­te sich in ihm so et­was wie ein Ver­lan­gen, nun doch noch Ra­che zu üben. Es ist über­aus be­zeich­nend für Schwäch­lin­ge und Ver­bre­cher, dass sie an­de­re für das Un­glück ver­ant­wort­lich ma­chen, das sie doch nur ih­rer ei­ge­nen Min­der­wer­tig­keit zu­zu­schrei­ben ha­ben. Genau so stand es mit Ale­xei Paw­lo­wi­tsch. Lang­sam er­wach­te in ihm ge­ra­de jetzt die Erin­ne­rung an sein frü­he­res Le­ben, und wenn er nun dar­an dach­te, wie greif­bar nahe er die­sen Men­schen hat­te, den er da­mals mit Ro­koff un­ter Ein­satz al­ler Kräf­te aus sei­ner Bahn schleu­dern, ja ein­fach ins Jen­seits be­för­dern woll­te, so fühl­te er von Neu­em das gan­ze Un­heil, das über ihn her­ein­ge­bro­chen war, als all die fein ge­spon­ne­nen Rän­ke ins Nichts zer­ran­nen, und ih­nen ihr Op­fer ent­ging. Vo­rerst sah er in­des­sen kei­ne Mög­lich­keit, un­ter Wah­rung sei­ner per­sön­li­chen Si­cher­heit sich an Tar­zan auf dem Um­weg über des­sen Sohn zu rä­chen. Aber er war sich dar­über klar, dass der Jun­ge ihm durch sei­ne un­vor­sich­ti­gen Äu­ße­run­gen den Weg zu ei­ner gründ­li­chen Ra­che frei­ge­macht hat­te. So be­schloss er, das häu­fi­ge Er­schei­nen des jun­gen Grey­sto­ke recht zu be­güns­ti­gen und die­sen so an sich zu fes­seln. Hoff­te er doch, dass ir­gend­ein güns­ti­ger Stern ihm den Jun­gen ei­nes Ta­ges ir­gend­wie in die Hand spie­len wür­de.

Da­rum er­zähl­te er dem Jun­gen zu­nächst al­les, was er über das Dschun­gel­le­ben sei­nes Va­ters wuss­te. Als er dann hör­te, dass der jun­ge Grey­sto­ke all die Jah­re über­haupt nichts zu er­fah­ren be­kom­men hat­te, dass ihm der Be­such des Zoo­lo­gi­schen Gar­tens un­ter­sagt war, ja, dass er sei­nen Er­zie­her hat­te fes­seln und ihm einen Kne­bel in den Mund stop­fen müs­sen, um sich so we­nigs­tens ein­mal die Vor­stel­lung mit Ajax an­se­hen zu kön­nen … da er­riet er so­fort, wel­che ge­hei­men Be­fürch­tun­gen die el­ter­li­chen Her­zen zu die­ser wun­der­ba­ren Für­sor­ge trie­ben. Vor ih­nen stand dro­hend wie ein Ge­s­penst der Ge­dan­ke, der Dschun­gel könn­te ein­mal auch ih­ren Jack in die Arme lo­cken, wie sie einst des­sen Va­ter an sich ge­ris­sen hat­te.

Und so re­de­te Paw­lo­wi­tsch dem Jun­gen zu, ja recht oft zu kom­men, und ging im­mer be­reit­wil­lig auf des­sen Bit­ten ein, ihm doch viel, recht viel von der wil­den Welt da drau­ßen zu er­zäh­len, da Paw­lo­wi­tsch in al­lem ja nur zu be­kannt war. Er ließ ihn auch viel mit Akut al­lein, und nach gar nicht zu lan­ger Zeit stell­te er zu sei­ner großen Über­ra­schung fest, dass der Jun­ge sich mit dem Af­fen ver­stän­di­gen konn­te, weil er tat­säch­lich schon vie­le Wor­te der pri­mi­ti­ven Men­schen­af­fen­spra­che ge­lernt hat­te.