Tarzans Dschungelgeschichten - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzans Dschungelgeschichten E-Book

Edgar Rice Burroughs

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Beschreibung

"Tarzans Dschungelgeschichten" ist das sechste von 24 Büchern von Edgar Rice Burroughs über die Figur Tarzan. Tarzan trat erstmals in der Geschichte "Tarzan bei den Affen" (engl. "Tarzan of the Apes") auftrat, die in der Oktoberausgabe des Pulp-Magazins "All-Story Magazine" am 27. August 1912 erschien. Die erste Buchausgabe erschien 1914. Tarzan ist der Sohn eines britischen Lords und dessen Frau, die zu Beginn noch schwanger ist. Die beiden werden Opfer einer Meuterei, werden an der afrikanischen Küste ausgesetzt und richten sich dort ein. Sie bauen eine kleine Hütte, in der sie sich sicherer fühlen als im wilden Dschungel. Ihr Sohn erhält den Namen John Clayton III., Lord Greystoke. Die Mutter stirbt, als er ein Jahr alt ist; sein Vater lässt sein Leben im Kampf gegen eine Affenbande. Von da an heißt die Waise "Tarzan" und wird von dieser Gruppe Affen aufgezogen, unter denen sich die Affenfrau Kala besonders um ihn kümmert. Ihren eigenen, zuvor vom Affenhäuptling getöteten Säugling legt sie stattdessen in die Wiege der kleinen Hütte. "Tar-zan" bedeutet "Weiße Haut" in der Mangani-Sprache, der von Burroughs erschaffenen Affensprache. Die Affenart wird in den Romanen nicht genannt; es sind weder Gorillas noch Schimpansen, sondern sogenannte "große Anthropoiden". In den nächsten Jahren wächst Tarzan im Vergleich zu den Affenkindern langsam heran, erlangt aber als Kind bereits die Körperkraft eines Leistungssportlers von etwa 30 Jahren.

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Seitenzahl: 356

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Inhaltsverzeichnis

Tarzans erste Liebe

Tarzan gefangen

Der Kampf um das Affenbaby

Tarzans Gott

Tarzan und der Negerjunge

Der Zauberer sucht sich zu rächen

Bukawais Ende

Der Löwe

Das Alpdrücken

Der Kampf um Teeka

Ein Dschungelstreich

Tarzan rettet den Mond

Tarzans erste Liebe

Teeka, in üppiger Behaglichkeit hingestreckt im Schatten eines Baumes, bot unzweifelhaft ein höchst anziehendes Bild junger, weiblicher Lieblichkeit. Wenigstens kam es dem Affentarzan so vor, der im tiefherabgebogenen Zweige eines benachbarten Baumes saß und zu ihr hinuntersah.

So mußte man ihn sehen, wie er sich auf dem schwanken Zweig eines Urwaldriesen schaukelte. Die leuchtende Sonne des Äquators durchbrach den grünen Baldachin über ihm wie ein Gewebe und überstreute seine braune Haut mit Lichtpünktchen, sein schön gemeißelter Körper bog sich in leichter Anmut, in Betrachtung versunken neigte er das Haupt und verschlang den Gegenstand seiner Anbetung mit den klugen grauen Augen – wie die Wiedergeburt eines Halbgottes der Vorzeit sah er aus.

Wer hätte annehmen können, daß er seine Kindheit an der Brust einer häßlichen, behaarten Äffin verbracht hatte und daß er (seit dem Tode seiner Eltern in jener kleinen Hütte vor dem landumschlossenen Hafen am Dschungelrand) in seiner ihm bewußten Vergangenheit keine anderen Genossen gekannt hatte als die mürrischen Bullen und die knurrenden Weibchen von Kerschaks, des großen Affen, Horde!

Wer umgekehrt die Gedanken in seinem scharfsinnigen, fähigen Gehirn hätte lesen können, das Verlangen, die Wünsche und Hoffnungen, welche Teekas Anblick bei ihm erweckte, würde ebensowenig an die wahre Abstammung des Affenmenschen geglaubt haben. Daß er der Sohn einer edlen, englischen Dame war, dessen Vater sich rühmen konnte, dem englischen Hochadel anzugehören, das hätte aus seiner Gedankenwelt niemand schließen können.

Dem Affentarzan war seine Herkunft unbekannt. Daß er John Clayton, Lord Greystoke, Mitglied des Oberhauses war, wußte er nicht. Aber wenn er es auch gewußt hatte, hätte er es doch nicht verstanden.

Ach, Teeka war wirklich schön!

Kala war natürlich auch schön gewesen – die Mutter erscheint uns immer schön – aber Teeka war schön in ganz anderem, eigenem Sinne, in einem unerklärbaren Sinne, den Tarzan gerade um diese Zeit in noch recht unbestimmter und traumhafter Form zu empfinden begann.

Seit Jahren waren Tarzan und Teeka Spielgefährten gewesen und Teeka blieb immer noch mutwillig und zum Spielen geneigt, während die gleichaltrigen jungen Bullen bereits sauertöpfisch und mürrisch wurden. Falls sich Tarzan überhaupt darüber Gedanken machte, konnte er seine wachsende Vorliebe für das junge Weibchen leicht damit begründen, daß sie allein von allen früheren Spielkameraden mit ihm zusammen weiter Spaß an den bisherigen Streichen hatte.

Aber als er heute zu ihr hinabspähte, fand er sich in Bewunderung von Teekas Gestalt und Gesicht – was er früher nicht getan hätte, denn keine von diesen Eigenschaften hatte etwas mit Teekas Geschicklichkeit zu tun, die sie beim Springen durch die unteren Waldterrassen oder bei dem urwüchsigen Abschlagen oder Versteckensuchen entwickelte, Spiele, welche Tarzans fruchtbares Gehirn ersonnen hatte.

Tarzan kratzte sich auf dem Kopf, wühlte mit den Fingern tief in dem schwarzen Haarschopf, der sein wohlgeformtes Jungengesicht einrahmte – er kratzte sich auf dem Kopf und seufzte. Teekas neuentdeckte Schönheit verursachte ihm plötzlich Verzweiflung. Er beneidete sie um den hübschen Rock aus Haaren, der ihren Körper bedeckte. Er haßte seine eigene, glatte, braune Haut mit einer Mischung aus Abscheu und Verachtung. Vor Jahren hatte er noch die Hoffnung gehegt, er werde eines Tages doch wie alle seine Brüder und Schwestern ein Haarkleid bekommen, aber er hatte aus diesem tröstlichen Traum schließlich erwachen müssen.

Dann besaß Teeka große Zähne, natürlich nicht so große wie die Männchen, aber immerhin mächtige, hübsche Dinger im Vergleich zu seinen armseligen, weißen. Und erst ihre hervorstehenden Brauen, ihre breite, flache Nase und ihr Mund!

Wie oft hatte Tarzan versucht, seinen Mund zu einem kleinen, runden Kreis zu ziehen und dann die Backen aufzublasen und rasch mit den Augen zu zwinkern; aber er bekam doch nie einen so verschmitzten und unwiderstehlichen Ausdruck heraus, wie ihn Teeka fertigbrachte.

Als er sie an diesem Nachmittag bewundernd belauschte, kam ein junger Affe, der bisher träge unter der feuchten, verfilzten Matte aus verwesenden Pflanzen in der Nähe nach Nahrung gesucht hatte, plump in der Richtung auf Teeka angewackelt. Die übrigen Affen von Kerschaks Horde trieben sich sorglos herum oder lagen träge in der heißen Mittagshitze der Tropendschungel herum. Ab und zu war einer davon nahe vor Teeka vorbeigegangen, ohne daß Tarzan ihm Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Warum zog er aber jetzt die Brauen zusammen und spannte die Muskeln, als Taug vor der jungen Äffin anhielt und sich dicht neben ihr niederhockte?

Tarzan hatte den Taug stets gerne gehabt. Seit der Kindheit hatten sie sich gebalgt, Seite an Seite hatten sie am Wasser gehockt, um mit ihren raschen, starken Fingern Pisah, den Fisch, herauszufangen, wenn dieser schlaue Bewohner der kühlen Tiefe nach dem Köder von Insekten heraufkam, den Tarzan auf den Wasserspiegel des Tümpels geworfen hatte.

Sie beide hatten zusammen Tublat geplagt und den Löwen Numa gehänselt. Warum fühlte also Tarzan, daß sich seine kurzen Nackenhaare sträubten, nur weil sich Taug nahe zu Teeka hockte?

Allerdings war Taug nicht mehr der lustige Affe von gestern. Wenn seine Backenmuskeln die riesigen Fangzähne bloßlegten, konnte man nicht länger annehmen, Taug sei in der spielfrohen Stimmung wie damals, als er sich mit Tarzan im Scheinkampf über den Rasen kollerte. Der Taug von heute war ein ungeheurer, mürrischer Affenbulle, ein finsterer Geselle. Doch hatte er sich mit Tarzan noch nie gezankt.

Einige Minuten sah der junge Affenmensch zu, wie sich Taug enger an Teeka preßte. Aber als seine große Pfote mit rauher Zärtlichkeit die schlanke Schulter des Weibchens streichelte, schlüpfte Affentarzan wie eine Katze auf den Boden und näherte sich den beiden.

Er fletschte die Fangzähne unter der zum Knurren hochgezogenen Oberlippe und rollte ein tiefes Brummen aus seiner breiten Brust. Taug sah auf und blinzelte mit seinen blutunterlaufenen Augen. Teeka erhob sich halb und schielte nach Tarzan. Ahnte sie den Grund der Störung? Wer kann das sagen. Aber sie war ein Weibchen, deshalb langte sie hinauf und kratzte Taug hinter einem seiner kleinen, platten Ohren.

Als Tarzan das sah, war Teeka für ihn nicht länger die kleine Spielgefährtin von vor einer Stunde. Jetzt war sie ein Wundergeschöpf – das wunderbarste der Welt – um dessen Besitz Tarzan mit Taug und jedem anderen, der sein Eigentumsrecht zu bestreiten wagte, bis auf den Tod kämpfen würde. Affentarzan schob sich gebückt, eine Schulter voran, dem jungen Bullen näher und näher. Das Gesicht hielt er etwas abgewendet, aber seine scharfen grauen Augen blickten starr in die Taugs. Je näher er kam, desto lauter und tiefer wurde sein Knurren. Taug richtete sich auf seinen kurzen Beinen auf und sträubte die Haare. Er fletschte die Reißzähne, schob sich steifbeinig auch mit der Seite voran und knurrte.

Teeka gehört Tarzan, sagte der Affenmensch in den tiefen Kehltönen der großen Menschenaffen.

Teeka gehört Taug, erwiderte der Affenbulle.

Thaka, Numgo, Gunto, die das Knurren der zwei jungen Bullen störte, sahen halb gleichgültig, halb gespannt zu. In Taugs kleinem Gehirn saß ein mächtiger Respekt vor dem blanken Stückchen scharfen Metalls, das der Affenknabe so gut zu gebrauchen verstand. Tublat, seinen trotzigen Pflegvater, und den Gorilla Volgani hatte er damit getötet. Taug wußte um diese Tatsachen, deshalb ging er in einer Spirale auf Tarzan los, um einen günstigen Anfang abzuwarten. Der andere, vorsichtig im Hinblick auf sein geringeres Gewicht und die Schwäche seiner natürlichen Waffen, verfolgte eine ähnliche Taktik.

Eine Zeitlang sah es aus, als ob diese Auseinandersetzung wie die Mehrzahl solcher Streitigkeiten zwischen den Angehörigen der Horde verlaufen würde, nämlich so, daß einer der Beteiligten zum Schlüsse das Interesse verlor und anscheinend mit einer anderen Angelegenheit beschäftigt abzog. Bei einem anderen » casus belli« wäre das sicher der Fall gewesen. Aber Teeka fühlte sich durch die Aufmerksamkeit, die sie erregt hatte, und durch den Umstand, daß zwei Bullen um sie kämpfen wollten, geschmeichelt. So etwas war bisher in Teekas kurzem Leben noch nicht vorgekommen. Sie hatte mitangesehen, wie andere Bullen um andere und ältere Weibchen kämpften und tief in ihrem kleinen Tierherz hatte sie den Tag ersehnt, an dem sich um ihretwillen die Dschungelgräser im Kampf auf Leben und Tod röten würden.

Darum hockte sie sich jetzt breit auf ihre Schenkel und beschimpfte unparteiisch ihre beiden Anbeter gleichmäßig. Sie spottete über deren Feigheit, nannte sie mit verächtlichen Namen wie Histah, die Schlange, und Dango, die Hyäne. Sie drohte, sie werde Mumga rufen, sie solle die beiden mit dem Stock züchtigen – Mumga, die so alt war, daß sie nicht einmal mehr klettern konnte und so zahnlos, daß sie sich mit ihrem Futter bereits auf Bananen und Raupen beschränken mußte!

Die Affen ringsumher hörten es und lachten. Taug war wütend. Er machte einen plötzlichen Sprung auf Tarzan zu, aber der junge Affenmensch hüpfte flink zur Seite, ließ ihn vorbei, drehte sich so schnell wie eine Katze und kam ihm in den Rücken. Im Anspringen hob er das Jagdmesser über den Kopf und hieb gefährlich nach Taugs Genick. Der Affe drehte sich, um der Waffe zu entgehen, so daß ihn die scharfe Klinge nur an der Schulter streifte.

Das fließende rote Blut rief einen schrillen Schrei des Entzückens auf Teekas Lippen. Ha! das war doch einmal etwas wert! Sie sah sich um, ob die anderen auch diesen Beweis ihrer Beliebtheit bemerkt hatten. Helena von Troja war kein bißchen stolzer als Teeka in diesem Augenblick.

Wäre Teeka nicht so sehr mit der Befriedigung ihrer Eitelkeit befaßt gewesen, dann hätte sie wohl das Rascheln der Blätter im Baume über sich bemerken müssen – der Wind konnte dieses Rascheln nicht verursacht haben, denn es wehte kein Wind. Und hätte sie aufgeblickt, dann hätte sie gesehen, daß ein geschmeidiger Körper gerade über ihr kauerte und daß ein Paar boshafte, gelbe Augen hungrig auf sie herunterblickten. Aber Teeka sah nicht auf.

Der verwundete Taug ging mit fürchterlichem Knurren etwas zurück. Tarzan folgte ihm, beschimpfte ihn und schwang drohend sein Messer. Teeka kam unter dem Baume hervor um den zwei Duellanten möglichst nahe zu bleiben.

Der Zweig über Teeka schwankte und bog sich etwas, als sich der lauernde Körper darauf streckte. Taug hatte jetzt Halt gemacht und bereitete sich für eine neue Runde vor, während ihm der Schaum auf den Lippen stand. Zu einem neuen Angriff bereit senkte er den Kopf. Dann streckte er die Arme aus. Wenn er erst seine mächtigen Hände auf die weiche, braune Haut legen konnte, dann war der Sieg sein. Taug betrachtete Tarzans Kampfweise als unschön. Jener wollte sich nicht auf ein Handgemenge einlassen und schlüpfte immer gewandt gerade unter Taugs muskulösen Fingern weg.

Da der junge Affenmensch seine Kräfte bisher noch nicht ernstlich, anders als im Spiele, mit einem Affenbullen gemessen hatte, war er nicht recht sicher, ob es geraten sei, seine Muskeln in einem Ringen um Leben und Tod auf die Probe zu stellen. Nicht als ob er Furcht gehabt hätte; Tarzan kannte keine Furcht. Aber der Selbsterhaltungstrieb warnte ihn. Er setzte nur etwas aufs Spiel, wenn es nötig war; dann schreckte er aber auch vor nichts zurück.

Seine eigene Kampfesweise entsprach am besten seiner Gestalt und Bewaffnung. So stark und scharf seine Zähne waren, als Angriffswaffen waren sie im Vergleich mit den mächtigen Fängen der Menschenaffen armselig. Aber so im Herumtanzen, gerade außer dem Bereich des Gegners konnte Tarzan mit seinem langen, scharfen Jagdmesser unbegrenztes Unheil zufügen und gleichzeitig den vielen, gefährlichen und schmerzhaften Wunden entgehen, die ihm sicher gewesen wären, wenn ihn der Affenbulle in die Finger bekommen hätte.

Wieder griff Taug an und brüllte wie ein Stier, und wieder tanzte Affentarzan leicht dahin und dorthin, rief seinem Gegner Ausdrücke vom Dschungel-»Fischmarkt« zu und ritzte ihn hin und wieder mit dem Messer.

Gelegentlich machten die beiden Kämpfer Pausen, wenn sie einander nach Atem ringend besahen und Witz und Kräfte für einen neuen Gang zusammennahmen. Als sie wieder eine solche Pause machten, sah Taug zufällig über seinen Feind hinweg. Sogleich änderte sich das ganze Benehmen des Affen. Statt der Wut brachten seine Züge Angst zum Ausdruck.

Mit einem Schrei, der jedem Affen wohlbekannt war, drehte sich Taug um und floh. Eine Frage war unnötig – sein Warnungsruf meldete die Nähe ihres Erbfeindes.

Tarzan setzte zur rettenden Flucht an wie die anderen Mitglieder des Stammes, als er hörte, wie sich das Fauchen des Leoparden mit dem Angstschrei einer Äffin mischte. Auch Taug hörte es, aber er hielt nicht an.

Anders der Junge. Er sah herum, ob irgendein Mitglied der Horde von dem Raubtier nahe bedroht war und bekam einen mächtigen Schrecken.

Es war Teeka, die vor Entsetzen geschrien hatte, denn als sie nach dem nächsten Baum jenseits der Lichtung eilte, lief ihr Sheeta, der Leopard, in kurzen, eleganten Sprüngen nach. Sheeta schien gar keine Eile zu haben. Sein Mahl war ihm sicher, denn selbst wenn der Affe die Bäume vor ihm erreichte, hatte er ihn trotzdem noch, ehe er aus dem Bereich seiner Pranken hochklettern konnte.

Tarzan sah, daß Teeka sterben mußte. Er schrie Taug und den anderen Bullen zu, sie sollten Teeka zu Hilfe eilen, während er sich, hinter der verfolgenden Katze herrennend, das Wurfseil abnahm. Tarzan wußte, wenn er die großen Bullen heranholen konnte, gab es keinen in der Dschungel, nicht einmal den Löwen Numa, der besondere Lust verspürt hätte, sich mit ihnen zu messen, und wenn alle, die von der Horde eben anwesend waren, zum Angriff vorgingen, dann würde Sheeta, die große Katze, davonrennen, wenn ihr das Leben lieb wäre.

Taug hörte den Ruf so gut wie die anderen, aber keiner kam Tarzan zu Hilfe oder zur Rettung Teekas, und Sheeta verkürzte rasch den Abstand zwischen sich und seiner Beute.

Der Knabe sprang hinter dem Leoparden her und schrie das Tier laut an, um es von Teeka abzubringen, oder seine Aufmerksamkeit solange abzuziehen, bis die Äffin sich auf die höheren Zweige gerettet hatte, wohin der Leopard sich nicht wagte. Er rief Sheeta jeden Schimpfnamen zu, der ihm einfiel. Er forderte ihn auf, zu bleiben und mit ihm zu kämpfen. Aber Sheeta lief unbeirrt hinter dem schmackhaften Bissen her, den er jetzt beinahe in Reichweite hatte.

Tarzan war nicht weit zurück und holte auf, aber die Entfernung war nur noch so kurz, daß er kaum hoffen konnte, das Raubtier zu überholen, ehe es Teeka zu Boden schlug. Mit der rechten Hand schwang der Knabe sein Grasseil über dem Kopf, aber er hatte Furcht vor einem Fehlwurf, weil die Entfernung größer war als die, welche er bisher außer zur Übung geworfen hatte. Die volle Reichweite seines Grasseils trennte ihn noch von Sheeta, aber es blieb ihm nichts weiter übrig. Er konnte nicht an die Seite der Bestie kommen, ehe sie Teeka überholt hatte; er mußte den Wurf wagen.

Eben jetzt sprang Teeka nach dem untersten Zweig eines großen Baumes und Sheeta flog mit einem langen, geschmeidigen Satze dahinter hoch, da schoß die Schlinge des Knaben blitzschnell durch die Luft, das Seil streckte sich zu einer geraden, dünnen Linie, als die offene Schlinge über dem wilden Kopf und dem fauchenden Rachen einen Augenblick stillstand. Dann fiel sie – haarscharf saß sie um den braunen Nacken, Tarzan zog mit kurzem Ruck der Wurfhand die Schlinge fest und stemmte sich gegen den Stoß, der kommen mußte, sobald Sheetas Wucht das Seil spannte.

Um Haaresbreite hinter Teekas glattem Rumpf fegten die grausamen Tatzen durch die Luft, als sich das Seil straffte und Sheeta plötzlich zum Halten brachte – einem Halt, der das Tier auf den Rücken riß. Wie ein Gedanke war Sheeta wieder hoch – die Augen glühten, der Schwanz peitschte, der offene Rachen entsandte Schreie der Wut und Enttäuschung. Da, kaum vierzig Fuß vor sich sah er den Affenjungen, die Ursache seines Fehlsprunges, und Sheeta griff an.

Teeka war mittlerweile in Sicherheit, soviel hatte Tarzan mit einem raschen Blick nach dem Baum gesehen, dessen Schutz sie nicht einen Augenblick zu früh gewonnen hatte. Sheeta kam an. Es war zwecklos, das Leben in einem eitlen und ungleichen Kampf zu wagen, bei dem nichts Gutes herauskommen konnte; aber wie den Kampf mit der wütenden Katze vermeiden? Und wenn er zum Kampfe gezwungen war, welche Aussicht hatte er, ihn zu überleben? Tarzan mußte zugeben, daß seine Lage nicht gerade beneidenswert war. Die Bäume waren zu fern, um sie rechtzeitig vor der Katze zu erreichen. Tarzan konnte nur noch diesem fürchterlichen Angriff die Stirne bieten. Seine Rechte hielt das Jagdmesser – ein winziges, wertloses Ding gegen die gewaltigen Reihen mächtiger Fänge in Sheetas furchtbarem Rachen und gegen die scharfen, in den weichen Tatzen verborgenen Krallen. Doch der junge Lord Greystoke begegnete ihnen mit derselben mutvollen Ergebung, mit welcher sich seine furchtlosen Ahnen bei Hastings von dem Senlac Hill hinab in Niederlage und Tod stürzten.

Von ihren sicheren Baumwipfeln aus sahen die großen Affen zu, kreischten haßerfüllt auf Sheeta und gaben Tarzan gute Ratschläge, denn naturgemäß zeigen die Vorfahren des Menschen schon viele menschliche Charakterzüge. Teeka war zu Tode erschrocken. Sie schrie den Bullen zu, sie sollten Tarzan zu Hilfe kommen, aber die Bullen waren gerade anderweitig beschäftigt – hauptsächlich mit Gesichterschneiden und Erteilen guter Ratschläge. Außerdem war Tarzan gar kein richtiger Mangani, warum sollten sie also beim Versuche, ihn zu beschützen, ihr Leben aufs Spiel setzen?

Da, nun war Sheeta schon auf dem weichen, nackten Leib und – der Leib war nicht mehr da. Flink war die große Katze, der Knabe war flinker. Als sich die Fänge des Leoparden fast schon in ihn gruben, schnellte er zur Seite, und während Sheeta im Schwung über die Stelle hinausschoß, raste Tarzan nach dem Sicherheit bietenden nächsten Baum.

Der Leopard fing sich sofort, wendete und flog, das Seil des Jungen auf dem Boden nach sich schleppend, hinter seiner Beute her. Als Sheeta im Bogen hinter Tarzan hersprang, mußte er einen kleinen Busch herum. Für ein Dschungeltier von Sheetas Größe und Gewicht war das soviel wie kein Hindernis – wenn kein mitgeschlepptes Seil im Wege war. Aber Sheeta hatte das Seil als Hindernis, und als er wieder dem Affentarzan nachsprang, schlang sich die Leine um den kleinen Busch, verwickelte sich darin und nötigte den Leoparden zu einem ruckweisen Halten. Einen Augenblick später befand sich Tarzan auf den höheren Zweigen eines Baumes, auf die ihm Sheeta nicht folgen konnte, in Sicherheit.

Dort saß er und schleuderte Zweige und Schimpfworte auf das unten rasende Katzentier. Nun nahmen auch die übrigen Glieder der Horde die Beschießung auf und warfen an harten Früchten und dürren Zweigen hinab, was sie finden konnten, bis Sheeta in seiner Raserei wie toll nach dem Grasseil biß und so schließlich seine Fessel zertrennte. Eine Zeitlang starrte der Leopard noch von einem seiner Quäler zum anderen, bis er mit einem letzten Wutschrei im Urwalddickicht verschwand.

Eine halbe Stunde später war wieder der ganze Stamm unten auf dem Boden bei der Nahrungssuche, als ob nichts die dumpfe Eintönigkeit des Lebens unterbrochen hätte. Tarzan hatte den größten Teil seines Seiles wiedergefunden und brachte eifrig eine neue Schlinge an, während Teeka dicht neben ihm hockte als offensichtliches Anzeichen, daß sie ihre Wahl getroffen hatte.

Taug sah die beiden mürrisch an. Einmal kam er näher, da fletschte Teeka ihre Zähne und knurrte ihn an und Tarzan zeigte mit bösartigem Schnarren seine Fangzähne. Aber Taug suchte keinen neuen Streit. Nach der Gewohnheit seiner Artgenossen nahm er augenscheinlich die Entscheidung des Weibchens als Hinweis, daß er im Kampf um ihre Gunst besiegt worden war.

Spät am Tage hatte Tarzan sein Wurfseil ausgebessert und nahm seinen Weg durch die Bäume, um zu jagen. Mehr als seine Gefährten trug er Verlangen nach Fleisch, und während sie mit Früchten, Kräutern und Kerbtieren zufrieden waren, die sie ohne besondere Mühe finden konnten, verbrachte Tarzan den größten Teil seiner Zeit auf der Jagd nach Wild, dessen Fleisch allein den Ansprüchen seines Magens genügte, und den mächtigen Muskeln, die sich jeden Tag stärker unter seiner glatten, braunen Haut entwickelten, Nahrung und Kraft lieferte.

Taug sah ihn aufbrechen und kam ganz zufällig auf der Nahrungssuche immer mehr in Teekas Nähe. Als er nur noch einige Fuß von ihr entfernt war und nach ihr hinüberschielte, sah er, daß sie keinerlei Ärger zeigte und seine Annäherung anscheinend billigte.

Taug warf sich in die breite Brust und stolzierte auf seinen kurzen Beinen umher, wobei er aus seiner Kehle merkwürdige, knurrende Geräusche hervorholte. Jetzt hob er die Lippen und bleckte die Zähne. Nein, was für große, wunderschöne Fangzähne er hatte! Teeka mußte das wirklich feststellen. Dann ließ sie ihre Augen voll Bewunderung auf Taugs mächtigen Brauen und seinem kurzen, starken Nacken ruhen. Was für ein Prachtgeschöpf er doch war!

Durch die unverhehlte Bewunderung in ihren Augen fühlte sich Taug geschmeichelt und begann so stolz und eitel wie ein Pfau herumzustolzieren. Dann zählte er für sich seinen Bestand an Vorzügen auf und bald verglich er sie mit denen seines Nebenbuhlers.

Taug grunzte: da war nichts zu vergleichen! Wie konnte man sein schönes Fell mit der glatten, nackten Scheußlichkeit von Tarzans haarloser Haut vergleichen? Wer konnte an des Tarmangani spitzer Nase etwas Schönes finden, wenn er Taugs breite Nüstern gesehen hatte? Und erst Tarzans Augen! Häßliche Dinger, die das Weiße sehen ließen und kein Spürchen roten Rand hatten! Taug wußte, wie schön seine eigenen blutunterlaufenen Augen waren, denn er hatte sie oft schon in der glatten Oberfläche eines tränkenden Wassertümpels spiegeln sehen.

Der Affe schlich näher an Teeka und drückte sich schließlich eng an ihre Seite. Als Tarzan bald danach von seiner Jagd zurückkam, sah er, wie Teeka seinem Rivalen zufrieden den Rücken kratzte.

Tarzan war empört. Weder Taug noch Teeka sahen es, als er aus den Bäumen auf die Waldwiese herauskam. Er schaute ihnen einen Augenblick zu, dann wendete er sich mit einer jammervollen Grimasse ab und verschwand wieder in dem Gewirr belaubter Zweige und Moosgirlanden, aus denen er aufgetaucht war.

Tarzan wünschte sich von der Ursache seines Herzeleides so weit fort wie möglich. Er litt die ersten Stiche verschmähter Liebe und wußte nicht einmal ganz genau, was eigentlich mit ihm los war. Er glaubte erst, es sei Ärger über Taug, aber dann verstand er nicht, warum er davongelaufen war, statt sich zum tödlichen Kampfe auf den Zerstörer seines Glücks zu stürzen.

Dann dachte er wieder, es sei wohl Ärger über Teeka, aber die Vorstellung ihrer vielen Schönheiten verfolgte ihn, so daß sie ihm wieder nur im Lichte der Liebe als das begehrenswerteste Ding auf der Welt erschien.

Dem Affenknaben fehlte Zuneigung. Von seiner Kindheit bis zur Zeit ihres Todes, als Kulongas vergifteter Pfeil ihr wildes Herz durchbohrte, war Kala für den englischen Knaben die einzige gewesen, für die er Anhänglichkeit empfinden konnte.

Kala hatte ihren angenommenen Sohn in ihrer wilden, rauhen Art geliebt und Tarzan hatte diese Liebe erwidert, obgleich die äußerlichen Zeichen davon nicht größer waren, als man es auch von jedem anderen Dschungeltier erwarten konnte.

Erst als er ihrer beraubt war, wußte der Junge, wie innig er an seiner Mutter, denn dafür hielt er sie, gehangen hatte.

In Teeka hatte er in den letzten paar Stunden einen Ersatz für Kala gesehen – etwas, für das er kämpfen, für das er jagen konnte – etwas, das er liebkosen konnte! Nun war sein Traum zerbrochen. Irgend etwas in der Brust tat ihm weh. Er legte die Hand auf das Herz und fragte sich verwundert, was ihm denn geschehen war. Ganz unbestimmt fühlte er, daß er seinen Schmerz Teeka zuzuschreiben habe. Je mehr er daran dachte, wie er zuletzt Teekas Liebkosung für Taug gesehen, desto weher tat ihm das Ding in der Brust.

Tarzan schüttelte den Kopf und brummte. Immer weiter durch die Dschungel schwang er sich, und je weiter er zog und je mehr er über das erlittene Unrecht nachdachte, desto näher war er daran, unwiderruflich ein Weiberfeind zu werden.

Volle zwei Tage später jagte er immer noch allein – recht mürrisch und recht unglücklich; er war entschlossen, nie wieder zur Horde zurückzukehren. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, Taug und Teeka stets beieinander sehen zu müssen. Als er sich gerade auf einen großen Ast schwang, schritten Numa, der Löwe, und Gabor, die Löwin, unter ihm durch. Seite an Seite gingen sie und Gabor lehnte sich an den Löwen und biß ihn im Spiel in die Wange. Es war eine halbe Zärtlichkeit. Tarzan seufzte und schleuderte ihnen eine Nuß nach.

Nachher stieß er auf mehrere von Mbongas schwarzen Kriegern. Er wollte schon einem, der sich etwas von den anderen entfernt hatte, seine Schlinge um den Hals werfen, als ihn der Gegenstand anzog, mit dem sich die Schwarzen beschäftigten. Sie bauten auf der Wildfährte einen Käfig, und bedeckten ihn mit belaubten Zweigen. Als sie ihr Werk beendet hatten, war der Bau kaum noch zu sehen.

Tarzan wunderte sich, wozu das Ding dienen sollte, und warum seine Erbauer nach der Fertigstellung wieder den Wildpfad hinab nach ihrem Dorfe zurückgingen.

Es war einige Zeit her, seit Tarzan die Schwarzen besucht und sich aus der Deckung des großen Baumes über der Pallisade die Beschäftigungen seiner Feinde, deren einer Kala ermordete, wieder angesehen hatte.

Obgleich er sie haßte, verschaffte es ihm doch viele Unterhaltung, ihr tägliches Leben im Dorfe, besonders bei den Tänzen, zu belauschen, wenn der Feuerschein auf den nackten Körpern spielte, die im Getümmel des Scheinkampfs sprangen und sich bogen und drehten. Wohl in der Hoffnung, etwas Derartiges zu sehen zu bekommen, folgte er ihnen bis zum Dorfe, aber er war enttäuscht. Diese Nacht fand kein Tanz statt.

Dafür sah Tarzan aus seinem sicheren Baumversteck, wie kleine Gruppen, um Feuerchen hockend, die Tagesereignisse besprachen, während er in den dunkleren Ecken des Dorfes einzelne Paare erspähte, die miteinander lachten und schwatzten. Und immer war einer von dem Paare ein junger Mann und das andere ein junges Weib.

Tarzan neigte den Kopf auf die Seite und überlegte. Ehe er in dieser Nacht in einer Astgabel des großen Baumes am Dorfe einschlief, erfüllte ihn der Gedanke an Teeka und nachher träumte er von ihr – von ihr und den jungen Schwarzen, die mit den jungen Negermädchen lachten und scherzten.

Taug hatte sich beim Alleinjagen etwas von dem übrigen Stamm entfernt. Er strich langsam eine Elefantenfährte entlang, als er entdeckte, daß sie an einer Stelle von Pflanzen verwachsen war. Nun war der erwachsene Taug ein übellauniges, ungeduldiges Tier geworden. Wenn ihn etwas hinderte, dachte er nur daran, das Hindernis durch rohe Kraft und Wildheit zu beseitigen. Als er daher jetzt den Weg versperrt sah, riß er ärgerlich an dem Vorhang aus Zweigen, fand sich alsbald in einem wunderlichen Raum und fand weiter, daß der Durchgang versperrt war und daß er trotz heftigster Anstrengung nicht durchbrechen konnte.

Taug biß und schlug nach dem Gitter und geriet zuletzt in eine fürchterliche Wut, aber es nützte ihm alles nichts; schließlich sah er ein, daß er umkehren mußte. Aber als er es tun wollte, fand er zu seinem Grimm, daß ein anderes Gitter hinter ihm herabgefallen war, während er das vordere hatte niederbrechen wollen! Taug saß in der Falle. Er kämpfte verzweifelt bis zur völligen Erschöpfung um seine Freiheit, aber es war ganz vergeblich.

Am Morgen rückte aus Mbongas Dorf eine Abteilung Schwarzer nach der tags zuvor gebauten Falle ab, während ein nackter junger Riese, von der Neugierde der wilden Geschöpfe erfüllt, in den Zweigen über ihnen schwebte. Manu, das Äffchen, schnatterte und schalt, als Tarzan vorbeikam und obgleich er die wohlbekannte Gestalt des Affenjungen nicht fürchtete, zog er doch den kleinen braunen Körper seiner Lebensgefährtin enger an sich. Tarzan lachte, als er das sah, aber nach dem Lachen zog eine Wolke über sein Gesicht und er seufzte tief.

Ein paar Schritte weiter stolzierte ein Vogel in buntem Prachtgefieder vor den bewundernden Augen seines dunkelfarbigen Weibchens umher. Es kam Tarzan vor, als ob sich alles in der Dschungel vereinigt hätte, um ihn an Teekas Verlust zu erinnern; sonst hatte er diese Dinge jeden Tag gesehen und sich nichts dabei gedacht

Als die Schwarzen die Falle erreichten, machte Taug einen mächtigen Aufruhr. Er packte die Stangen seines Gefängnisses und schüttelte sie wahnsinnig, während er ohne Aufhören brüllte oder schrecklich knurrte. Die Schwarzen waren ganz übermütig vor Freude, denn obgleich sie ihre Falle nicht für diesen haarigen Baummann gebaut hatten, waren sie doch entzückt über ihren Fang.

Tarzan spitzte die Ohren. Als er die Stimme eines großen Affen hörte, schlug er rasch einen Bogen, bis er unter Wind der Falle war und suchte in der Luft nach der Witterung des Gefangenen. Nach kurzer Frist drang in seine feine Nase ein vertrauter Geruch, der ihm so untrüglich, als es seine Augen gekonnt hätten. Taug als den Gefangenen angab. Jawohl, Taug war es und zwar allein.

Tarzan lachte und näherte sich, um festzustellen, was die Schwarzen mit ihrem Gefangenen vorhatten. Ohne Zweifel würden sie ihn sofort töten. Wieder freute sich Tarzan. Jetzt hatte er Teeka für sich und keiner würde sie ihm mehr streitig machen können. Er beobachtete noch, wie die Schwarzen die Zweige vom Käfig nahmen, Seile anbrachten und den Käfig nach dem Dorfe zu die Wildfährte hinabschleiften.

Tarzan wartete, bis sein Nebenbuhler außer Sicht kam, der immer an den Gitterstäben rüttelte und seinen Zorn und seine Drohungen durch Knurren kundgab. Dann wandte sich der Affenjunge und machte sich rasch auf die Suche nach der Horde und nach Teeka.

Unterwegs überraschte er Sheeta und seine Familie auf einer kleinen, halbverwachsenen Lichtung. Das große Männchen lag ausgestreckt auf dem Boden, während das Weibchen seinem Herrn eine Tatze über das wilde Gesicht legte und ihm den weichen, weißen Pelz am Hals beleckte.

Tarzan vergrößerte seine Geschwindigkeit bis er fast durch den Wald flog und traf bald auf die Horde. Er hatte sie längst erspäht, ehe sie ihn erblickten, denn von allen Dschungelgeschöpfen kam keines leiser als Affentarzan. Er sah Kamma mit ihrem Gefährten Seite an Seite, wie sie die behaarten Körper aneinanderrieben. Aber er sah Teeka allein Futter suchen. Sie sollte nicht lange allein suchen, dachte Tarzan, als er mit einem Satze mitten unter ihnen erschien.

Es gab ein entsetztes Rennen, und ein Chor ärgerlicher und erschreckter Knurrstimmen ertönte, denn Tarzan hatte sie überrascht. Aber es mußte mehr als nur ein nervöses Erschrecken dabei sein, sonst war nicht zu erklären, warum das Haar der Affen noch gesträubt blieb, trotzdem sie schon lange die Person des Ankömmlings festgestellt hatten.

Tarzan fand wieder, wie schon so oft, daß immer sein plötzliches Erscheinen unter ihnen sie für lange Zeit völlig aus der Fassung brachte und daß sie sich erst beruhigten, wenn sie ihn samt und sonders ein halbes dutzendmal oder öfter berochen hatten.

Er drängte sich zwischen ihnen durch und ging auf Teeka zu; aber als er näherkam, wich die Äffin zurück.

Teeka, sagte er, ich bin Tarzan. Du gehörst Tarzan. Ich bin deinetwegen gekommen.

Die Äffin kam näher und besah ihn sorgfältig. Endlich beroch sie ihn, wie um ganz sicher zu gehen.

Wo ist Taug? fragte sie.

Die Gomangani haben ihn, erwiderte Tarzan. Sie werden ihn töten.

Tarzan sah in den Augen des Weibchens einen Ausdruck von Verstehen und einen traurigen Blick, als er ihr Taugs Schicksal mitteilte; aber sie kam ganz nahe heran und schmiegte sich an ihn und Tarzan, Lord Greystoke, legte seinen Arm um sie. Da fuhr er auf, denn er bemerkte die merkwürdige Unstimmigkeit seines glatten, braunen Armes neben dem schwarzen, behaarten Fell seiner Angebeteten. Er dachte an die Pfote von Sheetas Weibchen über Sheetas Gesicht – da war keine Unstimmigkeit. Er dachte, wie der kleine Manu sein Weibchen an sich drückte und wie eines zu dem anderen zu gehören schien. Selbst das stolze Männchen der Vögel mit seinem hübschen Gefieder trug eine gewisse Ähnlichkeit mit seiner ruhiger getönten Gefährtin zur Schau. Auch Numa, der Löwe, war, wenn man seine zottige Mähne wegließ, das Gegenstück zur Löwin Gabor. Zwischen Männchen und Weibchen bestanden wohl Unterschiede, aber nicht so große, wie zwischen Tarzan und Teeka.

Tarzan war verwirrt. Irgend etwas stimmte nicht. Sein Arm rutschte von Teekas Schulter. Ganz langsam wich er vor ihr zurück. Sie blickte ihm mit schräg gehaltenem Kopfe nach. Tarzan erhob sich zu seiner vollen Größe und schlug mit den Fäusten auf seine Brust. Er hob den Kopf zum Himmel, öffnete den Mund und stieß aus der Tiefe der Lungen den wilden, unheimlichen Kampfruf des siegreichen Affenbullen hervor. Der Stamm besah ihn mit neugierigen Augen. Er hatte doch nichts erlegt und ein Gegner war auch nicht da, um sich durch den wilden Schrei zur Kampftollheit anzustacheln! Nein, es gab wirklich keine Entschuldigung für diese Störung, sie hielten daher stets ein Auge auf den Affenmenschen gerichtet für den Fall, daß sein Schrei die Vorbereitung zum Amoklaufen war.

Sie beobachteten noch, wie er sich auf einen nahen Baum schwang und aus dem Gesichtskreis verschwand. Dann vergaßen ihn alle wieder; auch Teeka.

Mbongas schwarze Krieger kamen nur langsam dem Dorfe näher, denn sie schwitzten sehr bei ihrer anstrengenden Arbeit und mußten oft ausruhen. Jedesmal, wenn sie den Käfig bewegten, knurrte und brüllte das wilde Tier in dem rohgebauten Käfig und trommelte an den Stäben. Es war ein fürchterlicher Lärm.

Die Schwarzen hatten ihren Weg fast beendet und ruhten zum letzten Male aus, ehe sie die Lichtung erreichten, auf welcher ihr Dorf lag. Ein paar weitere Minuten würden sie aus dem Walde gebracht haben, und dann würde wahrscheinlich das, was nun kam, nicht eingetreten sein. Eine schweigende Gestalt huschte über ihnen durch die Bäume. Scharfe Augen prüften den Käfig und zählten die Krieger. Ein erfindsames und wagehalsiges Gehirn erwog die Möglichkeit. des Erfolges, wenn ein gewisser Plan nötig wurde.

Tarzan beobachtete, wie die Schwarzen im Schatten ruhten. Sie waren erschöpft. Einige schliefen bereits. Er kroch näher, hielt schon über ihnen. Kein Blättchen raschelte bei seinem behutsamen Vorrücken. Mit der unerschöpflichen Geduld des Raubtiers wartete er. Jetzt waren nur noch zwei Krieger wach und einer der beiden war bereits schlaftrunken. Affentarzan zog sich zum Angriff zusammen, als der nicht eingeschlafene Schwarze aufstand und um den Käfig herumging. Der Junge blieb über seinem Kopf. Taug folgte dem Krieger mit den Augen und knurrte laut, so daß Tarzan fürchtete, der Menschenaffe werde die Schlafenden wecken.

In einem den Ohren des Negers unhörbaren Flüstern nannte Tarzan Taug beim Namen, empfahl ihm Schweigen, und Taugs Knurren verstummte.

Der Schwarze ging an die Rückseite des Käfigs, um die Befestigung zu prüfen, und als er dort stand, stürzte sich der Affenmensch über ihm vom Baume gerade auf seinen Nacken. Stählerne Finger umklammerten seinen Hals, den Schrei erstickend, der sich über die Lippen des erschrockenen Mannes ringen wollte, starke Zähne gruben sich in seine Schulter und kraftvolle Beine wanden sich um seinen Rumpf.

Der vor Angst wahnsinnige Schwarze suchte das stille, auf seinem Rücken hängende Etwas loszuwerden. Er warf sich auf den Boden und überkollerte sich, aber die mächtigen Finger nahmen ihren Griff immer enger und fester. Der Mann riß den Mund weit auf, die geschwollene Zunge drückte sich vor, die Augen traten aus den Höhlen, aber die erbarmungslosen Finger verstärkten ihren Druck noch.

Taug war schweigsamer Zeuge des Ringens. In seinem wilden, kleinen Hirn fragte er sich zweifellos, was Tarzan bewegen mochte, den Schwarzen anzugreifen. Taug hatte weder den Kampf jüngst mit dem Menschenjungen, noch den Grund dazu vergessen. Plötzlich sah er die Gestalt des Gomangani nachgeben. Ein krampfhaftes Zucken noch und der Mann lag still. Tarzan sprang von seinem Opfer auf und lief an die Türe des Käfigs. Mit seinen geschickten Fingern löste er die Riemen, welche die Tür an ihrem Platze hielten. Taug konnte nur zusehen, helfen konnte er nicht. Gleich darauf stieß Tarzan das Ding ein paar Fuß hoch und Taug kroch heraus. Der Affe wollte sich sofort auf die schlafenden Schwarzen stürzen, um sein Mütchen an ihnen zu kühlen, aber Tarzan duldete es nicht. Statt dessen zog der Affenknabe den bewußtlosen Schwarzen in den Käfig und lehnte ihn gegen das Seitengitter. Dann ließ er die Türe wieder herunter und befestigte die Riemen, wie sie gewesen waren.

Ein vergnügtes Lächeln erhellte seine Züge bei dieser Beschäftigung, denn eine seiner Lieblingsunterhaltungen war es, die Schwarzen in Mbongas Dorf zu plagen. Er stellte sich ihren Schrecken vor, wenn sie beim Erwachen ihren toten Kameraden statt des ein paar Minuten vorher darin gewesenen Menschenaffen im Käfig eingeschlossen fanden.

Taug und Tarzan schwangen sich in die Bäume, das zottige Fell des wilden Affen streifte die glatte Haut des englischen Lordsohnes, als sie zusammen durch den Urwald zogen.

Geh zu Teeka zurück, sagte Tarzan. Sie gehört dir. Tarzan braucht sie nicht.

Hat Tarzan ein anderes Weibchen gefunden? fragte Taug.

Der Junge zuckte die Schultern. Die Gomangani nehmen eine andere Gomangani, Numa der Löwe hat die Löwin Gabor; Sheeta hat ein Weibchen von seiner Art, so hat es Bara, der Hirsch, und Manu, das Äffchen. Alle Tiere und Vögel der Dschungel finden eine Gefährtin. Nur für Affentarzan gibt es keine. Taug ist ein Affe. Teeka ist eine Äffin. Geh du zurück zu Teeka. Tarzan ist ein Mensch. Er muß allein bleiben.

Tarzan gefangen

Die schwarzen Krieger arbeiteten in der feuchten Hitze mühsam unter den erstickenden Schatten der Dschungel. Mit den Speeren lockerten sie den festen dunklen Lehm und die tiefe Lage vermoderter Pflanzen. Mit ihren Fingernägeln kratzten sie die zerkleinerte Erde aus der Mitte der uralten Wildfährte. Oft hielten sie in der Arbeit an, hockten sich auf den Rand der Grube, die sie anlegten, ruhten sich aus, lachten und schwatzten. Während sie mit ihren Speeren gruben, lehnten ihre langen ovalen Schilde aus dicker Büffelhaut an den nahen Baumstämmen. Ihre glatte, schwarze Haut, unter der sich die schönen, vollen Muskeln in der runden Form vollster Gesundheit strafften, glänzte vom Schweiß.

Eine Riedantilope zog vorsichtig auf dem Wege zur Wasserstelle die Fährte entlang, als ihr das Gelächter zu Gehör kam. Sie stand einen Augenblick bis auf die witternden Nüstern bewegungslos, dann wendete sie sich und floh geräuschlos aus der schrecklichen Nähe des Menschen.

Hundert Schritte davon entfernt im Dickicht der undurchdringlichen Dschungel hob der Löwe Numa seinen massigen Kopf. Numa hatte heute fast bis zum Tagesanbruch gefressen, so daß er erst durch den großen Lärm geweckt wurde. Jetzt hob er die Schnauze, zog die Luft ein und fing die scharfe Witterung des Riedbocks und die dumpfe des Menschen auf. Aber Numa war wohl gesättigt. Mit einem leisen, unzufriedenen Grunzen erhob er sich und schlich davon.

Buntgefiederte Vögel mit heiseren Stimmen schossen von Baum zu Baum. Kleine Affen schwangen sich schnatternd und scheltend über den schwarzen Kriegern durch die schwanken Zweige. Und doch fühlten sich diese allein, denn die gleich den Straßen einer Großstadt von Myriaden Lebewesen wimmelnde Dschungel wirkt auf jeden wie der einsamste Flecken auf Gottes großer Welt.

Aber waren sie wirklich allein?

Über ihnen wiegte sich ein grauäugiger Jüngling auf einem dichtbelaubten Ast und bewachte mit reger Aufmerksamkeit jede ihrer Bewegungen. Das zurückgehaltene Feuer des Hasses glomm unter des Jungen offenbarem Wunsch, herauszufinden, welchen Zweck die Arbeit der Schwarzen hatte. Einer so wie diese da hatte seine geliebte Kala getötet. Er konnte nur bittere Feindschaft für sie hegen, aber er belauschte sie gerne, weil er begierig war, das Benehmen der Menschen besser kennen zu lernen.

Er sah die Grube tiefer werden, bis ein großes Loch von der Breite der Fährte gähnte – ein Loch, groß genug, um alle sechs Schwarzen zusammen in sich aufzunehmen. Tarzan konnte sich den Zweck einer solchen Riesenarbeit nicht vorstellen. Als sie lange Stangen schnitten, am oberen Ende zuspitzten und in Abständen senkrecht in den Boden der Grube setzten, stieg sein Erstaunen. Und als sie dann schwache Querstäbe darüber legten und mit einer sorgfältig angebrachten Lage aus Blättern und Erde ihr Werk jedem Blick verdeckten, wurde er nicht klüger daraus.

Als die Schwarzen fertig waren, betrachteten sie ihr Werk mit Zeichen vollster Zufriedenheit und Tarzan betrachtete es gleichfalls so. Selbst für sein geübtes Auge blieb kaum eine Spur davon, daß die alte Wildfährte in irgendeiner Weise angerührt worden war.

Der Affenmensch war so sehr in seine Mutmaßungen über den Zweck der überdeckten Grube vertieft, daß er die Schwarzen nach ihrem Dorfe ohne die übliche Hetze entkommen ließ, die ihn zum Schrecken von Mbongas Stamm gemacht hatte und für ihn gleichzeitig ein Mittel zur Rache und eine unerschöpfliche Quelle der Unterhaltung darstellte.

Aber wie sehr er sich auch den Kopf zerbrach, er konnte das Rätsel der verdeckten Grube nicht lösen, denn die Sitten der Schwarzen waren für Tarzan immer noch etwas Unbekanntes. Sie waren erst vor kurzem in die Dschungel eingewandert – die ersten ihrer Gattung, um den Tieren dort ihre uralte Vorherrschaft aufzudrängen. Für den Löwen Numa, für Tantor, den Elefanten, für die großen und die kleinen Affen, für all und jeden der Myriaden Geschöpfe dieser rauhen Wildnis waren die Mittel und Wege des Menschen neu. Sie mußten noch vieles lernen, was diese schwarzen, haarlosen Geschöpfe betraf, die aufrecht auf den Hinterpfoten gingen – und sie lernten langsam und immer zu ihrem größten Kummer.

Bald nach dem Abzug der Schwarzen schwang sich Tarzan auf die Fährte hinab. Vorsichtig witternd umkreiste er die Ränder der Falle. Er hockte sich hin und kratzte das Ende eines Querträgers frei. Dann beroch er ihn, berührte ihn, legte den Kopf auf die Seite und beschaute ihn ernst ein paar Minuten lang. Schließlich brachte er die Stelle wieder sauber in Ordnung, schwang sich hinauf in die Zweige und machte sich auf die Suche nach seinen behaarten Gefährten, den großen Affen von Kerschaks Horde.

Als ihm dabei der Löwe Numa über den Weg lief, hielt er einen Augenblick an, warf seinem Feind eine weiche Frucht in das knurrende Gesicht und schimpfte ihn Aasfresser und Bruder der Hyäne Dango. Numa starrte mit seinen feurigen, runden, gelbgrünen Augen voll tiefem Haß auf die tanzende Gestalt oben. Seine dicken Backen zitterten unter leisem Knurren und die Wut setzte seinen geschmeidigen Schweif in scharfe peitschende Bewegung. Aber aus alter Erfahrung wußte er, wie zwecklos es war, mit dem Affenmenschen auf weite Entfernung zu verhandeln, deswegen schlug er sich alsbald seitwärts in die Büsche, die ihn den Blicken seines Quälgeistes entzogen.

Tarzan schnitt seinem abziehenden Feinde eine affenartige Grimasse und schrie ihm eine letzte Dschungelbeleidigung nach, ehe er seinen Weg fortsetzte.

Eine Meile weiter trug ihm ein Windhauch einen scharfen vertrauten Geruch ganz aus der Nähe in die Nase und gleich darauf sah er unter sich ein ungeheures grauschwarzes Ungetüm geradewegs durch die Dschungel sich Bahn brechen. Tarzan griff neben sich und knickte einen kleinen Zweig und schon machte der wuchtige Körper bei dem plötzlichen Knacken Halt. Große Ohren klappten nach vorne und ein langer, weicher Rüssel hob sich, um rasch auf der Suche nach feindlicher Witterung hin- und herzuschwanken, während zwei schwachsichtige, kleine Augen argwöhnisch aber erfolglos nach dem Urheber des Geräusches spähten, das seinen friedlichen Weg gestört hatte.

Tarzan lachte laut und kam dicht über den Kopf des Dickhäuters.

Tantor! Tantor! schrie er. Bara, der Hirsch, ist nicht so ängstlich wie du – du, Tantor, der Elefant, der größte von allem Dschungelvolk. Du, mit der Stärke von ebensoviel Numas als ich Finger und Zehen habe! Tantor, der die größten Bäume ausreißen kann, du zitterst vor Angst, wenn ein kleiner Zweig knackt!