Tatort Alpen - Michael Gerwien - E-Book

Tatort Alpen E-Book

Michael Gerwien

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Beschreibung

Sammelband: Drei Alpen-Krimis in einem Band. »Alpendöner« von Willibald Spatz: Birne, Anfang 30, steht vor einem Neuanfang. Nachdem es zuletzt weder beruflich noch in der Liebe gut lief, sucht er im Allgäu sein Glück. In Kempten findet er einen Job als Redakteur bei einem kleinen Verlag, der Wanderführer veröffentlicht. Gerade hat sich Birne ein wenig häuslich eingerichtet, als seine Nachbarin, die alte Frau Zulauf, blutüberströmt aufgefunden wird. Mord inmitten beschaulicher Alpenidylle - so hatte Birne sich den Start in seiner neuen Heimat nun wirklich nicht vorgestellt … »Alpengrollen« von Michael Gerwien: Kitzbühel zur Faschingszeit. Der Münchner Exkommissar Max Raintaler freut sich auf einen erholsamen Skiurlaub und darauf, das berühmte Hahnenkammrennen endlich einmal live zu erleben. Doch ein Anschlag auf die Rennstrecke durchkreuzt seine Pläne. Hatten etwa Terroristen ihre Finger im Spiel? Und dann ist da noch die tote Russin, die am Fuße der Streif im Schnee gefunden wird. Zusammen mit Alois, einem ebenso gemütlichen wie trinkfesten Kitzbüheler Gendarm, beginnt Max zu ermitteln … »Der Watzmann und der Tod« von Frauke Schuster: In einer abgebrannten Scheune macht die Polizei eine schreckliche Entdeckung. Handelt es sich um eine aus den Fugen geratene Zündelei oder steckt mehr dahinter? Der Journalist Paul Leonberger beginnt zu ermitteln und hat bald das unheimliche Gefühl, dass jeder seiner Schritte beobachtet wird. Als er in den Bergen nur knapp einem Anschlag auf sein Leben entgeht, begreift er, dass jemand dem Täter Informationen liefern muss. Unerwartete Unterstützung findet Paul bei der wortkargen Rangerin Tessa, die auf einer abgelegenen Alm lebt.

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Willibald Spatz / Michael Gerwien / Frauke Schuster

Tatort Alpen

Alpendöner / Alpengrollen / Der Watzmann und der Tod

Impressum

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Produktion: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: Julia Franze unter Verwendung von: © nevodka – istockphoto.com (Gesamttitel); Alpendöner: © FooTToo – istockphoto.com; Alpengrollen: © ilcsab – pixabay.com; Der Watzmann und der Tod: © mRGB – stock.adobe.com

Alpendöner

Copyright der Originalausgabe © 2009 by Gmeiner-Verlag GmbH

Alpengrollen

Copyright der Originalausgabe © 2011 by Gmeiner-Verlag GmbH

Der Watzmann und der Tod

Copyright der Originalausgabe © 2018 by Gmeiner-Verlag GmbH

ISBN 978-3-7349-9486-9

Inhalt

Impressum

Willibald Spatz: Alpendöner

Zum Buch

Widmung

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Michael Gerwien: Alpengrollen

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Frauke Schuster: Der Watzmann und der Tod

Zum Buch

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3 

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12 

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Epilog

Quellen

Anmerkungen

Danksagung

Willibald Spatz: Alpendöner

 

Zum Buch

Birne, Anfang 30, steht vor einem Neuanfang. Nachdem es zuletzt weder beruflich noch in der Liebe gut lief, sucht er im Allgäu sein Glück. In Kempten findet er einen Job als Redakteur bei einem kleinen Verlag, der Wanderführer veröffentlicht. Gerade hat sich Birne ein wenig häuslich eingerichtet, als seine Nachbarin, die alte Frau Zulauf, blutüberströmt aufgefunden wird. Mord inmitten beschaulicher Alpenidylle – so hatte Birne sich den Start in seiner neuen Heimat nun wirklich nicht vorgestellt …

Willibald Spatz, Jahrgang 1977, hat in Würzburg Biologie und in München Kulturkritik studiert. Er lebt in der Nähe seiner Heimatstadt Augsburg und schreibt als freier Autor unter anderem für das Internet-Portal nachtkritik.de.

Widmung

Für Elisa, Laura, Willibald, Georg und Jonathan

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Es war Blut. Er schmeckte Blut. Es war seines. Das tat weh. Aber sie hatten ihn gewarnt. Er erhielt die ihm zugemessene Abreibung. Er hatte ihnen nicht geglaubt, und jetzt traf ihn eine Stange am Kopf und wäre dieser jetzt verletzt, dachte er sich, könnte er das alles nicht denken.

Die Bewusstlosigkeit umgab ihn wie ein rettender Mantel, und er ließ sich in seine Arme fallen, nun hatte er den ersten Anstieg hinter sich, nun konnte er sich tragen lassen von ihm, bis zum Erwachen, wo das eigentliche Grauen erst auf ihn wartete. Solange hatte er Ruhe.

1. Tag

Man konnte nicht behaupten, dass er viel verlangte; streng genommen konnte man sogar behaupten, dass er überhaupt nichts mehr verlangte vom Leben. Abgesehen vom Funktionieren einiger Alltagsdinge. Den Frieden mit ihnen zu finden, wenn das schon mit den Mitmenschen nicht gelang. Letztere sollten ihn in Ruhe lassen, anstatt ihm die Zeitung aus dem Briefkasten zu klauen.

Es war einer seiner ersten Morgen hier am Fuß der Berge, und er wünschte sich aufrichtig, dass es nicht ein Morgen sein sollte, an dem alles anfing – sein Leben, sein neues, diese frisch gefundene Ungemütlichkeit, die er eben eingetauscht hatte. Er hatte seinen Wecker gestellt, etwas früher, als es hätte sein müssen, um einen Blick in seine Zeitung, das Wesentlichste, das er aus der großen Stadt hierher mitgenommen hatte, zu werfen. Und jetzt war sie ihm geklaut worden und sein Anfang hier, sein erster Bewährungsmorgen, damit versaut. Der Morgen, die Stadt – sie hatten sich zu bewähren wie er selbst und hatten schon versagt, doch anstatt zu fühlen, wie Druck von ihm wich, weil er jetzt weniger zu verlieren hatte, fluchte er auf diesen Tag und sein Leben, auf sein neues wie auf sein altes, das sich entschlossen hatte, dermaßen zu verkommen, dass er dieses neue hatte wählen müssen.

Das Messer fiel ihm das dritte Mal aus der Hand, fiel auf den Boden. Dieses dritte Mal, dachte Birne sich jetzt, anstatt zu fluchen, denn das hätte das Messer auch nicht wieder sauber gemacht, dieses dritte Mal wäre das Messer nicht auf den Boden gefallen, hätte ich nicht den Wecker früher gestellt wegen meiner Zeitung, die ich jetzt nicht lese. Genau diesen Frieden meinte er mit den Dingen, dass sie ihm nicht das dritte Mal aus der Hand fielen, weil er den Wecker früher gestellt hatte, und genau diese Ruhe meinte er, die seine Mitmenschen hätten respektieren sollen.

Jetzt fluchte er. Laut, denn es konnte ihn niemand hören. Außer vielleicht einer Person in diesem Haus, die jetzt, nur weil sie den Wecker auf eine frühere Stunde eingestellt hatte als Birne, gerade die Zeitung las.

Birne musste zum ersten Mal ein bisschen schmunzeln beim Gedanken daran, dass er morgen seinen Wecker so stellen würde, dass ihm zwar das Messer womöglich ein viertes Mal entgleiten würde, aber er dafür Zeitung lesen konnte. Die Dinge und Feinde in diesem Haus würden so gegeneinander ausgespielt. Birne würde einen kleinen Triumph feiern, beim Rausgehen die Türschilder studieren und erste Verdächtigungen anstellen.

Birne zog sich an, fand beinahe ausschließlich nicht zusammenpassende Socken in seinem Schrank, hatte dann aber doch Glück, nahm sich für den frühen Abend vor, Ordnung zu schaffen in seiner Umgebung, überlegte kurz, ob er auf seinem Weg nach einem Zeitschriftenladen schauen sollte, beschloss aber, dass er diese Zeitung nun schon bezahlt und sich nicht auch noch strafen wollte, indem er sie noch mal kaufte und bis zum Schlafengehen sowieso keine Gelegenheit mehr finden würde, sie zu lesen.

Birne ging aus dem Haus und dachte bei sich, dass er eigentlich nicht so einer sei, aber aufgefallen war es ihm jetzt schon, dass von den Namen an den Türen keiner ein deutscher war bis auf einen im ersten Stock links. Dann fiel ihm auf, dass er sich diesen Morgen über Messer, geklaute Zeitungen, seine Unfähigkeit, mit Dingen zurechtzukommen und mit Menschen Frieden zu schließen, aufgeregt hatte. Dann dachte er sich, dass sein Umzug in die kleine Stadt Kempten ihm einen gewissen Kleingeist in die Seele gepflanzt hatte und dass er damit ja nun wirklich hatte rechnen können. Der Birne.

Die waren alle ganz nett zu ihm. Mit denen würde er schon auskommen. Er hatte 15 Minuten zu gehen, dann war er an seiner neuen Arbeitsstelle, einem kleinen Verlag für Wander- und Naturliteratur, angekommen. Das Wandern in der Natur hatte ihn schon immer ein bisschen interessiert, er war ein Naturmensch, würde sich selbst jedenfalls als solchen bezeichnen. Deswegen war er auf den Verlag aufmerksam geworden, auf deren Anzeige – nicht in seiner Zeitung übrigens oder leider. Die meisten Wanderführer veralteten schnell, waren lieblos und oberflächlich gestaltet, entweder von fußlahmen verhinderten Literaten oder von sportwahnsinnigen Analphabeten geschrieben. Das meiste nichts für Menschen wie ihn, die für beides was übrig hatten, das jedenfalls behaupten konnten, wenn jemand sie danach fragte in einer Situation, in der es darauf ankam. Das hatte Birne schon kapiert und richtig gelogen hatte er damit nicht, war nur in letzter Zeit weniger dazu gekommen, war auch in der Stadt München gewesen ohne Auto, denn grün angehaucht war er auch.

Es war ein kleiner Verlag, drei außer ihm und dem Chef und einer Praktikantin, die nicht da war, die ihren Chef begleiten durfte bei einer Verlagsreise. Mehr wurde nicht gesagt und Birne fragte nicht und machte auch keinen Witz darüber, obwohl ihm einer einfiel. Er wusste ja nicht, wie diese Nettigkeit aufzufassen war, ob es am Ende eine katholische war, und dann wär’s wahrscheinlich bald vorbei gewesen mit dieser Nettigkeit. Birne war schon auch katholisch, ausgesprochen sogar, mit den Katholiken, mit den Christen insgesamt kam er hervorragend aus, kannte sogar einige Namenstage, ohne in den Kalender zu schauen, achtete an entscheidenden Stellen aber auch sehr darauf, einen Witz zu vermeiden, selbst wenn er gepasst hätte.

Bei der Erwähnung der Praktikantin fiel ihm ein, dass er selbst gerade keine Frau hatte, dass das ein bisschen auch der Grund war, warum er überhaupt hier war, und dass er sich auf das Ende der Dienstreise freute.

Er bekam seinen Computer in einem eigenen Raum, er könne jederzeit fragen, beschied man ihm.

Werner war älter und hatte viel Bart, er war von hier, beinahe ein Original, sein Händedruck war demonstrativ kräftig, fast krampfhaft kräftig, und sein Hemd war grün und spannte sich stolz über einer Bierwampe. Birne mochte Bier, und Birne mochte Gemütlichkeit. Birne würde vielleicht ein Freund Werners werden, wenn Werner zwischendurch Sehnsucht danach haben würde, seine Frau daheim allein zu lassen und einen Abend zu entspannen. Werner redete nicht viel, nur das Nötigste, oder versuchte, auf Birne so zu wirken, als ob er ihn erst prüfen müsse, als ob er dem Jungen aus der Stadt erst einmal xenophob entgegentreten müsse, als ob sonst die Freundschaft nichts gelte, wenn sie gleich herzlich und, wenn man so will, amerikanisch geschlossen werde. Werner war einer der Drei, der erste, mit dem er zu tun hatte, der Älteste, der, den er fragen konnte, jederzeit. Birne dachte, also gut.

Die Zweite war eine Frau, und Birne mochte sie nicht gleich. Es war die Sigrid, und Birne merkte, dass sie für ihn ungern die Sigrid war, sich von ihm lieber zuerst mit Nachnamen und »Sie« hätte anreden lassen wollen, aber nachdem schon Werner gleich das »Du« angeboten hatte, musste sie mitziehen. Sie war jünger als Werner, vielleicht zehn Jahre, und damit um die Mitte 40. Birne dachte, nicht unbedingt glücklich mit all dem insgesamt, mit den rotblond gefärbten Haaren, die dünn wurden oder immer schon waren, dem türkisfarbenen Landhaus-Westchen, den weißen Stoffhosen, der randlosen Brille, dem aggressiv nach außen getragenen Kleinbürgertum.

Es war kurz nach 12.30 Uhr und Birne hatte gerade beschlossen, sich übers Internet über die Freizeitmöglichkeiten seiner neuen Heimat zu informieren. Die waren alle so sportlich hier, angeblich. Es gab ein Schwimmbad. Schwimmen wäre in Ordnung. Könnte man machen. Ist gesund. Und man kann sich herzeigen. Wäre eine Möglichkeit, dachte Birne kurz nach 12.30 Uhr.

Werner kam rein. »Hast du schon was gegessen?«

»Nein. Zum Frühstück.«

»Gehst mit, ich zeig dir eine Wirtschaft, da kostet es mittags nicht viel.«

Birne war ausgesprochen froh, mitgenommen zu werden.

Sigrid hatte keine Lust. »Sie holt sich aus dem Supermarkt einen Salat«, erklärte Werner voller Verachtung.

Der Dritte, Tim, hatte Zeit. Der Tag war schön, Sonne im Frühjahr. Tim hatte ein hellblaues Hemd an, sagte nicht viel und bekam kleine dunkle Flecken unter den Achseln. Werner redete, kommentierte fast jeden Baum am Rand des Gehsteigs ihres Wegs, und Tim lachte laut und verlegen. Birne fühlte sich ihm jetzt schon überlegen – seinen sauber gescheitelten dunkelbraunen Haaren und seiner randlosen Designerbrille, seiner dürren Gestalt. Sie hatten Birne gesagt, er könne sich an ihn wenden, wenn er Probleme mit dem System habe oder allgemein irgendetwas nicht stimme mit dem Computer. Birne hatte sich innerlich bedankt und sich gedacht, er hätte sich ohnehin an diesen gewandt bei so einem Problem. Zu etwas waren diese Gestalten doch gut.

Birne hatte Mitleid auf dem Weg mit Tim, wollte ihn nicht immer nur höflich lächelnd nebenhertraben lassen und stellte ihm deshalb eine Frage, die ihn ein bisschen miteinbezog: »Bist du von hier?«

»Nein«, antwortete Tim schnäuzend – er hatte sicher Heuschnupfen. »Baden-Württemberg. Hab hier aber studiert – Tourismus.«

Birne liebte Baden-Württemberg. Das waren für ihn die deutschesten Deutschen. Er hatte vor Jahren einmal eine Frau von dort heimlich verehrt wegen ihrer Figur und Frisur, hatte Kaffeeautomaten belagert, um ihr nahe zu sein, um sie riechen zu können eines Tages, eines glücklichen. Doch dann war sie mal in Begleitung einer Freundin erschienen und hatte gesprochen, und dann war’s vorbei mit Birnes Liebe, schlagartig, nach Wochen innerhalb eines kurzen Satzes mit Sch. Aber ansonsten waren sie großartig, die Baden-Württemberger, ohne sie hätte man dieses Land längst zumachen können.

Nicht weit weg von da, wo Birne wohnte, war die Wirtschaft Korbinian, die bot jedem von ihnen für vier Euro ein Schnitzel und ein Getränk. Birne traute sich nur eine Apfelschorle, weil er nicht wusste, was für einen Eindruck er zu machen hatte, Tim eine verschissene Cola Light; als einziger Richtiger unter ihnen trank Werner ein Weizen, wobei er noch überlegte, ob er ein leichtes oder einen Russ nehmen sollte und dann mit den Worten, »Ach, leck mich doch am Arsch, gleich ein gescheites«, die Vollversion bestellte.

Sie schauten in die Runde, ohne zu reden, sahen eine dunkel rustikal eingerichtete Gaststube, ein bisschen kitschig, fand Birne, was den Großteil der Gäste, Schüler der benachbarten Berufsschule in der Mittagspause, nicht störte. Sie ließen sich von der Bedienung im Dirndl mit Mohren abfüllen, genossen ihr schönes Lächeln bei jeder weiteren Bestellung und vergaßen mehr und mehr die Zeit des Nachmittagsunterrichts, die ihnen drohte.

Tim wollte etwas gegen das Schweigen machen und lobte einen neuen Titel ihres Programms, der weggehe wie warme Semmeln, in die Richtung müsse man weiterbohren, fand er.

Werner hatte Mittagspause und quittierte die geschäftliche Bemerkung mit einem »Ja, ja«.

»Kann sein, dass wir die Anna wiedertreffen?«, wechselte Tim das Thema.

»Die tät dir gefallen, ha?«

Tim wurde rot.

»Das darfst du ruhig zugeben, das macht mir nichts.«

Tim: »Ja schon.«

»Da schau, da musst du dich halt ein bisschen anstrengen. Aber hierher kommt sie nicht mehr, seit sie mitbekommen hat, dass wir öfter da sind. Ich weiß nicht, ob es an dir oder an mir liegt. Wahrscheinlich an uns beiden. Jetzt gehen sie lieber zu dem Türkenwagen da vor und fressen dem sein Zeug auf dem Parkplatz von der Schule. Na, wenn sie meinen, dass das besser ist. Mach mir noch ein Glas voll, bevors Essen kommt, sei so gut.«

Birne wollte jetzt auch ein Weizen: »Bring mir auch eines zur Feier des Tages.«

»Das will ich meinen.« Birne und Werner stießen an, nachdem sie bedient worden waren. Tim schaute ein bisschen zu und ein bisschen weg und versuchte einmal kurz sein Glas zu heben, um mit seinem Cola Light mit anzustoßen, ließ es aber dann schnell wieder sinken, um sich nicht zu blamieren, wenn er ausgeschlossen würde, was er sozusagen unangestoßen eh schon war.

Birne fühlte sich gleichermaßen als kleiner Sieger und Arschloch, aber so ist das Leben. Sie bekamen Schnitzel und aßen still schmatzend.

»Die Wirtschaft hat Tradition«, sagte Werner, »die gibt es, seit ich so jung war wie du – länger. Die macht aber bald zu. Im Sommer hätten die noch einen schönen Biergarten, den schönsten vielleicht, den es gibt in Kempten, aber solange werden die nicht mehr aufhaben. Da kommen wir vorher noch mal her und trinken ein paar Helle.« Er stieß noch mal mit Birne an, Tim tat, als bekäme er nichts davon mit, konzentrierte sich ganz auf seinen Salat und spritzte sich dennoch oder gerade deshalb ein paar Tropfen Joghurtsoße aufs Hemd, was Birne wiederum sehr sympathisch fand: Immerhin, sie standen beide mit den Dingen auf Kriegsfuß.

»Ich habe hier auch meinen Stammtisch«, erzählte Werner weiter. »Wir tun schafkopfen. Kannst du schafkopfen?«

»Logisch kann ich schafkopfen. Tut’s ihr schafkopfen?« Birne war stolz und freudig erregt.

»Hier tun wir schafkopfen, immer wieder. Kannst schon mal mittun, wenn einer aufs Klo muss. Bist gern eingeladen. Ist wichtig, dass man schafkopfen kann.«

»In Bayern.«

»Ihr entschuldigt mich, ja?« Tim musste aufs Klo.

»Das machen wir, kein Problem, und wenn die Anna kommt, schick ich sie dir gleich hinterher.«

Tim stand auf.

»Der ist aus Baden-Württemberg, der kann nicht schafkopfen, dem kann man es auch nicht beibringen, die haben das nicht in den Genen.«

»Der DNA.«

»Was?«

»DNA.«

»Jaja, DNA. Ist schon so. Und du?«

»Ich kann schon, freilich. Ich tät auch gern wieder.«

»Nein, ich mein, ob du schießt.«

»Schießen?«

»Ob du auf die Jagd gehst?«

»Nicht mehr.« Wäre Birne ehrlich gewesen, hätte er zugegeben, dass er noch nie geschossen hatte, dass er an dem Punkt in seiner Kriegsdienstverweigerung nicht gelogen hatte.

»Hättest mal wieder Lust?«

»Schon.«

»Also, wenn du Lust hast, nehme ich dich mal mit auf die Jagd, ich habe eine eigene Pacht, den Luxus leiste ich mir. Ich geh immer in der Früh, manchmal auch abends. Also, wenn du mal Lust hast …«

»Gern.«

»Geh, sei so gut, mach mir noch eines.« Werner hob sein Weizenglas, Tim kam vom Klo zurück, die konspirativen zwei Minuten waren vorbei. »Willst du auch noch eins?«

Birne wollte gern noch eins. Er wollte auch zahlen, war so eine Art Einstand jetzt geworden die Mittagspause. Aber Werner wollte ihn nicht zahlen lassen, wollte lieber selbst die Rechnung übernehmen, die von Birne; Tim, der so brav diese Weizenlänge neben ihnen gesessen und gewartet hatte, sollte selbst zahlen, weil er nicht neu war. Die Bedienung fand Birne jetzt auch so nett, dass er gern noch vorgeschlagen hätte, ein bisschen zu verhocken zur Feier des Tages und weil der Chef frühestens morgen von seiner Messe mit Praktikantin zurückkommen würde, aber irgendwann musste Schluss sein.

Sie gingen. Ihr Rückweg führte sie unter der Sonne an dem Türkenwagen vorbei, den Werner vorhin gemeint hatte. Und Tim hoffte, er werde jene Anna sehen unter den jungen Menschen, die dort standen und auf ihre Kebabsemmel warteten.

Werner hatte dafür nur Verachtung übrig. »Frisst du dieses ausländische Zeug?«, wollte er von Birne wissen.

»Ach, ja«, hatte der dafür übrig, manchmal kehrte er ganz gern dort ein.

»Gell, wenn es sein muss, dann friss ich es schon auch. Jetzt wär ein Mittagsschlaf recht.«

»Ja, das wär jetzt was.«

»Gell, das wär jetzt was«, bestätigte Werner.

Da waren zwei ja schnell Freunde geworden, dachte sich Birne. Ob er sich gut geführt hatte oder Werner weizenselig geworden war oder einfach jeden einlud, mit auf die Jagd zu gehen, konnte Birne nicht beurteilen. Dazu war er zu neu. Aber im Augenblick, dachte er sich, ist es egal oder in Ordnung, denn sie hatten gegessen, und ein Mittagsschlaf wäre jetzt recht. Mehr nicht.

Der Nachmittag verlief zwischenfalllos. Birne hatte ein kleines uneinsehbares Bürokabuff zugeteilt bekommen. Da standen sein Schreibtisch mit Computer und Internetanschluss darauf und ein Topf mit einer Yucca-Palme auf dem Boden. An der Wand hing nur eine Luftaufnahme eines Dorfes, könnte noch vom Vorgänger sein, meinte Birne und schlief ein. Die Tür zum Nachbarbüro stand offen, das teilten sich Tim und Sigrid, man hörte wenig von dort, nur gelegentlich einen Stift kratzen und das beruhigende Surren der Computerkühler. Manchmal ein Telefon mit einem Anrufer, dem gesagt wurde, dass der Chef frühestens morgen, wahrscheinlich besser übermorgen zu erreichen sei.

Birne schlief wunderbar und träumte, wie er auf der Jagd einen Bock geschossen habe und die nette Bedienung in der Wirtschaft Korbinian ihn zubereite und ihm und seinen Freunden, unter denen neben denen aus der großen Stadt auch Werner war, servierte für vier Euro. Dann setzte sie sich zu ihnen, und Birne legte seinen Arm um ihre Schulter und fragte sie nach ihrem Namen.

»Anna«, sagte sie im Traum.

Eine brodelnde Kaffeemaschine und Sigrid weckten ihn. Sie stand am Türrahmen, übersah diskret sein Erwachen und fragte, ob er eine Tasse mittrinke.

»Gern«, sagte Birne.

Bevor er ging, schaute Werner noch mal kurz rein: »Also dann, bis morgen.«

Sie waren verabredet.

Birne blieb auch nicht mehr lange, kaufte sich noch eine Leberkässemmel auf dem Heimweg und aß die als sein erstes Arbeitsabendessen in Kempten.

Daheim war niemand. Er saß eine Weile an seinem Küchentisch, hatte keine Zeitung und lauschte darauf, was sein Haus an Geräuschen hergab.

Unter ihm schrien Kinder, sie könnten zehn und elf Jahre alt sein. Es klang nach einem kleinen Bruder, der seine größere Schwester ärgerte und an den Haaren zog. Eine Männerstimme schrie lauter, dann waren die Kinder leise und erklärten dem mit der Männerstimme die Situation.

Jemand saugte Staub. Könnte Birne auch mal machen, dachte er sich, nicht heute, nicht diese Woche, aber bei Gelegenheit.

Ein anderer schaute in seinen Fernseher. Birne überlegte, ob der schlechte Ohren hatte oder das Haus hellhörig war. Fast konnte er mithören. Das wollte Birne nicht, da sah er schon lieber selber fern.

Er machte seinen an und probierte, ob er den Kanal fände. Als es ihm gelungen war, sah er sich zwei Minuten einer Seifenoper oder Telenovela auf ProSieben an. Das ertrug er nicht, das war nichts für ihn und seinen Feierabend, das ging ihm zu langsam vorwärts. Er überlegte sich, ob er, noch bevor die Läden im Forum schlössen, einen DVD-Spieler kaufen und sich einen Film ausleihen sollte. War an sich nicht seine Art, aber keiner machte einen besseren Vorschlag.

Eine Zeitung wäre nicht schlecht.

Er musste aufhören an die blöde Zeitung zu denken, das würde ihn noch zum Kleingeist machen.

Er könnte, solange die Geschäfte offen hatten, noch einmal rausgehen und sich ein paar Halbe Biere kaufen, eventuell auch mal bei diesem Korbinian vorbeischauen, wenn es mit dem bald rum war, sollte man ihn nutzen, um ihn später gescheit bedauern zu können. Einfach mal reinschauen, und wenn es nett war nach dem ersten Bier, einfach sitzen bleiben und den Abend an sich vorbeiziehen lassen. Allerdings, wenn es zu nett würde, könnte es auch sein, dass ihm der nächste Morgen mehr zum Feind würde als der vergangene, und das konnte er nicht wollen, nicht am zweiten Tag, an dem er hier etwas zu leisten hatte. Birne grinste. Zu leisten hatte.

Er zog sich den Kittel noch mal über – es wurde kalt am Abend trotz der Versprechungen, die die Frühlingssonne tagsüber gemacht hatte – und ging aus seiner Tür in den Hausgang, wo er die Kinder wieder hörte und auch den Fernseher etwas lauter und erkannte, dass derjenige zwar schlecht hörte, das Haus aber auch großzügig mit den Geräuschen durch seine Wände umging. Im ersten Stock schepperte eine Tür, dort, wo er meinte, den einzigen deutschen Namen in der Früh entdeckt zu haben, und der Fernsehlärm wurde lauter. Er bremste seinen Schritt, blieb stehen, nichts änderte sich. Unten wartete jemand auf ihn. Das passte ihm nicht. Er wollte seine Ruhe, er konnte jetzt aber auch schlecht zurück hinter seine sichere Tür, wie hätte das denn gewirkt?

Irgendjemand hatte bemerkt, dass er noch mal raus war, und lauerte ihm jetzt auf. Er hatte keine Lust auf eine Begegnung, aber was konnte sie ihm anhaben? Er würde freundlich grüßen, den Blick fest auf den Boden richten und ins Freie abhauen. Er schuldete niemandem etwas und er wollte auch nicht, dass ihm jemand etwas schuldete.

Er ging nach unten.

»Guten Abend.« Eine alte, kleine Frau streckte ihre weißen Haare wirr in die Luft und schaute durch große, fensterglasdicke Brillenscheiben auf ihr Opfer, Birne. Sie steckte mit ihrer rosafarbenen Bluse in einer blauen Blumenschürze. Birne wusste, dass er, wenn er jetzt irgendwie reagierte, Lebkuchen fressen musste, bis er fett genug war für den Grill. Er nickte lässig.

»Neu hier?«, wollte die Alte ihn weiter zu einem Gespräch locken.

»Neu ist relativ.«

»Neu ist relativ«, wiederholte sie und lachte zahnlückig. »Noch ein bisschen an die frische Luft?«

»Ein bisschen.«

»War ein schöner Tag heute, aber wird kalt am Abend, da soll man sich nicht täuschen. Aber Sie sind ja warm eingepackt, Ihnen wird nichts passieren.«

»Hoffen wir’s.«

»Ja, hoffen wir’s. Sagen Sie, junger Mann, haben Sie schnell zwölf Minuten Zeit für eine arme, schwache Frau?«

Jetzt hatte Birne praktisch schon verloren.

»Worum geht es denn?«, wollte er wissen.

»Ich habe es doch gewusst, schon als ich Sie einziehen sah, dass Sie ein feiner Mensch sind. Ich habe es gewusst.«

Birne hatte große Lust, ihr das Gegenteil zu beweisen und sie einfach mit ihrem nackten Lob auf der Treppe stehen zu lassen.

Ein Enkel von ihr war wohl während des Tags da gewesen und sie in dieser Zeit gerade beim Einkaufen. Er hatte ihr einen Zettel auf den Küchentisch gelegt, dass der Schrank, den eine unlängst verstorbene Cousine hinterlassen und ihr vermacht habe, nun von ihm gebracht und im Keller gelagert sei. Ob er, Birne, nun so freundlich sein und das Möbel zu ihr in den ersten Stock tragen könne. Sie sei alt und schwach und er jung und kräftig. Birne fragte sich, warum das nicht der blöde Enkel machen konnte, mochte aber lieber schnell hier wieder raus und willigte ein.

Die alte Frau, die sich als Frau Renate Zulauf vorstellte, führte ihn in den Keller, wo ein meterhoher absolut uninteressanter Wohnzimmerkasten stand.

»Der wär’s. Schaffen Sie den?«

»Kein Problem.«

Birne machte sich dran und hasste sich vom ersten Augenblick an. Er musste unbedingt an seiner Unhöflichkeit arbeiten. Er war zu gut zu den Menschen. Was taten sie dafür?

Umständlich und unter starkem Schwitzen schob er den Schrank die Kellertreppe hoch. Frau Zulauf äußerte sich zunächst sehr positiv über die Stärke Birnes, begann aber bald, ihn zu ermahnen, er solle doch aufpassen, nicht zu oft die Wand zu touchieren, sie habe keine Lust, neu lackieren zu lassen, so viel sei das Erbstück nun auch nicht wert.

»Ich geb schon Obacht, keine Sorge.«

»Ich meine ja nur.«

Schwer schnaufend knallte Birne den Kasten vor der Eingangstür hin.

»Was ist?«

»Nur kurz schnaufen und Jacke ausziehen.«

»Allein würde ich das nie schaffen.«

»Das ist doch kein Problem.« Birne packte wieder an. Woher kam diese ganze Höflichkeit auf einmal? Wollte er gut sein zu den Menschen? Wollte er wieder Liebe geben? Schon möglich.

Konnten sie nicht aufpassen? Die Eltern kamen ums Eck. Die wohnten hier seit Jahren und wurden doch nicht gebeten von der alten Frau, die sie jetzt übertrieben freundlich grüßte. Als ob sie Angst hätte. Birne grüßte auch, so freundlich, wie es ihm die Last erlaubte. Ein türkisches Ehepaar mit zwei wilden Kindern, nahm Birne unter Schwitzen wahr, kam aus dem Erdgeschoss geschossen und zwängte sich an ihm vorbei.

»Ausgesprochen nette Leute«, berichtete Frau Zulauf. »Ich wohne hier seit 64 Jahren. Können Sie sich das überhaupt noch vorstellen? Da war noch Krieg. So, jetzt haben wir es gleich. Mein Mann ist 1969 gestorben. Das war schlimm. Gott hab ihn selig. Und diese Familie wohnt hier seit drei Jahren. Ausgesprochen nette Leute. Auch die Kinder grüßen immer freundlich, wo man doch sonst immer meint, die Kinder von den Ausländern grüßen nicht. Aber die hier grüßen. Wenn Sie das einfach dorthin stellen, mein Enkel kommt die Tage noch mal vorbei und schiebt es dann richtig hin. Mei – vielen Dank. Warten Sie.«

Birne hatte den blöden Kasten die zwei Treppen in den ersten Stock getragen, hatte trotz Aufpassens mehrmals die Möbel im Gang der Wohnung der Zulauf gestreift, war im Wohnzimmer angekommen und endlich erlöst worden. Hier, dachte Birne, sah es aus, wie er es erwartet hatte. Ein grüner Teppichboden, eine 20 Jahre alte Sitzgruppe, die mit nach Katzenhaar stinkenden Decken belegt war. Den halben Bildschirm des Fernsehers, der in einer dunkelbraunen Wohnzimmerschrankwand steckte, bedeckte ein gehäkeltes Tüchlein, darauf standen Familienbilder, Enkelzeichnungen, Engelstatuen, eine Maria, eine Pieta – jede freie Fläche des Schranks bedeckte Tand. Es stank nach Altfrauenwohnung. Im Fernsehen lief jetzt die Tagesschau – Birne hatte den Ladenschluss verpasst durch seine Freundlichkeit.

»So.« Sie war wieder da mit einem Tablett aus der Küche, darauf stand wiederum eine Flasche mit bescheuertem Likör, den Birne aus einem verstaubten Glas zu trinken hatte. Außerdem bekam er zehn Euro geschenkt, die er, so beschloss er, stehenden Fußes versaufen würde.

»Allein hätte ich das nicht geschafft, ich bin alt, seit über 60 Jahren wohne ich hier. Einmal – im Krieg war das noch – hatten wir Fliegeralarm. Und wir mussten uns im Keller verstecken. Können Sie sich das vorstellen?«

»Nein, danke für den Schnaps.«

»Sie sind jung. Seien Sie froh, dass Sie jung sind. Das Alter ist nicht schön, besonders nicht, wenn man einsam ist. Haben Sie eine Frau?«

»Nein«, gab Birne zu.

»Schauen Sie, dass Sie schnell zu einer kommen, Sie sind jung, Sie bekommen schon noch eine. Einsam ist scheiße.«

Da hatte die Alte recht.

»Manchmal läuft’s halt nicht so, wie’s soll.«

»Das ist wahr. Wollen Sie noch einen Schnaps?«

»Ein anderes Mal gern. Jetzt muss ich weiter, ich bin dringend verabredet.«

»Ich versteh schon, die jungen Leute.«

An der Tür drehte sich Birne noch mal um: »Sagen Sie mal, die Zeitung …«

»Ja?«

»Die kommt schon hierher, wenn man sie bestellt?«

Frau Zulauf schaute ihn fest an, als ob etwas mit ihm nicht stimme. »Wieso?«

»Weil sie mir heute Morgen gefehlt hat.«

Frau Zulauf schaute apathisch ins Leere. »Komisch.«

»Aber Sie wissen nichts?«

»Nein. Aber Sie müssen unbedingt mal wieder vorbeischauen, ich hab noch ganz anderen Schnaps, den werden Sie mögen. Das war nicht das letzte Mal.« Sie lachte wie eine Hexe.

Birne versprach wiederzukommen, ohne zu ahnen, dass es diesmal wirklich das letzte Mal bei ihr war, dass er tausend Mal leichter wieder ihren Likör getrunken hätte als den scheußlichen Kelch, den das Schicksal schon für ihn am Brauen war.

Jetzt musste er sich um seinen eigenen Rausch kümmern.

2. Tag

Birne bereute seine Zusage. Birne hatte Kopfweh, und schlecht war ihm auch. Birne hatte sich gedacht, gestern, wenn einsam, dann gescheit einsam und nicht mehr Wirtschaft und mit noch mehr Menschen verkehren. Er hatte sich einen Sixpack von der Tankstelle geholt und dabei den Zehner der Frau schon fast aufgebraucht. Ziemlich lustlos hatte er den weggetrunken und dann, leicht angesoffen vor einem witzigen Programm im Fernseher, beschlossen, noch mal rauszugehen und sich neues Bier und eine kleine Flasche Kräuterschnaps zu besorgen. Das war sein Fehler, und er sah ihn um 4 Uhr früh ein. Der Wecker klingelte, und Birne musste auf die Jagd mit Werner. Er hasste sich kurz, überlegte sich, ob er Werner anrufen und alles absagen sollte.

Konnte er nicht, gleich am zweiten Tag.

Zweiter Tag. Einen tollen Anfang legte er da hin. Wenn, dann musste er sofort raus, sonst würde er wieder einschlafen.

Er stand auf, versuchte dabei, mit möglichst wenigen Gegenständen in Berührung zu kommen, die wären nur so gefallen.

Er saß zehn Minuten später angezogen in seiner Küche und wartete.

Er hätte nun 15 Minuten warten können. Frühstücken traute er sich nicht wegen der Gegenstände, wollte er auch nicht, es war ihm schlecht.

Einen Kater hatte er nicht, dazu war er noch zu voll. Er nahm ein Glas aus dem Kasten, das nicht fiel und deswegen Birne gefiel. Am Schrank schlug er sich nicht an. Am Wasserhahn stellte er nicht aus Versehen das heiße Wasser an. Er riss eine Packung Aspirin auf, was nicht einwandfrei klappte, er fluchte aber nur wenig und leise, weil der Rest des Morgens relativ gut zu ihm war, den Umständen entsprechend.

Die Tablette löste sich auf, er schaute zu. Dabei fiel ihm ein, dass er jetzt mal schauen könne, ob die Zeitung da war.

Er zog sich nur ein paar Sandalen an und ging runter, fand, dass er auf den alten Stufen des Treppenhauses relativ viel Krach machte. Er bemühte sich, leiser zu sein. Er blieb kurz stehen, um zu hören, ob es ein Hintergrundrauschen gab, in dem er mit seinen eigenen Geräuschen hätte aufgehen können. Nichts. Dunkle Nacht. Weit weg ein Auto auf einer Straße. Der Bahnhof, ein dünnes Rauschen von Blättern im Wind. Eine schöne Stille.

Die Zeitung war noch nicht da, um die Zeit musste sie das auch noch nicht, das war in Ordnung. Er ging wieder hoch, dabei ging das Licht im Treppenhaus aus. In seiner Wohnung hatte er vergessen das Licht im Gang anzumachen. Er stolperte so saublöd über seinen Telefontisch, dass es ihn hinhaute, der Länge nach. Das tat weh, der Kopf jetzt auch, er fluchte, sehr laut, sonst war es still, bis auf das Brausen der Aspirintablette, die sich endgültig in ihrem Glas Wasser in der Küche auflöste, wo das Licht an war. Birne hätte geweint als Kind.

Werner war pünktlich.

»Alles klar, Junger?«, wollte er wissen, als Birne in seinen roten, alten 3er BMW stieg. »Hast du dich warm eingepackt?«

»Alles klar.«

»Gefrühstückt wirst du schon haben.«

»Ja, ja.« Aspirin halt.

»Und wie war deine erste Nacht in Kempten? Du weißt, dass man sagt: ›Was man in der ersten Nacht in seiner neuen Wohnung träumt, das geht in Erfüllung.‹«

Woher hatte der Mann in dieser Früh seine Redefreude her? »Das war nicht meine erste Nacht.«

»Man sagt’s ja auch bloß.«

Danach war Stille. Werner hatte gespürt, dass Birne nichts sagen wollte. Oder auch er stimmte sich schweigend auf die Jagd und die Natur da draußen ein.

Sie fuhren ein Stück auf der Autobahn, bogen dann ab, kamen durch einen schlafenden Ort, fuhren von dort auf einen Feldweg und waren bald da.

Birne braucht eine Weile, bis er wieder zur Ruhe fand, und nickte dann auf den letzten Kilometern ihrer Fahrt noch mal ein. Sein Arbeits- und Jagdkollege schaute grinsend zu ihm hinüber, freute sich, dass der andere nichts gewohnt war als Großstadtmensch.

»Da sind wir.«

Birne schlug die Augen auf und sah, dass sie neben einem Bauernhof geparkt hatten. Neben dem Silo führte ein wenig benutzter Feldweg einen Hang hinauf. Weiter konnte er nicht schauen, denn Werner stellte den Motor ab und mit ihm gingen auch die Scheinwerfer aus.

»Wir müssen zu Fuß ein Stück, aber keine Panik, es ist nicht viel.«

Birne war zu müde für Panik, er ließ sich von Werner behängen mit einem Fernglas und dem Gewehr, vor dem er zunächst schon Respekt hatte.

»Da musst du keine Angst haben, es ist gesichert.«

Gesichert? Werner konnte keine Ahnung davon haben, wie sehr die Dinge gegen ihn arbeiteten.

Sie gingen den Hang hinauf, kamen auf eine Wiese, die sie überquerten. Im Hintergrund hob sich dunkel ein Berg ab. Sie stiegen über einen Elektrozaun, der nicht geladen war. Dazu durfte er Werner sein Gewehr zurückgeben und unbewaffnet drüber. Nun führte der Weg bergab über einen steileren Hang als den, den sie heraufgekommen waren. Vereinzelt standen hier Fichten. Etwa auf halber Höhe ließ Werner Birne anhalten. Der hatte, um nicht zu fallen, nur noch auf den Boden vor ihm geschaut.

Sie waren an einem kleinen Jägerstand angekommen, der kaum Platz für sie beide bot. Das war ihnen egal, sie stiegen beide ein und waren leise.

»Ihr Deutschen, leck mich.« Werners Atem dampfte.

»Sag mal, ist das jetzt geladen?«, wollte Birne sicher sein.

»Was denkst denn du?«, war die Antwort Werners. »Wir warten jetzt zehn Minuten, knallen den Fuchs und sind schon auf dem Weg zurück. Alles ganz schnell.«

Birne bekam zurzeit selten die Gelegenheit, den Sonnenaufgang zu sehen. Die Sonne kam nun immer schon, bevor er die Zeitung holen ging. Bis vor ein paar Wochen hatte er beim Zeitungsholen das Gefühl, früh aus dem Haus zu sein, sich seine Zeitung als Belohnung zu holen.

Birne dachte sich, dass er momentan mehr über seine Zeitung nachdachte als über Frauen und überlegte, ob das in Ordnung sei.

Zehn Minuten schauten sie nun auf die Fichten eines Waldrands. Birne traute sich nicht, etwas zu sagen, meinte, still sein zu müssen, um die Tiere nicht zu warnen. Eigentlich hätten sie schon knallen müssen.

»Gefällt es dir bei uns?« Birne erschrak, als Werner ihn fragte.

»Müssen wir nicht leise sein wegen der Füchse?«

»Wenn wir leise flüstern, reden wir in einer Frequenz, die sie nicht wahrnehmen.«

»Ach so.«

»Hast du das nicht gewusst?«

»Nein. Ist das einer?«

»Was?«

»Da drüben.«

»Richtig.«

Werner hatte den Lauf gerade zur anderen Öffnung rausstehen, musste ihn reinholen, dabei Birne ins enge Eck drücken und dann mit Mühe das Gewehr durch den anderen Schlitz rauszwängen. Birne hatte Angst, das Teil könne losgehen und, wenn es schon keinen von beiden blind träfe, ihre Trommelfelle zerfetzen. Irgendetwas – das Rascheln ihrer Jagdjacken, Werners Fluchen, das Schlagen des Metalls an das Holz des Jägerstands – musste in einer Frequenz gewesen sein, die der Fuchs hörte, oder er hatte die Schnauze voll gehabt von dem Platz neben den Bäumen – er war weg, und Werner fluchte: »Scheiße!« Laut. »Den hätten wir haben müssen. Scheiße.«

»Tut mir leid.«

»Du bist nicht schuld.«

Sie warteten, und Birne wusste jetzt nicht mehr, wie lange. Er sagte nichts.

»Bist du verheiratet?«

»Nein.«

»Aber eine Frau hast du.«

»Nein, nicht direkt.«

»Versteh schon, schlechtes Thema.«

»Nein, nein, wir können schon darüber reden. – Sie ist mir weg. Ein anderer. Aber scheißegal, das kommt wieder.«

»Was? Sie?«

»Die Liebe.«

»Pst.«

Sie hatten wieder einen, es könnte auch der gleiche gewesen sein. Werner war wieder 90 Grad verkehrt. Er fluchte und legte an, diesmal war es knapper, aber es fiel kein Schuss, dazu war das Tier schon zu sehr auf der Flucht, als dass es noch wert gewesen war, es auf einen Schuss ankommen zu lassen. »Scheiße.«

»Tut mir leid.«

»Du bist nicht schuld. – Ich bin manchmal ganz froh, wenn ich zu Hause mal rauskomme. – Wohnen da, wo du wohnst, viele Ausländer?«

»Es geht. Wieso?«

»Nichts. Es gibt gerade viele Ausländer. Ich bin nicht feindlich, ich stelle es nur fest.«

»Aber einen Kebab isst du, damit hast du keine Pro­bleme.«

»Ich bin nicht feindlich, das habe ich nicht gesagt. Ich stelle nur fest. Ich habe einen Bekannten bei der Polizei.«

»Das sind alles Nazis«, sagte Birne.

»Das kann schon sein, er erzählt halt allerhand. Ich bin auch nicht mit allem einverstanden, was die Deutschen machen. – In Wirklichkeit kann ich damit gar nichts anfangen, was ihr treibt. Macht doch, was ihr wollt.«

»Es gibt viele Nazis hier.«

»Du meinst Polizei?«

»Nein, nicht einmal, Leute, die so reden wie du.«

Werner wehrte sich: »Ich sag es dir noch mal: Ich bin kein Nazi, ich bin von der Einstellung eher links.«

»Und dein Bekannter?«

»Der erzählt nur.«

Sie hatten wieder einen, vor dem richtigen Loch, alles passte, Werner musste nur anlegen, ruhig atmen und abdrücken.

»Mensch, sei doch mal still!«

»Ich habe gar nichts gemacht.«

»Dann ist es deine Scheißjacke, die macht Krach. Jetzt ist er wieder weg.«

»Tut mir leid.«

»Das nächste Mal ziehst du was Anständiges an.«

Birne verstand, dass er wieder mitdurfte. Es hatte ihm gefallen, die Stille, dass kein Schuss gefallen war. Das Gespräch mit Werner.

Im Auto. »Hast du eigentlich Kinder?«

»Ja. Eine Tochter. Wieso?«

»Nur so.«

»17, das schwierige Alter.« Werner lachte.

Birne hatte gar nicht daran gedacht. Sie waren auf dem Weg zur Arbeit, hatten Wechselkleidung dabei.

»Das nächste Mal«, sagte Werner, »gehen wir abends, und danach an den Stammtisch.«

Birne gefiel das, Birne mochte Bier.

Im Büro war es ruhig. Er war halt jetzt da, keiner achtete besonders auf ihn. Birne hatte nichts zu tun, tat aber so, als hätte er, man wusste ja nie. Er blätterte ein bisschen die Bücher durch, die sie herausgegeben hatten, fand sie nicht so wahnsinnig anders als andere, worauf sie stolz waren, dass sie überhaupt nicht so waren wie Reiseführer. Es war ihm schon recht. Er arbeitete nur hier, er musste seine Seele hier nicht reinhängen.

Irgendwann kam mal Tim und erklärte ihm das Programm oder System, mit dem sie hier arbeiteten. In welchem Ordner die Texte zu finden seien, wie man sie auf die Seiten des werdenden Buches fließen lassen konnte, wo man nach Bildern suchen konnte, wie ihre Seiten normalerweise gestaltet seien, worauf man zu achten habe, was die Todsünden seien und so weiter.

Birne dachte sich »aha« und fand, dass man hier von keinem große Kunststücke verlangte. Langsam kam er aber in einen Zustand, in dem man von ihm auch nichts mehr verlangen konnte, ihm wurde schlecht, und er schwor sich, sich nie wieder so blöd vollzusaufen, zumindest nicht allein. Tim jedenfalls schaute ihn des Öfteren komisch an und Birne kam es so vor, als versuche er einen gewissen Abstand zu ihm zu halten, als stinke er womöglich nach Alkohol. Birne dachte, man müsse bald Hustenbonbons in seiner Schreibtischschublade lagern.

Allein dreimal am Vormittag kam Werner und fragte: »Alles klar, Junger?« Birne wollte ihm vor die Füße kotzen. Jetzt sah man ihm schon an, dass er nicht gut beieinander war, dann musste man ihn nicht auch noch runterziehen. Er hatte einen Fehler gemacht, gut, aber war auch nur ein Mensch, und das passierte halt. Birne hatte ja nicht Schuld, dass er einsam war. Schließlich bejahte er Werners Fragen und bekam für kurze Zeit seine Ruhe.

Irgendwann war Werner irgendwohin verschwunden, und Birne dachte sich, er könne sich jetzt eine lockere Stunde im Internet gönnen, seinen Kater mal auf anderen Gedanken bringen.

»Na? Schon eingelebt?« Das war Sigrid, die anscheinend Werners Abwesenheit nutzte, sich an den neuen Kollegen ranzuschmeißen.

»Bin ja gerade erst angekommen.«

»Aber es gefällt Ihnen – dir doch?«

»Bis jetzt noch nichts Schlechtes erlebt.«

»Gut. Heute ist ein guter Tag für Leibesertüchtigung.«

»Ja?« Birne hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte.

»Nach dem Mondkalender.« Stolz hob sie einen bunten Kalender hoch, damit er sehen konnte, wovon sie sprach. Es war zu klein aus der Entfernung, er konnte nichts lesen, deswegen ging er auf sie zu. Sie stand im Türrahmen seines kleinen Büroabteils.

»Wann wäre denn ein günstiger Tag für Haareschneiden?«, wollte er höflich wissen.

»Wieso? Deine sind doch noch nicht zu lang.«

»Nein, meine ja bloß, steht doch sonst immer in den Mondkalendern.«

»Richtig, richtig, steht auch drin, aber auch ganz andere Sachen: Wann es gut ist, sich zu waschen, wann, das Unkraut zu jäten, wann, dem Partner oder dem Chef eine entscheidende Frage zu stellen …«

»Schon brutal, was der Mond alles weiß.«

»Da, schenk ich dir, den bringen wir auch raus.«

Birne blätterte drin, sah eine Menge Symbole in einem blauen Kalenderbuch.

»War mein Projekt«, verriet Sigrid stolz.

»Ist toll geworden.«

»Heute ist Leibesertüchtigung.«

»Dann müsst man sich heute noch bewegen.«

»Ich gehe ins Fitnessstudio heute noch.«

»Fitnessstudio?«

»Ja, da gibt’s ein ganz tolles in Kempten, eigentlich zwei, eines für Frauen, also nur für Frauen, und eines für gemischt.«

»Du wirst wahrscheinlich in das für Frauen gehen.«

»Ja.« Sigrid lächelte und wurde ein bisschen rot.

Mit einem Poltern kam Werner die Treppe herauf zurück zur Arbeit. »Der Chef schaut heute noch kurz rein«, schrie er.

Sigrid flüchtete wie ertappt von Birne weg an ihren Platz. Es war nie etwas geschehen. Werner grinste. Birne schüttelte innerlich den Kopf.

Irgendwann, sobald er raus war aus dieser Situation, würde jemand kommen – vielleicht sogar Tim, und er würde sich freuen, sogar, wenn es ausgerechnet Tim wäre –, würde ihm auf die Schulter klopfen und sagen: »Das musst du nicht so tragisch werten, der hat heute einen strengen Tag, die Reise und so weiter, morgen sieht er wieder ganz anders aus, morgen wird er es nicht mehr erwähnen, höchstens einen Scherz machen, wir werden alle lachen.«

Noch steckte Birne aber in der Situation, knietief, und er sank noch tiefer und wünschte sich, nicht hier zu sein, sondern seinetwegen auf einem Berg, und Ruhe um sich zu haben, die Ruhe, die er jedem schenken würde, würden sie ihn lassen, die anderen und die verfluchten Dinge.

Der Chef war zurückgekommen, nur kurz reingeschneit, hatte die Praktikantin dabei, leise hinter sich, und Birne dachte: Die hat wahrscheinlich einen guten Charakter und mehr auch nicht. Der Chef hatte einen weißen Leinenanzug an und freute sich, wie er anmerkte, dass der Neue da sei, wollte wissen, ob er sich schon eingelebt habe, und wies die Junge an, sich in ihrem ungelenk getragenen Hosenanzug zur Kaffeemaschine zu bewegen und für die Mannschaft Kaffee zu brühen, um sich bei einer Tasse besser kennenzulernen, sich aneinander zu gewöhnen. Werner lehnte sofort ab, setzte sich aber dazu.

Und hätte man Birne gefragt, wie es denn genau zu der Situation gekommen sei? Da hätte er antworten müssen, dass er es genau auch nicht mehr rekonstruieren könne, dass er sich schon sehr konzentriert habe, nichts zu viel zu berühren, dass er möglicherweise einen Moment ein bisschen zu sehr auf den lustigen Zwirbelschnurrbart seines Bosses, der so nett zu seinem graubraunen weniger werdenden Haar passte, geachtet habe, als er noch eine Tasse eingeschenkt und halt dabei ein paar Tropfen auf den Anzug gebracht habe. Ein paar Tropfen, die im nahezu sofort einsetzenden Gebrüll, das keinesfalls mit Verbrühschmerz zu rechtfertigen war, vor Schreck ein paar mehr wurden, genau so viel, dass man von einem ruinierten Anzug sprechen konnte.

Es war passiert, man konnte nichts dran ändern. Birne hätte gern beschwichtigt. Das kleine Kaffeekochmädchen stand auch hilflos daneben, das nahm Birne wahr, und es nützte ihm nichts. Der Chef war sauer, nannte ihn ein Rindvieh, das würde ihm später leidtun. Er nannte Birne auch einen Hornochsen, und Birne dachte: Wer ist wohl der größere Hornochse: ich oder der, der einen Hornochsen wie mich anstellt?

Sigrid sagte: »Beruhigen Sie sich, ich will schauen, ob man was rausbekommt.« Sie war zum Waschbecken gerannt und hatte ein Handtuch nass gemacht.

Der Chef ließ sie nicht ran, der Chef sagte: »Ich will mich nicht beruhigen. Ich will mich aufregen, ich will einen Menschen umbringen.« Dann wurde es still.

*

Sie wusste zu gefallen. Ihm. Sie durfte ihm gefallen. Alle durften ihm gefallen. Fett.

Er wusste nicht, ob ihm das alles noch Spaß machte, sein Alltag, er erledigte seinen Job, weil es sein Job war und er dafür Butter auf sein Brot bekam, mehr nicht. Er war nicht mehr in dem Alter, in dem man sich jeden Tag eine halbe Stunde fragt, ob man denn jetzt glücklich ist oder nicht. Die Zeit vergeht immer schneller, die Zeit ist eine Sanduhr, privat war genug schief gelaufen, da brauchte er nicht noch seinen Job infrage stellen.

Kommissar Bruno Abraham schaute durch die Glasscheibe seines Büros auf seine Schreibkraft Tina. Tina kam von Martina, lieber wäre es Abraham gewesen, wenn es von Christina gekommen wäre, aber es war in Ordnung, vor allem die Frau war in Ordnung. Er schaute ihr zu, wie sie in einem Ordner blätterte, anscheinend eine Unterlage suchte, kurz zu ihm aufblickte durch ihre scharfmachende, glitzergrün umrandete und spitze Brille, weil sie seine Blicke irgendwie spürte, und ihn kurz anlächelte, ihm dabei einen Moment das Glitzern des kleinen, künstlichen Diamanten, den sie auf ihrem linken Schneidezahn trug, zeigte. Er lächelte zurück, doch sie war schon wieder in ihren Ordner vertieft, jedoch sich seines Lächelns bewusst.

Sie stand auf, ging zu einem Aktenschrank – wie viel sie hier bei der Polizei doch noch auf Papier und nicht im Computer hatten, da mussten die Digitalisierer noch eine Menge leisten – sie hatte schöne Beine, und er durfte sie sehen, sie steckten in weißen Strumpfhosen, der Rock ihres schwarz-weiß karierten Kostüms war von schön anzuschauender Länge, ihre Haare hochgesteckt. Das konnte kein Zufall sein, die Frau wusste, wie sie wirkte, und sie führte ihren Chef, Kommissar Abraham, in Versuchung.

Er hatte seine Frau eingebüßt, wie, war ihm nicht ganz klar. Er hatte schon wenig Zeit für sie gehabt, ein bisschen viel Beruf, ein bisschen Stammtisch, ein bisschen Sport – er wollte ja nur leben. Sie auch, aber profaner als er, sie wollte Lust und Fleisch, im Prinzip hatte er dagegen auch nichts, aber es konnte nicht alles sein in einem menschlichen Leben.

Sie hatte ihm eröffnet, dass sie ihn verlasse, und er war nicht wirklich überrascht. Freilich hatte es ihn vor Schmerz schier zerrissen, aber mehr, weil er sie lieber nach außen weiter besessen hätte, als dass ihm noch viel an ihr lag. Wenn sie meinte, dass sie ihn nicht mehr brauchte, konnte sie ihn sein lassen, sie hätten ein Arrangement finden können unter demselben Dach, viel wollte er auch nicht mehr von ihr. Aber gehen war blöd, gehen sah so aus, als ob er als Mann nichts taugte. Gehen zu einem anderen, den es auch gab, machte es noch schlimmer, aus ihm den noch größeren Versager. Diese Schande tat ihm weh, die Frau eigentlich nicht. Dazu sah er viel zu gut aus, als dass er diese Freiheit nicht amourös ausfüllen würde.

Ein bisschen anders war es schon gekommen. Er hatte zunächst vor allem gesoffen wie ein Weltmeister nach dem Finale. Das war in Ordnung, die Kollegen akzeptierten das, war schließlich ein Schicksalsschlag, der relativ vorzeichenlos über den Kommissar hereingebrochen war. Den Damen signalisierte er damit Unbesetztheit.

Sie hatten einen Sohn, einen Oliver. Der war gerade im besten Alter von 16, der hatte innerlich ganz schön gelitten, sich aber nichts anmerken lassen, war cool geworden. Abraham war nicht von allem begeistert, was er sich an- und mit wem er rumzog, aber insgesamt bewunderte er die Tapferkeit seines Buben, der, seit seine Mutter sie so allein gelassen hatte, immer mehr zu einem Kumpel geworden war. Sie waren eine Männer-WG, hatten am Anfang ein paar ungeschickte Versuche mit der Hausarbeit gebraucht, waren jetzt aber Herren der Lage. Oliver war, das mochte Abraham gar nicht abstreiten, ein ganz wichtiger Grund, warum es ihm nicht so beschissen ging, wie es möglich wäre nach allem. Wenn sie auf die Idee käme, ihn ihm auch noch wegzunehmen, dann hätte sie ihn auf dem Gewissen, wahrscheinlich. Aber auf die Idee war sie nicht gekommen, sie fühlte sich lieber wohl in den Armen ihres Neuen, eines Ausländers noch dazu, der sein wahres Gesicht erst zeigen musste. Auf diese seine große Stunde wartete Abraham und auf ihr Zurückkriechen, worauf er ihr mit harter Schulter antworten könnte. Solange würde der Sohn gelegentlich seinen Vater kotzend auf der Toilette vorfinden, ihm die Haare aus dem Gesicht streichen, den Mund putzen, ihn in den Schlafanzug stecken und ins Bett helfen. Und der Vater würde dasselbe für seinen Sohn tun, und die Mutter dürfte von nichts wissen, denn sonst würde ihre schöne Einsame-Wolf-Zeit vorbei sein, und sie würden wieder Vernunft annehmen müssen.

Von Tina wusste er nicht allzu viel, außer dass jeder männliche Kollege für sie schwärmte. Auch er, aber er hatte sich, als er noch fest gebunden war, dafür geschämt, der Fremden, die nicht seine war, auf den Hintern zu schauen. Die Kollegen waren da nicht so streng mit sich, sollten die machen, was sie wollten. Jetzt durfte auch Abraham ungeniert stieren, jeder wusste das, selbstverständlich auch Tina, und deshalb konnte es kein Zufall sein, dass sie ihm noch einen verhuschten Blick schenkte, als sie sich setzte mit zwei neuen Ordnern.

Viel hatte er heute noch nicht gemacht, nicht weil er verkatert war – er soff nicht mehr so viel wie kurz nach der Trennung –, aber es gab nicht viel. Sein Kollege Inspektor Trimalchio war mal da gewesen, sie hatten über den Müll geredet, weil die Stadt eine Verordnung erlassen hatte, die Müll-Trennungssünder strenger zu kon­trollieren. Sie hatten sich überlegt, wie sie das organisieren könnten. Sie hatten sich aufgeregt, dass immer mehr von ihnen verlangt, aber immer weniger Personal und Geld ihnen zugebilligt werde. Kleinbürgerkram. Er mochte Inspektor Trimalchio – gleiche Wellenlänge.

Er würde jetzt aufstehen und Tina einladen, egal wozu, Mittagspause, Kaffee, Eis oder Drink nach dem Dienst oder abends richtig. Sie würde nicht Nein sagen können bei den vielen Optionen, die er ihr böte, sie würde bekommen, was sie wollte. Dachte Abraham.

Mit »Servus, Tina« ging er sie an.

»Ja?«

»Hast du es streng heute?«

»Geht so.«

»Weißt du, ob noch Kaffee da ist?«, fragte Bruno Abraham.

»Alles ausgetrunken.« Das wusste Bruno, deshalb hatte er so blöd gefragt, jetzt würde sie gleich fragen: »Soll ich noch einen machen?«, und er könnte sie einladen.

»Nein, nicht nötig. Aber Lust hätte ich schon. Hast du auch? Wir könnten rausgehen. Ich lad dich ein.«

»Du mich? Wieso?«

»Weil’s meine Idee war. Rausgehen und Kaffeetrinken.«

»Okay, aber ich kann uns hier einen machen.«

»Das ist eigentlich nicht deine Aufgabe.«

»Nein, ich mach’s nebenbei, das lenkt mich nicht ab.«

»Was würde dich denn ablenken?«

»Hm? – Was würde mich ablenken? Wenn hier den ganzen Tag ein Fernseher liefe.«

»Ein Fernseher?«

»Ja, das würde mich ablenken.«

»Weißt du, was mich ablenkt?«

»Was?«

»Deine Beine.«

»Hab ich das Falsche an?«

»Im Gegenteil: genau das Richtige. Wenn deine Beine nicht wären, könnte ich diesen Job schon lange nicht mehr machen.«

»Oh.«

»Macht dir deine Arbeit hier Spaß?«, fragte Bruno, weil er selbstbewusster wurde, da sie mit ihm redete.

»Schon.«

»Warum?«

»Heute willst du es aber sehr genau wissen.«

»Ich interessier mich für dich. Das ist doch schön. Oder?«

»Freilich. Also, ich finde meine Arbeit hier schön, weil hier kein Massenbetrieb herrscht, weil man sich hier noch füreinander interessiert.«

»Im Ernst.«

»Ich mag die Leute hier, ich mag die Arbeit im Büro, sie ist übersichtlich und doch nicht eintönig, die Fälle und so weiter, dahinter stecken Menschen, Schicksale und ich bin da dran, nah. Verstehst du?«

»Ja, ich bin näher.«

»Weiß ich, aber das wollte ich schon nicht mehr, weil ich Angst hätte, ich nähme davon zu viel mit nach Haus. Im Kopf. Ich denke, damit hast du kein Problem.«

»Nein, das verstehe ich unter Professionalität, die Dinge hier nicht zu nah an mich ranzulassen, obwohl sie sich manchmal sehr aufdrängen. Im Moment habe ich das Problem eher andersrum.«

»Andersrum?«

»Die Dinge daheim drängen in meine Arbeit. Das ist schwerer wegzuhalten. Wie sieht’s bei dir daheim aus? Das würd ich gern wissen. Mensch, würd ich das gern wissen.«

»Da drückt nichts.«

»Bei mir schon. Weißt du, dass mir die Frau weg ist, dass sie mich verlassen hat? Ich bin einsam. Warst du schon mal einsam? Ich glaub’s nicht, wenn ich dich so anschau.«

»Allein und einsam ist ein Unterschied. Ich bin gern allein, ich nenne das unabhängig, ich bin nicht gern angebunden.«

»Ich genieße das, klar, mal zu lassen, was ich will und zu tun auch. Aber irgendwann drückt es, vor allem, wenn du es ein Leben lang zuvor nicht gewohnt warst. Ich war nie einsam. Alle wollten immer nur mich. Ich weiß gar nicht, was sie alle an mir finden. Aber irgendwas muss dran sein an mir, sonst würden sie es nicht alle versuchen. Versuch’s doch auch mal, oder kostet es dich was?«

»Was sollte es mich kosten?«

»Wartet jemand daheim auf dich?«

»Du willst es heute sehr genau wissen.«

»Ja, will ich, ich geb zu, dass ich dich gern anschau, dass ich mir das erlaube, seit ich das darf und nun will ich, dass du es mir auch erlaubst.«

»Du darfst schauen, soviel du willst und solange du nur mit den Augen schaust, gefällt es mir sogar, geb ich zu. Und mit den Händen, da schaut man nicht. Davon haben wir nicht gesprochen.«

»Noch nicht. Gehst du jetzt mit?«

Er musste allein gehen, er ging dennoch und fühlte sich nicht schlecht dabei. Er war vorangekommen und er würde es weiter probieren, bis der Tag vorbei war. Er spürte, dass die Frau nicht aus Granit gebaut war und er wollte spüren, woraus sie tatsächlich gebaut war.

*

Über den ersten Eindruck konnte Birne Seiten füllen, weil er einer war, der sich an der Platte immer wieder verbrannt hatte, es immer wieder versucht hatte, seinen Vorurteilen nicht zu glauben und dann so bitter enttäuscht wurde. So oft. Birne verstand was vom ersten Eindruck, wie wichtig er war, dass man ihm traute, auch wenn es nach einer Weile oder zwischendrin mal anders aussehen konnte: Der erste Eindruck ist wichtig. Hatte Birne gelernt, so oft und bitterlich.

Menschen verändern sich, freilich, manchmal ist einer auch wirklich besser, als man gedacht hätte, als man ihn zum ersten Mal eine Zigarette hat anzünden sehen, aber wenn man einen von Anfang an abgrundtief hasst und nicht nur, weil er einen an jemanden erinnert, der ihm die erste oder zweite Freundin ausgespannt hatte, dann ist da was dran.

Birne hatte sich Gedanken über das neue Leben gemacht, hatte sich gedacht, dass es inkonsequent wäre, wenn man schon ein neues Leben anfinge, nicht auch Dinge anzurühren, in deren Nähe man sich im alten Leben gar nie gesehen hätte.

Birne hatte beschlossen, ein Fitnessstudio zu besuchen. Das machte man hier so, keiner fand was dabei; Freunde hatte er hier, so gesehen und beim besten Willen, noch keine, also konnte man es darauf ankommen lassen. Der Spaß war nicht billig, und Birne war schon dagegen, dafür so viel zu zahlen, das hätte er mit echter Körperarbeit um einiges billiger haben können, aber ranlangen – apropos – ließ ihn ja niemand. Das war, wenn man streng hinschaute, auch der Grund, warum er hier war – in der Stadt und auch in dem verfluchten Studio.

Die waren alle viel schöner, als er sein wollte, alle hier nicht zum ersten Mal und Birne musste sich daran erinnern, dass er gezahlt hatte, wie sie alle, um hier sein zu dürfen, und deshalb auch ein Recht hatte, auch wenn er nicht so schön war. Außerdem: Was heißt schön?

Der Tag war dumm gelaufen, er hatte praktisch bei seinem Chef verschissen. Birne hatte früh am Morgen sein Haus verlassen, um zu schießen. Er war, ohne zu schießen, in sein Büro gegangen, hatte einen gewöhnlichen Tag verlebt und ihn mit einer Katastrophe abgeschlossen. Vollsaufen wäre konsequent und für jedermann nachvollziehbar gewesen. Birne wäre am nächsten Tag, nach Hustenbonbon und Jägermeister riechend, einen Tropfen zu spät erschienen, hätte damit seinen Kredit vollends verzockt, wäre geflogen, hätte das neue Leben nach einer Woche abgebrochen, wieder ein neues angefangen, hätte sich kurz gefragt, ob das den Rest jetzt so weiterginge, dass man mehr anfängt als führt. Und so weiter.

»Das musst du nicht so ernst nehmen«, hatte Werner gesagt, als sie draußen waren.

»Ist der immer so?«

»Eigentlich nicht.«

Werner meinte es ehrlich gut mit ihm. Birne spürte das, Birne war so etwas auch wichtiger als der Job und die Karriere, die konnte er immer noch machen, aber zwischenmenschlich musste es passen, sonst ging einem da oben irgendwann die Luft aus und es würde dich zusammenhauen und runterziehen.

»Ich hab mir gedacht, ich bring ihm morgen Ferrero Rocher mit und entschuldige mich in aller Form.«

»Der alte Sekretärinnen-Umwickler. Der Mann versteht was von den Menschen. Gute Idee.«

Birne hätte gerne gewusst, wie ernst Werner das meinte, hatte sich aber nicht zu fragen getraut. Sie waren nach wenigen Metern getrennte Heimwege gegangen. Birne war gar nicht so schlechter Laune, wie er gedacht hatte. Er hatte sich aus dem Supermarkt ein Weizen mitgenommen und, nachdem das weg war, beschlossen, es mit dem Studio zu versuchen.

Birne hatte gedacht: Nichts. So billig bin ich nimmer, mach nicht mehr, was am nächsten liegt, den Tag vollends versaufen, sondern erst, was das dritte oder vierte ist, wo­rauf einer jetzt gekommen wäre. Er hatte seinen Geldbeutel gepackt und war los zum Studio, hatte den Preis für ein Vierteljahr hingelegt, gerade um sich für die Schweinerei auf dem Anzug des Chefs zu strafen: Wenn die nämlich Konsequenzen hätte, wären die Euro fürs Studio auch für den Arsch. Innerlich hatte Birne also schon gebüßt. Wusste der Chef natürlich nicht, mit dem Selbstbewusstsein konnte ihm Birne aber morgen begegnen. Mit dem Selbstbewusstsein und vor allem ohne Alkohol im Geruch. Birne lachte über die doppelte Fliege.

Er hatte ein Handtuch und einen Haustrainings­anzug mitgenommen, den er gern anzog, wenn er in den Fernseher schaute – wenn er in den Fernseher schaute. Der Anzug stank noch nicht, obwohl er ihn zwei Jahre sicher nicht gewaschen hatte. Er roch schon, er stank halt nicht.

Birne war allein da. Birne wollte eine tolle Frau kennenlernen. Zunächst nur reden, sich höchstens später und im Idealfall bei einem Ausgehen in eine Freundin von ihr verlieben.

Die wiesen ein, sagten ihm, wie er anfangen sollte, wenn er noch nie da war, und wie er sich dann steigern sollte. Sie maßen ihm den Blutdruck.

Die anderen, die noch da waren und nicht so verloren schauten, die waren auch einmal zum ersten Mal da gewesen, die wussten doch, was die einem sagten, der zum ersten Mal da war, wie er anfangen sollte und wie er sich steigern könnte. Für sich sah Birne wie einer aus, der zum ersten Mal da war, tausend Meter gegen den Wind, ohne dass sein Anzug stank. Birne gab die Hoffnung auf, hier gleich eine tolle Frau kennenzulernen, hier war kein Ort, an dem Verlierer eine Chance bekamen. Zum Verlieren ging man woanders hin.