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Der Fährmann von Palinghuus ist seit Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Da bekommt Sarah eine SMS von ihm, dass er sie in einem verlassenen Lagerhaus treffen will. Steckt er in Schwierigkeiten und benötigt ihre Hilfe? Im Kühlraum des Lagerhauses findet sie den Fährmann - erschossen! Schnell stellt sich heraus, dass er schon eine Weile tot ist und eingefroren wurde, um diese Tatsache zu vertuschen. Wer hat Sarah dann die Nachricht geschickt? Und warum wurde der Fährmann dort platziert?
Über die Serie: Palinghuus in Ostfriesland: Zwischen weitem Land und Wattenmeer lebt Sarah Teufel mit ihrem amerikanischen Ex-Mann James in einer Windmühle. Gemeinsam betreiben sie das einzige Taxiunternehmen weit und breit - mit einem Original New Yorker Yellow Cab! Bei ihren Fahrten bekommt Sarah so einiges mit. Und da die nächste Polizeistation weit weg ist, ist doch klar, dass Sarah selbst nachforscht, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn hier im hohen Norden wird nicht gesabbelt, sondern ermittelt!
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Seitenzahl: 231
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Inhalt
Grußwort des Verlags
Über diese Folge
Taxi, Tod und Teufel - Die Serie
Titel
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
Epilog
Über die Autorin
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Impressum
Cover
Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Inhaltsbeginn
Impressum
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Der Fährmann von Palinghuus ist seit Wochen wie vom Erdboden verschluckt. Da bekommt Sarah eine SMS von ihm, dass er sie in einem verlassenen Lagerhaus treffen will. Steckt er in Schwierigkeiten und benötigt ihre Hilfe? Im Kühlraum des Lagerhauses findet sie den Fährmann – erschossen! Schnell stellt sich heraus, dass er schon eine Weile tot ist und eingefroren wurde, um diese Tatsache zu vertuschen. Wer hat Sarah dann die Nachricht geschickt? Und warum wurde der Fährmann dort platziert?
Palinghuus in Ostfriesland: Zwischen weitem Land und Wattenmeer lebt Sarah Teufel mit ihrem amerikanischen Ex-Mann James in einer Windmühle. Gemeinsam betreiben sie das einzige Taxiunternehmen weit und breit – mit einem Original New Yorker Yellow Cab! Bei ihren Fahrten bekommt Sarah so einiges mit. Und da die nächste Polizeistation weit weg ist, ist doch klar, dass Sarah selbst nachforscht, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Denn hier im hohen Norden wird nicht gesabbelt, sondern ermittelt!
LENA KARMANN
Wenn der Fährmann zweimal stirbt
Um Punkt dreizehn Uhr traf die kleine Fähre von Baltrum kommend im Hafen von Palinghuus ein, an Bord gut ein Dutzend Touristen, von denen die meisten einen Ausflug ins Dorf machen wollten. Für eine vierköpfige Familie war der Urlaub auf der Insel dagegen vorbei, da sie bei Sarah Teufel ein Taxi bestellt hatten, um zum Bahnhof gebracht zu werden.
Sarah stand gegen ihr New Yorker Yellow Cab gelehnt da, das sie dank einer Ausnahmegenehmigung als Taxi einsetzen konnte, und betrachtete die Fähre, die sich ihrem Liegeplatz an der Kaimauer näherte.
»Hoffst du auf Kunden, min Deern, oder wartest du auf jemanden?«
Sarah drehte den Kopf nach rechts und entdeckte den Kaleu, der wie üblich eine Kapitänsmütze trug und eine Pfeife in den Mundwinkel geschoben hatte, die aber nur der Dekoration diente.
»Moin, Kaleu«, erwiderte sie. »Ich warte tatsächlich auf Kunden. Und nebenher warte ich immer noch darauf, dass Fehrmann endlich auftaucht.«
Fehrmann, der eigentlich die Fähre zwischen Palinghuus und den vorgelagerten Inseln betrieb, war vor Wochen spurlos verschwunden, und daran hatte sich bis jetzt nichts geändert. Es gab keinen Hinweis auf seinen Verbleib. Eigentlich wäre damit auch der Fährbetrieb zum Erliegen gekommen. Glücklicherweise hatte ein Unternehmen einspringen können, das offenbar vorhatte, die verschiedenen Fähren zu übernehmen, um wirtschaftlicher und profitabler zu arbeiten. Zumindest an Letzterem gab es keinen Zweifel, denn inzwischen waren bei dieser und ein paar anderen Fähren die Preise kräftig erhöht worden – gerade noch vor Beginn der Sommersaison, wenn die Touristen darauf angewiesen waren, zu ihren Quartieren auf den Inseln gebracht zu werden.
»Tun wir alle«, stimmte der alte Mann ihr zu.
»Ständig steuert ein anderer die Fähre«, fuhr Sarah fort. »Man hat keinen festen Ansprechpartner mehr, und zu einem Schwätzchen kann man von denen kaum einen bewegen. So als hätten sie Angst, dass sie etwas Falsches sagen könnten, wenn sie den Mund aufmachen.«
Der Kaleu nickte und sagte nachdenklich: »Möglicherweise haben sie ja tatsächlich Angst. Vielleicht denken sie, dass du sie uthorken willst, und eh sie sich versehen, macht die Gewerbeaufsicht dem Betreiber Ärger, weil sie zu lange Dienst geschoben haben oder ihre Ruhezeiten nich einhalten konnten.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Und dass sie ihre Fahrtenschreiber manipulieren, damit es nich auffällt.«
»Oder ich krieg raus, dass sie weniger als den Mindestlohn verdienen«, ergänzte sie und stutzte. »Fährschiffe haben Fahrtenschreiber?«
Der Kaleu zuckte mit den Schultern. »Keen Ahnung. Ik war noch nie auf einem. Da kriegen mich auch keine zehn Pferde drauf.«
Sarah musste flüchtig grinsen. Jeder im Ort nannte den alten Mann wie selbstverständlich Kaleu, was kurz für Kapitänleutnant steht, und alle glaubten, dass er ein altgedienter Seebär sein musste. Tatsächlich fielen sie alle nur ihrem eigenen Irrglauben zum Opfer, da sie dachten, jemand, der so aussieht und sich so kleidet, der muss einfach zur See gefahren sein. Dabei wäre er in Wahrheit schon seekrank geworden, wenn er sich nur auf der Fähre aufgehalten hätte, solange die noch im Hafen lag.
»Gut, dass nich jeder so denkt, sonst wären die Leute auf den Inseln ziemlich aufgeschmissen«, meinte Sarah amüsiert.
Der Kaleu winkte gelassen ab. »Wären sie nich, weil sie es dann ja gar nich erst auf die Inseln geschafft hätten.«
»Auch wieder wahr«, musste sie zugeben. »Ah, das müssen meine Fahrgäste sein.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf ein Paar mit zwei Kindern, einem Jungen und einem Mädchen, beide irgendwo zwischen zwölf und vierzehn. Alle vier zogen Rollkoffer hinter sich her, die an jeder der hölzernen Schwellen auf der Planke hängenblieben, die von der Fähre an Land führte. Obwohl jeder der Koffer dabei mehr als einmal so bedenklich wackelte, dass er ins Wasser zu stürzen drohte, kam keiner der vier auf die Idee, das Gepäckstück die paar Meter bis an Land zu tragen.
Genauso ging es über das grobe Kopfsteinpflaster weiter, das eindeutig nicht für diese Koffer geeignet war.
»Sie sind unser gebuchtes Taxi?«, fragte der Vater, als die vier vor Sarah angehalten hatten. Er war der Einzige, der sie ansah, während der Rest der Familie mit ihren Smartphones befasst war.
»Ich bin Sarah Teufel«, korrigierte sie den Mann freundlich und zwinkerte nebenbei dem Kaleu zu, der mit zwei Fingern an den Schirm seiner Mütze tippte und sich verabschiedete. »Und das is das Taxi, das Sie gebucht haben.«
Der Mann sah sie einen Moment lang ratlos an. »Hab ich doch gesagt«, gab er dann zurück und schüttelte leicht irritiert den Kopf.
»Genau«, sagte Sarah, die davon absah, ihm irgendetwas zu erklären. Es war ziemlich offensichtlich, dass sie damit nur noch mehr Ratlosigkeit ausgelöst hätte, also konnte sie es auch ganz bleiben lassen.
Die vier stellten ihre Koffer und Taschen in den Kofferraum, dann stiegen sie ein, während Sarah erst noch den Kofferraum umräumen musste, damit sie die Haube schließen konnte.
Eigentlich hätte Sarah sich während der Fahrt gern mit der Familie unterhalten, um zu hören, ob ihnen der Urlaub auf der Insel gefallen hatte und ob sie wohl wieder herkommen würden. Allerdings wurde ihr schon Augenblicke nach dem Einsteigen der gesamte Gruppe klar, dass sie sich die Mühe sparen konnte, da sie im besten Fall ein »Ja, ja« oder ein »M-hm« zu hören bekommen hätte – wenn überhaupt. Oder ihr wäre gesagt worden, sie könne sich die Bilder auf Social Media anschauen.
Kaum hatten sie ihre Gurte angelegt, widmete sich jeder – nun auch der Vater – seinem Smartphone und begann so hastig zu tippen, als könnte ihnen eine lebenswichtige Nachricht entgehen, wenn sie nur ein paar Sekunden zu lange zögerten. Abwechselnd lachte mal der Vater, mal die Tochter, während der Sohn ein »Boah« nach dem anderen folgen ließ. Sarah konnte sich nicht mal im Ansatz vorstellen, was der Junge wohl zu lesen bekam, dass er nur so reagierte. Die Mutter seufzte dagegen immer wieder verzückt, als würde sie Dutzende von süßen Katzenvideos zu sehen bekommen, die ihr von ihren Freundinnen geschickt worden waren.
Sarah nahm es mit einem Schulterzucken hin, auch wenn sie aufpassen musste, dass sie sich nicht erschreckte, wenn der Vater ohne Vorwarnung anfing, brüllend zu lachen. Vermutlich war es auf Baltrum nicht anders zugegangen als hier in ihrem Taxi, und die vier hatten von der Schönheit der Insel kaum etwas mitbekommen, außer wenn sie bei jedem Selfie vor dem Verschicken einen prüfenden Blick auf den Hintergrund geworfen hatten, ob sie davor auch wirklich gut aussahen.
Nachdem sie gut die halbe Strecke bis nach Emden zurückgelegt hatten, wurde Sarah bewusst, dass sie die in ihre Nachrichten und Videos konzentrierte Familie zutiefst hätte schätzen müssen. Da nämlich klingelte eines der Telefone, und die Tochter nahm das Gespräch an, um sich über Lautsprecher mit einer Freundin zu unterhalten, die alle möglichen Dinge ganz genau erfahren wollte. Welche Dinge das waren, ging dann aber im nachfolgenden Sprachgewirr unter, da der Rest der Familie dem Beispiel der Tochter folgte und ebenfalls zu telefonieren begann – natürlich mit eingeschaltetem Lautsprecher.
Unwillkürlich begann sich Sarah zu fragen, wann genau Leute eigentlich aufgehört hatten, ein Telefon beim Telefonieren an das Ohr zu halten, damit nicht sämtliche Anwesenden jedes Wort mithören konnten. Auf einmal streckte der Vater den Arm aus und drehte ihr Radio leiser, als würde er in seinem eigenen Wagen sitzen. Sarah ließ ihn gewähren, da sie keine Lust auf eine Diskussion hatte und es bis nach Emden nur noch ein kurzes Stück war.
Am Ziel angekommen hantierte der Vater suchend mit seinem Smartphone, nachdem Sarah ihm den Fahrtpreis genannt hatte. Schließlich hielt er inne. »Wo bezahle ich denn?«, fragte er irritiert, während der Rest der Familie ausstieg und das Gepäck aus dem Kofferraum holte.
»Genau hier«, antwortete Sarah mit einem charmanten Lächeln und hielt ihm ihre Hand hin. »Nur Barzahlung.«
»Lieber Himmel, leben Sie hier oben noch in der Steinzeit?«, murmelte er und zog seine Brieftasche aus der Hosentasche. »Wie viel war das?«, fragte er und kniff die Augen zusammen, um die Anzeige auf dem Taxameter zu studieren. Dann zog er mehrere Scheine aus der Brieftasche und betrachtete sie eine Weile, als müsste er erst einmal überlegen, welche Scheine miteinander kombiniert werden mussten, um auf den richtigen Betrag zu kommen. Schließlich drückte er ihr das Geld mit einem »Stimmt so« in die Hand und stieg aus.
Sarah begann die Scheine nachzuzählen und staunte nicht schlecht, als sie das Trinkgeld ausrechnete. »Das kann doch nicht sein Ernst sein«, sagte sie leise und beugte sich zur Beifahrerseite, gerade als er die Tür zuwarf. »Entschuldigen Sie ...«
»Ja, ja, ich hab's gerade gemerkt«, unterbrach er sie. »Das war ein Zehner zu wenig. Tut mir leid.« Bei diesen Worten flatterte ein weiterer Geldschein durch das offene Fenster und landete auf dem Sitz. »Danke für die Fahrt«, rief er dann noch, holte ebenfalls sein Gepäck aus dem Kofferraum und warf die Haube zu.
Sarah sah in den Rückspiegel, wie sich die Familie mit ihren Rollkoffern vom Taxi entfernte, und überlegte, ob sie nicht doch noch etwas sagen sollte, weil der Mann ihr ganz sicher keine dreißig Euro Trinkgeld hatte geben wollen – von vierzig Euro ganz zu schweigen. Aber vermutlich würde er dann bereits so in sein nächstes Telefonat vertieft sein, dass er ihr noch einen Zehner in die Hand drücken würde, damit sie endlich Ruhe gab.
Sie beschloss, den Betrag nicht als Trinkgeld, sondern eher als Schmerzensgeld für eine der unerfreulichsten Touren seit Langem zu betrachten. Wenn sich dieser Trend fortsetzte, würde sie ja noch eine Menge »Spaß« haben, denn es war erst Anfang Juni, und die richtigen Touristenströme würden erst noch einsetzen.
Nach einem Blick in den Außenspiegel wendete sie ihr Taxi und fuhr wieder Richtung Heimat. Sie hatte Emden hinter sich gelassen, als ihr Smartphone den Eingang einer SMS meldete. Sie fuhr rechts ran und öffnete die Nachricht. »Bitte am Lagerhaus 23, Gewerbegebiet Dornum II abholen. Nur Sie, niemand sonst. Danke, Fehrmann«, las sie halblaut vor und zog verdutzt die Augenbrauen hoch. Fehrmann? Der Mann, der Hals über Kopf seine Fähre im Stich gelassen hatte, wollte von ihr bei einem Lagerhaus abgeholt werden? Und nur von ihr, von niemandem sonst?
Sarah lehnte sich zurück und ließ sich diese Mitteilung durch den Kopf gehen. Wieso meldete sich Fehrmann auf einmal? Und dann ausgerechnet bei ihr? War er untergetaucht, um irgendetwas in Erfahrung zu bringen? Wollte er jetzt nur von ihr abgeholt werden, weil er wusste, dass sie nebenbei als Privatdetektivin tätig war? Hatte er Informationen, die er nicht der Polizei übergeben konnte, weil er sich dann selbst belastete?
Zu dumm, dass James nicht zu Hause war, sondern sich in Hamburg aufhielt, um für einen Kunden eine Handvoll Oldtimer auf ihren Zustand hin zu begutachten. Sonst hätte sie ihn mitnehmen können, damit sie nicht allein dort auftauchte.
Sie überlegte, ob sie stattdessen Hauptkommissar Scharrmann benachrichtigen sollte, damit der sich mit seinen Leuten auf den Weg zu diesem Lagerhaus machte. Je nachdem, was vorgefallen war, wäre es ihr unter Umständen vielleicht lieber, nicht darin verwickelt zu werden. Aber das hatte keinen Sinn. Sie kannte die Gegend, weil sie oft Geschäftsleute dort hinbrachte. Fehrmann konnte frühzeitig bemerken, wenn ein oder zwei Polizeiwagen das Lagerhaus ansteuerten, und die Flucht ergreifen, wenn er wirklich nicht mit den Beamten reden wollte. Selbst wenn Scharrmann mit seinem Zivilfahrzeug vorfuhr, wäre Fehrmann vorgewarnt, da er Sarahs Taxi erwartete.
Ihr blieb keine andere Wahl, als zumindest bis zum Lagerhaus zu fahren und an Ort und Stelle zu entscheiden, wie sie weiter vorgehen sollte, falls Fehrmann nirgends zu sehen war. Sie schrieb zurück, dass sie auf dem Weg zu ihm war, da wurde ihr erst bewusst, dass mit der SMS keine Rufnummer übermittelt worden war. Sie war sich zwar sicher, dass es irgendeinen Trick gab, wie man das bewerkstelligen konnte, um anonym zu bleiben. Aber sie konnte sich nicht erklären, wieso Fehrmann nicht seine Nummer mitschickte, wenn er doch eigentlich eine Antwort erhalten musste, ob sie überhaupt Zeit hatte und ihn abholen konnte.
Versuchsweise wählte sie die gespeicherte Nummer für den Fährdienst, doch mit dem ersten Klingeln meldete sich bereits die Ansage, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei und man doch eine Nachricht hinterlassen solle. Sie entschied sich dagegen und legte auf, dann fuhr sie los.
Gegen halb drei erreichte Sarah das Lagerhaus 23, das im großzügig bemessenen Wendehammer am Ende einer Sackgasse lag, von wo aus man auf drei verschiedene Firmengelände gelangte. Zwei der stabilen Gittertore waren geschlossen, das dritte stand offen. Am Metallzaun daneben hing ein Schild mit der Aufschrift Lagerhaus 23, weiter war dort nichts vermerkt. Es gab keinen Hinweis darauf, welche Unternehmen hier Räume gemietet hatten, aber das war wohl auch der Sinn der Sache. So wusste niemand, ob ein Verpackungsbetrieb Tausende gefaltete Umzugskartons lagerte, mit denen eine Diebesbande kaum etwas anfangen konnte, oder ob dort hochwertige Photovoltaikkomponenten und Smartphones zu finden waren.
Der Parkplatz vor dem unscheinbaren Gebäude aus Stahl und Beton war verwaist, was nicht zu dem Umstand passte, dass das Tor offenstand. Ganz sicher würde niemand zu Fuß herkommen, um aus seinem Lager einen einzelnen Karton zu holen, und dann mehr oder weniger schwer beladen den Rückweg anzutreten. Theoretisch hätte sich ein Wachmann dort aufhalten können, der seinen Wagen an einer zentralen Stelle geparkt hatte, um nicht von einem Grundstück zum nächsten fahren zu müssen. Aber der hätte das Tor ganz sicher hinter sich geschlossen, sobald er das Gelände betreten hatte.
»Das wirkt wie eine Einladung«, sagte Sarah zu sich selbst, während sie weiter Ausschau nach Fehrmann hielt. Aber weder er war irgendwo zu sehen, noch wartete jemand anders auf sie. Sie wählte noch einmal Fehrmanns Nummer, doch wieder sprang die Mailbox an.
Schließlich rief sie den Hauptkommissar an und schilderte ihm, was geschehen war und wo sie sich befand. »Ich weiß nich, Herr Scharrmann«, sagte sie. »Ich habe so ein Gefühl, dass hier was nich stimmt.«
»Das Gefühl habe ich auch. Bleiben Sie draußen und warten Sie, bis wir da sind«, sagte Scharrmann eindringlich.
»Okay.«
»Haben Sie das verstanden, Frau Teufel?«, hakte er nach.
»Ja.«
»Oder sagen Sie das nur und gehen trotzdem rein?«
»Ich gehe nich rein«, versicherte sie ihm.
»Das werden wir ja sehen«, meinte der Kommissar. »Wir beeilen uns.«
Sarah legte ihr Telefon zur Seite und beobachtete weiter die Umgebung, ob sich irgendwo etwas regte oder etwas halbwegs Verdächtiges zu entdecken war. Aber es hatte den Anschein, dass sich niemand hier aufhielt.
Nach einer Weile wurde Sarah klar, dass sich schon beim Eingang der SMS eine innere Unruhe geregt hatte, die jetzt immer intensiver wurde, je mehr Zeit verstrich. Fast kam es ihr so vor, als würde Fehrmann nach ihr rufen, damit sie zu ihm eilte.
Vielleicht brauchte er Hilfe und war nur nicht in der Lage, sich bemerkbar zu machen. Was, wenn ihm etwas zugestoßen war und er sich nicht aus eigener Kraft befreien konnte? Womöglich war er von jemandem angegriffen und verletzt worden, und jede Minute zählte, um sein Leben zu retten. Oder er war bloß gestürzt und hatte sich dabei so schwer verletzt, dass er es ohne fremde Hilfe nicht mehr nach draußen schaffen konnte?
Eines war klar: Sie würde mit ihrem Taxi nicht auf den Hof fahren, weil sie nicht wusste, ob sich das Tor plötzlich in Bewegung setzte und es für sie kein Entkommen mehr gab. Natürlich hätte sie sich mitten in die Einfahrt stellen können. Aber sie hatte keine Ahnung, wie sehr ihr Wagen am Ende demoliert sein würde, wenn trotzdem jemand den Mechanismus auslöste und das schwere Tor sich schloss. In jedem Fall wäre es ihr mit einem eingeklemmten Auto nicht mehr möglich, schnell die Flucht zu ergreifen.
Also sah sie sich das Gelände genau an und entdeckte auf dem Grundstück nahe des Zauns eine Art Verteilerkasten, der gut einen Meter zwanzig hoch war. Von dort aus würde es ihr möglich sein, die rund zweieinhalb Meter hohe Einfriedung zu überwinden. Genau vor dieser Stelle parkte sie ihren Wagen dicht am Zaun, sodass sie von dort oben nur aufs Dach springen und dann nach unten klettern musste.
Nachdem sie für einen Fluchtweg gesorgt hatte und Scharrmann mit seinen Kollegen noch immer nicht aufgetaucht war, betrat sie das Gelände des Lagerhauses. Bei jedem Schritt rechnete sie damit, dass sich hinter ihr das Gittertor schloss, doch das geschah nicht. Entweder kümmerte es niemanden, dass sie hier unterwegs war, oder derjenige wartete bis zum letzten Moment, da er wusste, dass das Tor nur langsam zufuhr und Sarah immer noch entkommen konnte, wenn sie jetzt davonrannte.
Sie ging die Stufen zur Laderampe hoch und warf einen Blick in den Glaskasten rechts von ihr, in dem Platz für einen Wachmann war, den aber offenbar niemand mehr brauchte. Die Kameras, die sie an verschiedenen Stellen auf der Rampe entdeckte, hatten vermutlich die Aufgabe dieses Wachmanns übernommen. Sie übermittelten sicher die Bilder vom Lagerhaus zu irgendeiner Zentrale, die Dutzende solcher Gebäude gleichzeitig überwachen konnte und dabei mit einem Bruchteil des Personals auskam.
Wenn Fehrmann sich tatsächlich hier aufgehalten hatte, musste man ihn gesehen haben – und irgendjemand musste etwas unternommen haben, damit einer herkam und nach dem Rechten sah. War das bereits geschehen? War das der Grund, wieso Fehrmann anders als vereinbart nicht hier auf sie wartete? Waren Wachleute hergekommen, um ihn in Gewahrsam zu nehmen? Aber wenn ja, wieso stand das Gittertor dann noch offen? Die Sache mit dem Tor ergab keinen Sinn. Wenn die Wachleute zu Fuß hergekommen waren, weil die Leitstelle vielleicht nur ein oder zwei Blocks entfernt war, hätten sie nach Betreten des Grundstücks zweifellos das Tor hinter sich geschlossen. Ansonsten wären sie schließlich Gefahr gelaufen, dass Fehrmann ihnen entwischt wäre. Oder andere Personen hätten sich in der Zwischenzeit Zutritt verschafft, für die das offene Tor wie eine Einladung zur Selbstbedienung aussah.
»Egal, weiter«, murmelte Sarah, um sich selbst Mut zu machen. Eigentlich hätte sie lieber draußen auf Scharrmann gewartet, damit der mit seinen Leuten dieses Lagerhaus auf den Kopf stellte. Aber diese Unruhe wollte einfach nicht nachlassen, und jetzt wurde sie sogar noch intensiver, so als wäre sie Fehrmann ganz nahe.
Langsam ging sie die Laderampe entlang, vorbei an großen geschlossenen Rolltoren, hinter denen was auch immer gelagert wurde. Keines der Tore wies erkennbare Spuren für ein gewaltsames Öffnen auf, sodass sie davon ausgehen konnte, dass Fehrmann dort nicht zu finden war – sofern er denn tatsächlich hergekommen war und nicht bloß versuchte, mit einer Finte von sich abzulenken, damit er in der Zwischenzeit ganz woanders untertauchen konnte.
Ganz am Ende der Rampe befand sich eine zweiflügelige Metalltür, von der die rote Farbe an vielen Stellen abgeplatzt war und die unter starkem Rostbefall vor allem an der Unterkante litt. Auf ganzer Länge wirkte es so, als hätte der Rost das Metall wuchern lassen, ehe Schicht um Schicht abgeblättert war, sodass an mehreren Stellen Löcher entstanden waren. Durch diese Löcher fiel ein schwacher Lichtschein, der Sarah verriet, dass sich innen jemand aufhalten musste. Zweifellos waren in den Gängen Bewegungsmelder angebracht, um zu verhindern, dass sinnlos Strom vergeudet wurde, wenn die ganze Halle hell erleuchtet war, nur weil in irgendeiner Ecke jemand Kartons stapelte.
Sarah zog die Einweghandschuhe an, die sie längst routinemäßig bei sich trug, seit sie immer wieder über Mordopfer gestolpert war. Sie wusste, wie wichtig es war, die vorhandenen Spuren möglichst unversehrt zu lassen und erst recht keine neuen, eigenen hinzuzufügen. Sie fasste nach der Klinke und drückte sie nach unten, dann versuchte sie die schwere Tür aufzuziehen – und hatte damit Erfolg. Einerseits erstaunte es sie, weil es nicht möglich sein sollte, einfach so in eine Lagerhalle zu spazieren, in der man nichts zu suchen hatte. Andererseits passte es zu dem weit geöffneten Tor an der Einfahrt. Die Frage war nur, ob jemand auf dem Weg nach innen keinen Wert darauf gelegt hatte, hinter sich abzuschließen, oder ob jemand Hals über Kopf aus der Halle und vom Grundstück geflüchtet war. Jemand wie Fehrmann, der sie herbestellt hatte.
Sie zog die schwere Tür auf, spähte nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand auflauerte, dann trat sie ein, hielt aber weiter die Tür geöffnet. In der Ecke lag ein Holzkeil auf dem Boden, den sie mit dem Fuß heranzog und unter das vollständig geöffnete Türblatt schob. Vor ihr erstreckte sich ein langer Gang, links und rechts befanden sich deckenhohe Rolltore. Alles war in der Breite so ausgelegt, dass man mit dem Gabelstapler hindurch kam, der in einer Art verriegeltem Käfig untergebracht war.
Erst als Sarah genauer hinsah, fiel ihr auf, dass es sich nicht bloß um einen Käfig für das Gefährt handelte. Vielmehr war die Konstruktion ein großer Lastenaufzug, der in ein Untergeschoss fahren konnte. Sie ging um den frei stehenden Aufzug herum und stieß auf der Rückseite auf eine Metalltreppe mit vergitterten Stufen, durch die man bis in das untere Stockwerk sehen konnte. Dort brannte ebenfalls Licht. Ein Schild mit der Aufschrift Zu den Kühlräumen war am Geländer befestigt.
Sarah vermutete, dass sich Fehrmann da unten befand, da nicht anzunehmen war, dass im gesamten Gebäude die Lichter angingen, wenn man im Lagerhaus das Licht einschaltete.
Immer bedacht darauf, möglichst kein Geräusch zu verursachen, ging sie langsam nach unten und fand sich in einem ähnlich aussehenden langen Gang wieder, bei dem die Decke deutlich niedriger war und es keine Rolltore zu den einzelnen Räumen gab, sondern schwere Stahltüren. Die waren auch nötig, da es galt, die gekühlte Luft in den Lagerräumen zu halten. Das funktionierte vermutlich gut, überlegte Sarah, da es im Untergeschoss nicht spürbar kühler war als oben. Angesichts der grünen Kontrollleuchten an fast allen Türen war davon auszugehen, dass alle Lager belegt waren. Nur ein paar Leuchten waren dunkel.
Sarah blieb stehen und lauschte angestrengt, aber sie hörte kein Geräusch. Weder Schritte noch leise Rufe noch irgendwelche anderen Hinweise darauf, dass hier unten jemand in der Falle saß und um Hilfe rief. Heißen musste das jedoch nichts, da sie keine Ahnung hatte, ob die Kälteisolierung gleichzeitig auch jedes Geräusch so dämpfte, dass man auf dieser Seite der Tür davon nichts mehr hören konnte.
Auf den ersten Blick schien hier unten alles in Ordnung zu sein, aber Sarah war sich sicher, dass das Gegenteil der Fall war. Sie ging langsam den Gang entlang und betrachtete eine Tür nach der anderen, doch jede von ihnen war nach der Stellung des großen Stahlhebels zu urteilen fest verschlossen – und vor allem mit einem massiven Vorhängeschloss gesichert. Alle, bis auf eine. Der Hebel war umgelegt, dass Schloss war mit einem Bolzenschneider geöffnet worden und davor lag ein zerbrochener Besenstiel – so als hätte jemand mit dem Stiel verhindern wollen, dass die Tür hinter ihm zufiel und er womöglich nicht mehr aus dem Kühlraum herauskam. Offenbar war dieses Stück Holz zu dünn gewesen, um diesen Zweck zu erfüllen. Oder aber jemand hatte das Türblatt mit genügend Schwung zufallen lassen, sodass der Besenstiel dabei zerbrochen war.
Sarah atmete tief durch und sah erst noch einmal nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass nirgendwo jemand lauerte, um sie in den Kühlraum zu stoßen und einzusperren. Dann fasste sie nach dem Griff und zog die Tür auf. Sofort schlug ihr eisige Luft entgegen, die sie frösteln ließ und ihr klarmachte, dass sie in ihrem T-Shirt und der dünnen Stoffhose zwar dem warmen Wetter draußen vor dem Lagerhaus entsprechend angezogen war, hier unten aber nicht lange bleiben konnte, ohne mindestens eine heftige Erkältung zu riskieren.
Als sie die Stahltür bis zum Anschlag geöffnet hatte, trat sie bis an die Öffnung heran, um von dort einen Blick in den Raum zu werfen. Wenn sie von hier aus keinen Hinweis auf Fehrmann entdecken konnte, würde sie die Tür wieder schließen und nach draußen gehen, um auf Scharrmann und seine Leute zu warten, die nicht mehr allzu weit entfernt sein konnten.
Sie hielt inne, denn was sie sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren – und das nicht nur, weil die Raumtemperatur der Digitalanzeige an der Wand zufolge minus zwanzig Grad betrug.
Links der Tür lag ein halb gegen die Wand gelehnter Mitarbeiter eines Wachdienstes auf dem Boden, der Kopf war auf seine Brust gesunken. Den frühsommerlichen Temperaturen entsprechend trug der Mann ein Hemd und darüber eine dünne Weste mit etlichen Taschen in allen möglichen Größen, um die gesamte Ausrüstung unterbringen zu können, die er von Berufs wegen mit sich führen musste. Ein großer, blutroter Fleck verunzierte das hellblaue Hemd im Brustbereich, und im ersten Moment dachte Sarah, dass der Wachmann sich mit der Pistole ins Herz geschossen hatte, die er wie verkrampft in der rechten Hand hielt.
»Was is denn hier passiert?«, murmelte sie und sah erst jetzt nach rechts. Vor Schreck riss sie die Augen weit auf, denn an der gegenüberliegenden Wand saß in ähnlicher Haltung Edgar Fehrmann in sich zusammengesunken auf dem Boden. Es war schon kurios, dass Sarah den Vornamen des Mannes erst erfahren hatte, als die Polizei die Suchmeldung herausgegeben hatte. Bis dahin war er nur der Fährmann Fehrmann gewesen. Sein weißes T-Shirt war ebenfalls blutrot verfärbt, neben ihm lag auch eine Pistole. Fehrmann hielt sie allerdings nicht mehr in der Hand, sondern hatte sie wohl schon fallengelassen, bevor er zu Boden gegangen war. Ob es sich bei dem Mann tatsächlich um Fehrmann handelte, konnte Sarah nicht mit Sicherheit sagen, da sie von seinem Gesicht nicht genug sah. Aber er trug jene markante Kleidung, die in der letzten Zeit an den unterschiedlichsten Orten nicht nur rund um Palinghuus beobachtet worden war. Sarah selbst hatte einen Fremden in genau diese Sachen gekleidet in Emden gesehen. Da war es ihr noch so vorgekommen, als wollte dieser Mann bemerkt werden, um den Eindruck zu erwecken, dass der verschwundene Fehrmann quicklebendig war.
Wieso Fehrmann – wenn er es denn tatsächlich war – nun selbst wieder diese Kleidung trug, war mehr als rätselhaft. So rätselhaft wie diese Szene hier, die den Eindruck erweckte, als hätten sich die beiden Männer gegenseitig erschossen. Welchen Grund sollte Fehrmann dazu gehabt haben? Was hatte er überhaupt hier zu suchen gehabt?
