Teamermittlung - Jill Waldhofer - E-Book

Teamermittlung E-Book

Jill Waldhofer

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Beschreibung

Jost Hansen, Bellas Partner bei der Steuerfahndung in F. und vermeintlich guter Freund, versucht Bella zu töten und flüchtet. In die Machenschaften im Finanzamt, denen beide auf die Spur kommen wollten, ist er selbst verwickelt. Doch nach dem Anschlag in der Tiefgarage bleiben weitere Akteure und Methode unklar. Josts Leiche wird in Norddeutschland aufgefunden und der Fall zu den Akten gelegt. Bella kann sich an wichtige Details nicht erinnern und leidet besonders darunter, ihrem Partner blind vertraut und Jost absolut falsch eingeschätzt zu haben. Oder gibt es doch eine andere Erklärung? Jahre später beschattet Bellas Freundin, die Privatdetektivin Cara, für ihren Auftraggeber eine vermeintliche Arbeitszeitbetrügerin. Im Zuge der Observation stößt sie auf einen Beweis dafür, dass Jost am Leben und ganz in der Nähe ist. Nach kurzem Leugnen der Fakten beschließt Bella, mit Unterstützung von Cara, ihrem Mann Erlinger und Kommissar Paul Witzig Jost aufzuspüren, die Gründe für sein unerklärliches Verhalten zu erfahren und die Machenschaften im Amt von damals endlich aufzuklären. Witzig warnt Cara vor Alleingängen. Doch Cara, die sich nicht erklären kann, welches Interesse ihre Zielperson an dem Beweisfoto von Jost hat, lässt sich nicht bevormunden. Mit Hilfe ihres jugendlichen Nachbarn Jakob und dessen Freunden Kevvie und Yoyo findet sie heraus, dass Frau D. von Josts und Bellas Vergangenheit zu wissen scheint. Durch einen Zufall erfährt Cara von einem erfolglosen Bestechungsversuch. Darauf, nachdem sie und Witzig sich angenähert haben, wird ein Anschlag auf den Unternehmer Denner verübt. Ihr Auftraggeber, Frau D.s Vorgesetzter, scheint in beide Vorfälle verwickelt. Als Jost sich meldet und Bella verzweifelt um ein Treffen bittet, müssen Cara und Witzig zusammen mit Erlinger schnell reagieren und einen Plan schmieden, um Bella und schließlich auch Jost vor den Drahtziehern im Hintergrund zu retten. Eine schier unglaubliche Korruptionsaffäre kommt ans Licht.

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Seitenzahl: 395

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Jill Waldhofer

Teamermittlung

Vertrauensbrüche

© 2020 Jill Waldhofer

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-347-08568-8

Hardcover:

978-3-347-08569-5

e-Book:

978-3-347-08570-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Kapitel 1: Verfolgungen

Kapitel 2: Zusammenstöße

Kapitel 3: Ansichtssachen

Kapitel 4: Kopfschmerzen

Kapitel 5: Brüche

Kapitel 6: Fahndung

Kapitel 7: Treffer

Kapitel 8: Offene Fragen

Kapitel 9: Dämpfer

Kapitel 10: Kompetenzen

Kapitel 11: Abstand

Kapitel 12: Nachbarschaft

Kapitel 13: Beziehungspflege

Kapitel 14: Aufarbeitungen

Kapitel 15: Eigenbedarf

Kapitel 16: Ungeschicklichkeiten

Kapitel 17: Mutbeweise

Kapitel 18: Alarmglocken

Kapitel 19: Auberginen

Kapitel 20: Zusammenfassungen

Kapitel 21: Rechnungen

Kapitel 22: Hausbesuche

Kapitel 23: Bedürfnisse

Kapitel 24: Vertrauenssache

Kapitel 25: Gestocher

Kapitel 26: Hintergründe

Kapitel 27: Differenzen

Kapitel 28: Kontaktaufnahme

Kapitel 29: Verabredungen

Kapitel 30: Gefühlssachen

Kapitel 31: Kollegen

Kapitel 32: Feierabend

Kapitel 33: Arbeitsteilung

Kapitel 34: Zaubereien

Kapitel 35: Sinnestäuschungen

Kapitel 36: Erkenntnisse

Kapitel 37: Alibi

Kapitel 38: Verbindungen

Kapitel 39: Klingelstreich

Kapitel 40: Rückkehrer

Kapitel 41: Hilfe

Kapitel 42: Konvoi

Kapitel 43: Rollenspiele

Kapitel 44: Tricks

Kapitel 45: Beobachtungen

Kapitel 46: Fluchten

Kapitel 47: Beziehungsarbeit

Kapitel 48: Anrufe

Kapitel 49: Schuldentilgung

Kapitel 50: Schluss?

Für Jillie

Kapitel 1: Verfolgungen

Cara hatte einen neuen Auftrag. Sie sollte eine krankgeschriebene Angestellte überwachen und herausfinden, ob diese wirklich arbeitsunfähig war. Ihr Auftraggeber hatte schon länger den Verdacht, dass die Dame sich regelmäßig ein paar zusätzliche Urlaubstage genehmigte.

Soweit so gut, denn es musste dringend Geld in die Kasse. Die Aufgabe war zwar langweilig, aber im Prinzip einfach und schnell zu erledigen. Ihrer Erfahrung nach kamen die echten Arbeitszeitbetrüger nicht auf die Idee, beobachtet zu werden und verrieten sich spätestens am zweiten Tag. Es waren die wirklich Kranken, die mit schlechtem Gewissen zur Apotheke und auf dem schnellsten Wege zurück nach Hause fuhren…

Dumm war nur, dass diese Überwachung in einer reinen Wohngegend stattfinden sollte, denn Detektivarbeit in ruhigen Straßen ohne Laufverkehr waren am schwierigsten. Schließlich konnte sie sich dort nicht mit einer Zeitung oder mit ihrem Handy vorm Gesicht an einen Laternenpfahl lehnen. Es war auch nicht möglich, ohne guten Grund in diesen Straßen auf und ab zu laufen oder so zu tun, als warte man stundenlang auf jemanden. Auch lange im Auto zu sitzen, würde den Argwohn der Anwohnerschaft zur Folge haben. Sie würde in jedem Fall auffallen, und das war etwas, was bei einer Observation natürlich vermieden werden sollte.

Was also tun? Sie hatte, wie sie fand, eine elegante Lösung gefunden und den Hund ihrer Freundin für den Nachmittag ausgeliehen. Schließlich ist nichts so alltäglich und normal wie eine Hundebesitzerin, die schicksalsergeben und ohne Anspruch auf Landschaft ausführlich Gassi ging.

Sie lief also mit der braven Aussie-Hündin die lange, recht steil ansteigende Sackgasse auf und ab. Gelegentlich blickte Jimmie zu ihr hoch und schien sich zu fragen, was dieses sonderbare Treiben zu bedeuten hatte. Nach einer halben Stunde kam sich auch die Detektivin trotz der gewählten Tarnung reichlich abwegig vor. Es hatte nämlich begonnen, in hellen Strömen zu regnen. Niemand, der seine sieben Sinne normal beisammenhatte, dachte sie, schlenderte bei diesem Wetter derart ausdauernd immer wieder dieselbe öde Strecke entlang. Jeder intelligente Mensch wäre schon schnellstmöglich in seine Wohnung gesprintet, um der ekelhaften Nässe dieses Apriltages zu entkommen.

Nicht so sie und „ihr“ Hund! Denn ihr Auftrag lautete, die Zielperson für einige Tage genau zu überwachen. Das hieß: Wo immer sie hinging oder hinfuhr, der Auftraggeber wünschte die genauen Einzelheiten zu erfahren. Das bedeutete für sie: Egal, wie das Wetter war – und dieses war kalt und widerlich –, sie musste dieser Frau folgen, wohin sie sich begab.

Zum mindesten zehnten Mal lief sie also, Jimmie an ihrer Seite, mit aufgespanntem Regenschirm und hochgeschlagenem Trenchcoatkragen durch die ruhige Wohnstraße, den Blick unauffällig auf das stattliche Haus am Ende der Sackgasse gerichtet. Dort geschah allerdings absolut nichts und auch ansonsten war die Straße wie ausgestorben. Gut, dass sie nicht im Auto saß, sondern sich bewegen musste, dachte sie, denn die Observation war ja wirklich zum Einschlafen langweilig. Zunehmend mürrisch und fröstelnd trottete sie vor sich hin und fühlte ihre Aufmerksamkeit schwinden.

Auf den folgenden Vorfall war sie also, noch dazu einzig auf die Villa konzentriert und in Hundeführung ungeübt, schlecht vorbereitet. Ein paar Häuser weiter sah sie eine Frau, das Ende einer langen Leine am Handgelenk, aus ihrer Eingangstür treten. Der Hund stand schon in der Hofausfahrt und blickte in Caras und Jimmies Richtung.

‚Was für ein Kalb‘, dachte Cara träge. Die arme Frau musste offensichtlich bei diesem Regen und Sturm zum Spazierengehen hinaus, damit das Tier sich erleichtern konnte. Sie lief ein bisschen näher an den Rand des Bürgersteigs, um an der Dogge vorbeizukommen und warf einen schnellen Blick auf die Uhr. ‚Oh Gott‘, stöhnte sie lautlos ‚erst halb vier!‘

„Ah!“, schrie sie erschrocken auf. Das Kalb hatte ein wildes Bellen angestimmt und war von rechts aus der Einfahrt auf Jimmie zugestürmt. Zu spät begriff Cara, dass Doggen es wohl nicht schätzten, wenn andere Hündinnen frech an ihrem Haus entlangliefen. Jimmie, die Angegriffene, suchte ihr Heil in einer schnellen Flucht in Richtung Wendeplatz.

Überrascht von der Attacke ließ Cara die Leine los. Jimmie preschte vorwärts, dicht gefolgt von der ergrimmten Dogge, die allerdings noch an ihrem ledernen Riemen hing, der von der wohl überraschten Doggenherrin krampfhaft festgehalten wurde. Die erzürnte Dogge wurde abrupt abgebremst; Jimmie – nun mit Oberwasser – rannte ihrerseits bellend zurück und auf das Kalb zu. Die Hunde jagten sich schließlich im Kreis um Cara herum.

Es kam, wie es kommen musste. Die Leine des Kalbes wickelte sich in höchster Geschwindigkeit um Caras Knie und ließ sie, wie vom Lasso gefangen, zu Boden stürzen. Noch im Fallen versuchte Cara das zu beobachtende Objekt im Blick zu behalten. Sie sah voller Verzweiflung das Sujet ihres Auftrags. Die Frau saß mit einem gleichgültigen Blick auf das Hunde-Desaster in einem Auto am Wendeplatz und ließ gerade den Motor an, um ausgerechnet jetzt mit unbekanntem Ziel davonzufahren.

Oder doch nicht?

„Jimmie! Nein!! Weg von der Straße!!!“, schrie Cara hellauf entsetzt, als sie die geborgte Hündin zuerst wieder auf die an ihrer Leine zerrende gegnerische Dogge zu preschen und dann in vermeintlich sicherem Abstand mitten auf der Straße sitzenbleiben sah. Der schicke BMW des Zielobjekts fuhr zwar noch langsam, bewegte sich aber direkt auf Jimmie zu. Die Fahrerin schien sich mit irgendeinem Gegenstand auf dem Beifahrersitz zu schaffen zu machen und bemerkte nichts vom sich abzeichnenden Drama.

„Komm heeeer!!!!“, kreischte die jetzt in einer dreckigen Pfütze liegende Cara, so dass die Doggenbesitzerin vor Schreck ihre Leine fallen ließ. Jimmie, die offenbar gleichzeitig erstarren, zusammenzucken und lossprinten konnte, entkam mit einem Hechtsprung in Richtung Straßenrand dem aggressiv glänzenden Kühlergrill in letzter Sekunde!

„Oh, Jimmie!!! Hör auf mich abzuschlecken!“ Sie raffte sich mit Mühe und Not wieder auf und versuchte dabei, die elende Doggenleine von sich los zu zerren. Jimmie tanzte wie wild um sie herum und wollte wohl noch für ihre Heldentat gelobt werden.

„Sind sie etwa verletzt?“, fragte die Doggenfrau gereizt und reckte dabei den Hals in Richtung Wendeplatz am Ende der Straße. Ihr freiheitsliebendes Kalb war entschwunden und schien sich in irgendeinem Garten hinter den letzten Häusern oder im angrenzenden Wäldchen zu verstecken.

„Nein, danke. Es geht schon.“ Sie schnappte sich Jimmies Leine und ihren Schirm, den der Wind in den nächsten Vorgarten geweht hatte.

„Tut mir leid, ich hab’s sehr eilig. Bei Ihnen alles klar?“, rief sie im Wegrennen, ohne sich um die Antwort zu scheren. Sie hatte nämlich gesehen, dass ihr Zielobjekt nun doch noch in etwa hundert Metern an der T-Kreuzung zu sehen war und wohl wegen dichten Verkehrs nicht auf die größere Straße abbiegen konnte. Ihr eigener unauffälliger VW stand in passender Richtung rechts am Straßenrand.

„Schnell, Jimmie, rein ins Auto!“, scheuchte sie die Hündin und entriegelte gleichzeitig die Türen. „Hopp, rein!“

Jimmie sprang in den Kofferraum, Quasi-Frauchen warf sich auf den Fahrersitz und rammte den Schlüssel ins Schloss. Zielperson noch da?

Ja, da stand der BMW immer noch nach links blinkend und kam nicht voran.

„Ha! Hervorragend! So schnell entwischt man mir nicht!“, johlte sie triumphierend und musste sich beherrschen, nicht mit quietschenden Reifen der Pseudokranken hinterher zu fahren. Im nächsten Moment stand auch sie blinkend an der Kreuzung und beugte sich so gut wie möglich nach vorn, um im Rückspiegel der armen Kranken nicht sichtbar zu sein. Ein Schlapphut wäre jetzt gut, aber sie hatte ihren bei der letzten Observation verloren, als sie einen windigen Typen nachts auf einem Fabrikgelände verfolgte.

So, jetzt fuhr die Edelkarosse an und die Beobachterin beeilte sich, ebenfalls durch die kurzfristig entstandene Verkehrslücke zu kommen. Sie fuhr nun dem BMW nach, nicht zu dicht auffahrend, aber auch nicht zu viel Platz lassend, um der Beobachtungsperson nicht die Möglichkeit zu lassen, an der nächstbesten roten Ampel zu verschwinden. Während sie so aufmerksam wie möglich dahinfuhr, überkam sie plötzlich das heulende Elend. Was für ein Beruf!

Jetzt saß sie tropfend, dreckig und frierend in ihrem Auto. Nicht nur der Trenchcoat war nass, die Feuchtigkeit war inzwischen in die Jeans gesickert und der Autositz bekam auch seinen Teil Schmutzwasser ab. Das würde für die nächsten Tage noch unangenehme Gefühle und einen feuchten Hintern verursachen.

Toll! Wieso konnte sie jetzt nicht gemütlich auf dem Sofa liegen, trocken und warm und mit einem spannenden Krimi in der Hand und einem Glas Weißwein auf dem Tischchen neben sich? Stattdessen musste sie kalt und nass hinter einem Menschen herfahren, um herauszufinden, ob dieser nun krank war oder nicht. Sie jedenfalls würde vermutlich in kürzester Zeit darniederliegen, wenn sie nicht aus diesen nassen Sachen herauskam. Sie schaute in den Rückspiegel.

Jimmie saß aufrecht im Kofferraum und fixierte sie mit ihren klugen Augen, als wüsste sie, was in ihr vorging. Sie sah, dass die Hündin aufmunternd mit dem Schwanz wedelte. Der Schwanz war zwar eigentlich nicht zu sehen, aber der ganze Körper der Hündin wurde mitgewedelt. Das war so tröstlich, dass ihr sofort die Tränen in die Augen stiegen vor lauter Selbstmitleid.

Dass dies eine sehr schlechte Idee war, wurde sofort deutlich, denn die Zielperson begann langsamer zu fahren, um einen Parkplatz zu suchen, und fast wäre Cara hinten aufgefahren, wenn sie nicht im letzten Augenblick auf die Bremse getreten wäre. Puh, gerade noch geschafft! Den Kopf zur Seite drehend fuhr sie langsam an dem inzwischen einparkenden BMW vorbei, nun ihrerseits eine Parkmöglichkeit suchend. Gefunden!

Vorsichtig bei dem strömendem und die Sicht behindernden Regen rückwärts einparkend versuchte sie gleichzeitig die Frau im Auge zu behalten, die zielstrebig auf eine Spielhalle zuging. Eine Spielhalle? Was wollte diese Frau, gut angezogen, mit einem teuren BMW und einem Haus in einer guten Wohngegend, in so einer heruntergekommenen Spielhalle, in der sich nur die Armen, die die Hoffnung auf einen Gewinn nicht aufgeben mochten, die trostlose Zeit vertrieben?

Seltsam, sehr seltsam! Aber um zu erfahren, was die Frau dort vorhatte, musste sie hinterher. Doch in ihrem nassen Trenchcoat mit nasser Jeans war sie so auffällig wie ein Osterhase am Heiligen Abend. Was konnte sie tun? Hinten auf der Rückbank war noch ihre Sporttasche mit den müffelnden Sachen vom letzten Lauftraining, das schon einige Tage – Wochen? – zurücklag. Dazu gehörte eine windfeste, wasserabweisende Jacke, die sie naserümpfend überzog.

Irgendwie schaffte sie es, sich sitzend auch aus der feuchten Jeans zu winden und die Jogginghose über die Füße und Hüften zu ziehen. Ein Basecap, die blonden Haare darunter gestopft und los konnte es gehen.

„Ich bin gleich wieder da, Jimmie! Du wartest schön, okay?“

Als ob diese bei geschlossenem Auto wegkonnte. Egal. Ein bisschen Höflichkeit musste sein. Und nun auf ins zweifelhafte Vergnügen!

Sie verschloss das Auto, platschte dabei in eine große Pfütze, so dass jetzt zu der allgemeinen Nässe auch noch durchweichte Socken dazukamen. Wenn das keine Erkältung gab! Sie überquerte die Straße und betrat die Spielhalle. Ein dunkles Loch mit schäbigem Linoleum, einigen Menschen, die trostlos die Groschengräber fütterten und sie mit gleichgültigen Augen vorübergehen sahen. Verdammt, jetzt hatte sie natürlich kein Geld dabei, denn in der Windjacke war nichts. Ihr Geld war im Trenchcoat, und der Trenchcoat war im Auto. Also improvisieren.

Schnell ließ sie ihren Blick durch die dunkle Halle wandern, um ihr Zielobjekt zu erspähen. Da! Die Frau stand bei einem Mann, der ihr gerade einen braunen, etwa 10 x 20 cm großen Briefumschlag zusteckte und dabei seinerseits seinen Blick schweifen ließ, als ob er befürchtete, beobachtet zu werden. Schnell wandte sich die Privatdetektivin dem nächsten Spieler zu, ergriff ihn am Arm und zerrte ihn schimpfend mit sich weg. Der arme Mann, völlig überrumpelt, ließ sich abschleppen, ohne nennenswerten Widerstand zu leisten. Er warf nur noch einen sehnsüchtigen Blick auf seinen Automaten, der gerade eine Goldene Sieben angezeigt hatte und dabei war, viele Eurostücke auszuspucken.

Draußen angekommen ließ sie den Unbekannten los, entschuldigte sich bei ihm und erklärte, dass sie ihn versehentlich für ihren Vater gehalten hätte, der auch immer sein ganzes Geld verspielte und den sie davor schützen wollte. Der herausgezerrte Spieler nickte nur mit einem ängstlichen Blick in ihr Gesicht – er hielt sie offensichtlich für völlig übergeschnappt –, um sich dann vorsichtig rückwärts bewegend wieder in die Spielhalle zu begeben. Hoffentlich hatte sich nicht jemand inzwischen seinen ganzen Gewinn geschnappt.

Cara ging zurück zu ihrem Auto, wo sie überschwänglich von Jimmie begrüßt wurde, was sie aber kaum registrierte, denn ihre Gedanken rasten. Was bedeutete das? Was war in dem Umschlag? Geld? Aber wofür? Oder was sonst?

Sie setzte sich wieder ins Auto, und verstellte den Rückspiegel, so dass sie die Eingangstür der Spielhalle im Blick behalten konnte. Nichts passierte in den nächsten fünfzehn Minuten, außer dass nun auch die Sitzfläche ihrer Jogginghose anfing, ekelhaft klamm zu werden und sich im Auto die verdunstende Feuchtigkeit auf den Scheiben niederschlug. In dieser engen Straße am Rande der Innenstadt gab es außer der Spielhalle nur den türkischen Imbiss, vor dem sie parkte, und ansonsten leicht heruntergekommene Mehrfamilienhäuser. Im leeren Imbiss wischte der Betreiber träge auf der Theke herum. Kein Mensch war bei dem Wetter auf dem Fußweg zu sehen. Kein Auto fuhr vorbei.

Sie war kurz davor, trotz der feuchten Kälte einzunicken, als ihr Handy einen Klingelton von sich gab, der sie schlagartig wach werden ließ. Bella! Oh nein! Wie spät war es? Oh Gott! Hinten bellte Jimmie klagend auf, als wäre auch ihr gerade aufgefallen, dass sie schon längst wieder zuhause sein sollte. Sie zog den Finger übers Display.

„Bella? Ich bin sofort da. Bin schon auf dem Weg! Tschauii, bis gleich.“

Sie legte auf, bevor Bella etwas entgegnen konnte und schmiss das Handy zurück in ihre Handtasche. Schnell wischte sie mit einem schmuddeligen Lederschwamm über die beschlagene Windschutzscheibe und startete den Motor.

Auftrag hin oder her – Leib und Leben oder, besser gesagt, ihre Freundschaft und gelegentliche Zusammenarbeit mit Bella wollte sie nun auch nicht riskieren. Bella war ihre beste Freundin, aber Jimmie war Bellas große Liebe und sie hatte versprochen, mit dieser gegen 16 Uhr zurück zu sein. Jetzt war es fast 17.30 Uhr… Zügig lenkte sie aus der Parklücke, dann raus aus der Innenstadt und auf die Bundesstraße. Bella und ihr Mann bewohnten ein wunderschönes altes Bauernhaus in einem winzigen Dorf auf dem Lande. Als sie endlich vor dem Haus anhielt, stand ihre Freundin schon im Regenmantel vor der Gartenpforte. Was sie von Bellas Gesicht unter der tropfenden Kapuze erkennen konnte, sah gar nicht erfreut aus. Ohne einen Gruß in ihre Richtung öffnete Bella den Kofferraum.

"Hallo, meine Süße! Komm schnell rein. Es gibt Futter!“ Jimmie bellte freudig auf, sprang aus dem Wagen und an Bella hoch.

„Du, Bell–“, hub Cara an, aber weiter kam sie nicht.

„Wir sprechen uns noch! Tschüss!“, rief Jimmies aufgebrachte Besitzerin durch den Kofferraum, bevor sie die Klappe zuknallte.

Beide, Bella und Jimmie, verschwanden ohne einen Blick zurück im Haus.

Kapitel 2: Zusammenstöße

„Mist. So ein Mist aber auch!“ Sie hätte am liebsten noch ein paar selbstmitleidige Tränen vergossen, während sie entmutigt den Motor wieder anließ.

Was war das nur für ein grässlicher, erfolgloser Tag. Bella, ihre liebe Bella, war zurecht wütend auf sie. Ihr einziger Trenchcoat war klamm und dreckig, und die Observation hatte sie mittendrin abgebrochen. Schniefend und widerwillig fuhr sie zurück in die Stadt und steuerte ohne Hoffnung noch einmal die schäbige Spielhölle an. Sie hatte für den Trip aufs Land etwa eine Stunde gebraucht. Die Zielperson war mit größter Sicherheit längst über alle Berge und sie hatte keinen Schimmer wohin! Wie sollte sie das Taggert in ihrem Bericht erklären?

Als sie jedoch wieder in die kleine Straße einbog und langsam an Spielhalle und Imbiss vorbeiglitt, konnte sie ihrem Glück kaum trauen. In dem nun hell erleuchteten Dönerladen saßen einträchtig ihre Zielperson und der Umschlagmann an einem der kleinen Tische, irgendetwas essend und anscheinend in ein angeregtes – erregtes? – Gespräch vertieft. Sie saß mit dem Rücken zum Fenster, war aber an ihren rötlichen, glatten Haaren mit dem kurzen Pferdeschwanz gut zu erkennen. Schnell wandte Cara ihren Blick von beiden ab und wieder nach vorn, erspähte kurz vor dem Halteverbotsschild noch einen halbwegs passenden Parkplatz und navigierte mehr schlecht als recht in die knappe Lücke.

„Schwein gehabt, Marple!“, murmelte sie vor sich hin. Doch was jetzt? Wie sollte sie herausfinden, wer der Mann aus der Spielhalle war und was in dem Umschlag war? Sie konnte schlecht in den Imbiss stiefeln, vor der Frau mit ihrem IHK-Detektivzertifikat herumwedeln und Einsicht in den Umschlag verlangen. Bei der Vorstellung musste sie doch leise vor sich hin kichern. Schließlich sollte sie nur observieren und herausfinden, ob die Krankschreibung gerechtfertigt war oder nicht. Der Auftraggeber hatte betont, dass seine Angestellte auf keinen Fall merken sollte, dass sie beobachtet wurde, denn die „Aktion“ war, wie er sich ausgedrückt hatte, „nicht ganz indelikat“. Man könnte auch sagen „komplett illegitim“, dachte sie. Arbeitnehmerinnen dürfen nämlich nicht einfach ausspioniert werden, nur, weil sie sich öfters mal krankmelden. Und Umschläge in Spielhallen entgegenzunehmen ist auch nicht verboten, wenn man arbeitsunfähig ist.

„Alles was der Genesung förderlich ist“, so hatte der Kursleiter bei dem Thema doziert, „darf man auch tun, wenn man krankgeschrieben ist. Und wenn es ein schöner Shoppingausflug ins Schuhgeschäft ist, um die Depressionen zu vertreiben, meine Damen!“

Der Zertifikatskurs für künftige Privatermittlerinnen damals vor acht Jahren war eine Maßnahme der Arbeitsagentur nur für Frauen und der Dozent ein geradezu unglaublicher Chauvinist gewesen. Dennoch war er ein schlauer Fuchs, wie sich im Laufe der Zeit herausstellte. Seine Tipps hatten ihr schon oft aus der Patsche geholfen. Zum Beispiel die Masche mit der Handtasche, der „besten Waffe der Frau“, die sie zunächst für bescheuerte Macho-Fantasie gehalten hatte…

Verstohlen sah sie wieder in Richtung Imbiss. Die Frau stand gerade auf, lief am Tresen vorbei und verschwand im Hintergrund. Ihr dunkelblauer Wollmantel hing über ihrem Stuhl, der direkt vor dem bodentiefen Fenster stand, und aus einer der beiden übergroßen Jackentaschen blitzte etwas Eckiges erfreulich braun hervor…

„Na, dann mal los, Jane Wayne! Und die Pistolen im Anschlag!“ Im nächsten Moment stand sie im Imbiss und bestellte einen Döner „Mit allem“. Der Mann am Tisch tippte mit gesenktem Kopf auf seinem Smartphone und beachtete sie nicht.

„Kommt sofort, drei Minuten!“, rief der Dönermann begeistert und stürzte sich messerschwingend auf seinen Fleischspieß. Die Geschäfte nahmen ja ungeahnte Ausmaße an.

Also dann, Showdown!

„Danke, ich setze mich mal einen Moment“, antwortete sie in seine Richtung. Mit einem Schwung drehte sie sich um und fegte dabei mit ihrer Umhängetasche, einem schweren Ungetüm aus braunem Fettleder, den Stuhl um, auf dem eben noch ihre Zielperson gesessen hatte. Klappernd ging das Möbel samt darüber hängendem Mantel zu Boden. Der Inhalt ihrer Tasche lag darum verteilt herum.

„Oh Gott, entschuldigen Sie bitte! Wie ungeschickt von mir!“, rief sie und richtete den Stuhl wieder auf. Sie stopfte ihren Kram zurück in das Ledermonster und im Nu hatte sie den Mantel wieder ordentlich über die Lehne drapiert. Der Mann blickte nur kurz von seinem Smartphone hoch, befand das Geschehen wohl als uninteressant und wandte sich wieder seinem Bildschirm zu.

„So bitte, einmal mit allem!“, rief es vom Tresen.

Döner geschnappt, bezahlt und heraus aus dem Laden! Als die arme Krankgeschriebene wieder zum Tisch zurückkehrte, sah sie nur noch eine Gestalt mit altmodischer Ledertasche in Baseballmütze und Jogginganzug aus der Tür verschwinden und in einen Wagen vor der Tür steigen.

Cara lenkte einhändig und den Rest des Döners kauend auf den Parkplatz des geschlossenen Supermarkts, fuhr um das Gebäude und parkte dahinter unter einer großen Trauerweide. Sie stoppte den Motor und atmete tief durch. Nun zitterte sie nicht mehr vor Kälte, sondern vor schierer Aufregung. Hatte sie sich richtig entschieden, oder hatte sie eine Riesendummheit begannen?

„Wir werden’s gleich erfahren“, erklärte sie der Weide. Sie löste den Sicherheitsgurt, wischte sich die fettigen Hände an der Jogginghose ab und zog den Umschlag aus ihrer Tasche hervor. Sie knipste das Licht an. Mit klammen Fingern zog sie die Klappe auf und fühlte eine glatte Oberfläche, ein Foto?

Sie zog das Blatt heraus, sah es an und erstarrte vor ungläubigem Erstaunen. Die Person auf dem großen Hochglanzfoto, ihr ganz und gar nicht unbekannt, schien sie hämisch anzugrinsen. Was sollte das bedeuten? Doch es ergab sich keine Gelegenheit, länger über dieses Rätsel nachzudenken. Sie hörte ein Krachen, etwas stieß von hinten gegen die Stoßstange ihres VW, wie sie gerade noch begriff. Etwas Hartes kollidierte mit ihrer Stirn und jemand hupte ganz in der Nähe wie zum Protest. Dann wurde alles schwarz und still.

Kapitel 3: Ansichtssachen

Sie erwachte sehr langsam, glitt aus der Dunkelheit langsam wieder ins Zwielicht des frühen Abends, weil irgendetwas beharrlich gegen die Scheibe klopfte und gleichzeitig ihr Telefon klingelte. Etwas kläglich hangelte sie mit einer Hand nach ihrer Tasche, um das Handy herauszufischen; mit der anderen versuchte sie die Scheibe zu öffnen. Draußen stand offensichtlich ein Müllmann, der besorgt hereinschaute und sich erkundigte, ob ihr etwas passiert sei. Gleichzeitig brachte sie das Handy ans Ohr, das jedoch nichts von sich gab.

„Mist“, murmelte sie und wischte über das Display, „muss ja erst angenommen werden, das Gespräch“ und meldete sich mit einem vorsichtigem „Ja?“, als auch schon Bellas Stimme aufgebracht und anklagend durch den Hörer schallte – viel zu laut für ihren derzeitigen Zustand.

„Was hast du dir nur dabei gedacht? Ich bin fast durchgedreht, als ich auf euch gewartet habe!“

In der Zwischenzeit versuchte sie den Müllwerker zu beruhigen, der versuchte ihr klarzumachen, dass ihr VW von seinem Müllauto beim Rangieren angefahren worden sei und es eine kleine Beschädigung an der hinteren Stoßstange gab. Bella begriff, dass irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung war und schaltete sofort um in einen besorgten Tonfall.

„Was ist los? Was ist passiert? Bist du okay? Was für ein Unfall?“ Sie hatte anscheinend doch irgendwie mitgehört und durch die klägliche Stimme mitbekommen, dass ihrer Freundin etwas passiert sein musste.

„Wo bist du? Ich bin sofort da!“

„Hinter deinem Denner’s“ reichte als Erklärung, denn der teure Bio-Laden müsste wahrscheinlich ohne die finanzstarke Stammkundin Bella dichtmachen. Sie legte auf und stieg sehr langsam aus, denn Nacken, Schultern und Stirn schmerzten gewaltig. Wie mochte sie wohl aussehen? Ein VW-Logo oder Hupensymbol als Tattoo auf der Stirn? Aber jetzt musste sie erst einmal funktionieren und mit dem besorgten Müllmann den Schaden begutachten.

Es traf sie fast der Schlag: Nicht nur die Stoßstange, sondern die ganze Hinterfront war eingedrückt, alle Scheinwerfer waren hinüber und die Kofferraumtür ging nicht mehr auf. Natürlich, ein Müllwagen leistete ganze Arbeit, wenn er mit einem schwächeren Objekt kollidierte, und der VW war in dem Fall deutlich unterlegen. Der nette Mann von der Müllabfuhr war sichtlich geknickt und sorgte sich sehr um sie. Er fragte, ob er sie ins Krankenhaus fahren sollte. Sie versuchte, ihn zu beruhigen und schlug vor, die Versicherungsdaten auszutauschen, obwohl die Schuldfrage eigentlich eindeutig geklärt war.

Der Müllmann gab unumwunden zu, sie beim Rangieren nach dem Leeren des Müllcontainers übersehen und erst beim Zusammenstoß ihren VW bemerkt zu haben. Er müsste aber schon den Betrieb informieren. So einfach käme er leider nicht davon. Er zog sein Handy heraus und beriet sich kurz mit einer Stimme am anderen Ende der Leitung – sein Vorgesetzter, wie Cara annahm. Er legte auf.

„Also wenn Sie keine Polizei rufen wollen“, meinte er in ihre Richtung, „dann müssen wir nicht, sagt der Chef. Ich habe ihm ja auch schon gesagt, dass es meine Schuld war.“

Cara empfand Mitleid mit der ehrlichen Haut. „Bekommen Sie jetzt große Schwierigkeiten?“ fragte sie ihn.

Er zuckte mit den Schultern und antwortete etwas kläglich:

„Nein, wird schon werden. Ich bin ja zum Glück bei der Stadt. Wir sind gegen so etwas versichert. Kommt ja schon ab und zu ein Schaden vor…“

Sie war erleichtert. Schließlich konnte er nicht wirklich mit einem parkenden Wagen hinterm längst geschlossenen Bio-Laden rechnen. Sie war kurz davor, ihm herzlich nachzuwinken, als er davonrappelte.

Was passiert war, war passiert. Der alte Golf war hin und ihr Kopf fühlte sich auch nicht ganz intakt an. Sie stieg wieder in ihr Auto und betrachtete sich im Rückspiegel. Eine dicke, rote Beule verunstaltete ihre Stirn. Warum müssen Lenkräder so hart sein?! Sie stieg wieder aus, da die frische Luft und der kalte Regen ihr für einen Moment ganz guttaten, und entdeckte bei einem Blick in den Fond, dass sie eigentlich noch großes Glück gehabt hatte. Hinter dem Fahrersitz auf dem Rücksitz lag nämlich der nagelneue, blaue Wagenheber – ein Geschenk der Erlingers – der normalerweise im Kofferraum zuhause war. Aber als sie Jimmie eingeladen hatte, hatte sie ihn auf den Rücksitz befördert, um dem Hund einen bequemen und freien Platz zu geben. Bei dem Zusammenstoß hätte sie es auch mit einem hochgeschleuderten Metallknüppel zu tun bekommen können. Gegen das schwere Gerät hätte ihr Hinterkopf keine Chance gehabt – Dickkopf hin oder her.

‚Puh‘, dachte sie und warf den Fast-Übeltäter in den Fußraum.

Müde kroch sie wieder nach vorne auf den Fahrersitz und versuchte, ihren ganzen übrig gebliebenen Verstand zu sammeln. Was für ein Tag! Sie war nass, dreckig, verletzt, aber wenigstens nicht hungrig, denn für den Döner hatte die kurze Fahrt zum Parkplatz gereicht. Auf einmal wurde ihr beim Gedanken an das fettige Essen ganz schlecht. ‚Oh nein, nicht auch noch eine Gehirnerschütterung!‘

Mit diesem Gedanken versuchte sie, ihr Auto zu starten, aber außer einem müden Laut gab der Motor nichts von sich, geschweige denn, dass der Wagen sich in Bewegung gesetzt hätte.

„Verdammt, wie komme ich nach Hause?“ Laufen war in diesem Zustand und bei diesem Wetter – es regnete immer noch in Strömen – keine gute Idee. Mit dem Taxi in diesem Zustand zu fahren war auch keine besonders prickelnde Aussicht. Sie sah schon den angeekelten Blick des Taxifahrers vor sich, der sie und ihre schmutzige, nasse Kleidung musterte.

In diesem Augenblick preschte ein anderes Auto auf den Hof. Erleichtert erkannte sie das Auto von Bella, die neben ihr hielt, aus dem Auto sprang und mit flatternden Regelmantelschößen um Caras Auto rannte.

Bella riss die Autotür auf, sah mit einem Blick, in welchem Zustand sie war und fragte besorgt:

„Ach du liebe Güte, was ist denn bloß mit dir passiert?“

Sofort meldeten sich die Tränen, die bis dahin im Hintergrund gehalten worden waren, aber jetzt bei diesem freundlichen und mitfühlenden Ton nicht mehr zu halten waren. Und so erzählte sie ihr alles: vom Auftrag, die Frau zu überwachen, von dem Missgeschick mit der Dogge, von den nassen Klamotten bis hin zur Spielhalle, dem vermeintlichen Vater, den sie da peinlicherweise herausgezerrt hatte, vom Döner und dem geklauten Foto.

Bella zog ihre tropfende Regenkapuze noch weiter ins Gesicht und verlangte das Foto zu sehen. Cara zögerte. Sollte sie ihrer besten Freundin das Bild zeigen? Was würde das für sie bedeuten?

Doch Bella verlangte kategorisch nach Aufklärung, denn sie spürte sofort das Zögern ihrer Freundin. Die Privatdetektivin wusste, sie würde keine ruhige Minute mehr haben, wenn sie Bella das Foto vorenthielt. Und hatte sie nicht das Recht zu erfahren, was es zeigte? Bella ging um den Wagen, öffnete die Beifahrertür und setzte sich neben sie.

„Jetzt komm schon! Was soll das Getue?“

Zögernd klaubte Cara das braune Rechteck aus dem Fußraum vor ihrem Fahrersitz, wohin sie das Foto beim Aufprall hatte fallen lassen. Sie hielt es Bella hin, die den Umschlag mit einem prüfenden Blick ins Gesicht ihrer Freundin nahm, langsam den Inhalt herauszog und einen Blick darauf warf. Ihr Gesicht versteinerte sich für einen Moment.

„Wow, ganz schön ähnlich, muss man sagen.“ Bella setzte sich mit einem Ruck auf und sah Cara merkwürdig prüfend an. „Kein Wunder, dass du dich gewundert hast. Man könnte fast glauben, da wäre einer wieder auferstanden.“

Cara konnte kaum ihren Ohren trauen. Was redete Bella da? Das Bild war gestochen scharf und ließ keine Zweifel zu.

„Ähnlich?! Gewundert? Bella! Hast du nicht richtig hingesehen? Es ist ja schon ziemlich dunkel und das Oberlicht in dieser Kiste geht auch nicht mehr. Komm setzen wir uns in deinen Wagen und du guckst ihn dir noch mal an!“ Sie stieg aus, lief um Bellas geräumigen SUV und öffnete die Beifahrertür. Sie setzte sich und knipste die Innenbeleuchtung an. Bella glitt in ihren Fahrersitz und reichte Cara den Umschlag, in den sie das Foto wieder hatte verschwinden lassen.

„Nein, warum? Ich brauche nicht noch einmal nachzusehen. Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass es Jost ist, oder? Wir sind doch nicht bei Twilight Zone.“

Bella schnallte sich beim Sprechen an und gab einen merkwürdigen Laut von sich, der wohl ein Kichern sein sollte. Dann drehte sie sich in Caras Richtung und sah sie mit besorgtem Ausdruck an.

„Ach je, entschuldige bitte! Da mache ich dumme Witze und du hast dir den Kopf verletzt. Du hast wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung und siehst nicht allzu deutlich. Ich fahre dich sofort in die Notaufnahme!“ Sie startete den Motor.

„Schnall dich bloß an. Nicht, dass noch mehr passiert.“

Cara glaubte es nicht. War das ein verrückter Traum?

„Bella! Spinnst du? Ich habe noch mein ganzes Zeug im Auto und nicht abgeschlossen. Was ist denn los mit dir?“ Sie stieg mit einem Bein wieder aus dem SUV, musste sich aber sofort an der offenen Beifahrertür abstützen, weil ihr schwindlig wurde. Sie sackte zurück auf den Sitz.

„Kannst du bitte meine Sachen rausholen, Bella? Ich habe vielleicht doch mehr als eine Beule“, flüsterte sie.

Sie beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie und ließ den Kopf auf die Hände sinken. Keine gute Idee! Cara stöhnte kurz auf, als sie ihre Stirn berührte. Die Beule schien größer geworden zu sein. Sie lehnte sich zurück und schloss seufzend die Augen. Der SUV hatte Sitzheizung und war so schön warm und behaglich nach all der Kälte und Aufregung. Jemand ließ eine flauschige Decke auf sie sinken und steckte diese behutsam an ihren Seiten fest. Im Nu war sie in einen herrlich gleichgültigen Halbschlaf versunken und kümmerte sich nicht mehr um Bella, die sich sonderbar verhielt, eingebildete Kranke, geheimnisvolle Umschläge, Jost auf dem Fahndungsfoto und dann Jost, der im Hafenbecken trieb…

Kapitel 4: Kopfschmerzen

Sie wachte auf zu einem merkwürdigen, monotonen Tuckern – von draußen? – und Sonnenschein, der rechts von ihr durch einen Spalt zwischen dicken geblümten Vorhängen blitzte und einen schmalen vertikalen Streifen auf die Wand gegenüber ihrem Bett warf. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ sie sich zurück in ihr weiches Daunenkissen sinken, betrachtete mit Wohlgefallen das zarte Rosenmuster des Bettbezugs und schloss noch einmal kurz die Augen. Gleich würde sie aufstehen und sich für die Arbeit fertigmachen. Nur noch fünf Minuten dös–. Moment mal!! Das war nicht ihr Bett und schon gar nicht ihr Schlafzimmer! Statt romantisch tuckernden Traktoren und krähenden Hähnen gab es für sie morgens die lieblichen Laute von Güterzügen oder Presslufthammern, wie es sich für Bewohnerinnen der Innenstadt gehörte. Und zur Arbeit brauchte sie auch nicht, denn so etwas wie einen festen Job hatte sie ebenso wenig wie geblümte Vorhänge oder rosenbesteckte Daunendecken.

Sie ließ den Blick durch das Zimmer wandern und allmählich erkannte sie, wo sie sich befand. Offenbar hatte Bella sie doch nicht ins Krankenhaus gefahren, sondern in ihrem Gästezimmer ins Bett verfrachtet. Cara konnte sich an gar nichts mehr erinnern, nicht wie sie aus dem Auto gekommen war, noch wie sie die Treppe hoch und in diesem Bett gelandet war. Die Kollision mit dem Lenkrad musste doch eine ganz schöne Wirkung gehabt haben.

Doch so langsam kam die Erinnerung wieder - an diesen furchtbaren gestrigen Tag, der mit dem Blick auf das Foto und dem Zusammenstoß mit dem Müllwagen für sie nach ihrer Erinnerung geendet hatte.

Wie spät mochte es sein? Die Sonne schien schon recht hoch am Himmel zu sein, also musste der Vormittag schon weiter fortgeschritten sein. Ob Bella wohl zuhause war und auf sie wartete?

Vorsichtig brachte sie ihre Beine aus dem Bett und richtete sich auf. Sie wartete auf Schwindel oder eventuelle Übelkeit. Nichts? Also weiter! Sie stemmte sich langsam hoch, hielt sich an der Wand fest, um dann mit vorsichtigen Schritten zur Tür zu gehen. Sie trat hinaus auf den Flur und ins Badezimmer, wo sie langsam versuchte, mit Hilfe von Wasser und Bellas Kosmetik wieder einen (weiblichen) Menschen aus sich zu machen.

Währenddessen flogen ihr nur so die Gedanken durch den Kopf. Das Foto zeigte eindeutig Jost, den früheren hochgeschätzten Kollegen und späteren Gegner von Bella bei der Steuerfahndung. Und es war ein recht aktuelles Bild von ihm. Es war eindeutig keins, das vor seinem „Tod“ vor einigen Jahren geschossen worden war. Das war gut zu erkennen, denn das Ambiente, das ihn zeigte, offenbarte ihr das Kasino, das sie mit Bella einmal besucht hatte. Dieses Kasino hatte einen ganz eigenen Stil, und das Foto zeigte eindeutig den berühmten vor Kurzem renovierten Spielsaal. Es gab also keinen Zweifel: Jost war am Leben und zu allem Überfluss auch noch ganz in der Nähe!

Ihr war zutiefst unbehaglich zu Mute. Erstens generell, weil ihr Kopf immer noch schmerzte, und dann, weil ihr nicht klar war, was das alles für Bella bedeutete. Fing die ganze Katastrophe wieder von vorn an? Wie würde Bella damit umgehen? Würde das sonderbare Ereignis alles wieder aufrühren, was gerade begann zu heilen?

Die Beule auf der Stirn sah eigentlich gar nicht mehr so dramatisch aus – nur ein bisschen zu braun von der Schminke. Sie trank ein paar Schlucke kaltes Wasser aus dem Hahn, trocknete sich die Hände an Bellas flauschigem Handtuch, ging barfuß hinaus in den Flur und stieg die Holztreppe hinunter ins Erdgeschoss. Ihre Sachen waren im Gästezimmer nicht zu sehen gewesen, also hatte sie über ihre Unterwäsche den seidigen himbeerfarbenen Morgenmantel angezogen, der im Bad am Haken hing.

„Bella!“, rief sie, unten ankommend. „Bella, bist du da?“

Die Küchentür war offen und ein köstlicher Duft von Espresso stieg ihr in die Nase. In dem Raum war niemand, aber durch eins der beiden Küchenfenster konnte sie Bella sehen, die draußen am Zaun stand und hinter einem abfahrenden Pick-Up herwinkte. Im nächsten Moment stand Bella in der Tür.

„Cara! Du bist ja schon auf! Wie geht’s dir denn? Komm, lass dich mal drücken, du Arme!“ Mit rechts umarmte sie die lädierte Detektivin, mit der linken Hand goss sie Kaffee in einen großen Becher. „Setz dich doch. Ich schäume dir noch Milch auf, ja?“

Mit einem dankbaren „Oh, ja, gern!“ setzte Cara sich an den großen Küchentisch, auf einen der schönen alten Holzstühle, die so gut in dieses ländliche Ambiente passten.

„Mit geht’s wieder gut. Danke, danke, danke für all deine Hilfe gestern! Und das, nachdem ich mit Jimmie so schusselig war. Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, dass wir zu euch gefahren sind. Und ich weiß auch gar nicht, wie ich ins Bett gekommen bin.“

Bella löffelte eine Portion schaumiger Milch in einen Kaffeebecher und stellte ihn vor Cara ab. Sie schenkte sich selbst eine kleine Espressotasse ein und setzte sich zu ihr.

„Bist du sicher, dass es schon wieder geht, Liebe?“ Sie sah ihr prüfend ins Gesicht. „Du warst gestern richtig benommen. Aber keine Angst“, kicherte sie. „Erlinger musste dich nicht raufschleppen. Du bist aus dem Auto, ins Haus und nach oben getorkelt, hast deine Klamotten von dir gerissen und bist ins Bett gefallen. Ich glaube aber nicht, dass du dabei irgendwann richtig wach warst.“ Bella warf einen Blick in Richtung Küchenfenster.

„Er ist mit Jimmie auf dem Weg zu einem Bekannten, der eine Autowerkstatt hat. Die beiden wollen sich den Golf vornehmen.“

Cara blickte Bella erstaunt an. „Wie–?“

Bella lachte amüsiert auf. „Erlinger hat gestern Abend noch Hennes – seinen Mechanikerfreund – angerufen, damit er deinen Wagen abschleppt. Und die beiden fanden, das ginge am Einfachsten sofort, solange der Parkplatz schön leer ist.“

Cara musste den Kaffeebecher wieder absetzen und erst einmal den dicken Kloß hinunterschlucken, der plötzlich in ihrer Kehle steckte. Nun kamen ihr schon wieder die Tränen.

„Ach, Bella! Das ist so toll von euch. Es ist mir ja alles so unangenehm. Ihr – du hast schon genug um die Ohren ohne mich und meine Sperenzien.“ Sie wischte sich mit dem Handrücken über die nassen Augen und sah Bella genauer an. Was sie sah gefiel ihr gar nicht. Bella wirkte so müde, als hätte sie keine erholsame Nacht in weichen Federn verbracht. Und bildete sie es sich ein, oder war da ein ängstlicher Zug um die Mundwinkel.

„Bella! Schluss mit Geplauder und Tacheles, oder?“ fragte sie etwas unsicher. Sie hatte eine ziemlich verschwommene Erinnerung an den genauen Ablauf der gestrigen Ereignisse, aber Bellas unerklärliches Leugnen, was die Person auf dem Foto betraf, war ihr noch sehr präsent.

Bella setzte sich noch gerader hin als sie es ohnehin immer tat. Sie hatte eine elegante Haltung die ihre Freundin stets bewunderte. Sie zog den Umschlag unter einem Teil der Süddeutschen hervor, die zerpflückt auf dem Küchentisch verstreut lag. Bella nahm das Foto heraus und legte es zwischen die Kaffeetassen. Sie seufzte und blickte Cara an.

„Ja, Tacheles. Natürlich hast du Recht. Ich war gestern nicht ganz bei Trost, fürchte ich. Keine Ahnung warum, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Oder doch, natürlich habe ich eine Ahnung. Ich war so froh, dass er weg und alles vorbei war. Aber da haben wir es also wieder zurück, das Schwein!“

Sie machte eine Faust und ließ sie auf das Foto donnern. Der Tisch wackelte und der Schaum des kaum angerührten Cappuccinos schwappte über und rann den Becher herunter auf die Tischplatte. Cara sprang auf, holte einen Lappen von der Spüle und wischte die Milchpfütze auf.

„Bella, wir werden das alles aufklären! Glaub mir, es geht nicht noch einmal alles vor vorne los. Du hast doch mich und du hast Erlinger! Keiner glaubt mehr, was Jost damals verbreitet hat. Es ist jetzt eine ganz andere Situation. Jetzt werden sie hinter ihm her sein und er bekommt seine gerechte Strafe!“ Bella sah sie nicht an, sondern starrte gegen die Wand. Sie legte ihre Hand auf Bellas.

„Jetzt machen wir ihn fertig. Glaube mir, das wird schon. Und dann ist es viel besser, als wenn er sich einfach als Wasserleiche davongemacht hätte. Wenn er geschnappt wird, muss er endlich erklären, was das damals alles sollte.“

Kapitel 5: Brüche

Noch immer war nicht wirklich klar, was damals eigentlich der Grund für die ungeheuren Ereignisse war, in deren Mittelpunkt Bella stand. Sie war nicht nur einer Verleumdungskampagne in ihrem Job ausgesetzt, sondern wurde auch das Opfer eines Anschlags, der von ihrem früheren Partner Jost verübt worden war. Damals, das heißt vor nunmehr fast sechs Jahren, waren Bella und ihr damaliger engster Kollege bei der Steuerfahndung einem Korruptionsskandal in der Finanzverwaltung auf die Spur gekommen. Später hatten sich beide entzweit und Jost schien sich der „Gegenseite“ angeschlossen zu haben. Sie hatten versucht, der Spur des Geldes zu folgen und waren dabei der Aufdeckung der Machenschaften bedenklich nahegekommen. Zu ihrer Rettung hatten die Akteure Jost erfolgreich bestochen oder erpresst, dasselbe allerdings bei Bella allerdings gar nicht erst versucht.

Bella hatte damals keine Beweise für einen Seitenwechsel ihres beruflichen Partners und trotz ihrer Streitereien wollte sie auch nicht an einen derartigen Bruch glauben. Sie arbeitete seit vielen Jahren mit Jost zusammen, und ihre Partnerschaft war nicht nur sehr erfolgreich, sondern auch von gegenseitigem Respekt und Sympathie getragen. Vielleicht war sogar so etwas wie unerklärte Liebe im Spiel? Das wusste Cara nicht wirklich und Bella hatte sich nie dazu geäußert. Es war nur so ein Gefühl.

Bella hatte sich nachweislich nicht bestechen lassen; heute wusste man das. Aber damals wurde eine üble Kampagne gegen die unliebsame Kollegin gestartet. Gerüchte wurden verbreitet, dass mit dem Hauskauf der Erlingers seinerzeit nicht alles legal zugegangen sei. Ihr wurde vorgehalten, dass ihre Lebensführung nicht mit ihrem Gehalt übereinstimmen konnte. Das alles wurde nicht offen geäußert, sondern nur hinter vorgehaltener Hand weitergetratscht - ein Zustand, der jeden halbwegs sensiblen Menschen in die Verzweiflung treiben konnte und Bella langsam aber sicher in eine tiefe Depression versinken ließ. Dennoch versuchte sie, ihre Recherchen weiterzuführen und wähnte immer noch Jost an ihrer Seite. Sie hatte, obwohl sonst immer sehr feinfühlig, nicht verstanden, dass dieser ihre Bemühungen sabotierte, wo er konnte. Als sie endlich verstand, dass ihr Partner hinter den Verleumdungen stand und seine Gründe dafür hatte, reagierte sie, wie es ihre Art war.

Als beide allein in der Tiefgarage aufeinandertrafen, konfrontierte sie Jost mit ihrem Verdacht. Der dachte gar nicht daran, irgendetwas abzustreiten, sondern verhöhnte sie und alle anderen Rechtschaffenen, die überhaupt nicht begriffen, dass sie ihr Leben lang für wenig Geld im Öffentlichen Dienst schufteten, während gleichzeitig die Oberen ihre Schäfchen ins Trockene brachten, indem sie Geld in private Kanäle fließen ließen. Angewidert wischte er mit dem Zeigefinger über einen tiefen Kratzer auf der Kofferraumklappe ihres ältlichen Subaru, den die Bürsten der Waschanlage freigelegt hatte. So eine Kiste mussten die dummen Ehrlichen fahren. Bella reagierte auf ihre Art. Zornig und sarkastisch ließ sie sich nicht anmerken, wie verletzt sie von Josts Verrat war und drohte, ihn auffliegen zu lassen.

Jost, der Bella seit Jahren kannte, wusste, dass sie die Wahrheit sagte. Bei aller Verzweiflung, trotz des Gefühls, in die Enge getrieben zu sein, würde sie nicht lockerlassen und ihn nicht ungeschoren davonkommen lassen.

Als er sich abwandte, um in sein Auto zu steigen, griff Bella ihn in ihrer Wut an. Sie schlug mit ihrer schweren Brieftasche auf ihn ein. Jost griff sich die Tasche mit einem brutalen Ruck und schubste sie beiseite. Er schloss die Tür seines Porsches, fuhr aus der Parklücke und steuerte in Richtung Ausgang der Tiefgarage. Bella sprang auf und stellte sich ihm in den Weg, damit rechnend, dass ihr Partner niemals in der Lage wäre, sie physisch anzugreifen. Doch diese Einschätzung war falsch. Jost gab Gas, Bella wurde hochgeschleudert und landete schwer verletzt auf dem Betonboden, ohnmächtig, mit mehreren gebrochenen Knochen und, was schwerer wog, mit gebrochenen Wertvorstellungen und Überzeugungen.

Jost fuhr ungeschoren davon.

Kapitel 6: Fahndung

Ausschnitt aus einer Fernsehsendung (Transkript)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kriminalpolizei bittet Sie heute wieder um Ihre Unterstützung. Das Verbrechen, um das es nun gehen wird, ist Ihnen vermutlich aus den Medien bereits bekannt, denn es hat Entsetzen und auch Ratlosigkeit verbreitet. Am frühen Abend, gegen 18.15 Uhr am 20. November des vergangenen Jahres wurde eine hochrangige Mitarbeiterin der Steuerfahndung Hessen Opfer eines äußerst brutalen Überfalls. Die Tat ereignete sich in einer Tiefgarage nahe der Finanzbehörde, in der die 59-jähre Beamtin E. offenbar gerade ihr Fahrzeug aufgeschlossen hatte, um ihre Aktentasche in den Kofferraum zu legen. Sie wollte, wie ihr Vorgesetzter bestätigte, zu einem Termin fahren. Genauere Details konnten die Ermittler jedoch bisher nicht aufdecken, da keine Notizen vorzuliegen scheinen und das Opfer keine Erinnerung an ihre Pläne für den Abend hat. E. konnte leider bisher aufgrund eines verletzungsbedingten Gedächtnisverlusts nicht zur Aufklärung der Tat beitragen.

Was als nächstes geschah, kann daher nur anhand von Indizien rekonstruiert werden. Die auf den Tatort gerichtete Überwachungskamera der Tiefgarage war zur Tatzeit außer Betrieb. Dieser Defekt war bekannt, jedoch nicht ungewöhnlich, wie Stadtverwaltung angab. Das Gebäude des sei insgesamt in einem sanierungsbedürftigen Zustand; baldige Maßnahmen sein in Planung.

E. wurde gegen 18.27 Uhr von einer Kollegin bewusstlos in der Fahrspur Richtung Ausfahrt liegend aufgefunden. Sie hatte einen Schädelbruch sowie Frakturen am linken Arm und Handgelenk erlitten. Die sofort benachrichtigten Rettungskräfte erschienen binnen Minuten und brachten das in Lebensgefahr schwebende Opfer ins örtliche Klinikum.

Nur dank der guten Konstitution der durchtrainierten Frau und da E. nur sehr kurze Zeit nach dem Anschlag aufgefunden wurde, konnte sie durch eine Notoperation gerettet werden. Wenn die Kollegin nur wenig später in der Garage erschienen wäre, sprächen wir hier und heute vermutlich von einem Mordfall. Die erfolgreiche Mitarbeiterin der Steuerfahndung ist jedoch zum Glück auf dem Wege der Besserung und hat das Krankenhaus bereits auf eigenen Wunsch verlassen, um sich an einem unbekannten Ort zu erholen.

Doch was war geschehen und warum wurde die Beamtin beinahe Opfer eines mutmaßlichen Tötungsdeliktes? Die Ermittlungen der Kriminalpolizei verliefen zunächst ohne konkrete Ergebnisse. Der Kreis der möglichen Täter oder Täterinnen war mangels Videoüberwachung nicht einzugrenzen.

Ein anonymer Hinweis, dessen Ursprung weiterhin unbekannt bleibt, führte jedoch drei Tage nach dem Anschlag auf die Fährte des auch zum jetzigen Zeitpunkt noch mit Hochdruck Gesuchten. Zum Entsetzen und anfänglichem Unglauben der Leitung der Behörde, stellte sich der ebenfalls sehr erfolgreiche Fahnder und Partner von E. bei zahlreichen Ermittlungen, der 55-jährige Jost H., als mutmaßlicher Täter heraus. H. und E. arbeiteten seit Kurzem nicht mehr als Team und hatten sich, wie erst durch den unbekannten Informanten bekannt wurde, am späten Nachmittag desselben Tages heftig im Arbeitszimmer von E. gestritten. Die Spurensicherung entdeckte, nachdem die lautstarke Auseinandersetzung auch von einer anderen Zeugin bestätigt worden war, Fingerabdrücke von H. auf der Kofferraumklappe des Fahrzeugs des Opfers. Dieses war, wie der Ehemann der Beamtin bestätigte, am Tag zuvor in der Waschanlage gewesen. Daher mussten die Abdrücke am Tage der Tat hinterlassen worden sein. Da E. und H. nicht mehr zusammenarbeiteten und seit der Auflösung ihres Teams jeglichen Kontakt zueinander mieden, gab es keinen plausiblen Grund für H., den Wagen von E. zu berühren, es sei denn beide hätten zusammen hinter dem Fahrzeug des Opfers gestanden. Jost H. ist also dringend verdächtig, seine Kollegin absichtlich schwer verletzt und dann ihrem Schicksal überlassen zu haben.

Wir zeigen Ihnen nun eine Reihe von Fotos des gesuchten Jost H., der seit dem Tag nach dem Anschlag vor zweieinhalb Monaten nicht mehr gesehen wurde. Er ist schlank, 1,83 groß und hat graugrüne Augen und kurze braune Haare. Er ist leicht kurzsichtig und trägt normalerweise eine randlose Brille. Er bevorzugt modische, hochwertige Kleidung. Möglicherweise ist er mit einem silbergrauen Porsche-Coupé im Raum Norddeutschland unterwegs. Er mag sich aber auch andernorts im Bundesgebiet oder im Ausland und mit geändertem Äußeren aufhalten. Wenn Sie glauben, den Gesuchten zu erkennen, sprechen Sie ihn auf keinen Fall an, sondern verständigen Sie sofort die Polizei! Wir blenden nun einige Telefonnummern und eine E-Mail-Adresse ein, unter denen Sie sich melden können…

Kapitel 7: Treffer

Bella nahm Cara den Lappen aus der Hand und warf ihn vom Tisch aus hinter sich in die Spüle. Er landete mit einem feuchten Platsch wie ordentlich aufgehängt auf der Mischbatterie. Sie verabscheute Hausarbeit zutiefst und sparte sich jeden unnötigen Arbeitsschritt. Die treffsichere linke Hand hatte unter den Brüchen zum Glück nicht gelitten.

„Weißt du, weswegen Erlinger und ich uns mal richtig gefetzt haben?“, fragte sie.

Cara seufzte innerlich auf und machte ein interessiertes Gesicht, wie sie hoffte. Na gut, dann eben Themenwechsel, wenn Bella so wollte. Bella hob beschwichtigend die rechte Hand.

„Nein, warte, ich lenke gar nicht ab. Es hat mit Jost zu tun.“ Sie schüttelte einen Milchfleck vom Foto und legte es sicherheitshalber auf den unberührt aussehenden Feuilletonteil.