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Alle reden über Teddy. Es ist der Sommer 1969, Rom ist heiß und aufregend, voller Glamour und Intrigen. Teddy Carlyle ist mit ihrem neuen Ehemann, der in der amerikanischen Botschaft arbeitet, nach Italien gekommen. Nach einigen Jahren mit schlechten Männern und schlechten Entscheidungen will sie nun ein neues Leben beginnen. Sie schwört sich, eine gute Diplomatengattin zu sein: glamourös, diskret, perfekt gekleidet und unerbittlich höflich. Teddy gelingt es zunächst gut, sie schließt neue Bekanntschaften auf Partys und Empfängen, ist glücklich mit ihrer kleinen Tätigkeit in der Botschaft. Doch nach nur wenigen Wochen, am 4. Juli, explodiert ihr neues Leben zusammen mit dem Feuerwerk am Himmel. Ein Fotograf schießt ein kompromittierendes Bild von ihr und dem amerikanischen Botschafter, nur wenige Augenblicke nachdem sie einen Mann aus der dunkelsten Ecke ihrer Vergangenheit auf der anderen Seite des Raumes gesehen hat. Beides Beweise für ihre Verkommenheit und Grund genug für ihre Familie, sie aus dem Verkehr zu ziehen – wie einst ihre lebensfrohe Tante Sister. In all diesem Chaos fasst Teddy einen Entschluss: Sisters Schicksal wird nicht ihr eigenes sein!
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Seitenzahl: 500
Veröffentlichungsjahr: 2025
Emily Dunlay
Roman
Alle reden über Teddy!
Teddy Huntley Carlyle zieht im Sommer 1969 mit ihrem neuen Ehemann von Texas nach Rom. Die Stadt ist heiß und aufregend, voll von Glamour und Intrigen. Teddy hat einen Neuanfang verdient. Sie will ihre ruhelose Vergangenheit hinter sich lassen und eine gute Diplomatengattin sein, eine Frau, die alle verzaubert. Aber nach nur wenigen Wochen nehmen die Dinge eine dunkle Wendung, manche Geheimnisse lassen sich einfach nicht verbergen …
«Der Glamour von La Dolce Vita und der repressive Sexismus der 1960er Jahre pulsieren in dieser fesselnden Erkundung der weiblichen Psyche.»
PEOPLE
«Die Figuren, insbesondere die Frauen, sind so gut dargestellt, dass man vergisst, dass man einen Roman liest. ‹Teddy› ist ein bemerkenswert selbstbewusstes und gelungenes Werk. Dass es Dunlays Debüt ist, ist erstaunlich. Sehr empfehlenswert!»
SUNDAY INDEPENDENT
Emily Dunlay stammt ursprünglich aus Dallas, Texas, und hat die letzten acht Jahre im Nahen Osten gelebt. Sie studierte Kreatives Schreiben an der Princeton University und arbeitet derzeit als Kuratorin einer privaten Sammlung antiquarischer Bücher und Manuskripte in den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Ulrike Wasel und Klaus Timmermann arbeiten seit vielen Jahren erfolgreich als Übersetzerteam. Zu den von ihnen übersetzten AutorInnen zählen Michael Crichton, Zadie Smith, Scott Turow, Dave Eggers und Tana French. 2012 wurden sie mit dem Albatros-Literaturpreis ausgezeichnet. Sie leben in Düsseldorf.
Die englische Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel «Teddy» bei HarperCollins, US.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juni 2025
Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«Teddy» Copyright © 2024 by Emily Dunlay
Zitate S. 5: Gustave Flaubert: «Madame Bovary», deutsch von René Schickele und Irene Riesen, Zürich 1980 (Diogenes Verlag), S. 121; John le Carré: «Krieg im Spiegel», deutsch von Manfred von Conta, Berlin 2005 (List Verlag), S. 38
Covergestaltung Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Coverabbildung Enrique Badulescu
ISBN 978-3-644-02085-6
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Sie wußte nicht, daß sich auf den Dächern das Regenwasser zu Seen ansammelt, wenn die Dachtraufen verstopft sind, und sie wäre in dem Zustand trügerischer Sicherheit verblieben, hätte sie nicht eines Tages einen Riß in der Mauer entdeckt.
— Gustave Flaubert: Madame Bovary
Um Himmels willen, hör auf! Die Sekretärinnen wissen davon, warum sollen es die Frauen nicht auch wissen dürfen?
— John le Carré: Krieg im Spiegel
Morgen oder spätestens übermorgen wird jeder wissen, was ich getan habe. Wer ich bin.
Die Geschichte wird in den italienischen Skandalblättern ihren Anfang nehmen, in Gente und L’Espresso, dann in London im Mirror und in der Sun landen. Sie wird in Unterwasserkabeln durch den Atlantik knistern – ich stelle mir vor, wie monströse Tiefseefische vor Entsetzen ihre spitzzähnigen Mäuler aufreißen, während der Bericht von meiner Verderbtheit an ihnen vorbeizischt –, und wenn sie schließlich im New Yorker Hafen oder in der Chesapeake Bay aus dem Meer kriecht, wird sie etwas viel Gefährlicheres geworden sein als bloßer Klatsch: Sie wird eine Nachricht sein.
Die New York Times, die Washington Post. Meine Geschichte wird wie ein geölter Blitz westwärts zu den Dallas Morning News und zur LA Times jagen. Auf Dinnerpartys und bei Feierabenddrinks, auf Firmenveranstaltungen von D.C. bis Hollywood wird mein Name in aller Munde sein, zerkaut und runtergeschluckt mit dem zerstoßenen Eis und den Cocktailkirschen von Juleps und Manhattans.
Und wenn sie dann Walter Cronkites vertrauenswürdige Lippen in den Evening News erreicht, wird bereits jemand gekommen sein, um mich abzuholen.
Ich sage all das – oder eine konfuse, mäandernde Version davon – zu den Männern, die mir auf meinem scheußlichen terrakottafarbenen Samtsofa gegenübersitzen.
Es ist eigentlich nicht mein Sofa. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich es mit einem schönen, neutralen Bouclé bezogen. Oder ich hätte es mit so einem seidigen, mintgrünen venezianischen Damaststoff aufpolstern lassen, wie im Hotel Cipriani. David hat dort einmal mit mir übernachtet, am Ende unserer Flitterwochen. Wir tranken Bellinis mit Blick auf die Lagune von Venedig und schwammen in dem wunderschönen, nagelneuen Pool auf der Terrasse; von dem Hotel aus kann man bis hinüber zum Markusplatz blicken. Allerdings riecht die ganze Stadt im Sommer wie ein Sumpf. Wir hätten genauso gut in Houston am Buffalo Bayou sein können.
Aber es ist nicht mein Sofa, wie praktisch nichts in dieser Wohnung mir gehört – es war alles schon da, als ich einzog. Das war ein Teil des Problems, glaube ich: Dieses Leben in Rom hat sich nie wirklich wie mein eigenes angefühlt.
«Also», fällt mir der kleinere der beiden Männer ins Wort – ich habe laut gesprochen, merke ich, zusammenhanglos –, «Mrs Shepard. Bitte versuchen Sie, Ruhe zu bewahren. Wir führen hier bloß ein freundliches Gespräch. Tatsächlich muss nichts von dem, was Sie uns erzählen, diesen Raum je verlassen. Wir möchten bloß verstehen, was heute Nacht passiert ist.»
«Es handelt sich um eine Routineermittlung –», schaltet der andere, größere Mann sich ein, aber sein Kollege unterbricht ihn mit einem, wie ich finde, warnenden Blick.
«Betrachten Sie es wie ein Interview», sagt der Kleine. «Wie in einer Zeitschrift. Wie in Ladies’ Day oder Women’s House Journal.»
«Die heißen Woman’s Day und Ladies’ Home Journal», sage ich, und meine beiden Gäste schweigen kurz.
Es ist schwer, die Männer auseinanderzuhalten – sie tragen beide weiße Hemden und schwarze Krawatten, genau wie David, doch ihre italienischen Anzüge sind sehr viel schmaler geschnitten als die kastenförmigen amerikanischen Zweireiher, von denen David sich nicht abbringen lässt; auf ihren unauffälligen Nasen sitzen dunkel gerahmte Brillen, wie David eine trägt. Sie haben beide kurzes braunes Haar.
«Es ist bloß eine Formalität», sagt der Größere nach einer Pause. «Papierkram. Wir versuchen lediglich, offene Fragen zu klären. Also bitte, Mrs Shepard. Entspannen Sie sich. Trinken Sie einen Schluck von Ihrem Drink. Wir führen hier bloß ein freundliches Gespräch.»
Mir kommt der Gedanke, dass sie die Blutflecken gesehen hätten, wenn ich mein Partykleid nicht ausgezogen hätte, bevor sie eintrafen. Dann wäre es wahrscheinlich kein so freundliches Gespräch mehr.
Ich brauchte einen Moment, um zu erkennen, was da geschah: Die Flecken erblühten lila auf meinem blauen Chiffonkleid, in einem schönen Rotgold auf den gelben Perlen um Ärmel und Kragen. Blut sollte rot sein, das wusste ich, aber es verschmolz mit den Farben meiner Kleidung. Erst als ich die Spritzer auf meinen Händen sah, unbestreitbar ein brutales, leuchtendes Purpurrot, begriff ich.
Sobald ich zu Hause war, ließ ich das Kleid zerknüllt wie ein gebrauchtes Taschentuch auf den Boden im Schlafzimmer fallen und zog eine Bluejeans (Arbeiterhose hätte meine Mutter angewidert gesagt) und eins von Davids zerknitterten weißen Bürohemden an (zerknittert, weil ich es natürlich nicht gebügelt hatte).
Wir tragen dieselbe Art von Hemden, stelle ich fest, diese Männer und ich.
Falls sie ins Schlafzimmer gehen und sich umschauen, schmutzige Handtücher und getragene Klamotten aufheben und daruntergucken, werden sie das blutige Kleid noch früh genug finden.
Ich war noch nie besonders gut darin, meine Spuren zu verwischen. Es gab schon immer Beweise für meinen Verfall, wenn sich jemand die Mühe machte, danach zu suchen.
Sie werden irgendwann alles finden, weil sie jetzt mit der Suche beginnen. David und seine Leute, das Außenministerium, meine Familie – ja sogar die verdammten Russen. Und auch die Journalisten. Ich sehe förmlich schon, wie irgendein unerschrockener junger Reporter in Dallas oder in Washington, D.C., landet und sich umhört. Unter Steine späht und alle meine widerlichen kleinen Würmer findet.
Würde ich das laut aussprechen, würden diese Männer in ihren Anzügen sagen, ich solle nicht paranoid sein. Vielleicht würden sie sagen, dass ich wie eine Verrückte klinge, wie eine von diesen Spinnern, die «Verschwörung!» schrien, als der Warren Report veröffentlicht wurde.
Aber in Wahrheit bin ich nicht paranoid genug gewesen. Ich hatte schon immer die schlechte Angewohnheit, andere Menschen beim Wort zu nehmen und davon auszugehen, dass ich der einzige Wolf im Schafspelz bin. Das hat mir schon mein ganzes Leben lang allerhand Angst und Schuldgefühle bereitet. Aber jetzt habe ich all den Schafen in meiner Herde unter den Pelz geschaut, und ich kann mit einiger Sicherheit sagen, dass darunter doch meistens Wölfe stecken.
Ich trinke gehorsam einen Schluck von meinem Drink – ein paar Fingerbreit von Davids Bourbon. Ich habe meinen undurchschaubaren Gästen auch etwas davon angeboten, als sie leise an die Tür unserer kleinen Wohnung klopften, wohl wissend, dass ich öffnen würde, obwohl es schon spät war, denn was blieb mir anderes übrig? Aber sie lehnten ab. Sie glauben wahrscheinlich, dass es ihnen hilft, einen klaren Kopf zu bewahren.
Vom Whiskey tränen mir die Augen, und ich reibe sie, merke dann, dass ich mein Augen-Make-up verschmiere und die falschen Wimpern zerdrücke, die noch von der Party angeklebt sind. Ich packe ihre faserigen Ränder, die Wimpern der Marke Andrea aus zu hundert Prozent europäischem Haar – und ziehe sie ab.
«Child-at-heart», heißt dieses Modell, und die Werbung, die ich in Woman’s Day gesehen habe, zeigte eine ganze Reihe von Wimpernlängen und -formen unter der in Schwarz fett gedruckten Frage: «Welcher Frauentyp sind Sie wirklich?»
Ich spüre, wie sich die zarte Haut meiner Lider kurz von den Augäpfeln hebt, als ich sie an dem Klebestreifen abziehe, und einer der Männer – der größere der beiden – starrt mich entsetzt an. Ich sehe wahrscheinlich aus wie ein Wesen aus Die Nacht der lebenden Toten, wie einer der kannibalistischen Ghule.
«Liz Taylor trägt auch genau diese», sage ich zu meiner Verteidigung.
Die Männer glotzen nur.
Das Telefon an der Wand in der Kochnische schrillt wie eine Sirene, und ich hätte damit rechnen müssen, dass jemand anrufen würde, aber bei dem Klang zucke ich trotzdem zusammen und zittere, und ich spüre, wie die Männer mich beobachten, darauf lauern, was ich sonst noch alles unbeabsichtigt preisgeben könnte, bis der kleinere schließlich beim siebten Klingeln den Hörer abhebt.
Meine Mutter wäre entsetzt gewesen; sie meinte, dass man spätestens beim dritten Klingeln rangehen sollte, falls man vorhatte, überhaupt ranzugehen.
Der Mann sagt aber nichts, als er abgehoben hat – kein «Teddy Shepard am Apparat», wie ich immer munter geträllert habe, nicht mal ein knappes «Hallo». Er hört sich nur schweigend an, was am anderen Ende der Leitung gesagt wird.
«Wer ist dran?», frage ich.
Die Telefonschnur hüpft und wippt wie eine Haarlocke, die aus einem Lockenwickler befreit wird, und der Mann beobachtet mich mit dem Hörer am Ohr. Von da, wo ich sitze, höre ich nur ein gedämpftes Murmeln, aber ich sehe, wie seine Mundwinkel schmal werden und sich dann nach unten verziehen, bis er schließlich mit einer Grimasse «Verstanden» sagt und mit einem ganz leisen Klicken auflegt.
«Wer war das?», frage ich. «Ist alles in Ordnung?»
Der Mann blickt kurz, nur ein einziges Mal, nach rechts – das machen Leute, wenn sie gleich lügen, hat Eugene mir mal erklärt – und sagt: «Natürlich, Mrs Shepard. Alles bestens. Wie gesagt, wir führen hier lediglich ein freundliches Gespräch.»
«Also», schiebt der Größere nach, «wie wär’s, wenn Sie von Anfang an erzählen?»
«Ich wollte es nicht tun», sage ich, und er legt neugierig den Kopf schief.
«Was wollten Sie nicht tun?»
Ich wollte so gut wie nichts von alldem tun – von allem, was ich je getan habe –, mein Leben lang. Also wo fängt man mit so einer Geschichte an?
Bei unserer ersten Verabredung lud David mich ins Arthur’s Prime Steaks and Seafood ein. Ich denke oft über den Abend nach, drehe und wende ihn in Gedanken. Suche nach den Warnzeichen.
Aber es war ein ganz normaler Abend oder jedenfalls nicht spürbar lebensverändernd. Ich verliebte mich nicht. Ich fand ihn anfangs linkisch und unattraktiv, mit seiner Hornbrille und den abstehenden Segelohren, die dick und geschwollen waren, fast wie Blumenkohlohren, obwohl er kein Boxer war. Ich will damit nicht sagen, dass er nicht gefährlich war, sondern dass er eine ganz bestimmte Art zu kämpfen hatte, und bei der spielten seine Hände keine Rolle.
Ich gebe zu, dass ich mich heute für meinen ersten Eindruck von ihm schäme. Weil ich ihn für etwas, das nicht seine Schuld war, so abfällig verurteilte. Es gab mehr als genug Gründe, ihn zu verurteilen, später, aber das wusste ich damals noch nicht.
Meine Cousine Marcia hatte ihren Mann, einen alten Freund von David von der University of Wisconsin, überredet, ihm meine Telefonnummer zu geben. Er hatte offenbar im Auftrag der Regierung in Dallas zu tun und war mit dem Flugzeug aus Rom gekommen, wo er an der amerikanischen Botschaft arbeitete. Er kannte niemanden in der Stadt, mit dem er essen gehen konnte, das heißt, er kannte niemanden außer Marcias Mann, und Marcia, wie ich viel später erfuhr, fand David abstoßend und kalt und wollte seinetwegen kein Geld für eine Babysitterin ausgeben. Also dachte sie stattdessen an mich.
Marcia versuchte ständig, mich zu verkuppeln. «Ihr passt toll zusammen», sagte sie am Telefon, als sie mich vorwarnte, dass er jederzeit anrufen könnte. «Ihr seid die zwei begehrtesten Ledigen, die ich kenne.»
Ich war sehr schön. Das mag eitel klingen, ist es aber nicht. Ich hörte es einfach nur sehr oft von den unterschiedlichsten Leuten. Höre es sogar noch heute. Man hätte also meinen können, dass sich viele Männer für mich interessierten. Aber in Dallas sind alle schön, und ich war schon vierunddreißig, und jeder andere Mann, mit dem Marcia mich verkuppeln wollte, hatte offenbar hinterher berichtet, dass er mich distanziert, unnahbar und seltsam fand – «eine harte Nuss». Gerade diese Beschreibung fand ich stets überraschend, da ich meist das Gefühl hatte, mir würde die äußere Schale fehlen und mein zartes, weiches Fleisch wäre jedem hergelaufenen Eichhörnchen schutzlos ausgeliefert. Marcia hielt mit derlei Kritiken nie hinterm Berg, als könnte ich mein Verhalten quasi auf Knopfdruck ändern. «Sei doch mal lockerer, Ted», sagte sie oft. «Lass dich ein bisschen gehen.»
Genau das nahm ich mir für den Abend vor. Ich trug mein Haar lang und offen, oben toupiert wie das von Jean Shrimpton auf dem Cover der Vogue. Ich hatte eines ihrer Ensembles kopiert – ein Shantung-Cocktailkleid mit eckigem Halsausschnitt, dazu riesige Strassohrringe und silberne spitze Pumps. Bis zu meinem fünfunddreißigsten Geburtstag waren es noch sechs Monate, und ich war fest entschlossen, bis dahin einen Ehemann zu finden, ein Plan, den ausnahmslos alle gut fanden.
«Manche Frauen altern wie edler Wein, und manche altern wie Milch», sagte mein Onkel Hal gern, wenn mich jemand an einem Wochenende auf der Ranch fragte, wann ich denn endlich einen Mann finden würde. Er fügte jedoch nie die tröstliche Klarstellung hinzu, dass ich zu den Glücklichen zählte, weshalb ich vermutete, dass er mich bereits für versauert hielt. «Es ist noch nicht zu spät», pflegte meine Mutter mit einem wohlwollenden Lächeln zu sagen. «Und du bist so ein hübsches Mädchen.»
«Ich werde Sie zum Essen ausführen», hatte David am Telefon gesagt, als er endlich am dreiundzwanzigsten Januar anrief, nach zwei Tagen Verhandlungen mit Braniff Airways über eine italienische Expansion. ‹Ich führe Sie aus›, als ob er mich abholen und sicher zu unserem Tisch geleiten würde. Doch dann nannte er mir eine Uhrzeit und ein Restaurant, und mir wurde klar, dass er sich dort mit mir treffen wollte, und Daddy hatte mein Auto Anfang der Woche in die Werkstatt gebracht, und so spät im Monat hatte ich kaum noch genug Geld für ein Taxi. Ich konnte meine Eltern unmöglich um noch mehr bitten, und obwohl ich für meine Arbeit in der Huntley Foundation nicht bezahlt wurde, war es die Art von Job, die man nur machte, wenn man ohnehin Geld hatte, also konnte ich auch nicht Armut vorschieben, als wäre ich eine Sekretärin oder Stewardess, und David bitten, mich einfach abzuholen.
Das alles konnte er natürlich nicht wissen, aber es hätte auch keine Rolle spielen dürfen. So sollten erste Verabredungen normalerweise nicht ablaufen. Mit der Zeit sollte ich erfahren, dass David immer so war – übertrieben selbstsicher, seltsam angesichts des ersten Eindrucks, den er machte, und dann zögerlich, unsicher, wenn es um gewisse Details ging.
Es war frustrierend: Man wollte, dass diese Männer die Herren des Universums waren, als die sie sich ausgaben, man wollte, dass sie die Welt, in der sie so viel Schaden anrichteten, vollständig unter Kontrolle hatten, aber dann wussten sie nicht, dass sie ihrer Sekretärin keine Rosen zum Geburtstag schenken sollten oder wie man Horsd’œuvres ausspricht.
Als ich mich mit David im Arthur’s traf, wusste ich lediglich, dass er für die Regierung arbeitete und gern Bourbon trank, was er mir beides nicht erzählt hatte. Das mit seinem Regierungsjob wusste ich von Marcia, und das mit dem Bourbon wusste ich von ihrem Mann Roy, der zum Telefon gegriffen hatte, um mir eine eklige Geschichte über eine Studentenparty zu erzählen, die fünfzehn Jahre zuvor in Madison stattgefunden hatte. Trotzdem verbrachte ich Stunden damit, mich aufzuhübschen. Ich dachte, es sei eine Frage der Mathematik: Wenn ich jede Verabredung annahm, wenn ich mich perfekt präsentierte, würde mich irgendwann einer behalten wollen.
Ich war allerdings furchtbar schlecht in Mathe. Sonst hätte ich am Ende des Monats ja wohl noch Geld für ein Taxi gehabt.
Ich erinnere mich, dass ich heulend im Bad meiner kleinen Wohnung stand, die Daddy mir nach meinem Uniabschluss gekauft und die Mama mit Seidenvorhängen von Scalamandré und einer Schlafzimmergarnitur von Weir’s ausgestattet hatte. Ich heulte, weil meine Haare nicht richtig lagen. Ich wollte die Verabredung schon absagen, nachdem ich zu fest an einem Pickel auf der Wange herumgedrückt hatte, der prompt anfing zu bluten, sodass ich ein kleines Stück Papiertaschentuch daraufdrücken musste, um das Blut aufzusaugen, wie ein Mann, der sich beim Rasieren geschnitten hat, damit die Stelle so weit austrocknete, dass mein Make-up hielt. Schließlich bildete sich eine Kruste, die ein paar Tage lang wie ein Schönheitsfleck aussah, bis alles verheilt war. Ich habe noch immer eine Narbe davon.
Letztendlich musste ich den Bus nehmen und kam eine halbe Stunde zu spät ins Restaurant. Ich versuchte, es als schick und lustig darzustellen, als wäre ich unabhängig und sorglos, aber David war verärgert, was ich an der Art merkte, wie er behauptete, es nicht zu sein, und wie er mit geschlossenen Zähnen lächelte. Ich wäre am liebsten gleich wieder aufgestanden und gegangen. Ich hatte sie bereits ruiniert, diese Sache, von der ich nicht mal dachte, dass ich sie wollte, und jetzt war es auch egal, ob ich das Essen noch über mich ergehen ließ oder nicht, denn am Ende des Abends würde ich allein in meine Wohnung am Turtle Creek zurückkehren, zu meinen schönen geblümten Vorhängen, weil ich wusste, dass es egal war, zu wie vielen Männern ich Ja sagte oder ob ich, statt direkt nach Hause zu gehen, in den French Room oder die Library Bar oder in eins der anderen üblichen Lokale ging. Die Nächte meines Lebens würden immer auf diese Weise enden, bis alle zu dem Schluss kamen, dass mein Versuch, allein zu leben, sinnlos war, und ich von meiner Familie wieder aufgenommen werden würde. Und dann würde ich in mein früheres Kinderzimmer in dem großen Haus am Beverly Drive zurückkehren, wo ich vermutlich irgendwann sterben würde.
«Huntley-Mädchen können sich wohl keinen echten Schmuck leisten», sagte David an dem Abend, nachdem wir die Getränke bestellt hatten, und deutete auf meine Ohrringe. «Es sei denn, ihr habt echte Diamanten, so groß wie Taubeneier. Oder vielleicht habt ihr ja den Hope-Diamanten gekauft. Irgendwie Pech gehabt in letzter Zeit?»
Marcia hatte ihm also von der Familie erzählt. Das heißt der Familie meiner Mutter – Daddy war mit den Rinderfarmen, die er im Panhandle geerbt hatte, einigermaßen erfolgreich gewesen, hauptsächlich, weil sich herausstellte, dass Öl darunter lag, aber Mamas Familie gehörte halb Dallas. Zumindest früher, bevor sie alles verkauften und das Geld investierten. Jetzt hatten sie die größte Kunstsammlung in Texas – die Foundation, in der ich «angestellt» war –, und Onkel Hal, der Vater meiner Cousine Marcia, war Senator.
Jeder wusste, dass er eines Tages Präsident werden würde, sobald Richard Nixons Zeit vorbei war. Grandpop war Gouverneur gewesen, und nach seinem Tod benannten sie ein Autobahnkreuz in Houston nach ihm. Huntley-Geld hatte die größten Partei-Siege in vielen Großstädten und Bundesstaaten finanziert sowie ein Studentenwohnheim an der Texas Agricultural & Mechanical und das neue Stadion an meiner eigenen Alma Mater, der Southern Methodist University.
Davids Witz war veraltet; der Hope-Diamant stand nicht mehr zum Verkauf, und jeder, der die entsprechende Folge der Spielshow The Name’s the Same mit Chico von den Marx Brothers gesehen hatte, wusste, dass der Fluch, der angeblich auf dem Diamanten ruht, bloß ein Gerücht war, aber David war in solchen Dingen immer hinter dem Mond. Die einzigen Nachrichten, die er verfolgte, waren die über Politik, seine Lieblingsmusik war Jazz von vor zwanzig Jahren, und ins Kino ging er genauso ungern, wie er Fernsehen guckte.
Damals wusste ich das alles natürlich nicht, aber ich merkte, dass er versuchte, mich zu umgarnen, indem er mich beleidigte, und bei beidem scheiterte er kläglich. Das machte ihn mir sympathisch. Er wurde besser darin, gemein zu sein, je besser er mich kennenlernte.
Ich lachte. Und als er mich fragte, wie ich mir denn so die Zeit vertrieb, erzählte ich ihm von der Huntley Foundation, und anstatt sich abfällig darüber zu äußern, dass ich noch immer im Schoß der Familie lebte, wie es ein Pilot von Braniff International Airways getan hatte, mit dem ich mal ausgegangen war, sagte er: «Sie sind also ein seltenes und schönes Ding, das seltene und schöne Dinge sammelt.» Und das genügte.
Es genügte für vier weitere Cocktails, für das Tagesgericht mit einem halben Dutzend Babyaustern aus Baltimore als Vorspeise («Austern in Texas», sagte David, «na, da bin ich aber gespannt») und dafür, dass ich nach dem Essen mit in sein Hotel ging, «auf einen Schlummertrunk».
Und dann, als ich am nächsten Morgen in seinem Zimmer im Statler Hilton aufwachte und panisch dachte, dass Marcia es erfahren wird, dass alle es erfahren werden und sich denken werden, was für eine Frau ich in Wahrheit bin, genügte es, dass er mich in den Arm nahm, mir beruhigend unter der Bettdecke den Rücken streichelte und sagte: «Tut mir leid, ich hätte dich nicht fragen sollen, ob du noch mit raufkommst. Ich weiß, dass du so etwas noch nie gemacht hast.»
Das war eine Lüge, die ich ihm offenbar aufgetischt hatte, als ich mich gehen ließ.
Ich war immer vorsichtig, wenn ich mit Freunden von Freunden, Freunden der Familie ausging, aber ich war nicht immer und überall vorsichtig. Ich war nicht unerfahren, wie David anscheinend glaubte. Aber ich beschloss, mich trösten zu lassen, weil ich schon bei dem Gedanken daran, dass alle es herausfinden würden und darüber redeten, vor Angst zitterte. Und weil die Zeit auf mich eindrängte und ich bereits ihre lastende Schwere spürte und weil ich ihn ja doch mochte, die süße Art, wie seine Wangen im Bett erröteten, wie er ein wenig erschauderte, als ich mit den Fingerkuppen über seinen breiten, verschwitzten Rücken strich.
Als wir uns in seinem Zimmer zum Abschied küssten, nachdem wir uns vom Zimmerservice hatten Kaffee bringen lassen und uns zusammen in der kleinen Dusche abgebraust hatten, was seltsam intim war, erzählte er mir, dass er am Abend nach Rom fliegen würde, aber in zwei Wochen wieder da wäre und mich zum Essen ins Old Warsaw einladen wolle.
Während er fort war, rief er alle zwei Tage an, obwohl es ein Überseegespräch war und wir ohnehin nicht viel Gesprächsstoff hatten. Aber er rief jedes Mal um dieselbe Uhrzeit an und blieb fünf Minuten oder länger in der Leitung, wobei mindestens eine oder zwei dieser Minuten in langem Schweigen verstrichen. Für Anrufe aus der Botschaft fielen keine Gebühren an, erklärte er, als ich sagte, es sei zu teuer, so weiterzumachen. Er könne am Telefon nicht viel über seine Arbeit sprechen, sagte er außerdem, und ich hatte weiß Gott nicht viel aus meinem Leben zu erzählen, was ihn amüsiert hätte, da sein begrenztes Interesse an den primären Sammelgebieten der Foundation – flämische Renaissance-Bildhauer und französische Impressionisten – bereits erschöpft war. Deshalb beschränkten wir uns darauf, über das Wetter zu reden (schön) und über die Nachrichten (schlecht – Schlammlawinen, Brände, Hinrichtungen, die finsteren Pläne der Russen, Vietnam).
Nach zwei Wochen nach diesem Stil landete er wieder am Flughafen Love Field, kam in einem Mietwagen direkt zu meiner Wohnung und sagte, er habe diesmal gar nicht beruflich in Dallas zu tun, sondern sei nur gekommen, um mich zu sehen. Und um mich abzuholen und zum Essen einzuladen. Daher war es wohl nur ein Zufall gewesen, dass ich zu unserer ersten Verabredung allein aufkreuzen musste, oder er hatte vielleicht einfach entschieden, wie die ständigen Telefonate vermuten ließen, dass er jetzt für mich verantwortlich war.
Ich wartete bis nach unserer zweiten Verabredung damit, meinen Freundinnen von David zu erzählen, obwohl mir selbst das noch zu früh erschien, um sicher zu sein, dass aus uns wirklich etwas werden würde.
«Ja, aber wie sieht er denn aus?», fragte meine Freundin Eleanor, als ich ihr schilderte, dass er sich als sehr zuverlässig und pünktlich erwiesen hatte. «Wie fühlst du dich mit ihm?»
Ich erzählte ihr, dass seine Haut für einen Mann erstaunlich weich war und dass er wie ein Kätzchen blinzelte, wenn ich ihm die Brille abnahm, um ihn zu küssen. Dann versuchte ich, seine Ohren zu beschreiben, die ich inzwischen als etwas betrachtete, das mir an ihm besonders gefiel, und Eleanor sagte: «Das klingt, als würdest du einen Kater beschreiben, den du irgendwo aufgelesen hast.»
Nach unserer dritten Verabredung und weiteren zwei Wochen mit regelmäßigen Telefonaten fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, in Rom zu leben. Es werde langsam teuer, erklärte David, für jede Verabredung die Kontinente zu wechseln. Im Rückblick vermute ich, dass er das bis dahin als Investition betrachtet hatte.
«Du kannst doch nicht einfach nach Italien ziehen», sagte Eleanor.
«Und schon gar nicht ohne Ring», sagte Marcia.
Bei unserer vierten Verabredung, bei der wir nur im El Fenix Enchiladas aßen und dann zurück in sein Hotelzimmer gingen, um miteinander zu schlafen, sagte ich David genau das, und ein paar Wochen später heirateten wir im Rathaus.
Es ging alles so schnell, dass keine Zeit für eine große Feier oder eine kirchliche Trauung blieb. Das behauptete Mama, aber ich weiß, in Wirklichkeit fand sie, ich sei zu alt dafür.
Die Hochzeiten aller meiner Freundinnen waren in der Dallas Morning News bekannt gegeben worden, die Fotos von ihnen in weißen Kleidern wurden zusammen mit ihren neuen Ehenamen abgedruckt. Aber niemand ist begeistert, wenn man vierunddreißig ist; meiner Mutter wäre es peinlich gewesen, wenn es in der Zeitung gestanden hätte. Es wäre eine Farce gewesen, wenn ich in einem prächtigen weißen Kleid mit Schleier zum Altar der Highland Park Methodist Church geschritten wäre. Wenn alle meine Freundinnen und Angehörigen zu einem Empfang im Country Club mit hübsch verpackten Geschenken, Geschirr, Punschschüsseln und silbernen Samowaren aufgekreuzt wären.
Es gehört sich nicht, meinte Mama, mit über dreißig ein richtiges Brautkleid zu tragen, und das weiße Kleid von meinem Debütantinnenball passte nicht mehr, deshalb kaufte sie mir einen kastigen Hosenanzug von Oleg Cassini in einem Blassgold, das nicht zu meinem Haar passte, und Schuhe in einer Farbe, die die Verkäuferin bei Neiman Marcus Butterblume nannte, aber von Onkel Hal, wie ich zufällig mitbekam, als Katzenpissegelb bezeichnet wurde. Das verdutzte Gesicht des armen David, als er die Gestalt, die seine Braut sein sollte, über den schmucklosen Flur im ersten Stock des Rathauses auf sich zukommen sah, hätte mich normalerweise zum Lachen gebracht, aber er mochte es nicht, wenn ich lachte, es sei denn, über einen seiner Witze, also verkniff ich es mir.
David und ich hatten beschlossen, oder es wurde für uns beschlossen, dass der ganze Rest – die Geschenke, das Essen und das Überschreiten der Schwelle zu einem neuen Zuhause – überflüssig war, da wir ja nach Rom ziehen würden, um unser neues Leben zu beginnen. Nach der Trauung gab es daher eine kleine Party im Beverly-Haus, und das war genug, um offiziell zu besiegeln, dass David und ich jetzt von Gott zusammengeführt waren.
Ich hätte gern die Geschenke gehabt, wenn ich ehrlich bin. Ich hätte gern so ein passendes Tumbler-Set von Baccarat gehabt, wie Eleanor es zu ihrer Hochzeit bekommen hatte. Ich hätte gern zusammen mit Mama mein Silberbesteck ausgesucht und es im Laufe der Jahre zu jedem besonderen Anlass um Löffel und Austerngabeln und ein Kuchenmesser ergänzt. Aber wir konnten nichts mitnehmen, und wir hatten keinen Platz dafür.
Es war natürlich kein Problem. Ich brauchte das viele Geschirr und den Nippes nicht. Aber ich glaube, es hätte sich vielleicht realer angefühlt, wenn wir ein Haus gekauft und mit Dingen gefüllt hätten. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn wir eine Hochzeit mit allem Drum und Dran gehabt hätten und nicht bloß eine abgespeckte Version.
Als ich klein war, zitierte meine Tante Sister – eigentlich hieß sie Cecilia, aber alle nannten sie Sister – gerne Henry David Thoreau: «Alles Gute ist wild und frei.»
Sister war die Jüngste der Geschwister meiner Mutter, Hal der Älteste, und Cecilia Huntley war ein Paradebeispiel für die so häufig unkonventionellen Nachzügler in einer Familie. Sie heiratete weder, noch wurde sie sesshaft. Wenn jemand sie an Thanksgiving oder Ostern mal wieder fragte, ob sie einen netten Mann kennengelernt hatte oder ob sie vielleicht liiert war, sagte sie: «Ach, da ist niemand Bestimmtes», und meine Mutter schüttelte dann den Kopf und seufzte, weil es sich so anhörte, als würde Sister ständig mit einer Vielzahl von Männern ausgehen.
Sie lebte in Hotels in Biarritz oder auf Jachten in der Ägäis, oder sie quartierte sich bei reichen Freunden auf der Rue de la Paix ein. Einmal sagte sie zu mir: «Sie wollen dich mit Kühlschränken und feinem Porzellan ködern, und dein Tafelsilber hängen sie dir wie einen Anker ans Bein.» Sie präzisierte nie, wer «sie» waren, aber sie meinte, Ehe und Familienleben seien eine Falle für Frauen. Wenn sie so redete und Mama es mitbekam, versuchte sie stets, ihrer Schwester den Mund zu verbieten, aber es war schwer, ihr nicht beizupflichten, besonders, wenn ich Mamas Leben mit dem von Tante Sister verglich.
Tante Sister kam dann und wann für ein paar Tage zu Besuch – «Wenn ich noch länger in Dallas bleibe», sagte sie, «kriege ich Ausschlag» –, und wenn sie mal wieder im Beverly-Haus auftauchte, brachte sie stapelweise Fotos und Souvenirs von ihren letzten Reisen mit. Alles wirkte fröhlicher und chaotischer, wenn sie bei uns war. Die Erwachsenen blieben nach dem Abendessen länger als sonst auf, lachten und plauderten, und sogar Hal fand die Zeit, vorbeizukommen, um sie zu sehen.
Die Einzige, die offenbar keine Freude an diesen Besuchen hatte, war Mama – Sister machte immer irgendetwas, das die Ordnung im Haus durcheinanderbrachte, und das ging meiner Mutter fürchterlich gegen den Strich. Ich erinnere mich an einen Sommer, in dem Sister aus Frankreich zurückkam. Sie brachte wunderschön bedruckte Seidentücher für mich und Mama mit – «Sie ist zwölf Jahre alt, Cecilia, sie braucht kein Seidentuch», sagte Mama, ehe sie meins konfiszierte – und ein Rezept für ein Soufflé, das mit kandierten Veilchen («Die bekommt man nur in Toulouse») aromatisiert und mit Champagnercreme serviert wurde, und Sister sagte, wenn man es anschneide, könne man innen drin die Farben eines Sonnenuntergangs sehen. Das sanfte Goldbraun von Eiern, Mehl und Butter nach dem Backen, sagte Sister, vermische sich mit den schmelzenden violetten Veilchen und der zarten milchigen Pfirsichfarbe des Sekts. Ich hatte noch nie so etwas Schönes gehört; ich hatte noch nicht mal solche Worte gehört. Kandierte Veilchen, das klang wie Nahrung für Feen, nicht für irdische Wesen.
Mama erlaubte uns nur zu besonderen Anlässen einen Nachtisch, und sie selbst aß fast nie einen, außer am dritten Samstag im Monat. Dann gönnte sie sich nach dem Abendessen eine Kugel Vanilleeis. Ich hasste diesen Tag, wenn ich mit ansehen musste, wie sie vor Vorfreude immer aufgeregter wurde, je näher der Abend rückte, wie ein kleiner Hund, der auf seinen klackernden Zehennägeln um den Tisch tanzt. Gierig auf Essensreste wartet.
Getreu ihrer Haltung versuchte sie, Tante Sisters großen kulinarischen Plan abzuschmettern – er sei maßlos, unnötig –, aber Daddy bekam das mit und sagte: «Lass das Mädchen doch ihren ausgefallenen Kuchen machen.» Und so verbrachten Tante Sister und ich an jenem Samstag den ganzen Nachmittag in der Küche damit, das Soufflé zuzubereiten und dann zu backen, obwohl wir einige Fehlversuche hatten, zusammengefallene Gebilde, Häufchen aus violettem Matsch, die wir lachend versteckten.
Aber am Ende hatte sie recht, das Soufflé sah wirklich aus wie ein Sonnenuntergang, wenn man es anschnitt, ein wunderschönes Lila, das in Orange und Gold überging, und sogar Daddy und Onkel Hal bemerkten beim Essen, wie schön es war und wie interessant und seltsam es schmeckte.
«Wie ein Bissen Parfüm», sagte Daddy, «aber wisst ihr was? Ich glaube, ich mag es irgendwie.»
Und Mama saß die ganze Zeit da und sagte: «Nein danke», als wir ihr einen Löffel von dem Soufflé anboten, und sie ließ ihre Portion unangerührt, bis der Tisch abgeräumt wurde, und danach vergaß ich es für eine Weile, denn es war Schlafenszeit für mich, und Daddy und Onkel Hal gingen, um ihre Zigarren zu rauchen und sich stundenlang schmutzige Witze und lustige Geschichten zu erzählen, wie sie das an solchen Abenden immer taten. Tante Sister hatte ein paar Zeitschriften dabei, die sie auf der Veranda lesen wollte, sagte sie, und Mama sagte, sie fühle sich nicht wohl und würde früh zu Bett gehen.
Ich konnte eine ganze Weile nicht einschlafen, und ich lag im Bett und dachte, dass der Rest von dem Soufflé vielleicht noch in der Auflaufform war – weggestellt für morgen. Also schlich ich nach unten, weil ich wusste, dass die Erwachsenen noch stundenlang mit irgendwas beschäftigt sein würden, ehe sie zu Bett gingen, und sie mich deshalb wohl kaum erwischen würden, doch als ich in die Speisekammer des Butlers spähte, brannte dort Licht, und ich sah Mama in ihrem spießigen gesteppten Hausmantel, den sie trotz der Sommerhitze das ganze Jahr über trug, wie sie über die Soufflé-Schüssel gebeugt stand und sich mit den Händen Brocken in den Mund schaufelte. Sich die Finger ableckte.
Da fiel mir ein, dass es Eiscreme-Abend war, und ich begriff, dass wir sie mit unserem raffinierten Soufflé davon abgehalten hatten, ihre übliche Leckerei zu essen, und ich hatte das Gefühl, etwas zu sehen, das ich nicht sehen sollte, obwohl ich in dem Moment nicht hätte sagen können, was genau, aber ich war auch angewidert.
Ich ging auf die Veranda, wo Tante Sister mit ihren Zeitschriften saß, ihr dunkles Haar (in der Farbe einer Krähenbrust, hatte Daddy mal über den Unterschied ihrer Haarfarbe zu Mamas bemerkt; «Sag nicht Brust», hatte Mama erwidert) bereits in Lockenwicklern, und sie zeigte mir in ihrem Harper’s Bazaar (Harper’s BH, sagte Daddy zu Mamas Leidwesen gern) den neunseitigen Teil mit Sommermode – «zeitlose, leichte Abendkleider für jeden Anlass». Und dann bestaunten wir die unvergleichliche Dorian Leigh auf dem Cover der Vogue.
«Was für eine elegante Frau», sagte Sister. Und dann, verschwörerisch: «Weißt du, sie ist auch aus Texas. Und du hast irgendwie ihre Nase.»
Tante Sister erzählte mir von anderen Süßigkeiten, die wir ausprobieren könnten, und von Parfüms und Kleidung, die sie aus Europa mitbringen würde. Sie sagte, in Frankreich könne man alles Mögliche finden, sogar nach dem Krieg. Ich wollte nach Paris fahren, um alles zu kosten. Ich wollte die Köstlichkeiten probieren, die sie auf anderen Besuchen beschrieben hatte, Dinge, die mir so weit weg vorkamen – den süßen, brennenden, säuerlichen Geschmack von Limoncello, Eintöpfe und Gewürze, die sie in Marokko und Ägypten gegessen hatte und deren Namen ich nicht mal kannte. Und mehr als Geschmacksnoten und Gerüche: die Pyramiden, die Sphinx. Die Souks von Marokko, die steinernen Kathedralen von Italien und Frankreich. Die Museen und Parks und Paläste der Alten Welt.
Ich bewunderte Tante Sister lange, als ich jünger war, und eine Zeit lang träumte ich von einem sorglosen, ungebundenen Leben wie ihrem. Aber als ich David kennenlernte, wollte ich endlich beschwert werden. Ich wollte ein Haus voller Dinge, das mir Halt geben sollte, damit ich nicht völlig davontrieb. So wie Tante Sister am Ende.
Dennoch. Als David beschloss, mich mit nach Rom zu nehmen, dachte ein kleiner, gefährlicher Teil von mir, das wäre sie, meine Chance, die Welt zu sehen und zu berühren und zu schmecken – sie zu begreifen und in mich aufzunehmen –, wie Tante Sister es getan hatte. Ich spielte mit dem Feuer, und das wusste ich, aber während ich die Koffer mit allem packte, was ich für mein neues Leben als Davids Frau brauchen würde – die seidenen Nachthemden mit dazu passenden Negligés in Pastellfarben, die bunten Frühlingskleider für Gartenpartys und Ladies’ Lunches, die Nagellacke und Lockenwickler und Cremes –, konnte ich das Gefühl nicht ganz abschütteln, dass ich mich auch auf eine andere mitreißende, faszinierende Teddy vorbereitete, die sich mir zu gegebener Zeit offenbaren würde.
Aber das war ein Gedanke, den ich eher unterdrückte als hegte, also versuchte ich meistens, ihn zu ignorieren. Ich erlaubte mir jedoch, mich zumindest auf das Meer zu freuen, denn die Flitterwochen wollten David und ich auf Capri verbringen, um dann die herrliche Küste hochzufahren, zu unserem neuen Leben in Rom.
Ich war schon auf Sea Island und in Palm Beach gewesen, aber Tante Sister hatte mal gesagt, das Wasser wäre da drüben anders. Keine Country Clubs oder Golfplätze direkt am Strand. Keine Sommerferien mit den Eltern in Pastellfarben. Tante Sister hatte von blauen Wellen erzählt, die an felsigen Küsten brachen, an denen einst Cäsar und Antonius und Kleopatra wandelten. Sie sagte, sie habe gelesen, dass man in alten Zeiten bis auf den Grund des Meeres blicken konnte, hinab zu Schiffswracks aus der Zeit der Odyssee und der Ilias.
Auf einer Reise nach Palm Beach gingen wir einmal ans Meer, um nur unsere Füße ins Wasser zu tauchen, da es Frühlingsanfang war und zum Schwimmen noch zu kalt, und Sister sagte, dass der Ozean die ganze Menschheit miteinander verbindet und sich um die ganze Welt dreht und wendet und jeden berührt und dass du am Strand stehen kannst und weißt, dass du am Rande von etwas stehst, das dich mit deinen Brüdern und Schwestern verbindet, und wer auch immer du in dem Moment bist, du bist ewig, und du bist nicht allein.
Später fand ich heraus, dass es sich um eine Philosophie handelte, die sie sich von verschiedenen transzendentalistischen Autoren zusammengeschustert hatte, mit denen sie in ihrem verkürzten College-Studium während des Krieges in Berührung gekommen war, hauptsächlich Emerson und Thoreau. Außerdem hatte sie einige Tage in einem rot-gold gestrichenen buddhistischen Kloster auf einem Berg in Tibet verbracht. Mama und Daddy verdrehten die Augen, wenn sie so redete, und später dachten wir natürlich alle, dass sie vielleicht einfach nur verrückt war. Vielleicht glaubte sie, dass das Leben eines Menschen in Augenblicken enthalten war, weil ihr alles, was länger dauerte, so schnell durch die Finger glitt.
Auf der Party nach der Hochzeit stellte mein Onkel Hal uns einen Scheck über zwanzigtausend Dollar als Starthilfe aus, wobei er David zuzwinkerte und sagte: «Junge, sag mir Bescheid, wenn du es leid bist, ein Bürohengst zu sein, und ein bisschen Spaß haben willst. Ich könnte dich in zwei Jahren zum Senator machen und in fünf zum Kongressabgeordneten.»
Dann, nach kurzem Nachdenken: «Vielleicht nicht in Texas, nicht mit diesen Ohren. Aber wir bringen dich nach Montana oder so. Teddy wird nichts dagegen haben, auch wenn es da keine Neiman-Marcus-Filiale gibt. Fünf Jahre, versprochen.»
David lächelte mit zusammengebissenen Zähnen, und ich rieb seinen Arm, weil ich dachte, die Bemerkung über seine Ohren hätte ihn geärgert, und wir nahmen das Geld und genossen die Zeit auf Capri, oder zumindest ich tat das, zumindest in den ersten paar Tagen, und den Rest des Geldes zahlten wir auf ein gemeinsames Konto unter Davids Namen für unsere Zukunft ein. Und meine Mutter und Hal versprachen auch, dass sie in ein paar Monaten, wenn ich fünfunddreißig wäre, den Rest meines Erbes von Grandpop freigeben könnten, jetzt, wo es keine Bedenken mehr gab. Ich hatte eine gesicherte Zukunft vor mir, ich hatte bewiesen, dass ich keine verdorbene Milch war, ich hatte einen Mann, der mir half, mit mir selbst zurechtzukommen, und ich war noch nicht zu alt, um Kinder zu gebären. Sie mochten David nicht als Gast beim Abendessen (Onkel Hal sagte zu Daddy: «Der Junge sieht aus wie ein getretener Hund, wenn er lächelt»), aber sie glaubten, dass er eine vielversprechende Zukunft in der Partei hätte, wenn er nur endlich so vernünftig wäre, das Außenministerium aufzugeben.
«Wir können uns Häuser in Georgetown ansehen», sagte Mama, während sie mir beim Packen half, «wenn Davids Dienstzeit um ist.»
«Verzeihen Sie, Mrs Shepard –»
«Teddy, bitte», sage ich. «Und Sie haben mir Ihre Namen noch nicht verraten.»
Die beiden sind immerhin meine Gäste. Da sollte ich wenigstens wissen, wie sie heißen.
«Mrs Shepard», redet der Kleinere entschlossen weiter, ohne mir seinen Namen zu nennen, «würden Sie bitte kurz innehalten? Sie sagen, Senator Huntley – Ihr Onkel – hat David Shepard einen Scheck in Höhe von zwanzigtausend Dollar gegeben?»
«Ja», sage ich, und ich nehme wieder einen Schluck von meinem Bourbon, merke dann aber, dass das Glas leer ist.
Ich stehe auf und tappe auf nackten Füßen – eigentlich ein bisschen unhöflich, dass eine Gastgeberin barfuß herumläuft; Mama hätte das niemals gebilligt – hinüber zu Davids Barschrank.
«Sie möchten wirklich nichts?»
Sie antworten nicht, aber der Größere macht sich ein paar Notizen auf einem gelben Block und blickt dann zu mir hoch.
«Und haben Sie vielleicht in irgendeinem Gespräch zwischen dem Senator und Ihrem Mann mitbekommen, was der Grund für diese Zahlung war?»
«Oh», sage ich, während ich zu dem abgenutzten Zweiersofa zurückkehre, «das war ein Geschenk.»
«Und ist es in Ihrer Familie üblich, derart üppige Geschenke zu machen?», fragt der Kleinere, und ich meine, eine Spur Gehässigkeit zu hören. Oder vielleicht Spott.
Echte Emotion – das ist gut. Das ist nützlich.
«Allerdings», sage ich, «und das Geschenk sollte auch für mich sein. Das dachte ich jedenfalls. Es sollte für uns beide sein. Für unser neues Leben.»
«Und war das Anlass für Unstimmigkeiten zwischen Ihnen beiden?»
«Nun ja, ich konnte noch nie gut mit Geld umgehen, schätze ich. Man könnte also vermuten, dass es damit zu tun hatte.»
Ich rechne damit, dass einer von ihnen, vielleicht der Größere, irgendeinen Witz reißt, wahrscheinlich über Frauen und Geld, aber die beiden wechseln nur einen kurzen Blick, und ich werde nicht richtig schlau daraus.
«Fahren wir fort», sagt der Kleine. «Wann sind Sie in Rom eingetroffen?»
«Dazu komme ich gleich», sage ich.
Sie sind sehr ungeduldig, diese Männer.
«Heute ist übrigens mein Geburtstag», sage ich.
Dann blicke ich zu der Uhr an der Wand und sehe, dass es nach Mitternacht ist und ich gar nicht mehr Geburtstag habe.
«Wir sind nicht direkt nach Rom», erkläre ich. «Zuerst sind wir in die Flitterwochen gefahren.»
Ich könnte mich täuschen, doch ich glaube, der Größere seufzt.
Sie unterbrechen mich aber nicht, also rede ich weiter.
Wir hatten nur einen einzigen Regentag in unseren Flitterwochen. Er fing sonnig an, und wir waren wie immer ins La Canzone del Mare gefahren, um den Tag am Strand zu verbringen, weil unser Hotel keinen eigenen Strand oder Pool hatte. Das Gatto Bianco war ein hübsches kleines Gasthaus in der Stadt – angeblich waren Ingrid Bergman und Roberto Rossellini während ihrer Affäre für ein Wochenende dort abgestiegen, und ich hatte in einem Interview gelesen, dass es Sophia Lorens Lieblingshotel auf Capri war –, aber es lag im Herzen der Insel, deshalb nutzten David und ich meistens den Canzone-Beachclub, um etwas Sonne zu tanken.
Ich liebte es, vom Hotel aus durch das Städtchen zu schlendern; die niedrigen, weiß getünchten Villen und Hotels, manche farbenfroh gestrichen, die kleinen Balkone, mit Weinreben bewachsen und von Blumenkästen gesäumt. Entlang des Hafens waren Mietshäuser, nur wenige Stockwerke hoch, und ich stellte mir vor, wie schön es wäre, in einer kleinen Wohnung in einem dieser Gebäude zu leben, ein paar schlichte Zimmer am Wasser, jeden Morgen bei Sonnenaufgang erwachen und nachts die glitzernden Lichter der Schiffe in der Ferne vorbeiziehen sehen.
Ich machte das oft: Wenn ich zu Fuß oder mit dem Auto unterwegs war, stellte ich mir beim Anblick eines kleinen Hauses oder einer Wohnung von irgendwem vor, ich würde dort wohnen. Ich glaube, ich hatte mir diese Art von Tagträumerei arglos angeeignet; meine Granny – die Mutter meines Daddys, keine Verwandte der Huntleys – besaß eine Sammlung von Keramikhäuschen, die sie auf der Fensterbank über der Spüle aufgestellt hatte. Das viktorianische Haus, das Cape-Cod-Haus, die Hacienda, das Cottage. Ich weiß nicht, woher sie die hatte oder was sie ihr bedeuteten, aber aus der ehrfürchtigen Art, wie sie die Häuschen aufzählte und beim Abwasch andächtig betrachtete, ließ mich vermuten, dass sie andere Leben symbolisierten, die sie sich ausmalte.
Meine Carlyle-Granny spülte immer selbst: Sie war eine robuste Frau aus East Texas, deren Familie nicht vermögend war wie Mamas Eltern. Sie trug jeden Tag ihres Lebens kleine schwarze Schnürstiefel, und sie wohnte bis zu ihrem Tod, als ich noch ziemlich klein war, in dem bescheidenen Haus, in dem sie geboren wurde, fütterte Hühner im Hof und pflanzte Kürbisse und Tomaten an, bis zum Schluss. Den Geschichten nach zu urteilen, die man mir über sie erzählte, war sie eine sehr pragmatische Frau, aber sie liebte ihre Keramikhäuschen.
Ich merkte sofort, dass Tante Sister die Wahrheit über das Wasser auf Capri gesagt hatte: Es fühlte sich anders an als in Palm Beach oder auf Sea Island. Die zerklüfteten, urzeitlichen Felsen vor der Küste, die Bögen und Säulen, die über Tausende, wahrscheinlich Millionen Jahre hinweg von aufgewühlter See in sie hineingemeißelt worden waren. Die Wellen waren viel wilder als in Florida oder Georgia. Ich hatte das Gefühl, dass die Welt wirklich überall um uns herum in Bewegung war, genau wie Tante Sister es beschrieben hatte. Dass diese Insel ein Außenposten in einer größeren Welt war, keine geschützte, von Bankern und Automobilerben bevölkerte Bucht.
Was nicht heißen soll, dass es auf Capri nicht viele schöne Menschen gab: Sie tummelten sich im La Canzone del Mare, haufenweise schlanke, langbeinige, gebräunte Frauen in hauchdünnen roten Badeanzügen, wie ich sie nie hätte tragen können, nicht mit meinem Busen. Andere wirkten in unvorstellbar winzigen Bikinis so selbstsicher und glamourös, so zufrieden in der Sonne, die ihre flachen Bäuche wärmte. Ich hätte so etwas nie und nimmer am Pool in unserem Country Club in Dallas tragen dürfen oder am Strand auf Sea Island. Ich hätte es nicht mal versucht. Aber die Art, wie diese Frauen mit ihren perfekten Körpern dastanden, wie ihr langes, offenes Haar um ihre Schultern schwang, wenn sie von ihren Liegestühlen aufstanden, um sich kurz zur Musik zu wiegen oder zu einem Ehemann, Freund oder Liebhaber hinüberzugehen – Männer, die aussahen wie Alain Delon, die rauchten und Persol-Sonnenbrillen trugen wie Steve McQueen –, um eine Hand auf seine sonnenwarme Schulter zu legen, sich vorzubeugen und ihn zu küssen … Ja, ich war unsäglich, quälend neidisch.
An jenem Tag lag David am Pool, las blinzelnd seine Zeitung durch die getönten Gläser, die er sich auf die Brille geklemmt hatte, und ich ging hinunter zum Strand, um eine Weile allein zu sein. Man konnte Seesterne in Felstümpeln entlang des Anlegestegs sehen. Leider sah ich nie einen Tintenfisch, aber ich hatte gehört, dass sie sich manchmal dort sammelten. Die Leute erzählten sogar von Delfinen, die auf den Wellen tanzten, aber auch die bekam ich nie zu Gesicht.
Ich breitete mein gestreiftes Handtuch auf dem warmen Holz des Stegs direkt am Wasser aus und lag stundenlang dort. Ein leichter Wind wehte, und ich fühlte mich wie in einem Kokon darin eingehüllt. Ich konnte nicht hören, was oben am Pool los war, nur schwache Musikklänge und gelegentliches lautes Lachen drangen an mein Ohr. Es war ein gedämpftes, friedliches Gefühl, als wäre die Welt weit weg. Als könnte sie mir nichts anhaben.
Und dann zogen Wolken auf, grau und weich, und es begann zu regnen, also hielt ich mir mein Handtuch über die Haare und lief zurück zum Pool, wo David wartete. Er hatte seine Zeitung über dem Kopf, und wir lachten, wie Menschen lachen, wenn sie vor dem Regen flüchten, weil das etwas Kindliches hat und weil es einem, ganz gleich, wie oft es passiert, immer noch seltsam und absurd und wundersam vorkommt, dass Wasser vom Himmel fällt, zumindest wenn man aus bestimmten Gegenden von Texas kommt, und wir hüpften und sprangen hinüber zum Restaurant des Clubs, wo wir uns unter den Dachvorsprung setzten, Espresso tranken, schwere, schokoladige Torta caprese aßen und zuschauten, wie der Regen auf die Palmen rauschte, deren Wedel sich in den Villengärten entlang der Klippen wie Spinnen vor dem grauen Himmel abzeichneten.
David trug sein dichtes, drahtiges Haar kurz geschnitten, aber regennass, wie es war, stand es in alle Richtungen ab und ragte ihm wie ein kurzer Pony in die Stirn. Er sah so jung aus und sehr süß. Wir saßen da, mit unserem Mandelkuchen und unserem Espresso, lächelten einander an, plauderten über nichts Besonderes, und in einer Gesprächspause nahm er meine Hand und sagte: «Teddy, ich glaube, wir könnten wirklich zusammen glücklich werden.»
Und damals dachte ich: Natürlich sind wir das doch schon, deshalb machen wir das hier ja. Ich hatte nicht begriffen, dass es für David nicht selbstverständlich war. Für David galt es noch immer, eine Entscheidung zu treffen.
Doch ich war zu sehr von meinem eigenen Erfolg geblendet, um zu merken, dass etwas nicht stimmte, zumindest am Anfang. In Dallas hatte ich es nicht immer leicht gehabt. Ich hatte ein paar schlechte Angewohnheiten. Ein paar Neigungen, mit denen ich mir gelegentlich Probleme einhandelte – Dinge, die ich meist vor meiner Familie verbergen konnte, die ein Ehemann jedoch irgendwann bemerken würde.
Aber irgendwie hatten sich jetzt, wo ich verheiratet war, all meine Probleme wundersamer- und praktischerweise in Luft aufgelöst. Natürlich war da noch die Vergangenheit, und manche Dinge musste David nicht wissen, aber die Zukunft war für mich zum Greifen nah. Unsere ganzen Flitterwochen hindurch wachte ich früh auf und machte einen Strandspaziergang an der frischen Luft, ich aß, wenn David aß, nicht mehr und nicht weniger, ich trank nur ein oder zwei Glas Wein beim Abendessen. Ich las Muriel Spark in der Sonne, ich machte fast alles richtig, und ich hatte das Gefühl, endlich zu den verheirateten Frauen zu gehören, deren Leben in Ordnung war, die alles im Griff zu haben schienen. Ich konnte in die Zukunft blicken und Kinder sehen, ein Haus in Georgetown, mich selbst in einem Chanel-Kostüm an Davids Seite. Ich konnte Sicherheit sehen.
Ich machte fast alles richtig, bis auf den letzten Tag. Ich hatte mir in einem der Inselboutiquen einen Bikini gekauft, einen kleinen Zweiteiler von Pucci, bedruckt in Pastellrosa und Lavendel und Sorbet-Orange. Ich wollte ihn im Canzone mit hochhackigen Sandalen tragen, so wie die anderen Frauen es machten, und mich mit Babyöl einschmieren, um schön braun zu werden. Ich sah nicht gerade aus wie die dünnen, sportlichen Italienerinnen, die sich in ihren hauchdünnen Badeanzügen am Pool rekelten, mit Goldschmuck und Forte-dei-Marmi-Bräune, aber als ich mich im Spiegel der Umkleidekabine betrachtete, fand ich, dass ich trotzdem ziemlich gut aussah. Ein bisschen weicher vielleicht, ein bisschen blasser, aber nah dran. Ich sah aus, als gehörte ich in dieses Swimmingpool-Tableau mit warmen, selbstbewussten europäischen Frauen und ihren attraktiven Liebhabern oder würde es bald. Mit Menschen, die sich entspannten und Dinge genossen, von Augenblick zu Augenblick – mit Menschen, die das Mark des Lebens aussaugten, wie Tante Sister vielleicht Thoreau zitiert hätte.
David sagte zunächst nichts, als ich aus der Umkleide kam, was mich verunsicherte – kein anerkennender Pfiff, keine laszive Bemerkung –, doch dass tatsächlich etwas nicht stimmte, merkte ich erst eine Stunde später am Pool, als er einen Schluck von seinem Aperol trank, mich ansah und schließlich sagte: «Das ist reichlich viel Busen, Teddy.»
Damals kannte ich seine Gewohnheiten noch nicht gut; ich wusste nicht, was er damit sagen wollte.
«Gefällt’s dir?», fragte ich in einem Tonfall, der sinnlich sein sollte. Ich wollte verführerisch sein. Charmant und kokett.
«Ich weiß einfach nicht, ob hier jeder Mann unbedingt so viel von dir sehen muss», sagte er. Er blickte jetzt geradeaus, zu den anderen Leuten am Pool. Oder zumindest merkte ich, dass er mich nicht mehr ansah, nicht einmal durch die getönten Gläser.
«Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast», fuhr er fort, «oder ob du früher so was getragen hast, aber du bist jetzt verheiratet. Du bist meine Frau.»
Bevor ich weitererzähle, möchte ich zu David etwas klarstellen. Ich möchte nicht, dass sich jemand ein falsches Bild von ihm macht. Am Anfang war er meistens sehr lieb und geduldig mit mir. Und er hat mich nie im Zorn angefasst, kein einziges Mal.
Das einzige Mal, dass ich ihn je weinen sah, war tatsächlich ebenfalls in unseren Flitterwochen. Wir hatten fast den ganzen Morgen vor dem Frühstück im Bett verbracht, uns in den Laken gewälzt. Ich wollte meinen neuen Ehemann zufriedenstellen, also hatte ich mein Bestes getan, um geschmeidig und biegsam zu sein. Das meine ich wörtlich – ich wölbte den Rücken und bewegte die Hüften, wie das höchstens eine von den Rockettes je versuchen sollte. Als David gerade seinen Rhythmus fand, spürte ich, dass so etwas wie ein Gummiband tief in meinem Rücken riss, und ich zuckte ganz sicher ein wenig zusammen, sagte aber nichts, und David war zu erregt, um es zu bemerken. Aber dann, nach einer weiteren Stunde – wir verbrachten die ersten Wochen derart viel Zeit im Bett, dass mir nicht bewusst war, wie sehr es ihn stören würde, dass ich nach unserer Ankunft in Rom so schläfrig war, so träge –, griff er wieder nach mir, und ich sagte, so zärtlich ich konnte: «Lass uns diesmal sanfter sein. Ich glaube, ich hab mir den Rücken gezerrt.»
Er stutzte und wich zurück, und dann bedrängte er mich mit Fragen, bis ich zugab, dass es an dem Morgen passiert war, dass es passiert war, während wir uns liebten, und dann sagte er: «Teddy, so was musst du mir sagen!», und ich dachte, er wäre wütend, bis er das Gesicht in den Händen verbarg und sagte: «Ich will dir nicht wehtun, Teddy. Ich will dir niemals wehtun. Ganz im Gegenteil.»
Als er den Kopf wieder hob, sah ich, dass seine Augen glänzten und nass waren. Danach ging er auf den Balkon, um seinen Kaffee zu trinken, und ich wusste nicht recht, was ich machen sollte, und wir sprachen nie wieder darüber, aber in den folgenden Tagen war er außergewöhnlich zärtlich zu mir, und dann hatte er es anscheinend komplett vergessen. Aber er tat mir nie absichtlich weh. Wie gesagt, er war immer sehr vorsichtig mit seinen Händen.
Eine Nachbarin in meinem Mietshaus in Dallas landete einmal im Parkland Hospital, nachdem die Cowboys gegen die Green Bay Packers verloren hatten. Ihr Mann interessiere sich gar nicht besonders für Football, erklärte sie mir im Aufzug, als sie mit Augenklappe und geschienten Fingern aus dem Krankenhaus zurückkam, und ein großer Fan des Teams sei er auch nicht, schob sie nach, als ob das etwas Peinliches wäre, aber bei den großen Spielen würde nun mal so viel getrunken. Die ganzen Männer zusammen, und alle enorm angespannt. Ihr Mann lächelte mich immer an, wenn ich ihn im Aufzug traf, und selbst nachdem das passiert war, fiel mir nichts Besseres ein, als zurückzulächeln.
Die Männer in meiner Familie schlugen Frauen niemals. Onkel Hal scherzte gern, das zeuge von einem Mangel an Kreativität.
Heute fällt es mir leicht, mich an Davids kältere Momente zu erinnern, obwohl das vielleicht nicht fair ist. Er konnte auch sensibel und zart sein, manchmal. Aber später merkte ich mir die kleinen Grausamkeiten. Sie trösteten mich.
An jenem Tag auf Capri ging ich zurück in die Kabine und zog mich um. Ich streifte mein Kleid wieder über. Dann setzte ich mich an einen der Cafétische vor dem Clubhaus und wartete, bis David am Pool fertig war. Ich bestellte mir einen Aperol, obwohl ich bis dahin während der Flitterwochen immer bloß ein wenig Wein beim Abendessen getrunken hatte. Der bittere Kräutergeschmack erinnerte mich an Medizin. Er schmeckte wie der dickflüssige orangegelbe Hustensaft, den meine Mutter mir gab, als ich klein war. Er schmeckte nach der Verheißung, dass es dir bald wieder besser geht.
«Waren Sie schon mal auf Capri?», frage ich die Männer. «An der Küste? Falls nicht, sollten Sie unbedingt mal hin. Es ist fantastisch.»
«Ich hatte noch nicht das Vergnügen», sagt der Kleine, während der Größere mit seinem Stift auf den gelben Notizblock klopft.
«Sie sollten Ihre Frauen mitnehmen», erkläre ich und blicke nach unten auf mein Glas Bourbon. Auf meine langen rosa Krallen, die es umfassen. «Könnte ihnen gefallen.»
Diesmal antwortet keiner der beiden, daher vermute ich, dass dieses Gespräch, dieses Kennenlernen tatsächlich einseitig sein soll.
«Was sagten Sie noch mal, wer Sie geschickt hat?»
«Das Foreign Buildings Office», antwortet der Kleine, und der Größere sagt gleichzeitig: «Das muss Sie nicht weiter interessieren.»
«Aha, dann sind Sie bloß wegen des Schadens am Botschaftsgebäude hier, oder?», frage ich. «Es ist ja schließlich ein historischer Bau.»
«Mrs Shepard, bitte», sagt der Kleinere ganz langsam, weil er mich für dumm hält. «Würden Sie uns bitte sagen, wann Sie in Rom angekommen sind?»
Ich meine, einen leicht rötlichen Ton in seinem Haar zu sehen, vielleicht, und ein paar Sommersprossen – ähnlich wie bei David – auf der Nase.
Ich lerne sie allmählich kennen, meine Inquisitoren, ob es ihnen gefällt oder nicht.
Ich beschließe, da mir ihre Vornamen unbekannt sind, den Kleineren Archie zu nennen, wie die Comicfigur. Der Größere müsste dann eigentlich Jughead heißen, aber er hat etwas leicht Bedrohliches, Herrisches an sich, deshalb entscheide ich mich stattdessen für Reggie, das Großmaul in den Comics.
«Und schildern Sie uns doch bitte Ihre erste Begegnung mit dem Botschafter», fügt Reggie hinzu.
«Tja, dafür muss ich erst mal in Rom ankommen», sage ich. «Also los geht’s.»
Als wir nach einer Nacht im Hotel Cipriani in Venedig endlich in Rom ankamen, begann ich wirklich, Fehler zu machen.
Ich passte einfach nicht in Davids Leben dort, und das meine ich wortwörtlich. Er wohnte noch immer in einem Junggesellenapartment, das ihm das Außenministerium zur Verfügung stellte, eine kleine Wohnung in einem alten Gebäude im abgelegenen Trastevere. Die verheirateten Paare und Familien hatten Wohnungen, die näher an der Botschaft lagen, sagte David.
Schönere, neuere, größere Wohnungen, sagte er nicht, aber ich wusste es. Eines Tages war ich durch die ruhigen Straßen von Ludovisi spaziert, dem Stadtteil, wo David die meiste Zeit verbrachte, und hatte gesehen, wie sehr sich unsere hektische enge Straße von den breiten Boulevards, üppigen Gärten und riesigen Palazzi nahe der Botschaft unterschied. In unserer Straße gab es zwar eine schöne Basilika – tatsächlich eine der ältesten Kirchen Roms –, doch ansonsten fast nur Gemüsehändler und ein paar schmuddelige Cafés, nichts, was es mit den Alta-Moda-Ateliers und Prominentenlokalen der Via Veneto aufnehmen konnte. Vor den Eingängen der Läden und in den Gassen unseres Viertels trieben sich immer ein paar streunende Katzen herum, und Kinder, die unbeaufsichtigt auf der Straße herumrannten, machten Radau oder spielten Fußball. Die Kinder und die Katzen mochte ich sogar, aber David machten sie wütend. Er hasste Lärm.
Er sagte jedoch, wir bräuchten nicht mehr Platz. Er sagte, es sei ohnehin nur für ein paar Jahre und wir seien ja nur zu zweit in der Wohnung. Ein zusätzliches Zimmer sei unnötig. Ich sagte, ich fände es schön, wenn mehr als nur wir zwei in der Wohnung leben würden, und er starrte mich verständnislos an, bis ich ihm erklärte, dass ich mir ein Baby wünschte. Sobald er verstanden hatte, erwiderte er, das sei ein Thema für später.
«Wir wollen uns doch erst mal richtig kennenlernen, Teddy», sagte David in jenen ersten Tagen. «Wir haben jede Menge Zeit.»