Tetaphrate - Peter Biber - E-Book

Tetaphrate E-Book

Peter Biber

4,8

Beschreibung

Es reicht. Alfons Dirnberger hat die Schnauze voll. Zum Beispiel von seinem Job, seinem Chef, seinem Leben und davon, ständig einen Gemüseverkäufer mimen zu müssen. Aber so ist das eben, wenn man beim unwichtigsten Geheimdienst der Welt arbeitet. Ein Diebstahl im Ägyptischen Museum der süddeutschen Landeshauptstadt M. beschert ihm einen vermeintlichen Routineauftrag. Bald jedoch sieht er sich einer mörderischen Melange aus Verrat, Korruption, Unfähigkeit und dem Formular M82 gegenüber. Von seinen Gegnern ganz zu schweigen. Ein Buch für Leser, die wissen wollen, was man beim Wallerfischen herausholen kann, warum man immer Bauschaum im Haus haben sollte, inwieweit die Natur Übernatürliches zulässt, was der Weihnachtsmann ehrenamtlich macht, wozu das Oktoberfest gut ist und wie das alles zusammenhängt. Außerdem erfahren Sie (ohne Gewähr), wie man wirklich unsterblich wird - und warum Sie es nicht werden wollen.

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Seitenzahl: 499

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edition lichtland

© Peter Biber

edition LichtlandStadtplatz 4, 94078 FreyungDeutschland

Titelbild: Markus Bogasch

Gestaltung: Edith Döringer

Satz: 4m grafik, Melanie Lehner

ISBN: 978-3-942509-19-0eISBN: 978-3-942509-98-5

www.lichtland.eu

Vielen Leserinnen und Lesern dürfte das Vorbild der Stadt M. – sie ist ein Hauptschauplatz dieser Geschichte – mehr oder weniger gut bekannt sein. Gelegentliche Abweichungen, insbesondere im Hinblick auf die Räumlich- und Persönlichkeiten des Ägyptischen Museums, sind aus erzählerischen Gründen beabsichtigt.

Was derlei Maßnahmen betrifft, kann ich mich auf einen so großen Schriftsteller wie Graham Greene berufen, der zeitweise sogar im selben Metier tätig war wie Alfons Dirnberger, mein Protagonist.

Dennoch möchte ich die Leitung und alle Mitarbeiter des Staatlichen Museums Ägyptischer Kunst im wirklichen M. ausdrücklich um Nachsicht bitten. Jeder Leserin und jedem Leser sei ein Besuch – schon um der Augen der Königin Sat-djehutj willen – wärmstens empfohlen.

P.B.

Dies ist eine frei erfundene Geschichte mit frei erfundenen Charakteren. Mit dem Großvater des Engländers hatte freilich ein gewisser Smith ein unerfreuliches Erlebnis, aber davon ist schon an anderer Stelle erzählt worden.

 

Methus‘lah lived nine hundred years,

Methus‘lah lived nine hundred years,

But who calls dat livin‘

When no gal will give in

To no man what‘s nine hundred years?

Ira Gershwin, Liedtexter

 

Natürlich gibt es nichts Übernatürliches.

Aber was die Natur zulässt,

ist in den Randbereichen unklar.

Franz-Michael Haberl, Romanfigur

Zwei Dinge, sagten die Leute, habe der Junge von seinem Großvater geerbt: die Klarinette, die er spielen konnte wie der Teufel, und den Hang zur Schwarzfischerei. Der Junge selbst sah keinen Anlass, Zweiteres abzustreiten, nicht einmal in Gegenwart des Dorfpolizisten Kegelmaier. Wusste er doch, dass der ihn ganz bestimmt in Ruhe lassen würde. Und die anderen, die Kartenfischer, zählten nicht. Die hatten schon dem Großvater das Handwerk nicht legen können.

Dass es ein drittes Erbe gab, das der alte Dirnberger seinem Enkel hinterlassen hatte, wussten die Leute nicht. Das war gut so, denn sonst wären – legal hin oder her – alle, die sich halbwegs mit Schnur und Haken auskannten, ständig unten am Fluss gewesen. So aber war der Junge auch an diesem drückenden Hochsommernachmittag ganz allein.

Er liebte den Anblick des unendlich breiten Wasserbandes, das träge an ihm vorbeizog. Dem Fluss vertraute er seine Sehnsüchte, seine Wünsche an und stellte sich vor, wie sie sich in den murmelnden Wasserwirbeln auflösten und in ferne, verbotene Länder getragen würden. Weit über ihm flüsterten die kirchenhohen Eschen des Auwalddschungels. Tom Sawyers und Huckleberry Finns Mississippi hätte nicht verzauberter sein können.

Er setzte sich auf einen der großen abgerundeten Steine, die hier eine natürliche Uferbefestigung bildeten. Die derbe Angelrute und den Rucksack legte er neben sich. Vor ihm lag eine etwa fünfzehn Meter breite Bucht. Ihr Wasser war ruhig, aber nicht mehr als fünf, sechs Meter draußen rieb sich daran die gewaltige Hauptströmung. Dabei entstanden tückische Strudel, die plötzlich schmatzend an der Oberfläche auftauchten und dann so schnell verschwanden, wie sie gekommen waren. Er sah zu, wie Blätter, unvorsichtige Insekten, die auf der Wasseroberfläche gelandet waren, und gelegentlich ein Stück Treibholz unvermittelt in die dunkle Tiefe gerissen wurden. Im ruhigen Wasser störten grazile Ringe die Quecksilberglätte, liefen auseinander und vergingen wieder. Botschaften von der anderen Seite des Spiegels. Kleine Fische, Lauben und Rotaugen wahrscheinlich, begannen winzige Mücken von der Oberfläche zu zupfen. Ein ganz normaler Tag. Nur ein klein wenig anders.

*

Zu einer völlig anderen Zeit, an einem völlig anderen Ort war ein Goldhamster, nennen wir ihn Buzi, wie es die Gewohnheit seines Besitzers war, damit beschäftigt, Weizenkörner aus dem linken hinteren Eck seines Käfigs in die kleine Hamsterhütte im rechten vorderen Eck zu transportieren. Es war stockfinster. Weil aber Goldhamster im Gegensatz zu Menschen nachtaktive Tiere sind, störte sich Buzi an der Dunkelheit nicht im Geringsten. Wenngleich sein Käfig nur vierzig mal sechzig Zentimeter maß, was eine diagonale Transportentfernung von ungefähr zweiundsiebzig Zentimetern ergibt, war Buzis persönlicher Kosmos praktisch unbegrenzt. Sein Weg zu den Futtergründen führte nämlich nicht einfach quer über den Käfigboden, sondern durch ein Hamsterrad, das jede Nacht die unendliche, duftende Weite der Hochebene von Aleppo, der Heimat seiner Vorfahren, die jeder Goldhamster als vage Erinnerung in sich trägt, vor ihm ausbreitete.

Was Buzi empfindlich stören konnte, waren nächtliche Aktivitäten, deren Urheber nicht er selbst war. Das lag im Wesentlichen daran, dass zur genetischen Erinnerung der Goldhamster an die Hochebene von Aleppo auch Wesen wie Füchse, Schakale, Eulen und Schlangen gehören. So ist es zu erklären, dass Buzi erstarrte, als er ein leises Schlurfen von außerhalb des Käfigs hörte. Er duckte sich in die Hamsterstreu, die beruhigend nach Hanf roch, und hoffte, nicht bemerkt zu werden. Das Schlurfen kam näher. Mit den scharfen Sinnen eines Wesens, das im großen Plan der Natur meistens die Rolle der Beute spielen muss, konnte Buzi trotz der Finsternis ausmachen, dass er es mit zwei Eindringlingen von beträchtlicher Größe zu tun haben musste. Sie kamen näher. Von beiden Seiten. Buzis kleines Hamsterherz begann zu rasen. Das waren keine Füchse, keine Schakale, keine Eulen und schon gar keine Schlangen, es war eine Gefahr jenseits der Dinge, für die Goldhamster Begriffe haben. Das Schlurfen erstarb. Dafür hörte er bedrohlich ruhige Atemzüge ganz dicht über den Gitterstäben, die am Tag sein Himmel waren. Die Luft roch süßlich. Es war ein Duft, den er eigentlich mochte. Er kannte ihn von warmen Sonntagnachmittagen, an denen sein Besitzer Besuch hatte, nur war er entschieden ins Eklige übersteigert. Der zischende Atem war ganz nahe. Er kroch sanft über den Rücken des Hamsters, der sich zitternd tiefer in die Streu drückte. Buzis Instinkt wusste, dass er entdeckt war und entschloss sich zu einem verzweifelten Strategiewechsel. Mit einem Satz, den man so einem pummeligen kleinen Wesen nicht zugetraut hätte, sprang er in das Hamsterrad und rannte um sein Leben.

Goldhamstern und Menschen ist der Glaube gemeinsam, man könne seinem Schicksal mittels eines Hamsterrades entgehen.

*

Auch in einer Stadt wie M., der man immer noch eine gewisse Gelassenheit nachsagt, gibt es Viertel, in denen den Businessmen und -women aller Krawatten- und Broschenfarben das Pflaster gehört. Wie Meerschweinchen in einer Zoohandlung wuseln sie durcheinander, tauchen aus dunklen U-Bahn-Schächten auf und verschwinden in Hauseingängen, nicht ohne – auch das haben sie mit den Meerschweinchen gemeinsam – eine Aura absoluter Wichtigkeit um sich zu verbreiten. Auch an jenem Spätsommermorgen, vielleicht fünfundzwanzig Jahre nach dem seltsamen Erlebnis eines Jungen an einem großen Fluss, waren die Geschäftsleute in der Fußgängerzone nahe dem Justizpalast vollauf mit ihrer eigenen Bedeutung beschäftigt. Daher fiel ihnen die eigentümliche Gestalt kaum auf, die sich, gemächlich einen Hamburger kauend, von einer Rolltreppe aus dem Untergrund ans Tageslicht befördern ließ. Gekleidet war der überaus dicke Mann in einen makellosen grauen Maßanzug. Über dem schwarzen Hemd trug er eine knallrote Krawatte, deren Muster, wie man nur aus nächster Nähe hätte sehen können, aus zahllosen winzigen Schlitten mit Rentiergespann bestand. In der rechten Hand trug er einen abgewetzten braunen Aktenkoffer von der Größe einer Werkzeugtasche. Sein schulterlanges schlohweißes Haar und sein prächtiger, ebenso weißer Vollbart gaben nur wenig von seinem breiten, rotbackigen Gesicht mit den zu Schlitzen verengten Augen frei. Am oberen Absatz der Rolltreppe angelangt, blieb er stehen und sah sich in aller Ruhe um, so wie ein Holzhauer, der überlegt, in welche Richtung er einen Baumriesen fällen soll. Die empörten Rufe der Geschäftsleute, die ihm die Rolltreppe in den Rücken quetschte, nahm er mit einer gewissen Verzögerung wahr. Er trat zur Seite und nickte den Vorbeihastenden freundlich zu, die ihn ihrerseits mit strafenden Blicken bedachten. „Passen Sie doch auf, Sie Weihnachtsmann!“, schnauzte ihn einer an.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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