The Perfectionists - Lügen haben lange Beine - Sara Shepard - E-Book

The Perfectionists - Lügen haben lange Beine E-Book

Sara Shepard

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Beschreibung

Man muss nicht gut sein, um perfekt zu sein.

Die Highschool-Mädchen Ava, Caitlin, Mackenzie, Julie und Parker haben nur ein Ziel: perfekt zu sein. Außer derselben Schule verbindet die privilegierten Überflieger nicht viel. Doch sie haben ein gemeinsames Hassobjekt: Nolan Hotchkins, gutaussehend, reich – und skrupellos. Jedem der Mädchen hat er übel mitgespielt. Die fünf schmieden einen Plan, wie man Nolan umbringen könnte – nur aus Spaß! Nie würden sie so etwas wirklich tun. Doch als Nolan ermordet aufgefunden wird und genau auf die Art, wie sie es geplant hatten, sind die Mädchen plötzlich Hauptverdächtige in einem hochbrisanten Mordfall. Wenn sie nicht bald den wahren Mörder finden, wird ihr perfektes Leben zusammenfallen wie ein Kartenhaus …

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Seitenzahl: 369

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DIE AUTORIN

Foto: © Daniel Snyder

Sara Shepard hat an der New York University studiert und am Brooklyn College ihren Magisterabschluss im Fach Kreatives Schreiben gemacht. Sie wuchs in einem Vorort von Philadelphia auf, wo sie auch heute lebt. Ihre Jugend dort hat die »Pretty Little Liars«-Serie inspiriert, die in 22 Länder verkauft wurde und die, ebenso wie ihre Reihe »Lying Game«, zum New-York-Times-Bestseller wurde. Inzwischen wird »Pretty Little Liars« mit großem Erfolg als TV-Serie bei ABC gesendet. In Deutschland wird »Pretty Little Liars« seit Mai 2014 auf Super RTL gezeigt.

Von der Autorin sind außerdem bei cbt erschienen:

Pretty Little Liars – Unschuldig (Band 1)

Pretty Little Liars – Makellos (Band 2)

Pretty Little Liars – Vollkommen (Band 3)

Pretty Little Liars – Unvergleichlich (Band 4)

Pretty Little Liars – Teuflisch (Band 5)

Pretty Little Liars – Mörderisch (Band 6)

Pretty Little Liars – Herzlos (Band 7)

Pretty Little Liars – Vogelfrei (Band 8)

Pretty Little Liars – Unerbittlich (Band 9)

Lying Game – Und raus bist du (Band 1)

Lying Game – Weg bist du noch lange nicht (Band 2)

Lying Game – Mein Herz ist rein (Band 3)

Lying Game – Wo ist nur mein Schatz geblieben? (Band 4)

Lying Game – Sag mir erst, wie kalt du bist (Band 5)

Lying Game – Und du musst gehen (Band 6)

SARA

SHEPARD

LÜGEN HABEN LANGE BEINE

Aus dem Englischen

von Violeta Topalova

Kinder- und Jugendbuchverlag

in der Verlagsgruppe Random House

1. Auflage

Deutsche Erstausgabe September 2015

© 2014 by Alloy Entertainment and Sara Shepard

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Perfectionists« bei Harper Teen,

an imprint of Harper Collins Publishers, New York.

Published by arrangement with Rights People, London

© 2015 für die deutschsprachige Ausgabe by cbt Verlag

in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem Englischen von Violeta Topalova

Lektorat: Ulrike Hauswaldt

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesign,

Bad Oeynhausen

Umschlagfoto: Hand Lettering by Peter Horridge.

Jacket Design by Elaine Damasco,

unter Verwendung der Fotos von

gresei/Shutterstock, lantapix/Shutterstock

he · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-15951-1

www.cbt-buecher.de

In der Mitte des Lebens

sind wir vom Tode umgeben.

Agatha Christie,

Und dann gab’s keines mehr

Prolog

Auf den ersten Blick ist Beacon Heights, Washington, eine ganz gewöhnliche, wohlhabende Vorstadtsiedlung: Verandaschaukeln knarren sanft in der Abendbrise, die Rasenflächen sind grün und gepflegt, und alle Nachbarn kennen sich. Aber diese Vorstadt von Seattle ist alles andere als gewöhnlich. In Beacon reicht es nicht, wenn du gut bist. Hier musst du der Beste sein.

Dieser Perfektionszwang bringt eine Menge Druck mit sich. Die Schüler hier gehören zu den besten des Landes und hin und wieder müssen sie ein bisschen Dampf ablassen. Eines wissen fünf junge Mädchen aber noch nicht: Heißer Dampf kann genauso gefährlich sein wie offenes Feuer.

Und bald wird sich jemand verbrühen.

Als am Freitagabend die Sonne unterging, parkten nach und nach immer mehr Autos vor Nolan Hotchkiss’ riesiger, im italienischen Stil erbauter Villa auf einer Halbinsel am Lake Washington. Das Haus hatte schmiedeeiserne Tore und in der kreisförmigen Einfahrt sprudelte ein Marmorbrunnen. Hinter der riesigen Fensterfront, die sich über zwei Stockwerke erstreckte, funkelten kristallene Kronleuchter. Alle Lichter brannten, Bässe wummerten, im Garten hinter dem Haus wurde gejubelt. Kids schlenderten mit Alkohol, den sie aus den Schnapsschränken oder den Weinkellern ihrer Eltern geklaut hatten, die Treppe zum Eingang hinauf und gingen durch die offene Tür ins Haus. Klingeln mussten sie nicht – Mr und Mrs Hotchkiss waren nicht zu Hause.

Pech gehabt. Sie verpassten die fetteste Party des Jahres.

Caitlin Martell-Lewis, die ihre besten Röhrenjeans, ein grünes Polohemd, das die Bernsteinsprenkel in ihren Augen leuchten ließ, und TOMS Hahnentritt-Sneaker trug, stieg mit ihrem Freund Josh Friday und dessen Fußballkumpeln Asher Collins und Timothy Burgess aus einem Escalade. Josh, dessen Atem von dem Bier, das er beim Vorglühen getrunken hatte, süßlich nach Hefe roch, hielt sich die Hand über die braunen Augen und starrte das Herrenhaus mit offenem Mund an. »Alter, das Haus ist ja völlig krank.«

Ursula Winters, die verzweifelt hinter Timothy her war – und außerdem Caitlins gefährlichste Konkurrentin in der Fußballmannschaft –, kletterte vom Rücksitz und zupfte ihr fledermausärmeliges Oversize-Top zurecht. »Der Typ hat einfach alles.«

»Außer einer Seele«, murmelte Caitlin und hinkte über den Rasen. Sie hatte sich beim Fußballtraining den Knöchel verletzt. Alle verstummten, als sie das prächtige Foyer mit dem Schachbrettboden und der geschwungenen doppelten Freitreppe betraten. Josh warf Caitlin einen Seitenblick zu. »Was denn? Das war ein Witz«, sagte sie mit einem Lachen.

Denn wer etwas gegen Nolan sagte – oder sich auch nur weigerte, auf seine Partys zu gehen – hatte seinen Platz auf der A-List der Beacon Heights Highschool verspielt. Aber Nolan hatte genauso viele Feinde wie Freunde und Caitlin hasste ihn besonders abgrundtief. Ihr Herz hämmerte, als sie an ihren geheimen Plan dachte. Ob die anderen wohl schon da waren?

Im Salon brannten Kerzen und überall lagen weiche rote Kissen. In der Mitte des Raums hielt Julie Redding Hof. Ihr kastanienbraunes Haar fiel ihr glatt und glänzend über den Rücken. Sie trug ein trägerloses Kate-Spade-Kleid und hellbeige Highheels, die ihre langen, schlanken Beine zur Geltung brachten. Nacheinander wurden all ihre Mitschüler bei ihr vorstellig und machten ihr Komplimente für ihr Outfit, ihre weißen Zähne, ihren umwerfenden Schmuck, den witzigen Spruch, den sie vor ein paar Tagen im Englischunterricht gebracht hatte. Das war ganz normal – alle liebten Julie. Sie war das beliebteste Mädchen der Schule.

Jetzt stand Ashley Ferguson, eine Elftklässlerin, die sich gerade ihr Haar in Julies Farbton gefärbt hatte, vor ihr und lächelte sie voller Verehrung an. »Du siehst fantastisch aus«, stammelte sie, genau wie die anderen.

»Danke schön«, erwiderte Julie bescheiden.

»Wo hast du denn das Kleid her?«, fragte Ashley.

Julies Freundin Nyssa Frankel schob sich zwischen die beiden. »Warum fragst du, Ashley?«, blaffte sie. »Damit du es dir auch kaufen kannst?«

Julie lachte und Nyssa und Julies andere beste Freundin Natalie Houma klatschten sich triumphierend ab. Zähneknirschend und beleidigt trottete Ashley davon. Julie biss sich auf die Lippe. War sie zu fies gewesen? Heute Abend gab es eigentlich nur einen Menschen, zu dem sie gemein sein wollte.

Und das war Nolan.

Inzwischen stand Ava Jalali mit ihrem Freund Alex Cohen in der mit Marmor und antiker Eiche ausgestatteten Küche der Hotchkiss-Familie und knabberte an einem Stück Karotte. Sehnsüchtig betrachtete sie den Cupcake-Turm neben der Gemüseplatte. »Kannst du mich daran erinnern, warum ich eine Entgiftungsdiät mache?«

»Weil du wahnsinnig bist?«, gab Alex mit schelmisch hochgezogenen Augenbrauen zurück.

Ava verzog das Gesicht und schob sich das glatte, perfekt geföhnte dunkle Haar aus dem Gesicht. Sie war die Art von Mädchen, die sich im Biologieunterricht vor anatomischen Zeichnungen ekelte. Die Vorstellung, dass auch ihr Inneres derart hässlich und unordentlich sein musste, war ihr unerträglich.

Alex steckte den Zeigefinger in die Buttercreme eines Cupcakes und hielt ihn Ava vor die Nase. »Mjam-mjam …«

Ava wich zurück. »Tu das weg!« Aber dann musste sie kichern. Alex war im neunten Schuljahr hierhergezogen. Er war zwar nicht der reichste oder beliebteste Typ der Schule, doch er brachte sie immer zum Lachen. Aber dann blickte sie zum Türrahmen und ihr Lächeln erstarb. Nolan Hotchkiss, der Gastgeber, stand dort und grinste sie beinahe besitzergreifend an.

Er verdient es nicht besser, dachte sie grimmig.

Im Garten – in dem hohe Arkaden die Terrassen verbanden, gigantische Topfpflanzen standen und ein mit Schiefer gepflasterter Pfad bis zum Wasser führte – krempelte Mackenzie Wright ihre Jeans hoch, nahm ihre Zehenringe ab und tauchte die Füße in den Pool von unendlichen Ausmaßen. Einige Gäste badeten, darunter auch ihre beste Freundin Claire Coldwell und Claires Freund Blake Strustek.

Blake drehte Claire zu sich und verschränkte seine Finger mit ihren. »Hey, pass auf meine Griffel auf«, warnte Claire. »Sie sind mein Ticket an die Juillard.«

Blake schaute Mac an und verdrehte die Augen. Mac wich seinem Blick aus, so als möge sie ihn gar nicht.

Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie ihn zu sehr mochte.

Dann öffnete sich die Terrassentür und Nolan Hotchkiss, der Mann der Stunde, schlenderte mit einem süffisanten »Ich bin der King dieser Party«-Ausdruck auf dem Gesicht über den Rasen. Er ging zu zwei Jungen und begrüßte sie mit High-Fives. Einen Augenblick später schauten die drei zu Mac herüber und begannen miteinander zu flüstern.

Mac zog den Bauch ein. Sie spürte, wie ihre Blicke über ihre Stupsnase, ihre Hipster-Hornbrille und ihren dicken Strickschal wanderten. Sie wusste genau, worüber sie tuschelten, und ihr Hass gegen Nolan flammte lodernd auf.

Piep.

Ihr Handy, das neben ihr auf den Fliesen lag, leuchtete auf. Mac las die SMS von ihrer neuen Freundin Caitlin Martell-Lewis.

Es ist so weit.

Julie und Ava erhielten identische Nachrichten. Wie Roboter standen alle auf, entschuldigten sich und gingen zum vereinbarten Treffpunkt. Auf dem Flur lagen leere Plastikbecher, jemand hatte einen Cupcake über die Küchenwand verschmiert, und im Salon roch es durchdringend nach Gras. Die Mädchen sammelten sich am Fuß der Treppe und tauschten lange, nervöse Blicke.

Caitlin räusperte sich. »Also …«

Ava schürzte die vollen Lippen und warf einen Blick in den riesigen Garderobenspiegel. Caitlin lockerte ihre Schultern und suchte nach etwas in ihrer Handtasche. Ein leises Klappern war zu hören. Mac überprüfte in ihrer eigenen Tasche, ob die Kamera, die sie vom Schreibtisch ihrer Mutter stibitzt hatte, sich noch immer darin befand.

Dann heftete sich Julies Blick auf eine Gestalt, die im Türrahmen stand. Es war Parker Duvall, ihre allerbeste Freundin. Wie üblich trug Parker einen kurzen Jeansrock, eine schwarze Netzstrumpfhose und ein übergroßes schwarzes Sweatshirt. Als sie Julie sah, schob sie die Kapuze zurück, und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ihre Narben waren unübersehbar. Julie bemühte sich, ihr Erstaunen zu verbergen, denn es war extrem selten, dass Parker anderen erlaubte, ihr Gesicht zu sehen. Parker eilte zu den Mädchen und zog sich die Kapuze wieder tief in die Stirn.

Die fünf schauten sich um, aber niemand achtete auf sie. »Ich kann immer noch nicht fassen, dass wir das wirklich machen«, gestand Mackenzie.

Caitlin zog die Augenbrauen zusammen. »Willst du etwa kneifen?«

Mac schüttelte eilig den Kopf. »Natürlich nicht.«

»Gut.« Caitlin schaute die anderen an. »Sind alle noch dabei?«

Parker nickte, gefolgt von Julie. Und Ava, die gerade ihren Lipgloss auffrischte, nickte ebenfalls entschlossen.

Ihre Blicke wanderten zu Nolan, der sich durchs Wohnzimmer schlängelte. Er begrüßte seine Gäste herzlich. Klopfte Freunden auf den Rücken. Warf einem Mädchen aus der Neunten ein gewinnendes Lächeln zu, woraufhin diese schockiert die Augen aufriss. Dann flüsterte er einem anderen Mädchen etwas zu und das Lächeln auf ihrem Gesicht erlosch.

Dies war die Macht, die Nolan Hotchkiss über Menschen ausübte. Er war definitiv der beliebteste Typ der Schule – attraktiv, sportlich, charmant, Vorsitzender aller Clubs und Ausschüsse, denen er beitrat. Und seine Familie war die reichste der Stadt – man konnte keinen Kilometer weit fahren, ohne den Namen Hotchkiss auf einem Neubau zu sehen, und keine Zeitung durchblättern, ohne Fotos von Nolans Mutter, der Senatorin, bei der Einweihung einer neuen Bäckerei oder Kindertagesstätte, eines Stadtparks oder einer Bibliothek bewundern zu dürfen. Aber das war noch nicht alles. Nolan hatte etwas … geradezu Hypnotisches an sich. Ein Blick reichte aus, ein Vorschlag, ein Befehl, eine fiese Bemerkung, eine Abfuhr oder eine öffentliche Blamage: Schon stand man für alle Ewigkeit unter Nolans Fuchtel. Er kontrollierte Beacon und niemand konnte etwas dagegen tun.

Aber wie geht noch das alte Sprichwort: »Hochmut kommt vor dem Fall«? Es gab nicht nur diejenigen, die Nolan verehrten, sondern auch eine Menge Leute, die ihn nicht ausstehen konnten. Die ihn am liebsten … losgeworden wären.

Die Mädchen lächelten einander zu. »Also gut«, sagte Ava und machte einen Schritt auf Nolan zu. »Showtime.«

Wie jede gute Party dauerte auch die Feier im Hotchkiss-Anwesen bis in die frühen Morgenstunden. Offenbar hatte Nolan auch bei der örtlichen Polizei ein paar Freunde, denn es gab weder eine Alkohol-Razzia noch Beschwerden wegen Lärmbelästigung. Kurz nach Mitternacht wurden ein paar Partybilder online gestellt: Zwei Mädchen knutschten im Gästeklo, die prüdeste Betschwester der Schule trank Shots aus dem Bauchnabel des Star-Quarterbacks, ein Kiffer hielt grinsend Cupcakes in die Kamera, und der Gastgeber pennte im ersten Stock auf einem Sitzsack, mit Edding beschmiert. Ordentlich feiern konnte Nolan schließlich wie kein zweiter.

Partygäste schliefen auf der Terrassencouch, in der Hängematte, die im Garten zwischen zwei großen Birken aufgespannt war, und kreuz und quer auf dem Fußboden. Einige Stunden lang war es still im Haus. Die Cremeglasur auf den Cupcakes wurde langsam hart, in der Spüle sammelte sich der restliche Inhalt einer umgekippten Weinflasche, und ein Waschbär wühlte in den Müllsäcken hinter dem Haus. Nicht alle wachten auf, als der Junge schrie. Nicht einmal, als derselbe Junge – ein Elftklässler namens Miro – die Treppe hinunterrannte und das Geschehene in das Telefon brüllte, regten sich alle Kids.

Erst als die Krankenwägen mit quietschenden Reifen in der Auffahrt hielten, Sirenen plärrten, Blaulichter blinkten und Funkgeräte knisterten, öffneten alle ihre Augen. Als Erstes sahen sie Sanitäter in Warnwesten, die ins Haus rannten. Miro zeigte nach oben. Stiefel donnerten die Treppe hinauf und dann … trugen dieselben Sanitäter jemanden nach unten. Jemanden, der Edding im Gesicht hatte. Der schlaff aussah. Schlaff und grau.

Der Sanitäter sprach in sein Funkgerät. »Männlich, achtzehn Jahre. Tot.«

War das Nolan?, flüsterten sich die Gäste entsetzt zu, als sie furchtbar verkatert aus dem Haus schlichen. Und … tot? Hat er das wirklich gesagt?

Am Samstagnachmittag hatte sich die Nachricht bereits überall verbreitet. Nolans Eltern kehrten von ihrem Geschäftstermin in Los Angeles zurück und versuchten, den Schaden einzudämmen, aber es war zu spät. Die ganze Stadt wusste bereits, dass Nolan bei seiner eigenen Party gestorben war – wahrscheinlich an zu viel Spaß.

Düstere Stimmen behaupteten, es sei vielleicht Absicht gewesen. Beacon machte es seinen jungen Einwohnern schließlich nicht leicht und vielleicht hatte selbst der Goldjunge Nolan dem Druck nicht standhalten können.

Als Julie am Samstagmorgen erwachte und die Nachricht hörte, wurde ihr die Kehle eng. Ava griff dreimal zum Telefon, bevor sie es schaffte, sich davon abzubringen. Mac starrte lange ins Leere und vergoss dann stille, heiße Tränen. Und Caitlin, die Nolan schon so lange den Tod gewünscht hatte, verspürte Mitgefühl mit seiner Familie, obwohl er die ihre zerstört hatte. Und Parker? Sie ging zum Hafen und starrte aufs Wasser, das Gesicht unter ihrer Kapuze verborgen. Das Hämmern in ihrem Kopf kündigte einen Migräneanfall an.

Sie telefonierten und tuschelten hitzig miteinander. Natürlich fühlten sie sich furchtbar, aber sie waren kluge Mädchen. Logisch denkende Mädchen. Nolan Hotchkiss war tot. Den Diktator der Beacon Heights High gab es nicht mehr. Und damit auch keine Tränen, keine Schikanen und keine Angst davor, dass er ihre schrecklichsten Geheimnisse enthüllen würde. Außerdem hatte niemand gesehen, dass sie am Abend der Party mit Nolan nach oben gegangen waren – darauf hatten sie geachtet. Niemand würde sie je mit ihm in Verbindung bringen.

Das Problem war nur, dass jemand sie gesehen hatte. Jemand wusste, was sie an jenem Abend getan hatten. Und noch viel mehr.

Und dieser Jemand würde dafür sorgen, dass sie dafür bezahlten.

Fünf Tage später

Kapitel 1

An einem sonnigen Donnerstagmorgen kämpfte sich Parker Duvall durch die verstopften Gänge der Beacon Heights High, einer Schule, die an die Schüler MacBooks verteilte, als seien es, na ja, Äpfel, und den besten SAT-Prüfungsdurchschnitt des Bundesstaates Washington vorweisen konnte. Hoch über ihr stand auf einem bordeauxroten und weißen Banner:

GLÜCKWUNSCH, BEACON HIGH!

VON US NEWS & WORLD REPORT IM

FÜNFTEN JAHR IN FOLGE ZUR

BESTEN SCHULE DES NORDWESTENS GEWÄHLT!

WEITER SO, SCHWERTFISCHE!

Gebt doch nicht so an, hätte Parker am liebsten geschrien – aber sie tat es nicht, denn das wäre sogar für sie zu verrückt gewesen. Sie schaute sich auf dem Flur um. Ein paar Mädchen in Tennisröcken standen vor einem Spindspiegel und trugen eifrig Lipgloss auf ihre bereits sorgfältig geschminkten Gesichter auf. Ein paar Meter daneben verteilte ein Typ im Button-Down-Hemd Flyer für die Wahl der Schülervertretung. Sein Lächeln war blendend weiß. Zwei Mädchen kamen aus der Aula und strichen an Parker vorbei. Die eine sagte: »Ich hoffe wirklich, du kriegst die Rolle, falls ich sie nicht bekomme. Du bist so talentiert!«

Parker verdrehte die Augen. Kapiert ihr denn nicht, dass das alles egal ist? Alle eiferten nach irgendetwas oder bissen sich bis nach ganz oben durch … und wofür? Verbesserte Chancen auf das perfekte Stipendium? Eine bessere Möglichkeit, sich das perfekte Praktikum unter den Nagel zu reißen? Perfekt, perfekt, perfekt. Angabe, Angabe, Angabe. Natürlich war auch Parker selbst so gewesen. Vor nicht allzu langer Zeit war sie beliebt, schlau und ehrgeizig gewesen und hatte auf Facebook und Instagram eine Milliarde Freunde gehabt. Alle hatten bei ihren komplizierten Umfragen mitgemacht, und wenn sie auf einer Party auftauchte, war der Abend gerettet. Man hatte sie überallhin eingeladen und gebeten, allen Clubs beizutreten. Typen hatten sie bis zum Klassenzimmer begleitet und sie um Dates angebettelt.

Aber dann war es passiert, und die Parker, die vor rund einem Jahr aus der Asche auferstanden war, trug jeden Tag denselben Kapuzenpulli, um die Narben zu verbergen, die ihr früher so schönes Gesicht entstellten. Sie ging nicht mehr auf Partys. Sie hatte schon seit Monaten keinen Blick mehr auf Facebook geworfen, konnte sich nicht vorstellen, auf Dates zu gehen, und interessierte sich nicht mehr für Clubs. Niemand schaute sie an, als sie durch den Flur marschierte. Und wenn doch, dann warf man ihr vorsichtige, ängstliche Blicke zu. Rede nicht mit ihr. Die ist kaputt. Das passiert, wenn man nicht perfekt ist.

Sie wollte gerade in den Raum gehen, in dem der Filmunterricht stattfand, da packte jemand ihren Arm. »Parker. Hast du’s vergessen?«

Ihre beste – und einzige – Freundin Julie Redding stand hinter ihr. Sie wirkte in ihrer gestärkten weißen Bluse frisch und elegant. Ihr rotbraunes Haar glänzte und ihre Augen waren sorgenvoll aufgerissen.

»Was denn?«, grummelte Parker und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht.

»Die Schulversammlung. Sie ist Pflicht.«

Parker starrte ihre Freundin an. Ob Pflicht oder nicht, war ihr doch völlig egal.

»Komm schon.« Julie führte sie den Flur entlang und Parker folgte ihr widerstrebend. »Wo warst du eigentlich?«, flüsterte Julie. »Ich simse dir seit zwei Tagen andauernd. Warst du krank?«

»Krank macht mich nur das Leben«, schnaubte Parker. Sie hatte die erste Hälfte der Woche die Schule geschwänzt, weil sie einfach keine Lust gehabt hatte, hinzugehen. Was genau sie stattdessen gemacht hatte, wusste sie nicht mehr – ihr Kurzzeitgedächtnis war seit einiger Zeit ziemlich unzuverlässig. »Und es ist ansteckend, also halte lieber Abstand.«

Julie rümpfte die Nase. »Hast du schon wieder geraucht? Du stinkst ekelhaft.«

Parker seufzte. Ihre Freundin war wieder mal im Glucken-Modus, wie Parker es nannte. Entschlossen, sie zu beschützen. Parker musste sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass das liebenswert war, vor allem, weil es sonst niemanden kümmerte, was mit ihr los war. Julie war das einzige Überbleibsel, das Parker aus ihrem alten Leben geblieben war. Jetzt, da Parker im Schatten verschwunden war, war Julie Beacons neues It-Girl. Parker gönnte ihr das von Herzen. Julie hatte auch mit Dämonen zu kämpfen, nur waren ihre Narben unsichtbar.

Sie eilten über den Flur, vorbei an Randy, dem Hippie-Hausmeister, der sich nach Kräften bemühte, die Schule allzeit blitzsauber zu halten. Die Aula lag vor ihnen und Julie schob die schwere Holztür auf. Der große Saal war voller Schüler; trotzdem war es merkwürdig still. Man hörte nur leises Schniefen. Viele wirkten fassungslos. Ein paar Mädchen umarmten sich fest. Als Parker das riesige Porträt von Nolan sah, das auf der Bühne stand, sank ihr Blutdruck ins Bodenlose. RIP stand in Blumenschrift unter dem Foto, Rest in Peace.

Sie fühlte sich hinters Licht geführt. Hätte die Trauerfeier für Nolan nicht an einem der Tage stattfinden können, die sie geschwänzt hatte? »Ich hau ab«, flüsterte sie und wich zurück.

Julie packte sie am Arm. »Bitte«, drängte sie. »Wenn du nicht bleibst, wird das … na ja, du weißt schon. Es könnte komisch wirken.«

Parker biss sich auf die Lippe. Das stimmte. Nach Nolans Party konnten sie es sich nicht erlauben, irgendwie aufzufallen.

Sie ließ ihren Blick über die Sitzreihen wandern. Mackenzie Wright und Caitlin Martell-Lewis saßen ein paar Reihen von ihnen entfernt. Ava Jalali saß auf der anderen Seite des Ganges kerzengerade neben ihrem Freund. Sie drehten sich um und tauschten einen Blick mit Julie und Parker. Alle rissen sich zwar zusammen, wirkten aber dennoch beunruhigt. Es war seltsam. Parker kannte diese Mädchen kaum, aber sie fühlte sich ihnen für immer verbunden.

Wie würdest du es tun? Wenn du ihn umbringen wolltest, meine ich?

Parker zuckte zusammen. Die Worte, die Ava an jenem Tag im Filmunterricht zu ihr gesagt hatte, stiegen so selbstverständlich in ihr auf, als säße Ava neben ihr und flüstere ihr ins Ohr. Sie blickte wieder zur Bühne. Mr Obata, der Rektor, schaute die Dias durch, die er bei seinem Vortrag verwenden wollte. Sie waren alle aus Nolans Schulzeit – als er die Lacrosse-Staatsmeisterschaft gewonnen hatte, seine Krönung zum Ballkönig, er und seine Freunde in der Cafeteria. Parker war sogar auf ein paar Bildern zu sehen, denn damals waren Nolan und sie noch Freunde gewesen.

Andere Dias zeigten Packungen verschreibungspflichtiger Medikamente. Der Vortrag würde also eine Anti-Drogen-Botschaft enthalten, denn allen Gerüchten zufolge war Nolan an einer versehentlichen Überdosis Oxycodon gestorben – seiner Lieblingsdroge.

Und dann kam der Hammer: das Foto von Nolan, das Mackenzie im Lauf der Party online gestellt hatte, das mit der Eddingschrift auf seinem Gesicht. Das Bild war größtenteils unkenntlich gemacht, aber der Kommentar darunter – ein langer Absatz, in dem der Verfasser der Welt mitteilte, wie furchtbar Nolan war – nicht. Also würde es auch noch eine Anti-Mobbing-Botschaft geben.

Wie ironisch. Schließlich war Nolan der schlimmste Mobber von allen gewesen.

In Parkers Verstand drehten sich ihre Erinnerungen an Nolan schwindelerregend schnell im Kreis. Wie sie in sein Auto gestiegen war und über seine schmutzigen Witze gelacht hatte. Die schnelle Fahrt auf der Küstenstraße, um der Angst zu entfliehen. Der Glanz, den die Flasche Wodka, die sie sich geteilt hatten, der Welt um sie herum verliehen hatte. Und dann an jenen letzten Abend, an dem er ihr Oxycodon in den Drink geschüttet hatte, ohne es ihr zu sagen. Danach hatte er nur gemeint: Ist das nicht geil? Kostet nichts. Mein Geschenk an dich.

Sie waren jahrelang befreundet gewesen, aber nach jenem Abend hatte er nie wieder mit ihr gesprochen. Er tat so, als existiere sie nicht. Dabei war alles seine Schuld gewesen. Hätte er ihr diese Pillen nicht gegeben, dann wäre jetzt alles anders. Sie wäre noch ihr altes Selbst. Gesund. Schön, voller Leben. Geistig klar. Perfekt.

Er verdient es, hatte sie noch vor wenigen Tagen gesagt. Alle hassen ihn, sie haben bloß zu viel Angst vor ihm, um es zuzugeben. Wir werden Heldinnen sein.

Abrupt begann die Welt sich zu drehen. Weiß glühender Schmerz schoss durch Parkers Stirn, wie ein Blitz über den Nachthimmel. Als sie versuchte, sich zu bewegen, verkrampften sich ihre Muskeln. Ihre Augenlider senkten sich.

Julie stupste sie sanft an. »Na los«, flüsterte sie. »Setzen wir uns hin. Wir müssen uns ganz normal verhalten.«

Ein weiterer Schmerzblitz schlug in Parkers Kopf ein und ihr wurden die Knie weich. Sie hatte seit ihrem Unfall so viele Migräneanfälle gehabt, dass sie genau wusste, dass dies wieder einer war. Aber hier konnte sie ihn nicht bekommen. Nicht in der Aula, vor all diesen Leuten.

Ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Mit verschwommenem Blick sah sie die plötzliche Besorgnis in Julies Gesicht. »Oh Gott«, sagte Julie, die sofort zu begreifen schien, was mit ihr los war. »Das war mir nicht klar. Komm mit.«

Julie zog sie hoch, führte sie aus der Aula heraus und zu dem Kabuff, das als Kassenhäuschen diente. Hier roch es nach Zitronenreiniger und Staubflocken tanzten durch die Luft. Die Wände waren mit Postern für die nächsten Veranstaltungen gepflastert – Flyer für Guys and Dolls, einer für das Herbstkonzert des Schulorchesters und sogar ein altes Romeo-und-Julia-Plakat aus Parkers zehntem Schuljahr, auf dem ihr Name stand. Sie war die Julia gewesen.

Julie bugsierte Parker auf einen Sitz. »Atme ganz ruhig«, sagte sie leise. »Diesmal ist es schlimm, oder?«

»Mir geht’s gut«, brachte Parker mühsam heraus. Sie vergrub ihre Hände in ihrem blonden Haar und blinzelte heftig. Allmählich wurde ihr Blick wieder klarer. Der Schmerz ging zurück, wurde zu einem dumpfen Pochen, aber ihr Gehirn funktionierte noch nicht wieder richtig.

»Bist du sicher?«, fragte Julie und kniete sich neben sie. »Soll ich nicht die Krankenschwester holen?«

»Nein«, krächzte Parker und holte zitternd Atem. »Ist schon okay. Es sind nur Kopfschmerzen.«

Julie biss die Zähne zusammen, griff in ihre Tasche und holte die Packung Aspirin heraus, die sie für solche Notfälle immer bei sich trug. Sie gab Parker zwei Tabletten. Parker würgte sie trocken herunter. Die rauen Brocken scheuerten ihr die Kehle auf.

Julie wartete, bis Parker fertig war, dann holte sie tief Luft. »Hast du noch mal darüber nachgedacht, mit … mit einem Therapeuten zu reden?«

Parker zuckte zurück. »Fang nicht schon wieder damit an!«

»Hör doch mal zu, Parker.« Julies Augen flehten. »Deine Kopfschmerzen werden immer schlimmer und Stress ist Gift für dich. Und jetzt die Sache mit Nolan … Ich mache mir einfach Sorgen um dich.«

»Kein Therapeut.« Parker verschränkte die Arme vor der Brust. Sie stellte sich vor, wie sie vor einem völlig Fremden ihre Seele entblößte, nur um sich anhören zu müssen: »Und was empfinden Sie dabei?« Als würde es ihn kümmern.

»Ich habe neulich mal mit jemandem geredet … über meine Mom.« Julie senkte den Blick.

Parker riss den Kopf hoch. »Was? Wann?«

»Letzte Woche. Ich wollte es eigentlich gleich erzählen, aber dann ist so viel passiert …« Sie verstummte.

Parker schaute ihrer besten Freundin in die Augen. Julie wirkte so hoffnungsvoll. Parker wusste, dass es nicht leicht für Julie war, damit zu leben, wie anders Parker seit ihrem Unfall war. Julie war das Einzige, was ihr geblieben war. Sie wollte sie nicht hängen lassen.

»Von mir aus«, murmelte sie. »Aber reg dich nicht auf, wenn ich nach zehn Minuten die Flucht ergreife.«

»Abgemacht.« Julie entspannte sich sichtlich und lächelte Parker aufrichtig dankbar an. »Aber das wirst du nicht. Ich glaube, das könnte dir wirklich helfen.«

Parker war bereits aufgestanden und ging in Richtung Tür. Plötzlich brauchte sie unbedingt eine Zigarette.

Sie eilte über den Parkplatz zu dem kleinen Wäldchen, das Nolan in der zehnten Klasse entdeckt und zu ihrem Rauchrevier gemacht hatte. Unter dem dichten Blätterdach roch es immer nach Regen und Harz und hier konnte Parker ganz sie selbst sein. Wütend, verrückt, gequält und kaputt. Es machte nichts aus. Niemand außer ihr kam hierher.

Sie suchte nach einer Zigarette und zündete sie eilig an. Als das Nikotin durch ihre Adern strömte, stieg eine weitere Erinnerung an Nolan in ihr auf. Als ihm auf seiner letzten Party langsam schummrig wurde, hatte er sie zum ersten Mal seit ihrem Unfall richtig angesehen. Und dann hatte er gesagt: Ich wusste schon immer, dass du ein irres Miststück bist.

Parker zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Nein, sagte sie sich. Sie würde nicht noch einmal in dieses Loch fallen. Sie würde die letzte Woche nicht noch einmal Revue passieren lassen. Sie würde nur noch nach vorne schauen und alles andere vergessen.

»Hallo.«

Sie schaute auf. Ihr Filmlehrer Mr Granger stand am Rand des Wäldchens. Granger war einer dieser coolen, gut aussehenden Junglehrer, die wussten, welche Musik gerade angesagt war; er ließ die Schüler im Unterricht SMS schreiben und erzählte gerne von seinem Auslandssemester in Paris, wo er Absinth getrunken und mit einer Burlesque-Tänzerin geknutscht hatte. Er hatte eine Fotografie-AG gegründet, um ganz altmodisch Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu entwickeln, und beinahe alle Schülerinnen der Schule hatten sich dafür angemeldet.

Parkers Haut prickelte vor Ärger. Er hätte diesen Ort nicht kennen dürfen. Und sie war auch noch aus anderen Gründen auf ihn wütend. Schließlich hatte er ihnen diesen verdammten Film gezeigt. Er hatte sie danach in Gruppen eingeteilt und über die Frage diskutieren lassen: Ist Mord gerechtfertigt, wenn das Opfer den Tod wirklich verdient hat?

Granger kam näher und nahm eine Packung Zigaretten aus der Hosentasche, was sie überraschte. »Ich hätte dich nicht für eine Raucherin gehalten«, sagte er leise und zündete sich eine an.

Parker nahm einen Zug. Machte er Witze? Sie sah hundertpro wie eine Raucherin aus.

»Ich muss los«, sagte sie mürrisch, warf ihre Kippe ins Gras und trat sie mit dem Absatz aus. Für heute hatte er ihr das Wäldchen verleidet. Und als sie zur Schule zurückging, spürte sie, dass bereits die nächste Migräne im Anmarsch war.

Vielleicht wäre es doch ganz hilfreich, zu einem Therapeuten zu gehen, dachte sie plötzlich. Vielleicht konnte er ihr dabei helfen, all diese Erinnerungen abzukapseln. Vielleicht konnte er sie so lange hypnotisieren, bis sie gar keine Gefühle mehr hatte. Vielleicht konnte er sie heilen.

Vielleicht hatte das, was sie Nolan angetan hatte, aber auch ein für alle Mal bewiesen, dass sie irreparabel beschädigt war.

Kapitel 2

Caitlin Martell-Lewis verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Sie stand auf dem Fußballplatz von Beacon Heights, dessen gepflegte Rasenfläche unter den flauschigen grauen Nachmittagswolken, die tief am Himmel hingen, smaragdgrün leuchtete. Es fühlte sich an, als sei die sanfte Wärme des Herbstes über Nacht aus der Luft gesaugt worden, und die feuchte Kühle ließ sie in ihren Sporthosen frösteln. Caitlin atmete den Duft von frisch gemähtem Gras und bevorstehendem Regen ein. Fußballgerüche.

»Okay – wir müssen mehr in die Offensive gehen.« Caitlin rieb sich die Hände, ihre Mannschaftskolleginnen hörten aufmerksam zu.

»Megan und Gina, ihr zwei seid im Mittelfeld. Shannon, Sujatha, Katie und Dora, ihr übernehmt die Verteidigung. Ihr müsst heute besonders gut aufpassen. Wir anderen sind im Sturm.«

»Wir machen die Jungs fertig«, sagte Katie O’Malley mit einem grimmigen Blick auf das gegnerische Team: die männliche Auswahlmannschaft der Schule. Heute fand das jährliche Schulderby statt.

Der Trainer der Jungenmannschaft, Coach Marcus, und Coach Leah – Trainerin der Mädchenmannschaft und zufällig seine Frau – gingen in ihren identischen bordeauxrot-weißen Trainingsjacken an der Seitenlinie auf und ab. Caitlin warf einen kurzen Blick auf Coach Leah und wendete sich dann wieder ihrer Mannschaft zu. »Walküre, du weißt, was du zu tun hast, richtig? Lass die Mistkerle kein Tor schießen.«

»Alles klar«, sagte Vanessa Larson. Die Walküre war nicht nur beinahe eins neunzig groß und mit ihrem langen roten Haar und ihren hervortretenden Wangenknochen eine außergewöhnliche Schönheit, sondern auch Caitlins beste Freundin in der Mannschaft.

Ursula Winters, die normalerweise im Mittelfeld spielte, aber während Caitlins Verletzungspause deren Stürmerposition übernommen hatte, schaute Caitlin mürrisch an. »Bist du sicher, dass dein Knöchel das mitmacht? Es wäre ein Fehler, zu früh wieder einzusteigen und die Heilung zu gefährden.«

»Mir geht’s gut«, sagte Caitlin stirnrunzelnd. Natürlich wollte Ursula nicht, dass Caitlin spielte – sie wollte ihren Platz einnehmen. Aber Caitlin war wieder fit … zumindest beinahe. Sie hatte sich den Knöchel böse verstaucht, aber mithilfe von Physiotherapie und einer gelegentlichen Dosis Oxycodon – derselben Droge, die Nolan angeblich umgebracht hatte – hatte sie es geschafft, jetzt, nur drei Wochen später, wieder auf dem Platz zu stehen. Sie musste der Trainerin beweisen, dass sie für das große Ausscheidungsspiel in zwei Wochen bereit war. Wenn sie das gewänne, wäre das ihr Ticket für das Sportstipendium an der University of Washington, und auf dieses Ziel arbeitete sie schon ihr ganzes Leben lang hin.

ENDE DER LESEPROBE