The silent truth - Lilly Glase - E-Book

The silent truth E-Book

Lilly Glase

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Beschreibung

Aven Cavelle ist in einer armen, zerbrochenen Familie aufgewachsen, in der sie früh die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister übernehmen musste. Ihre Vergangenheit und die unausgesprochenen Wahrheiten haben ihren Charakter tief geprägt - so tief, dass es kaum jemand schafft, sie wirklich zu durchschauen. John O'Brian ist womöglich der Einzige, der dies hinbekommen könnte. Die beiden begegnen sich täglich auf denselben Gängen der Schule, doch ihre Welten könnten kaum unterschiedlicher sein: Er lebt im Wohlstand und hat ein gutes Familienverhältnis - etwas, das Aven fremd ist. Trotz eines außergewöhnlichen Aufeinandertreffens, fühlt sich John sofort von ihr angezogen und möchte die Geheimnisse hinter ihrer verschlossenen Art ergründen - während Aven alles daran setzt, genau das zu verhindern.

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Seitenzahl: 366

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Liebe Leserschaft, in diesem Buch gibt es potentielle Inhalte, die bei einigen Lesern unangenehme Gefühle hervorrufen können. Aus diesem Grund findet sich auf der letzten Seite eine Inhaltswarnung. Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Für alle, die denken, ihre Vergangenheit sei zu dunkel, um geliebt zu werden.

Hurt people hurt people.

Scann mich, um zur Playlist zu gelangen:

Playlist

IRIS – THE GOO GOO DOLLS

THE ONLY EXCEPTION – PARAMORE

YOU FOUND ME – THE FRAY

CALL YOUR MOM – NOAH KAHAN

I LOVE YOU, I’M SORRY – GRACIE ABRAMS

FADE INTO YOU – MAZZY STAR

PEOPLE WATCHING – CONAN GRAY

FORWARDS BACKON REBOUND – ADRIANNE LENKER

SIPPY CUP – MELANIE MARTINEZ

EVERY BREATH YOU TAKE – THE POLICE

BEST – GRACIE ABRAMS

BACK TO FRIENDS – SOMBR

BRUTAL – OLIVIA RODRIGO

WE HUG NOW – SYDNEY ROSE

CAMDEN – GRACIE ABRAMS

THE CUT THAT ALWAYS BLEEDS– CONAN GRAY

DO I EVER CROSS YOUR MIND – SOMBR

SOFTCORE – THE NEIGHBOURHOOD

SPRING INTO SUMMER – LIZZY MCALPINE

LET DOWN - RADIOHEAD

Inhaltsverzeichnis

Prolog

1 John

2 Aven

3 John

4 Aven

5 John

6 Aven

8 Aven

9 John

10 Aven

11 John

12 Aven

13 John

14 Aven

15 John

16 Aven

17 John

18 Aven

19 Aven

20 John

21 Aven

22 John

23 Aven

24 John

25 Aven

26 John

27 Aven

28 John

29 Aven

30 John

31 Aven

32 John

33 Aven

34 Aven

35 John

36 Aven

37 John

38 Aven

39 John

40 Aven

41 John

42 Aven

43 John

44 Aven

45 John

46 Aven

47 John

48 Aven

49 John

50 Aven

51 John

52 Aven

53 John

54 Aven

55 John

56 Aven

57 John

58 Aven

59 John

60 Aven

61 Aven

62 John

63 Aven

64 John

65 John

66 Aven

67 John

68 Aven

69 John

70 Aven

71 John

72 Aven

73 John

74 Aven

75 John

76 Aven

77 John

78 Aven

79 John

80 Aven

81 John

82 Aven

Epilog

Prolog

Aven

Was it fate?

Meine Mutter hat mir stets beigebracht, ehrlich und die beste Version meiner selbst zu sein, und was tue ich?

Stehlen.

Unwohl blicke ich auf den Rucksack, welcher unter dem Tisch in der Cafeteria steht.

Ich könnte das Geld nehmen.

Ich muss es tun.

Aven!

Hastig sehe ich im Raum umher und vergewissere mich, dass mir keiner zuschaut. Niemand. Unauffällig lasse ich meinen Haustürschlüssel fallen und bücke mich schnell.

Ein Griff.

Nimm das Geld!

Schuldbewusst kneife ich die Augen zusammen, fasse in die Seitentasche des Rucksacks und hole den Geldbeutel hinaus. Zuvor habe ich gesehen, wie der Typ, dem der Ranzen gehört, ihn dort hineingelegt hat. Ich kenne ihn zwar nicht wirklich, doch ich habe ihn schon ein paarmal bemerkt. Er besitzt einen Porsche – wenn ihm ein bisschen Geld fehlt, wird ihm das sicher nicht auffallen. Und ihm wird es nicht so viel ausmachen…

Unauffällig öffne ich den Geldbeutel, nehme nur so viel, wie ich brauche, und verstaue ihn wieder in dem Rucksack.

Du bist eine Diebin!

Du bist genau wie dein Vater!

Hektisch stehe ich auf, schiebe den zwanzig Dollar Schein in meine Hosentasche – es war der kleinste Geldschein, den ich finden konnte – und wende mich zum Gehen.

Das ist falsch!

Leg das Geld wieder zurück!

Du darfst das nicht tun – aber du musst.

Mein Körper versteinert, als ich auf einmal eine Berührung am Oberarm feststelle. Tu etwas!

»Entschuldigung?«

Scheiße. Langsam drehe ich mich zu dem Typ, welcher hinter mir steht. Mein Blick ist gesenkt – ich bin zu schamerfüllt, um ihm in die Augen zu sehen.

»Hi«, bringe ich mit leiser Stimme hervor. Hi? Wieso sage ich Hi?

»Hi«, entgegnet er.

»Hi«, wiederhole ich. Aven, was ist mit dir los?!

»Wieso warst du an meinem Rucksack?«, fragt er ganz ruhig.

Ein erstaunter Ausdruck entfaltet sich auf meinem Gesicht, denn ich würde womöglich nicht so reagieren, hätte ich mitbekommen, wie mich jemand bestiehlt.

»Ich …« Langsam gleite ich meine Hand in die hintere Hosentasche und hole seine zwanzig Dollar hervor. »Es tut mir leid.« Schuldbewusst sehe ich auf das Geld.

»Zwanzig Dollar?«, gibt er verblüffend von sich.

»Es tut mir so unfassbar leid. Wirklich, so sehr leid. Ich verspreche dir, ich tue es nie wieder«, flüstere ich verzweifelt.

Es tut mir leid – das ist die Wahrheit.

»I-ich –«

»Wieso nur zwanzig Dollar?«

»Wie bitte?«, frage ich verdutzt und runzle meine Stirn.

»Du hättest mein ganzes Geld nehmen können, wieso hast du nur zwanzig Dollar genommen?«

»Also ... i-ich …«, stammle ich benommen. »Hör zu, ich weiß, das ist keine Entschuldigung, aber ich … Ich brauche das Geld …«

Verständnis erblicke ich in seinen Augen.

Er ist nicht wütend auf mich – nein.

»Behalte das Geld.«

»Was?«, gebe ich verdutzt von mir.

»Ich kann dir auch noch mehr geben«, bietet er augenblicklich an und blickt mit großen Augen zu mir.

»Du … ich brauch nicht mehr«, kommt es in Sekundenschnelle von mir.

»Für was brauchst du das Geld?«

»Für … für jemanden«, stammle ich leise.

»Du willst mir nicht einmal sagen für wen? Ist in Ordnung.«

»Wirklich?« Ungläubig ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe.

»Wie ist dein Name?«, möchte er wissen. Er wirkt aufrichtig interessiert. Vertraue darauf, dass er nichts Böses will.

»Aven.«

»Aven«, wiederholt er. »Schöner Name.«

»Wie heißt du?«, fasse ich mich schließlich und setze ein Lächeln auf.

»Joe«

»Joe? Einfach nur Joe?«, hake ich nach und neige meinen Kopf zur Seite, während ich ihn betrachte.

»Nun ja, eigentlich John aber so nennt mich niemand.«

Grinsend blicke ich zu ihm »Okay, John.«

Ein Schmunzeln breitet sich auf seinen Lippen aus. Für wenige Momente sieht er lediglich zu mir, bevor er sich auf einen Stuhl neben mich setzt »Wofür brauchst du das Geld, Aven?«, gibt John ernst von sich.

Unwohl tippe ich mit meinem Fuß auf den Boden. Es gefällt mir überhaupt nicht, in welche Richtung das hier geht … »Wie gesagt, ich brauche es für jemanden.«

Er zieht seine Augenbraue in die Höhe und sieht mich verurteilend an.

»Okay, ich möchte damit etwas zum Essen kaufen«, gebe ich schließlich von mir und das ist nichts mehr als die pure Wahrheit.

»Für dich?«

»Für jemanden.« Er sollte nicht wissen, dass es für meine Babygeschwister gedacht ist. Meine Mam hat mir stets beigebracht, private Angelegenheiten für mich zu behalten und niemandem etwas zu erzählen. Denn sobald andere davon wissen, bist du nicht mehr alleinig dafür verantwortlich, was mit dieser Information geschieht.

»Mehr erfahre ich wohl nicht, oder?«

Ich nicke knapp.

»Hier, nimm mein Essen«, sagt er auf einmal und schiebt sein Esstablett in meine Richtung.

Schnell schüttle ich den Kopf. »Ich … nein danke, ich habe keinen Hunger.«

John zieht die Augenbrauen zusammen, als mein Magen ein Knurren von sich gibt. Scheiße!

»Iss.«

»Ist schon gut.« Wieso tue ich das? Ich habe Hunger, so sehr, dass mein Magen schmerzt. Wieso kann ich es nicht einfach annehmen?

»Iss das, oder ich nehme die zwanzig Dollar wieder zurück«, fordert er knapp. In diesem Augenblick empfinde ich so viel Dankbarkeit für ihn – ich kann es nicht einmal richtig in Worte fassen. Denn ich brauche dieses Geld. Schweigend setzte ich mich an den Tisch und beginne zu essen. Es tut gut – so gut. Eilig nehme ich gleich einen zweiten Bissen.

»Ist das öfters so, Aven?«

»Hm?«

»Dass du kein Geld für Essen hast.«

»Nein.« Momentan ist es einfach nur sehr hart für uns…

»Lügst du gerade?«

»Nein.«

»Ich glaube dir.« Er lehnt sich lässig auf dem Stuhl zurück und verschränkt seine Arme hinter seinem Kopf. »Also, was bekomme ich für das Geld?«

Vertraue niemandem.

Vertraue niemandem.

Vertraue niemandem.

Kaum unterhalte ich mich mit dem Jungen, schon zeigt er mir, weshalb ich ihm nie vertrauen sollte.

»Was?«

»Einen Kuss?«, bringt er grinsend hervor.

»Du möchtest einen Kuss?«

Er nickt.

»Einen Kuss, nichts weiter?«, frage ich skeptisch und drehe meinen Kopf zur Seite.

»Ja, ich möchte nur deinen hübschen Mund auf meinem spüren und dann will ich, dass du dich in mich verliebst.«

Lachend blicke ich zu ihm und ziehe meine Augenbrauen nach oben. »Du bist wirklich sehr von dir selbst überzeugt, nicht wahr?«

Grinsend nickt John. »Also?«, hakt er nach.

»Nur ein Kuss? Ich glaube dir nicht«, entgegne ich schnell und platziere das Geld in seine Hand. »Ich werde keinen Sex mit dir haben. Nimm dein Geld zurück.«

»Kein Sex, nur ein Kuss«, versichert er mir lachend.

Lügner! »Ich kenne dich nicht, ich vertraue dir nicht.«

Mein ganzes Leben lang habe ich vertraut und wo hat mich das hingeführt? Ich würde gerne vertrauen können, doch wie soll mir das gelingen?

»Du kannst dir sicher sein, denn wir haben hier nicht einmal Gelegenheit zum Sex«, gibt er schmunzelnd von sich und sieht in der Cafeteria umher.

Prompt ändert sich mein Ausdruck zu einem verdutzten Stirnrunzeln. »Was? Willst du, dass ich dich vor der ganzen Schule küsse?«

»Warum nicht?«, entgegnet er lässig.

»Warum nicht?! Es gibt zu viele Gründe.«

»Es gibt auch viele Gründe, die dafürsprechen.«

»Die wären?«

»Ich habe einen Porsche«, sagt er belustigt.

Nun kann ich mir mein Lachen nicht länger verkneifen. Ich sitze breitgrinsend vor ihm und halte meine Hand über den Mund, damit ich nicht komplett loslache. »Du hast überhaupt keine Ahnung, wie egal mir das ist.«

Schmunzelnd rückt er ein Stück zu mir und neigt seinen Kopf. »Ja, mir ist das eigentlich auch egal.«

Ha, bestimmt. »Ich glaube dir nicht.«

»Aber es ist mir ehrlich egal.«

»Wirklich? Du würdest zum Beispiel sofort auf dein Auto verzichten und stattdessen ... hm, mit dem Bus fahren?«

»Sicher«, bringt er überzeugt hervor.

»Glaube ich dir nicht«, entgegne ich schnippisch.

»Willst du wetten?«

»Ah ja, aber sowas von.« Grinsend gehe ich mir durch meine blonden Locken und sehe zuversichtlich zu dem Typen, der vor mir sitzt. Breitbeinig hat er es sich auf dem Stuhl gemütlich gemacht – Idiot. Nenn ihn nicht Idiot, du wolltest von ihm klauen, du bist hier die Idiotin!

»Um was genau wetten wir?«, fragt er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen.

»Du musst einen Monat mit dem Bus fahren, überall hin – nicht nur in die Schule – überall.«

»Leichter geht es nicht«, sagt er überzeugt.

»Glaub ich wohl kaum.« Menschen wie er haben nichts mehr als ihr Geld. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob John überhaupt schonmal mit dem Bus gefahren ist.

»Wenn ich es schaffe, dann bekomme ich meinen versprochenen Kuss.« Schmunzelnd blickt er auf meine Lippe.

»Versprochen? Große Worte, dafür, dass wir uns erst seit ein paar Minuten kennen«, antworte ich lachend und wickle eine blonde Haarsträhne um meinen Finger.

»Haben wir einen Deal?«, hinterfragt John und hebt seine Hand.

Wieso lässt du dich auf so etwas überhaupt ein, Aven?

Zieh deinen Nutzen!

Mache es dir zum Vorteil!

»Was bekomme ich, wenn du es nicht durchziehst?«

Schulterzuckend sieht er zu mir »Hm, weiß nicht, suche dir etwas aus.«

Für ein paar Momente überlege ich. »Wenn du es nicht schaffst, musst du einen Monat für mich Taxi spielen.«

John denkt nicht einmal darüber nach, geht sich durch die dunklen Haare und nickt. »In Ordnung.«

»Deal?«

»Deal.«

Ich nehme seine Hand in meine und sehe ihm dabei tief in die Augen – sie sind wunderschön, bemerke ich. Johns Augen sind in dem beeindruckendsten Braunton, welchen ich je gesehen habe. So dunkel, dass sie gar mit der Pupille verschmelzen und eins werden. Wenn ich sie genauer betrachte, erkenne ich sogar ein paar gelbe Sprenkel links unterhalb der Iris. Seine Augen sind ohne Ausnahme die schönsten, welche ich je gesehen habe.

»So, bekomme ich deine Nummer? Immerhin muss ich dir auf irgendeine Weise beweisen, dass ich den Deal einhalte.«

»Ich habe kein Handy«, antworte ich knapp.

»Du hast kein Handy?«

»Nope.« Ich musste es verkaufen.

Schulterzuckend sieht er mich an und schweigt für ein paar Augenblicke, bis er schließlich seinen Mund öffnet. »Dann musst du mir wohl doch vertrauen.« Ein Grinsen umspielt seine Lippen – er findet das witzig!

»Bestimmt nicht.«

Ein dumpfer Ton gelangt aus seiner Kehle – ich schätze, dass das ein Lachen ist.

»Du könntest Fotos machen, immer, wenn du im Bus bist und mir diese in der Schule zeigen«, schlage ich vor.

»Dann sind wir jetzt also Freunde?«

Sicherlich nicht. »Wenn du es bevorzugst, das so zu nennen.«

»Einverstanden.«

1

John

If only you could realize that we belong together

14 Monate später.

Aven Cavelle ist in jeder Hinsicht perfekt.

Ich sehe sie an und möchte nie mehr damit aufhören.

Ihre blonden Locken – engelsgleich.

Seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass sie etwas an sich hat, das mich verrückt macht. Wenn ich in ihrer Nähe bin, habe ich das Gefühl, verlernt zu haben, wie man atmet.

Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wieso, doch ich weiß eines ganz bestimmt – Aven ist das einzige Mädchen, das mich interessiert. Ich habe es mit anderen versucht, aber nach über einem Jahr habe ich immer noch keine gefunden, welche an dieses Mädchen drankommt.

Die Wette habe ich gewonnen und wir haben uns geküsst.

Ich habe den Kuss nie vergessen – sie schon.

Aven ist die Art von Mädchen, welche einen nicht an sich ranlässt – egal wie oft man es versucht. Sie ist ein geschlossenes Buch – doch genau das ist der Grund, weshalb ich sie haben möchte.

»Was geht Johnnyboy?«, ruft Aven lächelnd über den Gang und hebt freudig ihre Hand.

»Hey, Cavelle«, entgegne ich grinsend, woraufhin ich genau beobachten kann, wie sie ihre Augen verdreht.

»Hast du meine Nerds?«, fragt sie schmunzelnd und presst ihre Lippen aufeinander. Nach ein paar Schritten ist sie bei mir angelangt und streckt ihre Hand in meine Richtung aus.

Ihre blonden Locken trägt sie heute in einem Dutt – ich liebe es, wenn sie das macht. Mit dem langen, roten Oberteil sieht sie wunderschön aus – ich würde behaupten, dass das ihre Farbe ist. Es steht ihr perfekt, wobei ich persönlich alle Farben an ihr liebe – besonders aber Rot, Gelb und Blau. Gott, ich vergöttere ihr marinefarbenes Oberteil und wenn ich es mir ein wenig durch den Kopf gehen lasse, fällt mir auf, dass sie es schon länger nicht mehr getragen hat – es ist mal wieder an der Zeit.

»Du kommst nur zu mir, um Nerds zu bekommen?«, gebe ich belustigt von mir und neige meinen Kopf zur Seite.

Braune Augen sehen erwartungsvoll in meine. Unschuldig zuckt sie mit den Schultern und auf ihren Lippen zeichnet sich ein kleines Lächeln ab. »Wenn du das so sagst, hört es sich ja komplett selbstsüchtig an.« Aven schweigt für ein paar Momente. »Aber ja, eigentlich hast du recht.«

Ich grinse bei ihren Worten ein bisschen mehr. Sie liebt Nerds, daher habe ich auch immer welche da. Aven denkt, ich hätte sie, weil ich sie selbst so gerne mag, doch das stimmt nicht. Im Grunde sind sie überzuckert, schmecken künstlich und es gibt viel bessere Süßigkeiten, allerdings mag sie diese nun einmal.

»Also?«

»Komm«, erwidere ich und laufe zu meinem Spind hinüber.

»Hast du heute extra das rote Oberteil angezogen, weil du weißt, wie sehr ich es an dir liebe?«

Aven zieht scharf die Luft ein, lächelt dennoch breit. »Du bildest dir viel zu viel ein, Idiot.« Sie seufzt. »Natürlich nicht. Ich habe das an, weil ich es an mir liebe.« Provokant stemmt sie ihre Arme in die Seite und ihre Augen wandern ungeduldig zu meinem Spind. »Gib mir die Nerds und ich vergesse deinen dummen Kommentar.«

Lachend öffne ich die Tür, hole die Süßigkeit heraus und platziere sie in ihrer Hand. »Hier.«

»Danke, John«, antwortet sie freudig. »Du bist der Beste.«

»Joe, komm jetzt!«, schreit Endri laut durch den Korridor und blickt mahnend zu mir. »Ich warte nicht noch länger. Beweg deinen Arsch hierher.«

»Sieht so aus, als müsstest du gehen«, kichert Aven.

»Nicht, wenn du nicht willst«, bringe ich grinsend hervor.

Sarkastisch verdreht sie die Augen und schaut theatralisch zu mir. »Oh, John. Ja, bleib. Ich kann ohne dich nicht.« Gespielt fasst sie sich ans Herz und bleibt in dieser Position für wenige Augenblicke. »Jetzt geh schon. Danke für die Nerds«, verabschiedet sie sich ernst und dreht sich ohne einen weiteren Kommentar um.

Dieses Mädchen …

»Ich verstehe immer noch nicht, wieso du so besessen von ihr bist. Sie zeigt dir deutlich, dass sie dich nicht will. Du könntest jede haben«, kommt es verständnislos von meinem Freund, nachdem ich den Gang übertreten habe und zu ihm gelaufen bin.

Aber ich will nur sie – und ich hoffe, sie will eines Tages auch mich.

»Können wir bitte nicht schon wieder darüber reden?« Ich kremple die Ärmel meines Pullovers hoch und sehe desinteressiert zu Endri.

»Ich meine ja nur.«

2

Aven

Always trying to do everything right but it’s never enough

»Lizzy!«, schreie ich aus vollem Halse und blicke sie mahnend an. »Komm endlich her, wir müssen jetzt los.« Erschöpft lasse ich den Kopf in meine Hände fallen und schließe verzweifelt die Augen – es ist jedes Mal dasselbe, wenn wir zum Arzt gehen.

»Erst wenn du mich fängst«, kreischt sie kichernd und springt im Haus umher.

»Ich sage es nicht nochmal! Zieh. Dich. Jetzt. An«, entgegne ich streng und hoffe inständig, dass sie mir diesmal zuhört. Schnell schließe ich Deannys Reißverschluss, hole Theos Mütze aus dem Regal und ziehe mir schließlich selbst eine Jacke an. »Elizabeth Cavelle, komm jetzt!«

Sie kommt nicht. Stattdessen steht sie grinsend in der Wohnzimmertür und streckt mir die Zunge raus. »Ich komme erst, wenn du mich fängst!«

Gott bewahre mich – dieses Kind raubt mir meine letzten Nerven. Deanny sieht mit seinen großen, blauen Kulleraugen erwartungsvoll zu mir und es kommt fast so rüber, als wolle er etwas sagen, doch da übernehme ich schon das Reden. »Wir können gleich gehen«, gebe ich zärtlich von mir und streiche ihm über den Kopf.

»Lizzy!«, schreie ich erneut ihren Namen.

»Hol mich doch!«

Seufzend laufe ich in ihre Richtung und beginne vergebens damit, sie versuchen zu fangen. Dieses Mädchen ist schneller weg, als dass ich nach ihr greifen kann.

»Ha-ha«, bringt sie lachend hervor und springt auf dem Sofa umher. »Du kriegst mich nicht.«

Schnell bewege ich meinen Körper zu Lizzy und ergreife ihren Arm.

»Aven!«, kreischt sie und versucht, sich loszureißen. »Ich will nicht gehen.«

»Du kommst jetzt mit!«, entgegne ich mit ernster Stimme und versuche, meine Arme um ihren kleinen Körper zu schlingen. In diesem Augenblick strampelt sie mit ihren Beinen, dreht sich auf der Stelle und wirft mit ihren Füßen die Vase, welche auf dem Regal steht, um. Klirrend geht sie auf dem Fußboden zu Bruch.

»Lizzy!«, schreie ich laut und sehe geschockt zu den Scherben. »Siehst du, was du angerichtet hast? Komm jetzt, verhalte dich wie ein großes Mädchen.«

Die Augen meiner kleinen Schwester werden auf einmal ganz glasig und kaum, dass ich mich versehe, perlt die erste Träne von ihrer Wange.

»Lizzy ...« Ich senke meine Stimme und blicke bedrückt zu ihr. »Ich verstehe, dass du ungern zum Arzt gehst, aber das muss nun einmal sein.«

Schniefend nickt sie und erst jetzt lasse ich ihren Körper los.

»Ich kehre kurz die Scherben zusammen. Du bleibst, wo du bist, verstanden?« Ich drehe mich und sehe zu meinen Brüdern, welche mit großen Augen im Gang auf mich warten. »Ihr bleibt auch da, okay? Nicht, dass sich jetzt auch noch jemand schneidet.«

»Okay, Aven«, antwortet Theo leise und lässt sich auf den Stuhl neben seinem Bruder fallen. Ich schenke ihnen ein kleines Lächeln, bevor ich in der Abstellkammer nach einem Kehrbesen suche und die Scherben entferne.

»Sind sie im Bett?«, ist das Erste, was Paul von mir wissen möchte, nachdem er mich begrüßt hat. Wir unterhalten uns nicht sonderlich viel, außer, es geht um meine Geschwister. Mehr würde ich nicht ertragen, denn schätzungsweise, würde ich dann durchdrehen.

»Ja«, antworte ich knapp und senke meinen Kopf.

»War beim Arzt alles in Ordnung?«

Ich nicke.

»Ist bei dir alles in Ordnung?«

Aven, bleib ruhig.

Er ist deine Wut nicht wert.

»Wieso auch nicht?«, bringe ich schließlich mit einem gezwungenen Lächeln über meine Lippen. Er weiß ganz genau, dass bei mir nichts in Ordnung ist. Nie ist es das und er ist der Grund dafür.

»Ich wollte damit nur sagen ... du musst dir heute keine Sorgen machen.«

Bastard.

Verlogener Bastard.

Ich glaube, ich muss mich gleich übergeben.

»War's das dann, Paul? Ich bin müde und möchte schlafen«, entgegne ich fordernd und verdrehe genervt meine Augen.

Wut – so viel Wut steckt in mir.

Es vergeht kein Tag, an dem dies nicht der Fall ist und ich weiß nicht, wie lange ich so noch leben kann.

»Natürlich, Liebes. Schlaf ruhig.«

Liebes – ich spüre schon, wie es mir den Rachen hochkriecht. »Nenn mich nicht so. Tu mir das nicht auch an«, zische ich und trete einen Schritt zurück, als Paul liebevoll seine Hand auf meine Schulter legen möchte.

Nein – daran ist nichts liebevoll.

»Aven, ich verstehe, dass ich nicht dein Vater bin, aber du musst mich akzeptieren. Ich bin der Vater deiner Brüder und wenn du mich lassen würdest, dann wäre ich auch deiner.«

Zu viel.

Definitiv zu viel.

»Spar dir deine beschissenen Reden für morgen Abend«, entgegne ich harsch und bemerke, wie meine Hände zu zittern beginnen. Ich dachte, dass ich es mittlerweile ganz gut unter Kontrolle habe, aber dem scheint es nicht so. Ich muss nur in seiner Nähe sein und schon kann ich es nicht ertragen. Allein seine Präsenz lässt das Gefühl in mir hervorrufen, meine eigene Haut vom Körper reißen zu wollen – es fühlt sich an, als würde mein Inneres sich gegen ihn wehren.

»Aven, so redest du nicht mit mir!«, entgegnet Paul verärgert und packt harsch meine Schulter.

Ich versteinere bei seiner Berührung.

Aven, alles gut.

Er sagt, ich sollte mir heute keine Sorgen machen – dann sollte ich das auch verdammt nochmal tun.

»Entschuldigung Paul, habe ich etwa deine Gefühle verletzt?«, will ich schreien, jedoch bekomme ich mich gerade so dazu, den Satz in einer einigermaßen ruhigen Tonlage hervorzubringen. Ich möchte nicht, dass die Kleinen aufwachen.

»Aven!«

»Ich tue das alles nur für sie, also denk nicht, dass ich irgendetwas für dich machen würde und irgendwann, da bekommst du alles zurück – hörst du?«

Er schweigt und die Stille fühlt sich erschreckend gut an – als könnte ich für kurze Zeit durchatmen.

Nun ist wieder einmal der Moment gekommen, in dem er vernünftig ist und alles bereut, was er tut – wieso kann er diese Einsicht nicht haben, wenn er die Dinge macht?

»Es tut mir leid, Aven, das musst du mir glauben. Ich weiß, es ist schwer für dich, aber ich kann dir trotzdem immer noch ein Vater sein.«

Schwer?

Schwer!?

»Lieber sterbe ich«, spucke ich die Worte.

Ich bereue nicht, was ich gesagt habe – ich bereue eher, dass ich es gesagt habe. Die Angst packt mich, jedoch sieht er nur mitfühlend zu mir. »Irgendwann wirst du mir verzeihen können.«

Verzeihen werde ich ihm niemals.

»Sei einfach leise«, entgegne ich kühl und verschwinde nach diesen Worten aus dem Wohnzimmer. Ich kann es nicht ertragen – nein. Wie schaffe ich es nur Tag für Tag, diesem Mann in die Augen zu sehen, ohne direkt loszuschreien?

Leise schließe ich die Tür hinter mir und lasse mich auf den Boden sacken.

Ich kann nicht mehr.

Ich will nicht mehr.

Tu es für sie, schreit die Stimme in meinem Kopf.

Ich bin wie betäubt.

Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder geschieht ...

3

John

My biggest weakness

Habt ihr euch schon einmal Gedanken darüber gemacht, was eure größte Schwäche ist? Was ist das eine, bei dem ihr ständig einknickt.

Jedes.

Mal.

Aufs.

Neue.

Bei mir ist es Aven.

Es ist seltsam, denn ich kenne sie kaum – obwohl wir seit fast über einem Jahr Zeit miteinander verbringen. Nun ja, das ist wahrscheinlich ein bisschen übertrieben, aber wir sehen uns meist täglich in der Schule und reden. Einmal habe ich sie am Wochenende in der Stadt getroffen – ich hätte gerne etwas mit ihr unternommen, wenigstens geredet, aber sie ist sofort wieder verschwunden.

Bin ich der Idiot, dass ich ihr dennoch wie ein kleines Hündchen hinterherlaufe? Mag sein. Manchmal habe ich das Gefühl, ich spreche mit einem Geist. In einem Moment haben wir ein so unfassbar tiefgründiges Gespräch, doch dann wird mir bewusst, dass ich ausschließlich derjenige bin, welcher etwas von sich preisgibt. Dann kommt mir wieder in den Sinn, wie wenig ich sie eigentlich kenne.

In der Tat weiß ich nichts mehr über sie außer ihren Namen, in welche Stufe sie geht, was ihre Lieblingsfarben sind (Wobei sie mir das nicht einmal gesagt hat, aber aus dem Grund, dass sie diese Farben sehr häufig trägt, habe ich geschlussfolgert, dass sie diese sehr mögen muss), wie alt sie ist und dass ihre Lieblingssüßigkeit Nerds sind – mehr nicht.

Jedes Mal, wenn ich versuche, sie zu lesen, geht es schief.

Selbst wenn sie mir ein paar Seiten oder gar Zeilen offenbart, kann ich sie einfach nicht entziffern.

Aven ist ein Mysterium.

Ich habe versucht, ein paar Informationen über sie herauszufinden – nichts. Keine Person kann mir mehr über sie sagen, als ich bereits weiß, außer vielleicht ihre Freundinnen. Ich wollte sie mal fragen, doch dann kam Aven und hat mich verscheucht. Ich schätze, ihr gefällt es, so geheimnisvoll zu sein.

Aber nun nochmal zurück zu den Schwächen – ich bin hier und das nur, weil sie es so möchte. Scheiße, was mache ich überhaupt?

»Du siehst sexy aus«, kichert Aven und sieht mich grinsend an. Wir sind im Backstage Bereich einer Tribüne, in dem ich mir mein Kostüm anziehe. Avens Freundin hat eine Freiluftlokation für den Geburtstag ihrer kleinen Schwester gebucht und aus irgendwelchen unerklärlichen Gründen trete ich in ein paar Minuten auf, um die Kinder zu unterhalten.

»Ich sehe lächerlich aus«, entgegne ich beschämend und ziehe meine Augenbrauen nach oben. Ich trage ein rosa Prinzessinnenkleid. Es geht mir bis zu den Knöcheln, hat Puffärmel, Rüschen und ist mit Glitzerdetails versehrt.

»Ja, das tust du«, gibt sie schmunzelnd von sich und klopft mir auf die Schultern. »Aber das tust du auch ohne dieses Kostüm.«

Ha ha. »Wieso organisierst du das hier überhaupt?«, frage ich und kratze mich am Hinterkopf.

»Fiona kann sehr schlecht organisieren, also bin ich eingesprungen.«

Nickend drehe ich mich zum Spiegel und betrachte mein Kostüm für ein paar Minuten. »Weißt du, vielleicht habe ich mich doch umentsch–«

»Nein, John, du ziehst das jetzt durch«, entgegnet sie mit einer gewissen Strenge in der Stimme und dreht meinen Oberkörper zu sich. »Sieh dich an.« Sie nimmt mein Gesicht zwischen ihre Hände und drückt meine Backen zusammen. »Du siehst so süß aus.«

Augenverdrehend wende ich mich von ihr ab und blicke erneut in den Spiegel. Wie konnte es nur so weit kommen? Nein, stopp, ich weiß es. Aven hat mich mit ihren rehbraunen Augen angeblickt, während sie mit ihrer blonden Haarsträhne gespielt und mich darum gebeten hat.

Ich habe ja gesagt – natürlich habe ich ja gesagt.

Meine Schwäche ist und bleibt nun einmal Aven.

»Und wieso genau hast du niemand anderen finden können?

Ich bin mir sicher, viele wären auf die Rolle scharf gewesen.«

»Ach komm, ich bin viel beschäftigt und da du so lieb warst und deiner aller liebsten Lieblingsperson helfen wolltest, musste ich mich nicht mehr damit befassen. Außerdem trägst du eine Perücke und nicht zu vergessen, deine Krone.« Sie hebt das silberne Diadem in die Höhe und schmunzelt. »Niemand wird erkennen, dass du es bist. Außerdem sind das sowieso nur kleine Kinder. Hast du Angst, dass sie dich dann nicht mehr cool finden?«, scherzt sie und lächelt breit.

»Oh Aven, ich will auf keinen Fall uncool vor den kleinen Kids wirken«, bringe ich sarkastisch hervor und fasse mir mit traurigem Gesichtsausdruck ans Herz.

»Du wirst es überleben. Musst schließlich nur ein bisschen zu einem Lied auf der Bühne tanzen. Tu das für mich, ja?«

Und das tue ich in der Tat nur für sie.

Ich möchte, dass sie das versteht.

Doch dann denke ich, dass sie das womöglich bereits tut. Auch wenn ich so wenig über sie weiß, kennt sie mich so unfassbar gut – wahrscheinlich ist das nicht so vorteilhaft.

»Es ist gleich so weit, Prinzessin. Vergiss deine Perücke nicht, sonst bekommen die Kinder noch einen Schock und ganz ehrlich, das möchte ich nicht verantworten.«

Ich verdrehe die Augen, atme einmal tief durch und setze schließlich die blonde Perücke auf. »Nur für dich, Aven.«

»Ich weiß, John. Ich weiß.«

»Du schuldest mir mindestens ein gemeinsames Essen«, gebe ich von mir und lasse mich auf die Sitzbank fallen, welche mitten im Backstagebereich steht.

Ungläubig tippt Aven mit ihrem Finger gegen die Stirn und setzt sich mit ein bisschen Abstand neben mich. »Gehts noch?«

»Geh mit mir aus, Aven.«

»John, du kennst meine Antwort darauf«, bringt sie seufzend hervor und schlingt ihre Arme um die Beine.

»Ja, aber ich verstehe es nicht.«

»Jo–«

»Du kannst mir keinen richtigen Grund nennen, wieso wir es nicht versuchen sollten«, unterstelle ich ihr.

»Das stimmt nicht.«

»Na gut, nenn mir einen.«

Ich sehe ihr dabei zu, wie sie eine ihrer Haarsträhnen um ihren Finger wickelt – sie ist nervös und das ist verdammt selten. »Du bist nicht mein Typ.«

»Ouch«, bringe ich lachend hervor und neige meinen Kopf zur Seite. »Bist du dir da sicher?« Ich rücke ein Stück näher und beuge mich zu ihr, bis mein Mund kurz vor ihrem Ohr ist. »Wieso bist du dann so nervös?«, flüstere ich.

Wie als hätte ich etwas Gemeines gesagt, springt sie vom Sofa auf und steht mit aufrechter Körperhaltung vor mir. »Ich bin überhaupt nicht nervös, du Idiot. Und trotz, dass ich dich attraktiv finde, heißt das nicht, dass ich auf ein Date mit dir gehen möchte!«

Ich grinse. »Du findest mich also doch attraktiv.«

Aven schweigt.

»Das finde ich auch, nur mal so.«

»Du findest dich attraktiv?«, kichert Aven.

»Ah scheiße, nein. Ich meinte, ich finde dich attraktiv, DICH.«

»Mhm.«

»Wobei, habe mich umentschieden. Ich bin immer noch am attraktivsten«, gebe ich grinsend von mir.

Lächelnd verdreht sie ihre Augen und sieht mich mit ihren süßen, bernsteinfarbenen Augen an. »Puh, also bist du doch so selbstverliebt, wie ich dachte.«

Ich grinse. »Mag sein, aber ich bin mehr in dich als in mich verliebt, das ist klar.«

Daraufhin schweigt sie.

»Hey, Aven?«

»Ja?«

»Ich sollte deine Mutter langsam mal kennenlernen, findest du nicht?«

Erschrocken sieht sie mir in die Augen und zuckt leicht zusammen – ganz schnell, aber ich bemerke es.

»Ich muss ihr dafür danken, dass sie so ein wunderschönes Kind auf die Welt gebracht hat«, schmunzle ich.

Avens Wangen färben sich augenblicklich rot. »Nun schleimst du aber sehr.«

Mag sein.

»Jetzt nenne mir einen richtigen Grund, weshalb du nicht mit mir ausgehen möchtest«, fordere ich grinsend und neige meinen Kopf zur Seite.

Ihre Miene ändert sich schlagartig. Ich warte auf eine Antwort, jedoch kommt diese nicht – Aven dreht sich um, läuft durch die Tür und verschwindet.

4

Aven

Walls built so high around me that I can no longer free myself

»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass ich das nicht kann«, gebe ich seufzend von mir und blicke angespannt zu meiner Freundin.

»Wieso, ich verstehe dich echt nicht?!«, antwortet Sylvie und sieht mich mit traurigen Augen an.

»Ich habe nie viel über mich gesprochen – das war für dich immer okay. Was hat sich geändert?«, offenbare ich die Fakten.

Sylvie senkt ihren Blick zu Boden und antwortet zunächst nicht. »Ich habe einfach das Gefühl, du willst mich nicht als Freundin haben – nicht wirklich.«

Kräftig schüttle ich den Kopf, doch da spricht sie schon weiter. »Freunde vertrauen und öffnen sich gegenseitig. Vertraust du mir nicht?«

Doch, möchte ich schreien.

Mehr als allen anderen auf dieser Welt.

Aber auch so sehr ich ihr vertraue, bringe ich nichts über die Lippen – es geht nicht und dafür hasse ich mich so sehr. Die Antwort bleibt mir im Hals stecken. Es ist nicht, dass ich sie nicht mag, ich kann mich einfach nicht öffnen. Meine Mutter war die einzige Person, welche mich und wirklich nur mich gekannt hat.

»Du weißt, ich schätze dich sehr als Freundin, aber ...« Sie schweigt für einen Augenblick. »Du bist in letzter Zeit wirklich keine gute Freundin gewesen.«

Da waren sie – die Worte vor denen ich mich so gefürchtet habe. »Syl–«

»Es tut mir leid, das zu sagen, aber als es mir schlecht ging, hätte ich dich wirklich gebraucht, aber du hattest nicht einmal Zeit, mir zuzuhören.«

Ich weiß, dass sie mich gebraucht hätte.

Ich weiß, dass ich eine gute Freundin hätte sein und ihr beistehen sollen.

Ich weiß das, jedoch konnte ich ihr nicht helfen.

Ich wollte es – ja.

Ich wollte zu ihr aber dann ...

»Ich will doch einfach nur die alte Aven zurück.«

»Es tut mir leid, dass ich so eine schlechte Freundin bin, aber du ...« Nervös tippe ich mit meinem Fuß auf den Boden und vermeide Blickkontakt. »Du wirst es akzeptieren müssen, oder wir können nicht mehr befreundet sein. Nicht, dass ich dich nicht mag, du weißt wie sehr ich unsere Freundschaft schätze, aber ich kann mich nicht ändern.«

Nun erkenne ich Tränen in Sylvies Augen.

Scheiße.

»Sylvie ...«, gebe ich von mir und streiche ihr blondes Haar nach hinten, damit ich sie ansehen kann. »Bitte weine nicht.«

Sie gibt ein Schluchzen von sich und neigt ihren Kopf zur Seite, damit ich meine Hände von ihrem Gesicht entferne. »Wieso? Weil dir das dann alles zu viel wird und du abhaust?«

Ouch. »Es tut mir leid«, entgegne ich ehrlich. »Es tut mir wirklich, wirklich leid.«

»Dann ändere dich!«

»Das kann ich nicht!«

Noch lange nach meinen Worten stehen wir uns schweigend gegenüber. Was ist nur falsch mit mir? Schon oft habe ich mir die Frage gestellt und vermutet, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt – etwas in mir kaputt ist. Als Kind fiel mir alles so leicht, jeder Gedankenaustausch, jedes Mal, als ich jemandem von meinen Sorgen erzählt habe, hat sich das so befreiend angefühlt. Nun ist es eine einzige Qual.

Ich weiß genau, wann das begonnen hat – ich war fünfzehn. Verschlossen und gefangen in einem Gefängnis meiner Zweifel, welches ich selbst erbaut habe, gemeinsam mit meinen dunkelsten Gedanken.

»Kannst du es nicht wenigstens versuchen?«, flüstert Sylvie leise und beißt sich verzweifelt auf die Unterlippe.

»Ich werde mich nicht ändern und das weißt du genauso gut wie ich. Du klammerst dich an dieser Hoffnung fest, mich ändern zu können, aber das wird nicht geschehen. Akzeptiere es oder nicht, Sylvie.«

Traurige, blaue Augen sehen in meine. »Und wenn ich das nicht kann?«

Keine Ahnung, was dann. In meinem Inneren entfacht sich ein mulmiges Empfinden. Sie wird gehen, so wie so viele, die mir wichtig sind, und ich schaffe es nicht, sie zu halten. Glaubt nicht, ich würde es nicht wollen, denn das tue ich. Aber ich bin zu sehr in meinem eigenen Schicksal gefangen – ich kann es nicht.

Entweder bin ich zu viel oder zu wenig.

Gebe zu viel oder zu wenig.

Tue zu viel oder zu wenig.

Aber niemals bin ich genug.

Ich weiß, dass ich das Problem bin, und das ist es, was mich am meisten bricht.

»Das weiß ich nicht«, hauche ich leise. Meine Mundwinkel hängen traurig nach unten, allerdings bemühe ich mich, meine Gefühle in Grenzen zu halten. Mama hat mir immer gesagt, ich sollte meinem Gegenüber nie die Möglichkeit geben, in mein großes Herz hineinzusehen – ob das mit dem großen Herzen noch stimmt, weiß ich auch nicht. Ich kann mich nur noch wage an ihre Worte erinnern, denn es ist schon eine Ewigkeit her.

Vorsichtig berühre ich meine Haare und nehme eine Strähne zwischen die Finger. Mama hat mir früher immer Frisuren gemacht – ich habe meine Locken gehasst und nie wirklich offengetragen. Sie hat mir stets schöne Zöpfe geflochten, weil ich es selbst nie hinbekam. Es machte mich glücklich– ich war fröhlich, sehr sogar.

Nun trage ich meine Haare fast nur noch offen.

»Aven?«

»Hm?«

»Ich denke, es ist okay. Ich meine, dass du so bist, wie du bist. Ich möchte dich nicht verlieren.«

Still nicke ich und schenke ihr ein unwohles Lächeln – keine Ahnung, weshalb ich es tue. »Ich möchte dich auch nicht verlieren, Sylvie.«

»Aven?«, ertönt die Stimme meiner kleinen Schwester. »Du weinst ja.«

»Lizzy«, murmle ich, wische mir abrupt die Tränen aus dem Gesicht und sehe mit einem bedrücktem Ausdruck zu ihr. Lizzys Kopf ist durch meine Zimmertür gestreckt und mit einem lieblichen Lächeln möchte sie mich womöglich aufmuntern.

»Alles gut, es ist nur meine Allergie, weißt du?«

Unglaubwürdig schüttelt sie den Kopf, tritt in mein Zimmer und setzt sich neben mich auf mein Bett. »Lügst du gerade?«, fragt sie vorwurfsvoll.

Ein wenig muss ich bei ihrer Aussage schmunzeln. Liebevoll nehme ich sie in den Arm und bleibe für einige Sekunden in dieser Position. »Alles, was ich jetzt brauche, ist eine Umarmung«, flüstere ich.

»Die kann ich dir geben«, entgegnet Lizzy und schließt ihre Arme fest um mich. Ich spüre ihre Nähe und es fühlt sich so gut an – mein Herz verlangt danach, denn anderweitig würde es zerspringen. Ohne dieses Gefühl würde nichts mehr einen Sinn ergeben, denn dieses Mädchen in meinen Armen, meine Brüder und der Junge, den ich in meinem Herzen trage, sind die einzigen Personen, die mich am Leben halten.

5

John

Love your complications

Kompliziert.

Endri meint, Aven sei zu kompliziert.

Er behauptet, sie würde mein Leben ebenfalls zu kompliziert machen. Nach seinen Worten kann ich das Große und Ganze nicht sehen, da ich mich in ihren wunderschönen Augen und diesen verdammt hübschen Locken verliere.

Es stimmt.

Verdammt nochmal, er hat recht.

Aber ich kann nicht anders.

Ich möchte sie kennenlernen – richtig – auch wenn sie mich nicht lässt. Aus irgendeinem Grund weiß ich einfach, dass mehr hinter ihr steckt. Sie ist nicht böse und ernst, wie sie so viele beschreiben – das glaube ich nicht. Ja, sie hat ihre Eigenarten und es ist schwer, damit umzugehen, aber nicht unmöglich.

Aven Cavelle ist vielleicht kompliziert, das will ich überhaupt nicht verneinen, aber wer sagt, dass das etwas Schlechtes ist.

Ich mag kompliziert.

Ich mag sie.

»Joe«, bringt Roman ungeduldig hervor und streckt mir meine Jacke entgegen. »Komm jetzt endlich.«

»Jap«, antworte ich schnell und ziehe sie mir hastig drüber. Kaum sind wir aus seinem Haus, steuern wir direkt den Weg zu Callum an. Er feiert seinen Geburtstag und veranstaltet eine große Party.

Ich bin aufgeregt, denn Aven kommt ebenfalls. Das wird das erste Mal sein, dass wir zusammen etwas außerhalb der Schule unternehmen. Nun ja, gemeinsam wohl kaum, zumindest denke ich nicht, dass es ihre Absicht ist.

»Weißt du, ob Endri schon da ist?«, fragt Roman, woraufhin ich mich schulterzuckend an ihn wende. »Er wollte, glaub ich davor noch zu Hallie. Weiß aber nicht, wann die kommen.«

Schweigend laufen wir nebeneinander, bis wir schließlich vor Callums Haustüre angekommen sind.

»Hey Hübscher, wieso so traurig?«, ertönt eine weibliche Stimme. Niedergeschlagen sitze ich auf Callums Sofa, in der einen Hand einen Drink und in der anderen mein Handy, um auf die Uhr zu sehen. Aven ist nicht da. Noch nicht, dachte ich zuerst, aber nein, sie wird wohl nicht mehr kommen.

Ohne etwas zu sagen, wende ich meinen Blick an das Mädchen. Sie hat lange, glatte, blonde Haare, blaue Augen und große Brüste. Wunderschön ist dieses Mädchen.

Aber sie ist nicht Aven.

Sie hat nicht diesen Blick, welcher mich verrückt macht.

Sie hat nicht diese geheimnisvolle Ausstrahlung.

Sie.

Ist.

Nicht.

Aven.

Verdammt, ich denke wirklich, dass ich langsam ein Problem habe.

»Möchtest du noch weiter auf meine Brüste starren oder sollen wir gleich in ein Zimmer verschwinden?«, fragt sie grinsend und streicht ihre Haare noch glatter, als dass sie es sowieso schon sind.

»Nein«, ist schließlich das erste Wort, das ich von mir gebe.

»Nein?« Beleidigt sieht sie zu mir und mustert mich mit schmollendem Gesichtsausdruck.

»Nein.«

»Wieso nicht, du scheinst, als bräuchtest du das«, entgegnet sie verständnislos.

»Was ich brauche, ist meine Freundin«, bringe ich energisch hervor und setze den roten Pappbecher an meine Lippen.

Die Brauen des Mädchens verziehen sich abrupt. Eingeschnappt stemmt sie ihre Hand in die Seite und dreht sich mit Schwung um, sodass ihre Haare in die Luft fliegen.

Seufzend lasse ich mich auf das Leder fallen und denke für ein paar Momente nach. Aven ist nicht meine Freundin, ich weiß. Wir sind nicht zusammen und zwischen uns ist nichts so wirklich geschehen, aber ich bin schon längst ihres.

Auch wenn sie nicht meins ist.

Auch dann.

Nachdem nun weitere Stunden vergangen sind, möchte ich nicht mehr auf sie warten. Ich will sie sehen. Vielleicht ist es keine gute Idee, denn ich bin betrunken, aber ich bin immer noch bei klarem Verstand, wodurch es nun doch nicht mehr so abwegig scheint.

Wäre sie nur nicht so verdammt verschlossen, könnte ich zu ihr. Aber nein, ich weiß nicht einmal, wo sie wohnt. Nicht mal das, verdammte Scheiße. Ich würde ihr ja schreiben, sie anrufen, aber sie hat kein Handy – welche Person hat bitte kein Handy?!

»Josh«, bringe ich grinsend hervor. Abrupt bleibt er stehen und dreht sich zu mir. Langsam nähere ich mich ihm und lege meine Hand auf seine Schulter. »Du kennst doch Fiona, oder?«

»Hallo, wer ist da?«, meldet sich Fiona, nach ein paarmal klingeln am Telefon.

»Ehm, hi, hier ist Joe. Du weißt, der der sich am Geburtstag deiner Schwester als Prinzessin verkleidet hat«, gebe ich schmunzelnd von mir und kratze verlegen meinen Nacken.

»Der Geburtstag meiner Schwester? Ich – ah ja, stimmt. Hey Joe.«

Ich habe noch nie wirklich mit ihr geredet. Aven gefällt es schätze ich mal nicht, wenn zwei ihrer Welten aufeinandertreffen, aber das ist mir in diesem Augenblick egal.

»Woher hast du meine Nummer?«, möchte sie von mir wissen, wobei ich Verwirrung in ihrer Stimme höre.

»Josh hat sie mir gegeben. Hör zu, ich bin gerade auf der Party von Callum und Aven wollte auch kommen. Ich dachte, nun ja, vielleicht weißt du ja, wieso sie nicht gekommen ist, denn sie ist nicht da.«

Einen Moment ist es still, bis sie sich zu Wort wendet. »Ich weiß nicht, was mit ihr ist.«

Lügt sie gerade?

»Ich mache mir Sorgen«, bringe ich ehrlich hervor. Es hört sich dumm an, aber es ist wahrhaftig so.

»Aven ist nun einmal jemanden, der sich sehr schnell umentscheidet. Wahrscheinlich hat sie einfach keine Lust mehr gehabt.«

Ich möchte ihr glauben, aber irgendwas in mir lässt mich nicht. »Kannst du mir bitte ihre Adresse geben? Ich möchte sicherstellen, dass alles in Ordnung ist.«

»Ich glaube nicht, dass sie das wollen würde.«

»Fiona.«

»Tut mir leid.«

»Bitte, du willst doch, dass es deiner Freundin gut geht, oder?«

»Ja ...«, presst sie unsicher hervor. »Aber ihr geht es gut, bestimmt. Das muss nichts heißen.«

Ja verdammt, ich weiß.

Aber ich möchte sie sehen.

So verdammt gerne.

Ich möchte mit ihr reden und das kann nicht warten – es muss jetzt sein.

»Auch wenn, es wird doch nicht schaden, wenn ich einmal vorbeischaue«, bringe ich ernst hervor.

»Aber –«

»Bitte.«

Sie zögert einen Augenblick. »Na gut, ich schick dir ihre Adresse, aber bitte, bitte sag ihr nicht, dass du sie von mir hast, verstanden?«

»Danke«, entgegne ich und lege danach auf.

6

Aven

Because of you I want to scream at the top of my lungs

Wut.

So verdammt viel Wut steckt in mir – seinetwegen.