The Summer I Saved You - Elizabeth O'Roark - E-Book

The Summer I Saved You E-Book

Elizabeth O´Roark

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Beschreibung

SEIT ICH IHN ZUM ERSTEN MAL GESEHEN HABE, WAR ER IMMER DER EINZIGE FÜR MICH

Nach einer schlimmen Trennung findet Lucie im Ferienhaus ihrer Familie Unterschlupf, dem Ort, an dem sie die glücklichsten Sommer ihres Lebens verbracht hat. Womit sie allerdings nicht gerechnet hat: Caleb, in den sie heimlich verliebt war und den sie nie wirklich vergessen konnte, ist nicht nur ihr Nachbar, sondern auch ihr neuer Boss! Früher war Lucie sicher, dass sie füreinander bestimmt sind, aber heute gibt Caleb ihr klar zu verstehen, dass er kein Interesse daran hat, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen - egal wie sehr sie die Erinnerungen und Gefühle von damals während ihrer Zusammenarbeit einholen ...

»Lucies und Calebs Liebesgeschichte war unvergesslich! Sie war herzzerreißend, wunderschön, voller Spannung und ... perfekt.« STEPHANIES_READS

Die TIKTOK-Geheimtipp-Reihe von Elizabeth O'Roark geht weiter

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Seitenzahl: 424

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Leser:innenhinweis

Prolog

1

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Epilog

Die Autorin

Die Bücher von Elizabeth O’Roark bei LYX

Impressum

Elizabeth O’Roark

The Summer I Saved You

Roman

Ins Deutsche übertragen von Bianca Dyck

Zu diesem Buch

Lucie Monroes Leben verläuft alles andere als nach Plan: Nachdem sie herausgefunden hat, dass ihr Mann sie betrügt, finden sie und ihre beiden Kinder Unterschlupf im Ferienhaus ihrer Familie in Elliott Springs. An dem Ort, an dem sie die glücklichsten Sommer ihres Lebens verbracht hat, versucht sie, ihre Wunden zu heilen. Stattdessen stößt Lucie auf neue Komplikationen, als sich ausgerechnet Caleb Lowell als ihr Nachbar und neuer Chef entpuppt – der Mann, in den sie schon jahrelang verliebt ist. Früher war Caleb immer für sie da und der Einzige, dem Lucie sich vollkommen anvertrauen konnte. Doch der freundliche, geduldige Junge ihrer Kindheit ist verschwunden – an seiner Stelle steht ein verschlossener, zynischer Mann. Trotzdem spürt Lucie, dass hinter seiner abweisenden Fassade noch immer der Caleb von damals steckt. Je mehr Zeit die beiden miteinander verbringen, desto schwieriger wird es für Lucie, die prickelnde Anziehung zwischen ihnen zu ignorieren. Allerdings verschweigt Caleb ihr etwas, das eine gemeinsame Zukunft unmöglich machen könnte …

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte.

Deshalb findet ihr hier eine Contentwarnung.

Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!

Wir wünschen uns für euch alle

das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer LYX-Verlag

Prolog

Lucie

2002

Meine Großtante war nicht glücklich.

Ich hatte sie zuvor nur einmal getroffen, diese Frau, die meinen Vater großgezogen hatte, doch während sie auf ihrer vorderen Veranda wartete und mir dabei zusah, wie ich einen ramponierten Koffer hinter mir herzog, sah sie nicht begeisterter aus als beim ersten Mal.

Besonders glücklich war ich aber auch nicht. Ich hatte meinen Vater in Zeitschriften und im Fernsehen gesehen, mit anderen berühmten Tech-Typen auf einer Jacht sitzend – seine Model-Frau und seine Kinder neben ihm. Daher hatte ich große Hoffnungen in Tante Ruths Haus am See gesetzt, doch es war kaum besser als unseres. Und Elliott Springs, das in meinen Ohren nach dem Namen eines Resorts klang, stellte sich als Kaff weit im Süden von San Francisco heraus. Hier gab es nicht mal Ampeln.

»Sie hat nicht mal den Motor abgestellt«, murmelte Ruth, als meine Mutter davonfuhr. »Arbeitsnotfall, von wegen.«

Meine Mom hat nicht mal einen Job. Sie fährt mit ihrem Freund ins Disneyland. Irgendwie hielt ich die Worte zurück. Das Versprechen meiner Mutter, dass sie mich nächstes Jahr dorthin mitnehmen würden, wenn ich es für mich behielt, half dabei.

Seufzend griff meine Tante nach dem Koffer. »Nun, dann komm mal mit«, sagte sie, ging ins Haus und führte mich eine Treppe hinauf, während sie mir Dinge erklärte, die ich bereits wusste: dass es für eine Sechsjährige hier sehr langweilig werden würde, dass ich drinnen bleiben musste.

»Niemand darf wissen, dass du hier bist«, warnte sie. »Ein Kind kann ich hier gerade überhaupt nicht gebrauchen.«

Ich nickte. An beides war ich gewöhnt – Geheimnisse zu bewahren und nicht gewollt zu sein. Mein Vater hatte sich geweigert, mich jemals kennenzulernen. Die Partner meiner Mutter beschwerten sich ständig über mich, und wenn sie es nicht taten, dann tat es meine Mutter selbst. Es war ein blauer Fleck, an den ich mich so sehr gewöhnt hatte, dass ich es kaum merkte, wenn jemand mit dem Finger draufdrückte.

Ruth führte mich in ein Zimmer, dessen Fenster auf das Haus der Nachbarn hinausging, doch ich konnte den See zu meiner Linken sehen, mit einem langen Steg und einer Gruppe Jungs, die einige Jahre älter aussahen als ich und an dessen Ufer standen. Angezogen von ihnen ging ich zum Fenster und hörte kaum hin, als Ruth mir mitteilte, dass sie weiterarbeiten musste.

Sie machten Saltos ins Wasser, johlend und schreiend und so … frei. Sie waren alle gebräunt und glücklich und gut aussehend, doch aus irgendeinem Grund landete mein Blick nur auf einem von ihnen und weigerte sich weiterzuwandern.

Sein Anblick rief nach mir. Als würde er sagen: »Lucie, komm zu mir, du gehörst hierher«, obwohl er nicht einmal wusste, dass ich existierte.

Ich beschloss, ihn heimlich zu beobachten, wann immer ich konnte. Sollte er ertrinken, würde ich ihn retten wie Ariel Prinz Eric.

Seltsamerweise war ich mir sehr sicher, dass er mich irgendwann brauchen würde.

1

Lucie

2023

Wenn du deinen Ehemann anrufst und ihm mitteilst, dass die Ehe vorbei ist, sollten dir eigentlich sachliche und vernünftige Gedanken durch den Sinn gehen. Doch dabei an den Jungen von nebenan zu denken – einen Jungen, den du seit dreizehn Jahren nicht gesehen hast –, ist weder das eine noch das andere.

Ich könnte es auf die Tatsache schieben, dass ich wieder in Elliott Springs bin … dass ich am See bin und auf genau dem Steg stehe, von dem Caleb einst perfekte Saltos und Tauchsprünge ausgeführt hat. Doch das würde klingen, als hätte ich jemals aufgehört, überhaupt an ihn zu denken, was ich nicht habe. Nicht so ganz.

»Wie genau gedenkst du, mich zu verlassen?«, fragt Jeremy. »Das Einzige, was du kannst, ist, heiß aussehen, und selbst davon kann kaum noch die Rede sein.«

Es sagt viel aus, dass er unsere Zwillinge – die im Haus hinter mir schlafen – während des ganzen Gesprächs kein einziges Mal erwähnt hat. Er ist zu eingenommen von seiner Empörung – erstens darüber, dass ich ihn des Betrugs beschuldige, und dann darüber, dass ich Beweise habe und etwas deswegen unternehme.

»Keine schlaue Retourkutsche?«, fragt Jeremy. »Ach, warte. Dafür müsstest du überhaupt erst schlau sein.«

Ich blicke über die Schulter zu Calebs altem Haus, das sich dunkel und leer hinter mir abzeichnet. Es wurde schon vor Jahren verkauft, also werde ich nie sehen, zu wem er herangewachsen ist – ob er ein Mann geworden ist, der seine Frau betrügt und ihr dann die Schuld daran gibt. Ob er der Mutter seiner Kinder sagt, dass das Einzige, was sie kann, heiß aussehen ist. Ich kann mir das von ihm nicht vorstellen, aber ich wette, dass er keine Frau wie mich geheiratet hat. Eine Frau, die hier steht und sich so etwas anhört.

Ich beende das Telefonat und lasse das Handy in die Tasche meines Morgenmantels sinken. Jeremy wird mich dafür bezahlen lassen, dass ich einfach aufgelegt habe, aber hier fühle ich mich wie eine andere Person. Wie das Mädchen, das ich einmal war, mit anderen Ängsten und anderen Wünschen.

Damals habe ich nur gewollt, dass mich jemand wollte. Vielleicht hatte ich mich so an Caleb geklammert, weil er mein genauer Gegensatz war, umgeben von Menschen, die ihn verehrten … Aber es hat sich nach mehr angefühlt. Ich war mein ganzes Leben lang ein schmutziges Geheimnis gewesen, und doch war ich sicher, dass sich das ändern würde – dass ich letztendlich hier unten an seiner Seite sein, vom Steg springen und versuchen würde, auf einem Schwimmreifen zu balancieren.

Jetzt bin ich mehr als zwei Jahrzehnte später wieder hier und bin bis jetzt noch nie in den See gesprungen. Auf eine gewisse Art ist es das erste Mal in meinem Leben, dass ich tatsächlich frei bin.

Spring, drängt eine Stimme in meinem Kopf. Eine unvernünftige Stimme. Ich bin eine erwachsene Frau mit zwei Kindern. Ich habe nicht einmal ein Handtuch dabei. Doch ich ziehe bereits meinen Morgenmantel aus.

Ich beuge die Knie und springe.

Das wird mein sauberer Bruch, mein Neustart, und …

Fuck, fuck, fuck.

Keuchend tauche ich an der Wasseroberfläche auf, schlage mit den Armen um mich und versuche hektisch, zur Leiter zu gelangen.

Das Wasser ist so verdammt kalt, und wenn ich gehofft habe, zu springen würde helfen, alles klarer erscheinen zu lassen, so hätte ich mich nicht stärker irren können. Ich hatte vergessen, wie kalt ein See im nördlichen Kalifornien Ende März sein konnte, und daran ist absolut nichts unklar.

Zitternd klettere ich die Leiter zum Steg hinauf mit nichts als nasser Unterwäsche am Leib und wünschte, ich hätte wenigstens daran gedacht, für diesen Neustart ein Handtuch mitzunehmen. Ich tupfe mir die Augen mit dem Mantel ab, und als ich ihn wieder um mich schlinge … nehme ich eine Bewegung wahr.

Jemand oder etwas steht hinter dem Küchenfenster von Calebs verlassenem Haus.

Es hätte auch Einbildung sein können, aber nein. Da ist es wieder, huschende Schatten hinter den Glastüren. Und was es auch ist, es hat mir dabei zugesehen, wie ich halb nackt aus dem See gestiegen bin.

Der Anfang meines Neubeginns hatte sich ohnehin schon als schwierig erwiesen. Jetzt sieht er aus wie die Eröffnungsszene eines Horrorfilms.

Jeremy: Keine Ahnung, wer dich einstellen sollte. Den Fernseher anschalten und Chicken Nuggets in den Ofen schieben scheinen deine einzigen Talente zu sein.

Seit Samstagabend schickt Jeremy mir praktisch durchgehend Beleidigungen. Man müsste meinen, er wäre zu beschäftigt damit, mit unserer jugendlichen Babysitterin zu schlafen, um noch die Zeit dafür zu finden, aber er ist gut im Multitasking.

Im Gegensatz zu Jeremy kann ich mir nicht den Luxus leisten, unnötig grausame Textnachrichten zu verfassen. Ich musste zwei Kinder in die Vorschule im nächsten Ort bringen und bin dann fünfzehn Minuten lang den Highway heruntergedüst, um rechtzeitig bei der Technology Solutions Group, meinem neuen Arbeitgeber, anzukommen.

Das riesige Backsteingebäude ein Stück nördlich von Santa Cruz wirkt heute wesentlich unpersönlicher auf mich als bei meinem Vorstellungsgespräch, allerdings hatte ich es mir da wohl nicht sehr genau angesehen. Zu der Zeit war meine größte Sorge gewesen, Jeremy könnte von meiner Jobsuche Wind bekommen.

Ich wische mir die feuchten Hände an meinem Bleistiftrock ab und gehe durch die Eingangstür in die Lobby, wo eine Rezeptionistin mich gekonnt ignoriert, bis sie damit fertig ist, Fotos von ihrem Kaffee zu machen.

»Hi, ich bin Lucie Monroe, die neue Angestellte. Mir wurde gesagt, ich soll nach Mark Spencer fragen.« Sie starrt mich an, als würde ich noch immer sprechen, sie noch weiter langweilen, dann drückt sie eine Taste. »Mark, hier ist jemand für dich.« Dann geht sie, ohne zu zögern, wieder zum Fotografieren ihres Kaffees über.

Ich wurde eingestellt, um die Arbeitsmoral zu verbessern – ein Job, der, wie ich mich selbst überzeugt habe, perfekt auf mich zugeschnitten ist. Denn wenn man seine Tage damit zubringt, kleine Kinder davon zu überzeugen, zu baden, Gemüse zu essen und ins Bett zu gehen, dann hat man mehr Erfahrung damit, die Moral zu verbessern, als jeder sonst.

Wenn dieses Mädchen allerdings eine typische TSG-Angestellte ist, dann wird es vielleicht doch schwieriger, als ich angenommen habe.

»Lucie, willkommen«, sagt Mark, der auf mich zukommt. »Wie es aussieht, hast du Kayleigh bereits kennengelernt. Dann suchen wir dir doch mal ein Büro.«

Er betritt den Gang gegenüber dem, aus dem er gekommen ist, und ich folge ihm.

»Ich weiß, du bist gerade erst angekommen«, sagt er im Gehen, »aber der Vorstand freut sich schon auf deine Ideen, und wie es der Zufall will, ist morgen ein Meeting anberaumt. Ich fände es sehr schön, wenn du dich dazugesellen und ihnen erzählen könntest, wie du anfangen willst.«

Mein zustimmendes Nicken ist schwach. Bei meinem Vorstellungsgespräch bin ich hier mit Rechercheergebnissen über Mitarbeiterprogramme angekommen, die ich online gefunden hatte, doch das bedeutet wohl kaum, dass ich ausreichend vorbereitet bin, dem Vorstand einen Plan vorzustellen.

In einem Großraumbüro voller leerer Arbeitsplätze bleibt Mark stehen. »Du hast die Qual der Wahl, was deinen Platz angeht.« Er verzieht das Gesicht, während er über seinen eigenen Witz lacht. »Angesichts der Fluktuation der Mitarbeitenden haben wir die Teams zusammengelegt und sie auf die anderen Etagen verteilt.«

»Fluktuation?«, wiederhole ich.

Er zuckt mit den Schultern. »Ich glaube, im Vorstellungsgespräch habe ich erwähnt, dass einige unserer Angestellten zur Konkurrenz übergelaufen sind. Seit der Pandemie wollen alle im Homeoffice arbeiten, aber der CEO ist strengstens dagegen. Und da kommst du ins Spiel … Wir hoffen, dass du den Lauf der Dinge aufhalten kannst.«

Mark hatte mit keinem Wort erwähnt, dass sie Angestellte verlieren. »Wir wollen einen Arbeitsplatz bieten, den die Leute lieben«, hatte er gesagt, was etwas gänzlich anderes ist. Und der Irrsinn dessen, was ich getan habe, wird mir mit jeder Sekunde deutlicher.

Er zeigt auf den nächstgelegenen Schreibtisch, und ich trete ein. Mein erstes Büro. Es wird von drei Filzwänden gebildet – und hat vermutlich ein Achtel der Größe, die meine Halbgeschwister im Unternehmen meines Vaters zur Verfügung haben –, doch es ist meins.

Mark folgt mir und setzt sich auf den Rand des Tisches. »Hör mal, das ist nicht der beste Start für deinen ersten Tag, aber ich habe das Gefühl, ehrlich zu dir sein zu müssen. Der CEO war nicht in der Stadt, und er war nie ein Fan davon, deine Stelle überhaupt auszuschreiben. Aber mir ist erst heute Morgen bewusst geworden, wie heftig dagegen er ist.«

Oh Gott, oh Gott, oh Gott.

Ich habe dreitausend Dollar auf ein neues Girokonto eingezahlt, bevor ich gegangen bin, doch das wird nicht lange reichen, und was dann? Jeremy hat prophezeit, ich würde innerhalb einer Woche zurückgekrochen kommen. Vielleicht hatte er damit recht.

Ich sinke tiefer in den Stuhl. »Also könnte er … diese ganze Sache einfach absagen?«

Marks Blick huscht zu meinem. »Nun, wie du weißt … liegt die Erstlaufzeit deines Vertrages nur bei drei Monaten. Ich schätze, wenn es nicht gut läuft, ist es vorstellbar, dass er die Stelle streicht. Aber dazu wird es nicht kommen. Warum gehen wir ihm nicht Hallo sagen? Ich bin sicher, dass er seine Meinung ändern wird, sobald du mit ihm sprichst.«

Ich bin mir da gar nicht so sicher, vor allem, wenn er beschließt, sich meinen Lebenslauf genauer anzusehen und feststellt, wie viele Punkte darin ehrenamtliche Tätigkeiten im früheren Kindergarten der Zwillinge aufzählen. Wenn ihm klar wird, dass dies mein erster richtiger Job ist. Aber Mark ist schon aufgestanden und führt mich wieder an der unfreundlichen Empfangsdame vorbei zu seinem Chef. Auf der Website wurde der CEO nicht erwähnt, aber man kann sich leicht vorstellen, was für ein erbärmlicher alter Mann uns erwartet, ein Typ, der keinen Cent für seine Angestellten ausgeben will, aber wahrscheinlich einen Privatjet nutzt.

Ich folge Mark in ein Büro, das zehnmal so groß ist wie mein Arbeitsplatz … und starre den Mann an, der dort am Schreibtisch sitzt.

Er ist in keiner Weise ein erbärmlicher alter Mann.

Es ist Caleb, ganz erwachsen. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, besuchte er noch das College, doch sein Gesicht würde ich überall erkennen. Immerhin war es der Star jeder unschuldigen und nicht so unschuldigen Fantasie meiner Jugend, und es ist jetzt sogar noch zwanzigmal attraktiver – markante Konturen und ein weicher Mund, ein Kiefer, der eine Rasur nötig hätte.

Ich habe Kinder zu ernähren und mehr Mist auf dem Teller, als ich händeln kann, und doch erwacht etwas in meiner Brust zum Leben – winzige Baby-Schmetterlinge, die mir zuflüstern, dass es Schicksal sein könnte. Denn wie sonst könnte man die Tatsache erklären, dass mein Kindheitsschwarm genau dann wieder in mein Leben tritt, als ich gerade Single geworden bin?

Sein Blick ist mürrisch, als er an seiner Krawatte zieht. »Ich hoffe doch sehr, dass das ein Scherz ist.«

2

Caleb

Die Frau, die ich das ganze Wochenende in meinem Garten habe herumstolzieren sehen, ist in meinem Büro, und ich wette, mein Kumpel Liam steckt dahinter.

Er hat sie gestern Nachmittag gesehen, als sie auf irgendwelche Kinder aufgepasst hat, und er hat einfach nicht aufgehört, von ihrem Vorbau zu sprechen. Keine Ahnung, wie er sie davon überzeugt hat, in einem Rock hier aufzukreuzen und so zu tun, als wäre sie die neue Angestellte, aber ich finde das nicht lustig.

Ich warte darauf, dass die beiden anfangen zu lachen, dass Liam aus einer der Ecken gesprungen kommt und Mark auf den Rücken klopft.

»Caleb …« Marks Stimme klingt vorsichtig, unsicher, und wenn er das schauspielert, dann ist er besser, als ich dachte. »Das ist Lucie Monroe, unsere neue Leiterin der Mitarbeiterprogramme. Lucie, Caleb Lowell, unser …« Er sieht uns nacheinander an. »Kennt … ihr beiden euch?«

Erst als er Lucie sagt, macht es Klick.

Das kann nicht sein.

Als ich ein Teenager war, gab es da ein Mädchen namens Lucie, das bei unserem Haus am See gelegentlich nebenan gewohnt hat. Sie hatte große graugrüne Augen und hat wie ein Wasserfall geredet, wenn sie die Gelegenheit dazu bekam. Das kann unmöglich dasselbe Mädchen sein, oder?

Ich mustere sie genauer. Alles an ihr hat sich verändert, allerdings nicht die Augen in der Farbe eines stürmischen Ozeans.

»Wir waren mal Nachbarn«, flüstert sie Mark zu. Ihre Stimme ist vor Überraschung beinahe unhörbar, wodurch Nachbarn nach einem Euphemismus für etwas viel Schlimmeres klingt: ein Ex oder jemand, gegen den sie eine einstweilige Verfügung erwirkt hat.

Heilige Scheiße. Sie ist es, und ich weiß nicht, wen ich mehr schlagen will – Liam, für das, was er gesagt hat, oder mich, weil ich einigem davon jetzt insgeheim zustimme.

Mark fällt die Kinnlade herunter. »Nachbarn? Wo?«

»Das ist ewig her«, entgegnet sie und beißt sich auf die Lippe.

»Wir sind noch immer Nachbarn«, korrigiere ich, und sie zuckt zusammen. Vielleicht fragt sie sich, ob ich am Samstagabend gesehen habe, wie sie in ihrer verdammten Unterwäsche schwimmen war.

Ja, Lucie, ich habe dich definitiv gesehen. Du bist erwachsen geworden. Herrgott, bist du erwachsen geworden. Und ich muss wissen, warum ich dir plötzlich anscheinend nicht entkommen kann.

Sie wirkt überrascht darüber, mich hier anzutreffen, und ich schätze, das ist möglich – ich habe meinen Namen online überall löschen lassen –, doch da überschneidet sich zu viel, als dass es reiner Zufall sein kann.

Ich sehe Mark an. »Gibst du uns einen Moment?«

Mein Tonfall ist mehr eine Forderung als eine Bitte, doch Mark zögert und wirft mir einen fragenden Blick zu, bevor er nachgibt.

Die Tür schließt sich, und Lucie lässt sich in den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs gleiten. Ihr Haar ist heller als früher, immer noch dunkel, aber durchzogen von honig- und karamellfarbenen Strähnen, vielleicht weil sie im Sommer endlich nach draußen darf. Robert Underwoods uneheliches Kind. Ich schätze, es ist immer noch ein Geheimnis, da ich nie etwas darüber gehört habe, und er ist in meinem Fachgebiet berühmt genug, dass ich das hätte. Ich hätte gehofft, dass sie den Mistkerl für ihr Schweigen bezahlen lässt, aber sie arbeitet hier … also ist das unwahrscheinlich.

»Das ist eine Überraschung«, setzte ich an. Dann räuspere ich mich. »Ich habe dich nicht mal erkannt, bis ich deinen Namen gehört habe. Es ist jetzt – fünfzehn Jahre her?«

»Dreizehn«, sagt sie und wird rot. Als Kind ist sie auch schnell rot geworden, doch jetzt trifft es mich anders. Wieder würde ich mir am liebsten ins Gesicht schlagen. »Ich dachte, du hast das Haus verkauft.«

»Ich habe es letzten Monat zurückgekauft. Ich hatte ein Haus unten in Santa Cruz, aber ich brauchte einen Tapetenwechsel. Ich nehme an, Miss Underwood hat dir ihr Häuschen vermacht?«

Sie nickt, ihr Blick ist auf ihren Schoß gerichtet. »Ich bin nicht oft hergekommen, aber ich lebe gerade in Scheidung, also brauchten wir eine neue Bleibe. Ich habe Zwillinge. Sie sind letzte Woche sechs geworden.«

»Zwillinge? Du siehst kaum alt genug aus, um überhaupt verheiratet zu sein.«

Sie lacht. »Caleb, ich bin nur vier Jahre jünger als du. Ich bin definitiv alt genug, um verheiratet zu sein. Genau wie du.«

»Ich bin verheiratet«, entgegne ich, obwohl ich nicht genau weiß, warum. Aus Reflex, vielleicht. Oder einfach weil ich in Lucie eine Bedrohung sehe, mit ihren Kurven, den großen Augen, dem ständigen Sich-auf-die-Lippen-Beißen.

»Das ist … du bist …« Sie spielt mit dem Saum ihres Rocks. Mein Blick bleibt kurz an ihren langen Beinen hängen und gleitet dann schnell weiter. »Im Haus war es so still. Ich hätte nicht mal vermutet, dass dort eine Person lebt, geschweige denn zwei.«

Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück. »Ich bin einige Wochen verreist gewesen, und Kate ist auch unterwegs.« Kate ist auch unterwegs. Das klingt, als wäre sie mit ihrer Mom zum Shoppen in Paris oder bei der Canyon Ranch für eine Gesichtsbehandlung.

Sie nickt. »Keine Kinder?«

Ich schlucke. Es ist an der Zeit, diese Reise in unsere Vergangenheit zu beenden. »Kinder sind das Letzte, was ich brauche. Jedenfalls, zu dem Job … Es tut mir leid, dass du während des Vorstellungsgesprächs irregeleitet wurdest, doch diese Stelle sollte nie permanent sein. Selbst wenn ich mir eine weitere Angestellte leisten könnte, die kein Geld reinbringt, kann ich mir keine teuren Programme leisten, um die Arbeitsmoral zu stärken.«

Sie wird blass unter ihrer Bräune – kein Wunder. Sie hat Kinder zu ernähren, und ich habe ihr gerade gesagt, dass ihr Job hier nicht von Dauer ist. Ich verfluche Mark dafür, dass er nicht offener zu ihr war, als er sie eingestellt hat.

»Was, wenn die Programme nicht teuer sind?«, fragt sie. »Wenn die Angestellten gehen, weil sie von zu Hause aus arbeiten wollen, muss es dich Tausende Dollar kosten, neue anzustellen und sie anzulernen, oder? Dem ein Ende zu setzen würde also für die Kosten der Programme aufkommen.«

Ich seufze schwer. Ich weiß ganz genau, dass Pizza-Partys und Poster mit Sprüchen wie »Glaub an dich« niemanden hier halten werden, der lieber auf seiner Couch Videospiele spielen und sich einen runterholen will. Doch darüber soll sich der Vorstand selbst ein Urteil bilden, also habe ich drei Monaten zugestimmt. »Es wird nicht funktionieren, Lucie. Aber hör mal … Bleib die nächsten Wochen hier. Nimm das Gehalt mit und nutze jede freie Minute hier für Bewerbungen und Vorstellungsgespräche. Wenn du morgen mit dem Vorstand sprichst, erzähl ihnen irgendeinen Mist und such weiter nach einem anderen Job.«

Sie starrt mich an, als würde sie nicht verstehen, was ich sage. »Ihnen irgendeinen Mist erzählen.«

Ich zucke mit den Schultern. »Völlig egal. Sag ihnen, du willst Blutspendeaktionen veranstalten oder alle eine Anstecknadel tragen lassen oder sonst was. Je uninspirierter deine Ideen sind, desto besser, wenn du mich fragst. Denn der Vorstand soll begreifen, dass es nicht funktionieren wird.«

Ihre Schultern sacken nach unten. »Warum bist du dir so sicher, dass ich nichts erreichen werde?«

»Ich bin es einfach. Nimm dir die nächsten zwei Wochen für die Jobsuche. Du kannst sogar drei bleiben, wenn es sein muss.«

Anscheinend hört sie die Endgültigkeit in meiner Stimme heraus, denn sie steht auf und streicht sich den Rock glatt. »Vielleicht werde ich dich überraschen«, sagt sie, während sie sich zum Gehen umdreht.

»Ich will nicht überrascht werden«, entgegne ich.

Überraschungen sind das Letzte, was ich brauche.

Vor allem Überraschungen, die nackt vor meinem Fenster schwimmen.

3

Lucie

Mist.

Mist, Mist, Mist, Mist, Mist.

Ich marschiere aus dem Büro und zucke zusammen, als die Tür hinter mir zuschlägt. Was für ein absolutes Desaster.

Glaubt er wirklich, dass ich in zwei oder drei Wochen einen anderen Job finden kann, der eine Familie ernährt? Ich habe Monate damit zugebracht, mich zu bewerben, bevor ich diesen bekommen habe. Ich habe monatelang Geld angespart, um die Wochen bis zum ersten Gehaltsscheck zu überstehen.

Wie lange kommen wir damit aus, wenn ich arbeitslos bin? Nicht sehr lange. Es wäre möglich, das Haus meiner Tante zu verkaufen, allerdings bezweifle ich, dass es viel wert ist, und ich müsste das Geld vermutlich mit Jeremy teilen. Mit dem, was übrig bleibt, könnte ich mir nie ein neues kaufen.

Ich lasse mich in den Schreibtischstuhl fallen und vergrabe mein Gesicht in den Händen. Gott, bin ich dumm. Ich habe mich gefragt, ob es Schicksal war, dass wir uns begegnet sind, und war gespannt darauf, herauszufinden, wohin ihn sein Leben geführt hat, während er nur darauf bedacht gewesen war, einen Weg zu finden, mich so schnell wie möglich loszuwerden.

Aber wenn er dem Vorstand gesagt hat, er würde mir drei Monate geben, dann hat er keinen Grund, mir nicht drei Monate zu geben, solange ich sie morgen beeindrucken kann. Ich muss einfach nur bis zum Ende des Tages ein Wunder-Programm zusammenstellen, obwohl ich keine Ahnung vom Budget und keine praktische Berufserfahrung in der echten Welt habe. Großartig. Super. Kein Problem.

In solchen Momenten denke ich immer an Ruth, in diesen Momenten der Panik, wenn ich nicht weiß, ob ich das Zeug dazu habe, etwas zustande zu bringen. Sie hat immer den ganzen Tag mit Telefonkonferenzen verbracht, während ich still danebensaß. Zwischendurch gab sie mir Ratschläge – all diese Sprüche, die für ein kleines Kind, das einfach nur rausgehen wollte, völlig bedeutungslos waren: Arbeite klüger, nicht härter; erfinde das Rad nicht neu.

Diese bedeutungslosen Sätze haben mir aus mehr als einer Situation herausgeholfen, und – da ich die Zwillinge in sieben Stunden abholen muss und das nicht annähernd genug Zeit ist, um auf eine eigene Idee zu kommen – deshalb ist es eine gute Idee, das Rad nicht neu zu erfinden.

Ich schaue mir an, was größere Unternehmen ihren Mitarbeitern anbieten, und obwohl mir jede Idee schrecklich vorkommt, wo sie doch perfekt sein muss – »Perfekt ist der Feind von gut«, sagt Ruth in meinem Kopf –, habe ich mich, als ich die Zwillinge abhole, zumindest für etwas entschieden und angefangen, eine Präsentation zusammenzustellen.

»Endlich«, sagt meine Freundin Molly, die beim ersten Klingeln rangeht. »Ich habe dir schon eine Million Mal geschrieben.«

Ich schaue in beide Richtungen, bevor ich vom Parkplatz aus links abbiege. »Ich konnte nicht schreiben. Ich konnte gar nichts tun. Ich bin so schon kurz davor, gefeuert zu werden.«

Sie lacht. »Das kann nicht sein.«

Molly ist die einzige Person, die alles über mich weiß. Sie weiß, wer mein Vater ist, sie weiß von Jeremys Betrug und seiner allgemeinen Hässlichkeit mir gegenüber. Aber sie ist unendlich selbstbewusst und kompetent – zumindest was die Arbeit angeht –, als einzige schwarze Vorgesetzte in einem Forschungslabor und als eine von nur drei Frauen hört sie unendlich viel Unsinn, also muss sie das auch sein. Ich bin mir nicht sicher, ob sie sich überhaupt vorstellen kann, gefeuert zu werden, denn sie ist zu verdammt gut in dem, was sie tut, als dass irgendjemand sie loswerden möchte.

»Mein Boss – da gibt’s eine ganze Geschichte zu – hat mir praktisch gesagt, dass er mich loswerden will. Er hat mir ein paar Wochen gegeben, um einen neuen Job zu finden, und das war’s.«

»Mist«, flüstert sie. »Hast du dich schon mit dem Scheidungsanwalt getroffen? Du brauchst wenigstens Kindesunterhalt, wenn sonst schon nichts.«

Der Anwalt, der für die nächsten Wochen ausgebucht ist und fünfhundert Dollar für das erste Meeting will. »Erst nächsten Monat.«

»Ich denke immer noch, dass wir Jeremy einfach vergiften sollten. Das würde so viele Probleme lösen.«

Ich lache müde. »Das ist ein ziemlich gewagter Plan von einer Frau, die ihrem Boss nicht mal sagen kann, dass sie ihn mag.«

In all den Jahren, die ich Molly nun schon kenne, ist sie auf keinem einzigen Date gewesen. Während ihres Masterstudiums hatte sie eine hässliche Trennung durchgemacht, und seitdem sie ihren momentanen Job angefangen hat, heißt es immer nur: Michael, Michael, Michael – der Boss, den sie aus der Ferne anschmachtet.

»Wir tun Folgendes: Apfelsamen«, sagt sie und ignoriert dabei meine Worte. »Die enthalten Arsen. Wir mahlen sie und streuen sie in sein Essen. So kann nichts zu uns führen.«

»Bis sie ihn auf Arsen testen und sich jemand fragt, warum ich kürzlich vierzig Kilo Äpfel gekauft habe. Noch bin ich nicht bereit für Mord.« Ich fahre auf den Parkplatz der Vorschule und lege auf, denn auf dem Gelände von St. Ignatius ist die Benutzung von Handys nicht erlaubt, und es ist die Art von Ort, an dem man sich an die Regeln hält, denn wir brauchen sie mehr, als sie uns brauchen. Ich weiß immer noch nicht, wie es Jeremy gelungen ist, hier einen Platz für die Zwillinge zu bekommen, sind wir hier doch so ziemlich die einzigen Eltern, die nicht selbst auf die St. Ignatius gegangen sind und es sich nicht leisten könnten, der Schule notfalls ein neues Stadion zu bauen. Jeremy kommt wenigstens aus einer reichen Familie, aber ich? Ich habe meine gesamte Kindheit damit verbracht, vom Wohnwagen eines Mannes in die Wohnung eines anderen zu ziehen, und jetzt – pleite und bald geschieden – passe ich nicht viel besser hierher.

Zum Glück sind die Gänge der Schule um diese Zeit leer. Ich eile zum Bereich der Nachmittagsbetreuung, wo Henry allein an einem Tisch sitzt und auf mich wartet. Mein Herz zieht sich bei diesem Anblick zusammen. Er spielt nie mit jemand anderem als Sophie, und ich habe gehofft, das würde sich ändern, aber sie haben fast ein ganzes Vorschuljahr hinter sich, und es ist nicht der Fall. Eines Tages wird Sophie weiterziehen – zu neuen Freunden, aufs College und in den Beruf. Wen wird Henry dann haben?

Beide Zwillinge rennen los, als sie mich sehen, aber Sophie, die gerade noch glücklich in der Spielküche beschäftigt war, ist empört. »Wo warst du?«, fragt sie. Wie meine Mutter lässt sie nie die Gelegenheit verstreichen, sich zu beschweren, aber bei ihr ist das gut so. Niemand schubst meine Mutter herum, und niemand wird Sophie je einen Zentimeter schubsen.

Ein wenig verlegen lächle ich die Lehrerin an, während ich die Kinder hinausmanövriere. »Ich musste arbeiten, Süße. Habe ich euch doch gesagt.«

»D-H-M-N-G«, verkündet sie.

Das ist ein Spiel, das ich mir letztes Jahr ausgedacht habe, um den Zwillingen mit dem Lernen der Buchstaben zu helfen. HDL steht für Hab dich lieb. ZFB heißt Zeit fürs Bett. Das habe ich größtenteils für Henry gemacht, der nicht die Leichtigkeit mit Worten hat wie Sophie und auch nicht ihre Liebe für Geschichten. Dennoch ist es Sophie, die dieses Spiel am häufigsten einsetzt, meistens um ihren Unmut kundzutun. Ihre heutige Aussage ist leicht zu entziffern, da ich irgendeine Version davon recht häufig höre.

»Das hat mir nicht gefallen?«, rate ich.

»Hat es nicht«, sagt sie. »Tut es immer noch nicht.«

Wäre es heute besser gelaufen, würde ich wahrscheinlich lachen. Doch mir fehlt momentan einfach die Kapazität fürs Lachen.

Ich wollte meinen Kindern alles geben, was meine Mutter mir nicht gegeben hat. Jetzt bin ich besorgt, dass ich ihnen sogar noch weniger geben werde.

Das Erstellen der Präsentation hatte den größten Teil meines Abends in Anspruch genommen, und ich hatte nur zwei Stunden Schlaf bekommen, als es am nächsten Morgen Zeit ist, die Zwillinge zu wecken. Caleb tat mir leid, als ich ihn gestern am späten Abend in seinem Truck nach Hause kommen sah – eingedenk seines Stresspegels nehme ich an, dass er gerade von der Arbeit kam –, aber ich tue mir selbst mehr leid. Als Sophie darüber jammert, wie unfair es ist, dass wir so früh aufstehen müssen, möchte ich ihr zustimmen.

Ich schaffe es, die Kinder in der Schule abzuliefern, dann eile ich an der stirnrunzelnden Empfangsdame Kayleigh vorbei und arbeite hektisch an meiner Präsentation, bis es Zeit ist, in den Konferenzraum zu gehen.

Als ich hereinkomme, fällt mir zuerst Caleb auf, der wie ein König am Ende des Tisches sitzt. Ein schöner König, mit schief sitzender Krawatte und einem rasierbedürftigen Kinn, der mir ein gezwungenes, widerwilliges Lächeln schenkt.

Nein, kein schöner König. Ein verheirateter König, der mich feuern will und vielleicht gleich wütend wird.

Und doch werde ich dieses Gefühl aus meiner Kindheit nicht los, diese Gewissheit, dass er mir gehört. Ich sollte besser bald herausfinden, wie ich es abschütteln kann.

»Willkommen, Lucie«, sagt Mark und deutet auf einen Typen in meinem Alter und auf eine ältere Frau. »Caleb kennst du ja schon. Debbie ist die Leiterin der Personalabteilung und Hunter ist unser Vizepräsident für den Vertrieb. Unsere Vorstandsmitglieder werden deine Präsentation online verfolgen, wir sind also bereit, wenn du es bist.«

Ich atme tief durch, während ich mich in den vorderen Teil des Raums begebe und mein Bestes tue, um die verschiedenen Geräusche zu ignorieren, die von den Videoteilnehmern kommen, die ich nicht sehen kann. Schweiß rinnt mir den Rücken hinunter, während sie mich dabei beobachten, wie ich versuche, meinen Laptop anzuschließen. Ich habe als Teenager an jedem Schönheitswettbewerb teilgenommen, bei dem es ein Stipendium zu gewinnen gab, also sollte es keine große Sache sein, vor drei Leuten aufzutreten, aber mein Kleid fühlt sich zu eng an, meine Absätze zu hoch, und ich habe nur einmal in meinem Leben ein Smartboard benutzt. Die Chancen, dass das gut geht, sinken von Sekunde zu Sekunde.

»Es ist nicht …«, murmle ich, erröte und klicke wieder und wieder auf den Verbindungsknopf.

Hunter kommt herüber, um zu helfen, Gott sei Dank.

»Ah«, sagt er nach einer Sekunde. »Das ist nicht Ihre Schuld. Der Konferenzraum ist an ein anderes Netzwerk angeschlossen, und der Laptop, den Sie bekommen haben, ist uralt. Hier.«

Mit zwei Mausklicks erscheint meine Präsentation auf dem Board, und ich strahle ihn an, als wäre er eine Krankenschwester, die mir zum ersten Mal meine Neugeborenen reicht. »Danke.«

»Können wir dann loslegen?«, fragt Caleb. »Wir haben heute noch sehr viel zu besprechen.«

Ich starre ihn an. Was zur Hölle ist mit dem unendlich süßen Jungen passiert, der als Kind so freundlich zu mir war, so geduldig? Denn von ihm ist nichts mehr da.

»Meine Idee ist eine Walk-Challenge«, fange ich an, und Calebs Blick wird schmal. »Dafür bilden die Angestellten Teams und treten gegeneinander an, um die größte Kilometeranzahl anzusammeln. Das ist natürlich gut für die Gesundheit, aber es macht außerdem Spaß und fördert ein wenig freundschaftliche Rivalität zwischen den Abteilungen.«

Eine körperlose Stimme – von einem der Vorstandsmitglieder, nehme ich an – sagt: »Was für eine wunderbare Idee.«

Caleb sieht das eindeutig anders. »Ich verstehe nicht, warum irgendjemand da mitmachen würde«, sagt er mit finsterem Blick.

Ich mache mit der nächsten Folie weiter. Wenn er die Idee jetzt schon hasst, wird er sie gleich noch mehr hassen. »Preise. Das Gewinnerteam würde eine Party und einen zusätzlichen freien Tag bekommen, aber es gäbe auch gestaffelte Anreize wie einen Hauptgewinn für die Person mit den meisten Kilometern. Eine Reise für zwei, wobei Hotel und Flug von TSG bezahlt würden.«

»Herrgott«, stöhnt er und geht bei seinen nächsten Worten zum förmlichen Sie über. »Haben Sie eine Ahnung, wie viel das kosten würde?«

Hätte ich mehr Schlaf abbekommen, dann würde ich seine Kritik bestimmt besser verkraften. Doch das habe ich nicht, und er verhält sich wie ein Arsch. Meine Tante war eine gnadenlose Kritikerin jedes Plans, der ihr vorgestellt wurde, und selbst sie war nicht so schlimm. »Nun, laut der Reiserichtlinien des Unternehmens«, entgegne ich gereizt, »werden bei Geschäftsreisen von Angestellten die dabei angesammelten Meilen der Firma zugeschrieben, also könnte man diese benutzen, um sowohl die Reise als auch das Hotel zu bezahlen.«

Caleb klappert mit einem Stift auf den Tisch. »Was wären die anderen Preise?«

Ich klicke zur nächsten Folie und kämpfe gegen das wachsende Gefühl an, schrecklich versagt zu haben. »Gutscheine für Restaurants – solche Dinge eben. Insgesamt würden diese Preise die Firma sehr wenig kosten, wenn man die Ausgaben mit dem immateriellen Geschäftswert vergleicht.«

Caleb schiebt sich vom Tisch weg. »Hören Sie mal, der ganze Sinn dahinter ist, unsere Angestellten zu behalten, nicht den Geschäftswert zu steigern. Glauben Sie wirklich, dass Sie alle an ihrem Arbeitsplatz halten können, weil sie eine Chance auf einen Preis haben, der bei einem Viertel eines Prozents liegt?«

Ich bin zu verärgert für Diplomatie. »Alle? Nein. Ich gehe davon aus, dass mindestens fünf Personen im Gebäude bereits eine neue Stelle angenommen und nur noch nicht gekündigt haben. Aber wenn Sie mich fragen, ob es funktioniert, muss ich nur zeigen, dass weniger Leute gehen, oder nicht?«

Von den Videoteilnehmern kommt leises Lachen, doch meine ganze Aufmerksamkeit gilt Caleb, der mich unter seinen dunklen Augenbrauen unheilverkündend anstarrt. So ein schönes Gesicht verschwendet an so einen lästigen Mann.

Sein Blick wandert von mir zum Smartboard. »Es kann unmöglich sein, dass Sie so schnell selbst auf diese Idee gekommen sind.«

»BP hat etwas Ähnliches gemacht.« Etwas sehr, sehr Ähnliches. Ich schenke ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Ich kann kreativere Ideen erbringen, aber nicht innerhalb von nur vierundzwanzig Stunden.«

»Wunderbare Arbeit, Lucie«, sagt ein Videoteilnehmer irgendwo. »Sie sind genau das, was wir brauchen.«

»Ja, Miss Monroe«, knurrt Caleb. »Danke für Ihren hilfreichen Beitrag.«

Ich starre ihn an. Das ist der Mann, zu dem ich mir ein Jahrzehnt meines Lebens Fantasien erschaffen habe, Fantasien, in denen ich irgendwie meinen Wert unter Beweis gestellt habe. Ich wollte ihn retten – wie Belle das Biest gerettet hat und Mulan ihren Shang –, denn wie sonst sollte ein Mädchen, das niemand will, den Jungen für sich gewinnen, den alle lieben?

Ich hätte mich mehr darauf konzentrieren sollen, wie ich mich selbst retten könnte.

4

Caleb

Der Blick, mit dem Mark mich bedenkt, als er mein Büro betritt, stellt dieselbe Frage, die er so oft stellt: Warum?

Warum hast du die Feiertagsparty abgesagt?

Warum können die Angestellten ihre Flugmeilen nicht behalten?

Warum hast du die sechste Etage geschlossen?

Er lässt sich auf den Stuhl vor meinem Schreibtisch sinken. »Warum warst du heute Morgen so unhöflich zu Lucie?«

Weil ich dachte, dass sie die Aufgabe verstanden hat, was ganz eindeutig nicht der Fall ist.

Mit einem Seufzen klappe ich meinen Laptop zu. »Ich habe eine Handvoll absolut angemessener Fragen zu einem Programm gestellt, das uns wesentlich mehr kosten wird, als sie uns weismachen will. Die bessere Frage ist: Warum hast du sie überhaupt eingestellt? Sie wusste nicht mal, wie man mit einem verdammten Smartboard umgeht.«

»Mir hat ihr Enthusiasmus gefallen.«

Ich verdrehe die Augen. »Klar. Ich wette, eine Menge Männern gefällt ihr ›Enthusiasmus‹. Hunter war so hingerissen von ihrem ›Enthusiasmus‹, dass er heute kaum noch arbeiten konnte.« Er hat einen verdammten MBA von Harvard, und sie hat innerhalb weniger Sekunden einen liebestollen Teenager aus ihm gemacht. Wenn er sie am Samstagabend gesehen hätte – unendlich viel nackte Haut, feste Brustwarzen unter einem nassen Top –, dann hätte er ihr einen Blankoscheck ausgestellt.

Mark fährt sich mit der Zunge über die Zähne und ringt mit seiner Geduld. »Caleb, sie hat einen hervorragenden Job geleistet, und du warst die ganze Zeit über schon fast unverschämt.«

»Es macht mir keinen besonderen Spaß, Menschen kennenzulernen, die bald ehemalige Angestellte sein werden, vor allem dann nicht, wenn sie neben mir wohnen. Und wir wissen beide, dass sie nicht lange bleibt. Ich habe dir gesagt, dass ich die Stelle nur für drei Monate freigebe, und du hast sie glauben lassen, es wäre was Dauerhaftes. Das geht auf deine Kappe.«

»Ich habe ihr eine dauerhafte Stelle angeboten, weil es eine sein sollte, und ich habe angenommen, dass du zur Vernunft kommen würdest.« Er steht auf. »Basierend auf dem, was sie heute geleistet hat, solltest du das bereits sein.«

Da kann ich nicht mal etwas einwenden. Sie hat es total gerockt, aber das ändert nichts. Sie kann trotzdem nicht bleiben.

Kurze Zeit später besuche ich die Bar eines Freundes. Ich würde das wöchentliche Treffen lieber ausfallen lassen, doch ich war wochenlang nicht in der Stadt, und es ist einfacher, es hinter mich zu bringen, als den Rest der Woche von meinen Freunden mit Anrufen genervt zu werden.

Als ich dann dort bin und ein Bier vor mir stehen habe, bin ich froh, gekommen zu sein … bis Harrison uns erzählt, dass sein Dad das Strandhaus zum Verkauf freigibt.

Dieses Haus war ein wesentlicher Bestandteil unserer Jugend, der Ort, an dem wir von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang surfen waren und uns eingebildet haben, der nächste Kelly Slater oder der nächste Andy Irons zu sein. Ich dachte, dort würden wir unseren Kindern und Enkelkindern das Surfen beibringen, aber Fakt ist, dass wir alle es gemieden hatten, seit unser Freund Danny während eines Trips zu Collegezeiten dort ums Leben gekommen ist.

»Bist du nach dem Wochenende damals je wieder hingefahren?«, frage ich Harrison.

Er schüttelt den Kopf. »Ich hatte es vor. Es war nur …«

Wir wissen alle, was er meint.

»An dem Wochenende fing alles an, auseinanderzufallen«, sagt Liam. »Es ist, als wären wir verdammt noch mal verflucht worden.«

Niemand von uns widerspricht. Wir alle hatten damals so eine vielversprechende Zukunft, doch nach Dannys Tod … sind wir dahingewelkt. Vielleicht ist das Erwachsenwerden für alle so, aber das habe ich damals nicht kommen sehen, als Liam und Beck die Sportstars an der Gloucester Prep waren und Harrison und ich um den Platz des Jahrgangsbesten gewetteifert haben.

»Vielleicht sollten wir zum Surfen hinfahren, ein letztes Mal, bevor es verkauft wird«, fügt Beck hinzu. »Um den Fluch zu brechen.«

Liam wirft einen argwöhnischen Blick in die Ecke der Bar, wo einige Frauen beisammenstehen – und ihn mürrisch ansehen. »Ich bin nicht sicher, ob ich dafür noch lange genug lebe.«

Harrison greift nach dem Pitcher. »Dieses Problem hättest du nicht, wenn du mal etwas suchen würdest, was länger als zwei Minuten anhält.«

»Zwei Minuten? Kein Wunder, dass deine Frau so unglücklich aussieht«, entgegnet Liam, was lustiger wäre, wenn es nicht wahr wäre. »Allerdings glaube ich, dass ich endlich für was Festes bereit bin, jetzt, da ich Calebs heiße neue Nachbarin gesehen habe.«

Geräuschvoll stelle ich mein Bier ab. »Sie hat Kinder und macht gerade eine Scheidung durch, also lass sie in Ruhe.«

»Ich habe nur ›sie lässt sich scheiden‹ gehört«, sagt Liam. »War da noch was?«

Harrison lacht leise, als er sich zu mir dreht. »Welche Nachbarin? Ich dachte, du bist der Einzige, der ein Haus am nördlichen Ende des Sees kaufen würde. Kein einziges Gebäude dort wurde nach 1950 gebaut.«

»Keine Ahnung, wer sie ist.« Dass sie Robert Underwoods Tochter ist, ist nicht öffentlich bekannt, und ich werde ganz sicher nicht kundtun, dass sie für mich arbeitet. Das ist eine Situation, die ich schnellstmöglich zu ändern gedenke. »Sie ist nebenan eingezogen.«

Beck lehnt sich ganz an den Rand der Bar. »Warum bist du nicht interessiert, wenn sie so attraktiv ist? Ich meine, hast du mit irgendwem geschlafen, seitdem Kate weg ist?«

Wenn ich ihm sage, dass es ihn nichts angeht, sieht es aus, als hätte ich etwas zu verbergen. Und das habe ich ganz eindeutig nicht. »Natürlich nicht. Sie hat viel durchgemacht. Ich versuche nur, das Richtige zu tun.«

Harrison sieht kurz die anderen an, bevor er sich räuspert. »Sie ist seit fast einem Jahr weg, Caleb. Du hast lange genug gewartet.«

Ich sehe zwischen ihnen hin und her und habe das Gefühl, das Ganze war schon im Voraus geplant. Eine Intervention für den Typen, der sich einfach nicht abnabeln will. Wenn sie Kate und mich betrachten, sehen sie in mir das Opfer, doch wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich einen Bösewicht.

Denn alles, was mit Kate falsch gelaufen ist, hat mit dem angefangen, was mit mir falsch war.

5

Lucie

Nur Sekunden, nachdem ich mich heute Morgen angezogen habe, leuchtet der Name meiner Mutter auf meinem Handybildschirm auf. Anrufe von ihr sind selten und Besuche sogar noch seltener. Dieser Mangel an Regelmäßigkeit passt mir sehr gut: Ich möchte nicht, dass meine Kinder von den gleichen falschen Versprechen eingelullt werden, die sie mir damals gegeben hat.

»Ich kann nicht glauben, dass ich es von Jeremy hören musste«, sagt sie. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«

Ihre Reaktion ist keine Überraschung – sie hat ihr ganzes Leben damit zugebracht, ein goldenes Ticket zu finden, was sie fälschlicherweise glaubte gefunden zu haben, als sie von meinem Vater geschwängert worden war. Das Einzige, was ich ihrer Meinung nach jemals richtig gemacht habe, war, Jeremy zu heiraten, und nun werfe ich es weg.

Ich gehe in die Küche und hole Eier heraus, während sie weiterredet.

»Du hast Kinder zu ernähren, Lucie. Oder hast du gedacht, deine Erfahrung in Schönheitswettbewerben und ein Abschluss, den du nie genutzt hast, würden dich dafür qualifizieren, die Welt zu erobern?«

Ich greife nach den Streichhölzern. Meine Tante war sparsam gewesen und hatte sich geweigert, irgendjemandes Hilfe anzunehmen, einschließlich die meines Vaters. Jetzt, da ich den Herd per Hand anzünden muss, wünschte ich mir, sie hätte nur ein wenig Hilfe angenommen. »Ich habe einen Job. Ich bin die Leiterin der Mitarbeiterprogramme einer Softwarefirma.«

»Kein Job, für den du qualifiziert bist, wird das Geld reinbringen, das Jeremy verdient. Dir ist schon klar, dass du die Mitgliedschaft beim Country Club, den Skiurlaub am Tahoe und die Weihnachtsausflüge nach Palm Springs dann vergessen kannst, oder?«

Ich öffne eine Hängeschranktür, und das ganze Ding fällt von den Scharnieren. »Das alles war mir ohnehin nie wichtig.« Ich habe das große seelenlose Haus gehasst, das Jeremy ausgesucht hat, ohne mich zu fragen. Ich habe die Ausflüge gehasst, zu denen er uns mitgenommen hat, auf denen wir ständig herumgezerrt wurden, damit uns die richtigen Leute sehen und damit er ausnahmsweise seine Vaterrolle ausfüllen konnte, während er Publikum hatte.

»Klar, das ist leicht zu sagen, bis dir bewusst wird, wie es ist, ohne das alles zu leben. Und deinen Kindern haben die Annehmlichkeiten vielleicht gefallen, die dich angeblich nicht interessieren. Aber egal. Ich hoffe nur, dass du nicht glaubst, ich würde dir helfen, wenn alles den Bach runtergeht.«

Ich lache leise und verbittert. »Keine Angst, Mom. Ich habe keine Minute lang geglaubt, dass du uns helfen würdest.« Sie macht keinen Finger für irgendjemanden außer sich selbst krumm, was zweifellos auch der Grund war, warum meine Tante das Haus in ihrem Testament für mich in treuhänderische Verwaltung gegeben hat, bis ich erwachsen war – damit es außerhalb der Reichweite meiner Mutter blieb.

»Du hältst dich für so schlau, Lucie, aber merk dir meine Worte: Du wirst bereuen, was du gerade tust.«

Ach was, Mom. Ich bin erst seit fünf Tagen weg und jetzt schon voller Reue.

Ich beende den Anruf und beeile mich, die Kinder für die Vorschule fertig zu machen. Den ganzen Weg dorthin jammert Sophie darüber, dass sie zur Nachmittagsbetreuung müssen, und Henry ist ungewöhnlich still und starrt aus dem Fenster. Sie sagen kaum ein Wort, als sie in ihren Klassenraum gehen, und mein Handy vibriert bereits vor einkommender Nachrichten von Jeremy. Die schickt er mir jeden Morgen, um mir den Tag zu ruinieren.

Jeremy: Deine Mom hat mir von deinem Job erzählt. Du konntest nicht mal daran denken, Toilettenpapier zu kaufen, also hoffe ich, dass sie wenig von dir erwarten.

Das ist sein Spezialgebiet: einen Fehler von mir auszugraben und ihn mir endlos unter die Nase zu reiben. Und es ist schwer zu widersprechen, wenn ich meine Kinder traurig in der Schule zurücklasse, fast keinen Sprit mehr habe und heute möglicherweise meinen Job verliere. Es ist noch nicht ganz acht Uhr morgens, und ich will jetzt schon aufgeben.

Aus dem letzten Loch pfeifend komme ich bei der Arbeit an und lächle Kayleigh an, als ich eintrete. Sie sieht mich ausdruckslos an, als sei ich ein Geist oder vielleicht auch einfach eine Mitarbeiterin, von der sie weiß, dass sie morgen nicht mehr kommen wird.

Reiß das Ruder rum, Lucie, befehle ich mir, als ich zu meinem Schreibtisch gehe. Ja, es sieht schlecht aus, und deine Mutter hat sich auf die Seite deines betrügenden Ehemanns geschlagen, aber … reiß das Ruder rum.

Das sage ich mir immer noch, als ich meinen Laptop öffne und eine E-Mail von Caleb vorfinde:

Komm zu mir, sobald du da bist.

Keine Grußformel, keine Signatur. Das ist die Art von E-Mail, die man jemandem schickt, der es so richtig in den Sand gesetzt hat oder im Begriff ist, gefeuert zu werden, und jeglicher Hauch von Entschlossenheit, den ich gerade noch besessen habe, verlässt mich. Langsam stehe ich von meinem Stuhl auf und zwinge mich, einen Schritt nach dem nächsten zu machen. Ich habe gestern Abend online nach Jobs gesucht, war aber zu müde, um Bewerbungen abzuschicken. Was ich wohl besser hätte tun sollen, so wie die Dinge jetzt liegen.

Das Klingelzeichen meines Handys ertönt in dem Moment, in dem ich Calebs Tür erreiche. Das ist sicher Jeremy, der mir mitteilt, dass ich dumm bin oder mein gutes Aussehen verliere. Doch was es auch ist, ich habe nicht mehr die Energie zu kämpfen. Meine Mutter, Jeremy, Caleb – ich ergebe mich einem oder gleich allen von ihnen.

Ich betrete Calebs Büro, und sein Blick wandert von Kopf bis Fuß über mich, bevor er schluckt und wegschaut.

Na los, Caleb, feuere mich. Ich gebe auf.

»Ich bewillige die Walk-Challenge«, sagt er.

Was?

Es ist schon schockierend genug, dass ich nicht hier bin, um gefeuert zu werden, aber gefiel ihm meine Idee etwa auch noch? Ich richte mich auf. »Das –«

»Bereite bis Freitag alles vor, um sie dem Exekutivausschuss vorzustellen, und ich brauche ein paar Ergebnisse für ein Interview nächste Woche.«

Ich erstarre. Ergebnisse? Er verlangt zu viel. Ich muss Molly darauf ansetzen, die Software zu entwickeln, die die Kilometer trackt. Ich muss die Preise vorbereiten, muss mir überlegen, wie zum Teufel ich die Teams zusammenstellen soll, wenn die Mitarbeitenden scharenweise gehen, und wie ich die Challenge der ganzen verdammten Firma schmackhaft machen kann. Selbst mit einem eigenen Team könnte ich innerhalb einer Woche keine Ergebnisse liefern.

Und doch … tut das der Aufregung darüber, dass ich bei etwas Erfolg hatte, keinen Abbruch. Und ich will, dass er es zugibt, da er sich gestern wie ein Arschloch verhalten hat. »Also warst du beeindruckt?«

Er schiebt einen Ordner vor sich auf dem Tisch zur Seite und seufzt. »Das war die Entscheidung des Vorstands, nicht meine. Ich dachte, du hättest deine Aufgabe verstanden, die darin bestand, nicht mit etwas zu kommen, das sie umhaut.«

Wäre er ein Fremder, würde mich dieses Gespräch vielleicht einschüchtern. Möglicherweise würde ich mich entschuldigen. Doch das war derselbe Junge, der Wuuhuu geschrien hat, während er auf das Wasser zugerannt ist, derselbe Junge, der im Wasser auf einem Schwimmreifen stand und sich wie ein Affe auf die Brust schlug, bis seine Freunde ihn zum Kentern brachten. Derselbe Junge, der durchweg freundlich zu mir war an einem Punkt in meinem Leben, wo das sonst niemand war. Er macht mir keine Angst, auch wenn er das sollte.

Ich grinse. »Das klingt immer noch, als wärst du beeindruckt.«

Er winkt ab, doch der Hauch eines Lächelns zeigt sich an seinen Mundwinkeln. »Du bist ein Quälgeist. Jetzt geh und stell dein verdammtes, teures Programm zusammen, das wir nicht brauchen.«

»Nur zu gerne.«

Sein Nicht-ganz-Lächeln verschwindet. »Lucie, das ändert nichts. Es passieren Dinge im Unternehmen, über die ich nicht sprechen kann, aber … wir müssen alles so straff wie möglich halten. Also, egal wie sehr dem Vorstand deine dumme kleine Walk-Challenge auch gefallen mag, in drei Monaten wirst du einen neuen Job brauchen.«

Nur dass er mir vor achtundvierzig Stunden noch gesagt hat, dass ich zwei Wochen hätte. Jetzt habe ich potenziell Monate.

Drei Monate sind genug, um mein ganzes Leben umzukrempeln.

Am Mittwochabend bin ich wieder lange auf und arbeite an der Webseite für die Walk-Challenge. Als Kind war es irgendwie doof, den ganzen Sommer über neben Ruth zu sitzen und die Aufgaben zu erledigen, die sie mir auftrug – vor allem, als ich alt genug war, um mitzubekommen, wie meine Halbgeschwister ihre Sommer verbrachten, und zwar vor allem mit Europaurlauben und weniger mit: »Du musst im Haus bleiben, damit niemand dich sieht und vermuten könnte, dass du Robert Underwoods uneheliches Kind bist.«