The Worst Kind of Perfect - Kim Leopold - E-Book

The Worst Kind of Perfect E-Book

Kim Leopold

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Beschreibung

Wenn das Leben zu groß für die Liebe wird … Curvy Model Gabriella steht kurz vor der Erfüllung ihres großen Traums: dem Launch ihrer ersten eigenen Dessous-Kollektion! Dass sie dieses Ziel ohne den Einsatz ihres Mannes Lio, mit dem sie schon seit Jahren glücklich verheiratet ist, nie erreicht hätte, ist ihr absolut bewusst. Und so ist es für Gabriella selbstverständlich, Lio nun ihrerseits zu unterstützen, als er die Chance bekommt, seine Karriere als professioneller Freerunner voranzutreiben. Doch die gemeinsame Zeit wird schnell immer knapper, und ihr Leben gerät aus der Balance. Schon bald sehen sie sich einer ganz neuen Herausforderung entgegen: Können sie ihre große Liebe und ihre Beziehung retten, ohne ihre eigenen Träume aus den Augen zu verlieren? »Wichtige Themen, eine authentische Protagonistin, die viele Leserinnen inspirieren wird, und ganz viel Gefühl! Kim Leopold hat wieder gezaubert!« - SPIEGEL-Bestsellerautorin Carina Schnell »Die berührende Geschichte von Gabriella und Lio erzählt von der Herausforderung, eigene Träume zu verfolgen, ohne die große Liebe auf der Reise dabei zu verlieren. Hoffnungsvoll, nachdenklich, einfühlsam – unbedingt lesen!« - SPIEGEL-Bestsellerautorin Jella Benks »Ein absolut bewegendes und emotionales Lesehighlight! ›The Worst Kind of Perfect‹ wird dich mit zwei starken Persönlichkeiten einnehmen, mitreißen, auffangen und daran erinnern, dass du dich so lieben darfst, wie du bist und du jede Herausforderung mit den richtigen Menschen an deiner Seite überwinden kannst!« - Angelique von @readworlds »Ein unglaublich ehrlicher und berührender New Adult Roman für alle, die erfahren möchten, was nach dem (ersten) Happy End kommt.« - Sonja von @chiyo_reads »Ein mitreißender Kampf zwischen Herz und Verstand: Gabriella und Lio stehen vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens – die eigenen Träume oder die große Liebe? Eine zutiefst bewegende Geschichte: intensiv, gefühlvoll und voller Sehnsucht. Unvergesslich!« - Roxy von @roxyspodcast »Ein absolutes Must-read!« - Krissi von @hanging_in_books »Das Buch hat mir gezeigt, dass es manchmal nicht das Schwierigste ist, sich zu verlieben, sondern zu bleiben, wenn es wehtut. Kim ist meine Emotionsqueen!« - Melissa von @buch.ueberkopf

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2025

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Redaktion: Judith Benkhäuser

Illustrationen: © Kim Leopold, unter Verwendung von Stockmaterial von www.creativemartket.de (xenipie)

Dieses Werk wurde vermittelt durch Langenbuch & Weiß Literaturagentur.

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Playlist

Widmung

The bad boy got the girl

April

Kapitel 1

Gabriella

Kapitel 2

Gabriella

Kapitel 3

Lio

Kapitel 4

Lio

Kapitel 5

Gabriella

Kapitel 6

Gabriella

Kapitel 7

Lio

Kapitel 8

Lio

Kapitel 9

Lio

Kapitel 10

Gabriella

Kapitel 11

Lio

Kapitel 12

Gabriella

Kapitel 13

Lio

Kapitel 14

Lio

Mai

Kapitel 15

Lio

Kapitel 16

Gabriella

Kapitel 17

Lio

Kapitel 18

Gabriella

Kapitel 19

Lio

Kapitel 20

Gabriella

Kapitel 21

Lio

Kapitel 22

Gabriella

Kapitel 23

Gabriella

Juni

Kapitel 24

Gabriella

Kapitel 25

Gabriella

Kapitel 26

Lio

Kapitel 27

Lio

Kapitel 28

Gabriella

Kapitel 29

Lio

Kapitel 30

Gabriella

Kapitel 31

Lio

Kapitel 32

Lio

Juli

Kapitel 33

Gabriella

Kapitel 34

Lio

Kapitel 35

Gabriella

Kapitel 36

Lio

Kapitel 37

Lio

Kapitel 38

Gabriella

Kapitel 39

Lio

Kapitel 40

Gabriella

Kapitel 41

Lio

August

Kapitel 42

Gabriella

Kapitel 43

Lio

Kapitel 44

Gabriella

Kapitel 45

Lio

Kapitel 46

Gabriella

Kapitel 47

Lio

Kapitel 48

Gabriella

Kapitel 49

Lio

Kapitel 50

Gabriella

Kapitel 51

Lio

Kapitel 52

Lio

Kapitel 53

Lio

Kapitel 54

Gabriella

Kapitel 55

Lio

Kapitel 56

Gabriella

Kapitel 57

Lio

Kapitel 58

Gabriella

Epilog

Gabriella und Lio

September, ein Jahr später

Nachwort

Contentwarnung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Playlist

Ryan Mack – Forever and Ever and Always

NEFFEX – Grateful

Chanin – Soulmate

Elley Duhé – Middle of the Night

Dermot Kennedy – Kiss Me

Taylor Swift – Cruel Summer

Mackenzy Mackay – Selfish

Ruelle – War of Hearts

Dermot Kennedy – Don’t Forget Me

Flora Cash – You’re Somebody Else

Tate McRae – She’s All I Wanna Be

Malik Harris – Dreamer

Wild Rivers, Wrabel – Thinking ’Bout Love

Dermot Kennedy – Something to Someone

Hozier – Work Song

Sia – Elastic Heart

Ruelle – The Other Side

Clinton Kane – One More Day With You

Widmung

Den Frauen gewidmet, die sich zu viel, zu laut, zu wild fühlen. Denen, die lieben, sich der Liebe anderer aber nicht würdig fühlen. Denen, die tief in ihrem Herzen denken, dass sie niemals genug sein werden.

Das Leben ist zu kurz, um im Krieg mit dir selbst zu sein.

Außerdem:

Meinem Mann gewidmet.

Damit er nach diesem Buch nicht so viele Fragen gestellt bekommt, hier die wichtigsten Antworten:

Ja, bin ich.

Nein, wollte er nie.

Inspiriert von uns? Du unartiger Schlingel!

😉

Ich bitte dich. Da ist er wie Lio.

The bad boy got the girl

Wir lieben sie alle, diese Geschichten, in denen der Bad Boy das Mädchen erobert und mit ihr in den Sonnenuntergang fährt (auf dem Motorrad natürlich!).

Was aber kommt danach? Bleiben sie zusammen? Heiraten sie? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? Welche Tiefpunkte meistern?

Gabriella und Lio hatten bereits das, was wir Bücherwürmer als Happy Ending bezeichnen würden: eine Jugendliebe trotz aller Widrigkeiten, ein Loslösen von schmerzenden Erinnerungen und zum krönenden Abschluss eine Hochzeit in Weiß.

Doch einige Wunden sind zu tief, um sie einfach zu vergessen. Sie brauchen Zeit und Veränderung, um zu heilen. Aber manchmal treibt Veränderung voneinander weg, statt zueinander hin. Was bleibt, ist all das Unausgesprochene, Schmerzhafte – und das lässt Menschen oft genug verletzende Dinge tun.

Bitte hab Geduld mit Gabriella und Lio und stell dich darauf ein, dass dieses Buch nicht nur die schönen Momente zeigt, sondern auch die hässlichen. Wenn du lieber zuckersüße Liebesgeschichten mit fehlerfreien Protagonist:innen liest, bist du hier falsch.

Mit diesem Buch bekommst du etwas anderes.

Etwas Echtes.

Etwas, vor dem wir uns alle nicht verstecken können.

Und ich wünsche mir von Herzen, dass dir Gabriellas und Lios Reise dabei hilft, eine neue Perspektive auf die Liebe zu gewinnen.

Bitte beachte außerdem unbedingt die Inhaltswarnung auf Seite ((XYZ)) und entscheide eigenverantwortlich, ob du dieses Buch lesen möchtest.

Herzlichst,

Kim

April

Kapitel 1

Gabriella

Diesen Kampf hatte ich bereits verloren, bevor ich den Konferenzraum von Giulietta überhaupt betreten konnte. Ich sah es an den irritierten Blicken der Angestellten. An den fast spöttisch hochgezogenen Brauen der Assistentin, die mir im Wartebereich einen Caffè Doppio angeboten hatte. Und ich erkannte es an den Konzeptzeichnungen, die jemand – vermutlich Giulio Ferrante höchstpersönlich – mit Markern eingefärbt und schwarz gerahmt hatte. Hervorstechende Schultern, Taillen, die aussahen, als hätte man einen Teil der Organe und womöglich auch ein paar Rippenbögen entfernt, Beine, ewig lang und so dünn wie Streichhölzer. Das waren keine realen schlanken Menschen, das waren Karikaturen, groteske Figuren, denen Ferrante die schönsten Kleidungsstücke Italiens an den Körper gezeichnet hatte.

Wieso hat mich dieser Mann überhaupt eingeladen?, hatte ich mich erneut gefragt, während der Caffè seinen bitteren Geschmack auf meiner Zunge hinterlassen hatte.

Als Giulietta vor einem guten halben Jahr angekündigt hatte, sie würden ihre Konfektionsgrößen erweitern, um Mode für alle Frauen zu machen, hatte ich meine Chance auf eine Zusammenarbeit gewittert, doch allmählich dämmerte mir, dass es in dieser Pressemitteilung nicht um echte große Größen gegangen war, sondern nur um PR. Jemand, der solche Modezeichnungen anfertigte, interessierte sich nicht dafür, wie seine Outfits an einem Körper wie meinem aussahen.

Doch da war es bereits zu spät gewesen, um zurückzurudern. Also hatte ich tief durchgeatmet, war der Assistentin in den Konferenzraum gefolgt und hatte mit zitternden Händen meinen Laptop an den Beamer angeschlossen, um meine Dessous-Kollektion zu präsentieren.

Stundenlang hatten Lio und ich diesen Moment vorbereitet. Erst hatte er Bilder und Videos von mir aufgenommen, und dann – während ich die Muster und Zeichnungen für meine Kollektion perfektioniert hatte – hatte er ewig über den Slides gesessen und Buchstaben und Fotos animiert, bis die Präsentation beinahe an das Intro eines Kinofilms erinnerte.

Lio besaß so ein verdammtes Talent dafür, mich im besten Licht zu präsentieren – und auch ich hatte mich dank stundenlanger Proben vor dem Spiegel gut auf diesen Termin vorbereitet gefühlt. Wenn ich eins konnte, war es, andere von meinen wildesten Träumen zu überzeugen.

Doch Giulio Ferrante wollte nicht überzeugt werden.

Mit verschränkten Armen vor der hageren Brust saß er da und lehnte sich abschätzig zurück. Seine Augen erinnerten mich an das Wasser im Tiber, dunkel, unergründlich.

Im Tiber würde ich um nichts in der Welt baden.

»Das sind interessante Entwürfe, die Sie uns da mitgebracht haben, Signorina.« Sein Blick glitt demonstrativ an meinem Körper herab, um mich ein weiteres Mal daran zu erinnern, dass ich nicht in die Norm passte, die er und viele weitere für diese Welt geschaffen hatten. Dabei trug ich mein Lieblingskleidungsstück, einen roten, wadenlangen Faltenrock, der mir normalerweise das Gefühl gab, unbezwingbar zu sein. Heute hingegen fühlte er sich an wie ein neonfarbenes Warnschild.

Achtung, diese Frau ist alles, was Giulietta nicht verkörpert!

»Grazie«, brachte ich über die Lippen, obwohl ich ahnte, dass er »interessant« nicht als Kompliment meinte. Dabei wusste ich, dass die Entwürfe für meine Dessous gut waren, verdammt gut sogar, und noch dazu für beinahe jeden Körper gemacht. Ferrante wusste das auch, sonst hätte er mich nicht eingeladen, doch woran genau störte er sich? An mir?

»Ich frage mich jedoch, wieso Sie ausgerechnet mit Giulietta zusammenarbeiten wollen.«

Überdeutlich spürte ich die ersten Schweißtropfen auf meiner Stirn, und die Luft im Konferenzraum wurde immer knapper, während ich versuchte, weiterhin Selbstsicherheit vorzutäuschen. Dabei machte mich die aufkeimende Panik für einen Moment sprachlos. Auch die restlichen Anwesenden wagten es nicht, das Wort zu erheben, sondern blickten betroffen auf ihre leeren Notizblöcke.

Vermutlich sagt das bedrückte Schweigen in diesem Raum mehr über ihn aus als über mich und meine Arbeit, schoss es mir durch den Kopf. Warum war ich mit den Entwürfen für meine erste Dessous-Kollektion noch gleich an ihn herangetreten?

»Sie sind ein Vorreiter Italiens, was Mode angeht, und noch dazu eine große Inspiration für mich.« Was ich vor wenigen Stunden noch geglaubt hatte, schmeckte nun wie Säure auf meiner Zunge. »Als Sie vor ein paar Monaten die Pressemitteilung über die Änderung der Konfektionsgrößen herausgegeben haben, habe ich das als Zeichen gesehen. Diese Entwürfe zu realisieren und in Ihren Geschäften hängen zu sehen, damit würde ein großer Traum für mich in Erfüllung gehen – und Sie, Signor Ferrante, würden nicht nur durch die Erweiterung Ihrer Konfektionsgrößen, sondern auch durch meine Fangemeinde eine ganz neue Kundschaft erschließen.«

Er lachte trocken auf. »Signorina, ich bin nun seit über vierzig Jahren in dieser Branche tätig und kann Ihnen versichern, dass das, was online geschieht, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Sie mögen vielleicht eine dieser neumodischen Influencerinnen sein, aber das macht Sie weder zu einer Modedesignerin noch zu einer Geschäftsfrau.«

Eine Woge der Wut überrollte mich. Mit wenigen Worten machte er all die Jahre, in denen ich BRIELLA aufgebaut hatte, klein. Und nicht nur das: Auch für die Chance auf ein Gespräch mit ihm hatte ich mir den Arsch aufgerissen, hatte monatelang Entwürfe gezeichnet, Schnittmuster erstellt und Stoffe rausgesucht, auf die ich teilweise Wochen hatte warten müssen. In der Zwischenzeit hatte ich zwei neue Nähmaschinen angeschafft und mit Lauretta eine weitere Stelle in meinem Team besetzt. Zusammen hatten wir gearbeitet, bis unsere Finger wund waren, und selbst dann hatte ich nicht aufgehört. Ich war wie besessen gewesen, nachdem ich den Termin bei Giulietta bekommen hatte, denn da wusste ich, dass meine Arbeit etwas wert war.

Dass ich etwas wert war.

Aber nun bekam dieses sowieso schon wacklige Konstrukt bedrohliche Risse.

Ich war nicht gut darin, zu scheitern, denn Scheitern bedeutete, zugeben zu müssen, dass ich zu hoch gegriffen hatte. Dass ich beim Mond landen wollte, aber nicht einmal die Sterne in greifbare Nähe gerückt waren. Dass ich meinem Team, meinen Freundinnen, meinem Mann monatelang unnötigen Stress gemacht hatte, weil ich von der wahnwitzigen Hoffnung überzeugt gewesen war, meine Dessous könnten ganz groß rauskommen.

»Wenn Sie mir vorhin zugehört hätten, wüssten Sie, dass BRIELLA kein TikTok-Tanz-Account ist, sondern ein Unternehmen mit Management, drei Mitarbeitenden und einem mittleren sechsstelligen Umsatz.« Ich sprang in der Slideshow an die Stelle zurück, die Lio gestern noch mit den aktuellen Zahlen meines kleinen Imperiums gefüllt hatte. BRIELLA mochte für Ferrante vielleicht neumodischer Quatsch sein, doch für mich waren diese Zahlen eine Bestätigung dafür, was allein mit Willenskraft und Kreativität möglich war. »Aber darum sollte es hier überhaupt nicht gehen. Sie haben einen Teil meiner Entwürfe gesehen. Ich weiß, dass sie gut sind. Sie wissen es. Sonst hätten Sie mich nicht eingeladen. Also steht hier eigentlich nur noch eine Frage im Raum: Kommen wir zu einer Einigung oder nicht?«

Mental klopfte ich mir für diese Worte auf die Schulter.

Ferrante lachte leise auf. »Eins muss man Ihnen lassen, Signorina. Sie sind sehr von sich überzeugt.«

Wieder ein Kompliment, das keines war.

Dieses Gespräch war so dermaßen aus dem Ruder gelaufen, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als endlich diesen Raum zu verlassen. Zu atmen. Aber ich konnte ihn nicht gewinnen lassen. Nein, ich würde ihm zeigen, dass auch eine Signorina wie ich Feuer im Blut hatte. »Natürlich bin ich das«, schwindelte ich also mit flatterndem Herzen. »Sie sind schließlich nicht der einzige Interessent, Signor Ferrante. Deshalb bräuchte ich eine schnelle Entscheidung.«

»Hm.« Für einen Moment entgleisten ihm die Gesichtszüge. Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass sich noch jemand für meine Entwürfe interessieren könnte. Oder konnte er nicht fassen, dass ich sie ihm nicht exklusiv anbot? Ich hatte keinen blassen Schimmer, aber es spielte auch keine Rolle.

Es gab keinen anderen Interessenten. Noch nicht.

»Gut, ich kann Ihnen acht Prozent anbieten«, sagte er schließlich. »Acht Prozent, aber dafür streichen wir die Fertigung in Europa und verlegen sie nach Bangladesch.«

Das war so lächerlich, dass mir ein unkontrolliertes Schnauben entfuhr. Selbst die anderen im Raum warfen sich irritierte Blicke zu.

»Es scheint Ihnen entgangen zu sein, aber ich bin keine sechzehn mehr, Signor Ferrante.« Wenigstens hatte sein Angebot dafür gesorgt, dass ich sämtlichen Respekt vor ihm verloren hatte. Nun war ich nur noch wütend. Wütend über die Arbeit, die ich mir gemacht hatte, und die Reise, die ich für diesen Termin auf mich genommen hatte, obwohl ich tausend andere Dinge hätte machen können. Lio und seinen Freunden bei ihrem Dreh zuschauen, zum Beispiel. Ich war wütend auf mich selbst, weil ich die Arbeit ein weiteres Mal vorgezogen hatte und dafür nun den ausgestreckten Mittelfinger kassierte. »Ich werde meine Werte nicht aus dem Fenster werfen, um mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Machen Sie mir also ein ernst gemeintes Angebot oder gar keines.«

Bangladesch.

Mir war nicht klar, dass Giulietta immer noch in solchen Fabriken fertigen ließ. Meinen Recherchen zufolge hatte sich das Unternehmen in den vergangenen Jahren verstärkt für faire Produktionsbedingungen eingesetzt, aber das war dann wohl ein weiterer Marketing-Gag gewesen.

»Fünfzehn Prozent.«

Innerhalb von Sekunden verdoppelte er auf einen halbwegs fairen Anteil. Anscheinend war ihm klar geworden, dass ich mich nicht über den Tisch ziehen ließ. »Fünfzehn Prozent, Fertigung in Bangladesch unter dort fairen Bedingungen und wir erweitern unsere Konfektionsgrößen wie geplant um zwei Größen – mehr ist unserer Kundschaft nicht zuzumuten.«

»Zwei Größen? Ist das Ihr Verständnis von Mode für jeden Körper?« An den »dort fairen Bedingungen« hielt ich mich gar nicht erst auf, der Deal war für mich gelaufen. »Dann könnte ich meine Dessous nicht mal selbst tragen.«

Gleichgültig zuckte er mit den Schultern. »Bis die Kollektion im nächsten Sommer erscheinen würde, hätten Sie genug Zeit, um daran etwas zu ändern.«

Das hatte er gerade nicht wirklich gesagt, oder? Das musste meiner Fantasie entsprungen sein.

»Signor Ferrante«, mischte sich die Assistentin nun ein. »Ihr nächster Termin beginnt in fünf Minuten.«

Ferrante nickte und sah erneut zu mir. »Nun, Signora? Haben wir einen Deal?«

Ich konnte nicht anders.

Ein Lachen brach aus mir heraus.

»Einen Scheiß haben wir!« Eilig löste ich den Laptop vom Kabel und steckte ihn in meine Handtasche zurück. Ich musste hier raus. Ich brauchte Luft, Ruhe und vielleicht auch einen Boxsack, an den ich ein Foto von Giulio Ferrante heften konnte. »Wir sind fertig. Den Weg raus finde ich allein.«

Kapitel 2

Gabriella

Als ich die schwere Glastür aufdrückte, um Giulietta zu verlassen, empfing mich ein Hupkonzert. Hitze und Abgase schlugen mir entgegen. Die mir sonst aus Rom so vertraute Mischung wirkte heute erdrückend auf mich. Schnell tastete ich nach meinen Kopfhörern, während ich gleichzeitig den Verkehr beobachtete, der in der schmalen Straße zum Erliegen gekommen war. Der Fahrer des Wagens neben mir hatte das Fenster geöffnet und stieß mit geballter Faust einen bitterbösen Fluch aus, bevor er erneut auf die Hupe drückte. Mit schneller klopfendem Herzen schob ich mir die Kopfhörer in die Ohren.

Playlist, Noise Cancelling.

Atmen.

Aber Atmen war schwierig, wenn die Luft nach abgestandenen Autogasen und unerfüllten Träumen stank und meine Rippen sich wie zusammengepresst anfühlten. Einen Schritt nach dem anderen setzend, folgte ich der Autoschlange entlang der Modegeschäfte.

Du verdienst etwas Besseres.

Giulio Ferrante ist nur eine von vielen Optionen.

Er ist ein Mistkerl.

Das hat nichts mit dir zu tun.

Ich bog ab, ließ mich treiben, weil ich keine Ahnung hatte, wo ich nun hinsollte. Zurück ins Hotel, um mein Gepäck zu holen? Bis mein Zug fahren würde, hatte ich noch ein paar Stunden Zeit. Lio anrufen?

Ich wusste, dass er auf meinen Anruf wartete. Er hatte es mir gesagt, als er mich zur Metro gebracht hatte, und noch mal, während wir gestern Abend telefoniert hatten, bis ich zum Klang seiner Stimme eingeschlafen war. Lio war sich sicher gewesen, dass Ferrante meine Entwürfe mit Kusshand nehmen würde. Jeden meiner noch so kleinen Zweifel hatte er fortgeküsst, mein Selbstvertrauen aufgebaut und mit jeder Faser seines Seins daran geglaubt, dass ich es schaffen würde.

Obwohl ich ahnte, dass ich nur ein mitfühlendes »Gabriella, Amore« davon entfernt war, in Tränen auszubrechen, wählte ich seine Nummer. Ich wollte seine Stimme hören, wollte, dass er mir sagte, dass sich neue Türen öffnen würden und er mich deshalb nicht weniger liebte.

Er ging direkt dran. »Es tut mir so leid«, setzte er an, noch bevor ich dazu kam, Worte zu formen. »Aber es ist gerade wirklich ungünstig. Kann ich dich später zurückrufen?«

»Oh.« Der Kloß in meinem Hals wurde mit jedem Schritt größer. »Natürlich. Kein Problem.«

»Grazie.« Er legte auf, und die Musik spielte weiter. Während ich das Handy einsteckte, versuchte ich, die Tränen zurückzuhalten. Obwohl ich gewusst hatte, dass er heute schlecht verfügbar war, bohrte sich die Enttäuschung in die alte Wunde, die das Gespräch mit Ferrante aufgerissen hatte.

Denn es war nicht meine Arbeit gewesen, an der er sich gestört hatte. Ein Mann wie Ferrante würde keine Kleidungsstücke in seine Kollektion aufnehmen, die ihm nicht gefielen – nicht einmal, wenn er dafür nur acht Prozent abgeben müsste.

Er hatte sich an meinen Forderungen gestört. Daran, dass ich Unterwäsche für alle Körper machen wollte, nicht zuletzt für meinen eigenen. Dass ich auch mehrgewichtigen Frauen das Recht zusprechen wollte, sich sexy zu fühlen. Dass ich die Frechheit besaß, Plus Size in eine Welt bringen zu wollen, die Diversität nur als Marketing-Gag sah, nicht als ehrenwerte Unternehmensphilosophie.

Damit hatte er sich nicht zuletzt auch an mir gestört, denn ich verkörperte alles, was ihm so verhasst schien. Ich war laut, ich war wild, ich war selbstständig und frei in meiner Kreativität – und ich hatte Oberschenkel, für die ich zwei von Ferrantes Röcken bräuchte, um sie einzukleiden, und die dennoch vor Leben pulsierten.

An den meisten Tagen liebte ich mich genau so.

Doch heute war keiner dieser Tage. Heute fühlte ich mich von der Welt abgelehnt. Meine Vernunft sagte mir zwar, dass Ferrante ein Arsch war und Lio mich jeden Augenblick zurückrufen würde, mein Herz schmerzte dennoch.

Ich fühlte mich zu viel.

Zu laut. Zu wild. Zu raumeinnehmend.

Mein Gefühl übertrug sich auf meine Bewegungen, die immer unbeholfener wurden. Weniger grazil, weniger aufmerksam, wie der Elefant im Porzellanladen. Es war beinahe, als würden sich die Grenzen meines Körpers ausdehnen. Als ich um die nächste Kurve biegen wollte, rempelte ich gegen die Kante des Gebäudes und rieb mir über den schmerzenden Arm.

Ich rieb, rieb, rieb, bis der Drang zu weinen nachließ.

Verzweifelt versuchte ich, mich an die Strategien zu erinnern, die ich in meiner Therapie gelernt hatte, aber Ferrantes Worte waren lauter. Bis die Kollektion erscheint, hätten Sie ja noch genug Zeit, daran etwas zu ändern.

Was für ein verdammter Mistkerl dieser Mann war!

Mein Handy klingelte. Erleichtert holte ich es raus, freute mich darüber, dass Lio doch noch Zeit gefunden hatte, mit mir zu sprechen, doch das hatte er nicht. Es war Florin.

»Ciao, Schmetterling«, flötete er seine übliche Begrüßung. »Wie war dein Meeting?«

Erneut sammelten sich Tränen in meinen Augenwinkeln, die ich schnell wegwischte. Vor Florin wollte ich nicht weinen. »Nicht so gut. Ferrante ist keine Option mehr.«

»Maledetto. Und jetzt? Hast du einen Plan B?«

»Ich weiß nicht.« Ich setzte mich wieder in Bewegung, dieses Mal deutlich langsamer, und schob die Gefühle beiseite, um über Florins Frage nachzudenken. »Es gibt sicher noch andere italienische Unternehmen, die infrage kämen, aber keines ist so beliebt wie Giulietta … Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob ich es noch mal probieren möchte.«

»War es so schlimm?«

Das Mitgefühl in seiner Stimme ertappte mich auf dem falschen Fuß. Eine Träne stahl sich über meine Wange, ich wischte sie eilig weg. »Sagen wir es so: Ferrante ist ein Mistkerl und keinen weiteren Gedanken wert.«

Florin atmete laut aus. »Merda. Ich hätte dich wirklich begleiten sollen.«

»Ist schon okay. Du hattest Wichtigeres zu tun.«

»Nichts ist wichtiger als du, Schmetterling.«

Ich lächelte. Als ich ihn vor ein paar Jahren zum ersten Mal getroffen hatte, war ich aufgrund seines Augenbrauenpiercings und diverser Tattoos zugegebenermaßen etwas skeptisch gewesen. Bis dahin hatte ich mir Manager als alte Männer mit grauen Schläfen und noch graueren Anzügen vorgestellt – doch Florin war das Beste, was BRIELLA je passieren konnte. Ich würde ihn für kein Geld der Welt mehr hergeben.

»Also ich denke, der hundertste Geburtstag eines Familienmitglieds liegt auf der Skala über mir. Wie war es denn?«

Er schnaubte. »Ferrante wäre das kleinere Übel gewesen.«

»Tut mir leid.« Von den wenigen Dingen, die mir Florin über seine Familie erzählt hatte, wusste ich, dass er dort so etwas wie das schwarze Schaf war. »Wenigstens gab es leckeren Kuchen.«

»Sofia sei Dank, aber lenk nicht vom Thema ab. Hast du mal drüber nachgedacht, es selbst zu machen? Eigener Online-Shop und so?«

»Schon.« Den Gedanken hatte ich zumindest anfangs mal in Erwägung gezogen, doch dann hatte ich gesehen, wie viel Arbeit in eine einzige Kollektion floss. »Aber der Aufwand schreckt mich ab.« Ich war zwar gut darin, groß zu träumen, doch etwas zum Abschluss zu bringen, war keine meiner Stärken. Die Liste an Dingen, die ich erst voller Motivation angestoßen und dann doch vergessen hatte, war lang. Einen Shop zu betreiben, wäre eine ganz neue Herausforderung.

»Ich müsste finanziell in große Vorleistung gehen, wenn ich das in dem Rahmen bringen will, den ich mir dafür vorgestellt habe«, sagte ich mehr zu mir als zu ihm. »Außerdem weiß ich nicht, ob Lauretta und ich das allein hinbekämen. Vermutlich bräuchte ich noch mindestens einen weiteren Mitarbeitenden, der beim Verpacken und Versenden hilft, und ich weiß nicht, ob ich mir das aktuell leisten kann.«

»Du könntest einen Kredit dafür beantragen.«

»Und wenn die Kollektion floppt?«

»Das wird sie nicht. Deine Fans warten auf deine eigenen Produkte. Es ist der nächste logische Schritt. Die Beauty-Stars bringen eigene Make-up-Linien auf den Markt, du machst Mode. Und ganz ehrlich: Deine Designs sind so unfassbar schön, dass du vermutlich innerhalb von vierundzwanzig Stunden ausverkauft sein wirst.«

»Meinst du echt?« Unsicherheit machte sich in mir breit. Normalerweise managte Florin mich und meine Social-Media-Accounts, nahm Anfragen von Unternehmen an und präsentierte mir wöchentlich neue Kooperationsmöglichkeiten. Er arbeitete auf Provisionsbasis und bekam nur dann Geld, wenn auch ich Geld verdiente. Dass ausgerechnet er mir dazu riet, in dieser Sache keine Zusammenarbeit anzustreben, sondern auf mich zu setzen, überraschte mich.

»Wenn du es selbst machst, wirst du mehr Arbeit haben, klar. Deine Sachen werden auch nicht in allen Geschäften zu finden sein, sondern sich überwiegend online verkaufen, okay. Aber: Du wirst sie verkaufen, jedes einzelne Stück, an Menschen, die wissen, wer BRIELLA ist. Die dich kennen. Die dich feiern. Die deine Werte vertreten und deshalb bei dir und nicht bei jemandem wie Ferrante kaufen. Und mal ganz abgesehen davon bleibt so deutlich mehr Gewinn bei dir, den du nutzen kannst, um zu reinvestieren. Oder dir ein schönes Leben zu machen, wenn du feststellst, dass dir die Arbeit doch zu viel ist.«

»Das hört sich wirklich gut an.«

»Du schaffst das, Gabriella. Schluss damit, auf andere zu warten und die Bittstellerin zu geben. Das bist doch nicht du. Du verdienst etwas Besseres.« Seine Worte lösten ein aufgeregtes Kribbeln in mir aus. Sie eröffneten mir einen Kosmos an neuen Ideen, eine bunter als die andere.

»Ich hasse dich«, murmelte ich, doch wir wussten beide, dass das nicht stimmte, denn Florin hatte genau das getan, was ich gebraucht hatte. Er hatte mich daran erinnert, wer ich war.

Kapitel 3

Lio

»Du wirst dir niemals vergeben, wenn du diesen Moment nicht nutzt«, prophezeite mir mein bester Freund Rico. Seine blauen Augen hatten den üblichen Schalk eingebüßt. »Nicht gut genug. Pah.« Er verpasste mir einen Klaps gegen den Oberarm. »Hast du vergessen, was du draufhast? Habe ich beim letzten Training den Sturz auf deinen Kopf verpasst? Cielo, Lio.«

»Was denn?«, raunte ich, um die Lautstärke unseres Gesprächs so niedrig wie möglich zu halten, damit sein Sportagent uns nicht hörte. Schlimm genug, dass Rico auf die Idee gekommen war, ich könnte für Claudio einspringen. Wenn Beppo das witterte, würde ich mich aus dieser Nummer nicht mehr herauswinden können – und dabei war ich gerade noch dabei, meine Gedanken zu ordnen. »Mit Claudios Talent kann ich wohl kaum mithalten.«

Die Ausrede, nicht gut genug zu sein, war die erstbeste, die mir eingefallen war – aber sie war denkbar schlecht. Rico und Claudio waren zwar schon seit fünf Jahren professionelle Freerunner, wir trainierten jedoch zusammen, wann immer sie in Rom waren. Außerdem hatte ich die komplette Strecke für das Video mit ihnen festgelegt und jeden einzelnen Stunt wieder und wieder geprobt. Ich könnte Claudios Part im Schlaf vollführen, für ihn einzuspringen, wäre also zumindest technisch gesehen kein Problem.

»So ein Unsinn.« Rico schnalzte mit der Zunge. »Mann, Lio, das ist die Gelegenheit. So eine Chance bekommst du einmal und nie wieder.«

Wenn er wüsste …

»Lass mich kurz nachdenken«, bat ich ihn und blickte in Richtung Beppo, der in Hektik ausgebrochen war, nachdem Claudio mit einem gebrochenen Handgelenk aus dem Krankenhaus angerufen hatte. Gerade redete er auf sein Handy ein, als würde er das Champions-League-Finale kommentieren, inklusive wütender Handgesten und fliegender Spucke. Wenn ich für Claudio einsprang, würde ich sein Leben sehr viel leichter machen – doch meins würde sich dadurch deutlich verkomplizieren.

»Ich sehe das Problem nicht.« Ungeduldig scharrte Rico mit einem Fuß über den Asphalt. »Es ist bloß eine einmalige Sache, für einen guten Zweck. Das wird Gabriella sicher verstehen.«

Gabriella, die immer noch auf meinen Rückruf wartete … Natürlich wäre sie nicht sauer, wenn ich für diesen Tag in Claudios Rolle schlüpfte. Dieses Aufklärungsvideo war uns allen wichtig, hatte Ricos Schwester vor einigen Jahren genau die Scheiße durchmachen müssen, gegen die wir uns mit diesen Videos positionierten. Als ich Gabriella erzählt hatte, dass der Kameramann des Teams nicht trainiert genug war, um sämtliche Abschnitte des Drehs mit ihnen zu laufen, hatte sie mich sogar ermutigt, einzuspringen, statt sie nach Mailand zu begleiten. Ich war es gewohnt, mir eine Action-Cam zwischen die Zähne zu klemmen und hinter Rico und Claudio herzusprinten, damit sie genug Material für ihre sozialen Medien hatten.

»Es geht mir doch gar nicht um Gabriella.« Sollte ich Rico einweihen? Ihm erzählen, dass Beppo nur darauf wartete, dass ich ihm ein Zeichen gab? Dass das Angebot, welches ich vor fünf Jahren ausgeschlagen hatte, immer noch auf dem Tisch lag? Dass er mich mindestens einmal im Quartal anrief, um mich zu fragen, ob ich meine Meinung geändert hatte? Nein. Das durfte ich ihm nicht erzählen. So etwas würde Rico mir nämlich erstens nicht verzeihen, und zweitens würde er mich nie wieder in Ruhe lassen. Außerdem wollte ich nicht, dass Gabriella davon erfuhr.

»Sicher?« Rico warf mir einen skeptischen Blick zu. »Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, dass du dich ständig für sie kleinmachst.«

Seine Worte piksten direkt in mein verdammtes Herz. »Ich mache mich nicht für sie klein. Ich arbeite für sie und verdiene damit mein Geld. Das ist ein gigantischer Unterschied, und ich würde mir echt wünschen, dass du aufhörst, in mir den Hausmann zu sehen«, erwiderte ich angepisst. Abgesehen von meinem Verdienst mochte ich die Arbeit mit Gabriella, etwas, das Rico nicht verstand, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass es Menschen gab, die sich mit weniger als einer eigenen Karriere zufriedengaben. Rico hob entschuldigend die Hände. »Außerdem hat das nichts mit diesem Dreh zu tun.«

»Warum zögerst du dann?«

Frustriert atmete er aus, und ich verstand seine Gereiztheit, mir würde es an seiner Stelle ähnlich gehen. Es war eine einmalige Sache, und das auch noch für einen guten Zweck. Wie konnte ich da überhaupt auf die Idee kommen, abzulehnen?

»Dass du diese ganze Sache mit Beppo ausgeschlagen hast, verstehe ich ja. Aber das ist lange her. Gabriella geht es inzwischen viel besser, und du bekommst hier gerade eine zweite Chance auf dem Silbertablett serviert. Sind das nicht Zeichen genug, deinen eigenen Traum anzupacken?«

Mein Traum war Gabriella.

Als sie mir vor zehn Jahren in die Arme gelaufen war, hatte ich gewusst, dass ich sie nicht eine Sekunde meines Lebens missen wollte. Sie hatte Licht in meine Dunkelheit gebracht, meinem Leben wieder einen Sinn gegeben, nachdem alles ins Chaos gestürzt war. Niemand hatte damals daran geglaubt, dass wir zusammenbleiben würden, doch wir hatten für unser Happy End gekämpft – und als sie kurze Zeit später abgestürzt war, hatte ich nicht für eine Sekunde darüber nachgedacht, das Freerunning als Karriere zu verfolgen. Im Angesicht unserer neuen Realität hatte ich diesen Traum begraben.

Das hatte ich zumindest gedacht, doch Beppo war verdammt hartnäckig.

Er wollte mich unbedingt für sein Team.

Wenn ich nun für Claudio einsprang und ihm dadurch zeigte, dass ich inzwischen sogar noch besser geworden war, würde er sicher erst lockerlassen, wenn ich mir sämtliche Knochen brach – oder wenn ich mich traute, von einem schwammigen »Passt gerade nicht so gut in mein Leben« zu einem »Bitte ruf mich nie wieder an« umzuschwenken.

Nur dass ich das auch nicht wollte.

Maledetto!

»Also gut, ich mach’s. Aber falls Beppo nachher Interesse an mir hat, will ich kein Wort davon hören.«

Rico verdrehte die Augen, stieß dann aber eine Faust in die Luft. »Herkules sei Dank, das ist mein Mann!«, rief er aus. »Alle aufgepasst! Wir haben unseren neuen Bösewicht! Lio übernimmt Claudios Rolle!«

Mein Blick glitt sofort zu Beppo, der sein Telefonat beendet hatte und augenblicklich auf uns zukam. Ich hatte ihn als einen offenen, humorvollen, wenn auch leicht exzentrischen Mann kennengelernt, der den Spagat zwischen väterlicher Strenge und freundschaftlicher Kumpeltour gut beherrschte – aber nun musterte er mich mit Dollarzeichen in den Augen, und das gefiel mir nicht.

»Soso, das ist … eine Überraschung. Eine gute.« Lächelnd klopfte er mir auf die Schulter, bevor er mich von Rico wegführte, um mir die erste von vielen Fragen zu stellen. Wie oft hatte ich Claudios Rolle geprobt? War ich mir sicher, dass ich sie nahezu fehlerfrei ausführen konnte, oder würde ich die Aufnahmen unnötig in die Länge ziehen? Wollte ich direkt meinen Vertrag mit ihm unterschreiben, oder entschied ich mich lieber erst mal für einen Haftungsausschluss?

»Das ändert nichts«, erklärte ich Beppo mit mulmigem Gefühl im Magen. »Ich mache das für Ricos Schwester, das ist keine Bewerbung.« Doch Beppo lächelte bloß – und als ich schließlich meine Kleidung gegen das Outfit eintauschte, das eigentlich Claudio tragen sollte, war mir regelrecht übel, weil ich befürchtete, einen großen Fehler zu machen.

»Du wirkst nervös«, stellte Cosma fest, während sie meine Haare in Form brachte. Die rothaarige Frau mit der gerahmten Brille war eigentlich die Social-Media-Managerin von La Squadra Libera, doch heute war sie als Visagistin und Schauspielerin unterwegs. »Ist das dein erstes Mal vor der Kamera?«

Ich schüttelte den Kopf. »Meine Frau ist Influencerin. Wir machen oft Videos zusammen.« Eigentlich wurde der Begriff Influencerin Gabriella überhaupt nicht gerecht. Sie war viel mehr als das – was sie heute wieder bewiesen hatte, indem sie bei Giulietta ihre heißen, selbst designten Dessous vorgestellt hatte. »Aber da geht es eigentlich um Gabriella, ihr Leben und ihre Leidenschaft für Mode. Ich bin bloß Deko.«

»Du hast sicher trotzdem eine Menge Fangirls.« Unter den BRIELLA-Beiträgen fanden sich tatsächlich häufig Nachrichten an mich. Vor allem auf TikTok war die Kommentarspalte das reinste Pulverfass. Da waren Flammen-Emojis noch das Harmloseste. Nicht, dass ich darauf jemals eingehen würde, aber das änderte nichts an der Auswirkung auf mein Selbstvertrauen.

Doch es gab auch Kommentare, die unter die Gürtellinie gingen. Die Hater, die sich nicht vorstellen konnten, wie ein so sportlicher Mann wie ich eine Frau wie Gabriella attraktiv finden konnte.

Die hasste ich wie die Pest.

»Ein paar«, gab ich zu. »Ich weiß nie so wirklich, wie ich damit umgehen soll. Deswegen habe ich auch keine eigenen Accounts.«

Sie verteilte etwas mit einem Stick auf meinen Wangenknochen und verrieb es. »Das solltest du ändern. Spätestens, wenn das Video online geht, werden dich alle suchen.«

»Ach.« Ich winkte ab. »Hier geht’s doch um die Message.«

Sie schmunzelte. »Wenn du dich da mal nicht täuschst.«

Kapitel 4

Lio

»Also, du lebst auch in Rom?«, begann Cosma das Gespräch. Ich blickte in ihre grünen Augen und atmete langsam aus, während ich versuchte, die Kameras auszublenden, die auf uns gerichtet waren, seit wir auf der Terrasse der Caffè-Bar Platz genommen hatten. Ausgerechnet jetzt fiel mir wieder ein, dass ich nicht dazu gekommen war, Gabriella zurückzurufen. Doch darüber durfte ich jetzt nicht nachdenken, sonst würde ich schon die erste Szene monumental versauen.

»Bereits mein ganzes Leben lang.« Meine Stimme klang nicht wie meine, sie war ganz rau, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Als ich mich auf dieses Abenteuer eingelassen habe, hatte ich wohl für einen Augenblick vergessen, dass damit auch ein bisschen Schauspielerei einhergehen würde. Ich räusperte mich. »Und du?«

»Auf der Durchreise.« Sie klimperte mit den Wimpern. »Ich bin bloß für die Arbeit hier.«

Fieberhaft überlegte ich, wie andere Menschen dateten und entschied mich spontan für ein: »Dann haben wir Glück, dass wir uns gefunden haben.«

Wow, fühlte sich das falsch an.

Zum Glück unterbrach uns im nächsten Moment der Kellner, um die Bestellung aufzunehmen. Wie vom Produktionsteam angewiesen, wählten wir Cocktails aus, die normalerweise mit Alkohol zubereitet wurden, uns aber später alkoholfrei serviert wurden. Während Cosma von ihrer Arbeit erzählte, nahm Rico am Tisch neben uns Platz und orderte einen Caffè Affogato. Ich gab vor, an Cosmas Lippen zu kleben, weil ich ansonsten womöglich von den Kameraleuten abgelenkt worden wäre, die begonnen hatten, sich um uns herumzubewegen.

»Aber genug von mir.« Cosma lächelte. »Was machst du denn beruflich?«

»Ich bin Fotograf.« Das war nah genug an der Wahrheit. Mir kam eine Idee, bei der sich mir die Haare im Nacken aufstellten, die aber perfekt für dieses Video war. »Vielleicht könnte ich ja mal Fotos von dir machen.«

»Ach ja?« Sie lehnte sich lasziv vor. »Hast du ein eigenes Studio?«

»So was in der Art.« Ich schluckte, weil mir die Worte ausgingen. Diesen Teil der Rolle hatten wir nie geprobt, und ein Schauspieler war an mir definitiv nicht verloren gegangen.

Wenigstens war das Glück auf meiner Seite, denn der Kellner brachte die Getränke, und Cosma verschwand kurz auf der Toilette. Ich blickte ihr hinterher, bis sie im Inneren des Lokals verschwunden war, dann hob ich in einer auffällig-unauffälligen Geste die Hand über ihr Glas. Zwar ließ ich nicht wirklich etwas hineinfallen, das würde ich niemals tun, aber in den Aufnahmen für das Video sollte es so aussehen, als hätte ich ihr eine Droge untergemischt.

Als Cosma zurückkehrte, lächelte sie mich warmherzig an. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken daran, dass Ricos Schwester damals in einer ähnlichen Situation gewesen sein musste – wenn ihr auch später keine Erinnerungen mehr daran geblieben waren. Bloß Verletzungen, die sie schließlich in die Notaufnahme getrieben hatten.

Ich drängte die miesen Gefühle zur Seite und hob mit einem siegessicheren Lächeln mein Glas. »Wollen wir?«

In diesem Augenblick stand Rico auf und verlor den Halt. Er stolperte auf unseren Tisch zu und stieß Cosmas Glas um. Die klebrige Flüssigkeit verteilte sich auf ihrem Schoß, sie keuchte erschrocken auf. Rico stützte sich mit einer Hand auf dem Tisch ab und stierte mich finster an. »Wir beide gehen jetzt zur Polizei.«

»Was … Was geht hier vor?«, japste Cosma, doch ich war zu fokussiert auf meinen Gegner, als dass ich ihr noch wirklich Beachtung schenken konnte.

»Vergiss es«, entgegnete ich – und damit begann der Spaß.

Rico zog mich am T-Shirt-Kragen aus dem Stuhl, und mein Muskelgedächtnis setzte ein. Ich duckte mich unter seinem Schlag durch, umfasste seine Taille und stieß ihn grob zurück gegen seinen Tisch. Es klirrte, doch ich wartete nicht ab, was geschah, schließlich war das Team vorbereitet. Die Kameraleute waren auf Action ausgelegt, sie würden jede unserer Bewegungen einfangen.

Rico rappelte sich auf und heftete sich an meine Fersen.

Jetzt musste ich bloß schneller sein als er.

Ich duckte mich unter dem Tablett unseres Kellners durch, der einen lauten Fluch ausstieß, und sprang mit einem Kong Vault über die Motorhaube eines geparkten Stuntautos, bevor ich förmlich über die Straße flog. Hinter mir ertönten quietschende Bremsen und der Schrei eines weiteren Nebendarstellers. Hochmotiviert schnappte ich mir das Fahrrad, das irgendwer kurz vor dem Start unseres Drehs gegen einen Laternenpfahl gelehnt hatte.

Ohne zu zögern, sprang ich auf und stieß mich vom Boden ab. Das Rad klapperte über das Kopfsteinpflaster. Ein Blick über die Schulter verriet mir, dass Rico dicht hinter mir war. Was ich in Sachen roher Kraft auf dem Kasten hatte, machte er mit flinker Geschwindigkeit wieder wett.

»Cut!«, rief jemand, gerade als wir die Sackgasse erreichten, in der der nächste Abschnitt beginnen würde. Mit rasendem Herzen stützte ich mich auf dem Lenker ab, Adrenalin pumpte durch meine Adern und malte mir ein breites Grinsen ins Gesicht. Cielo, war das gut. Es machte so viel mehr Spaß, den Bösewicht zu spielen als den Kameramann.

»Das war großartig. Wir checken das Material, aber dann können wir wahrscheinlich direkt in den nächsten Abschnitt starten.«

Die kurze Pause nutzten wir, um etwas zu trinken und uns mental auf den nächsten Teil vorzubereiten. Es war wie beim Training auf der Straße, nur besser, weil wir dieses Mal nicht nur beobachtet oder von Handykameras gefilmt wurden, sondern von einem ganzen Produktionsteam umringt waren. Ich fühlte mich wie der Held in einem Actionfilm.

Der nächste Abschnitt führte uns hinauf auf das Dach eines dreistöckigen Wohngebäudes. Rico und ich lieferten uns ein wildes Gefecht zwischen Müllcontainern und alten Holzpaletten, kaum dass ich das Rad in die Ecke fallen ließ – und nach einer weiteren kurzen Pause, in der das Team zur Sicherheit ein Sprungtuch ausbreitete, begann ich, die Wand des Gebäudes zu erklimmen. Hoch an Fenstern, Regenrinnen und anderen Vorsprüngen. Meine Fingerspitzen fanden Halt an Backsteinen und Fensterbrettern, jede Kuhle in der Wand war ein Griff, jede Wölbung, jeder Vorsprung ein Tritt, der mich ein Stück weiter ans Ziel brachte. Schweiß rann mir über den Rücken, und mein Herzschlag – ein schneller, aber steter Rhythmus – wurde zu meinem zuverlässigen Begleiter.

Am ganzen Körper zitternd, zog ich mich schließlich über die Kante auf das Dach. Als das ersehnte »Cut!« ertönte, brach unten Jubel aus. Mit hämmerndem Herzen rollte ich mich auf den Rücken – und atmete tief durch.

»Alles gut bei dir?«, fragte einer der Kameramänner, der auf dem Dach bereits auf uns gewartet hatte.

Ich reckte einen Daumen hoch, zu sehr aus der Puste, um zu sprechen.

»Fantastico!« Sobald ich mich einigermaßen gesammelt und Platz gemacht hatte, betätigte er den Knopf seines Funkgeräts. »Rico kann loslegen.« Verfolgungsjagd hin oder her, Sicherheit ging vor – deshalb kletterte Rico erst nach mir. Im Schnitt würden sie es später so aussehen lassen, als würden wir die Wand gleichzeitig erklimmen.

Der Rest des Tages verging wie im Flug. Wir filmten in Abschnitten und wiederholten Dinge, wenn sie nicht ganz so gelaufen waren, wie wir oder das Produktionsteam sich das vorgestellt hatten. Rico und ich jagten uns über rote Zinnen und Klimageräte, machten Saltos und Sprünge über Hauslücken, die im fertigen Video vermutlich größer aussehen würden, als sie tatsächlich waren, und balancierten auf Dachfirsten entlang. Ich war mit Leidenschaft und voller Konzentration dabei, doch das Pensum war ich nicht gewohnt.

Als ich zu einem Kash Vault ansetzte, blieb ich mit dem Fuß an einer Klimaanlage hängen und segelte mit dem Oberkörper voran auf den Vorsprung zu, auf dem ich eigentlich mit den Füßen landen wollte. Gerade rechtzeitig rollte ich mich ein und knallte mit der Schulter gegen das Gemäuer, bevor ich auf dem Flachdach zusammensank und für einen Augenblick Sterne sah.

Santo cielo! Das tat weh.

»Alles in Ordnung?« Rico war sofort bei mir, kniete sich neben mich und half mir in den Sitz. »Das sah übel aus.«

»Geht schon«, presste ich hervor. Ich kreiste mit den Schultern und bewegte den Kopf hin und her, um zu überprüfen, wie schlimm es war, aber die Schmerzen ließen bereits nach. »Alles halb so wild. Gibt bestimmt nur einen blauen Fleck.«

»Lass mal sehen.« Schnell streifte ich das T-Shirt ab, damit Rico meinen Rücken begutachten konnte. »Schätze, dein Löwe bekommt eine neue Fellfarbe.«

Ich stieß einen leisen Fluch aus. Das Tattoo hatte mich ein halbes Vermögen gekostet. »Aber keine Abschürfung?«

»Nur ein blauer Fleck.« Rico zuckte mit den Schultern, während ich mein T-Shirt wieder anzog. »Pass halt besser auf, wo du hinläufst.«

*

Das große Finale unseres Videos führte uns nach einem waghalsigen Sprung über eine Häuserschlucht und einer Verfolgungsjagd durch ein Treppenhaus in einen in Etagen angelegten Park. Mittlerweile war ich komplett erledigt, und meine rechte Schulter schmerzte, aber das Adrenalin und die Glückshormone, die durch meinen Körper rauschten, sorgten dafür, dass ich noch ein letztes Mal das volle Repertoire an Tricks abrufen konnte. Frontflip, 180, einen Handlauf hinunterbalancieren, und zum glorreichen Abschluss baute ich noch den Gainer ein, den ich erst vor ein paar Wochen gelernt hatte – dann stand ich plötzlich auf dem gepflasterten Vorplatz des Kolosseums.

Es kostete mich viel Mühe, das stolze Grinsen zu unterdrücken. Noch war der Dreh nicht abgeschlossen und ich der Bösewicht – egal, wie fucking glücklich ich über meine heutige Leistung war.

Ich drehte mich im Kreis, einmal, zweimal.

Aber mir gingen die Optionen zur Flucht aus.

Hier gab es nichts zum Klettern, bloß eine Menge Touristen, die darauf warteten, eines von Roms Wahrzeichen zu erkunden.

Mein Zögern wurde mir zum Verhängnis. Rico kam auf mich zugeschossen, er holte aus, ich duckte mich, aber dieses Mal hatte er die Bewegung vorhergesehen und wich meinem Gegenschlag aus. Er trat mir die Beine weg und beförderte mich zu Boden, einen angedeuteten Kick in meine Seite später lag ich auf dem Rücken und blickte in den blauen Himmel.

Rico platzierte triumphierend den Fuß auf meiner Brust.

Schmerzen pulsierten durch meinen Körper, aber kaum dass das »Cut« ertönte, brach das wilde Grinsen endlich aus mir heraus.

»Dio mio!«, keuchte ich, und obwohl ich am Boden lag, fühlte es sich an, als würde ich fliegen vor Glück.

»Das war der Wahnsinn!« Rico nahm seinen Fuß runter und half mir hoch. Wir fielen uns in die Arme wie jedes Mal, wenn wir die Choreografie geprobt hatten, doch heute fühlte sich das ganz anders an.

Erfüllender.

»Grazie, amico. Du warst großartig. Der Sprung über die Häuserschlucht? Ich habe echt Panik gehabt, dass wir uns damit überschätzt haben.«

Verständlich. Trotz der Absicherung waren unsere Stunts nicht ungefährlich. Doch genau darin lag der Kick. Es ging ums Adrenalin, es ging immer ums Adrenalin, und davon schüttete der Körper nun mal mehr aus, wenn die Chance bestand, dass man etwas nicht überlebte. Deshalb waren wir aber nicht unvorsichtig. Im Gegenteil: Die Stunts, die wir uns nicht aus dem Stegreif zutrauten, übten wir vorher exzessiv in ungefährlichen Szenarien. Erst wenn jede Bewegung saß und kein Sprung mehr danebenging, trauten wir uns damit in luftigere Höhen.

»Wenn nicht wir, wer dann?«

Rico schnaubte lachend und schlug mir mit einer Hand auf die Schulter. Zischend atmete ich die Luft ein. »Hochmut kommt vor dem Fall, amico.«

»Aber fallen werden wir noch lange nicht«, beendete ich den Spruch, der Rico, Claudio und mich schon begleitete, seit wir vor knapp elf Jahren die ersten Sprünge im Park des Castel Sant’Angelo gemacht hatten.

Das Team kam. Sie brachten uns Wasser, gratulierten uns, versorgten uns mit Snacks. Einer der Rettungssanitäter kümmerte sich um ein paar kleinere Schnittwunden, die ich mir im Laufe des Tages zugezogen hatte. Ich genoss die Aufmerksamkeit, die zum ersten Mal auch mir galt.

Auch Beppo fand seinen Weg zu Rico und mir, um mit uns auf die gelungenen Aufnahmen anzustoßen. Ich dachte nicht an Gabriella, als Beppo seinen Arm um meine Schultern legte, um mich für meinen Einsatz zu loben. Ich dachte nicht an sie, als er mir versprach, mich morgen anzurufen. Und ich dachte auch nicht an sie, als ich mich, von Endorphinen durchflutet, auf meine heiß geliebte Ducati schwang, um nach Hause zu fahren.

Erst in der Stille unserer Wohnung wurde mir mit voller Wucht bewusst, dass ich vergessen hatte, sie zurückzurufen.

Kapitel 5

Gabriella

Da war Stille in der Wohnung, aber keine Stille in mir. Tausende Gedanken dröhnten mir durch den Kopf, einer lauter als der andere, während ich den Koffer am Absatz der Treppe abstellte und aus meinen Schuhen schlüpfte, erleichtert darüber, dass ich allein war. Lios Motorrad stand zwar im Innenhof, doch ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass er vermutlich gerade in Alessios Kinderzimmer saß und ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas. Dienstags und donnerstags besuchten Sofia, Noemi und ich nämlich normalerweise einen Yogakurs in einem nahe gelegenen Studio – und in der Zwischenzeit übernahm Lio oft die Betreuung für Sofias Sohn, da dessen leiblicher Vater nicht immer Zeit hatte.

Lio liebte die kleine Familie, die wir uns vor ein paar Jahren hier aufgebaut hatten, genauso sehr wie ich. Dabei kannte ich Sofia und Noemi sogar länger als ihn. Wir vier waren auf eine Art zusammengewachsen, die nur möglich war, wenn man schon eine ganze Menge Scheiße miteinander erlebt hatte. Doch egal, wie tief wir auch gefallen waren, wir hatten uns wieder aufgerappelt und konnten nun stolz auf drei erfolgreich aufgebaute Selbstständigkeiten und unseren eigenen Gebäudekomplex in der Via Margutta zurückblicken.

Ich wärmte mir eine Portion Spaghetti Etrusca mit grünem Spargel auf, die Lio gestern Abend gekocht haben musste, und setzte mich damit in den Innenhof, der heute ebenfalls merkwürdig still war. Normalerweise drang zumindest durch das gusseiserne Tor immer etwas Straßenlärm herein, denn die Via Margutta war nicht nur besonders fotogen, sondern noch dazu eine der wohl bekanntesten Gassen Roms – zumindest für die Leute, die sich in der Kunstszene bewegten. In dieser Gasse war nicht nur ein Film mit Audrey Hepburn gedreht worden, auch einige bekannte Kunstschaffende hatten hier ihre Ateliers besessen. Eines davon hatte Sofia zu ihrer Backstube umgebaut. Tagsüber lockte der Duft von Karamell manchmal Kaufwillige durchs Tor, die dann enttäuscht feststellten, dass es bei ihr nur Hochzeitstorten gab. Dann wiederum kam Sofias tatsächliche Kundschaft, um Vorbestellungen abzuholen oder Aufträge durchzusprechen, und an den Nachmittagen war der Innenhof oft genug mit Alessios Gelächter gefüllt.

Wir alle hatten diesen Ort Stück für Stück zu einer Oase gemacht, in der wir uns treffen und das Leben genießen konnten. Es gab nicht nur jede Menge Pflanzen und Kletterrosen, für die Noemi ein echtes Händchen bewies, sondern auch ferngesteuerte Lichterketten und Lampions und einen Haufen anderer verspielter Deko, die wir im Laufe der Jahre angeschleppt oder selbst gebastelt hatten: Teppiche, bestickte Kissen, Kerzenständer und Makramee-Hänger.

Das große – und von Touristen viel fotografierte – Highlight war aber der Walnussbaum im Zentrum des Hofes, an dem Lio eine Schaukel für Alessio befestigt hatte. Er spendete den nötigen Schatten, um auch in den Sommermonaten draußen sitzen zu können, und warf im Herbst sogar noch Nüsse ab, die Sofia gerne zum Backen nutzte.

Kurzum: Der Innenhof war unsere Auszeit von der hektischen Welt jenseits des Tors – und auch heute zwang ich mich nach dem Essen dazu, die Augen zu schließen, um wenigstens ein paarmal tief durchzuatmen. Doch nach allem, was geschehen war, fiel es mir schwer, Entspannung zu finden, also ging ich schließlich doch hinein, um zu duschen. Nach vier Stunden Zugfahrt und ein paar Stationen mit der Metro, während derer ich unfreiwillig an anderer Leute Achselhöhlen schnuppern durfte, war mir danach, meinen gesamten Körper mit Peeling zu bearbeiten.