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Ein Mord ist ein Verbrechen, das Emotionen weckt, die alle und alles verändern. Niemand bleibt davon unberührt, vor allem nicht die Angehörigen und Freunde des Opfers. Aber auch nicht die Täter, die Zeugen und die Ermittler. Ein Mord wirkt sich auf unvorhersehbare Weise auf das Verhalten aller Betroffenen aus. So auch bei Thelma, der Tochter von Theodor König, Chef von Königs Hofgut. Er ist mit dem Mountainbike zu Tode gestürzt. Ein alter Mann taucht auf und behauptet, er sei ermordet worden. Thelma versucht herauszufinden, was wirklich passiert ist. Erst nach einiger Zeit wird die Kriminalpolizei aufmerksam und beginnt mit Ermittlungen, aber ohne große Hoffnung auf Erfolg. Thelma beschließt, die Tatverdächtigen zu einem Krimispiel einzuladen, in der Hoffnung, der oder die Täter würden sich dabei verraten. Kann das Spiel gelingen? Und wenn, was wird Thelma mit den dabei gewonnenen Erkenntnissen anfangen? Wird die Kriminalpolizei doch noch erfolgreich sein?
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Seitenzahl: 252
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Ein Mord ist ein Verbrechen, das Emotionen weckt, die alle und alles verändern. Niemand bleibt davon unberührt, vor allem nicht die Angehörigen und Freunde des Opfers. Aber auch nicht die Täter, die Zeugen und die Ermittler.
Ein Mord wirkt sich auf unvorhersehbare Weise auf das Verhalten aller Betroffenen aus.
Der Unfall
Die Begegnung
Königs Hofgut
Polizeikontakt
Die Suche
Der Zeuge
Das Unfallprotokoll
Konflikte am Hofgut
Ermittlungen
Beziehungen
Wahnsinn oder Methode?
Grace König
Teamspiele
Christoph König
Die Idee
Thelma
Der Plan
Tod eines Königs
Professor Mangold
Thelmas Verschwinden
Polizeiarbeit
Thelma in Not
Die Zeugenaussage
Die Fakten
Widersprüche
Angst
Die Falle
Die Falle wird aktiviert
Das Ende
Nachwort des Autors
Aus der Süddeutschen Zeitung
Königs Hofgut in Schäftlarn: Eigentümer stirbt bei Sturz mit dem Mountainbike
Schäftlarn, 25.9.2017
Der bekannte und beliebte Theodor König, Chef von Königs Hofgut in Schäftlarn, ist am Sonntagabend mit dem Mountainbike tödlich verunglückt. Der 51-Jährige hat in der Dämmerung gegen 18:30 Uhr bei einer rasanten Abfahrt auf dem Fußweg von Ebenhausen zum Kloster Schäftlarn offensichtlich falsch gebremst. Nach Aussage der Polizei hat er sich anscheinend mehrfach überschlagen und ist mehr als zehn Meter mit dem Kopf voraus über den mit Split befestigten Weg gerutscht. Er war sofort tot.
Besonders tragisch ist, dass die Ehefrau des Verunglückten, Grace König, nur zwei Minuten nach dem Unglück mit ihrem Mountainbike am Unfallort eintraf. Sie war die Strecke wegen des starken Gefälles von fünfzehn bis zwanzig Prozent sehr langsam hinter ihrem Ehemann hinabgefahren und konnte nichts mehr für ihn tun.
Nach Meinung des Polizeiexperten war König mindestens 45 km/h schnell und hatte aus unbekanntem Grund plötzlich scharf abgebremst. Es wird angenommen, dass ein Reh oder ein anderes Tier seinen Weg gekreuzt hat und er einen Zusammenstoß vermeiden wollte.
Die Polizei bittet um sachdienliche Hinweise von Personen, die sich zur Zeit des Unfalls in der Nähe des Fußweges von Ebenhausen nach Kloster Schäftlarn aufgehalten haben. Meldungen bitte an das zuständige Polizeirevier in Grünwald.
Der Bürgermeister der Gemeinde Schäftlarn ist wegen des Unglücks sehr betroffen und hat der Familie des Verstorbenen seine Anteilnahme ausgesprochen. Er bat unsere Zeitung, anlässlich des tragischen Geschehens darauf hinzuweisen, dass der Weg von Ebenhausen zum Kloster ein reiner Fußweg sei, die Nutzung sei für Radfahrer streng verboten. Oben am Eingang zum Rodelweg stehe das Schild »Sonderweg für Fußgänger«, kurz danach habe man eine Barriere angebracht, die Radfahrer abhalten solle. Den Radfahrern stehe die normale Fahrstraße zum Kloster zur Verfügung.
Theodor König war ein angesehener Bürger der Gemeinde, der sich um das Gemeindewohl besonders verdient gemacht hatte. Mit seiner schottischen Ehefrau Grace, eine geborene McSpears, und seinem Bruder Christoph betrieb er »Königs Hofgut«, mit dem verschiedene Geschäftsfelder abgedeckt werden. Neben biologischem Ackerbau und Viehzucht gibt es auf dem Gut auch ein Wellnesshotel, ein Ausflugslokal, eine Reitschule und ein kleines landwirtschaftliches Museum. Der Schutz unserer Natur und der Erhalt unserer ursprünglichen Landschaft waren Theodor König ein besonderes Anliegen. Zuletzt hatte er sich sehr stark gegen die auf der Gemarkung Irschenhausen geplanten Windkraftanlagen eingesetzt.
Es ist anzunehmen, dass die Leitung von »Königs Hofgut« nun von Theodor Königs Witwe Grace mit Unterstützung seines Bruders Christoph übernommen wird. Auch die Tochter von Theodor und Grace König, Thelma, wird wahrscheinlich nach Abschluss ihres Studiums der Agrarwissenschaften eine Funktion in dem Betrieb übernehmen. Sie arbeitete schon als Schulkind und in den letzten Jahren besonders aktiv während der Semesterferien auf dem Hofgut mit. Alle Schäftlarner und besonders auch die Landjugend schätzen sie wegen ihrer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft.
Auf der Picknickbank am Aussichtspunkt oberhalb von Schloss Eurasburg saß ein Mann. Als Franziska Meier und ihr Mann Bernhard näher kamen, fiel Franziska sein seltsames Verhalten auf. Er schwenkte den Kopf hin und her und bewegte seine Arme, als ob er einer anderen Person gegenübersäße, die er mit allem Nachdruck von etwas überzeugen wollte. Er war aber allein. Weit und breit war niemand zu sehen.
Franziska stoppte ihr Mountainbike und sah sich nach ihrem Mann Bernhard um, der ein Stück hinter ihr fuhr.
»Ich glaube, wir setzen uns besser nicht zu dem auf die Bank«, sagte sie.
»Warum nicht? Ich sehe da kein Problem. Du hast dich doch so auf deinen Lieblingsplatz gefreut. Schau mal, wie fantastisch heute wieder der Blick über das Loisachtal ist. Man kann jedes Detail und jede Falte an der Benediktenwand erkennen. Der Alte wird uns sicher nicht stören«, antwortete er.
Als sie näher kamen, hörten sie sein Gemurmel. Ein paar Satzfragmente wie »…ganz sicher hat er ihn umgebracht…« und »…darf nicht ungestraft bleiben…« konnten sie verstehen.
»Der führt tatsächlich Selbstgespräche«, flüsterte Franziska. »Das hört sich gefährlich an. Sollen wir nicht besser weiterfahren?«
Bernhard schüttelte den Kopf und sagte: »Wieso, der tut uns sicher nichts«. Sie lehnten ihre Fahrräder an den kleinen Baum neben der Picknickbank.
»Sie haben doch sicher nichts dagegen, dass wir uns hier ein wenig dazu setzen. Das ist nämlich einer unserer Lieblingsplätze«, wandte sich Bernhard an den Mann.
Der unterbrach sein Selbstgespräch, sah auf und schien einen Moment zu benötigen, wieder in das Hier und Jetzt zurückzukehren.
»Bitte«, antwortete er dann. »Da ist ja Platz genug, machen Sie es sich bequem.« Er lehnte sich auf der Bank zurück und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Sein Selbstgespräch hatte er offensichtlich beendet.
Trotz des seltsamen Gefühls, das der Fremde in ihr erzeugte, war Franziska Meier eigentlich ganz zufrieden. Es war ihr endlich gelungen, ihren Mann zu diesem kleinen Radausflug zu überreden. Es wäre auch zu schade gewesen, sich an diesem schönen sonnigen Herbsttag mit der Arbeit im Haushalt zu beschäftigen. Das hatte Zeit und konnte auch noch am Abend oder morgen am Sonntag erledigt werden. Bernhard hatte nach ihrem Vorschlag zwar bereitwillig den Staubsauger in der Abstellkammer untergebracht, dabei aber etwas bedauernd gemurmelt, dass er ja eigentlich noch am Computer arbeiten wollte. Aber er hatte es eingesehen.
»Du hast ja recht«, hatte er gesagt. »Wer weiß, wie oft wir dieses Jahr noch so schönes Wetter haben, und die Bewegung tut uns ja auch ganz gut«.
Sie hatten ihre Trinkflaschen gefüllt, ein paar Energieriegel eingepackt und dann ihre Mountainbikes vom Abstellplatz hinter der Garage geholt.
Sie waren von ihrem Wohnort Schäftlarn über Münsing und Degerndorf geradelt und hatten nun ihren Lieblingsplatz erreicht.
Der alte Mann schien ganz in sich gekehrt. Das Zucken seiner Mundwinkel und gelegentliche hektische Kopfbewegungen zeigten, dass es heftig in ihm arbeitete. Offensichtlich hatte er sein Gespräch von vorhin als inneren Dialog wieder aufgenommen.
»Eigentlich macht er ja einen ganz vernünftigen Eindruck«, dachte Franziska, als sie den Mann aus den Augenwinkeln musterte. Er war groß, hatte eine sportlich schlanke Figur und ein schmales Gesicht, in dem die buschigen weißen Augenbrauen besonders hervorstachen. Sie schätzte sein Alter zwischen sechzig und siebzig Jahren. Irgendwie kam er ihr bekannt vor. Ganz unvermittelt fiel ihr der letztes Wochenende verunglückte Theodor König ein. »Der hätte in fünfzehn Jahren wohl auch so ausgesehen, wenn er auf der Strecke hinunter nach Kloster Schäftlarn nicht gestürzt wäre«, vermutete sie. Die Erinnerung an Theodor König lenkte ihre Gedanken auf die bevorstehende Abfahrt hinunter ins Loisachtal. Die Strecke war mit achtzehn Prozent Gefälle und einer scharfen Rechtskurve am Ende so gefährlich, dass oben ein Schild mit dem Text »Radfahrer absteigen« stand.
Sie richtete den Blick auf ihren Mann. »Du, Bernhard«, sagte sie, »wenn wir da nachher hinunterfahren, dann tue mir bitte einen Gefallen und rase nicht so«.
Noch bevor Bernhard antworten konnte, drehte sich der Alte zu ihnen und sagte in grimmigem Tonfall: »Ja, passen Sie auf, bevor man sich versieht, kann man auf so einer Abfahrt vom Leben zum Tode befördert werden. So etwas hat sich gerade letzte Woche nicht weit von hier ereignet.«
»Sie meinen sicher den Unfall von Theodor König aus Schäftlarn. Ein tragisches Unglück. Wir kommen auch aus Schäftlarn«, seufzte Franziska.
Der Alte schüttelte den Kopf. »So so, Sie meinen also, das wäre ein Unfall gewesen? Wenn Sie sich da bloß nicht täuschen.«
»Was soll das denn sonst gewesen sein?«, fragte Bernhard. »In der Zeitung war doch zu lesen, dass König bei seiner Fahrt wahrscheinlich durch ein Reh zum scharfen Abbremsen gezwungen war und sich wegen des hohen Tempos beim Sturz das Genick gebrochen hat.«
»Was die Zeitungen so schreiben, muss nicht unbedingt die Wahrheit sein. Ich jedenfalls weiß, was ich weiß. Das war nie und nimmer einfach nur ein Unfall«, rief der Mann. Bevor Bernhard oder Franziska noch eine Frage stellen konnten, war er aufgesprungen, hatte sein neben der Bank abgestelltes Pedelec bestiegen und war losgefahren.
»Was war das denn?« Bernhard sah dem eilig davon Radelnden hinterher. »Ich glaube, der ist nicht ganz richtig im Kopf.«
Franziska schaute nachdenklich. »Ja, am Anfang, als wir hierher gekommen sind, dachte ich auch, dass er etwas seltsam ist. Aber dann hat er doch einen ziemlich normalen Eindruck auf mich gemacht.«
»Mensch Franziska, glaubst du etwa diesen Quatsch, dass das kein Unfall war?«
»Immerhin hat er doch gesagt, dass der König umgebracht worden wäre, oder habe ich das falsch verstanden?«
»Jetzt reimst du dir aber etwas zusammen.« Bernhard sah Franziska an, als würde er nun an ihrem Verstand zweifeln. »Er hat zwar am Anfang etwas von Mord gefaselt, aber den Namen König nicht erwähnt. Nur weil wir diesen Namen genannt haben, siehst du da auf einmal einen Zusammenhang.«
»Wahrscheinlich hast du ja recht«, sagte Franziska, aber ihre Zweifel waren anscheinend noch nicht ausgeräumt, denn sie fuhr fort: »Warum hat er dann aber angedeutet, es wäre kein Unfall gewesen?«
»Es gibt halt immer Leute, die das Gras wachsen hören. Die vermuten hinter jedem außergewöhnlichen Ereignis gleich geheime Kräfte am Werk und sind sicher, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Das sind dann die, welche die Polizei mit ihren erfundenen Beobachtungen auf falsche Spuren hetzen und so mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung von Problemen beitragen. Und dann posten Sie auch noch Fake News in den sozialen Medien, und schon entsteht aus einer kleinen Falschmeldung eine riesige Welle.«
Franziska nickte. »Kann ja sein, dass das einer von diesen Typen war, aber vielleicht rede ich doch einmal mit unserer Nachbarin Helen McSpears über seine Andeutungen. Helen gehört ja zur Familie König und ist gut mit Thelma befreundet.«
»Dann tue, was du nicht lassen kannst. Komm jetzt aber, radeln wir weiter«, sagte Bernhard mit einem Achselzucken. »Und ja, ich verspreche dir, langsam runter zu fahren.«
Christoph König war sich darüber im Klaren, dass die Besprechung, zu der er gebeten hatte, schwierig werden würde. Alle waren vom unerwarteten Ableben Theodors betroffen. Vor allem Thelma war nach dem Tod ihres Vaters in sehr tiefe Trauer versunken und machte nicht den Eindruck, als ob sie bald wieder ihr normales Leben aufnehmen könnte. Deswegen hatte er sie auch nicht aufgefordert, an diesem Termin teilzunehmen. Aber es ging darum, den Bestand von Königs Hofgut sicherzustellen, und alle anderen waren sicher in der Lage, sich auf dieses Thema zu konzentrieren. Vor allem die Regelung der Nachfolge für den verstorbenen Theodor als Geschäftsführer war wichtig.
Aus diesem Grund hatte er auch Paul Polster, den Leiter der Gutsverwaltung, zur Teilnahme aufgefordert, obwohl er kein Familienmitglied und kein Anteilseigner der Firma war. Ihm war klar, dass Paul Polster versuchen würde, die Geschäftsführerposition des Unternehmens zu bekommen. Er hielt sich mit Sicherheit für den am besten geeigneten Kandidaten. Das entsprach ja auch der Wahrheit. Er, Christoph König, hatte sich bisher nie um das Business gekümmert. Ihm war wichtig gewesen, dass die Einnahmen flossen und ihm ein angenehmes, einigermaßen luxuriöses Leben ermöglichten. Das hatte sein jüngerer Bruder auch bestens erledigt. Grace König fehlte das für die Geschäftsführung not wendige Fachwissen, und Thelma war noch zu jung. Aber die Leitung sollte unbedingt von einem Mitglied der Familie König übernommen werden.
Polster hatte ihn gebeten, auch seinen Sohn Lukas einzuladen, da dieser nach Abschluss seines Betriebswirtschaftsstudiums als sein Nachfolger aufgebaut werden sollte. Nach anfänglichem Zögern hatte er zugestimmt. Es war sicher kein Fehler, wenn Lukas gleich zu Beginn seiner Karriere im Hofgut mitbekommen würde, in welche Richtung die zukünftige Entwicklung gehen sollte.
»Es ist mir nicht leicht gefallen, euch zu dieser Besprechung aufzufordern, obwohl erst zwei Wochen seit Theodors schrecklichem Unfalltod vergangen sind. Aber trotz aller Trauer: Ich denke, es wird Zeit, dass wir uns wieder gemeinsam um die Geschäfte kümmern. Wir müssen Entscheidungen treffen, die nicht hinausgezögert werden dürfen«, eröffnete er die Besprechung im großen Speisezimmer des Hofguts.
»Du hast recht, es gibt einiges zu erledigen, das keinen Aufschub duldet. Es wäre schade, wenn Königs Hofgut in Schwierigkeiten käme«, sagte Paul Polster. »So, wie ich in den fast vierzig Jahren meiner Mitarbeit mit aller Kraft und Energie euren Großvater und dann Theodor unterstützt habe, so werde ich auch weiterhin alles tun, um Königs Hofgut zum verdienten Erfolg zu verhelfen.«
»Du sagst, du wirst alles tun, das ist schön und gut. Aber die Frage der Geschäftsführung ist noch nicht geregelt. Bisher hielt Theodor vierzig Prozent der Gesell schafteranteile unserer GmbH, Grace und ich hatten je dreißig Prozent. Laut Testament vererbt Theodor seinen Anteil zu gleichen Teilen an Grace und Thelma. Damit haben wir nun folgende Verteilung: Grace hat fünfzig Prozent, ich bleibe bei dreißig, und Thelma hält zwanzig. Damit steht Grace eigentlich das Recht zu, über die Geschäftsführung zu entscheiden. Möchtest du das selbst machen, Grace, oder hast du einen anderen Vorschlag?«
Die so Angesprochene wehrte erschrocken ab. »Um Himmels willen, ich verstehe von dem Geschäft viel zu wenig. Nein, nein, ich kann das nicht machen.«
»Und wem möchtest du die Aufgabe übertragen? Ich glaube, Paul würde sich die Finger danach lecken«, sagte Christoph mit schiefem Grinsen. »Ist doch so, Paul, oder etwa nicht?«
Paul hatte anscheinend die Anspielung nicht verstanden. »Ich bin nicht abgeneigt. Vielleicht wäre es wirklich ganz sinnvoll, die Leitung einem Angestellten zu übertragen, der nicht zur Familie gehört. So könnten die Geschäfte unabhängig von eventuellen Interessenskonflikten innerhalb der Familie erfolgreich geführt werden.«
»Ist das wirklich praktisch? Sollte nicht Christoph das machen? Er muss die Geschäfte ja nicht wirklich führen, das könntest tatsächlich du erledigen, Paul, aber im Hintergrund. Christoph trägt den Namen König, die Leute kennen ihn, sicher finden sie das gut. Das ist nach meiner Meinung die beste Lösung.« Grace zeigte sich ungewöhnlich engagiert.
Christoph war zufrieden. Er war sich sicher gewesen, dass Grace ihn vorschlagen würde. Auf die Argumentation von Polster ging er mit keinem Wort ein. »Wenn du das so siehst, Grace, bin ich einverstanden. Ich glaube auch, dass das eine sehr gute Lösung ist. In der Aufgabenverteilung wird sich nicht viel ändern, wir müssen nur überlegen, wie wir die Lücke füllen, die Theodor gerissen hat.«
Christoph legte eine Pause von einigen Sekunden ein, wie wenn er seines verstorbenen Bruders gedenken wollte. »Gut, nachdem das geklärt ist, nun zum nächsten Thema«, fuhr der neu ernannte Geschäftsführer dann fort. »Was machen wir mit dem Problem Alois Hammerl? Paul, bitte fasse für uns noch einmal die Fakten zusammen.«
Paul Polster lies sich die eben erlittene Abfuhr nicht anmerken, obwohl er tatsächlich sofort nach Theodors Tod auf die Position des Geschäftsführers spekuliert hatte. Er redete in geschäftsmäßigem Ton. »Alois Hammerl, Großbauer aus Icking…«
Er wurde sofort von seinem Sohn Lukas unterbrochen: »Aus Irschenhausen. Das ist zwar Gemeinde Icking, aber wenn du dich mit den Irschenhausener Bauern, besonders mit Alois Hammerl, gut stellen willst, dann sage Irschenhausen. Die sind da sehr eigen.«
Polster sah seinen Sohn verärgert an, lenkte dann aber ein. »Wenn du meinst, dann halt Alois Hammerl, Großbauer aus Irschenhausen. Sein Land liegt an der Gemeindegrenze zwischen Schäftlarn und Icking-Irschenhausen genau neben unserem. Er hat beantragt, auf seinem Grund, direkt an unserer Grenze, zwei Windkrafträder bauen zu dürfen. Die projektierten Anlagen sind mehr als zweihundert Meter hoch, halten aber das Kriterium zehnfache Höhe als Abstand zur nächsten Wohnbebauung ein. Theodor hatte angekündigt, gegen das Vorhaben klagen zu wollen.«
Christoph ergänzte die Ausführungen von Paul Polster. »Theodor war strikt gegen dieses Projekt, weil der Anblick der Windräder seiner Meinung nach die Kunden in unserem Wellnesshotel und die Gäste im Reiterhof vergraulen würde. Außerdem befürchtete er, dass der von den Windrädern ausgehende Infraschall möglicherweise negative Auswirkungen auf unsere Schaf- und Rinderzucht haben könnte.«
Paul Polster übernahm wieder das Wort. »Ich habe immer wieder versucht ihm klarzumachen, dass wir wenig Chancen hätten, die Windräder zu verhindern. Dass die Kunden ausbleiben würden, ist reine Spekulation, und für den Infraschalleffekt gibt es keine wissenschaftlich bestätigten Fakten.«
»Wenn du das überhaupt vorgebracht hast dann wahrscheinlich nur sehr halbherzig. In Wirklichkeit hast du ihn in seiner Meinung doch nur unterstützt. Du hast Spenden an die Bürgervereinigung gegen die Monsterräder überwiesen, du hast ihn mit jedem erdenklichen Propagandamaterial gegen Windkraft versorgt und hast ihm einen Anwalt vermittelt, der die Klage gegen Hammerls Projekt vorbereiten sollte. Deine Solidarität mit meinem Bruder in allen Ehren, aber das reicht jetzt«, sagte Christoph verärgert. »Wir geben den sinnlosen Widerstand auf. Wir verhandeln mit Alois Hammerl und bieten ihm eine Partnerschaft zum Betrieb der Windräder an.«
Lukas wollte etwas sagen.
»Was gibt’s?«, fuhr ihn sein Vater an. Anscheinend hatte Paul Polster die Belehrung von vorhin und jetzt den Vorwurf von Christoph König noch nicht verdaut. Die Wortmeldung von Lukas kam gerade recht, um seinem Ärger ein wenig Luft zu machen.
»Paul, lasse ihn bitte reden«, sagte Christoph.
»Da müsste man aber gleichzeitig überlegen, wie man möglichst konstruktiv mit den Bürgern umgehen kann, die gegen die Windräder sind. Die machen eine gute Pressearbeit und haben die lokalen Zeitungen auf ihrer Seite. Es wird immer wieder berichtet, dass zahlreiche Bürger die Windräder ablehnen. Es wäre fatal, wenn in dieser Sache in der Süddeutschen Zeitung und im Münchener Merkur Negatives über Königs Hofgut zu lesen wäre.«
Christoph nickte nachdenklich. »Das ist ein guter Hinweis.« Er sah kurz zu Paul Polster und sagte dann zu ihm: »Du willst ja deinen Sohn möglichst schnell in die aktuellen Geschäfte einbinden. Das ist auch mein Interesse. Dann übertragen wir ihm doch diese Aufgabe. Das ist dir doch sicher recht?«
Da Paul nur ergeben den Kopf senkte, wandte er sich wieder an Lukas. »Lukas, Sie machen dann folgendes – ach was, wir sind ein Team, und du gehörst dazu, da bleiben wir doch gleich beim du – also, du sorgst dafür, dass wir auch dann in den Medien positiv dargestellt werden, wenn wir die Windräder unterstützen.«
Lukas war sichtlich zufrieden, dass der neue Chef ihm gleich als ersten Auftrag eine so wichtige Sache anvertraute. »Danke, Christoph, ich freue mich, dass ich gleich voll als Teammitglied einsteigen kann. Ja, das kann ich machen. Ich bin im Vorstand unserer Landjugend und habe auch sehr gute Beziehungen zu den Burschen aus Irschenhausen. Da fällt mir schon etwas ein, wie man die Stimmung in unserem Sinn beeinflussen kann. Außerdem kann ich ja auch noch Oliver einbinden.«
»Gut, nutze deine Kontakte, aber mache nichts Unüberlegtes und informiere mich immer über deine Schritte. Deinen Bruder Oliver solltest du aber nur informieren, wenn du sicher bist, dass er in dieser Sache auf unserer Seite steht. Ich habe da so meine Zweifel«, sagte Christoph König und wandte sich wieder an Lukas Vater. »Paul, du vereinbarst einen Termin mit dem Hammerl und redest dann mit ihm über die Windräder. Du kannst ja darauf hinweisen, dass sich die Stimmung zu diesem Projekt nach Theodors Tod verändert hat.«
Nach diesen Worten lehnte sich Christoph in seinem Stuhl zurück und fragte abschließend: »Gibt es aus eurer Sicht noch etwas, was wir jetzt besprechen müssten?«
Er sah die anderen der Reihe nach an. Als alle bestätigt hatten, dass es für sie keine weiteren Themen mehr gebe, erhob er sich und beendete die Konferenz.
Nach der Besprechung zur Lage des Hofguts ging Grace König zu ihrer Tochter Thelma, um sie zu informieren, dass Christoph zum Geschäftsführer bestellt worden war. Thelma nahm das wortlos zur Kenntnis und zuckte nur mit den Schultern.
Grace seufzte. »Wir können verstehen, dass du leidest und dich noch nicht in der Lage fühlst, an die Aufgaben im Hofgut zu denken. Deswegen hat Christoph auch auf deine Teilnahme an diesem Treffen verzichtet. Aber habe bitte auch Verständnis für uns: Die Welt wartet nicht, bis wir unsere Trauer überwunden haben. Wir mussten jetzt eine Entscheidung treffen.« Damit verließ sie Thelmas Zimmer.
Wenig später ging Thelma in die Küche zur Haushälterin Martha.
In ihren Augen standen Tränen. »Ich verstehe nicht, dass Christoph und Grace so kurz nach Papas Beerdigung schon wieder über Geschäfte reden. Was ist so wichtig an der Frage, wer jetzt Geschäftsführer ist? Sie hätten doch warten können, bis sich alle wieder etwas gefangen haben.«
Martha Eisner ging auf sie zu und schloss sie in ihre Arme.
»Kind, wie kann ich dich nur trösten?«, sagte sie mitfühlend und wischte ihr zärtlich mit einem Taschentuch die Wangen. Dabei hatte sie selbst feuchte Augen.
Martha war schon vor Thelmas Geburt im Haus König angestellt. Später hatte sie sich mit aller Liebe und Hingabe um das kleine Mädchen gekümmert, hatte sie gefüttert, mit ihr gespielt, ihr vorgelesen. Wenn Thelma krank war, hatte sie die Kleine gepflegt, ihre Hand gehalten und den Schweiß von der Stirn gewischt. Die Eltern hatten in ihr immer eine bereitwillige Helfe rin, wenn sie zu Festen, in Konzerte oder in Urlaub gehen wollten. Als es später in der Schule Schwierigkeiten gab, hatte sie vermittelt, mit den Lehrerinnen gesprochen und beim Lernen geholfen. Beim ersten Liebeskummer hatte sie Thelma getröstet und dafür gesorgt, dass sie auf andere Gedanken kam. Später, als Thelma gerade sechzehn Jahre alt geworden war und sie angefangen hatte, sich allzu bereitwillig mit jungen Männern abzugeben, die ihr den Hof machten, war es Martha, die ein paar ernste Gespräche mit ihr führte und sie wieder zu vernünftigem Verhalten bewegte.
»Martha, du bist wohl außer mir die Einzige in diesem Haus, die echt um Papa trauert«, sagte Thelma und presste ihren Lockenkopf an Marthas Schulter. »Ich dachte immer, Mama hätte Papa genauso geliebt wie er sie, aber wenn ich jetzt erlebe, wie sachlich und nüchtern sie nach seinem Tod mitmacht, wenn die Geschäfte abgewickelt werden, das ist schrecklich. Ich hatte geglaubt, dass Mama und ich uns in unserer Trauer gegenseitig helfen könnten, aber sie trauert nicht. Dass sein Bruder Christoph für sich das Beste daraus macht und die Leitung des Guts an sich reißt, das wahr ja zu erwarten, aber sie? Wie schal und flach sind die Gefühle meiner Familie. Ich schäme mich für sie und gleichzeitig bin ich voller Wut.«
»Nein, du musst dich nicht für deine Familie schämen, wenn du trauerst. Scham empfinden müssten dein Onkel und deine Mutter.« Der Grimm in Marthas Stimme war nicht zu überhören. Ihre Empörung war anscheinend stärker als die Trauer.
Thelma sah sie aufmerksam an. »Deine Wut auf die beiden ist anscheinend noch größer als meine. Was ist los?«
»Nein, ich glaube nicht, dass ich wütender bin als du. Wie kommst du darauf?«
»Martha, ich bin vierundzwanzig Jahre alt und wir sind enge Vertraute, solange ich mich erinnern kann. Ich kenne dich, so wie du mich kennst. Woher kommt dein Ärger?«
»Merkt man das wirklich so sehr?«
Zum ersten Mal seit dem Tod ihres Vaters schlich sich ein leichtes Lächeln auf Thelmas Gesicht. »Andere merken das vielleicht nicht, aber ich spüre es.«
Martha zögerte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, ich kann dich jetzt nicht noch mit neuen Dingen belasten.«
»Wenn es irgendein Problem zwischen dir und dem Rest meiner Familie gibt, dann will ich das wissen. Das belastet mich nur dann, wenn ich nicht weiß was es ist. Du bist auch meine Familie, oft sogar mehr als alle anderen. Ich will nicht, dass du irgendwelche Schwierigkeiten bekommst, jetzt, wo Papa nicht mehr da ist.«
»Zwischen mir und der Familie gibt es kein Problem. Es geht um etwas, das innerhalb deiner Familie passiert.«
»Lass dir doch nicht alle Würmer einzeln aus der Nase ziehen. Komm, sag schon, gibt es ein Problem?«
Martha gab sich einen Ruck. »Gut, irgendwann würdest du es sowieso erfahren.« Eine ganz kurze Zeitspanne zögerte sie noch, dann sagte sie: »Ich bin sicher, dein Onkel Christoph und deine Mutter Grace haben ein…«. Sie brach ab, so, als könne sie das Schlimme nicht aussprechen und blickte Thelma vielsagend an.
Thelma hielt die Luft an, dann atmete sie tief aus. »Du meinst, die treiben es miteinander, meine Mutter geht mit dem Bruder ihres gerade verstorbenen Ehemanns ins Bett?«
»Mit absoluter Gewissheit kann ich das nicht sagen, aber ich habe Christoph schon mehrfach dabei beobachtet, wie er am Morgen aus dem Schlafzimmer deiner Eltern schlich. Und das Ehebett ist auch manchmal auf beiden Seiten verwühlt. Ich glaube nicht, dass Grace das allein macht.«
»Ich fasse es nicht. Kaum ist ihr Mann unter der Erde, vergnügt sie sich mit einem anderen, noch dazu mit dem Bruder meines Vaters.« Die Worte kamen nur gepresst aus Thelmas Mund. Dann verstummte sie und starrte Martha fassungslos an. Die ergriff ihre Hände und drückte sie wortlos.
Nach einer geraumen Weile flüsterte Thelma: »Waren die ganzen Schwüre ihre Liebe zu meinem Vater nur gespielt? Ich war immer sicher, dass meine Mutter Papa liebt. Und jetzt, kaum ist er unter der Erde, teilt sie ihr Bett mit seinem Bruder. Wie können sie damit leben? Wie kann ich damit leben? Ich wollte, alle wären tot, ich auch.«
»Thelma, Liebling, sag doch nicht so was«, rief Martha entsetzt. »Ich weiß, dein Schmerz ist unendlich, aber du wirst irgendwann darüber hinwegkommen. Du musst leben und das Andenken deines Vaters hoch halten, wenn es schon die anderen nicht tun. Dein Vater würde nicht wollen, dass du dich in deinem Schmerz vergräbst.«
In der auf diesen Appell einsetzenden Stille ertönte der Klingelton von Thelmas Smartphone.
»Ich kann da jetzt nicht rangehen«, sagte Thelma und legte das Smartphone auf den Tisch.
Martha nahm es und warf einen Blick auf das Display. »Das ist Helen McSpears, deine Cousine. Ihr seid doch gut befreundet. Willst du nicht mit ihr sprechen?«
»Sag du ihr, dass ich jetzt nicht in der Lage bin, mit ihr zu reden. Ich kann jetzt niemanden aus der Familie meiner Mutter um mich haben. Sie soll sich morgen wieder melden.«
Nachdem Martha der Anruferin gesagt hatte, was ihr Thelma aufgetragen hatte, hörte sie ihr noch einen Moment zu. Dann deckte sie das Mikrofon mit der Hand ab und sagte zu Thelma: »Sie ist schon auf dem Weg hierher. Sie will mit dir über den Tod deines Vaters sprechen. Sie sagt, sie hätte eine wichtige Information für dich.«
Thelma wurde aufmerksam. »Eine wichtige Information über den Tod von Papa? Okay, sie soll kommen.«
Martha sprach noch kurz mit der Anruferin und schaltete dann das Smartphone aus. »Sie meint, in spätestens zehn Minuten wäre sie hier. Sie möchte mit dir vertraulich unter vier Augen reden.«
»Ob sie etwas von der Beziehung zwischen meiner Mutter und Christoph weiß?«
»Das kann ich mir nicht denken. Woher sollte sie das wissen?«
»Ich werde ja hören, was sie mir zu sagen hat. Wenn sie kommt, schick sie bitte zu mir in mein Zimmer. Dort sind wir ungestört«, sagte Thelma. Dann ging sie durch den Flur und stieg die Treppe zum oberen Stockwerk empor, wo sich ihr Zimmer befand.
Als es nach einer guten Viertelstunde an die Zimmertür klopfte, regte sich Thelma nicht. Nach einigen Augenblicken klopfte es erneut, diesmal etwas lauter. Wieder machte Thelma keine Anstalten, darauf zu reagieren. Die Tür wurde vorsichtig einen Spalt geöffnet und Helen streckte den Kopf in das Zimmer.
»Kann ich reinkommen?«, sagte Helen zu der am Fenster stehenden Freundin. Thelma nickte nur, bewegte sich aber nicht einen Schritt in ihre Richtung.
Helen eilte auf Thelma zu und schloss sie in die Arme. Die stand stocksteif.
»Was hast du, Thelma? Hat deine Trauer noch nicht ein klein bisschen nachgelassen, dass du so erstarrt bist? Oder bist du wegen irgendetwas böse auf mich?«
»Du bist eine McSpears«, sagte Thelma knapp, »und das ist keine gute Empfehlung.«
»Das verstehe ich nicht. Was heißt das?«
Thelma erklärte es in wenigen Worten. »Meine Mutter ist eine geborene McSpears und sie ist durch und durch schlecht. Vielleicht bist du auch so.«
Helen sah sie erschrocken an. »Ich dachte, du kennst mich. Ich liebe dich, wie man nur eine Freundin lieben kann, und du liebst mich auch.«
»Das ist es ja. Meine Mutter hat meinem Papa immer beteuert, wie sehr sie ihn liebt. Und jetzt stellt sich heraus, dass alles nur gelogen war. Wer sagt mir, dass es mit dir nicht genauso ist?«
Helens Stimme vibrierte leicht vor Zorn. »Du hast immer gesagt, dass du mich liebst. Ich habe immer geglaubt, dass das die Wahrheit ist.«
»Das stimmt auch. Es war die Wahrheit und es ist immer noch die Wahrheit«, beteuerte Thelma.
»Das glaube ich dir«, sagte Helen und ergriff Thelmas Hand. »Aber wieso glaubst du mir nicht?«
»Weil du eine McSpears bist«, rief Thelma. Dann stutzte sie, ihre Augen wurden groß und weit. »Mein Gott, ich bin ja auch eine McSpears. Kann ich mir da selbst nicht mehr glauben?« Sie begann zu weinen. Diesmal zeigte sie keine Abwehr, als Helen sie an sich zog.
»Komm, sag mir, was los ist. Wieso glaubst du, dass Grace die Liebe zu deinem Vater nur vorgetäuscht hat?«
»Ich habe gerade erfahren, dass meine Mutter mit meinem Onkel Christoph ein Verhältnis hat«, sagte sie unter Tränen. »Und das, nachdem Papa, der von ihr angeblich heiß geliebte Mann, noch nicht mal seit drei Wochen tot ist.«
»Bist du sicher? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Woher weißt du das?«
»Martha hat in letzter Zeit öfter gesehen, wie sich Christoph morgens aus Mamas Schlafzimmer geschlichen hat. Und immer war das Bett auf Papas Seite auch benutzt. Das ist doch eindeutig.«
Helen war empört. »Das ist unglaublich. Wir müssen Grace zur Rede stellen.«
»Ich glaube nicht, dass das etwas bringt, sie würde alles abstreiten«, wehrte Thelma ab. »Irgendwie werde ich ihr und Christoph das heimzahlen.«
»Mit dieser Energie gefällst du mir schon wieder besser«, lächelte Helen, wurde aber gleich wieder ernst. »Aber lass dich nicht zu irgendwelchen unüberlegten Handlungen hinreißen, die du hinterher doch wieder bereuen würdest.«
Thelma reagierte nicht auf diese Mahnung, sondern blickte nachdenklich ins Leere, als ob vor ihrem inneren Auge ein Film ablief, in dem die ersehnten Strafen für Christoph und Grace zu sehen waren.
Nach einigen Sekunden des Schweigens sah sie wieder zu Helen. »Aber du wolltest mich sprechen, weil du Informationen über Papas Tod hast. Was sind das für Informationen?«