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* Ein empfindsamer Liebesroman in Briefen Therese von Waldau, eine junge Adlige, steht nach dem Tod ihres Vaters nahezu mittellos und bar jeder Hoffnung in der Welt. Um ihre Mutter zu unterstützen, nimmt sie resigniert, doch mit dem festen Entschluss, ihre Pflicht zu erfüllen, eine Stelle als Kammerjungfer in einem gräflichen Schloss an. Dort begegnet sie Graf Bardenstein, der in der anmutigen jungen Frau bald das Ideal seiner Liebe erkennt. Kann ihre Liebe die Schranken der Gesellschaft überwinden? * Tauchen Sie ein in die gefühlvolle Welt der deutschen Romantik Erstmals 1805 erschienen, wurde dieser empfindsame Briefroman von Quality Books behutsam modernisiert, um die heutige Leserschaft zu begeistern. Mit poetischer Sprache erzählt er von Liebe über Standesgrenzen, Pflicht und Selbstbestimmung – ideal für Fans klassischer Romantik wie Samuel Richardson, Sophie von La Roche oder Goethes „Werther“. * Über die Autorin Charlotte von Ahlefeld (1781–1849), eine gefeierte Schriftstellerin der deutschen Romantik, verfasste zahlreiche Romane und Erzählungen, die besonders Frauen begeisterten. Schon mit sechzehn Jahren debütierte sie mit ihrem Erstlingswerk „Liebe und Trennung“. Ihre Familie gehörte zur Weimarer Gesellschaft und pflegte freundschaftlichen Umgang mit Goethe und Frau von Stein.
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Seitenzahl: 206
Veröffentlichungsjahr: 2025
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THERESE
Modernisierte Neufassung
des zweiteiligen Romans
von
Charlotte von Ahlefeld
Gesamtausgabe
Quality Books
2025
Quality Books
Klassiker in neuem Glanz
Textquellen:
Therese: Ein Roman in zwei Theilen (Erster und Zweiter Theil)
Charlotte von Ahlefeld
Erstdruck: 1805, Hamburg, B. G. Hoffmann
Sprachlich modernisierte Neufassung: Marcus Galle
Umschlaggestaltung: Maisa Galle
© 2025 by Quality Books, Hameln
1. Auflage: Februar 2025
ISBN 978-3-946469-34-6
E-Mail: [email protected]
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Anschrift
Dieses E-Book, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung des Herausgebers nicht vervielfältigt, wiederverkauft oder weitergegeben werden.
Inhaltsverzeichnis
Titel
Impressum
Therese: Ein Briefroman
(Gesamtausgabe)
Erster Teil
Erster Brief
Zweiter Brief
Dritter Brief
Vierter Brief
Fünfter Brief
Sechster Brief
Siebenter Brief
Achter Brief
Neunter Brief
Zehnter Brief
Elfter Brief
Zwölfter Brief
Dreizehnter Brief
Zweiter Teil
Erster Brief
Zweiter Brief
Dritter Brief
Vierter Brief
Fünfter Brief
Sechster Brief
Siebenter Brief
Achter Brief
Neunter Brief
Zehnter Brief
Elfter Brief
Zwölfter Brief
Dreizehnter Brief
Impressum (Anschrift)
THERESE
_____________________
Ein Briefroman
von
Charlotte von Ahlefeld
ERSTER TEIL
Erster Brief
Therese von Waldau an ihre Mutter
Wenn diese Zeilen Sie ruhiger antreffen, als ich Sie verlassen habe, teuere Mutter, o so schwindet der letzte Überrest von Kummer aus dem Herzen Ihrer frohen Therese. – Ich bin glücklich hier angekommen, und es sind heute drei Tage, seit ich meinen Dienst antrat, der keiner der schlechtesten ist. Seien Sie unbesorgt um mein Schicksal! – Ich finde, dass es weit erträglicher ist, als wenn ich von fremden Wohltaten leben müsste; denn das Gefühl einer selbst erworbenen – freilich nicht glänzenden, aber doch wenigstens ruhigen Existenz hebt meinen verwundeten Stolz wieder auf, der die Stütze meiner Fröhlichkeit ist.
Warum sollte Sie meine jetzige Lage eigentlich auch bekümmern? Sie ist ja nicht sehr von meiner vorigen unterschieden. Ich war nie müßig, und dass ich jetzt aus Pflicht arbeite, da ich es sonst nur zu meinem Vergnügen tat, fällt mir nicht schwer. Auch danke ich Ihrer sorgsamen Erziehung jene Biegsamkeit, die es mir leicht macht, fremde Launen schonend zu ertragen und in Dingen zu gehorchen, wo ich ehemals gewohnt war, zu befehlen. Zwar leugne ich nicht, dass der Gedanke: Du sollst dienen! anfangs viel Herbes für mich hatte, aber so wie die düstere Schwärze entfernter Wälder in der Nähe in ein sanftes, das Auge labendes Grün dahinschmilzt, so dünkt mir auch mein Zustand jetzt viel freundlicher, als da ich ihn noch von Weitem erblickte. Die Vorstellung, mit der Verhüllung meines Standes, mit der Aufopferung einiger Vorurteile und mit der treuen Anwendung meiner Kräfte und meines Willens die trüben Tage der besten Mutter zu erleichtern, gibt meinem neuen Verhältnis etwas Ehrwürdiges und Rührendes — und die weite Entfernung, die es dem Mitleiden, vielleicht dem Spott meiner Bekannten entzieht, vernichtet den letzten Schatten von Beschämung, mit dem ich mich entschloss, mich ihm zu widmen.
Ich reiste nur bis B. mit dem Mietkutscher, den Ihre Güte für mich gedungen hatte. Er traf dort Gelegenheit, eine Fuhre zu tun, die weit vorteilhafter war als die meinige, und ich fand mich sehr gern mit ihm ab, um mit dem ordinären Postwagen weiterzugehen, da ich dadurch eine Ersparnis machen konnte, die für unsre Armut nicht unbeträchtlich ist.
Jedoch bestieg ich nur mit einem kleinen Schauder das mit einer Menge Menschen aus der niedrigsten Klasse angefüllte Fuhrwerk, und still besorgt nahm ich den engen, kümmerlichen Platz ein, den man für mich übrig gelassen hatte. Dass die Unterhaltung nicht nach meinem Geschmack war, können Sie sich denken. Mit langsamem Schneckenschritt bewegten sich die mageren Pferde vorwärts, und zurückzublicken nach den blauen Hügeln meines verlassenen, unvergesslichen Vaterlandes – zurückzudenken an die Tage der Vergangenheit, die so unaufhaltsam vorüberflohen, war meine einzige Beschäftigung, und beides wiegte mich in süße, obgleich wehmutsvolle Träume. Meine Fantasie zog über die Gegenwart einen mildernden Schleier, der nur bisweilen sich verschob und raue Ecken durchblicken ließ, von denen ich schnell mein Auge wegwandte. Mit den Wolken, die über mich hinschwebten, eilten meine Gedanken in die lieblichen Gefilde meiner Heimat zurück, und ich begleitete jedes Lüftchen, das nach Westen wehte, mit den innigsten Gebeten für Ihr Wohl – mit den zärtlichsten Wünschen für Ihre Zufriedenheit.
Von meinen Reisegefährten will ich schweigen. Ich hatte so viel von Abenteuern auf Landkutschen gehört, und durch die gemischte Gesellschaft, in der ich mich befand, ward es mir nicht unwahrscheinlich, dass auch mir eins bevorstehen könnte. Deshalb rief ich alle meine Behutsamkeit auf und erhielt sie wach, um ihm recht geschickt auszuweichen; aber meine Sorgfalt war unnötig, denn niemand gab auf mich acht und meine Nachbarn ließen mich durch ihre phlegmatische Unhöflichkeit merken, dass ihr Anteil an mir nicht lebhafter war als der meinige an ihnen.
So schlichen zwei Tage langsam genug vorüber und am dritten erhob sich schon weit aus der Ferne ein Schloss mit Türmen auf einem Berge. Ahnend sagte mir mein Herz: Das ist dein künftiger Wohnort! – und als mir der Postillion auf meine Frage nach dem Namen desselben: Schloss Fichtenhöh antwortete, betrachtete ich es mit Wohlgefallen und Rührung, bis es mir immer näher und näher kam und endlich nur hundert Schritt von der Poststraße im milden Glanz der untergehenden Sonne stattlich wie eine alte Ritterburg vor mir lag.
Ich stieg ab und ging zu Fuß hinauf. Ein gutmütiger Bauer, der auf dem Felde arbeitete, übernahm es, mir meinen leichten Koffer nachzutragen, und mit starkem Herzpochen erreichte ich dies alte, ehrwürdige Haus, dessen Bauart die Spuren längst vergangener Jahrhunderte an sich trägt.
Man meldete sogleich der Gräfin meine Ankunft, und ich wurde zu ihr geführt. Da ich oft gehört habe, dass der erste Eindruck der bleibendste ist und dass er bei einseitig urteilenden Menschen, die man wohl verachten, aber nicht immer entbehren kann, genauer oft als eine lange Bekanntschaft entscheidet – und – da ich aus Erfahrung weiß, dass man von der Außenseite nur gar zu leicht auf unser Inneres schließt: so hatte ich mich so einfach und zu gleicher Zeit so aufmerksam gekleidet wie möglich. Ich verwarf, als ich meine kleine Garderobe musterte, jedes Überbleibsel aus reicheren Tagen, was nur einigermaßen schimmerte, und wählte einen anspruchslosen, aber feinen Anzug aus simpler Leinwand. Da ich der Gräfin von guter Herkunft geschildert war, so schien es sie nicht zu befremden, dass ich über meinem bescheiden, doch sorgsam gelockten Haar einen Strohhut trug, obgleich ihre Kammerfrau, eine alte Jungfer, die bei der Audienz zugegen war, ihre schon grau werdenden Haare unter einem ehrbaren Häubchen verborgen hatte.
Ich kenne die Gräfin noch zu wenig, um beurteilen zu können, ob der Stolz, mit dem sie mich empfing, Würde oder Hochmut ist. Beinahe glaube ich das Letztere. Sie musterte mit einem strengen, forschenden Blick meine ganze Person, die ich ihr nicht ohne einige Verlegenheit darstellte. Dann sagte sie mir, ich sei zu der Bedienung ihrer Tochter bestimmt; weil aber ein Lärvchen wie das meine in einem Hause voller Mannspersonen häufigen Anlass zur Verführung hätte, so sollte Sabine – dies ist der Name der alten Kammerfrau – mich unter ihre Aufsicht nehmen und von Zeit zu Zeit Rechenschaft von meinem Betragen ablegen. – Sabine machte dabei ein Gesicht, das mir anriet, sie um Protektion zu bitten, und ihr triumphierender Blick ließ mich das Ansehen fühlen, das zwanzigjährige treu geleistete Dienste ihr bei ihrer Gebieterin erworben haben.
Wir wurden hierauf entlassen und ich folgte ihr in ihr Zimmer, das ich gemeinschaftlich mit ihr bewohnen soll. Zu meiner großen Freude übergab sie mir den Schlüssel zu einer kleinen Kammer, in der ich ein Bett und meinen Koffer fand und die für mich ein willkommener Zufluchtsort in Stunden ist, wo ich der Einsamkeit bedarf, um mein Gemüt zu sammeln und zu erheben.
»Ich bin recht froh«, hob Sabine an, indem sie mich mit Tee bewirtete, »dass Sie nun endlich einmal da ist und dass ich die junge Comtesse loswerde, die ich bisher mitbedienen musste. Ich glaube, ich wäre vor Ärger zugrunde gegangen, wenn ich dem Wildfang noch ferner hätte aufwarten sollen. Ich will ihr eben gerade kein böses Herz Schuld geben – aber sie ist von einer Ausgelassenheit, von einer Unordnung, von einer Lustigkeit, dass mir manchmal vom bloßen Zusehen der Kopf wehgetan hat. Denn wenn man einmal in gewisse Jahre kommt und von Kindesbeinen an an Ehrbarkeit und Stille gewöhnt ist, da dünkt es einem doppelt unerträglich, wenn so ein leichtfertiges, naseweises Ding einen zum Besten hat und wie ein ungebändigtes Füllen um einen hertobt. Nun – hoffentlich räumt sie bald das Haus – da gibt’s Brautgeschenke für Sie, Jungfer, und für uns Ruhe. In dem halben Jahr, seit sie die Gräfin aus der Pension nahm, weil man sie auch dort nicht mehr zügeln konnte, ist’s gerade, als hätte sich alles bei uns umgekehrt. Sonst ging alles so ordentlich und still seinen Gang – jedes verrichtete gelassen, ohne Geräusch seine Geschäfte; aber als die Comtesse ankam, wurde es auf einmal so laut hier, als hätten wir eine Schwadron Husaren zur Einquartierung. – Der Gräfin ist es auch fatal genug; indessen wird jetzt aus allen Kräften daran gearbeitet, sie zu verheiraten, und dann, denk ich, wird sie der Ehestand schon zahm machen.«
Vielleicht wäre die ehrbare Sabine noch lange in ihrer Rede fortgefahren, da ich bescheiden zuhörte und keine Miene machte, sie zu unterbrechen; aber mit einem Mal entstand auf dem Hof ein gewaltiger Lärm von Pferden und Hunden, der uns beide ans Fenster lockte. Es war die junge Comtesse, die, begleitet von zwei Herren, soeben von einem Spazierritt nach Hause kam.
Der eine, in einer funkelnden Husarenuniform, nahm sich glänzend genug in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne aus, die ihn beleuchteten. Er ritt einen wilden Fuchs, der eine Menge Sätze und Sprünge machte, welche die Comtesse dergestalt belustigten, dass zu Sabines großem Ärger ihr lautes, schallendes Gelächter bis in unser Dachstübchen heraufdrang. Der andere Ritter schien gesetzter zu sein. Die Abenddämmerung und der weite Raum zwischen ihm und mir verbarg mir seine Züge, doch dünkte mir seine Gestalt stolz, ernst und edel. Er trug einen dunkelblauen einfachen Frack – sein abgeschnittenes blondes Haar umflog ihn in zart gebildeten Locken. – Ruhig und zurückgezogen sah er von einem schönen Engländer der Wildheit seines Begleiters zu, der sein Ross mit ebenso viel Tollkühnheit wie Anstand auf dem Hof umhertummelte, bis die Mattigkeit, in die es verfiel, und das Zurufen der alten Gräfin aus dem Fenster seinen ritterlichen Übungen ein Ende machte.
»Da sieht Sie nun selbst«, erhob Sabine voll Eifer ihre Stimme, »ob ich Ihr zu viel von der Comtesse gesagt habe. Ist das wohl eine Aufführung für ein junges Fräulein? – Ja, die Jugend ist freilich heutzutage sehr verdorben, und echte Zucht und Sittsamkeit ist leider so rar geworden, dass sie Aufsehen macht wie ein weißer Sperling; aber so ganz toll und leichtsinnig wie diese trifft man doch, gottlob, nur wenige an.«
Sie erzählte mir nun, dass der junge Husarenoffizier ein Baron Hellmuth und ein naher Verwandter der Gräfin sei, der sich’s einfallen lasse, seiner Cousine die Cour zu machen. Sabine fand dies unerhört, da er keinen Heller im Vermögen haben soll. Die Comtesse ist durch eine schon seit Jahren getroffene Verabredung zwischen ihrer Mutter und der Gräfin Bardenstein für den einzigen Sohn der Letzteren bestimmt, und eben dieser war der andere, stillere Gefährte der Comtesse, der mir weniger als der wilde Husar zu der Munterkeit seiner jungen Braut zu passen schien. Unter einer Menge Erzählungen von der Einrichtung des Hauses und unter Lebensregeln, die mir Sabine gab, erhielten wir unser Abendessen. Von der Achtung, mit der Sabine von den sämtlichen Bedienten des Hauses behandelt wird, schloss ich auf den Einfluss, den sie auf die Gräfin hat, und ich gab mir Mühe, ihr Wohlwollen zu erlangen. Auch scheint es mir gelungen zu sein, wenigstens hat sie mir schon einige Mal versichert, als sich ihr Grimm über die jetzige Sittenverderbnis ergoss, dass sie mich als eine Ausnahme betrachte und eine vorteilhafte Meinung von mir habe.
Auf einmal wurden die zwei Glocken in unserm Zimmer angezogen, jedoch auf eine sehr verschiedene Weise. Mit Heftigkeit stürmte die eine — ganz leise und sanft bewegte sich die andere. Die erste galt mir, die zweite Sabine. Wir gingen zusammen die Treppe herunter, und während meine alte Begleiterin sich noch tiefer herab zur Gräfin verfügte, zeigte sie mir die Tür zu dem Zimmer der Comtesse, die ich erwartungsvoll öffnete.
Ein hübsches Geschöpf, in der ersten, noch kaum entwickelten Blüte der Jugend, kam mir mit vieler Freundlichkeit entgegengehüpft. Sie trällerte sich eben ein Liedchen, das vier kleine Schoßhunde, die sie umgaben, mit ihrem Gebell akkompagnierten. Als ich hereintrat, hörte sie auf zu singen, aber die Hunde bellten fort, und als sie mit Liebkosungen und guten Worten sie nicht zum Stillschweigen bringen konnte, flog sie schnell entschlossen mit einer komischen Aufwallung von Zorn nach ihrer Reitpeitsche, die nebst dem Federhut und ihren Handschuhen auf der Erde lag, und hieb ohne Schonung unter sie, bis der eine, der eine lahme Pfote hatte, unglücklicherweise an dieser verletzt wurde und ein jämmerliches Geschrei erhob, worauf sich die übrigen verkrochen.
Sogleich warf der kleine Wildfang die Peitsche weg und brachte mit der zärtlichsten Sorgfalt den Patienten auf das Sofa in eine bequeme Lage, indem sie tausendmal die kranke Pfote an ihr Herz drückte und sie um Verzeihung bat.
Ich muss gestehen, dass mich dieser Empfang heimlich belustigte. Sie hatte noch kein Wort mit mir gesprochen, sondern war unablässig mit der leidenden Zemire beschäftigt, welche noch immer leise fortwimmerte. Endlich wandte sie sich um und hieß mir, aus einem Wandschrank, den sie mir bezeichnete, ein Stück Biskuit zu holen. Er war eine Art von Musterkarte oder vielmehr ein ganzes Warenlager aller möglichen Näschereien. – Als Zemire dies süße Beruhigungsmittel roch, änderte sich der Ton ihrer Stimme und drückte nicht mehr Schmerz, sondern Begierde aus. Die Comtesse, zufrieden, sie wieder mit sich ausgesöhnt zu haben, stand nun auf und hieß mich lächelnd willkommen.
»Deine Ankunft ist mir recht lieb, mein Kind«, sagte sie, »und ich habe ihr schon lange mit Sehnsucht entgegengesehen! Die alte Sabine und ich konnten uns nicht zusammen vertragen, denn ich bin ihr zu munter und sie ist mir zu verdrießlich. Du aber gefällst mir mit deinem freundlichen Gesicht, und du sollst es gut bei mir haben, denn ich bin bei Weitem nicht so schlimm, wie mich dir Sabine wahrscheinlich geschildert hat. Deine Hauptgeschäfte sind, meine Hunde und Vögel gehörig zu füttern und zu pflegen und die Spitzen und Blonden, die ich täglich zerreiße, recht sauber auszubessern. Übrigens hilfst du mich an- und auskleiden und räumst auf, was manchmal an einer unrechten Stelle liegt. Denn ich will Sabine eben nicht der Verleumdung beschuldigen, wenn sie behauptet, ich sei sehr unordentlich. Aber es geht mir mit der Ordnung wie mit vielen andern Tugenden. Wenn ich sie auch nicht selbst habe, so schätze ich sie doch an meinen lieben Nebenmenschen.«
Unter ähnlichem Geschwätz, das mit kindischen Fragen und Scherzen abwechselte, trat ich unter ihrer Aufsicht mein neues Amt an, brachte die Hunde zu Bett, zog den grünseidenen Vorhang über die Voliere, um die Bewohner derselben gegen den Glanz der Lichter zu schützen, und entkleidete meine junge Gebieterin mit eben der Aufmerksamkeit, mit der ich sonst selbst bedient wurde, wodurch ich mir ihren vollen Beifall zuzog, da Sabine sie wahrscheinlich aus Mangel an Zuneigung ein wenig in ihrer Aufwartung vernachlässigt hatte.
Stiller beinahe noch als der erste Tag sind mir die beiden folgenden vergangen. Glauben Sie der Versicherung, beste Mutter, dass mir dies einsame Leben nicht missfällt, vorzüglich wenn ich ihm zuweilen einige Augenblicke abstehlen kann, um Ihnen zu schreiben. Jede Kleinigkeit, die sich nur einigermaßen über den alltäglichen Gang desselben erhebt – jeden Sonnenblick, jeden Regenschauer meines Schicksals will ich wahr und offen Ihrem mütterlichen Auge zur Prüfung darlegen, und ich weiß, Sie werden, nachsichtsvoll und gütig, wie immer, mich zurechtweisen, wenn ich fehle, und – o entzückender Gedanke! – meine Handlungen segnen, wenn sie es verdienen.
Zweiter Brief
Therese an ihre Mutter
Weniger heiter, weniger zufrieden als das vorige Mal, da ich Ihnen schrieb, setze ich mich heute zu diesem mir so lieben Geschäft nieder. Vielleicht gibt mir eine treue Darstellung der kleinen, aber nicht unbedeutenden Begebenheit, die ich gehabt habe, die stille Ruhe wieder, die ich in meiner Brust vermisse – und wenn sie auch heute noch nicht zurückkehrt, so wird sie Ihr Rat, Ihre Meinung, beste Mutter – selbst der Gedanke, Ihnen die geheimsten Empfindungen meines Herzens enthüllt zu haben, nach und nach zurückrufen in mein Wesen, das jetzt eine sonderbare Wehmut durchschauert. Liebe Mutter, nennen Sie mich immer eine Törin, wenn ich Ihnen gestehe, dass eine Ahnung von Liebe und von dem Glück, das sie gewährt, wie ein schöner Lichtstrahl die dämmernde Nacht meines Innern erleuchtet hat. Vielleicht – und ein bittrer Schmerz mischt sich in diesen Zweifel – vielleicht hätte sie mir ewig verborgen bleiben sollen – vielleicht sind die Hoffnungen und Wünsche, die sie begleiten, sogar strafbar, da meine Lage mir nicht erlaubt, sie zu nähren — aber wie dem auch sei, so wird mir dennoch die Stunde unvergesslich und teuer bleiben, die sie zuerst in mir erweckte.
Die Gräfin und ihre Tochter waren heute Morgen zu einer Feierlichkeit in der Nachbarschaft eingeladen, die ihre frühe Abreise erforderte. Sabine sagte mir, die beiden Herren würden mit von der Partie sein, und als die Comtesse hinuntergehüpft war und ich den Wagen fortfahren hörte, blieb ich in ihrem Zimmer zurück, um es aufzuräumen.
Für einige Augenblicke – schelten Sie meine Schwäche – für einige Augenblicke sank mein Mut und meine Fröhlichkeit bei dieser Beschäftigung. So war auch mein Zimmer einst geschmückt, dachte ich, von mancherlei Erinnerungen umschwebt, als ich die seidene Tapete, die wohlgeordneten englischen Kupferstiche an den Wänden, die zierlichen Möbel und die glänzenden Spiegel übersah! – Es war noch früh am Tage – ich öffnete das Fenster und die kühle Morgenluft wehte mir balsamisch und erquickend entgegen und nahm den Seufzer mit hinweg, der mir in jener törichten und – ach! – doch so verzeihlichen Aufwallung von Trauer um den ehemaligen Glanz unsres Hauses entschlüpft war.
Ob die Morgensonne durch bunte Seide in mein Zimmer strahlt oder ob sie unverhüllt mein kleines Fenster vergoldet – ist das nicht eins für ein Herz voll Genügsamkeit, wie das meine? – So sagte ich zu mir selbst und ein stillerer Friede als vorher kehrte in mein Gemüt zurück. Lächelnd blickte ich in die tiefen Täler hin, die in dem zarten Schmuck des Frühlings zu meinen Füßen lagen; und durfte ich gleich keine der gesegneten Fluren, keins der befrachteten Schiffe, die seitwärts den wogenden Strom hinabschwammen, mein nennen, so konnte doch das die reine Freude nicht stören, die dieser malerische Anblick in mir erregte. Auch die Armut hat ihre Vorzüge, dachte ich, und besonders die meinige, da sie nicht drückend ist. Eine stille Sicherheit umgibt sie – der Neid wählt sie nie zu seinem Ziele. Dem engherzigen Menschen dünken die Schranken der Armut zwar nur Kerkerwände, da sie seinem schwelgenden Willen trotzen, aber Zufriedenheit und froher Sinn können auch dem Entbehren ein freundliches Wohlbehagen abgewinnen, das der Reiche oft in der Fülle seines Überflusses nicht kennt. Und schuf nicht der Himmel für den König wie für den Bettler seine Welt so unaussprechlich schön? Dass der eine beherrscht, was der andere nur übersieht – das ist freilich ein Unterschied; aber ach, oft hüllt vielleicht der Purpur quälendere Sorgen ein als das simple Gewand der Dürftigkeit.
Über diesen Betrachtungen und über der schönen Aussicht, in die ich vertieft war, hätte ich beinahe das Geschäft vergessen, das mich noch an das Zimmer fesselte. Ich vollendete es schnell, und als ich in das anstoßende Kabinett trat, um es ebenfalls in Ordnung zu bringen, erblickte ich die Harfe der Comtesse, die sie vor Kurzem erst hat kommen lassen, um sie zu lernen.
Jene Tage, wo mein Harfenspiel so mancher unserer einsamen Stunden fröhliche Schwingen gab – o meine Mutter, wie lebhaft fielen sie mir ein – wie lebendig stand ihr Bild vor meinem schwimmenden Auge, und meine Tränen flossen der Erinnerung jener Seligkeit, die sie begleitete. – Ach, ich klage nicht um den flüchtigen Traum von Glück, der meine früheren Jahre schmückte – nicht um die Bequemlichkeiten eines reicheren Lebens – nicht um die Freuden des Überflusses. Aber die Trennung von Ihnen empfand ich jetzt schmerzlicher, da ich unseres Beisammenseins gedachte, das der Anblick dieser Harfe mir ins Gedächtnis rief.
Ich konnte mich nicht enthalten, dies liebe, lange entbehrte Instrument in meine Arme zu nehmen; und da ich alles verreist und Sabine zu weit entfernt glaubte, um mich hören zu können, so wagt ich’s, mit bebender Hand durch eine meiner Lieblingsmelodien mir das Andenken der vergangenen Zeiten zu erneuern. Alles war still um mich her – ich wurde kühner. Die Erinnerung berauschte meine Sinne. Ich setzte mich nieder, und indem sich mein Geist in die wonnevollen Szenen meiner ersten Jugend verlor, begleitete ich mit der ganzen Innigkeit des aufgeregten Gefühls durch Gesang mein wehmütiges Spiel.
Auf einmal vernahm ich ein Geräusch im Nebenzimmer, das aber bald wieder verstummte. Ich hatte das Fenster offen gelassen – der Wind spielte mit den seidenen Gardinen, und ihm gab ich sorglos die Schuld jener leisen Bewegung, die ich hörte, als auf einmal Graf Bardenstein, der hereintrat, den Irrtum widerlegte, in dem ich mich so sicher dünkte.
Auf seinem Gesicht, einem der schönsten und geistreichsten, die ich jemals sah, malte sich Überraschung und Erstaunen. O meine Mutter, dass Sie ihn selbst gesehen hätten! – Wie kann meine schwache Feder all die Anmut schildern, mit der er mir ins Auge sah – den himmlischen Ausdruck seiner Züge, in denen Stolz und Sanftheit so lieblich miteinander verschmolzen ist, und diese hohe, edle Gestalt – die freie Stirn, die den reinen Adel seines Gemüts verkündet – das dunkle, ernste Auge, das Gefühl und Geist ausspricht, auch wenn seine Lippen schweigen! – Zum ersten Mal hatte ich Gelegenheit, ihn genau zu betrachten, und ein einziger Blick auf ihn, den meine Verlegenheit noch obendrein abkürzte, grub sein Bild mit allem Feuer der Wahrheit und — vielleicht auch der Liebe in meine Seele.
Ich ahne Ihre Verwunderung, Ihre Besorgnis und – ach! – Ihren Tadel, und darum wiederhole ich es noch einmal: Dass Sie ihn doch selbst gesehen hätten! – Nur sein eigner Anblick – ich fühl es – kann den Eindruck entschuldigen, den seine Liebenswürdigkeit so schnell und tief auf mein unbefangenes, unverwahrtes Herz machte. Zwar weiß ich, dass meine jetzigen Verhältnisse und auch die seinen eine weite Kluft zwischen mich und ihn werfen, die jede Hoffnung verschlingt, ihn zu besitzen. Er ist der Verlobte des Mädchens, dem ich diene! – dies rief eine warnende Stimme in meinem Innern, und noch immer tönt sie fort und verscheucht meine lachenden Träume in dem ersten Moment ihrer Entstehung. – Auch weiß ich, dass eine glänzende Außenseite nicht allein Ansprüche auf eine so unbesonnene warme Neigung wie die meine gibt — aber wenn die Gestalt, die mein Auge entzückt, der Spiegel einer schönen Seele ist – darf man da nicht das Sichtbare um des Unsichtbaren willen lieben? –
Einige Minuten standen wir schweigend einander gegenüber. Endlich besann ich mich, lehnte die Harfe an das Sofa und wollte mich entfernen. Aber er trat mir in den Weg, und mit einer bescheidenen Freimütigkeit, die seiner Bildung etwas unaussprechlich Anziehendes gab, führte er mich zurück auf den Stuhl, den ich eben verlassen hatte.
»O gehen Sie noch nicht«, sagte er mit einer reinen, sonoren Stimme, die in meinem Herzen einen sonderbaren Anteil erweckte. »Schon aus der Ferne hat mich Ihr seelenvoller Gesang entzückt – gönnen Sie mir noch einige Augenblicke die Freude, Sie aus der Nähe zu hören und zu bewundern.«
Wenn ich je um die Art und Weise, mich zu benehmen, verlegen war, so war ich es jetzt. Eitelkeit – doch nein, eine edlere Empfindung, wiewohl nicht frei von dem Wunsch und der Gewissheit, ihm zu gefallen, flüsterte mir zu, die Harfe von Neuem zu fassen, und eine innerliche Unruhe und die Angst, beobachtet und verraten zu werden, kämpfte wiederum mit dem Verlangen, ihm gefällig zu sein.
Ich nahm eine gleichgültige Miene an und suchte ihm so einfach wie möglich zu antworten, um keine höhere Geistesbildung zu verraten, als sich mit der eingeschränkten Idee verträgt, die man sich gewöhnlich von einer Kammerjungfer zu machen pflegt.
»Ich weiß recht gut, gnädiger Herr«, sagt’ ich, »dass es unanständig ist, in dem Zimmer meiner Herrschaft irgendetwas zu meinem eignen Gebrauch anzurühren. Ich würde mir auch sicher nicht erlaubt haben, zu versuchen, ob ich die Harfe noch spielen kann, wenn ich nicht geglaubt hätte, ganz allein zu sein, und deshalb bitte ich Sie, zu verschweigen, wie Sie mich gefunden haben, weil es mir sonst Verdruss machen könnte. Wer gezwungen ist, zu dienen, muss sich bemühen, alles zu vermeiden, was sein Los erschweren kann.«