Those green Eyes - Marita Darling - E-Book

Those green Eyes E-Book

Marita Darling

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Beschreibung

Nach den tragischen Ereignissen der Hochzeit ist nichts mehr, wie es war. Ludovica ringt mit den Folgen des Unfalls, während Gino verzweifelt versucht, sie zu beschützen. Doch die Gefahr ist nicht vorüber - ihre Feinde lauern im Verborgenen und warten nur auf den nächsten Schlag. Zwischen Schmerz und Hoffnung kämpfen Gino und Ludovica darum, wieder zueinanderzufinden. Doch das Schicksal stellt sie auf eine harte Probe. Drama, unausgesprochene Wahrheiten und düstere Enthüllungen drohen, sie auseinanderzureißen. Kann ihre Liebe all das überstehen - oder werden die Geheimnisse zwischen ihnen alles zerstören?

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Enzo

Ich wünschte, ich könnte dir sagen, dass Liebe ausreicht und dass Familie immer zusammenhält. Aber manchmal muss man Entscheidungen treffen, die alles zerreißen, was man eigentlich bewahren will. Niemand warnt dich davor, wie sehr es dich verletzt, wenn du erkennst, dass du nicht alle retten kannst – nicht ohne dabei selbst zu zerbrechen. Doch ich bin da, um dich zu warnen. Bevor du mich auf meinem Weg begleitest, solltest du dir einen Tee machen und dir klar darüber sein, dass dieser Weg voller Hindernisse sein wird.

Theodora

Pass auf dich auf, wenn du das Gefühl von Zuneigung mit echter Liebe verwechselst. Toxische Beziehungen fangen oft süß an, wie ein warmes Feuer, in dem du irgendwann verbrennst. Du jagst diesem Moment nach, in dem du dich gebraucht fühlst, und genau da liegt die Falle: Du wirst süchtig nach dem kleinen Funken, der dir Hoffnung gibt, während du langsam immer mehr zerbrichst. So sieht mein Alltag aus. Ich bin es gewohnt, doch bist du bereit, mich dabei zu begleiten?

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

GIULIANO

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

GIULIANO

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

GIULIANO

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

GIULIANO

Kapitel 19

Kapitel 20

GIULIANO

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

GIULIANO

Kapitel 28

Kapitel 29

GIULIANO

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

GIULIANO

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

GIULIANO

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 1

Ein scharfer Schmerz zog durch meinen Körper. Ich nahm einen tiefen Atemzug und fühlte mich, als wäre ich in einem dichten Nebel gefangen. Bilder von Adamo schossen mir durch den Verstand. Für einen kurzen Augenblick saß ich wieder in dem Auto. Ich hörte Sirenen. Spürte das Zittern meines Körpers, als würde ich langsam sterben.

Doch ich war nicht tot.

Der Schmerz ließ mich am Leben festhalten.

Ich lauschte den monotonen Geräuschen eines Pieptons und spürte unter meinen Fingerspitzen weichen Stoff. Panik stieg mir zu Kopf. Fragen über Gino und meine Familie schnürten mir die Kehle zu.

Waren sie verletzt? Oder schlimmer noch – tot?

Verzweifelt schnappte ich nach Luft und öffnete meine Augen. Helles Licht blendete mich, sodass ich mehrmals blinzeln musste. Die Sonne schien durch eines der beiden Fenster. Ich wollte nach Gino rufen, doch kein einziger Ton entkam meiner trockenen Kehle.

Unfähig, zu sprechen, liefen stumme Tränen meine Wangen herab. Vor mir sah ich erneut dieses wunderschöne Feuerwerk. Es erhellte den schwarzen Himmel, bis die strahlenden Funken sanft herabfielen und alles Gute mit sich in die Tiefe rissen.

»Ludovica?« Eine bekannte Stimme ertönte. Unter Tränen schaute ich auf und erkannte Adam. Er kam langsam auf mich zu und blieb vor dem Bett stehen. Seine Augen strahlten so viel Mitleid aus. Angespannt hielt ich die Luft in meinen Lungen. Ich rechnete mit dem Schlimmsten.

»Wo ist mein Mann? Ist er hier?« Meine Stimme kratzte und brach.

»Nein. Ich habe ihn nicht gesehen, allerdings hat meine Schicht erst begonnen.«

»Wie viel Uhr haben wir?« Ungeduldig sah ich zu, wie Adam seinen Arm hob.

»12:32 Uhr.« Ohne jegliche Vorwarnung wurde mir mein Herz aus der Brust gerissen. Wenn Gino nicht hier war, dann nur, weil er es nicht lebend aus dem Wald geschafft hatte. Sonst wäre er bei mir. Erst recht, da so viel Zeit vergangen war. Er würde mich niemals allein lassen. Niemals.

Weinend umfasste ich meinen Unterleib. Entsetzt musste ich feststellen, dass sich dort keine Regung mehr befand. Mit einem Schlag verstummten die Tränen. Mein sonst praller Bauch fühlte sich zusammengefallen – leer an.

»Wo sind sie? Wo sind meine Babys?«, wimmerte ich am Ende meiner Kräfte und suchte Adams Blick. Ich wollte aufstehen, doch ein kaum auszuhaltender, ziehender Schmerz zog sich durch mein Inneres und zwang mich zurück in die Kissen. Jeder Muskel in meinem Körper spannte sich an, um dem Schmerz zu entkommen.

»Ganz ruhig, Ludovica. Alles ist gut. Um die beiden wird sich gekümmert. Du solltest dich ausruhen«, erklärte Adam. Erleichterung durchflutete mich. Meinen Babys ging es gut. Sie lebten. Genau wie ich. Die Tatsache, dass er mich jedoch nicht zu ihnen lassen wollte, machte mich unfassbar wütend. Meine Emotionen kochten über.

»Ich will sofort zu meinen Kindern. Bring mich zu ihnen.«

»Du musst dich ausruhen. Du hattest einen Kaiserschnitt unter Vollnarkose. Dazu eine Gehirnerschütterung und Verletzungen an Armen, Beinen und Kopf«, versuchte er mich zu beruhigen.

»Es geht mir gut! Ich bitte dich, Adam. Bitte, lass mich zu ihnen.« Mitfühlend betrachtete er mich. Trotz meines Flehens schüttelte er seinen Kopf.

»Sie leben, Ludovica. Sobald du dich erholt hast, werde ich dich persönlich zu ihnen bringen.« Ich hörte Adams Stimme, nahm seine Worte aber kaum noch wahr. Mir gelang es nicht, etwas anderes zu tun, als bitterlich zu weinen und gleichzeitig dankbar zu sein. Meinen Kindern ging es gut. Ich wischte meine Tränen weg, als mir ein weiterer Gedanke kam. Adamo.

»Was ist mit Adamo?« Adam trat näher an das Bett.

»Eigentlich darf ich nur Familienangehörigen Auskunft geben.« Er schob seine Hände in seine weiße Hose und atmete tief durch. »Aber es geht ihm gut. Er hat nur Verletzungen am Unterarm. Nach einem Gespräch mit der Polizei mussten sie ihn ruhig stellen.«

»Mit der Polizei?«, hakte ich ungläubig nach.

»Ja.« Er nickte. »Sein Blutalkoholspiegel lag bei zwei Promille, Ludovica. Ihr müsst einen Schutzengel bei euch gehabt haben.« Geschockt riss ich meine Augen auf, doch Adam wandte sich ab, als sein Handy zu klingeln begann. Er verabschiedete sich und ließ mich allein, doch ich hatte nicht vor, auch nur eine weitere Sekunde untätig zu bleiben.

Adamo wurde ruhig gestellt. Von den anderen fehlte jede Spur. Wer wusste schon, ob ich sie je wiedersehen würde?

Dieser bittere Gedanke ließ mich mehrere Male schluchzend nach Luft schnappen. Ich wollte nur noch eins – meine Kinder sehen.

Mein Blick schweifte nachdenklich durch den Raum. Als mir klar wurde, dass ich nichts finden würde, was mir beim Laufen helfen könnte, musste ich es aus eigener Kraft versuchen. Entschlossen riss ich die dünne Decke von meinem geschwächten Körper und betrachtete den grauen Kittel, den ich trug. Mit starken, ziehenden Schmerzen erhob ich meinen Oberkörper und setzte mich vorsichtig auf die Bettkante. Schwindel überkam mich. Die Wunde unter dem Verband an meinem Bauch brannte. Ich ignorierte den Schmerz und setzte entschlossen einen Fuß vor den anderen.

»Sei stark«, flüsterte ich mir zu, auch wenn ich mich schwächer denn je fühlte. Nicht zu wissen, wo Gino war, zerbrach mein Herz in tausend Teile. Die Trauer, die mich überflutete, war kaum in Worte zu fassen. Ich zwang mich, in diesem Moment nur an meine Kinder zu denken. Ohne sie hätte ich längst aufgegeben.

Mit schwindender Kraft schleppte ich mich zur Tür. Jeder Schritt schmerzte. Schwindel versuchte mich in die Knie zu zwingen, doch ich ließ es nicht zu. Stattdessen biss ich meine Zähne zusammen und öffnete die Tür.

Schwer atmend, blickte ich mich im Gang um. Außer den gelb gestrichenen Wänden und einigen Sitzgelegenheiten zwischen den Türen konnte ich nichts erkennen. Ich drehte meinen Kopf zur anderen Seite und entdeckte nicht nur eine Glastür, sondern auch einen Rollstuhl, der verlassen in der Ecke stand.

So schnell es mir in meinem Zustand möglich war, lief ich auf den Rollstuhl zu. Ich stützte mich an der Wand ab, um nicht umzukippen. Endlich angekommen, ließ ich mich erschöpft in den Rollstuhl sinken und fasste an meinen Brustkorb.

Ich schloss für einen Moment meine Augen und atmete tief durch. Nachdem ich neue Kraft gesammelt hatte, öffnete ich meine Augen wieder.

Hektisch schob ich die Reifen des Rollstuhls an und landete nach der automatisch öffnenden Glastür in einem breiten Korridor. Mein Blick fiel zu den Aufzügen vor mir. Ich rollte auf einen zu und sah mir das Schild an, welches direkt neben der Tür hing. Konzentriert ging ich die Buchstaben durch, bis mir etwas ins Auge stach.

Neonatologische Neugeborenenstation

3. Etage

Sofort setzten sich meine Hände wieder in Bewegung. Ich drückte mehrmals wie eine Wahnsinnige auf den silbernen Knopf der Aufzüge.

»Komm schon«, sprach ich nervös. Mein Herz überschlug sich, solche Aufregung herrschte in meinem Inneren. Kaum vernahm ich das Piepen des Aufzuges, öffneten sich seine Türen. Mühsam rollte ich mich hinein, um anschließend den Knopf für die dritte Etage zu drücken.

Es dauerte nicht lange, da schlossen sich die Türen. Der Fahrstuhl fuhr nach oben. Ich hielt den Atem an, als sich die Türen wieder öffneten. Ein großer Warteraum präsentierte sich mir. Bunt gestrichene Wände. Grauer Boden. Hellblaue Fußabdrücke waren auf diesem zu erkennen. Man konnte nicht übersehen, dass es sich um eine Station für Babys handelte.

Da es nur eine breite Glastür am hinteren Ende gab, rollte ich zu dieser. Sie öffnete sich nicht. Ungeduldig wartete ich, bis ich einen Schalter an der Wand neben mir bemerkte. Ich benutzte ihn. Nach kurzer Zeit erschien eine ältere Frau an der Tür. Sie musterte mich mit einem irritierten Ausdruck.

»Wie kann ich Ihnen helfen?« Sie sah flüchtig hinter sich, ehe sie mich ins Visier nahm.

»Ich möchte zu meinen Kindern. Bitte.« Mit zitternder Stimme flehte ich sie an. Verwirrt über meine Aussage hob sie eine Augenbraue.

»Sie sind Signora Grasso«, meinte sie überrascht. »Sie sollten sich schonen.« Voller Mitgefühl starrte sie mich an. Ich erkannte an ihrem Blick, dass sie mit sich haderte. Zu meiner Erleichterung trat sie schließlich hinter den Rollstuhl.

»Es wird sicher nicht schaden, Sie kurz zu Ihnen zu lassen.« Vorsichtig schob sie mich in die Station hinein, in der sie mir an einer Theke etwas Desinfektionsmittel für meine Hände reichte. Ich verteilte es auf meiner eiskalten Haut, während ich mich umsah. Warmes Licht beleuchtete den breiten Flur. Die Frau schob mich weiter auf eine Tür am Ende des Ganges zu.

Je näher wir kamen, desto kräftiger schlug mein Herz. Sie hielt kurz vor der Tür an und lehnte sich vor, um mich mit einem warmen Lächeln anzusehen.

»Ich helfe Ihnen gleich in einen Kittel. Sie müssen sich vor dem Zimmer noch einmal die Hände desinfizieren. Und bitte erschrecken Sie sich nicht vor den vielen Kabeln und Geräten. Ihrer Tochter geht es hervorragend. Wir überprüfen lediglich ihren Herzschlag und ihre Atmung.«

Ich verstand jedes Wort, doch Freude stellte sich nicht ein, denn sie sprach nur von meiner Tochter. Verwirrt sah ich sie an.

»Und mein Sohn? Wie geht es meinem Sohn?« Ihre Augen lagen einen stillen Moment auf meinen, bis sie mir auswich. Angst schnürte mir die Kehle zu. Ich griff nach ihrer Hand.

»Wo ist mein Sohn?«

»Der Arzt wird Ihnen alles in Ruhe erklären.«

»Nein! Ich will es sofort wissen!«, wurde ich lauter. Sie schluckte schwer.

»Ihr Sohn hatte heute Morgen mehrere Atemaussetzer und wird untersucht. Er ist stabil und wird schon bald zu seiner Schwester gelegt. Machen Sie sich keine Sorgen.«

»Atemaussetzer? Was bedeutet das?«

»Der Arzt wird Ihnen das in Ruhe erklären.« Sie drehte sich weg und hielt mir anschließend einen Kittel entgegen, den ich mir überziehen ließ. Wenn sie meinte, ich würde es gut sein lassen, hatte sie sich getäuscht.

»Ich möchte wissen, was mit meinem Sohn ist!«

»Signora Grasso, Sie –«

»Mancini!«, verbesserte ich sie dieses Mal, wodurch sich ihre Augen weiteten. Sie brauchte einen Moment, um sich zu sammeln.

»Signora Mancini. Es ist wirklich wichtig, dass man sich auf dieser Station ruhig verhält. Die Babys gewöhnen sich nur langsam an ihre neue Umgebung und ich weiß, welche Sorgen Sie sich gerade machen, aber Ihr Sohn wird bald hierher gebracht.«

Sie legte ihre Hand auf meine Schulter. Widerwillig riss ich mich zusammen und nickte, während sie die Tür öffnete und mich in den Raum hineinschob. Alles um mich verstummte, als mein Blick auf das kleine, zerbrechlich wirkende Wesen vor mir fiel.

»Wenn etwas sein sollte, drücken Sie den kleinen Schalter neben dem Inkubator. Ich bin dann sofort bei Ihnen.« Wie benommen starrte ich zu dem Glas und schob mich mit zitternden Händen voran. Mein Herz krampfte. Für einen Moment stockte mir der Atem. Ich kam neben dem Brutkasten an und konnte nicht verhindern, vor Glück zu weinen.

Dieses kleine Geschöpf war meine Tochter – und sie war von Kopf bis Fuß wunderschön. Sie sehen zu können, nachdem ich sie in meinem Bauch gespürt und sie unter meinem Herzen getragen hatte, entfachte ein unglaubliches Gefühl in mir.

Unter Tränen betrachtete ich ihre winzigen Finger und das zerknautschte Gesicht. Ich hätte sie am liebsten in meine Arme geschlossen. Doch sie brauchte Zeit, um in dieser Welt anzukommen. Ich gab ihr die Zeit, die sie brauchte. Sobald sie stark genug wäre, würde ich ihr die ganze Welt schenken.

»Nives«, flüsterte ich den Namen, den Mauro ihr gegeben hatte. Für einen Moment sah ich erneut sein Gesicht, was mein Herz schmerzen ließ. Schluchzend schnappte ich nach Luft. Mein Leben war ein Chaos aus Trauer und Glück, aus Hass und Liebe. Ich wusste nicht mehr, wohin mit meinen Emotionen, bis ich vorsichtig aus dem Rollstuhl aufstand und meine Tochter genauer betrachtete. Erstaunt öffnete ich meine Lippen.

»Du siehst aus wie dein Papa«, wisperte ich und ließ meine zitternde Hand durch die Öffnung an der Seite gleiten. Meine Finger legten sich auf ihre winzige Hand. Je länger ich dastand und sie betrachtete, desto mehr Schmerz gesellte sich zu meinem Glück. Ich war immer noch vollkommen allein.

Meine Gedanken kreisten um meine Hochzeit, die in einem Desaster endete.

»Stopp! Sie können nicht –« Ich hörte die Hebamme draußen im Flur mit jemandem streiten. Mit großen Augen drehte ich mich zur Tür, welche im nächsten Moment aufgerissen wurde.

»Signor Mancini!«, schimpfte die Frau, während ich der Liebe meines Lebens in die Augen sah. Er kam mir wie ein Geist vor. Nicht real und doch war er endlich bei mir.

Seine sonst so schönen Haare standen wild in alle Richtungen ab. Sein Hemd war an der Brust aufgerissen.

Schnell suchten meine Augen wieder die Seinen. Er schien wie benommen, während die Frau neben ihm immer weiter darauf bestand, dass er sich unbedingt einen Kittel anziehen sollte.

»Ludovica …«, sprach er meinen Namen. Er wollte einen Schritt auf mich zu, da hielt die Frau ihn jedoch an seinem Arm zurück. Sofort drehte er sich mit einem bedrohlichen Ausdruck zu ihr herum, der jeden anderen in die Flucht geschlagen hätte. Diese Frau aber nicht. Ihr schien egal zu sein, wer da vor ihr stand, denn ihre oberste Priorität war, dass es den Babys auf ihrer Station gut gehen würde.

»Sie ziehen sofort den Kittel an!« Gino entriss ihr den Kittel und schob sie danach an ihrer Schulter aus dem Zimmer. Er schloss die Tür und zog den Kittel über. Während ich immer noch mit einem Finger über die kleine Hand unserer Tochter streichelte, streckte ich meinen anderen Arm sehnsüchtig nach ihm aus. Er kam auf mich zu. Nahm mich in seine starken Arme und hielt mich fester denn je.

»Anatra, Adam hat mich angerufen.« Er hörte sich so schwach und gebrochen an, dass mein Magen sich zusammenzog. »Ich war im Club. Du warst nicht da. Ich bin gekommen, so schnell ich konnte.«

Als er sich aus unserer Umarmung löste und sein Blick auf unsere Tochter herabfiel, starrte er sie für einen Augenblick sprachlos an. »Mein Herz …«, flüsterte er mit Tränen in den Augen. Von ihrem Anblick verzaubert, holte er tief Luft. Ich schmiegte mein Gesicht an seine Brust und dankte dem Schicksal, dass er wieder an meiner Seite war.

»Sie ist so klein, Anatra.« Er wischte seine Tränen weg. »Ich hatte solche Angst um euch«, erklärte er und nahm mein Kinn zwischen seine Finger, um mich eindringlich zu mustern. »Wie geht es dir?«

Er ließ mein Kinn wieder los und strich sanft über meine Wange, um mir gleichzeitig einen zärtlichen Kuss auf meine Stirn zu geben.

»Ich bin erschöpft«, gab ich zu und genoss seine zärtlichen Berührungen.

»Setz dich«, wies er mich an. Widerwillig ließ ich die Hand meiner Tochter los, um mir von Gino zurück in den Rollstuhl helfen zu lassen. »Ich bin sofort für dich da«, versprach er.

Ich nickte und beobachtete ihn. Er stellte sich an die Stelle vor dem Brutkasten, an der ich zuvor noch gestanden hatte.

»Papà ti ama, pulcino mio«, hörte ich ihn flüstern, dass er sie liebte. Er führte seine Hand in den Kasten und legte sie vorsichtig an die Wange unserer Tochter. »Sei forte come tua madre.«

Er sprach ihr zu, dass sie genauso stark wäre wie ich. Ihr ging es gut. Unser Sohn jedoch war immer noch nicht bei uns. Ohne ihn waren wir nicht vollständig. Ich umgriff Ginos freie Hand und sah zu ihm auf.

»Gino, unser Sohn ...«, sprach ich voller Schmerz. Er drehte sich zu mir und ließ Nives los, um vor mir in die Hocke zu gehen.

»Ich weiß.« Er nahm meine zitternden Hände in seine. »Adam hat mir erzählt, dass er Schwierigkeiten hatte, aber er ist ein Mancini. Er schafft das, genau wie wir es immer wieder geschafft haben.« Ich atmete tief durch und nickte, denn ich glaubte ihm. Wie könnte ich daran auch zweifeln?

»Was ist mit den anderen? Wo sind sie?« Die Frage nach dem Rest unserer Familie kam plötzlich aus mir heraus. Auch, wenn ich gern noch die Zweisamkeit mit meinem Ehemann genossen hätte, musste ich einfach wissen, was draußen vor sich ging.

»Cecilio hält gemeinsam mit Nunzio Wache vor dem Krankenhaus«, fing er an und strich mir beruhigend mit seinem Daumen über meinen Handrücken. »Nicolo, Enzo, Zita und ihre Eltern sind in einem geheimen Unterschlupf außerhalb von Palermo.«

»Mauro?«, fragte ich und konnte nicht verhindern, dass ich erneut anfangen musste zu weinen. Ich kannte die Antwort, wollte es jedoch bisher nicht wahrhaben. Ich hoffte, er würde mir erklären, dass ich es mir nur eingebildet hatte.

Ein Hirngespinst, ausgelöst von Stress. Gino schwieg und wich mir aus. Sein Ausdruck war Antwort genug.

»Er und Dolores ...«, setzte er an. Ich ließ seine Hände los, um ihm zu signalisieren, dass er es bitte nicht aussprechen sollte. Es war zu viel für mich, erst recht, da ich bereits am Ende meiner Kräfte war. »Und Julia?«

»Sie sitzt vorn im Wartebereich.«

»Warum ist sie nicht mit Enzo und Zita im Unterschlupf?«, wollte ich irritiert wissen. Er wich mir allerdings erneut aus. »Gino? Was ist los?«

»Sie wollte mitkommen. Dario wurde notoperiert und ist bislang nicht aufgewacht.«

Kapitel 2

Von düsteren Gedanken geplagt, saß ich wie erstarrt in dem unbequemen Rollstuhl. Die Frage, ob Dario überleben würde, überschattete alles in mir. Der Gedanke, ihn nie wiederzusehen, war für mich unvorstellbar.

Immer wieder blickte ich flüchtig zu Gino, der die ganze Zeit nur Augen für Nives hatte. Mit sanfter Stimme sang er ihr ein italienisches Lied vor. Unsere Blicke kreuzten sich und gerade, als er etwas sagen wollte, klopfte es an der Tür neben mir. Angespannt drehte ich mein Gesicht zur Seite. Eine fremde Frau mit grünem Kittel betrat den Raum und schob einen weiteren Inkubator herein. Mit rasendem Herzschlag sah ich zu Gino.

»Hilf mir hoch.« Mit ausgestreckten Händen wandte ich mich ihm zu. Er nahm sie und half mir behutsam auf die Beine. Mein Verstand setzte plötzlich aus, als wäre er nie da gewesen. Vor lauter Aufregung krallte ich mich an Ginos Seite fest, während ich zum ersten Mal einen Blick auf unseren Sohn warf.

»Er ist so zierlich«, entkam es mir erschrocken. Ich wollte auf ihn zu, da verlor ich jedoch mein Gleichgewicht. Gino fing mich auf und zog mich fest an sich.

»Guten Tag«, begrüßte uns die Hebamme mit ruhiger Stimme. Sie öffnete den Kasten meines Sohnes. Erst jetzt bemerkte ich den dünnen Schlauch, der in seiner kleinen Stupsnase steckte.

»Was soll das?« Gino bemerkte im selben Moment, wie ich den Schlauch. Ich spürte, wie er sich bei dem Anblick anspannte. Meine Hand ruhte auf seiner Wange. Ich versuchte, ihn zu beruhigen und streichelte über seine warme Haut.

»Der Arzt wird gleich kommen und alles Weitere mit Ihnen besprechen«, erklärte die Hebamme und hob unseren Sohn vorsichtig in den anderen Brutkasten, sodass er genau neben seiner Schwester zur Ruhe fand.

Ich ließ von Gino ab und legte meine zitternden Hände auf das dicke Glas. Schweigend musterte ich ihn und nahm seine Schönheit in mich auf. Auch er lebte und würde sich erholen. Ich kam mit dieser Situation besser klar, als ich annahm. Gino allerdings nicht.

»Ich scheiß’ auf den Arzt! Ich will verfickt nochmal wissen, was hier los ist! Warum –«

»Hör auf«, unterbrach ich ihn mit fester Stimme und drehte mich zu ihm. »Bitte lass sie einfach gehen und konzentriere dich auf unsere Kinder. Ich bitte dich.«

Er fixierte die Hebamme noch immer mit hasserfülltem Blick, doch als sich unsere Augen trafen, hörte er auf das, was ich verlangte. Die Hebamme verließ daraufhin den Raum. Gino legte seinen Arm um meinen Rücken, während er eine Hand auf den Kasten legte und unsere Babys beobachtete, wie sie friedlich nebeneinander lagen.

»Ich habe mich für Nives entschieden«, teilte ich ihm nachdenklich mit. Ich blickte zu ihm auf und konnte sehen, wie sich ein gequältes Lächeln auf seine Lippen legte. Vermutlich musste er ebenfalls an Mauro denken.

»Alles, was du willst, Anatra.« Er sah mir tief in meine Augen. »Nives und Antonio. Was hältst du davon?«

Ich ließ mir diesen Namen beim Anblick meines Sohnes durch den Kopf gehen, der um so vieles kleiner wirkte, als seine Schwester.

»Wie wäre es mit Nino?«, erwiderte ich ihm, wodurch Gino seine Stirn runzelte und nicht begeistert aussah. Er wirkte kurz abwesend, ehe er mich anlächelte und mir einen zärtlichen Kuss auf meine Stirn gab.

»Ich bin mit allem, was du sagst, einverstanden. Du hast mir diese beiden Wunder geschenkt, Ludovica. Du hast sie sieben Monate unter deinem Herzen getragen. Mir ist egal, wie sie heißen, solange sie gesund sind und ihre Mutter glücklich ist.«

»Also dann Nives und Nino.« Ich lächelte überglücklich und lehnte meinen Kopf an seine starke Schulter, um weiterhin verträumt meine Kinder zu beobachten.

Sie bedeuteten mir die Welt.

»Was wolltest du vorhin sagen?«, fragte ich nach einer Weile.

»Ich möchte dich auf dein Zimmer bringen und –«

»Nein«, unterbrach ich ihn und schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier.«

»Ludovica … du hast so viel durchgemacht. Bitte lass mich dich auf dein Zimmer bringen, damit du dich noch ein paar Stunden ausruhen kannst.« Seine Stimme strotzte vor Sorge, genau wie der Ausdruck auf seinem Gesicht. Als ich noch einmal zu meinen Babys sah, musste ich mir widerwillig eingestehen, dass er recht hatte. Sie würden mich brauchen. Ich musste so schnell wie möglich wieder zu Kräften kommen.

Außerdem schwirrte mir auch Julia im Kopf herum, die dort draußen ganz allein saß und mit der ganzen Welt nicht mehr zurechtkam. Es schmerzte, mir einzugestehen, dass ich sie aufgrund meiner eigenen Kinder vollkommen vergessen hatte.

»Du bringst mich mit Julia in mein Zimmer, aber du gehst sofort wieder zu ihnen. Du weichst unseren Babys nicht eine Sekunde von der Seite«, erwiderte ich ihm. Er nickte, um mich anschließend zum Rollstuhl hinter mir zu führen.

»Ich verspreche es dir. Ich weiche ihnen keine Sekunde von der Seite. Dafür bleibt Nunzio bei euch im Zimmer. Du wirst nicht mehr allein bleiben.«

»Damit bin ich einverstanden.« Ich warf einen letzten Blick auf Nives und Nino, ehe ich mich in den Rollstuhl setzte. Gino schob mich den Flur entlang.

»Ich komme gleich wieder«, sprach er die Frau an, die mir die Tür geöffnet hatte.

»Einfach klingeln.« Ihr Blick lag fest auf mir. Die beiden würden vermutlich keine Freunde werden, aber das störte mich nicht, solange meine Kinder in Sicherheit waren.

»Ach, Signora Mancini.« Gino blieb neben ihr stehen. »Dr. Fidele wird Ihnen später einen Besuch abstatten, wegen der Milchpumpe.«

»Was?«, erkundigte Gino sich angespannt. Ich streckte meinen Arm nach hinten, um meine Hand beruhigend auf seine zu legen.

»Ihre Frau wird Milch abpumpen müssen, für ihre Kinder und Dr. Fidele wird ihr zeigen, wie es –«

»Dr. Fidele wird gar nichts an den Brüsten meiner Frau machen! Zeigen sie es mir, dann mache ich es selbst.«

»Aber –«

»Nichts aber!«

»Gino!«, mischte ich mich ein und sah die Frau entschuldigend an, die ihre Hände bereits in die Hüften gestemmt hatte.

»Ich werde mit Fidele sprechen, damit er mir eine Hebamme schickt.« Gino schien sich zwar zu beruhigen, doch er schenkte der Frau nicht einmal ein Wort, geschweige denn ein Ciao. Ohne Weiteres schob er mich rasch den Gang entlang, bis wir vor der Glastür standen, die sich automatisch öffnete.

»Denkst du ernsthaft, ich lasse den Typ an deine Brüste? Reicht schon, dass er seine Geräte in deine –«

»Jetzt hör doch auf damit. Das sind normale Untersuchungen und nichts, was einen sexuell erregt.«

»Ach ja?«, entfuhr es ihm lauter. Er kam um den Rollstuhl herum, um vor mir in die Hocke zu gehen. »Ich weiß, dass ich eifersüchtig bin, aber so bin ich nun mal. Ich will das einfach nicht! Kannst du das bitte verstehen und akzeptieren?«

»Ja!«

»Gut! Dann ist doch alles geklärt, oder?« Mit einem mahnenden Ausdruck musterte er mich. Ich wollte ihm antworten, da tauchte Julia neben uns auf. Bitterlich weinend warf sie sich in Ginos Arme, sodass er kurz das Gleichgewicht verlor.

»Es gibt so viel Wichtigeres zu klären«, flüsterte ich ihm entgegen. Er schloss seine Augen und streichelte Julia sanft über den Rücken. Ich lehnte mich vor und strich mit meinen Fingern sanft durch ihre schwarzen Haare.

»Ich will zu meiner Mama«, schluchzte sie. Gino erhob sich und hielt sie fest auf seinen Armen.

»Weißt du, was wir jetzt machen?« Er wischte mit dem Daumen ihre Tränen weg. »Du wirst dich jetzt mit Ludovica ausruhen. Später besuchen wir deinen Papa. Was hältst du davon?«

Sie hörte nicht auf zu weinen und klammerte sich enger an ihn. An seine Brust geschmiegt, nickte sie. Gino wollte wieder hinter meinen Rollstuhl, da schüttelte ich meinen Kopf. Er war der Einzige, den Julia kannte, und ich war froh, dass sie ihn hatte und er uns auf unser Zimmer brachte. Nachdem ich mich hingelegt hatte, hob er Julia vorsichtig an meine Seite.

»Ich sage Nunzio Bescheid. Wenn irgendetwas sein sollte, dann soll er mich anrufen.« Gino sah zu mir herab, während ich Julia zudeckte, die an mich gekuschelt eingeschlafen war. Ich nickte und schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

»Pass bitte auf dich auf«, flüsterte ich und bekam von ihm einen sanften Kuss, ehe er das Krankenhauszimmer verließ. Von Stille umgeben fiel mein Blick erneut auf Julia. Die Gewissheit, dass sich ihr ganzes Leben in der vergangenen Nacht zerschlagen hatte, quälte mich. Ganz gleich, wie sehr wir uns um sie kümmern würden – der Verlust ihrer Mutter würde sie ewig begleiten.

Von diesen Gedanken geplagt, musste ich an Mauro denken. Tränen traten in meine Augenwinkel. Ich zwang mich, zu schlafen, um wenigstens einen Moment meinem Leben entfliehen zu können.

Verschlafen spürte ich etwas Seltsames an meinem Fuß. Ich dachte, ich würde noch träumen. Doch als das Kitzeln nicht aufhören wollte, öffnete ich meine Augen. Das Tageslicht blendete mich, und ich blinzelte mehrere Male.

»Was verdammt nochmal tust du da?« Fassungslos schaute ich zu Cecilio. Er hörte trotz meiner Frage nicht auf, meinen Fuß zu massieren. »Spinnst du?«

»Schhh«, flüsterte er und nickte neben mich. Ich drehte mein Gesicht zu Julia, die noch schlief. »Du willst sie doch nicht wecken, oder?«

»Und du willst sicherlich keinen Tritt mitten in dein Gesicht. Lass also deine Hände gefälligst bei dir.«

»Warum so unfreundlich? Ich wollte dir etwas Gutes tun.« Er starrte mich an, als würde er meine gereizte Reaktion nicht nachvollziehen können.

»Wenn du mir etwas Gutes tun möchtest, dann bring mir ein Glas Wasser und erzähl mir den neuesten Stand.«

Ich zog meine Beine an, woraufhin er sich erhob. Er stellte sich neben das Bett und musterte mich intensiv.

»Der neueste Stand also«, wiederholte er mich und füllte am Beistelltisch ein Glas mit Wasser. Unter seinen eindringlichen Blicken breitete sich Unwohlsein in mir aus.

Er hatte mich zwar gewarnt und auch Julia beschützt, doch irgendetwas an ihm stimmte nicht. Besonders dann, wenn wir allein in einem Raum waren und er meine Grenzen überschritt. »Der neueste Stand ist, dass Dario bisher nicht aufgewacht ist. Du hast vier Stunden geschlafen.«

Er reichte mir das Glas und setzte sich anschließend wieder in die Nähe meiner Füße. Ich legte einen mahnenden Blick auf.

»Gino und Nunzio sind bei deinen sogenannten Küken und Adamo steckt in einer Zwangsjacke.« Ich verschluckte mich an dem Wasser. Beinahe wäre mir das Glas aus der Hand gefallen.

»Was hast du gesagt? Zwangsjacke?«, krächzte ich ungläubig und stellte das Glas auf die Ablage neben mir. Mit großen Augen blickte ich ihn an.

»Er hat um sich geschlagen, nachdem er aufgewacht ist. Dabei hat er einer Schwester die Nase gebrochen. Jetzt sitzt er vierundzwanzig Stunden zur Überwachung in der Abteilung für Verrückte.«

Mir kam es unwirklich vor. Am liebsten wäre ich aufgestanden, um selbst nachzuforschen, wo sich Adamo aufhielt. Die Kaiserschnittnarbe schmerzte allerdings mehr als zuvor. Weit würde ich nicht kommen. Als ich nachfragen wollte, was mit Enzo und den anderen war, bemerkte ich, dass Cecilio grinsend seinen Kopf schüttelte. Sein gesamtes Verhalten irritierte mich.

»Was gibt es zu lachen? Du bist der, der eigentlich in einer Zwangsjacke stecken müsste. Ich kenne niemanden, der nach solch einer Nacht ein Lächeln auflegen würde, als wäre nichts passiert.«

»Ich finde es nur amüsant, Topolina. Sonst nichts.«

»Was genau findest du an der ganzen Scheiße amüsant?« Er machte mich wütend. Sein Halbbruder starb. Mein Sohn wurde beatmet. Dario war bislang nicht aufgewacht, und dieser Kerl vor mir schien sich aus all den Tragödien nichts zu machen.

»Es ist amüsant, dass so ein Mäuschen wie du ab jetzt für alles verantwortlich ist«, erklärte er. Ich runzelte meine Stirn.

»Verantwortlich? Wofür?«

»Für die ganze Familie.« Er lehnte sich weiter zu mir, um mich noch intensiver zu betrachten. »Adamo ist psychisch am Ende. Zita und Nicolo sind in großer Trauer. Enzo wurde in dieser Nacht Opa von drei Kindern, von denen eins vielleicht seinen Vater verlieren wird. Dein Ehemann und sein anhängliches Tratschmaul kümmern sich um deine Kinder. Bleibst nur du übrig.«

»Ich wurde operiert«, widersprach ich ihm. »Außerdem bist du doch da. Was meinst du überhaupt? Was soll ich denn tun?«

»Ihr seid alle so geblendet von Babys und schönen Hochzeiten, dass ihr überhaupt nicht weiter denkt«, regte er sich auf und erhob sich. »Weißt du, wie leicht es nach der letzten Nacht für die Bianchis ist, unsere Familie vollkommen zu zerstören?« Er trat langsam auf mich zu und schnippte vor meinem Gesicht. »Zu leicht, Ludovica. Alle sind verletzt. Alle trauern. Keiner kümmert sich um die laufenden Verträge, in denen es um Waffenlieferungen geht. Keiner kümmert sich um den Club, keiner –«

»Warum um den Club? Der kann einige Tage geschlossen bleiben. Ich brauche Gino hier«, erwiderte ich ihm, woraufhin er einen tiefen Atemzug nahm.

»Bitte, sei etwas schlauer, Topolina. Enttäusche mich nicht. Dir sollte klar sein, dass die Huren im Club Tarnung sind. In Wirklichkeit treffen sich dort Geschäftsleute, Polizisten und sogar Anwälte und Richter. Es geht ums Geschäft und wenn dieser Club geschlossen bleibt, haben wir bald noch weitaus größere Probleme als nur eine Familie, die auf Rache sinnt.«

Mir war durch die Papiere, die ich für Gino erledigte, schon bewusst, dass er nicht so viel Geld nur durch den Verkauf von Sex verdiente. Trotzdem musste es möglich sein, den Club einige Tage zu schließen. Ich spürte Cecilios Blick auf mir und drehte mein Gesicht zu ihm.

»Sag mir einfach, was du von mir verlangst. Ich habe keine Kraft, darüber nachzudenken.«

»Erst einmal solltest du den Namen deines Sohnes überdenken.«

»Wie bitte?«, gab ich entsetzt von mir. »Was geht es dich an, wie ich ihn nenne?«

»Er ist mein Neffe und Nachfolger eines Mancinis. Willst du ihn lächerlich machen?«

»Gino war einverstanden.«

»Weil er blind vor Liebe ist«, warf er ein und schüttelte seinen Kopf mit einem angewiderten Ausdruck. »Nino. Ist das euer Ernst? Ich wette, er wird schon im Kindergarten verprügelt.«

»Lass das meine Sorge sein.« Ich hoffte, er würde dieses Thema ruhen lassen. Natürlich tat er es nicht.

»Topolina. Er muss jetzt schon kämpfen und ich verspreche dir, dass seine Schwester ihm gegenüber um so vieles stärker und überlegen sein wird. Er wird mit Selbstzweifeln aufwachsen und braucht einen starken Namen. Manche denken, es wäre nur ein Name. Es ist aber sehr viel mehr. Er wird ihn ausmachen.«

»Gut, was schlägst du denn vor?«

»Marcello – der Kämpfer. Elio, würde das Geschenk der Sonne bedeuten. Serafino – der Feurige. Alles Namen, die so viel mehr aussagen als Nino, Topolina.«

»Ich überlege es mir«, murmelte ich und hasste es, dass mir Nino seinetwegen nicht mehr gefiel. Dieser Psycho schaffte es, mich zu manipulieren.

»So, da das geklärt wäre, sollten wir über Enzo, Zita und Nicolo sprechen. Sie müssen zurück in die Villa.«

»Warum? In dem Unterschlupf sind sie sicher.«

»Aber es zeigt Schwäche, verstehst du?«

»Lieber Schwäche zeigen, als dass die drei auch noch erschossen werden«, entgegnete ich ihm, woraufhin er seine Augen verdrehte.

»Ruf Enzo an. Er soll mehr Wachmänner einstellen. Ich gebe ihm gern die Nummer eines alten Freundes. Er ist Serbe und wird mir mit Vergnügen diesen Gefallen tun. Außerdem geht es nicht nur darum, keine Schwäche zu zeigen«, erklärte er und nickte zu Julia. »Es wird nicht mehr lang dauern, da wird eine Sozialarbeiterin hier stehen. Ihre Mutter ist tot. Ihr Vater, im Koma. Du wirst ebenfalls einige Zeit hier verbringen. Das Krankenhaus ist kein Ort für ein achtjähriges Mädchen. Sie braucht ein Zuhause, sonst wird man sie euch wegnehmen. Erst recht, wenn die Polizei wegen der Hochzeit ermittelt.«

»Und du denkst, dass Zita, Enzo und Nicolo nach dem Verlust von Mauro imstande sind, sich um sie zu kümmern?«, wollte ich nachdenklich wissen. Ich war froh, dass Cecilio so einen guten Überblick über alles hatte. Das zeigte aber ebenso wieder, wie unberechenbar er war. Er trauerte nicht oder machte sich Sorgen um die Verletzten. Ihm ging es lediglich um die Zukunft.

»Zita sicher nicht. Sie ist hochsensibel. Das war sie schon immer, aber Enzo wird auf die Kleine achten. Wenn er in der Villa ist, kann er weiterhin Geschäfte von dort aus leiten.«

»Ach, das ist also deine Hauptsorge. Dir geht es gar nicht um Julia, sondern nur um die Geschäfte.«

»Wenn die Geschäfte nicht mehr laufen, wird es bald keine Julia mehr geben, verstehst du das nicht?«

Seine Stimme wurde lauter. Dieses Mal verdrehte ich die Augen. Mir ging es gewaltig gegen den Strich, dass ich mir so viele Gedanken um alles machen musste. Gerade ich, die sowieso von nichts eine Ahnung hatte. Ich wollte nur zu meinen Kindern und ihnen beim Schlafen zusehen und mich nicht mit ihm darüber streiten, was das Beste für alle wäre. Trotzdem gab ich ihm nach.

»Gut, ich rufe Enzo an und rede mit ihm. Dafür rufst du deinen Serben an.«

»Du musst Gino auch dazu bringen, gemeinsam mit Nunzio den Club am Laufen zu halten.«

»Hast du sie noch alle?«, warf ich ein und zeigte ihm den Vogel. »Ich möchte meinen Ehemann bei meinen Kindern und mir haben. Außerdem werde ich ihn nicht an einen Ort schicken, an dem er ständig Gefahr läuft, erschossen zu werden. Verschwinde aus meinem Zimmer, Cecilio!«

Mein Finger zeigte auf die Tür, doch im nächsten Moment lag seine Hand fest auf meinem Mund. Er drückte mich in das Bett hinein. Mit weit aufgerissenen Augen fixierte ich ihn. Panik schnürte mir die Kehle zu.

»Bitte rede nicht in diesem Ton mit mir, Topolina. Es reicht manchmal nur ein kleiner Auslöser, und ich tue Dinge, die ich bereuen werde.« Er entfernte seine Hand langsam von meinem Mund. Ich schnappte nach Luft und rückte zur Seite. Hauptsache weg von ihm. Er wirkte ruhig, als wäre nichts passiert, und sprach weiter. »Der Club ist besser bewacht als dieses Krankenhaus. Wenn die Bianchis angreifen wollen, sind wir ohnehin alle am Arsch. Gino und Nunzio sollen ihre Geschäfte weiterführen. Sie haben ausreichend Türsteher und Security.«

Ich wusste nicht mehr, was ich ihm erwidern sollte. Immer noch aufgewühlt von der vorherigen Situation musste ich mich beruhigen.

»Wer bleibt hier bei mir, wenn alle anderen weg sind?«, fragte ich, als der Gedanke mich mit einer unerträglichen Klarheit überflutete. Als Cecilio mich mit einem überlegenen Grinsen musterte, schluckte ich schwer.

»Na super ...«

Frustriert starrte ich an die weiße Decke. Cecilio ließ mich allein, um Kaffee zu holen. Mein Kopf dröhnte leicht, so überfordert fühlte ich mich nach dem Gespräch mit ihm.

Ich sollte Enzo überreden, weiterzuarbeiten. Selbst meinen Ehemann sollte ich freiwillig in die Hölle schicken. Was dachte Cecilio, wer ich war? Als würde einer auf mich hören.

Ein Klopfen an der Tür entriss mich meinen Gedanken. Zu meiner Erleichterung wurde Julia nicht wach. Sie brauchte den Schlaf.

»Herein«, sprach ich leise, woraufhin die Tür aufging.

»Guten Tag, Signora Mancini«, begrüßte mich eine Ärztin mit blondem Haar. Sie trat mit zwei weiteren Frauen in das Zimmer.

»Ciao«, gab ich ihr schüchtern zurück.

»Ich bin Dr. Fasolo«, stellte sie sich vor, während sie gleichzeitig eine Akte aufschlug. »Ihr Sohn wird noch beatmet, aber seine Werte haben sich verbessert. Es sieht alles gut aus.« Eine riesige Last fiel von meinen Schultern. Es war ein Lichtblick am Ende dieses dunklen Tunnels, der sich mein Leben nannte.

»Ich danke Ihnen so sehr.« Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, bis ich bemerkte, dass sie nervös wirkte. Sie räusperte sich und trat einen Schritt auf mein Bett zu.

»Direkt nach der Geburt hatte er wirklich zu kämpfen. Durch die Atemaussetzer können wir nicht ausschließen, ob es Folgeschäden geben wird.«

»Was meinen Sie damit?« Entsetzt richtete ich mich auf. Ich konnte kaum glauben, was ich gehört hatte, und hoffte inständig, mich geirrt zu haben. Ein Keuchen entkam mir, da meine Wunde höllisch brannte. Ich ignorierte den Schmerz und wartete gespannt auf die Antwort der Ärztin.

»Es könnte sein, dass durch die mangelnde Sauerstoffversorgung des Gehirns einige Bereiche im Hirn schlecht versorgt wurden. Somit können wir eine spätere geistige Behinderung nicht vollständig ausschließen.« Ihre Stimme war so gelassen, doch die Worte, die sie sprach, zerschlugen alles, was ich kannte. Der Schock traf mich wie ein Schlag. Tränen stiegen in meine Augen. Ich bekam Angst, dass dieser Schmerz nie enden würde.

»Bitte nicht«, schluchzte ich und hielt mir meine Hände schützend vor mein Gesicht. »Bitte – bitte – nicht!«

Ein stechender Schmerz durchfuhr mein Herz. Ich gab mir die gesamte Schuld an dieser schrecklichen Situation.

Wäre ich bei Gino geblieben…

Wäre ich nicht bei Adamo eingestiegen …

Alles hätte anders kommen können.

»Ich will sofort zu meinem Sohn«, wimmerte ich und ließ meine Hände sinken, um die Ärztin anzusehen. Sie nickte.

»Eine Hebamme wird Sie begleiten. Machen Sie sich bitte keine Sorgen. Ich muss ihnen das sagen, aus Versicherungsgründen, aber es geht ihm gut. Sie müssten dann bitte auch die Milchpumpe –«

»Was ist denn hier los?« Cecilio betrat mit einem Becher Kaffee in der Hand den Raum. Irritiert sah er zwischen uns hin und her. Er schien sicherlich nicht zu verstehen, wieso ich so bitterlich weinte. Ich schnappte nach Luft, während meine Augen auf ihn trafen.

»Elio … er hat … er hat …« Mit zitternden Lippen versuchte ich einen anständigen Satz zustande zu bringen. Es gelang mir nicht. Cecilio freute sich sicher darüber, dass ich mich für diesen Namen entschieden hatte. Dies lag jedoch nicht an ihm. Mein Sohn brauchte einen starken Namen.

»Was hat er?« Cecilio trat zwischen den Frauen hindurch auf mich zu. Sein Blick verfinsterte sich, als er der Ärztin ins Gesicht schaute. Ihre Augen weiteten sich. Sie wich einen Schritt zurück.

»Bring mich zu meinen Kindern«, flehte ich ihn an. Er zögerte nicht, stellte den Kaffeebecher ab und holte den Rollstuhl aus der Ecke des Zimmers. Mit Schmerzen im Unterleib erhob ich mich aus dem Bett. Cecilio reichte mir seine Hand und half mir, im Rollstuhl Platz zu nehmen. Anschließend weckte er Julia, die sich gähnend ihre Augen rieb.

»Komm, Süße. Wir besuchen deinen Cousin und deine Cousine.«

»Vergessen Sie die Milchpumpe nicht.«

»Gib schon her!«, entkam es Cecilio wütend. Er entriss einer der Hebammen die Pumpe, um sie mir auf meinen Schoß zu legen. Wir verließen das Zimmer und machten uns auf den Weg zum Aufzug.

»Möchtest du mir jetzt vielleicht sagen, was los ist?« Cecilio drückte den Knopf und musterte mich neugierig. Ich schüttelte den Kopf, überwältigt von meinen Gefühlen. Der Aufzug öffnete sich und wir stiegen ein.

Einige Sekunden später erreichten wir unser Ziel. Ich wischte meine Tränen weg und fokussierte mich. Sie lebten – beide. Cecilio klingelte an der Tür. Eine Hebamme öffnete uns mit einem höflichen Lächeln. Ich schob meinen Rollstuhl hinein und desinfizierte mir zitternd meine Hände. Aufgrund der Krankenhausregeln mussten Cecilio und Julia im Wartebereich Platz nehmen.

»Ihr Kittel«, wies die Hebamme mich an. Nervös zog ich ihn über, um vor dem Zimmer noch einmal meine Hände zu desinfizieren. Dann öffnete sie mir zuvorkommend die Tür. Ich erstarrte für einen Augenblick, so fremd und ungewohnt kam mir der Anblick meines Mannes vor.

Statt seiner sonst dunklen Hemden trug er einen hellen Kittel. Mein Blick schweifte an ihm herab. Ein Kinderbuch in seiner Hand brachte mich zum Schmunzeln. Auf dem Stuhl saß nicht mehr der brutale Clubbesitzer, sondern ein Familienvater, der alles für seine Kinder tun würde.

»Seht mal. Eure Mami ist da.« Unsere Augen trafen sich und sein Lächeln erwärmte mein Herz. Nachdem ich einen flüchtigen Blick auf Nunzio geworfen hatte, der schlafend auf einem Stuhl in der Ecke des Raumes saß, rollte ich auf Gino zu. Neben ihm blieb ich stehen. Ich beobachtete, wie er seine Hand auf dem Fuß von Elio liegen hatte, bis er sich vorbeugte und mich intensiv betrachtete.

»Warum hast du geweint? Wen muss ich umbringen?« Ich sammelte mich und wollte ihm das offenbaren, was die Ärztin mir erklärt hatte. Doch ich konnte es plötzlich nicht mehr. Cecilios Worte klangen in meinem Kopf nach.

Gino müsse Stärke beweisen in Zeiten wie diesen. Ihm zu erklären, dass unser Sohn vielleicht geistig eingeschränkt sein würde, würde ihm den Boden unter den Füßen wegreißen. Er wollte nichts über den Unfall wissen, schließlich hatten wir alle überlebt. Würde er erfahren, dass es Folgeschäden geben könnte, dann würde er nachforschen und Adamo mit Sicherheit den Kopf für seine zwei Promille wegschießen.

»Ich habe euch nur vermisst«, murmelte ich entschlossen dazu, ihm diese Last nicht auch noch aufzubürden. Ich lehnte mich weiter zu ihm, um meine Nase sanft an seiner zu reiben. »Und ich möchte unseren Sohn Elio nennen, wenn das für dich okay ist.« Tief durchatmend, löste ich mich von ihm.

»Alles, was du willst, Anatra, das weißt du doch.« Er ließ das Kinderbuch auf seinen Schoß sinken und legte einen Arm um meine Schulter. Ich schmiegte mich an ihn und betrachtete meine Kinder voller Stolz. Sie waren so zuckersüß, dass mein Herz allein bei ihrem Anblick einen Takt schneller schlug.

»Hast du überhaupt geschlafen?«, wollte ich nach einiger Zeit der Stille wissen. Mein Blick fiel zu Gino. Er schüttelte seinen Kopf.

»Ich werde nach Hause fahren. Schlafen, duschen und dir Kleidung besorgen. Also nur, wenn du mich hier nicht brauchst.«

»Nein, ist schon okay«, erwiderte ich ihm. Er sollte seinen verdienten Schlaf bekommen. Es klopfte an der Tür. Gespannt sah ich auf.

»Guten Tag.« Eine Hebamme betrat den Raum. Kurz darauf blickte sie zu Nunzio und schüttelte den Kopf. Die Regel für nur zwei Besucher hatten wir erfolgreich gebrochen. Sie sagte jedoch nichts dazu. »Wir sollten beginnen, Ihre Milchproduktion anzuregen. Ich weiß, die Nacht und der Morgen waren anstrengend, aber je früher wir das Anlegen versuchen, desto besser.«

Gino stand ruckartig auf. Er lief auf Nunzio zu und weckte ihn, um ihn aus dem Zimmer zu schicken. Ich konzentrierte mich auf die Hebamme.

»Ich dachte, ich soll es mit der Pumpe versuchen?«

»Die Pumpe ist dafür gedacht, dass wir einen Milchvorrat haben, wenn Sie über Nacht schlafen oder nicht hier sind. Ihren Babys geht es ausgezeichnet. Es ist sehr wichtig, dass der Körperkontakt hergestellt wird.«

Perplex starrte ich sie an, während Nunzio das Zimmer verließ und Gino sich hinter mich stellte.

»Machen Sie es sich bequem, während ich die Kinder wiege, und genießen Sie es. Das erste Mal ist immer etwas ganz Besonderes.« Sie öffnete den Inkubator, woraufhin sie Nives vorsichtig an sich nahm. Natürlich ließ der Rottweiler hinter mir nicht zu, dass sie seine Kinder allein durch den Raum zur Waage tragen würde. Er lief neben ihr her und beobachtete jede ihrer Bewegungen.

»Dein Vater ist wirklich schlimm«, flüsterte ich grinsend meinem Sohn zu, der tief und fest schlief.

»Sehr gut.« Die Hebamme war mit dem Gewicht von Nives zufrieden. Sie kam mit dieser auf mich zu. Mein Herz erwärmte sich auf eine mir vollkommen ungewohnte Weise. Ich war so aufgeregt.

»Sie können sich dann frei machen.« Mein Blick schweifte zu Gino, während ich den Kittel aus- und mein T-Shirt hochzog. Seine Augen wanderten direkt zu meinen entblößen Brüsten. Es war so typisch für ihn, doch was mich überraschte, war, dass er sich nach nur wenigen Sekunden wieder abwandte und stattdessen unsere Tochter ins Visier nahm.

So schnell war ich bei ihm abgeschrieben, doch ich war dankbar dafür. Lächelnd schaute ich ebenfalls zu Nives, die mir behutsam in meinen Arm gelegt wurde.

Als ich sie zum ersten Mal richtig spüren konnte, liefen mir einzelne Tränen über meine Wange. Sie fühlte sich so weich und warm an.

»Hallo, meine kleine Prinzessin«, flüsterte ich ihr voller Stolz zu. Wie von selbst suchte sie mit ihren Lippen meine Nippel. Erstaunt darüber sah ich zu der Hebamme, die vor mir stand.

»Die Natur weiß eben, wie es funktioniert.«

Kapitel 3

»Du hast sie gehört?«, erkundigte Gino sich, nachdem die Babys schliefen und wir wieder allein waren. Ich wusste, worauf er hinaus wollte. Ich wurde darauf hingewiesen, dass ich die ersten Tage sicher zehn- bis zwölfmal die Babys stillen müsste. Nicht nur das ... Ich sollte dazwischen zusätzlich abpumpen. Es kam mir übertrieben vor. Was dachte sie, wie viel Milch ich in meinen Brüsten hatte?

»Ja, und meine Nippel tun jetzt schon weh«, gab ich leise von mir und beobachtete Gino, wie er mit einem dreckigen Grinsen langsam auf mich zukam. Er ging vor mir in die Hocke.

»Amore, ich werde mich, sobald das vorbei ist, liebend gern jede Nacht um deine Brüste kümmern.«

»Das glaube ich dir sofort«, erwiderte ich ihm und genoss die sanften Küsse, die er mir auf meinen Handrücken hauchte. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Hier drinnen gab es nur uns vier. Trotzdem hörte dort draußen die Welt nicht auf, sich unaufhörlich weiterzudrehen. Sorge nahm mich ein. Behutsam legte ich meine Hände an Ginos Wangen.

»Ich danke dir, dass du für mich da bist«, sprach ich und legte mir die richtigen Worte zurecht, während er mir tief in meine Augen sah. »Ich möchte, dass du den Club weiterführst und –«

»Oh Gott sei Dank«, unterbrach er mich. Ich runzelte aufgrund seiner Erleichterung meine Stirn. Er bemerkte, wie ver-wirrt ich reagierte. »Ai, Amore. Versteh mich bitte nicht falsch. Ich liebe dich und unsere Kinder über alles, aber dieses Herumsitzen macht mich wahnsinnig.«

Ich verstand ihn. Er schlief bei jedem Film, den wir sahen, ein, wenn er nur eine halbe Stunde ruhig auf dem Sofa sitzen musste. Er war ein Macher, kein Faulenzer.

»Dann bist du nachts im Club und gehst danach nach Hause schlafen. Mittags kommst du dann zu mir?«

»Ich komme her, wann immer du willst. Schlaf wird sowieso überbewertet.« Lächelnd strich er mir eine meiner Strähnen aus dem Gesicht.

»Du musst immer gut auf dich aufpassen«, flüsterte ich. Er nickte.

»Und Nunzio passt auf dich auf.«

»Nein«, widersprach ich ihm. »Nunzio passt auf dich auf. Ich habe –«

Ich verstummte, denn ich wusste nicht, wie Gino reagieren würde, wenn ich Cecilio erwähnte. Auf der Hochzeit wollte er ihn allein leiden lassen. Ich glaubte kaum, dass er einverstanden wäre, dass Cecilio auf mich aufpassen sollte.

»Wen hast du?«

»Cecilio.« Gino starrte mich nachdenklich an. Ich rechnete damit, dass er verärgert reagieren und mir widersprechen würde. Doch zu meiner Überraschung nickte er nur und schien einverstanden.

»Ist vermutlich besser, dass er hier aufpasst. Wenn ich ihn mit in den Club nehmen würde, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis ich ihm eine Kugel in den Kopf jage.« Entsetzt darüber, wie ernst seine Worte klangen, weiteten sich meine Augen. Doch zugleich packte mich die Neugier – einst standen sie sich nahe.

»Was ist zwischen euch beiden vorgefallen?« Er spannte sich an, als wolle er das Thema vermeiden. Doch schließlich sprach er trotzdem.

»Wenn man genau das tut, was er in seinem kranken Kopf von einem verlangt, dann ist Cecilio dein bester Freund. Seinen wahren Charakter lernt man erst kennen, wenn es nicht mehr so läuft, wie er das gern möchte. Ich habe zu spät gesehen, wie krank er wirklich ist. Das Einzige, was mich dazu bringt, ihn bei dir zu lassen, ist, dass er Prinzipien hat. Er würde dir nichts tun, allein schon, weil du zwei Mancinis auf die Welt gebracht hast. Ich möchte trotzdem nicht, dass du mit ihm redest. Er soll die nächsten Tage vor der Tür Wache halten. Das reicht.«

»Aber auch er muss irgendwann schlafen, Gino.«

»Das Böse schläft nie«, gab er ausdruckslos von sich. Ich hob meine Augenbrauen, während er aufstand und sich zu mir lehnte. Seine Lippen berührten meine Stirn. »Ich rede mit Nunzio und fahre zur Villa, um mich etwas auszuruhen. Was brauchst du alles?«

Ich sah nachdenklich zu ihm und wandte meinen Blick auf meine nackten Füße.

»Gemütliche Kleidung, Socken, Hausschuhe, Shampoo, einen Föhn, Zahnbürste, Bücher, Haarbürste und das Kissen aus unserem Bett. Das Kleine, was nach deinem Parfum riecht«, zählte ich auf. Gino tippte alles in sein Handy ein.

»Wird erledigt«, meinte er und blickte zu mir. »Hast du schon gefrühstückt?«

»Nein. Ich habe keinen Hunger.«

»Was möchtest du essen?«

»Ich habe keinen –«

»Was möchtest du essen?« Seine Stimme wurde lauter. Ich wusste, dass er nicht aufhören würde, bis ich etwas essen würde.

»Dann eben einen Käsekuchen«, gab ich mich geschlagen. Er lächelte zufrieden und verließ das Zimmer. Es dauerte nicht lange, bis er zurückkehrte.

»Es gab nur so etwas, aber ich bringe dir später deinen Käsekuchen. Versprochen.« Er reichte mir ein Brötchen, belegt mit einer Scheibe Schinken.

»Das geht schon. Danke schön.« Ich biss in das Brötchen und beobachtete Gino. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und tippte auf sein Handy. Der Gedanke, gleich ohne ihn zu sein, stimmte mich traurig. Doch ich verbarg es, damit er kein schlechtes Gewissen bekam und nicht doch blieb.

»Wir sehen uns heute Abend«, sprach er schließlich und wollte mir einen Kuss geben. Ich zog allerdings meinen Kopf zurück.

»Schieb mich bitte noch ins Wartezimmer. Bevor ich gleich wieder stillen muss, hätte ich gern etwas Zeit für mich. Außerdem muss ich nach Julia schauen. Zu lange allein mit Cecilio ist sicher nicht gut für sie.« Nachdem Gino sich zuckersüß von den Zwillingen verabschiedet hatte, schob er mich aus dem Zimmer und den Gang entlang bis zur Glastür, durch die wir ins Wartezimmer gelangten.

»Pupetta!« Nunzio kam mit seinem typischen Sunny Boy Lächeln auf mich zu. Sicher versuchte er, mich aufzumuntern, doch mir konnte er nichts vormachen. In seinen dunklen Augen erkannte ich den Schmerz und die Trauer. »Ich gratuliere dir.«

Er beugte sich zu mir herunter und nahm mich fest in seine Arme. Gino zog den Rollstuhl etwas zurück und spannte sich an. Nunzio blickte zu ihm.

»So besitzergreifend? Ich habe sie damals gefunden und ich umarme sie so lange, wie ich will. Finde dich damit ab.« Er grinste und kniff mir sanft in die Wange. »Du hast zwei wunderschöne Kinder bekommen. Gott sei Dank tragen sie den Namen Mancini. Nicht auszumalen, wenn du immer noch Grasso heißen würdest.«

Er schüttelte sich, als wäre er abgeneigt gegenüber meinem alten Namen. Ich schmunzelte, und im nächsten Moment zwinkerte er mir zu. Ginos Toleranz war damit überschritten. Er trat hervor und stellte sich zwischen uns.

»Reicht oder willst du noch ihre Füße küssen, Idiota! Lass uns gehen.« Gino beugte sich zu mir herab. Seine Lippen näherten sich meinem Ohr.

»Ich kann den Tag kaum erwarten, an dem du wieder neben mir in unserem Bett liegst und ich deine nackte Haut an meiner spüre«, flüsterte er und schaffte es, mich mit seinen Worten um den Finger zu wickeln. »Dann haben wir genügend Zeit, noch fünf weitere Kinder zu zeugen.«

»Fünf weitere?«, erwiderte ich ihn entsetzt.

»Von mir aus noch mehr.« Er küsste meinen Hals entlang bis zu meinen Lippen, um mir einen leidenschaftlichen Kuss zu geben. »Bis später.«

Er löste sich von mir, um mit Nunzio zu den Treppen zu verschwinden. Ich sah ihm verliebt nach, bis mein Blick zur Seite schweifte. Cecilio und Julia saßen am anderen Ende und schauten aus dem großen Fenster. Ich rollte auf die beiden zu. Julia bemerkte mich zuerst. Ihre blauen, glasigen Augen trafen genau auf meine. Wie gern ich ihr den Schmerz abgenommen hätte.

»Wollen wir zu deinem Vater, bevor wir die Babys besuchen?«, fragte ich mitfühlend und reichte ihr meine Hand. Sie ergriff sie und erhob sich. Cecilio tat es ihr gleich. Er musterte mich intensiv.

»Hast du mit Gino alles geklärt?«

»Ja«, antwortete ich und sah zu ihm. »Das mit dem Club ist geklärt. Können wir uns jetzt bitte auf das konzentrieren, was wichtig ist?«

»Und das wäre?«, erwiderte er mir.

»Die Familie. Nicht die Geschäfte.« Er starrte mich an, als würde er nicht verstehen können, dass es Wichtigeres gab als den Club und die Waffen. Wir steuerten den Aufzug an. Er bemerkte meinen Ausdruck und zog eine Augenbraue hoch, als ahnte er bereits, dass ich etwas von ihm wollte.

»Ach ja, ich habe Gino auf den Club angesprochen, so wie du es wolltest.« Ich drückte den Knopf und sah zu ihm auf. Er erwiderte meinen Blick.

»Lass mich raten. Du möchtest dafür eine Gegenleistung?«, schlussfolgerte er, woraufhin ich nickte. »Was kann ich für dich tun, Topolina?«

»Hol Adamo aus der Geschlossenen.«

Mit einem Kloß im Hals starrte ich die Tür zu Darios Zimmer an. Julia stand neben mir und spielte nervös mit ihren Fingern. Ich zögerte einen Moment, bevor ich die Tür leise öffnete. Mein Blick fiel auf die vielen Geräte, die um Darios Bett aufgestellt waren. Ihre monotonen Geräusche brachten mir ein unwohles Gefühl.

Das Schlimmste waren jedoch weder die piepsigen Töne noch die verschiedenen Geräte. Es war der Anblick des Mannes, der mir so viel bedeutete, welcher mir den Boden unter den Füßen entriss.

»Dario«, hauchte ich mit trauriger Stimme. Ich spürte Julias Hand, die sich fest um meine schloss. Mit Tränen in den Augen musterte sie ihren Vater.

»Ist er tot?«, wollte sie zitternd wissen. Ich riss mich für sie zusammen, um nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen. Sie brauchte in diesem Augenblick jemand Starkes an ihrer Seite.

»Nein, keine Sorge. Er schläft nur und wacht bald wieder auf«, erwiderte ich ihr und rollte mich langsam weiter an das Bett heran. »Manche Menschen brauchen Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen.«

Ich schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln, doch sie entriss mir schlagartig ihre Hand, während immer mehr Tränen über ihre Wangen liefen.

»Darf ich bitte gehen?« Sie ließ mir keine Zeit, ihr zu antworten. Weinend verließ sie das Zimmer. Ich blieb allein zurück und obwohl ich ihr hinterher wollte, fiel mein Blick erneut zu Dario. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln.

Ich betrachtete seine Hand, die reglos neben seinem Körper lag, und wusste, er mochte Berührungen nicht. Trotzdem nahm ich seine Hand und streichelte sanft über seine Haut.

»Ich weiß, du brauchst Zeit. Zeit, um dich zu erholen und ganz der Alte zu werden. Doch wir brauchen dich, Dario. Julia braucht dich. Ich brauche dich. Du hast mir einmal gesagt, dass du mich nie zu etwas drängen und mir alle Zeit der Welt lassen würdest. Ich wünschte, ich könnte dir jetzt dasselbe sagen, aber das kann ich nicht. Dafür will ich zu sehr, dass du aufwachst.«

Schmerzhaft wurde mir bewusst, dass er mir keine Antwort geben würde. Er hörte mich nicht. Spürte mich nicht. Der Gedanke, seine Stimme nie wieder hören zu können, lähmte mich für einen Moment. Trauer und Wut nahmen mich ein, weil ich seine Lage nicht akzeptieren konnte.

»Du bist ein verfluchter Egoist. Wenn du denkst, du könntest jetzt in aller Stille einfach gehen, dann hast du dich getäuscht. Das lasse ich nicht zu! Wir wollten auf deiner Hochzeit tanzen, Dario. Ich bitte dich. Wach auf!«

»Ludovica.« Erschrocken riss ich die Augen auf und dachte, ich würde Gespenster hören.

Eine Berührung an meiner Schulter ließ mich zusammenzucken. Von Herzrasen geplagt, gab ich Darios Hand frei und drehte mein Gesicht herum.

»Mein Gott! Cecilio! Musst du dich so anschleichen?«, regte ich mich auf und fasste an meinen bebenden Brustkorb. Er sah zu Dario und legte den Kopf leicht schief. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, wie er ihn beobachtete. Dario konnte Cecilio nicht leiden. Sicher würde er ihn nicht hier haben wollen.

»Wir sollten ihm seine Ruhe gönnen«, erklärte ich an Cecilio gewandt und rollte mit meinem Rollstuhl an ihm vorbei nach draußen. Im Wartezimmer angekommen, entdeckte ich Julia auf einem der Stühle. Mit Erstaunen erkannte ich Adamo neben ihr. Abwesend starrte er ins Nichts.

»Wie hast du ihn so schnell da herausbekommen?«, wollte ich wissen. Cecilio trat neben mich und grinste dämlich.

»Sagen wir, ich habe der Oberschwester dort etwas besorgt, damit sie mir im Gegenzug etwas besorgt.« Da ich nicht verstand, was er meinte, starrte ich ihn mit gerunzelter Stirn an.

»Ach, Topolina. Bist du so schwer von Begriff? Stell dir vor, was diese Finger alles bewirken können.« Er zeigte mir seine Hand. Ringe lagen um seine Finger. Dann kam mir peinlich berührt die Erkenntnis, worauf er hinaus wollte.

»O mein Gott! Hör auf. Ich will nichts davon hören!« Ich wollte mir das Ganze nicht im Geringsten vorstellen. Vor allem war er nur eine halbe Stunde weg gewesen. Wie schnell hatte er es ihr bitteschön besorgt?

»Frauen brauchen bei mir nur wenige Minuten, um sich für immer an meine beweglichen Finger zu erinnern. Darüber hast du doch nachgedacht, oder?« Er erklärte es mir, als hätte er zuvor meine Gedanken gelesen. Ich starrte sein überhebliches Grinsen an und verdrehte die Augen.

»No. Ich habe lediglich darüber nachgedacht, wie viel Beton ich anmischen müsste, um dich für immer im Meer zu versenken.«

»Gino hat wirklich Glück mit dir.« Er sah mich an, als würde er so etwas wie Stolz empfinden. Irritiert davon wandte ich mich von ihm ab und rollte auf Adamo zu, ohne Cecilio weiterhin meine Aufmerksamkeit zu schenken.

»Hey, Adamo«, begrüßte ich ihn, doch keine Reaktion. Er legte sein Gesicht in seine Hände. Atmete tief durch. Mitfühlend betrachtete ich ihn. Etliche Minuten, die einzig von Stille eingenommen waren, vergingen.

»Soll ich dich auf dein Zimmer bringen?«, unterbrach Cecilio das Schweigen. Ich schüttelte den Kopf, da ich Adamo nicht allein hier sitzen lassen wollte. Ich legte meine Hand auf seinen Rücken, doch er zuckte zusammen und erhob sich von dem Stuhl. Sein finsterer Blick traf mich.

»Kannst du mich verfickt nochmal nicht einfach in Ruhe lassen?! Mein Bruder ist gestorben! Jämmerlich auf dem Boden eines beschissenen Waldes verreckt!«

»Beruhige dich«, wies Cecilio ihn an, während ich entsetzt Adamo ansah.

»Misch dich nicht ein!«, brüllte dieser seinen Halbbruder an und zitterte am ganzen Körper. Erst dann nahm er mich erneut ins Visier. »Wie kannst du mir überhaupt nah sein wollen? Was fällt dir ein?«

»Wie bitte?«, erwiderte ich und hatte keinen blassen Schimmer, worauf er hinauswollte.

»Du hast fast deine Kinder verloren, nur weil ich zu viel getrunken habe. Was bist du für eine beschissene Mutter, mich überhaupt noch anzusehen?«