Throw in your Heart. Zwei Herzen, ein Team - Sophie Fawn - E-Book
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Sophie Fawn

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Beschreibung

**Für welches Team spielt dein Herz?* Leonie glaubt zunächst an einen schlechten Scherz. Ihre Ma verkündet ihr, dass ausgerechnet Yannik, den sie schon als Kind nicht leiden konnte, in den letzten Monaten bis zum Abitur bei ihr wohnen soll. Und das nur, weil seine Mutter umzieht und er sein Handballteam um keinen Preis im Stich lassen will. Dass Leonie dafür ihr geliebtes Hobbyzimmer räumen muss und der Sportler keineswegs in ihre Welt aus Büchern, Blog und Zeichnen passt, scheint dabei keinen zu interessieren. Wenn sie sich da mal nicht täuscht. Denn auf den zweiten Blick entspricht der attraktive Handballer so gar nicht dem Klischee vom Frauenheld und Partykönig. Gegensätze ziehen sich an Wenn sich trotz Trainingsstunden und Blogfotos die ganz großen Gefühle entwickeln, dann sind Hindernisse und Stolpersteine vorprogrammiert. //»Throw in your Heart. Zwei Herzen, ein Team« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Sophie Fawn

Throw in your Heart. Zwei Herzen, ein Team

**Für welches Team spielt dein Herz?**Leonie glaubt zunächst an einen schlechten Scherz. Ihre Ma verkündet ihr, dass ausgerechnet Yannik, den sie schon als Kind nicht leiden konnte, in den letzten Monaten bis zum Abitur bei ihr wohnen soll. Und das nur, weil seine Mutter umzieht und er sein Handballteam um keinen Preis im Stich lassen will. Dass Leonie dafür ihr geliebtes Hobbyzimmer räumen muss und der Sportler keineswegs in ihre Welt aus Büchern, Blog und Zeichnen passt, scheint dabei keinen zu interessieren. Wenn sie sich da mal nicht täuscht. Denn auf dem zweiten Blick entspricht der attraktive Handballer so gar nicht dem Klischee vom Frauenheld und Partykönig.

Wohin soll es gehen?

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Vita

Danksagung

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© Melanie Baumeister

Sophie Fawn führt ein Doppelleben: Tagsüber arbeitet sie als Informatikerin, abends versinkt sie in erträumten Geschichten. Ihren ersten Roman schrieb sie bereits in der siebten Klasse und konnte seitdem den Stift kaum aus der Hand legen. Ob sexy Rockstar, frecher Kobold oder geflügelter Wolf – sie alle sind in ihren Werken vertreten. Heute schreibt sie am liebsten im Beisein ihrer Hunde, die zu ihren Füßen schlafen, während sie Figuren und Welten zum Leben erweckt.

Leonie

Mord

Erleichtert darüber, endlich meinen Rücken und die Finger wieder geradebiegen zu können, stellte ich die Tasche mit meinen Bucheinkäufen im Flur ab. Es erinnerte mich daran, dass Shopping eine Sportart war. Und Sport war Mord. Hätte ich mich an meinen eigenen Vorsatz gehalten und nicht mehr als ein Buch gekauft, müsste ich jetzt nicht befürchten, dass mir jeden Moment die Arme abfielen.

Bis in mein Zimmer im ersten Stock bekam ich die Tasche nicht mehr und beschloss daher, eine Verschnaufpause in der Küche einzulegen.

»Hi, Ma«, rief ich schon im Türrahmen und korrigierte mich sofort, als ich den Besuch entdeckte. »Und hi, Bea.«

»Hallo, Leonie!« Die beste Freundin meiner Ma lächelte mich an und legte den Kopf dabei so schief, dass ihre braunen Locken nach vorn fielen. »Wie war die Schule?«

»Ganz okay. Deutsch ist ausgefallen. Deshalb war ich vorhin noch in der Stadt.«

Ich warf meiner Ma einen entschuldigenden Blick zu, weil sie sich bestimmt denken konnte, dass ich wieder im Buchladen versackt und mit vollen Taschen nach Hause gekommen war. Dabei hatte ich mich auf eine einzige Tasche beschränkt, in der sich allerdings sieben Hardcover befanden. Obwohl ich seit Jahren alle Harry Potter-Bücher besaß, musste ich einfach diese wunderschönen Schmuckausgaben kaufen. Es war lebensnotwendig! Ohne den Schuber würde ich eingehen wie Mas Zimmerpflanzen. Meine alten Taschenbücher waren alle abgegriffen, weil ich sie bereits einige Male gelesen hatte. Allein in der siebten Klasse zweimal. Ich war mit dem Lehrerwechsel nicht gut zurechtgekommen und hatte mich lieber nach Hogwarts geflüchtet. Harry, Hermine und Ron zeigten, dass sie sich selbst von schrecklichen Lehrern wie Dolores Umbridge nicht aufhalten ließen. Der Schuber sollte unsere gemeinsame Zeit gebührend ehren. Ich würde ihn auf das Regal über meinen Schreibtisch stellen, wo ich ihn und vor allem die zugehörigen Pappfiguren meiner Lieblingscharaktere gut sehen konnte.

»Und wie lief Bio?«, fragte Bea.

»Ziemlich gut.« Hoffte ich zumindest. »Ökologie war ganz interessant. Ab nächster Woche starten wir mit dem Thema Evolution. Mal sehen, wie das wird.«

»Yannik gefiel Genetik am besten«, sagte Bea.

Ich hatte Mühe, die Augen nicht zu verdrehen, weil ihr Sohn angeblich an irgendetwas außer seinem Sport Interesse hatte.

Bea und Ma hatten sich vor fast achtzehn Jahren im Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt, weshalb sie bis heute glaubten, dass Yannik und ich so etwas wie Zwillinge seien. Waren wir aber nicht. Weder biologisch noch im Geiste. Der Kerl war so ziemlich der letzte Mensch auf Erden, mit dem ich etwas zu tun haben wollte, aber dafür konnte seine Mutter ja nichts. Sie hatte ihr Bestes gegeben und das Unglück dennoch nicht aufhalten können.

Ernsthaft: Wer sich von seinen Mitspielern Chef nennen ließ, damit jeder wusste, dass er als Teamkapitän das Sagen hatte, war offensichtlich dem Größenwahn verfallen.

»Er hat schon oft versucht mir zu erklären, welche Gene in seinen Schlangen stecken«, sie seufzte, »aber ich könnte dir bis heute nicht beantworten, welche Farben bei welcher Verpaarung entstehen.«

Mit den Mendelschen Regeln könnte ich das Ergebnis berechnen, aber das war eine Frage, die ich sicher nicht beantworten wollte. Allein die Tatsache, dass Yannik drei Schlangen hielt, machte ihn zu einer Gefahr für die Menschheit. Wenn er die auch noch vermehren würde … Das könnte er nur noch toppen, indem er sich eine Vogelspinne anschaffte. Aber da würde Bea sich hoffentlich querstellen.

Ich setzte mich auf den Stuhl neben sie und klaute mir einen der Kekse vom Tisch. Mein Blick glitt zu meiner Mutter, die eine Strähne ihrer blonden Haare zurück in den Dutt und ihre Hornbrille auf die Nase schob. Aus Gewohnheit wartete ich darauf, dass sie mir eine Tasse aus dem Schrank reichte, schließlich saß sie direkt an der Quelle, aber nichts geschah. Sie sah nur kurz zu Bea, dann zurück zu mir und richtete dabei wieder ihre Brille, als wäre sie mit dem Resultat ihres vorangegangenen Versuchs nicht zufrieden.

»Ist alles okay?«, fragte ich sie. Erst jetzt fiel mir auf, dass Ma noch gar nichts gesagt hatte. Alle Fragen waren von Bea gekommen. Sonst erkundigte sich meine Mutter sonst immer nach meinen Klausuren.

»Ja«, sagte Ma und stockte. »Natürlich. Bea wollte mir nur gerade etwas erzählen.«

»Was denn?« Meine Neugierde war geweckt. Ich nahm mir noch einen Keks und sah zu Bea. Solange es nicht um ihren Sohn ging, würde es sicher spannend werden. Bea arbeitete für einen großen Chemiekonzern, bei dem die Tätigkeiten eher langweilig waren, die Kollegen aber umso interessanter. Es gab so gut wie jede Woche einen neuen Skandal.

»Allein, Leonie«, ergänzte Ma.

Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben. Seit der Grundschule hatte Ma mich nicht mehr auf mein Zimmer geschickt und weder sie noch Bea hatten Geheimnisse vor mir.

Bis jetzt.

Sofort schossen mir die schlimmsten Vermutungen durch den Kopf: Bea war unheilbar krank. Oder war etwas passiert, das sie mir aus Scham nicht erzählen konnte? Sie hatte endlich einen Kerl gefunden, war mit ihm im Bett gelandet und hatte sich eine fiese Krankheit eingefangen?

Letzteres schied vermutlich aus. Ma und Bea bezeichneten sich als glückliche Single-Mütter. Insgeheim glaubte ich zwar, dass sie nur darauf warteten, Yannik und mich loszuwerden, aber noch gaben sie vor, dass ihre Leben sich nur um uns drehten.

Da wir meinen siebzehnten Geburtstag schon vor fünf Monaten gefeiert hatten und Weihnachten ebenfalls vorbei war, würde es wohl kaum um ein Geschenk für mich gehen, über das die beiden nicht in meiner Gegenwart sprechen konnten.

»Ich gehe, wenn ihr mir vorher versichert, dass niemand stirbt.« Das musste ich einfach wissen, sonst würden die Gedanken sich in mein Hirn fressen, bis ich durchdrehte.

Ma sah mich erschrocken an.

Bea lächelte. »Jeder stirbt irgendwann«, sagte sie. »Aber ich kann dir versichern, dass wir keinen Mord planen.«

»Obwohl Annemarie es echt verdient hätte«, ergänzte ich. Beas Chefin war eine Zumutung. Vor allem bei Stress gab sie den Druck meistens weiter, indem sie andere persönlich angriff.

»Stimmt«, sagte nun auch Ma und gab mir zu verstehen, dass ich endlich verschwinden sollte.

»Bin ja schon weg.«

Ich schnappte mir die Tragetasche und verzog mich damit nach oben ins Hobbyzimmer. Der Rausschmiss aus der Küche hatte auch etwas Gutes, denn so konnte ich wenigstens das Nachmittagslicht für Fotos nutzen.

Zwischen den Bücherregalen bewahrte ich in dem kleinen Raum Kisten mit Dekomaterialien auf. Ich zog zwei davon heraus und flitzte noch einmal in mein Zimmer, um den selbst gebastelten Zauberstab und meine Tagesdecke zu holen. Das Sofa im Hobbyzimmer war alt und furchtbar hässlich, aber mit der passenden Unterlage und der richtigen Deko ließen sich dort perfekte Buchfotos für meinen Instagramaccount machen.

Yannik

Schlechter Scherz

»Gute Arbeit, Chef!«

Daniel, der erste Torwart unseres Handballteams, klopfte mir beim Verlassen der Sporthalle auf die Schulter. In der D-Jugend hatte er mich noch Küchenchef genannt, weil ich immer gekocht hatte, wenn wir bei mir gewesen waren. Davon war nur noch Chef übrig geblieben, was alle im Team schnell übernommen hatten.

»Ja, richtig«, sagte ich und tat, als wäre seine Aussage eine Frage gewesen. »Du hast einen super Job gemacht!«

Wir hatten heute einige Abläufe für das Spiel gegen Flensburg geübt. Statt im Rückraum sollte ich als zweiter Kreisläufer einspringen. Obwohl es zu Anfang eine ungewohnte Herangehensweise gewesen war, die unser Trainer Karsten von uns verlangt hatte, waren wir am Ende mit einem guten Gefühl in die Kabine gegangen. Auf das Auswärtsspiel waren wir damit gut vorbereitet und würden Flensburg definitiv überraschen, sobald ich zum Kreis auflöste. Doch auch wenn ich der Kapitän war, konnte ich einen Sieg nicht allein erreichen. Am Samstag kam es auf unsere ganze Mannschaft an.

Tommy, unser Rechtsaußen, rempelte mich mit der Schulter an. »Gehen wir noch ins Sixty-Nine?«

Die Bar in der Nähe unserer Sporthalle war nach dem Song von Brian Adams benannt. Heimspiele feierten wir oft dort und auch nach Trainings bot sich das Sixty-Nine zum Cooldown an.

Ich sah auf die Uhr. Viel Zeit blieb mir nicht mehr. »Okay, aber ich muss nachher meine Mutter abholen und kann nicht lange bleiben.«

Meistens nahm Daniel mich mit oder ich fuhr mit der Bahn nach Hause, doch heute hatte Bea darauf bestanden, dass ich sie bei ihrer Freundin abholte.

»Aber wir müssen das erfolgreiche Training feiern, Yannik«, sagte Daniel.

»Das könnt ihr ja. Und weil ich nur für eine Runde mitkomme, gebe ich sie aus.«

Daniel grinste. »Dafür mögen wir dich, Chef.«

»Jepp«, stimmte Tommy ein. »Und für deine Steaks.«

Die Jungs warfen ihre Taschen in Daniels Kofferraum, ich schwang mir meine über die Schulter und folgte ihnen die Straße entlang.

Tommy, der große Kerl, dessen helle Haare so kurz geschoren waren, dass sie im richtigen Licht wie eine Glatze wirkten, war mein größter Kritiker. Auch wenn der Seitenhieb als Scherz gemeint war, nahm er mich im Training richtig ran. Wie alle im Team strebten wir eine Profikarriere an und schenkten uns nichts. In der B-Jugend hatten wir zusammen am Auswahlwochenende für die Nationalmannschaft teilgenommen, seitdem hofften wir auf einen Platz. »Man braucht Herausforderungen, um daran zu wachsen«, sagte Tommy immer und ich konnte ihm nur zustimmen.

Während ich beim EHV, dem Essener Handballverein, bleiben wollte, zog es ihn nach Gummersbach. Studieren wollten wir beide Sport, er in Köln, ich in Bochum.

»Yannik? Was ist los?« Daniel hielt mir die Tür zum Sixty-Nine auf und sah mich fragend an.

»Nichts«, winkte ich ab. Unbewusst waren meine Gedanken wieder zum Jobangebot meiner Mutter geschweift.

»Also kommst du nächsten Freitag nach dem Training mit ins Anywhere?«

Tommy wollte dort seinen Geburtstag feiern. Was Daniel dazu in den letzten Minuten erzählt hatte, war mir entgangen, aber wie ich ihn kannte, nahm er es mir nicht übel.

»Klar, ich bin dabei!«

Tommy suchte einen runden Tisch für uns aus und zog einen weiteren Stuhl heran, damit wir alle Platz fanden. Ich setzte mich und dachte darüber nach, warum ich mich mit meiner Mutter treffen sollte. Wollte sie, dass ich sie abholte, damit ich nach dem Training nicht zu lange mit den Jungs wegblieb? Damit wir reden konnten? Sonst erwartete sie nie, dass ich zu einer bestimmten Zeit nach Hause kam.

Ich war mir ziemlich sicher, dass mir heute Abend wieder ein Gespräch über ihren Stellenwechsel bevorstand. Bea wollte nicht ohne mich wegziehen, aber Pendeln kam nicht infrage. Ohne Stau wären es jeden Tag drei Stunden Fahrzeit. Im Berufsverkehr vermutlich vier oder fünf.

Da ich in wenigen Monaten mein Abi machen würde und weder die Schule noch meine Mannschaft wechseln wollte, war ein Umzug für mich unmöglich. Aber sie sollte es tun. Es war okay. Die letzten Monate bis zum Studium würde ich allein rumbekommen und könnte mir eine kleine Wohnung suchen.

»Eine Runde?«, fragte Anna. Sie kellnerte hier schon seit über einem Jahr und kannte uns.

»Ja«, sagte ich. »Bier. Geht auf mich.«

»Das klingt nach einem Sieg.« Anna lächelte.

»Noch nicht.« Daniel zeigte auf mich. »Aber der Chef wird’s schon richten.«

Ganz so hatte ich mir das zwar nicht gedacht, aber es lohnte sich nicht, Daniel jedes Mal zu korrigieren. Mit ihm im Tor hatten wir gute Chancen und die Mannschaft war super vorbereitet. Das war es, worauf ich baute, aber dafür brauchte ich jeden Einzelnen von ihnen.

Ich wartete, bis Anna die Getränke brachte, und zahlte sofort. Bea verlangte nicht oft Dinge von mir und wenn ich sie heute abholen sollte, würde ich sie nicht warten lassen.

Die Jungs stießen an, ich leierte einen unserer Trinksprüche runter, trank das Pils und verabschiedete mich.

»Was soll das denn?«, fragte Tommy. »Wir haben kein Wort miteinander gesprochen.«

»Wenn du reden willst, ruf deine Freundin an«, neckte ich ihn. Dann verzog ich mich.

***

Es waren nur ein paar Minuten zu Fuß bis zu dem Reihenmittelhaus, in dem Gabi und ihre Tochter wohnten. Wie bei Bea und mir hatte es dort nie einen Vater gegeben, der sich um sein Kind gekümmert hätte. Das hatte Leonies und meine Mutter eng zusammengeschweißt.

Von der Straße aus konnte ich Licht in der Küche und in einem der oberen Zimmer sehen. Als ich näher kam, erkannte ich Bea und Gabi am Esstisch. Das Küchenfenster und die Haustür waren noch immer weihnachtlich dekoriert. Gabi schien es zu gefallen, während Bea am liebsten schon an Silvester den Baum aus dem Wohnzimmer beförderte.

Ich klingelte und fragte mich für einen Moment, ob Leonie wohl dort oben war. Dank unserer Mütter kannten wir uns seit unserer Geburt, auch wenn ich mich an die Zeit natürlich nicht erinnerte. Den Fotos nach waren Leonie und ich ziemlich hässliche Babys gewesen. Inzwischen war sie durchschnittlich groß, durchschnittlich blond und lebte in ihrer eigenen Welt. Selbst während des Unterrichts verlor ihr Blick manchmal den Fokus und dann begann das Mienenspiel. Ihre blauen Augen leuchteten auf und in ihrem Gesicht konnte man ablesen, dass sie gerade ihre eigene Geschichte erlebte. Bis heute wusste ich nicht, woran sie in diesen Momenten dachte. Wir hatten trotz der Freundschaft unserer Mütter nie viel miteinander gesprochen und es seit Beginn der Pubertät auf das Nötigste beschränkt.

Gabi öffnete die Tür und lockte meinen Blick damit weg von dem oberen Fenster.

»Yannik, komm rein!«

Ihrer Bitte folgend ging ich in die Küche.

»Hi, Bea, können wir los?«

Meine Mutter saß vor einer Tasse Kaffee. Ich erwartete, dass wir gleich verschwanden, aber sie bat mich, am Tisch Platz zu nehmen.

Was kommt denn jetzt?

»Ich habe Gabi erzählt, dass ich das Jobangebot vielleicht ablehnen werde.«

»Mach das nicht!«, unterbrach ich sie. Die neue Stelle war eine gute Chance. Erstmals hätte sie Personalverantwortung, würde mehr verdienen und käme von ihrer ätzenden Chefin weg. »Die Stelle ist genau dein Ding. Bea, darauf wartest du doch seit Jahren.«

Ich sah zu Gabi. »Sag ihr, dass sie nach Bielefeld gehen soll! Sie wäre eine großartige Personalleiterin.«

Gabi bedachte mich mit diesem Mutter-Blick, den sie nur bei ihrer Tochter und mir benutzte. »Das habe ich«, sagte sie, stellte ein Glas und eine Wasserflasche für mich auf den Tisch und schenkte sich selbst Tee nach. »Aber ich verstehe gut, dass sie dich nicht allein lassen will.« Als hätte ich widersprochen, wedelte sie mit der Hand. »Ich weiß, ich weiß, ihr seid fast volljährig. Trotzdem hätte ich ein schlechtes Gefühl, Leonie allein zu lassen. Sie ist selbstständig und verantwortungsbewusst, aber«, sie zuckte mit den Schultern, »sie ist mein kleines Mädchen. Genauso geht es Bea mit dir.«

Verstehe ich, aber so lösen wir das Problem nicht.

»Bielefeld ist nicht das Ende der Welt«, warf ich ein. »Zum Pendeln ist es zu weit, aber im Notfall lässt sich die Strecke jederzeit fahren. Außerdem wollte ich mir eh eine Wohnung nehmen, sobald ich für das Studium zugelassen bin. Noch habe ich keine Zusage, aber das wird klappen.«

Ich reiße mir verdammt noch mal den Arsch auf, damit es klappt! Bielefeld wird mich nicht abhalten!

»Ja«, sagte Bea. »Du wirst bald allein wohnen und ich weiß, dass du das kannst. Aber du solltest diese Verantwortung nicht tragen müssen. Besonders nicht jetzt, wo du dein Abi bestehen musst.«

»Deshalb habe ich Bea etwas vorgeschlagen.« Gabi setzte wieder diesen Mama-Blick auf. »Du kannst in der Zeit bei uns wohnen.«

Ich sah zu meiner Mutter, die zaghaft, aber offensichtlich erleichtert nickte.

»Natürlich nur«, ergänzte Gabi, »bis du einen Platz im Studentenwohnheim hast.«

Mir fehlten die Worte. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber niemals mit diesem Kompromiss.

»Warte!« Gabi fuchtelte wieder mit ihrer Hand. »Ich hole Leonie.«

Leonie

Geschwisterliebe

Ma ließ mir nicht einmal genug Zeit, meinen Beitrag auf Instagram fertigzustellen, weil ich unbedingt in die Küche kommen sollte. »Bin auf dem Weg«, rief ich zurück und schickte das Bild ohne Hashtags ab. Die würde ich später nachpflegen.

Die riesige Sporttasche in unserem Flur war eine erste Warnung, dann sah ich Yannik auf meinem Platz. Er starrte gedankenverloren auf die Tischplatte. Mit dem schwarzen Pulli und den fast ebenso dunklen Haaren passte er so gar nicht zu unserer bunten Weihnachtsdeko. Allerdings betonte das Shirt seinen muskulösen Körper und die Farbe sorgte dafür, dass sein Gesicht in der kalten Jahreszeit nicht annähernd so bleich wirkte wie meines.

Als er meine Schritte hörte, blickte er auf. Für einen Moment durchzuckte mich ein Kribbeln, als sich seine blauen Augen auf mich richteten. Der kleine Ausrutscher, den ich auf meine Hormone und zu wenig Schokolade schob, endete abrupt, als Yannik grinste.

»Hallo, Leonie!«

Würg!

Es war nicht dieses sexy Lächeln, das er manchmal in der Schule benutzte, wenn er mit Mädchen sprach, sondern eher die Art, bei der einem eiskalt wurde. Irgendetwas lief hier sehr, sehr falsch. Und er wusste davon!

»Hi, Yannik«, begrüßte ich ihn und schob mich zwischen ihm und der Weihnachtsdeko vorbei auf den letzten freien Stuhl. Dabei traf mich eine Alkoholfahne.

Toll! Ist er betrunken?

Vielleicht sollte ihm mal jemand sagen, dass es unter Handballern vielleicht cool war, sich am Wochenende für Partys zum Vorglühen zu treffen, aber sicher nicht für den Kaffeeklatsch unserer Mütter.

»Es geht um das, was ich vorhin mit deiner Mutter besprochen habe«, sagte Bea.

Ihre Stimme klang so warm und weich, dass ich mich gleich wieder besser fühlte und beschloss, den Kerl neben mir einfach zu ignorieren.

»Bea hat tolle Nachrichten«, verkündete Ma.

Fragend blickte ich wieder zu Bea und war froh, dass es weder die vermutete Krankheit noch sonst eine Horrormeldung war, über die sie vorhin allein hatten sprechen wollen.

Bea lächelte. »Es gibt eine Möglichkeit, wie ich den Job in Bielefeld annehmen kann.«

»Du lässt Annemarie allein zurück? Glückwunsch!« Mein letzter Stand war, dass sie den Posten ablehnen wollte. »Ich freue mich, dass es klappt. Wie machst du es denn jetzt? Kannst du im Homeoffice arbeiten?«

»Nein. Wie es aussieht, kann ich die Wohnung einer Kollegin übernehmen und brauche nicht zu suchen.«

»Klingt gut.«

Nimmst du ihn mit?, fragte ich in Gedanken und warf Yannik einen Seitenblick zu.

»Finde ich auch«, sagte Ma. »Deshalb sollten wir Bea unterstützen.«

»Klar! Ich kann zwar keine Möbel aufbauen, aber beim Kistenpacken helfen.«

»Sie sucht keine Umzugshelfer«, erklärte Yannik. Es war eine einfache Aussage, doch durch den Tonfall lag eine Andeutung darin, die ich nicht verstand.

»Trotzdem helfen wir auch dabei«, versicherte Ma. »Aber ich habe Bea angeboten, dass Yannik bei uns wohnen kann. Er geht ja hier zur Schule. Da wäre ein Umzug ungünstig.«

Mein Mund sprang auf, aber mir fehlten die Worte. Ich drehte mich zu Yannik, streifte ihn dabei mit meinem Arm, rutschte deshalb auf dem Stuhl zurück und stieß versehentlich ein Glas an, das zum Glück nicht umkippte. »Ist das ein Scherz?«

»Ich glaube nicht«, sagte Yannik.

Warum um alles in der Welt blieb er bei der Erkenntnis so ruhig?

»Aber … Das«, ich suchte nach Argumenten, »geht nicht. Er kann nicht bei uns wohnen.«

»Warum denn nicht?«, fragte Ma. »Es ist nur für ein paar Monate und wir sind doch wie eine Familie.«

Ich lachte auf. »Klar! Dann können Yannik und ich natürlich wie Geschwister in einem Bett schlafen.«

Bea schmunzelte, Ma schüttelte belustigt den Kopf.

»Das wäre einfacher«, sagte sie. Offenbar nahm mich hier keiner ernst. »Aber nein, Yannik bekommt das Hobbyzimmer.«

Wer ist denn auf diese bescheuerte Idee gekommen?

Ich sah zu Yannik und jetzt tat er mir fast leid. »Ich hoffe, du kannst noch spielen, wenn du erst auf dem alten Sofa geschlafen hast. Das Ding ist ein Rückenbrecher.«

»Ach«, Ma winkte mit einer Hand, als wollte sie mitten im Winter eine Fliege vertreiben, »das sollte eh weg. Die alten Möbel kommen auf den Sperrmüll und Yannik kann seine Sachen dort reinstellen. Das Zimmer ist zwar nicht so groß, aber für ein halbes Jahr wird es schon gehen.«

Nein! Nein, nein, nein! Das geht nicht!

Ich brauchte das Zimmer. Dort machte ich meine Fotos. All meine Accessoires standen dort und das Sofa mochte unbequem sein, aber als Fotohintergrund eignete es sich wunderbar. Und was wäre dann mit den Büchern, die dort standen? Die passten nicht alle in mein Zimmer, aber ich konnte sie unmöglich im Keller aufbewahren. Vor zwei Jahren hatte darin Wasser gestanden. Was, wenn wir wieder solche Unwetter hätten und meine Bücher beschädigt würden?

Nein!

»Das Hobbyzimmer kann er nicht haben.«

»Er«, Yannik räusperte sich, »hat sich noch gar nicht entschieden.«

Für diese Worte wäre ich ihm am liebsten um den Hals gefallen. Bierfahne hin oder her, der Einwand war meine Rettung.

»Das kam etwas plötzlich«, sagte Bea. »Wir sollten alle darüber schlafen.«

Ja, endlich ein paar weise Worte!

So gern ich Bea mochte und sie bei dem neuen Job unterstützen wollte, für Yannik war bei uns einfach kein Platz. Unser Haus war superschmal gebaut. Im Erdgeschoss befanden sich Küche, Wohnzimmer und ein Gästebad. Oben lagen das Bad, mein Zimmer und das Hobbyzimmer. Ma schlief unter dem Dach und auch wenn sie es noch nicht wusste: Yannik würde unser Leben nur durcheinander bringen! Spätestens wenn er und seine Kumpel sich bei uns zum Komasaufen trafen, würde Ma ihn persönlich nach Bielefeld fahren.

Yannik

Flensburg

Karsten hatte mit uns bei der Videoanalyse und im anschließenden Training am Freitag Angriffe mit unserer Geheimwaffe durchgenommen. Tommy war als Linkshänder der perfekte Rechtsaußen, womit wir zumindest einen kleinen Vorteil gegen Flensburg hatten. Das war ihm etwas zu Kopf gestiegen, weshalb er sich im Bus aufführte wie der letzte Vollhonk. Er plante lautstark seine Geburtstagsparty und rülpste ein paar Mal durch den Gang, wobei er seine Knoblauchfahne verteilte.

Danke, Mann!

Vermutlich war er nach dem Training so gut gelaunt gewesen, dass er den Abend mit Bier und einem Döner beendet hatte. Als wir uns heute Mittag am Bus getroffen hatten, war er noch ziemlich verpennt gewesen. Das sah nun anders aus.

»Und denkt an die Mädels«, rief er. »Ihr dürft mitbringen, was ihr heute Abend aufreißt.«

Der Verein ließ eine Übernachtung springen, weshalb wir den Abend in Flensburg verbringen würden. Hotelaufenthalte kamen nur selten vor und waren definitiv besser als lange Hin- und Rückfahrten an einem Tag, dafür hatte man die Jungs länger an der Backe.

»Ihr werdet heute Nacht schlafen und morgen fit sein«, rief Karsten. »Und Tommy: Setz dich gefälligst hin!«

Ein paar Jungs grummelten Widerworte, aber wir alle folgten der Anweisung unseres Trainers. Karsten war echt in Ordnung und hatte Verständnis für uns – meistens. Bei Partys und zu viel Alkohol hörte der Spaß für ihn auf. Dann erzählte er uns wieder etwas über ein Leben als Profisportler und prüfte an besonders schlimmen Tagen sogar unsere Ernährungspläne.

Ich liebte es! Handball war mein Leben. Mehr noch: Der Verein war mein Leben. Die Jungs waren meine Familie, meine besten Freunde, meine größten Kritiker und sie gaben die besten Partys. Allein der Gedanke, all das aufzugeben – ja, auch den Knoblauchgestank im Reisebus und die Fürze in der Kabine –, war unmöglich. Ich konnte mir ein solches Leben nicht vorstellen, also musste ich mich entscheiden. Bea hatte bis Ende der Woche Zeit. Morgen Abend nach dem Spiel würde sie meine Antwort erwarten. Entweder zog ich bei Leonie und Gabi ein oder sie würde den Job absagen. Die Option, dass ich mit ihr ging, gab es nicht.

Daniel setzte sich zu mir. »Du bist schon wieder so ruhig.«

Ich fand nicht, dass ich oft durch den Bus grölte, aber darauf wollte er vermutlich nicht hinaus. »Hast du dir mal vorgestellt, wie es wäre in einer WG mit zwei Frauen zu leben?«, fragte ich.

Er lachte. »Machst du Witze? Davon träume ich, seit ich den ersten Ständer hatte.« Er zögerte. »Moment, es gibt doch nur eine Dusche für alle, oder?«

»Vermutlich.«

Und die würden die Frauen belegen, das ganze Bad gleich mit dazu, während es in einer reinen Männer-WG scheißegal wäre, wer auf dem Klo saß, während sich ein anderer die Zähne putzte.

»Egal was du tust, denk dran, ein Bett für mich freizuhalten«, scherzte Daniel. »Ich würde es mir auch mit den Mädels teilen. Sag mir, dass sie heiß aussehen.«

»Es sind Leonie und ihre Mutter.«

Daniel zog die Augenbrauen zusammen, sein Blick verlor kurz den Fokus, dann überkam ihn der Geistesblitz. »Die Kleine aus Bio?«

Er tat so, als würde er sich gedankenverloren eine Haarsträhne um den Finger wickeln, wie sie es manchmal tat. Ihm war es also auch aufgefallen.

»Mann«, er grinste, »ihre Mutter ist ziemlich jung. Ganz klar eine Milf.«

Ich boxte ihm gegen die Schulter. »Sie ist so alt wie Bea. Wenn du dir jemals Sex mit meiner Mutter vorstellst, wirst du mit gebrochenen Beinen spielen müssen.«

»Deine Bälle halte ich auch im Sitzen!«

Wenn er daran glauben wollte, würde ich ihn nicht enttäuschen, vor allem nicht, indem ich ihn darauf hinwies, dass er lieber die Bälle des gegnerischen Teams halten sollte.

Wieder in meinen Gedanken verloren sah ich aus dem Fenster.

»Du meinst das ernst?«, fragte Daniel.

Ich nickte. »Bea wurde ein Job in Bielefeld angeboten und sie will nicht, dass ich allein wohne.«

»In mein Bett kommst du nicht, aber du könntest unser Schlafsofa haben«, bot er an.

Echt jetzt?, fragte ich mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Ich kann doch nicht auf eurer Couch pennen, bis ich eine Studentenwohnung habe. Soll ich aus dem Koffer leben und in der Bib lernen?«

Carola, Daniels Mom, war ebenfalls mit Bea befreundet. Bei seiner Familie hätte ich kein merkwürdiges Gefühl, dort für eine Weile zu wohnen, aber sie hatten dafür keinen Platz. Wenn ich nicht mit Daniel in einem Bett schlafen wollte, blieb nur das Sofa im Wohnzimmer der Familie.

»Machst du sonst doch auch.«

Ja, ich hatte schon auf der Couch geschlafen und ich lernte oft in der Bibliothek, weil sich der Abstecher nach Hause zwischen Unterricht und Training nicht lohnte, aber dennoch besaß ich einen Kleiderschrank und ein paar andere Dinge, die ich nicht missen wollte. Auch ohne sonderlich anspruchsvoll zu sein, braucht man zum Leben mehr als ein Schlafsofa. Das hatte sogar Leonie erkannt, als sie mich gewarnt hatte, dass eine Nacht in ihrem Hobbyzimmer der Untergang für mein Handballspiel wäre.

»Gabi hat angeboten, dass ich ein Zimmer haben kann. Für Bett, Tisch, ein paar Schränke und mein Terrarium reicht es.«

»Ist doch cool. Du wärst eh nur zum Schlafen dort.«

Das stimmte. Von der Seite hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Im Grunde brauchte ich nur etwas, wo meine Sachen sicher untergestellt waren und ich mir im Schlaf nicht den Rücken verbog. Außerdem war es nicht so, als würde ich mich Gabi aufdrängen. Dieses Mal hatte sie die Hilfe von sich aus angeboten.

»Wie wäre es«, fragte Daniel, »wenn wir Montag nach der Schule hinfahren und den Raum ausmessen? Dann schauen wir, ob deine Sachen reinpassen oder suchen was bei den Kleinanzeigen.«

Ich nickte, dankbar für meine Freunde, die mich bei jeder Entscheidung unterstützten – solange ich das Team nicht verließ. Einen Wechsel zu einer anderen Mannschaft könnten sie mir übel nehmen, obwohl sie mir vermutlich selbst dann beim Umzug helfen würden.

»Du weißt, dass ihr die Möbel schleppen müsst, wenn wir etwas bei den Kleinanzeigen finden?« Nur suchen brachte schließlich nicht viel.

»Klar.« Daniel zuckte mit den Schultern. »Tommy soll den Sprinter von seinem Vater besorgen, da kriegen wir deine Sachen schon rein. Was ist mit deiner Mom?«

»Ich sag euch Bescheid, wenn es ernst wird.«

»Okay.« Daniel stand auf. »Dann lass ich dich noch etwas grübeln.«

Während er sich einen anderen Platz suchte, kramte ich mein Smartphone und Kopfhörer raus. Mir war zwar auch danach, mit den Jungs abzuhängen und Partys zu planen, aber ich musste für den Deutschunterricht Die Marquise von O lesen. Da ich mich mit dem Buch nicht anfreunden konnte, hatte ich mir das Hörbuch aufs Handy gezogen und startete die Wiedergabe. Zum Glück war es nur eine Novelle und die Aufnahme lief weniger als zwei Stunden. Bis wir in Flensburg ankämen, hätte ich es hinter mir.

***

Wir saßen in der Kabine und schwiegen. Ich hatte meinen Kopf an die Wand gelehnt und starrte zu Daniel, der sein Gesicht zwischen den Knien vergraben hatte. Die Tüte mit Salzstangen, über die er sich sonst nach jedem Spiel hermachte, war noch ungeöffnet, ebenso der Isodrink neben mir. Bisher hatte ich nicht einmal das Tape von meinen Fingern gewickelt, aber es war mir auch völlig egal.

»Es gibt nicht viel zu sagen.« Karsten baute sich am Ende des Raumes auf. »Ich werde nicht kommentieren, dass ich heute Morgen gesehen habe, wie die Putzfrau leere Bierflaschen aus einem Zimmer geholt hat. Und ich sage auch nichts zu den zwei Minuten, die ihr verschenkt habt.« Er lehnte sich an die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

Wir hatten eine Zeitstrafe für das Foul von Philipp kassiert – keine Glanzleistung unseres Abwehrspielers, aber eine einmalige Sache. Trotzdem sah Karsten uns an, als hätten wir sämtliche Regeln vergessen.

»Ihr solltet daran denken, dass es um den Pokal geht. Dieses Spiel hättet ihr gewinnen können. Ihr wart zu großkotzig, weil ihr dachtet, dass Flensburg ein leichter Gegner sei. Tommy, es bringt nichts, dass du gut werfen kannst, wenn du es zu früh und ohne Vorbereitung tust.« Er sah zu mir. »Und Yannik, wenn ihr vorher nichts auf die Kette kriegt, helfen auch keine Trickwürfe am Ende.«

Die Anspielung auf meine blöde Idee, den Ball kurz vor dem Abpfiff mit einem Heber reinzumachen, hatte ich verdient. Ich hatte es verbockt, ebenso zwei Pässe in der zweiten Halbzeit. Die Videoanalyse des Spiels würde eine Qual werden. Schon jetzt sah ich die Szenen immer und immer wieder vor mir und wusste, dass ich an Basics gescheitert war. Das hätte nicht passieren dürfen. Ich hatte mich zu sehr ablenken lassen, war vor dem Spiel bei Bea und ihrem neuen Job gewesen statt bei meiner Mannschaft.

»Ihr werdet daraus lernen«, sagte Karsten. »Jetzt verschwindet unter die Dusche. Ich muss euch pünktlich nach Hause bringen. Nächste Woche werden wir daran arbeiten und dafür will ich euch fit in der Halle sehen. Verstanden?«

»Jawohl«, dröhnte es durch die Kabine.

Leonie

Blogarbeit

»Sollen wir die Tagesdecke nehmen?«, fragte Elif.

Meine beste Freundin und ich hatten am Wochenende einen Großeinkauf in unserem Lieblingsbuchladen gemacht. Die neuen Errungenschaften wollten wir für unseren gemeinsamen Buchblog und unsere Instagramseiten fotografieren. Bisher hatte ich nur einen Schnappschuss der Tüte in meiner Story gezeigt und würde heute Abend ein Bild mit allen Büchern posten. Die Einzelfotos brauchte ich erst nach dem Lesen, wenn ich die Rezensionen in meinen Feed und auf unseren Blog stellte, aber es schadete nicht, sie heute schon aufzunehmen. Auch wenn es dazu führen konnte, dass ich später neue Fotos machte, weil ich eine neue Idee hatte oder ein anderes Accessoire auf dem Bild haben wollte.

»Ja«, entschied ich nach kurzer Bedenkzeit, in der ich mir die fertigen Fotos vorstellte. »Holst du sie?«

Meine Tagesdecke war auf der einen Seite mit einem Patchworkmuster aus Lila- und Weißtönen bedruckt, die Rückseite war fliederfarben. Beides konnte ein guter Hintergrund sein, je nachdem wie viel Deko mit aufs Bild sollte.

Ich begann damit, die oberen Kisten aus dem Regal zu zerren. Vor zwei Jahren hatte ich mich für transparenten Kunststoff entschieden, in der Hoffnung, so nicht lange nach Accessoires suchen zu müssen. Außerdem hatte ich mir vorgenommen, die Deko farblich zu sortieren. Beides war gescheitert. In den Kisten befand sich ein buntes Chaos, das manchmal thematisch sortiert war, manchmal aber auch nach Farben oder sonstigen Kategorien. In der mittleren Kiste hatte ich eine Auswahl an Kerzen, von denen ich zwei aussuchte. Zusätzlich nahm ich eine der Motivtassen und eine Buchkerze aus dem Regal, das über dem Schlafsofa hing und drapierte die Accessoires auf der Tagesdecke, die Elif ausbreitete.

»Wolltest du nicht erst ein Foto aller Bücher machen?«, fragte sie mit einem Blick auf den Kleinkram, den ich im Gästezimmer verteilte.

»Stimmt, vergessen.«

Wenn ich einmal anfing, kamen mir etliche Ideen, die ich ausprobieren wollte, dabei war so viel Deko bei dem Gruppenfoto unnötig. Ich stellte den Kleinkram auf dem Boden ab und holte die Bücher. Elif hatte Schleifenband mitgebracht, mit dem wir einzelne Pakete für die Reihen schnüren wollten. Das Türklingeln hielt mich davon ab.

»Machst du schon weiter?«, fragte ich Elif. »Bin gleich wieder da.«

Es musste der Postbote sein, obwohl selbst der nur selten klingelte. Ma ließ sich ihre Pakete in die Praxis schicken und ich machte es oft ebenso, weil es praktischer war, mir am Abend ein Paket von ihr mitbringen zu lassen, als am nächsten Tag zur Post laufen zu müssen.

Allerdings wartete keine Post auf mich. Yannik und Daniel standen vor meiner Tür.

»Bea ist nicht hier«, rutschte es mir unwillkürlich heraus.

Yannik lächelte und sah dabei irgendwie süß aus. Vermutlich war das die Taktik, mit der er reihenweise Mädels flachlegte.

»Ich weiß. Bea und Gabi haben telefoniert. Deine Mom sagte, dass es okay sei, wenn wir kurz vorbeikommen, um das Zimmer auszumessen.«

Jetzt fiel mir auch der Zollstock in Daniels Hand auf.

»Hi, Leonie.« Er grinste, als er bemerkte, wie ich ihn musterte.

»Hallo, Daniel.«

Er war wie Yannik in meinem Biokurs, aber bisher hatte ich nie viel mit ihm zu tun gehabt. Die Tatsache, dass er sich unser Gästezimmer ansehen sollte, konnte nur eins bedeuten.

»Du ziehst ein?«

Ich funkelte Yannik an und wünschte, ich könnte Blitze aus meinen Augen schießen. Was fiel ihm ein, das einfach so spontan zu entscheiden? Wir waren doch nicht die Wohlfahrt und sicher auch nicht seine Handballkumpel, die auf jedes seiner Worte hörten. Hier hatte er nichts zu sagen.

»Manche Leute hätten zumindest die Freundlichkeit besessen, anderen ihre Entscheidungen mitzuteilen, bevor sie mit Sack und Pack vor der Tür stehen«, murmelte ich stinksauer. Ich hatte darauf gehofft, dass Yannik eine Lösung finden würde, aber er war mir in den Rücken gefallen.

»Ich habe es gestern mit Bea besprochen und sie hat Gabi vorhin angerufen.«

Toll! Nur mit mir sprach keiner.

Am liebsten hätte ich die Jungs mit einer Ausrede weggeschickt und ihnen die Tür vor der Nase zugeknallt, aber ich gab ihr einen Stoß, damit sie aufsprang, und winkte die Jungs herein. »Dann ist ja alles geklärt.«

Angepisst lief ich die Treppe nach oben. Sie hatten mich übergangen. Natürlich würde auch ich Yannik nicht auf der Straße schlafen lassen, aber er hätte mir zumindest Respekt entgegenbringen und mich vorher informieren können, statt mich mit vollendenten Tatsachen zu konfrontieren. Typisch Yannik, dessen Welt sich nur um ihn und seinen Sport drehte. Hauptsache, alle tanzten nach seiner Pfeife. Zu gerne hätte ich ihn stehen lassen und wäre in die Stadt gegangen – sollte er sein neues Zimmer doch selbst suchen –, aber Elif und das Dekochaos warteten oben auf mich.

»Ach, du scheiße«, sagte Daniel mit einem Lachen, als er die Kerzen und Kunstblumen entdeckte, die auf dem Boden verteilt lagen.

Elif, die unsere Bücher bereits sortiert und dekoriert hatte, schrak auf.

»Daniel und Yannik«, stellte ich die Jungs vor. »Das ist Elif.«

Sie war erst für das Abitur auf unsere Schule gewechselt, aber dem Blick nach, den sie den Jungs zuwarf, wusste sie genau, wen sie vor sich hatte.

»Hi!«

Elif sah sofort wieder weg und machte sich daran, zwei ihrer langen schwarzen Haare vom Sofa zu pflücken, damit sie auf dem Bild nicht störten.

»Das sind viele Bücher«, sagte Yannik.

Unsicher wie er es gemeint hatte, zwang ich mich, weiterhin Elif und nicht ihn anzusehen. Es war mir unangenehm, dass er sich in meinem Hobbyzimmer befand. Obwohl ich die Bilder ohnehin ins Netz stellen würde, fühlte es sich wie etwas Intimes an, Yannik bei den Vorbereitungen zusehen zu lassen.