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Hans K. Reiter

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Beschreibung

Im Januar 2007 und den Folgemonaten berichten die Medien über massive Vorwürfe von Korruption und der Bildung schwarzer Kassen in einem deutschen Konzern. Gierige Manager haben hunderte von Millionen verschoben, aber die Öffentlichkeit scheint mit der Zeit das Interesse zu verlieren, als immer neue Fragmente des Skandals bekannt werden. Kontrollorgane des Konzerns sind in den illegalen Handel verstrickt. Durch Zahlung gewaltiger, millionenschwerer Bußgelder zieht der Konzern den Kopf aus der Schlinge. Die Geschichte dieses Buches reicht weit über die öffentlich bekannt gewordene Wahrheit hinaus. Passagen hinzugefügt, öffnet sich ein tiefer Abgrund verbrecherischen Handelns. Die illegal entnommenen Gelder sind jeglicher Kontrolle entzogen und werden zum Fundament eines korrupten Systems zur Beschaffung von Aufträgen. Aber nur einer kennt dieses System und weiß, wo die Millionen gehortet sind. Und, sie sind Menschen mit Schwächen und Neigungen, die dem Sog des Geldes verfallen. Die Geschichte entblößt die dubiosen und verschlungenen Wege der Geldbeschaffung und schildert die skrupellose Dynamik, mit der verbrecherische Subjekte einen Teil des Kuchens an sich reißen wollen. Fehler werden mit dem Leben bezahlt. Der Journalist Harald Brenner recherchiert und gerät in tödliche Gefahr. Der Text enthält Passagen mit sexuellem Inhalt, die für Jugendliche nicht geeignet sind.

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Seitenzahl: 610

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Mit besonderem Dank an alle,die mich mit Informationen versorgt unddurch Anregungen, Korrekturen und Probelesen unterstützt haben.

Hans K. Reiter

Tilt

Tödliche Affäre eines Konzerns

© 2016 Hans K. Reiter

Umschlaggestaltung

www.timokuemmel.wordpress.com

http://www.facebook.com/timo.kummel

Lektorat, Korrektorat

Nina Reimesch - [email protected]

Inka Sattler - [email protected]

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN 978-3-7345-3955-8 (Paperback)

ISBN 978-3-7345-3956-5 (Hardcover)

ISBN 978-3-7345-3957-2 (e-Book)

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Buch

Im Januar 2007 und den Folgemonaten berichten die Medien über massive Vorwürfe von Korruption und der Bildung schwarzer Kassen in einem deutschen Konzern. Gierige Manager haben hunderte von Millionen verschoben, aber die Öffentlichkeit scheint mit der Zeit das Interesse zu verlieren, als immer neue Fragmente des Skandals bekannt werden. Kontrollorgane des Konzerns sind in den illegalen Handel verstrickt. Durch Zahlung gewaltiger, millionenschwerer Bußgelder zieht der Konzern den Kopf aus der Schlinge.

Die Geschichte dieses Buches reicht weit über die öffentlich bekannt gewordene Wahrheit hinaus. Passagen hinzugefügt, öffnet sich ein tiefer Abgrund verbrecherischen Handelns. Die illegal entnommenen Gelder sind jeglicher Kontrolle entzogen und werden zum Fundament eines korrupten Systems zur Beschaffung von Aufträgen. Aber nur einer kennt dieses System und weiß, wo die Millionen gehortet sind. Und, sie sind Menschen mit Schwächen und Neigungen, die dem Sog des Geldes verfallen. Die Geschichte entblößt die dubiosen und verschlungenen Wege der Geldbeschaffung und schildert die skrupellose Dynamik, mit der verbrecherische Subjekte einen Teil des Kuchens an sich reißen wollen. Fehler werden mit dem Leben bezahlt. Der Journalist Harald Brenner recherchiert und gerät in tödliche Gefahr.

Der Text enthält Passagen mit sexuellem Inhalt, die für Jugendliche nicht geeignet sind.

Die Namen der Personen im Buch sind frei gewählt und weder mit lebenden noch toten Personen identisch. Jede Namensgleichheit wäre rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Der Autor

Der Autor lebt heute am Bodensee. Schon in seinem ersten Roman, Der Tod des Krämers, nimmt er die allerorts üblich gewordene Korruption ins Visier. Über Jahrzehnte war der Autor in leitender Funktion im In- und Ausland für den in die Schlagzeilen geratenen Konzern tätig. Danach arbeitete er für viele Jahre als selbständiger Berater. Der Autor kennt die Strukturen von Großkonzernen und deren Denkweise. Das Beschaffen von Aufträgen bestimmt die Moral - ethische Leitlinien verkümmern oft nur zu Phrasen, um wahre Sachverhalte zu kaschieren.

 

Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen, gelten von Anfang an als nichtig (§138 Abs. 1 BGB).

Vorgeschichte

Am Montag, den 15. Februar 1999, lud Donald J. Johnston seine engsten Mitarbeiter zu einer Feierstunde in den Georg Marshall Room im Château de la Muette, der Residenz der OECD in Paris. Die Uhr zeigte 16:11, als der Generalsekretär den Raum durch die vier Meter hohe Doppelflügeltüre betrat und, wie es der Zufall wollte, exakt 17:11, als er ihn auf demselben Weg wieder verließ. Eine volle Stunde für seine Mitarbeiter, das war viel Zeit für den beschäftigten Mann.

Donald J. Johnston geizte mit unnötigen Worten und so beschränkte er sich auch zu diesem Anlass auf das Nötigste. Vor etwas mehr als zwei Jahren, am 17. Dezember 1997, war die Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr zur Unterzeichnung durch die Mitglieder aufgelegt worden. Zwei Jahre später waren unter seiner Regie die Bedingungen für ihr Inkrafttreten erfüllt.

Alle 34 OECD-Mitglieder, sowie die vier Nicht-Mitglieder, Argentinien, Brasilien, Bulgarien und Südafrika, sind seitdem der Konvention beigetreten.

Am 10. September 1998 hat Deutschland mit dem Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung die Umsetzung des Pariser Abkommens vom 17. Dezember 1997 vollzogen.

Nicht ratifiziert dagegen hat Deutschland bis heute die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC), die am 16. September 2005 in Kraft getreten ist.

Das Einrichten schwarzer Kassen in Unternehmen ist strafbar, entschied der Bundesgerichtshof 2011. Damit sollte in Deutschland ein weiterer Riegel gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorgeschoben werden.

(1)

Karl Reiser drängte in die überfüllte Espressobar in den Fünf Höfen. Zu kalt für einen Kaffee im Freien. Elf Uhr dreißig. Noch eine gute halbe Stunde.

Reiser gab dem Barkeeper ein Zeichen: „Espresso.“ Mit ausgestrecktem Arm hangelte er das Getränk durch die schwatzenden Menschen am Tresen und schlürfte das bittere Elixier in kleinen Schlucken aus der dickwandigen braunen Tasse.

Vinzenz Stangassinger wollte ihn sprechen. Sein Gedächtnis zeichnete nur ein vages Bild des Mannes. Er war ihm irgendwann einmal bei einer Veranstaltung begegnet. Damals, als er noch bei SimTech gearbeitet hatte. Das war Jahre her, musste etwa um 98 oder 99 herum gewesen sein.

Am Sonntagnachmittag war Stangassinger völlig überraschend am Telefon gewesen. Er müsse ihn dringend sprechen, hatte er gesagt. Also war er jetzt hier. Ein wenig geeigneter Ort für ein Treffen, wie Reiser fand. Zu viele Menschen, zu eng. Wahrscheinlich war das Lokal sonst an einem Dienstagvormittag weniger gut besucht. Wie soll man sich hier unterhalten können?

Beiläufig erhaschte er die Überschrift einer aushängenden Zeitung. Keine Gnade für Klar! Bundespräsident Köhler lehnt Begnadigung des Ex-RAF Terroristen Christian Klar ab.

Welche Ereignisse würden im Dezember die Aufmerksamkeit der Medien für ihre zahlreichen Rückblicke erringen? Vieles von dem, was bis dahin erst noch geschehen würde, wäre ohne die unstillbare Sucht nach Rückblenden längst wieder vergessen gewesen. Vielleicht war es das Quäntchen Voyeurismus, der in jedem steckt und der die Medien anspornt, den alten Quark wiederzukäuen, dachte Reiser.

Am Eingang sah Reiser eine Hand winken. Er bahnte sich einen Weg durch die lärmende Menge und steuerte auf diese Hand zu.

„Grüß Sie, Stangassinger“, sagte der Mann, als er ihn schließlich erreichte.

„Grüß Gott! Ist zu voll hier! Wollen wir nicht lieber hinausgehen?“, fragte Reiser.

„Einverstanden, gehen wir rüber zum Spatenhaus.“

„Was ist denn heute nur los? Wir schreiben den achten Mai in diesem bisher eher eintönigen Jahr zweitausendsieben. Nicht gerade ein ausgefallenes Datum für besondere Anlässe, nicht wahr?“

„Das stimmt wohl“, antwortete Stangassinger und lachte. „Aber irgendetwas gibt es doch immer hier in München und wenn es nur ein paar Reisegruppen sind, die aufeinandertreffen.“

Stangassinger wechselte ein paar Worte mit jemandem vom Service und sie bekamen einen Tisch im ersten Stock mit Blick auf die Oper. Sie sprachen über Belangloses, während sie ihre Bestellung aufgaben, und Reiser war gespannt, wann Stangassinger auf den Punkt kommen würde. Er erinnerte ihn irgendwie an den Schauspieler Krassnitzer. Das Gesicht ein wenig voll, trotzdem männlich, aber nicht besonders energisch. Freundliche Augen. Mund geschwungen, vielleicht aus weiblicher Sicht sogar sinnlich. Das war also der Mann, der ihn sprechen wollte und an den er sich kaum erinnerte, obwohl er ihn dann doch sofort wiedererkannt hatte.

„Wissen Sie noch, damals in Feldafing? Ging es nicht um die Zukunft nach 1998?“, fragte Stangassinger schließlich.

„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Eine lange Zeit, seitdem. Aber ich erinnere mich, wir waren noch an der Bar hängen geblieben. Jetzt, wo Sie es sagen, Deutschland hatte die OECD Richtlinien in nationales Recht übernommen. Bestechung stand fortan unter Strafe und Aufwendungen hierfür konnten nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden. Wir durften nicht mehr tun, was wir ohnehin nie getan hatten, wenn man den Beteuerungen mancher Bosse Glauben geschenkt hat.“

Mit einem Lächeln griff Stangassinger den Faden wieder auf: „Sehen Sie, genau das ist der Punkt, warum ich mit Ihnen sprechen will. Vor ein paar Monaten ist die Blase geplatzt!“

„Sie meinen den Skandal mit den schwarzen Kassen?“, fragte Reiser dazwischen.

„Genau diesen.“

„Inwiefern haben Sie damit zu tun?“, warf Reiser ein.

„Nichts, was diese ominösen Kassen betrifft, aber haben Sie sich einmal Gedanken gemacht, warum die Staatsanwaltschaft ermittelt?“

„Wie? Den Zusammenhang müssen Sie mir erklären. Sie arbeiten doch nicht mit diesen Leuten zusammen, oder doch?“, fragte Reiser sichtlich konsterniert.

„Nein, das tue ich nicht, noch nicht. Könnte aber sehr gut sein, dass es dazu kommt. Was Sie vielleicht nicht wissen: Ich bin Chef der ZUF.“

„Die Zentrale Unternehmensführung, wenn die Organisation noch so aufgebaut ist wie damals in den Neunzigern?“

„Ja, das ist meine Funktion bei SimTech“, antwortete Stangassinger.

„Also, dann bitte mal schön der Reihe nach. Was haben Sie mit dem Skandal zu tun und was wollen Sie von mir? Ich bin doch schon seit Jahren nicht mehr bei der Firma und habe mit der geplatzten Blase, wie Sie es bezeichnet haben, gewiss nichts zu tun.“

„Nein, nein“, beschwichtigte Stangassinger, „das ist nicht der Grund unseres Treffens. Ich verstehe Ihre Reaktion. Muss sich für Sie mehr als merkwürdig ausnehmen. Geben Sie mir ein paar Minuten. Ich werde Ihnen einige Dinge erklären, über die sonst niemand Bescheid weiß. Danach werden Sie begreifen, warum ich Sie kontaktiert habe. Ich brauche Ihre Hilfe, so einfach ist das.“

„Sie brauchen meine Hilfe“, wiederholte Reiser skeptisch. „Dann lassen Sie mal hören. Ich bin gespannt, zu erfahren, was Sie konkret meinen.“

„Haben Sie bitte ein wenig Geduld“, sagte Stangassinger. „Ich muss etwas weiter ausholen, damit Sie die Zusammenhänge und meine Situation besser verstehen können. Im Spätherbst 2004 war ich unterwegs nach Südafrika und landete nach einem Elfstundenflug in Pretoria. Eine gepflegte Stadt mit fast zwei Millionen Einwohnern. Viel Polizei. Alles war irgendwie bewacht. Parkplätze, Einkaufszentren, Restaurants, einfach alles. Private Sicherheitsfirmen hatten Hochkonjunktur. Geplant war ein Meeting am 19. November mit den Chefs der Niederlassung. Niemand würde diesem Meeting fernbleiben. Auch wenn sie hierfür eine gute Stunde mit dem Auto aus Johannesburg anreisen mussten. Ich sollte ab Januar Chef der ZUF werden und als solcher war ich natürlich in den Köpfen der Leute bereits angekommen.

Am Flugplatz erwarteten meine Begleiter und mich drei Limousinen direkt an der Maschine. Ich registrierte auch ein Fahrzeug mit bewaffneten Männern. Ein Beamter nahm die Pässe entgegen, brachte den obligatorischen Stempel an und reichte die Papiere zurück. Ihr Gepäck wird direkt ins Hotel gebracht, sagte einer der Uniformierten. Reibungslos erreichten wir nach kurzer Fahrt das auf einer Anhöhe gelegene Sheraton. Ich war in der siebten Etage untergebracht, meine Leute in der sechsten. Beide Etagen waren nur per Lift und über eine Codierung auf der Schlüsselkarte zu erreichen. Meine Suite bot einen faszinierenden Blick auf die Stadt. Die reichlich vorhandenen Attraktionen würden, wie üblich auf Dienstreisen, auch dieses Mal zu kurz kommen. Ein paar schnelle Blicke aus dem Wagen während der Fahrt, das war’s.

Pretoria bot den Vorteil, die zahlreichen Termine schneller abarbeiten zu können als von Johannesburg aus. Außerdem gefiel mir die Stadt einfach besser. SimTech hatte seine Mitarbeiter auch während der Apartheid anständig behandelt. So zählten wir immer noch zu den größten ausländischen Niederlassungen. Ich war also ein gern gesehener und für das Land wichtiger Gast. Das ließ man mich überdeutlich spüren. Für mich gab es keine Wartezeiten. Einen Tisch in den besten Restaurants? Kein Problem. Jeder Wunsch wurde umgehend erfüllt. Gespräche mit hochrangigen Regierungsmitgliedern waren selbstverständlich.

Einen ersten Eindruck davon erhielt ich bereits am Flugplatz und auf der Fahrt zum Hotel. Kurz bevor sich unser kleiner Konvoi in Bewegung setzte, tauchten aus dem Nichts zwei Polizeieskorten mit weißen BMW-Motorrädern auf. Wir hatten freie Fahrt bis zum Hotel. Nicht eine rote Ampel. Kaum angekommen eilte der Direktor herbei, begrüßte mich und versicherte, welche Ehre es sei, mich zu beherbergen. Ich fragte mich, ob das nicht alles ein wenig übertrieben war. Einer der Niederlassungsbosse erklärte mir die Situation beim Meeting am Freitag. Ich war Gast des Wirtschaftsministers und da gehörten eben verschiedene Ehrungen dazu. Ich würde mich daran gewöhnen müssen.

Mein Terminkalender war ausgereizt. Veranstaltungen mit hochrangigen Vertretern aus dem Ausland, Gespräche mit dem Minister und ein Forum zu Fragen des industriellen Engagements in Südafrika. Den Abschluss würde eine Konferenz in Kapstadt bilden, bei der verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu Wort kommen sollten. Kleine, aber wichtige Details. Unser Konzern wollte seinen Anteil an den großen Projekten der Zukunft haben, Position beziehen, kein Jota zurückweichen. Engagement zeigen, das war die Verpflichtung. In jeder Hinsicht, wie ich noch erfahren sollte.

Am Dienstagabend wurde ich gegen neunzehn Uhr von einer Limousine mit getönten Scheiben abgeholt. Nach wenigen Minuten erreichten wir das La Pentola. Das Restaurant war an diesem Abend für geladene Gäste reserviert. Nach und nach trafen bekannte Gesichter ein, die ich auch schon tagsüber auf Veranstaltungen gesehen hatte. Dazu zwei Regierungsvertreter und schließlich der Botschafter mit Begleitung. Small Talk ohne Ende. Ich wartete darauf, dass jemand etwas sagen würde oder auf andere Weise der formale Aspekt der Einladung zum Ausdruck käme. Ich wartete vergebens. Alle unterhielten sich zwanglos und stellten sich irgendwie auch gegenseitig vor, aber es schien bei einer rein privaten Begegnung zu bleiben. Nach dem Essen standen alle noch in Grüppchen herum, wechselten diese gelegentlich und führten den allgemeinen Plausch fort. Etwa gegen halb zehn wurde es dann doch plötzlich ruhig, und der Botschafter sagte ein paar Worte, nicht viel, wünschte gute Geschäfte und verließ mit seinen Leuten das Lokal. Dies bedeutete aber offensichtlich noch nicht das Ende des Abends. Vielmehr schien es so, als würde der eigentliche Anlass erst jetzt beginnen. Wieder bildeten sich Gruppen, lösten sich auf, um in neue einzumünden. Ohne einen besonderen Grund erkennen zu können, war ich mit einem Mal auch Teil einer solchen Gruppe. Genau genommen waren es zwei der Anwesenden, die mich auf ein Glas Roten an einen der freien Tische bugsierten. Der eine stellte sich als ein Dr. sowieso vor und war Geschäftsführer einer großen deutschen Straßenbaufirma. Der andere repräsentierte eine deutsche Bank. Bei dieser Gelegenheit wurde mir bewusst, dass keine einzige Frau zu den Gästen zählte.

Sie sind das erste Mal hier in Pretoria?, fragte mich der Bankvertreter.

Ja, geschäftlich ja. Privat hatte ich schon einmal das Vergnügen vor zwei Jahren. Ein Südafrikaurlaub, ein paar Exkursionen eingeschlossen, antwortete ich.

Dann sind Sie mit den Gepflogenheiten noch nicht so vertraut, vermute ich, sagte der Repräsentant der Straßenbaufirma.

Mit welchen Gepflogenheiten? Was meinen Sie?, fragte ich.

Sehen Sie, übernahm der Bankvertreter wieder das Wort, Geschäfte werden hier etwas anders getätigt, als Sie das aus Deutschland kennen. In gewisser Weise spricht man sich ab.

Wie - man spricht sich ab? Was wollen sie damit sagen?

Ich sehe schon, Sie haben wirklich keine Ahnung, wie das hier läuft,warf der Straßenbauer ein. Wir tauschen uns aus. Veranstaltungen wie heute Abend werden zu diesem Zweck organisiert. Wir reden über neue Projekte, besprechen Probleme bei laufenden Vorhaben...

Und ganz wichtig, drängte sich der Bankvertreter dazwischen, wir stimmen uns ab, was die Förderungen anbelangt. Wir versuchen das in Grenzen zu halten. Sehen Sie, es kostet ohnehin schon eine Menge Geld, die gesetzlichen Vorgaben über die Besetzung von Führungspositionen zu erfüllen. In den meisten Fällen müssen wir neben die lokalen Leute jemanden aus Deutschland oder anderen europäischen Ländern setzen. Wenn wir überhaupt noch jemanden hierher bekommen. Wissen Sie, mit Familie ist das nicht so einfach, die hohe Kriminalität, überall marodierende Gangs. Nun gut, im Klartext heißt das: In unseren Betrieben ist das Management etwa zu einem Drittel doppelt besetzt. Das ist die augenblickliche Quote. Die Einheimischen sind zu wenig qualifiziert, sie beherrschen diese Jobs nicht. Sie werden aber bezahlt, als würden sie tatsächlich einen entsprechenden Beitrag leisten.

Ich hatte davon schon gehört und wartete gespannt darauf, was mir die beiden Herren sonst noch erzählen würden. Und sie erzählten ohne Pause. Ich bekam einen Schnellkurs in Sachen Südafrika.

Die Regierung kennt natürlich die wahren Sachverhalte, steht aber auf dem Standpunkt, nur so, also per Dekret, die Qualifizierung ihrer eigenen Leute erzwingen zu können. In Wirklichkeit, auch das weiß jeder, haben wir es mit der Vergabe von lukrativen Jobs an auserwählte Personen zu tun. Wer sich wohl verhält und die Interessen der Regierenden mitträgt oder einen Verwandten in einem hohen Amt hat, der sitzt an der Quelle und wird bedient, fuhr der Straßenbauer fort.

Eine andere Sache ist das Sponsoring, übernahm der Bankvertreter wieder das Gespräch, ohne gewisse Abgaben läuft ebenfalls nichts. Wer hierbei nicht mitmacht, geht bei den großen Vorhaben leer aus. Auch in dieser Hinsicht stimmen wir uns ab. Wir alle hier. Ich denke, Sie verstehen jetzt besser, wie die Dinge bei uns in Südafrika gehandhabt werden.

Die beiden gaben mir ihre Karten und versicherten, ich könne sie jederzeit kontaktieren. Dann erhoben sie sich und gesellten sich zu anderen Gruppen. Ich für meinen Teil hatte erst einmal genug gehört. Ein Kellner informierte mich, dass mein Wagen vorgefahren sei. Mit einem kurzen Gruß in die Runde verließ ich das Restaurant. Kaum jemand, der meinen Gruß erwiderte. Die Leute waren mit ihren Absprachen beschäftigt.

In der Club-Lounge des Hotels fläzte ich mich in einen der bequemen Ledersessel, genehmigte mir noch ein Bier und resümierte den Abend. Ich war nicht so naiv, dass ich die Botschaften nicht verstanden hätte. Die erste Frage, die mich beschäftigte, war, ob meine beiden Gesprächspartner auf mich angesetzt waren, ob sich dies zufällig so ergeben hätte oder ob jeder Neue in der Runde eingewiesen wurde, damit er von Anfang an Bescheid wusste, wie man die Dinge in diesem Land handhabte.

Die zweite, weitaus schwierigere Frage ergab sich aus dem Gehörten. Die Großen sprachen sich also ab. Mit welchem Tiefgang, blieb erst einmal offen. Wie ich vermutete, würde dies je nach Sachverhalt variieren. Ich konnte mir gut vorstellen, wie dieser Personenkreis intensiv bemüht war, alle Mittel einzusetzen, um an die begehrten Aufträge zu kommen.

Der Abend war von einer Afrika Consulting oder so ähnlich organisiert worden. Ein Forum für deutsche Unternehmen in Südafrika. Dies konnte eine völlig harmlose Veranstaltung sein, sie konnte aber auch dem Ziel dienen, die Unternehmen mit wichtigen Informationen zu versorgen und ihnen die Chance einzuräumen, die Konsequenzen aus dem Gehörten sofort an Ort und Stelle zu erörtern.

Aber es ging darüber hinaus, sie stimmten sich ab, das wurde mir deutlich so gesagt. Über was stimmten sie sich ab? Konditionen, Preise, Leistungsinhalte? Sicher nicht unwahrscheinlich. Sie sprachen über das, was meine Gesprächspartner als Sponsoring bezeichnet hatten. Sponsoring, ich verstand, auch wenn ich dies während des Gespräches verdrängt hatte. Dieser Kreis sprach über die Mittel, die zum Erhalt von Aufträgen einzusetzen waren. Sie sprachen über Bestechung.

Die Deutsche Botschaft wusste davon offiziell natürlich nichts. Der Botschafter und seine Leute hatten die Zusammenkunft zu diesem Zeitpunkt bereits verlassen. Geblieben aber waren die Regierungsvertreter. Sie waren geblieben! Meine Gedanken formten ein Bild der möglichen Zusammenhänge. Sollte ich am Freitag beim Meeting mit den Leuten der Niederlassung darüber sprechen? Was wussten die Verantwortlichen? Ich nahm an, sie wussten es nicht nur, sondern waren Teil des Systems. Hatte man mir nicht deutlich zu verstehen gegeben, wer nicht mitmache, bekäme auch keine Aufträge? Kein Zweifel, sie machten mit, alle machten mit. Ich war in der Zwickmühle. Spräche ich das Thema offen an, würde ich als Mitwisser gelten. Das ging also nicht. Ich musste einen anderen Weg finden. Ich brauchte Fakten, keine Hypothesen. In wenigen Wochen würde ich Chef der ZUF und damit auch Chef der obersten Revision des Konzerns sein. Auch aus diesem Grund durfte ich diese Sache nicht ignorieren.“

Reiser war Stangassinger aufmerksam gefolgt und begann zu ahnen, in welchem Dilemma dieser steckte.

„Wie haben Sie Ihr Problem gelöst? Vielleicht erzähle ich Ihnen bei Gelegenheit, was ich zu diesem Thema aus meiner Vergangenheit weiß. Soviel kann ich Ihnen aber jetzt schon sagen: Sie haben damals die richtigen Schlüsse gezogen. Die Geschäfte liefen und laufen wahrscheinlich immer noch so. Da wird sich nicht sehr viel verändert haben. Die Methoden vielleicht. Die Herrschaften mussten schließlich vorsichtiger werden, nicht nur wegen der OECD. Auch wegen der Amis, aber dazu später mehr, wenn’s passt. Jetzt sind Sie wieder dran.“

„Nachdem es für mich klar war, dass ich erst einmal niemanden offiziell über meine Schlussfolgerungen in Kenntnis setzen konnte, begann ich damit, Fakten zusammenzutragen. Meine neue Position half mir dabei und verschaffte mir Einblick in diverse Vorgänge. Ich kann das, was ich Ihnen jetzt sagen will, nur kurz umreißen und bitte Sie deshalb, es mir erst einmal so abzunehmen, wie ich es sage. Ich studierte die Berichte der verschiedenen Revisionen unserer Niederlassungen. Ich führte persönliche Gespräche mit den Revisionsleitern. Nichts. Es gab keine Hinweise, die meine Erfahrungen in Afrika auch nur ansatzweise gestützt hätten. Ich ging sogar soweit, für ausgewählte Revisionsvorhaben besondere Schwerpunkte zu setzen. Vorsichtig, um nicht aufzufallen. Alle Zahlen standen mir offen. Unzählige Gespräche wurden geführt. Ich fand auch weiterhin nichts. Keine Anhaltspunkte. Wenn aber meine Vermutung richtig war, konnte es hierfür nur eine Ursache geben: Die Akteure hatten die Dinge geschickt verschleiert.

Da wusste ich plötzlich, wie es lief. Es war zu einfach. Die Revision der Bereiche machte mit. Sie deckten das Spiel. Du kannst nichts finden, wenn diejenigen, die es überprüfen sollen, mit denjenigen, die es tun, unter einer Decke stecken. Also fing ich an, mir die Revisionsberichte noch einmal vorzunehmen. Da fand ich den Schlüssel. Sie haben es buchhalterisch gemacht. Verstehen Sie, sie haben die Regeln eingehalten oder besser gesagt, sie haben die Regeln benutzt und ihre Machenschaften darin verpackt. Sie wurden Teil des Systems. Jetzt hatte ich zwar eine Vorstellung davon, wie es dem Prinzip nach funktionierte, ich wusste aber immer noch nicht, wie sie es im Detail ausführten. Schließlich mussten große Summen bewegt werden und das ist nicht zu machen, ohne Spuren zu hinterlassen. Also musste ich diese Spuren finden.

Damit möchte ich zum Punkt für heute kommen und Sie noch über meinen Anteil am Platzen der Blase im Herbst aufklären.

Die Staatsanwaltschaft in München bekam eine anonyme Anzeige und nahm die Ermittlungen auf. Bereits davor waren Ermittlungen in Liechtenstein in Gang gekommen. Das war’s. Den Rest übernahm jetzt der Arm des Gesetzes.“

„Sie haben es wirklich getan? Das Schreiben an den Staatsanwalt? Ich fasse es nicht. Sie haben tatsächlich das Gebäude zum Einsturz gebracht. Tilt! Aus! Ein neues Spiel? Wird es ein neues Spiel geben oder spielen sie bereits wieder das alte? Ist das der Grund, warum wir uns heute getroffen haben?“

„Ja und nein. Die Zusammenhänge sind sehr komplex und ich wage nicht zu behaupten, ich hätte alles schon durchschaut. Das Prinzip ja, aber nur wenige Details. Meine Gedanken kreisen zudem um eine Vermutung, die mich nicht mehr loslässt und die über den bekannten Skandal hinausreicht. Überlegen Sie einmal: Diese Leute saßen an der Quelle, konnten mit Millionen jonglieren und da sollen sie nichts beiseitegeschafft haben? Privat, für ihr Leben danach. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch die Staatsanwälte nicht alles aufklären werden. Sie waren geschickt, sehr geschickt sogar. Aber ich will sie packen, will es ihnen wieder abjagen. Sie werden andere vor Gericht in die Pfanne hauen und bald wieder oben schwimmen. Das will ich verhindern. Mit Ihrer Hilfe. Ich brauche jemanden außerhalb des Konzerns. Wir müssen eine Menge recherchieren. Alleine kann ich es nicht schaffen. Vielleicht zusammen mit Ihnen. Ich weiß es nicht.“

„Sie werden selbst in den Fokus geraten. Der Chefrevisor, der nichts bemerkt hat? Sie werden darlegen, warum das so ist, gut, aber wollen Sie ihre Kollegen und Mitarbeiter wirklich beschuldigen? Sie werden auch nicht erklären, von wem die anonyme Anzeige stammt, nicht wahr? Wie stellen Sie sich das vor?“

„Wissen Sie Herr Reiser, so problematisch wird das gar nicht werden. Die Staatsanwälte werden die Verbindungen zwischen den einzelnen Personen rasch selbst aufdecken. Die Betroffenen werden reden. Ich muss also niemanden anschwärzen, sondern höchstens bestätigen, dass dieses Einvernehmen die interne Aufklärung durch die zentrale Revision verhindert, sogar unmöglich gemacht hat. Dies wird im Übrigen auch durch externe Treuhänder bestätigt werden. Wie Sie wissen, unterliegt der Konzern einer ständigen Kontrolle. Aber auch diese Spezialisten haben nichts bemerkt. Weder ich noch die Staatsanwaltschaft würden so weit gehen, zu behaupten, dass sie unter einer Decke mit den Drahtziehern gesteckt hätten. Ich denke, das kann man wirklich ausschließen.“

„Bleibt noch eine Frage offen: Wieso kommen Sie ausgerechnet auf mich?“

„Das ist schnell beantwortet. Ich habe noch in Erinnerung, dass Sie sich damals bei der Veranstaltung zum gleichen Thema sehr zurückhaltend gezeigt hatten. Im Gegensatz zu manch einem Ihrer Kollegen. Sie sind beruflich ungebunden, seit Jahren ausgeschieden, keine Verbindung mehr zum Konzern. Sie haben Erfahrung, waren früher Teil des Systems. Sie wissen eine Menge praktischer Details, die mir fehlen. Ich war niemals operativ tätig, Sie dagegen über viele Jahre schon, im Inland und im Ausland. Das sollte genug sein, meinen Sie nicht auch?“

(2)

Reiser hatte Stangassingers Bericht am Vormittag per Kurier erhalten. Ihr Treffen lag nur wenige Tage zurück und er fragte sich, worauf er sich da einließ. Welche Möglichkeiten hatten sie denn überhaupt?

Ein paar Informationen über Stangassinger hatte er im Internet gefunden. 1965 in München geboren, Abitur 1984, Bundeswehr, BWL- und Jurastudium, seit 1997 bei SimTech, abgeworben von der Deutschen Telekom, mehrere Funktionen im Konzern und jetzt mit vierzig Chef der einflussreichen ZUF.

Ausgerechnet dieser Mann war dabei, dem Konzern ans Bein zu pinkeln? Es war nicht der Konzern, da lag er, seinem ersten Impuls folgend, falsch. Dieser Mann hatte es auf die kriminellen Subjekte abgesehen, ihnen wollte er das Handwerk legen. War es das oder welche Absichten verfolgte Stangassinger wirklich? Gab es da etwa Motive, über die er ihm am Dienstag nichts gesagt hatte? Er würde ihn danach fragen. Absolute Klarheit, das war die Voraussetzung. Nichts durfte zwischen ihnen stehen, was ihre Zusammenarbeit unmöglich machen könnte.

Reiser nahm das Dossier und begann darin zu blättern. Ordentlich aufgelistet, eröffnete sich vor Reiser Stangassingers chronologische Wiedergabe seiner Feststellungen über die letzten mehr als eineinhalb Jahre. Wenn nur halbwegs stimmte, was er hier las, dann würde es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Beteiligten dem Druck von Staatsanwalt und Polizei nachgäben und anfingen zu reden. Gleichzeitig sah er aber auch Stangassingers Argwohn bestätigt. Millionen liefen durch ihre Hände. Es wäre ein leichtes Spiel gewesen, Millionen abzuzweigen.

Aufmerksam las er, wie sich die Affäre aus Ermittlungen in Liechtenstein heraus entwickelt hatte. Wie so oft wurde auch in diesem Fall beteuert, wie aufklärungswillig die in den Fokus Geratenen wären. In Wirklichkeit wurde blockiert und verschleiert, wo es nur ging. Zugegeben wurde lediglich, was mehr oder weniger bereits bewiesen war. Die Liechtensteiner ermittelten wegen des Verdachts auf Geldwäsche und Bestechung. Was war der Anlass?

Bei einer Liechtensteiner Bank waren zwischen 2003 und 2004 mehrere Konten eröffnet worden. Manche dieser Konten lauteten auf Firmen, andere auf Privatpersonen. Auffallend war nun, dass diese Privatpersonen allesamt Mitarbeiter oder ehemalige Mitarbeiter der SimTech waren und gleichzeitig Kontovollmacht jener Firmen besaßen. Die Firmenkonten, und auch das war aufgefallen, wiesen einen ungewöhnlich hohen Bargeldverkehr auf. Eine Summe von siebzig Millionen Euro war einbezahlt und wieder abgehoben worden. Auf die Konten der Privatpersonen waren ebenfalls Bareinzahlungen geflossen. Diese waren als Festgeld oder in Wertpapieren angelegt. Abhebungen dagegen gab es nicht.

Einer der SimTech Mitarbeiter war Ferdinand Seifert, Prokurist und kaufmännischer Leiter eines Geschäftszweiges der Kommunikationssparte.

Ein ehemaliger Mitarbeiter, bis November 2000 im Zentralbereich Finanzen der SimTech beschäftigt, erklärte bei Vernehmungen durch die Liechtensteiner Staatsanwaltschaft, die fraglichen Beträge seien allesamt legal, aufgrund von Verträgen zwischen SimTech und diesen Firmen, einbezahlt beziehungsweise abgehoben worden. Was die Beträge auf den Privatkonten anbelangt, habe man Vorsorge für notwendige Auslagen zur Akquisition von Aufträgen im hart umkämpften Markt treffen wollen.

Die gleiche Aussage machte Ferdinand Seifert. SimTech und insbesondere Dr. Hubert Schrofen, Leiter der Rechtsabteilung des Konzerns und oberster Compliance Beauftragter, waren über alle Details in der Sache Liechtenstein informiert.

Zu dieser Schlussfolgerung gelangte Stangassinger aufgrund der Kopie eines Protokolls einer Sitzung des Zentralvorstandes, bei der Schrofen die näheren Verwickelungen erläuterte und ausführte, wie SimTech sich in der Sache verhalten wolle. Dr. Hubert Schrofen hatte selbstverständlich sofort die besten Anwälte zur Hand. Was Seifert und dessen Kompagnon in Liechtenstein aussagten, trug eindeutig die Handschrift dieser Anwälte. Spannend, was Stangassinger da ausgegraben hatte. Als er dann über seine Verbindungen herausfand, dass man die Sache Liechtenstein wohl in den Griff bekäme und eine spontane Hausdurchsuchung der Staatsanwaltschaft München bei SimTech Anfang 2005 keinen Erfolg gehabt habe, weil man gerade noch rechtzeitig einen Wink erhalten und wichtige Unterlagen in einen Stahlschrank im Aktenkeller habe verbringen können, begann Stangassingers Plan zu reifen, die anonyme Anzeige zu erstatten.

Reiser erkannte aber auch die Schwachstellen des Berichtes. Wie haben die Akteure das Geld konkret beschafft? Es ging schließlich um große Summen. Wer wusste davon, war Teil des Systems? Weshalb wurden weder von der internen Revision noch von den externen Treuhändern Unregelmäßigkeiten festgestellt?

Spontan sagte er sich, das konnte nur gehen, weil jemand aus dem Rechnungswesen beteiligt war, aber auch das Management musste Kenntnis gehabt haben. Stangassinger hatte bereits den Verdacht geäußert, die Revision müsse das System unterstützt haben.

Die Involvierten mussten im Besitz umfangreicher Vollmachten gewesen sein. Millionen lassen sich nicht einfach so mir nichts dir nichts verschieben.

Es gab viele Fragen, gestand sich Reiser ein, auf die er allerdings heute, am Freitag, den 11. Mai 2007, ein halbes Jahr nachdem die Schiebereien aufgeflogen waren, auch keine Antworten parat hatte.

(3)

Kollegen taxierten Harald Brenner als einen der schärfsten Enthüllungsjournalisten der deutschen Presselandschaft. Brenner selbst mochte diesen Begriff nicht und bezeichnete sich, wenn danach gefragt, lieber als Aufklärungsjournalist. Den maßgeblichen Unterschied sah er darin, dass er nicht Verborgenes enthüllte, sondern Vorhandenes, Dinge, die in der Öffentlichkeit stattfanden, in den richtigen Kontext setzte, also aufklärte. Es entsprach allerdings den Tatsachen, dass ihm nichts entging, wenn er sich erst einmal in ein Thema verbissen hatte.

Mit siebenunddreißig hatte er sich in der Tat bereits einen Namen gemacht. Vor ein paar Jahren war er Zeuge einer nächtlichen Polizeiaktion gewesen, bei der Autofahrer regelrecht abgezockt worden waren. Er hatte darüber in einer Rosenheimer Regionalzeitung berichtet und einen Sturm politischer Gegenwehr und hinterhältiger Pressekampagnen entfacht. Im Auftrag des Münchener Verlages, zu dem die Regionalzeitung gehörte, begann er zu recherchieren und zerrte unglaubliche politische Verstrickungen und übelste korrupte Machenschaften an den Tag. Ohne es zu ahnen, brachte er dadurch sein eigenes Leben in höchste Gefahr und überlebte nur knapp einen Mordanschlag. Nach seiner monatelangen Genesung bezog er ein Büro in der Münchener Verlagszentrale und übernahm fortan Sonderaufgaben. Im Laufe der Jahre verfeinerte er seine Methoden und schon bald zählte eine Reihe sehr einflussreicher Personen zu seinem Bekanntenkreis. Sie versorgten ihn immer wieder mit Informationen jeglicher Art.

Die Zeiten hatten sich gewandelt. War es in seinen Anfangsjahren der Name des Verlags gewesen, der ihm die Türen öffnete, reichte es heute, sich als Harald Brenner vorzustellen. Es gab keinen Politiker, keinen Wirtschaftsfürsten, keinen Banker, der ihm ein Gespräch verweigert hätte. Harald Brenner hatte es geschafft, er war ganz oben angekommen. Seine Recherchen führten ihn in alle Gesellschaftsschichten. Er bewegte sich ganz unten mit der gleichen Beharrlichkeit und Eloquenz, und vieles von dem, was ihm später bei der Aufklärung oft obskurer Sachverhalte weiterhalf, kam gerade aus solchen Schichten. Im Gegenzug half er Menschen in schwierigen Situationen, indem er seine Kontakte nach oben nutzte. Das sprach sich in diesen Kreisen sehr schnell herum und war für ihn Türöffner, wo es anderen mit noch so viel Mühe nicht gelang, undurchdringliche Mauern des Schweigens zu überwinden.

Seit Tagen schob Brenner die SimTech Geschichte vor sich her. Einer seiner Kollegen hatte über die Affäre der schwarzen Kassen berichtet. Es gab viele Mutmaßungen, keiner wusste etwas Genaues. Was man so hörte und was aus der Ecke der Polizei durchsickerte, umfasste der Skandal mehrere hundert Millionen. Irgendwie verschobenes Geld, so wurde vermutet. Etwas Genaues, aus erster Hand, war allerdings nicht bekannt. Die Zunft begann damit, voneinander abzuschreiben und aufzubauschen. Sogenannte Experten meldeten sich zu Wort, die genau so wenig wussten wie ihre schreibenden Interviewer. So entwickelte sich der Fall SimTech langsam aber stetig, genährt aus einem Wust von Halbwahrheiten.

Dr. Helmut Brandner, Chef des Verlagsvorstandes, hatte Brenner das Thema auf den Tisch gelegt und gebeten, er möge prüfen, ob sich daraus nicht etwas mit mehr Substanz machen ließe, als das, was darüber bisher in den diversen Blättern zu lesen gewesen war. Eine derartige Bitte kam eigentlich einer Anweisung gleich und er durfte sie nicht ignorieren. Also griff er zum Telefon und tätigte einige Anrufe. Schon nach dem ersten Gespräch war ihm die Brisanz klar. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit und dem ausdrücklichen Versprechen, die nächsten zwei Wochen keinen Gebrauch von dem Gehörten zu machen, erfuhr Brenner Erstaunliches. Die Staatsanwaltschaft München, und dort keine Geringere als die leitende Oberstaatsanwältin Dr. Gertrud Hölzl, hatte ein Ermittlungsverfahren gegen ehemalige und aktive Manager der SimTech eingeleitet. Der Vorwurf: Geldwäsche, Bestechung und Veruntreuung zulasten der SimTech AG. Ein Freund beim bayerischen Landeskriminalamt in der Orleansstraße in München, der ganz zufällig in die Ermittlungen eingebunden war, bestätigte ihm einige Namen und das ließ Brenner aufhorchen. Er hatte die letzten Jahre eine Nase dafür entwickelt, wenn es stank und übel wurde, und hier stank es gewaltig. Es gab keinen Zweifel, in diese Affäre waren Topleute des Konzerns bis hin zum Vorstand verstrickt.

Lange war es noch nicht her, dass dieser Schlamassel aufgeflogen war. Heute, Anfang Februar 2007, würde er sich also fast noch auf jungfräuliches Terrain begeben, wenn er sich mit dem Thema befasste. Es war Freitag und vor ihm lag ein entspanntes Wochenende. Wenn er Brandner am Montag über seine Entscheidung informierte, sollte das reichen, dachte Brenner und griff gleichzeitig zum Telefon und schob die Gedanken von soeben beiseite.

„Grüß Gott Herr Brandner, Brenner hier. Ich habe mir SimTech angesehen und ein wenig herumgefragt. Um es kurz zu machen, das Ding ist ein Knüller. Da steckt mehr drin als nur die eine oder andere Bestechung. Da wurde im großen Stil manipuliert und es werden Köpfe rollen. Ich mache es. Wird Zeit und leider auch etwas Geld kosten. Wenn Sie einverstanden sind, bin ich ab Montag dabei.“

Nach dem Telefonat packte Harald Brenner verschiedene Unterlagen zusammen, schaltete den PC aus, klemmte das Laptop unter den Arm, schloss sein Büro ab und machte sich auf den Weg zu einem im rückwärtigen Teil des Verlages liegenden schmalen Treppenaufgang. Er steuerte auf den Lift links davon zu und drückte den Knopf. Ein winziger Aufzug fuhr zwei Stockwerke nach oben. Nur mit einem Schlüssel war er für diese Fahrt zu aktivieren. Brenner erreichte das Vorzimmer seines Büros, das direkt unterm Dach lag und nur über diesen Lift oder die schmale Treppe zu erreichen war.

Das Büro war ausschließlich für Brenner reserviert und er nutzte es immer wieder mal, wenn er mit besonders heiklen Fällen befasst war. Auch dieser Umstand ging auf eine Geschichte vor Jahren zurück, als Unbekannte in sein Büro eingedrungen waren und PC, Laptop und Unterlagen mit Säure vernichtet hatten.

Hier unterm Dach waren er und seine Utensilien sicher. Die Tür zum Treppenaufgang war von außen nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Schlüssel für den Lift besaßen nur er, Brandner und der Sicherheitsdienst.

Er richtete sich ein, öffnete die breiten Dachfenster, überprüfte Telefon, Fax und WLAN. Alles funktionierte. Am Montag würde er mit der Arbeit beginnen, aber jetzt, in den Abendstunden des Freitags, herrschte Ruhe im Verlag und er wollte diese Stille nutzen, um seine Gedanken zu ordnen und einen ersten Plan zu entwerfen.

Harald Brenner liebte die Logik. Das folgerichtige Aneinanderreihen von Gedanken war der Grundstock seines Erfolges. Nicht Zufälliges, aus dem Bauch Geborenes, traf den Leser seiner Artikel, sondern akribisch Recherchiertes, unwiderlegbare Fakten, denen sich niemand entziehen konnte.

(4)

Dr. Hubert Schrofen zuckte mit keiner Wimper, als Harald Brenner ihn begrüßte und dabei den Doktor wegließ. Bei SimTech wurde er für gewöhnlich mit Doktor Schrofen angesprochen. Nur Doktoren untereinander sprachen sich ohne Titel an. Eine Gewohnheit, wie sie auch bei anderen großen Firmen und in Behörden gepflegt wurde. Brenner sprach niemanden mit Titel an. Keine Ehrenbezeugung, die, einmal ausgesprochen, später nicht mehr zurückgenommen werden konnte. Titel konnte man kaufen, man konnte sie erlangen, indem man Arbeiten von anderen abschrieb, die ihrerseits schon abgeschrieben hatten. Kurzum ein Sumpf.

Schrofens Büro in der Konzernzentrale im Stadtzentrum spiegelte die Bedeutung seiner Position wider. Wenigstens um die 50 qm, ausgestattet mit USM-Haller, Besucherbereich mit gediegenen Ledersesseln, große Fensterflächen, klimatisiert, zwei moderne Bilder an der Längswand, keine Drucke, Originale. Die dick gepolsterte Türe zum angrenzenden Sekretariat fiel mit einem sanften Schmatzen ins Schloss, als der übliche Kaffee und einige andere Getränke gebracht wurden.

„Was verschafft mir die Ehre?“, hob Schrofen an, nachdem der Kaffee in den Tassen sein Aroma verbreitete.

„Sie werden vielleicht denken, ich hätte mich besser mit der Presseabteilung ins Benehmen setzen sollen, als Ihre wertvolle Zeit zu stehlen, aber ich möchte ein paar Dinge mit Ihnen besprechen, denn wer könnte besser informiert sein als Sie? Als Leiter der Rechtsabteilung Ihres Konzerns müssen Sie doch quasi zwangsweise in die Ermittlungen involviert sein.“

„In welche Ermittlungen?“, unterbrach Schrofen Brenner.

„Ich wäre soeben auf den Punkt gekommen“, fuhr Harald Brenner fort. „Es gibt wohl derzeit kaum ein Thema, das die Öffentlichkeit mehr interessiert als die schwarzen Kassen bei SimTech. Unsere Zeitung ist der Meinung, ich solle mich darum kümmern, deshalb dachte ich, spreche ich mit Ihnen. Ich will mehr wissen als das, was den Flyern der Presseabteilung zu entnehmen ist.“

„Wie stellen Sie sich das vor?“, fragte Schrofen. „Recht viel mehr als das, was in den Zeitungen zu lesen ist, wissen wir selbst nicht. Was soll ich sagen - uns hat das Ganze ebenso überrascht wie die Öffentlichkeit.“

„Sie sind überrascht? Von was?“, bohrte Brenner nach. „Von der Dimension? Oder davon, dass die ganze Kacke überhaupt bekannt geworden ist? Ich nehme stark an Letzteres. Wissen Sie, ich verfüge über Quellen und es gehört zu meinen Grundsätzen, mich auf Meetings wie das unsere vorzubereiten. Deshalb weiß ich, dass Sie schon seit geraumer Zeit, sagen wir seit etwa einem guten Jahr, darüber informiert sind, dass die Staatsanwaltschaften in der Schweiz und Liechtenstein hinter SimTech her sind. Soll ich Ihnen die Kanzleien nennen, die Sie mit der Wahrung Ihrer Interessen beauftragt haben? Oder Ihnen die Namen der involvierten Mitarbeiter aufschreiben? Die Frage ist also nicht, was wissen Sie, sondern, was sind Sie bereit, von Ihrem Wissen an mich weiterzugeben?“

Schrofen wollte etwas sagen, aber Brenner winkte ab. „Warten Sie noch einen Augenblick. Sie haben jetzt die Möglichkeit, mein Bild über diese Affäre zu revidieren, indem Sie Ihr Wissen mit mir teilen. Andernfalls muss ich meine eigenen Schlüsse ziehen, und ob wir da deckungsgleich sind, wage ich zu bezweifeln.“

Trotz des angenehmen, künstlich erzeugten Raumklimas verrieten kleine Schweißperlen an den Schläfen die Anspannung Schrofens. Die ganze Situation, der Besuch an sich, war ihm äußerst unangenehm.

„Ich kann Ihnen nichts sagen. Würde ich es tun, befänden wir uns im Reich der Spekulation. Wie soll ich Ihnen etwas erklären, dessen Details sich mir selbst noch nicht einmal im Ansatz erschließen? Fragen Sie Ihre Quellen, wie Sie es nennen, und reihen Sie sich ein in die Kette der Berichterstattung aus Halbwahrheiten und Erfindungen. Wissen Sie, wir haben beschlossen, nicht auf die einzelnen Zeitungsartikel zu reagieren. Schreiben Sie, was Sie wollen. Wir beschäftigen uns später damit und ich meine damit juristisch, falls nötig. Es wird noch eine ganze Weile viel geschrieben werden, aber dann wird das Interesse erlahmen. Wer will schon monatelang immer wieder das Gleiche hören. Andere Ereignisse werden Sie und Ihre Kollegen in Bann nehmen. SimTech wird dann längst wieder mit positiven Nachrichten aufwarten, eine gesicherte Auftragslage vorweisen, Arbeitsplätze erhalten und so weiter. Das wird die Leute auf der Straße weit mehr bewegen als die x-te Nachricht über irgendeinen Manager aus unserem Konzern.“

Brenner musste Schrofen wohl oder übel beipflichten. Die beste Story war nach einer gewissen Zeit ausgelutscht und gab nichts mehr her in den Gazetten. In der Regenbogenpresse, dem primären Meinungsmacher, sowieso nicht. Dort ließ man alles nur solange köcheln, wie es für die Auflage gut war. Meldeten die Sensoren Gefahr, sprich Rückgang der Auflage, wurde blitzschnell gegengesteuert. Für solche Fälle hatten die Redaktionen immer eine andere Hammerstory parat, die den Leser gnadenlos an sich zog.

„Sie mögen recht haben“, sagte Brenner deshalb. „Sie unterschätzen allerdings meine Motivation. Ich arbeite nicht für ein Boulevardblatt und bin deshalb auch weniger an schnelllebigen Storys interessiert. Ich recherchiere gewissenhaft alles: Hintergrund, Motiv, Philosophie - und schließlich nehme ich die beteiligten Personen unter die Lupe, erlange Aufschluss über ihre Beziehungen im Unternehmen und ihre Positionen in der persönlichen Karriere. Dann, lieber Herr Schrofen, stülpe ich ihre damaligen Erfolgsgeschichten um. Ich finde heraus, welche Aufträge sie gegen die Konkurrenz gewonnen haben, obwohl das eigentlich gar nicht zu erwarten gewesen wäre. Dann habe ich sie wieder am Haken. Die feinen Herrschaften werden zappeln und sich verplappern, und ich werde darüber berichten. Die Aktualität von heute, da mögen Sie recht haben, wird in einigen Monaten niemanden mehr interessieren. Der Öffentlichkeit aber zu zeigen, wie das Unternehmen weiterhin schmutzige Praktiken betreibt, so, als wäre nichts geschehen, das wird zünden.“

„Sie wollen sich also auf unser Unternehmen einschießen. Warum, was haben Sie davon? Wir sind einer der größten Arbeitgeber, nicht nur in Deutschland. Der Schuss könnte nach hinten losgehen!“

„Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich verstehe schon, was Sie mir sagen wollen. Ich soll die Finger davonlassen, weil Sie beziehungsweise Ihr Konzern mächtig ist und mit anderen Mächtigen dieser Welt zu tun hat.“

Das Gespräch hatte zum eigentlichen Sachverhalt nichts erbracht und trotzdem seinen Zweck erfüllt. Harald Brenner wollte nicht mehr erreichen, als eine Spur zu legen. Schrofen würde selbstverständlich den Vorstand über das Meeting informieren und dadurch den Weg in die Köpfe des Managements ebnen. Schon sehr bald würden sie wissen, dass Brenner an der Sache dran ist. Die Hartgesottenen würde das vielleicht nicht weiter stören, aber die etwas Sensibleren würden anfangen nachzudenken und manche von ihnen würden damit beginnen, ihm Hinweise zuzuspielen, spätestens, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlten. Der Konzern würde niemanden schützen, der Vorstand darauf bedacht sein, sich in erster Linie selbst aus der Schusslinie zu manövrieren. Bauernopfer wären da sehr willkommen. Bis die Betroffenen merkten, dass sie dazu zählten, würde es für die meisten keinen Ausweg mehr geben.

(5)

Als Vinzenz Stangassinger sein erstes Gespräch mit Karl Reiser führte, hatte er nicht in Betracht gezogen, dass es noch andere Interessenten geben könne, die zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt waren wie er.

Zu der einen Gruppe zählte Harald Brenner, die andere befand sich noch im Stadium des Entstehens und würde ausschließlich darauf gerichtet sein, den Aktivisten der SimTech die beiseite geschafften Millionen abzujagen. Der oberste Drahtzieher jener weit verzweigten Organisation, der diese Gruppe angehörte, saß in Palermo. Er bediente sich regionaler Bosse und trat selbst so gut wie nie in Erscheinung. Einer dieser Regionalfürsten lebte in einem Vorort Münchens.

Dann gab es noch die Gruppe der Staatsorgane: Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte. Diese Gruppe dachte zwar in eine ähnliche Richtung wie Stangassinger, verwarf diese Gedanken aber, als die Ermittlungen keine Beweise, wie man es juristisch ausdrückte, für eine persönliche Bereicherung der Angeklagten erbrachten. Allerdings keimten Zweifel auf, ob diese Schlussfolgerung nicht in Absprache mit SimTech zustande kam. Aber auch davon hatte Stangassinger keine Kenntnis.

Die Gruppe der Kriminellen hingegen zweifelte zu keinem Zeitpunkt an diesem Umstand. Sie besaßen ein Gespür für Illegales und sie waren in der Lage, Ideen darüber zu entwickeln, wie die SimTech-Manager es angepackt haben könnten, ihre Pfründe an den Augen der Polizei vorbei in Sicherheit zu bringen.

Harald Brenner besaß ebenfalls eine Vorstellung davon, über welche Möglichkeiten die aufgeflogenen Manager verfügt haben mochten, und so war es auch für ihn nur logisch, in diese Richtung zu recherchieren.

Was Stangassinger und Reiser von jenen Gruppen hauptsächlich unterschied, war die Tatsache, dass sie über die schlechtesten Voraussetzungen zur Aufklärung der Zusammenhänge verfügten. Sie hatten keine Erfahrung in dem Metier und nur eine vage Vorstellung darüber, wie sie ihre Recherchen anlegen sollten. Weniger ins Gewicht fiel der zeitliche Vorsprung der anderen. Sie waren zwar bereits seit Monaten an der Sache dran, jedoch stocherten sie wie alle mehr oder weniger im Nebel der intransparenten Halbwahrheiten herum. Einen Vorteil hatten Stangassinger und Reiser allerdings: die Quellen Stangassingers im Zentrum des Geschehens.

Schon sehr bald, nachdem die ersten Berichte im Dezember 2006 und Januar 2007 die Schlagzeilen in den Zeitungen bestimmten, bat ein älterer Herr zwei andere Herren, etwa um die Mitte vierzig, zu sich in seine Villa nach Pullach im Isartal. Paradoxerweise war die Villa nicht allzu weit entfernt von der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes, kurz BND, dem der ältere Herr kein Unbekannter war. Gelegentlich hätte man Gesprächen lauschen können, die ein leitender Direktor des Dienstes mit dem älteren Herrn führte, was allerdings in den Räumen des BND, dank modernster Abschirmtechnik, nicht möglich war. Nur wenige wussten überhaupt um diese Gespräche. Der BND war permanent an allen denkbaren Informationen interessiert und der ältere Herr schien über erstaunliche Quellen zu verfügen, um diesen Wissensdurst zu befriedigen.

Beim BND hatte man sehr wohl eine Vorstellung davon, welchen Geschäften der ältere Herr nachging, aber es interessierte den Dienst nicht sonderlich, solange er Vorteile aus dieser Verbindung zog. Vielleicht hätte man von einem Gentleman Agreement sprechen können, hätte es sich bei den Beteiligten um solche gehandelt. Zumindest bei dem älteren Herrn durfte dieses zu Recht bezweifelt werden. Der Direktor des BND unterlag diesbezüglich wahrscheinlich anderen Kriterien.

Der ältere Herr wurde von den Ankommenden mit höflichem Respekt begrüßt, und sie folgten ihm ohne weitere Worte in ein mit allerlei Antiquitäten ausgestattetes Arbeitszimmer. Sie nahmen in bequemen Ledersesseln an einem runden Tisch aus Mahagoni Platz. Einige iMacs und Laptops auf zwei überdimensionierten, massiven Schreibtischen und ein an der Stirnseite des Büros angebrachter großer Flachbildschirm ließen die technische Perfektion des Büros erahnen. Die Fenster und Schiebetüren aus Glas waren zum Garten der Villa hin durch Jalousien abgedunkelt und das Büro durch eine moderne indirekte Deckenbeleuchtung erhellt.

Die Männer bedienten sich aus verchromten Thermoskannen mit Kaffee und wandten ihre Blicke dem älteren Herrn zu.

„Ich danke Ihnen, dass Sie die Zeit gefunden haben, meiner Einladung kurzfristig zu folgen. Sie haben die Berichte über die Affäre SimTech verfolgt? Keine Sorge, wir sind da nicht involviert. Da haben andere zusammengearbeitet, und das nicht besonders gut. Eine Clique von Managern hat versucht, ein System schwarzer Kassen zu etablieren. Die Herrschaften brauchten Geld, um an Aufträge zu gelangen. Gewaltige Mittel sollten für allerlei zur Verfügung stehen. Bestechung an vorderster Stelle. Sie haben wohl auch schon einiges abgewickelt. Sicher mehr als zweihundert Millionen alleine über die letzten beiden Jahre. Der Staatsanwalt ermittelt und es gibt Verbindungen in die Schweiz und nach Liechtenstein. Lassen Sie uns später darüber sprechen, wie sie es im Detail gemacht haben könnten.

Ich habe Sie zu mir gebeten, weil ich überzeugt davon bin, dass einige der Akteure die Gelegenheit genutzt haben, um erhebliche Millionenbeträge in die eigene Tasche zu stecken. Wir sollten herausfinden, wo sie dieses Geld aufbewahren und es unseren Konten zuführen. Wir werden ein wenig nach bewährter Methode recherchieren. Die Herrschaften werden sich unserem Ansinnen ganz gewiss nicht verschließen.“

Ein gemeines Grinsen im Gesicht seiner Gäste begleitete diesen letzten Satz.

Die Besucher verständigten sich mit einem kurzen Blick und taten ihre Zustimmung durch ein Nicken kund.

„Dann sind wir uns also einig, was ich auch nicht anders erwartet habe. Alles Weitere besprechen wir nachher. Lassen Sie uns essen gehen. Ich habe einen Tisch im Fausto gleich unten am Tierpark reserviert.“

(6)

Reiser überlegte übers Wochenende mehrere Alternativen, wie er und Stangassinger vorgehen könnten. Herumstochern und auf einen Zufall hoffen, der sie weiterbrächte, schied als Option aus. Seiner Überzeugung nach hing ihr Erfolg zu einem erheblichen Teil davon ab, wie es ihnen gelänge, eine Antenne für die gängige Praxis zu entwickeln. Dinge besitzen eine Historie und haben sich im Laufe der Zeit zu dem entwickelt, wie sie heute sind. Diese Entwicklung müssen wir kennen, denn an deren Ende steht das Desaster, die Affäre SimTech.

Am Samstag, dem 19. Mai, brach Reiser zeitig am Morgen auf, steuerte seinen Wagen durch den noch spärlichen Verkehr und erreichte in wenigen Minuten die Autobahn nach Salzburg und eine knappe Stunde später Gut Ising am Chiemsee. Stangassinger traf sich dort gelegentlich mit Freunden zum Golfen und hatte das Gut als Treffpunkt vorgeschlagen. Er hatte eines der Zimmer gebucht und erwartete Reiser bereits.

„Hier wird uns keiner aus der Firma über den Weg laufen“, bemerkte Stangassinger. „Ich schlage vor, wir bestellen uns ein Frühstück und konzentrieren uns dann auf Ihre Idee, die ich übrigens voll teile.“

Die Sonne brach sich Bahn, blinzelte durch die Scheiben der Fenster und verbreitete einen Hauch von Frühling.

„Ich dachte, ich erzähle Ihnen, wie das früher so gelaufen ist. Es gab immer wieder Situationen, wo Aufträge nur zu bekommen waren, wenn bestimmte Forderungen der Auftraggeber erfüllt wurden. Manchmal war es Geld, manchmal waren es Gegengeschäfte und manchmal auch beides. Es ist so: Wenn Sie als Auftragnehmer beurteilen sollen, ob das, was man von Ihnen verlangt, tatsächlich notwendig ist, um die begehrten Aufträge zu ergattern, dann tun Sie sich schwer. Wie wollen Sie überhaupt die richtigen Kontakte herstellen? Solche Leute geben ja kein Inserat in der Zeitung auf. Also hat man sich bei SimTech, und ich bin überzeugt, auch bei anderen Unternehmen, darauf verlassen, dass entweder die eigenen Leute, zum Beispiel die regionalen Niederlassungsoder Vertriebsleiter, die richtigen Kontakte geknüpft hatten oder sogenannte Consultants, also Berater, die sich zuhauf meldeten und vorgaben, sie könnten alle möglichen Geschäfte vermitteln. Bei den Externen wussten sie niemals mit letzter Sicherheit, ob deren Empfehlungen auch tatsächlich zum gewünschten Ziel führen würden. Übrigens natürlich auch nicht bei den eigenen Leuten. Um sich halbwegs abzusichern, wurden mit den Beratern Verträge abgeschlossen. Sie haben gelernt, nicht in Vorkasse zu gehen, solange die entsprechenden Aufträge nicht unter Dach und Fach waren. Im Augenblick brauchen wir nicht in Details einzusteigen und aufzeigen, an welcher Stelle SimTech jeweils Lehrgeld bezahlt hat, weil trotz Zahlung horrender Beträge das Erwartete nicht eintrat und die Aufträge an andere gingen. Es gab durchaus Berater, die sich zum selben Thema gleich mit mehreren Firmen ins Bett legten und von jedem kassierten. Später ist man dann schlauer geworden und hat solche Dinge zumindest vertraglich ausgeschlossen. Was diese Consultants aber wirklich getan haben, wussten wir nicht. Wir glaubten ihnen, dass es ihren Verbindungen zu verdanken war, wenn Aufträge ins Haus kamen.“

„Es hat sich also eine bestimmte Kultur entwickelt?“, bemerkte Stangassinger dazwischen, obwohl er die Antwort bereits kannte.

„Man sprach ganz allgemein von nützlichen Abgaben oder diskreten Zahlungen und das noch nicht einmal hinter vorgehaltener Hand“, fuhr Reiser fort. „Das war bei Großprojekten Bestandteil jeder Preiskalkulation, so einfach war das. Und legal! Solche Ausgaben waren steuerlich voll abzugsfähig. Sie gehörten zu den Kosten des Vertriebes. Bis 1998 ging das so, dann sollte mit einem Mal Schluss damit sein. Die OECD-Richtlinie gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger war in nationales Recht überführt worden und fortan stand unter Strafe, was man bis dahin bis zur Perfektion entwickelt hatte. Es gab eingespielte Kanäle und Wege, wie die jeweiligen Beträge beschafft und verteilt wurden. Selbstverständlich ist auch vor achtundneunzig keiner einfach zur Bank gegangen und hat die Bestechungsgelder überwiesen. Solche Zahlungen hat man immer schon sehr bedeckt gehandhabt und die gewählten Wege verschleiert. Ich kann mich noch erinnern, dass solche Dinge schon damals über jemanden zu schleusen waren, dessen Namen man kürzlich sogar in der Zeitung gelesen hat. Da müssen wir ansetzen! Lassen Sie uns im ersten Schritt herausfinden, wie sie es früher gemacht haben. Wenn wir das wissen, kennen wir den ersten Teil der Wahrheit und werden dann die Entwicklung auf diesem Gebiet besser verstehen und ein Gespür dafür entwickeln, wie sie es heute gemacht haben könnten.“

„Respekt, Herr Reiser! Wissen Sie jetzt, warum ich auf Sie gesetzt habe? Das ist genau das Bindeglied, das mir fehlte. Sie kennen die Details aus der Praxis, ich hingegen nur aus der Theorie. Ich denke, wir werden da einiges ausgraben können. Ich muss wohl oder übel einsteigen und ein paar längst vergessene Kapitel aus den Aktenkellern fischen. Das ist etwas, was ich machen kann und das niemandem besonders auffallen wird, denn was sonst tun denn Leute aus der Revision: sie buddeln in alten Kamellen.“

(7)

Harald Brenner saß unterm Dach in seinem Büro und grübelte über SimTech nach. Wenn von schwarzen Kassen und Schiebereien in großem Stil auszugehen war, dann musste es ihm sehr schnell gelingen, die verschlungenen Wege der Geldtransfers aufzudecken. Sein Gespräch mit Schrofen war auf langfristigen Erfolg angelegt. Es würde seine Zeit dauern, bis sich daraus Früchte für ihn ergäben und so lange konnte er nicht warten. Es war zudem fraglich, ob sie ihm bei der Lösung der gestellten Aufgabe überhaupt helfen würden. Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer in München.

„Sie wünschen bitte“, war die sehr einfache Antwort seines Gesprächsteilnehmers, ohne einen Namen zu nennen.

„Brenner. Ich müsste Sie sprechen.“

„Passt Ihnen siebzehn Uhr heute Nachmittag?“

Gegen 16:45 Uhr parkte Brenner seinen Wagen in der Hubertusstraße, ging die paar Meter zu Fuß und drückte Punkt siebzehn Uhr auf die Klingel am Haus Nummer 13a in der Romanstraße.

Wenige Augenblicke später öffnete eine jüngere Frau, sah ihn an und fragte: „Sie sind Herr ...?“

„Brenner“, vollendete er den Satz.

„Folgen Sie mir bitte!“, antwortete sie und geleitete ihn zu einem Büro im ersten Stock.

Als Brenner eintrat, erhob sich der Mann hinter seinem Schreibtisch, ging auf ihn zu, begrüßte ihn und wies auf eine winzige Besucherecke.

„Wie geht es Ihnen? Ist eine Weile her, dass ich von Ihnen gehört habe“, sagte der Mann.

Die Fenster des Büros gaben den Blick frei auf das Gebäude der schräg gegenüberliegenden Polizeidirektion West, und Harald Brenner fragte sich zum wiederholten Male, ob dies ein Zufall war oder ob sein Gesprächspartner Kontakte zu dieser Behörde pflegte. Letztlich war es ihm egal. Der Mann, drahtiger Typ, randlose Brille, darüber dunkle, buschige Augenbrauen, schmaler Mund mit Ansatz eines Oberlippenbartes, der sich schmal an den Mundwinkeln entlang zum Kinn hin verlor, war Spezialist für jegliche Analysen kriminologischer Zusammenhänge, kurz, ein Ass beim Entwirren komplexer Zusammenhänge. Brenner arbeitete des Öfteren mit ihm zusammen, wenn ihm seine eigenen Möglichkeiten zu vage erschienen oder wenn er schnelle und fundierte Ergebnisse benötigte.

„Es gab nicht so viel Aufregendes in letzter Zeit, aber jetzt habe ich einen dicken, fetten Fisch an der Angel.“ Brenner erläuterte den Fall SimTech.

„Ich verstehe“, sagte der Mann, „nicht ganz einfach, aber lösbar. Ich habe mich ohnehin schon gefragt, warum Sie sich bisher noch nicht gemeldet hatten. Ist doch etwas, das genau Ihrer Kragenweite entspricht, nicht wahr?“

„Ja, Sie haben recht“, antwortete Brenner, „aber ich wollte erst sichergehen, dass an der Sache mehr dran ist als nur die üblichen Gerüchte. Als ich dann schließlich erfahren habe, dass Gertrud Hölzl im Namen der Staatsanwaltschaft in dieser Angelegenheit das Zepter schwingt, bin ich hellhörig geworden. Wenn die Oberstaatsanwältin auf den Plan tritt, dann muss an der Geschichte etwas dran sein, finden Sie nicht?“

„Ich weiß, dass die Hölzl ermittelt“, sagte der Mann schlicht. „Ich weiß sogar noch mehr. In dieser Sache gibt es einen Vorlauf und der beginnt in Liechtenstein. Den zuständigen Behörden dort sind Unregelmäßigkeiten bei diversen Kontenbewegungen aufgefallen, die über verschiedene Firmen zu einer Person führen, die dem Direktionskreis der SimTech angehört.“

„Liechtenstein, sagen Sie?“

„Ja, Liechtenstein. Sie können sich vorstellen, dass es um auffällig hohe Beträge gegangen sein muss, wenn von dort aus ermittelt wird. Sonst hält man sich im Fürstentum in diesen Dingen doch eher bedeckt. Es geht um mehr als siebzig Millionen, sagen meine Quellen. Reicht Ihnen das fürs Erste?“

„Ja und nein. Es reicht mir, um sicher zu sein, dass sich da Abgründe gigantischen Ausmaßes auftun werden, weshalb ich Ihre Unterstützung brauche. Alleine komme ich nicht weiter. Ich muss die Wege der Transfers kennen und wissen, wie sie es gemacht haben und wer darin die steuernden Kräfte waren oder vielleicht sogar noch sind.“

„Haben Sie überlegt, natürlich haben Sie das, dass wir vermutlich einen Pfuhl betreten, dessen Schlamm üble Dinge nach oben spülen wird?“

„Was glauben Sie, warum ich hier bin? Dieser Klüngel hat Schmutziges zur Normalität erhoben. Sie haben gewusst was sie tun. Und nicht nur das, sie haben sich für unfehlbar gehalten und geglaubt, eine Art Mission zu erfüllen.“

„Wird nicht ganz billig werden, aber es wird Wege geben, Ihren Wissensdurst ein wenig zu befriedigen. Lassen Sie uns einen Modus festlegen, nach dem wir vorgehen wollen.“

„Schlagen Sie den Takt! Wenn ich etwas herausfinde, melde ich mich bei Ihnen. Ich habe wieder mein Spezialbüro bezogen, wir können uns also auch dort ungestört treffen.“

(8)

Der Spezialist besaß eine Reihe exzellenter Verbindungen zu Behörden. Gelegentlich arbeitete er sogar für einige von ihnen. Er unterlag keinen Dienstanweisungen oder Vorschriften. Das gab ihm mehr Freiraum bei der Arbeit, und seine Auftraggeber schätzten gerade diesen Umstand, wenn er Dinge tun konnte, die ihnen nur schwer möglich gewesen wären. Er beschaffte Informationen und Details, ohne deren Kenntnis sie sich an manchen Fällen die Zähne ausgebissen hätten. Der so erlangte Background war oft der Schlüssel, Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft in die richtige Richtung zu lenken oder überhaupt an Beweismaterial heranzukommen.

Vor Gericht spielte er keine Rolle, dort hatte man noch nicht einmal Kenntnis von seiner Existenz. War es unumgänglich, die Herkunft spezieller Informationen zu erläutern, sprach man im Allgemeinen von Informationen aus der Szene. Gelegentlich räumte man ein, diese über V-Leute oder eingeschleuste Undercover-Beamte erhalten zu haben. Zum Schutz der Beamten war es freilich nötig, ihre Namen geheim zu halten. Auch vor Gericht durften sie nicht erscheinen. Das verstand jeder Richter und es wurde nicht darauf bestanden, die Leute vorladen zu wollen. Selbst pfiffigen Verteidigern gelang es trotz aller möglichen Einsprüche nicht, die Gerichte zu einem anderen Verhalten zu bewegen. Das war der Deal. Anders hätte er nicht für sie gearbeitet.

Umgekehrt hatte der Spezialist über diese Verbindungen auch Zugang zu Informationen für seine privaten Aufträge. Man gab sie ihm und war sicher, dass die Quellen niemals offengelegt würden. Auch das gehörte zum Deal.

Nach Brenners Besuch in 13a, wie seine Schaltzentrale von den meisten seiner Besucher genannt wurde, führte der Spezialist ein Telefonat und traf sich bereits am nächsten Tag mit einem Mann in seinem Alter, Mitte vierzig. Sie tranken einen Kaffee in der Innenstadt und er erläuterte, was er benötigte.

„Das lässt sich machen“, sagte der Mann und so lagen jetzt vor ihm Kopien von Vernehmungsprotokollen und Berichten der polizeilichen Ermittlungsarbeit im Fall SimTech AG aus der Orleansstraße, dem Sitz der mit dem Fall betrauten Gruppe des LKA. Es handelte sich um eine Dienststelle des Sonderdezernats für Korruption der Staatsanwaltschaft München unter der Leitung von Oberstaatsanwältin Dr. Gertrud Hölzl.

Seinen wirklichen Namen kannte kaum einer. Stattdessen verwendete der Spezialist Pseudonyme, wenn ihn tatsächlich mal jemand danach fragte. Eine Ausnahme bildete lediglich ein leitender Beamter des LKA in der Maillingerstraße. Dieser Mann kannte ihn aus seiner aktiven Zeit bei der Polizei und er hatte auch die Verbindung hergestellt, als man ihn für diffizile Aufgaben einschalten wollte. Das war zehn Jahre her.

Er hatte eine steile Karriere vor Augen, als er sich entschied, den Polizeidienst nach einer Ausbildung beim SEK und einigen prekären Einsätzen als Sonderermittler zu verlassen und seine Fähigkeiten privat zur Verfügung zu stellen. Er suchte sich ein schlagkräftiges Team zusammen, zog nach 13a in der Romanstraße und funktionierte das Haus zu einer modernen Schaltzentrale um.

Sein Team deckte Korruptionsfälle auf, vereitelte Erpressungsversuche, befreite Geiseln, enttarnte Versicherungsbetrüger und einiges mehr.

Es gab eine Tatsache, die nicht einmal seinen Leuten bekannt war: Eigentümer von 13a war seine Mutter, die im Grundbuch unter ihrem Geburtsnamen eingetragen war, weshalb keine Namensgleichheit existierte. Sein Vater war verstorben und seine Mutter in zweiter Ehe mit einem Italiener verheiratet, dessen Namen sie führte. Mit Akribie hätte jemand diese Zusammenhänge herausfinden können, aber es gab niemanden, der sich dafür interessierte.

Unwillkürlich schmunzelte er, als er das kleine Bündel Papier aufschlug und in präzisem Amtsdeutsch las, welche organisatorischen Veränderungen SimTech im anklagegegenständlichen Zeitraum erfahren hatte und welche Personen darin eine besondere Rolle spielten. Formulierungen wie anklagegegenständlich waren eben Amtsdeutsch. Die Staatsanwaltschaft hatte sich ganz konkret auf den Bereich Telekommunikation eingeschossen.

Die Angeschuldigten, wie die aufgeflogenen Manager in den Unterlagen bezeichnet wurden, waren im Sinne der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsarbeit erwähnenswert kooperativ. Sie erzählten alles, was man von ihnen hören wollte, und oft noch mehr. Sie erzählten so viel, dass an manchen Stellen die ausgeprägte Fantasie der Angeschuldigten sogar der Staatsanwaltschaft verdächtig schien und sie in Zweifel zog, ob bestimmte Sachverhalte sich tatsächlich so zugetragen haben konnten.

Das war gut nachvollziehbar. Einige der Angeschuldigten saßen von November bis Dezember 2006 über vier Wochen in Untersuchungshaft. Das zerrt an den Nerven, da wird man leicht gesprächig. Je mehr sie sagten, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, sie weiterhin wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft behalten zu wollen. Da gab es Einverständnis zwischen der Staatsanwaltschaft und den Anwälten der Angeschuldigten.